VG München, Urteil v. 02.12.2020 – M 18 K 17.3084
Titel:
Einkommensabhängiger Beitrag zu Unterkunftskosten der volljährigen Tochter
Normenketten:
SGB VIII § 34, § 41, § 91 Abs. 1 Nr. 5, Nr. 8, § 92, § 93, § 94
KostenbeitragsV § 4
BGB § 1609
Leitsätze:
1. Wird eine Jugendhilfemaßnahme aufgrund der Volljährigkeit des Kindes ausschließlich diesem gegenüber bewilligt, steht dem Elternteil kein Rechtsschutz gegen die Maßnahme zur Verfügung, so dass deren Rechtmäßigkeit bei der Überprüfung der Festsetzung eines Kostenbeitrags zu prüfen ist. (Rn. 52 – 53) (redaktioneller Leitsatz)
2. Einkommenssteuervorauszahlungen eines kostenbeitragspflichtigen Elternteils fallen nur dann unter § 93 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII, sofern sie sich auf das im maßgeblichen Jahr erwirtschaftete Einkommen beziehen, die Steuervorauszahlung also seinen Einnahmen sachlich zuordenbar sind (hier verneint). (Rn. 76) (redaktioneller Leitsatz)
3. Schuldverpflichtungen, die zur Finanzierung selbstgenutzten Wohnungseigentums eingegangen worden sind, stellen nur insoweit Belastungen iSd § 93 Abs. 3 SGB VIII dar, als sie über den Betrag hinausgehen, der für den durch die Nutzung des Eigentums erzielten Wohnwert anzusetzen ist. (Rn. 102) (redaktioneller Leitsatz)
4. Welcher Kostenbeitrag als angemessen iSv § 94 Abs. 1 S. 1 SGB VIII anzusehen ist, wird regelmäßig durch die nach Einkommensgruppen gestaffelten Pauschalbeträge der Kostenbeitragsverordnung in der Fassung vom 5. Dezember 2013 vorgegeben. (Rn. 118) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Hilfe für junge Volljährige, Kostenbeitrag, Rechtmäßigkeit der Maßnahme, Berechnung des Einkommens, Wohnwert, Unterhaltsrechtlicher Selbstbehalt, Elternteil, Einkommensberechnung, Selbstbehalt
Fundstelle:
BeckRS 2020, 43890
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zu einem jugendhilferechtlichen Kostenbeitrag für die Unterbringung seiner volljährigen Tochter in einer therapeutischen Mädchenwohngruppe.
2
Der Kläger ist Vater der am … … … geborenen N. Von der Mutter der N. trennte er sich bereits im Jahr 2000. Der Kläger ist verheiratet und hat einen volljährigen und einen minderjährigen Sohn.
3
N. lebte zusammen mit ihrer älteren Halbschwester bei der Mutter und besuchte im Schuljahr 2016/2017 die 10. Klasse der Realschule in P.
4
Von Januar bis Juli 2016 erhielt N. eine ambulante Psychotherapie, die eine Diagnostik und Behandlung in einer stationären Kinder- und Jugendpsychiatrie empfahl. Außerdem fand ab April 2016 eine Beratung von N. durch den Allgemeinen Sozialdienst (ASD) des Beklagten statt.
5
Mit Schreiben vom 10. Mai 2016 wandte sich die Schulleiterin der Realschule an das Jugendamt des Beklagten und teilte mit, es bestehe der Verdacht, dass aufgrund einer mütterlichen Vernachlässigung das Wohl der Schülerin N. gefährdet sei. N. habe aufgrund ihres Notenbildes keine Chance, zur Abschlussprüfung im Juli zugelassen zu werden. Das Notenbild sei erst in dieser Jahrgangsstufe so schlecht geworden, bisher sei N. durchschnittlich leistungsstark gewesen. N. könne keine mündlichen Unterrichtsbeiträge liefern und keine Referate halten; an Prüfungstagen komme sie nicht zur Schule. Sie wirke ungepflegt, rieche schlecht und schneide sich die Haare in entstellender Weise selbst. N. habe sich ihrer Religionslehrerin anvertraut und berichtet, ihre Mutter sei Alkoholikerin. Dies habe auch die große Schwester von N., die von zu Hause ausgezogen sei, in einem langen Telefongespräch gegenüber der Klassereiterin bestätigt; auch habe sie gesagt, dass N. Hilfe brauche, weil sie mit der Mutter allein leben müsse.
6
Vom … … … bis … … … befand sich N. in stationärer jugendpsychiatrischer Behandlung im … in W. Laut fachärztlicher Stellungnahme vom … … … sei bei N. bei durchschnittlicher Grundintelligenz (IQ = 96) von einer mittelgradigen depressiven Episode vor dem Hintergrund einer hohen psychosozialen und die Jugendliche völlig überfordernden Belastungssituation auszugehen. Des Weiteren liege eine soziale Phobie vor, die sich aktuell nicht sicher von einer ängstlich-unsicheren Persönlichkeitsfehlentwicklung abgrenzen lasse; dies müsse der weitere Verlauf zeigen. Der abschließende Besuch der Realschule wäre denkbar, sofern es N. weiterhin schaffe, sich mit therapeutischer Unterstützung ihren Ängsten zu stellen. Die Erfahrungen aus dem bisherigen stationären Verlauf sprächen für die Notwendigkeit und auch günstige Prognose einer Unterbringung in einer therapeutischen Wohngruppe für junge Erwachsene mit psychischen Erkrankungen. Aus fachärztlicher Sicht benötige N. dringend Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung. Aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht seien die Voraussetzungen des § 41 SGB VIII (Hilfe für junge Volljährige) erfüllt.
7
Bereits unter dem 13. Dezember 2016 hatte N. beim Beklagten die Gewährung von Jugendhilfe in Form der Unterbringung in einer Einrichtung beantragt. Am … … … fand ein Hilfeplangespräch statt. Der am selben Tag erstellte Hilfeplan erkannte bei N. einen Bedarf nach Unterbringung in einer betreuten Wohnform; als Zielsetzung der Maßnahme wurden u.a. die Entwicklung einer realistischen beruflichen Perspektive, die realistischere Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und Schwächen sowie die Bearbeitung der vorhandenen Ängste mit therapeutischer Hilfe formuliert.
8
In einer sozialpädagogischen Beurteilung durch eine Fachkraft des Beklagten vom 19. Januar 2017 wurde die Heimunterbringung für N. befürwortet: Prognostisch würde N. bei einer Rückkehr in den Haushalt ihrer Mutter sehr schnell wieder in alte Verhaltensmuster zurückfallen. N. habe durch die … nun erfahren, wie anders man leben könne, und genieße dies. Dennoch werde sie es in einer Wohngruppe nicht einfach haben. Sie benötige weiterhin im Alltag einen therapeutischen Rahmen, der sie bei der Bewältigung der anstehenden Entwicklungsaufgaben (Schulabschluss, Berufsausbildung) unterstütze und sie bei der Bearbeitung ihrer Ängste stütze und begleite. N. wolle nicht mehr zur Mutter zurückkehren und sei sehr motiviert für eine therapeutische Wohngruppe. Gemäß einem internen Aktenvermerk vom 25. Januar 2017 wurde die Maßnahme als notwendig erachtet.
9
Jeweils mit Schreiben vom 25. Januar 2017 wurden sowohl der Kläger als auch die Mutter der N. darauf hingewiesen, dass für ihre Tochter zukünftig eine Hilfe für junge Volljährige gemäß § 41 SGB VIII gewährt werde und dass sie als Eltern zu den hierdurch entstehenden Aufwendungen ab Hilfebeginn gemäß § 92 Abs. 1 SGB VIII einen Kostenbeitrag nach Maßgabe ihres Einkommens zu leisten hätten. Zur Berechnung des Beitrags wurden sie aufgefordert, das mitübersandte „Formblatt Selbstauskunft“ auszufüllen sowie Einkommensnachweise betreffend das Kalenderjahr 2016 vorzulegen. Gleichzeitig wurden sie darauf hingewiesen, dass die Zahlung eines Kostenbeitrags insoweit Auswirkungen auf ihre Unterhaltsverpflichtung habe, als der Beitrag bei der Berechnung des Unterhalts berücksichtigt werde.
10
Mit Schriftsatz vom 30. Januar 2017 bestellte sich der Verfahrensbevollmächtigte für den Kläger und ersuchte zunächst um Aufklärung über die Veranlassung und die Notwendigkeit der Leistungen der Jugendhilfe für N. Es obliege zunächst der volljährigen N. selbst, die Voraussetzungen eines Unterhaltstatbestands gegenüber dem Kläger darzulegen und gegebenenfalls nachzuweisen. Hierüber enthalte auch das Schreiben des Beklagten keinen Aufschluss.
11
Unter dem 9. Februar 2017 teilte der Beklagte dem Verfahrensbevollmächtigten daraufhin mit, dass N. einen Antrag auf Hilfe für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII gestellt habe. Es werde derzeit noch nach einer geeigneten Unterkunft gesucht. Die Hilfe habe noch nicht begonnen, der Kostenbeitrag werde natürlich erst ab Beginn der Leistung erhoben. Wenn eine Hilfe nach dem SGB VIII gewährt werde, sei kein Unterhalt, sondern ein Kostenbeitrag nach § 92 Abs. 1 SGB VIII zu zahlen; dabei werde sowohl das Einkommen des Hilfebedürftigen als auch der Eltern geprüft.
12
Mit Schriftsatz vom 22. Februar 2017 wies der Bevollmächtigte darauf hin, dass weiterhin weder Grundlagen noch Erforderlichkeit einer vollstationären Jugendhilfeleistung nachvollziehbar seien, die die Heranziehung des Klägers rechtfertigen könnten. Unabhängig davon würden aber entsprechend der Aufforderung des Beklagten die Lohn- und Gehaltsabrechnungen für Januar 2016 bis einschließlich Dezember 2016 sowie der letzte Einkommensteuerbescheid (für 2015) vorgelegt, aus welchem sich u.a. eine Nachzahlung und Einkommensteuervorauszahlungen ergäben. Der Kläger sei verheiratet, seine Ehefrau erziele aus einer Teilzeitbeschäftigung ein durchschnittliches Monatseinkommen in Höhe von 560 EUR. Zudem sei der Kläger einem weiteren, in seinem Haushalt lebenden ehelichen Kind (R., geb. 2008) zum Unterhalt verpflichtet. Außerdem wurden berufsbedingte Aufwendungen (Fahrtkosten zum Arbeitsplatz, Gewerkschaftsbeiträge, Kosten für Arbeitskleidung) und diverse Versicherungsbeiträge des Klägers mit einer Gesamthöhe von 373,84 EUR geltend gemacht.
13
Am … … … wurde N. in der therapeutischen tiergestützten Mädchenwohngruppe S. des … … T. e.V. aufgenommen.
14
Mit Schreiben vom 24. März 2017 bat der Beklagte den Bevollmächtigten des Klägers um Vorlage von Nachweisen der geltend gemachten berufsbedingten Aufwendungen und Versicherungen sowie des ausgefüllten Formblattes Selbstauskunft. Ferner teilte er mit, dass er über die Gründe für die Hilfe keine Auskünfte erteilen könne.
15
Mit Bescheid vom 28. März 2017 gewährte der Beklagte N. ab … … … Hilfe für junge Volljährige gemäß § 41 SGB VIII durch Übernahme der anfallenden Heimkosten in der Einrichtung Diakonisches Werks T., Mädchenwohngruppe S.
16
Mit weiterem Bescheid vom 28. März 2017 erhob der Beklagte von der Mutter von N. ab dem … … … einen einkommensunabhängigen Kostenbeitrag in Höhe des Kindergeldes von monatlich 192 EUR.
17
Mit Schriftsatz vom 11. April 2017 zweifelte der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers weiterhin die Notwendigkeit der Jugendhilfemaßnahme für N. an.
18
Gleichzeitig legte er das Formblatt Selbstauskunft des Klägers vom 6. April 2017 vor. Darin erklärte der Kläger, er habe neben R. einen weiteren Sohn, M., geb. 1994, der arbeits- und einkommenslos sei und bei ihm im Haushalt lebe; hierzu legte er eine Bestätigung der Meldebehörde vor. Ferner gab der Kläger an, er selbst habe im Jahr 2016 außer seinem Lohn aus nichtselbstständiger Arbeit keine weiteren Einkünfte bezogen. Darüber hinaus gab er Schuldverpflichtungen aus zwei Sparkassen-Darlehen an.
19
Zum Beleg der geltend gemachten Belastungen legte der Kläger Kopien der Versicherungspolicen für die Kfz-, Privathaftpflicht-, Hausrats-, Rechtschutzsowie Lebens- und Erwerbsunfähigkeitsversicherung bzw. der Kontoauszüge mit den jeweiligen Abbuchungen vor; außerdem übermittelte er die Rechnung eines Fachgeschäfts für Berufsbekleidung vom 13. Februar 2017 über 376,80 EUR.
20
Unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen monatlichen Nettoerwerbseinkommens in 2016 in Höhe von 2.928,62 EUR und der vom Kläger eingereichten Unterlagen ermittelte der Beklagte im Rahmen einer monatsbasierten („01/2016“) Berechnung vom 18. April 2017 nach §§ 91 ff. SGB VIII einen vom Kläger zu leistenden Kostenbeitrag in Höhe von 342 EUR. Dabei setzte er im Rahmen der Einkommensbereinigung nach § 93 Abs. 3 SGB IX einen Pauschalabzug von 25% gemäß § 93 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII (732,16 EUR) an. Auf der Basis des so ermittelten maßgeblichen Einkommens und unter Berücksichtigung der weiteren Unterhaltsverpflichtungen des Klägers stufte der Beklagte ihn nach der KostenbeitragsV in die Einkommensgruppe 7 ein.
21
Mit Schreiben vom 18. April 2017 hörte der Beklagte den Kläger zu der beabsichtigten Festsetzung des Kostenbeitrags in Höhe von monatlich 342 EUR ab … … … an. Dabei wies er darauf hin, dass für den Sohn M. keine weitere Unterhaltspflicht berücksichtigt werden könne, da dieser bereits über 21 Jahre alt sei (§ 1603 Abs. 2 BGB).
22
Mit Schreiben vom 19. April 2017 teilte der Beklagte ergänzend mit, dass sich N. seit … … … in einer Einrichtung befinde und der Kläger ab diesem Zeitpunkt zur Zahlung eines Kostenbeitrags verpflichtet sei. Der Grund der Unterbringung könne aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht mitgeteilt werden.
23
Mit Schriftsatz vom 2. Mai 2017 wies der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers nochmals darauf hin, dass die Grundlage für die Erhebung eines Kostenbeitrags weiterhin nicht nachvollziehbar sei. Hilfsweise werde auch die in Aussicht gestellte Höhe des Beitrags als unbillig und unzutreffend zurückgewiesen. Insbesondere wurde nochmals auf die Zahlungsverpflichtungen aus den Darlehensverträgen i.H.v. monatlich insgesamt 1.074 EUR hingewiesen und zu deren Nachweis Jahreskontoauszüge der Sparkasse R. vom 9. Januar 2017 für den Zeitraum 2016, gerichtet an den Kläger und seine Ehefrau als Darlehensnehmer, vorgelegt. Außerdem wurden monatliche Kosten für die Schülerverpflegung des Sohnes R. geltend gemacht. Der Kläger sei R. vorrangig zur Unterhaltsleistung mit einem Bedarfssatz nach der Düsseldorfer Tabelle mit jedenfalls 317 EUR monatlich verpflichtet. Für die Abdeckung seines Lebensbedarfs verblieben dem Kläger nach alledem nur noch 1.053,85 EUR, sodass er ohne Unterschreitung des Selbstbehalts nicht mehr in der Lage sei, weiteren Unterhaltsverpflichtungen gegenüber volljährigen Kinder nachzukommen. Ein Ausnahmetatbestand, der eine Unterhaltsverpflichtung des Klägers gegenüber N. begründen könnte, sei ihm nicht bekannt gegeben worden; N. befinde sich aktuell offensichtlich weder in Schul- noch in Berufsausbildung. Auch sei dem Kläger eine Erkrankung seiner Tochter nicht bekannt, so dass sie in der Lage sein sollte, durch eigene Arbeitstätigkeit für ihren Lebensunterhalt zu sorgen.
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Mit Schreiben vom 11. Mai 2017 versicherte der Beklagte dem Verfahrensbevollmächtigten des Klägers, dass die Hilfeleistung für N. nicht willkürlich sei; N. werde derzeit in einer Einrichtung betreut und befinde sich in Schulausbildung. Hinsichtlich der vom Kläger geltend gemachten Ausgaben könnten die Einkommensteuervorauszahlungen und die Kontoführungsgebühren gar nicht und die Fahrtkosten nur zum Teil im Rahmen eines Pauschbetrags nach der Kostenbeitragsverordnung anerkannt werden; die Kfz-Versicherung sei darin bereits enthalten. Die Ausgaben für Arbeitskleidung seien zwar grundsätzlich berücksichtigungsfähig, hier vom Kläger bezüglich 2016 aber nicht durch eine entsprechende Rechnung belegt worden. In Bezug auf die Darlehensverträge könnten nur die Zinsen als Ausgabe berücksichtigt werden, bei der Tilgung handele es sich dagegen um Vermögensbildung. Hierzu werde der Kläger gebeten, die Lage und die Größe der finanzierten Wohnung mitzuteilen. Die Unterhaltsverpflichtung für den Sohn R. sei bereits dadurch berücksichtigt, dass der Kostenbeitrag um eine Stufe gesenkt worden sei; sonstige Ausgaben könnten für R. nicht berücksichtigt werden.
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Mit Schriftsatz vom 30. Mai 2017 monierte der Bevollmächtigte des Klägers, dass weiterhin keine Aufklärung über die Notwendigkeit oder Veranlassung der Hilfe für N. erfolgt sei; N. sei nach Kenntnis des Klägers im Juli 2016 durch die Abschlussprüfung an der Realschule durchgefallen und für die Fortsetzung einer Ausbildung in einer weiterführenden Schule danach offensichtlich nicht qualifiziert, so dass sie derartige Bestrebungen auch nicht über Unterhaltsansprüche finanzieren könne.
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Zu der darlehensfinanzierten Eigentumswohnung teilte der Bevollmächtigte mit, dass es sich dabei um eine Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung mit 87 m² Wohnfläche in einem Sechsfamilienwohnblock, Baujahr 1975, handle, die vom Kläger selbst genutzt werde.
27
Mit Bescheid vom 28. Juni 2017 erhob der Beklagte vom Kläger für die seiner Tochter N. mit einem Kostenumfang von monatlich insgesamt ca. 7.000 EUR gewährte Hilfe für junge Volljährige einen einkommensabhängigen Kostenbeitrag, der ab Hilfebeginn am … … … auf 342 EUR je Monat festgesetzt wurde; der nachzuzahlende Betrag bis 30. Juni 2017 wurde auf 1.379,40 EUR beziffert. Die Festsetzung sollte vorläufig auch für 2018 bis zur Vorlage von Nachweisen über das im Jahr 2017 erzielte Einkommen weitergelten. Der Bescheid wurde dem Kläger ausweislich Postzustellungsurkunde am 30. Juni 2017 zugestellt.
28
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 6. Juli 2017, eingegangen am 7. Juli 2017, hat der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht München erheben lassen und beantragt,
29
den Kostenbeitragsbescheid des Beklagten vom 28. Juni 2017 aufzuheben.
30
Zur Begründung wurde vorgetragen, der grundgesetzlich gewährleistete Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG beinhalte, dass jemand, der durch die öffentliche Gewalt in Anspruch genommen werde, die Rechtmäßigkeit dieser Inanspruchnahme prüfen können müsse. Danach müsse der Kläger über die Notwendigkeit der Hilfegewährung für N. als Grundlage für die Erhebung des Kostenbeitrags informiert werden. Dem Kläger seien jedoch bislang jegliche Auskünfte verweigert worden. Nach den Informationen, die der Kläger von seiner Tochter erhalten habe, lasse sich die Notwendigkeit der jugendhilferechtlichen Maßnahme nicht nachvollziehen. Eine psychische Belastungssituation mit sozialen Ängsten in der Schule, auch wenn sie das Entstehen einer Depression befürchten ließen, erfordere keine jugendhilferechtliche Maßnahme zur eigenverantwortlichen Lebensführung. Das Vorliegen weiterer gesicherter Diagnosen und medizinischer Sachverständigengutachten entzögen sich der Kenntnis des Klägers. Die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Heranziehung zu einem Kostenbeitrag schließe die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der kostengegenständlichen Maßnahme ein, da eine Kostenpflicht nur für eine rechtmäßige Maßnahme entstehen könne. Diese müsse hier bestritten werden, hilfsweise auch deren Umfang. Die Tochter des Klägers sei volljährig und in der Lage, für ihren Lebensunterhalt selbst zu sorgen. Jedenfalls sei eine Wiederholung der bereits erfolgreich absolvierten 9. Klasse nicht erforderlich. Die Aussage der Tochter hierzu, dies geschehe auf ihren Wunsch und sie könne mit Unterstützung des Jugendamtes so lange zur Schule gehen, wie sie wolle, könne die Rechtmäßigkeit der kostengegenständlichen Maßnahme nicht begründen.
31
Überdies wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2017 persönlich an den Beklagten und verlangte die sofortige Aufhebung des Kostenbeitragsbescheids. Die Hilfe sei überteuert, übertrieben und rechtswidrig, N. könne genauso gut bei ihrer Mutter wohnen und leben. Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter sei noch sehr gut. N. habe ihm selbst mitgeteilt, dass sie jedes Wochenende und die Schulferien bei ihrer Mutter verbringe. Die Behauptungen des Beklagten, es sei etwas Schlimmes vorgefallen, entsprächen daher nicht der Wahrheit, sondern seien Verleumdung und Vortäuschung. Mit einer Hilfe für junge Volljährige habe das Ganze nichts mehr zu tun, vielmehr sei das Narrenfreiheit und Wunschkonzert auf Kosten der Eltern und der Steuerzahler und eine überteuerte Schul- und Hausaufgabenbetreuung für Lernschwache. Anscheinend sei N. für die Realschule nicht geeignet. Das Wiederholen der 10. Klasse und der Abschlussprüfung schienen völlig sinn- und ziellos. Sinngerecht wäre die Aufnahme einer Berufsausbildung oder einer Arbeitstätigkeit.
32
Unter dem 28. Juli 2017 nahm der Beklagte intern eine Kontrollberechnung hinsichtlich einer Reduzierung des Kostenbeitrags des Klägers wegen der Erfüllung weiterer Unterhaltspflichten unter Einbeziehung nicht nur des Sohnes R., sondern auch der Ehefrau vor; eine Änderung der Höhe des Kostenbeitrags ergab sich dabei nicht.
33
Mit Schreiben vom 15. September 2017 hat der Beklagte beantragt,
34
die Klage abzuweisen.
35
Nach einem ersten Hilfeplangespräch am … … … und der fachärztlichen Stellungnahme des …s vom … … … habe der Beklagte die Unterbringung von N. in einer geeigneten Wohnform für notwendig erachtet und genehmigt. Der Kläger sei darüber aufgeklärt worden, dass ihm über die Gründe für die Hilfe aufgrund der Volljährigkeit seiner Tochter nach den datenschutzrechtlichen Bestimmungen keine Auskünfte erteilt werden könne. Bei der Berechnung der Höhe des Kostenbeitrags seien alle angegebenen monatlichen Belastungen des Klägers, auch die Zinsbelastungen aus den beiden Darlehen, berücksichtigt worden. Für den älteren Sohn des Klägers habe nach § 1603 Abs. 2 BGB keine weitere Unterhaltspflicht berücksichtigt werden können.
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Mit Schriftsatz vom 15. November 2017 beantragte der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers Akteneinsicht. Zudem wurde mitgeteilt, dass der Kläger nunmehr von N. einen ärztlich-psychologischen Befundbericht der … vom … … … sowie eine Schulbescheinigung der Staatlichen Realschule T. vom … … … erhalten habe.
37
Unter dem 29. November 2017 bat das Gericht den Beklagten um Vorlage einer sozialpädagogischen Stellungnahme zu Notwendigkeit und voraussichtlichen Dauer der stationären Hilfe.
38
Mit Schreiben vom 12. Dezember 2017 teilte der Beklagte mit, dass es aus therapeutischen Gründen sinnvoll sei, wenn der Kläger endlich den Grund für die Unterbringung seiner Tochter in der Einrichtung erfahre; es bestehe daher auch nach Absprache mit N. Einverständnis mit einer vollständigen Akteneinsicht.
39
Darüber hinaus wurde der aktuelle Hilfeplan (Nr. 3) vom 9. November 2017 übersandt. Danach sei N. schulisch recht gut in das Abschlussjahr gestartet. Mit Ende der 10. Klasse wolle sie die Wohngruppe verlassen und eine Ausbildung machen, habe aber noch keine klaren Vorstellungen hinsichtlich der Berufswahl. N. fahre aktuell 14-täglich zur Mutter, deren Alkoholproblematik fortbestehe. Die emotionalen Belastungen durch die Eltern seien für N. sehr hoch. N werde in der Wohngruppe psychologisch betreut und nach wie vor mit einem Antidepressivum behandelt.
40
Im Folgenden nahm der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers Einsicht in die gesamten vom Beklagten vorgelegten Behördenakten.
41
Mit Schriftsatz vom 5. März 2018 führte der Bevollmächtigte aus, auf der Grundlage der nunmehr erteilten Auskünfte und vorgelegten Nachweise, insbesondere der fachärztlichen Stellungnahme vom … … … und des auf dieser Grundlage erstellten Hilfeplans Nr. 1, könne davon ausgegangen werden, dass zum Zeitpunkt des Hilfebeginns am … … … eine Veranlassung hierfür vorgelegen habe. Aus der weiteren, am … … … dokumentierten Hilfeplankonferenz lasse sich jedoch keine ärztliche Überprüfung der Krankheitsentwicklung bei N. entnehmen. Weitere ärztliche Atteste seien offensichtlich nicht eingeholt worden, eine weitere Überprüfung der Notwendigkeit und Geeignetheit der Hilfemaßnahme sei nicht erfolgt. Die Hilfeplankonferenz am 9. November 2017 habe letztlich nur die in den vorhergehenden Plänen getroffenen Feststellungen wiederholt. Den Berichten sei zu entnehmen, dass die persönliche Situation von N. stabil und ihr persönliches Befinden sowie ihre Schulnoten in Ordnung seien. Von einem Zustand mit Krankheitswert im Sinne der ursprünglichen Diagnose (mittelgradige depressive Episode) sei nicht mehr die Rede. Depressionen könnten erfolgreich behandelt werden; die meisten depressiven Episoden bildeten sich bei entsprechender Behandlung innerhalb weniger Monate zurück. Lediglich 15% bis 20% aller Fälle wiesen eine Dauer von einem Jahr auf. Selbst wenn man also von einer anfänglich bestehenden Notwendigkeit für die Hilfemaßnahme ausgehe, könne ein Fortbestehen dieser Notwendigkeit über Mai 2017 hinaus bzw., da insoweit jegliche weitere fachärztliche Feststellung fehle, jedenfalls spätestens ab November 2017 nicht mehr einfach unterstellt werden.
42
Darüber hinaus beruhe der vom Beklagten festgesetzte Kostenbeitrag auf einer zulasten des Klägers unrichtigen Berechnung. Zwar werde zutreffend und unstreitig von einem Einkommen des Klägers in Höhe von 2.928,62 EUR ausgegangen. Der von Beklagtenseite im Rahmen des § 93 Abs. 2 und 3 vorgenommene Pauschalabzug von 25% werde den tatsächlichen Verhältnissen aber nicht gerecht. Von Klägerseite seien wesentlich weitergehende tatsächliche Vorsorgeaufwendungen, berufsbedingte Aufwendungen und Schuldverpflichtungen je Monat nachgewiesen worden (37,92 EUR Einkommensteuervorauszahlung, 212,50 EUR Fahrtkosten, 27 EUR Gewerkschaftsbeitrag, 15 EUR Aufwendungen für Arbeitskleidung). Weiter seien monatliche Versicherungsaufwendungen zu berücksichtigen (50 EUR für Kfz-Haftpflicht-, 11,67 EUR für Privathaftpflicht-, 26,67 EUR für Rechtsschutz- und 31 EUR für Lebens- und Erwerbsunfähigkeitsversicherung). Abzüglich dieser Aufwendungen verbleibe ein anrechenbares Nettoeinkommen in Höhe von 2.516,86 EUR. Abzüglich der weiteren Belastung aus den monatlichen Darlehensverpflichtungen gegenüber der Sparkasse von 1.047,60 EUR verbleibe dem Kläger ein anrechenbares Erwerbseinkommen in Höhe von 1.469,26 EUR. Der Kläger sei vorrangig seinem minderjährigen Sohn R. und darüber hinaus auch seiner lediglich teilzeitbeschäftigten Ehefrau unterhaltsverpflichtet. Nach seinem zurechenbaren Einkommen sei der Kläger gemäß § 4 Abs. 1 Nr. KostenbeitragsV zunächst der Einkommensgruppe 5 zuzuordnen; für die beiden in seinem Haushalt lebenden unterhaltspflichtigen Personen sei eine Reduzierung um je 2 Einkommensgruppen vorzunehmen, so dass die Einstufung letztlich in die Einkommensgruppe 1 zu erfolgen habe, aus der sich gemäß Spalte 2 letztlich kein zu erhebender Kostenbeitrag ergebe.
43
Am 31. Juli 2018 zog N. nach Erreichen des Realschulabschlusses aus der Mädchenwohngruppe aus. Mit Bescheid vom 14. August 2018 wurde die Hilfemaßnahme gegenüber N. eingestellt und der Kläger schriftlich hierüber informiert.
44
Mit Bescheid vom 24. Januar 2019 setzte der Beklagte gegenüber dem Kläger für die N. im Zeitraum 1. Januar 2018 bis 31. Juli 2018 gewährte Hilfe für junge Volljährige einen Kostenbeitrag in Höhe von monatlich 378 EUR fest. Gegen diesen Bescheid ließ der Kläger Widerspruch einlegen, über den noch nicht entschieden wurde.
45
Die Verwaltungsstreitsache wurde am 2. Dezember 2020 mündlich verhandelt.
46
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
47
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der angefochtene Kostenbeitragsbescheid des Beklagten vom 28. Juni 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
48
Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist vorliegend der Zeitpunkt des Bescheidserlasses als (letzte) behördliche Entscheidung (vgl. BayVGH, B. v. 9.8.2012 - 12 C 12.1627 - juris Rn. 3; VG München, U.v. 9.7.2020 - 18 K 17.5881 - juris Rn. 45; VG Würzburg U. v. 28.2.2019 - W 3 K 17.1340 - juris Rn. 29).
49
Klagegegenständlich ist die Kostenerhebung für den Zeitraum … … … bis 31. Dezember 2017 mit Bescheid vom 28. Juni 2017. Der Kostenbeitragsbescheid vom 24. Januar 2019 für den Zeitraum 1. Januar 2018 bis 31. Juli 2018 wurde nicht in das Klageverfahren einbezogen, sondern mit - alternativ statthaftem, vgl. Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AGVwGO - Widerspruch angegriffen.
50
Auf der Grundlage von § 91 Abs. 1 Nr. 8, Nr. 5 Buchst. b i.V.m. §§ 41 Abs. 1, 34 Satz 1 SGB VIII und § 92 Abs. 1 Nr. 5 Halbs. 1, Abs. 2 SGB VIII hat der Beklagte den Kläger für diesen Zeitraum sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach zu Recht durch Leistungsbescheid zu einem einkommensabhängigen Beitrag zu den Kosten für die vollstationäre Unterbringung seiner volljährigen Tochter N. herangezogen.
51
1. Die der Kostenerhebung zugrundeliegende Jugendhilfemaßnahme für N. war rechtmäßig.
52
a) Auch wenn die Rechtmäßigkeit der Hilfemaßnahme keine explizite Tatbestandsvoraussetzung für die Festsetzung eines Kostenbeitrags darstellt, ist sie nach ständiger Rechtsprechung aber jedenfalls dann zu prüfen, wenn dem Kostenpflichtigen kein Primärrechtsschutz gegen den Bewilligungsbescheid für die Maßnahme möglich war (NdsOVG, B. v. 27.8.2018 - 10 LA 7/18 - juris; OVG NW, B. v. 28.8.2014 - 12 A 1034/16 - juris; VG Augsburg, U. v. 20.12.2019 - Au 3 K 17.855 - juris Rn. 27, zuletzt VG München, U.v. 9.7.2020 - 18 K 17.5881 - juris Rn. 49).
53
Vorliegend wurde der Tochter des Klägers mit Bescheid vom 28. März 2017 Hilfe für junge Volljährige in Form der Kostenübernahme für ihre Unterbringung in der therapeutischen tiergestützten Mädchenwohngruppe des … … T. e. V. nach § 41 i.V.m. § 34 SGB VIII gewährt. Aufgrund der Volljährigkeit der Tochter wurde die Maßnahme ausschließlich dieser gegenüber bewilligt; dem Kläger stand somit kein Rechtsschutz gegen die Maßnahme zur Verfügung, so dass vorliegend die Inzidenzprüfung ihrer Rechtmäßigkeit geboten ist.
54
b) Nach § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII soll einem jungen Volljährigen Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung gewährt werden, wenn und solange die Hilfe auf Grund der individuellen Situation des jungen Menschen notwendig ist.
55
Der vom Gesetzgeber bewusst weit formulierte Tatbestand des § 41 Abs. 1 SGB VIII setzt grundsätzlich voraus, dass Defizite im Hinblick auf die Entwicklung des jungen Volljährigen hin zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit gegeben sind und es an der im Regelfall mit Erreichen des Volljährigkeitsalters gegebenen Selbstständigkeit in verschiedenen Lebensbereichen mangelt (vgl. von Koppenfels-Spies in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Aufl. 2018, § 41 SGB VIII Rn. 9 f.). Eine Hilfe ist etwa dann notwendig, wenn der junge Erwachsene angesichts individueller Beeinträchtigungen wie psychischer oder physischer Belastungen, Abhängigkeiten, Delinquenz, Behinderungen oder sozialer Benachteiligungen, v.a. fehlender schulischer oder beruflicher Ausbildung, nicht zu gesellschaftlicher Integration in der Lage ist oder ihm die Fähigkeit fehlt, die Anforderungen des täglichen Lebens zu bewältigen bzw. Konfliktsituationen in altersgemäß üblicher Art und Weise überwinden zu können (Berneiser in Ehmann/Karmanski/Kuhn-Zuber, Gesamtkommentar Sozialrechtsberatung, 2. Aufl. 2018, § 41 SGB VIII, Rn. 6 f.). Ob der junge Mensch zur eigenständigen Lebensführung in der Lage ist, beurteilt sich unter anderem an der Haushaltsführung, der Körperpflege, sozialen Kontakten, Verhalten in der Schule und am Arbeitsplatz, Freizeit- und Urlaubsgestaltung (Winkler in Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, BeckOK Sozialrecht, Stand 1.9.2020, § 41 SGB VIII Rn. 7a).
56
Hinsichtlich der Ausgestaltung der im Rahmen der Hilfe für junge Volljährige zu gewährenden Leistungen verweist § 41 Abs. 2 SGB VIII auf die verschiedenen Formen der Hilfe zur Erziehung sowie die Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche nach den §§ 27 Abs. 3 und 4, 28 bis 30, 33 bis 36, 39 und 40 SGB VIII mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Personensorgeberechtigten oder des Kindes oder des Jugendlichen jeweils der junge Volljährige tritt.
57
Bei der Festlegung, welche dieser Hilfeformen im Einzelfall geeignet und erforderlich ist, kommt dem Jugendhilfeträger ein rechtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Er hat die Entscheidung über die konkrete Maßnahme im Rahmen eines kooperativen pädagogischen Entscheidungsprozesses unter Mitwirkung von Fachkräften sowie des Hilfeempfängers zu treffen, wobei diese Entscheidung nicht dem Anspruch objektiver Richtigkeit unterliegt, sondern vielmehr eine angemessene Lösung der festgestellten Belastungssituation enthalten muss, die ihrerseits fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss (sog. Maßstab der „sozialpädagogischen Fachlichkeit“, st. Rspr., vgl. z.B. BayVGH, B.v. 28.6.2016 - 12 ZB 15.1641 - juris Rn. 26; B.v. 30.1.2017 - 12 C 16.1693 - juris Rn. 7). Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung ist daher darauf beschränkt, ob allgemein gültige Maßstäbe beachtet sowie alle für die Entscheidung relevanten Gesichtspunkte berücksichtigt wurden und keine sachfremden Erwägungen eingeflossen sind (vgl. BayVGH, B.v. 18.3.2005 - 12 CE 04.3019 - juris Rn. 12).
58
Auch reicht insoweit grundsätzlich eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür aus, dass durch die Hilfe die Persönlichkeitsentwicklung des jungen Volljährigen und dessen Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Lebensführung gefördert werden können und sich diese innerhalb eines gewissen Zeitraums spürbar verbessern; lediglich wenn überhaupt keine Erfolgsaussicht besteht, also nicht einmal Teilerfolge zu erwarten sind und die Persönlichkeitsentwicklung erkennbar stagniert, scheidet ein Leistungsanspruch nach § 41 SGB VIII von vornherein aus (vgl. BVerwG v. 23.09.1999 - 5 C 26/98 - juris; von Koppenfels-Spies a.a.O. § 41 SGB VIII Rn. 12).
59
c) Nach diesen Maßgaben ist die Entscheidung des Beklagten, N. unmittelbar nach ihrer Entlassung aus der stationären jugendpsychiatrischer Behandlung im … in einer therapeutisch betreuten Mädchenwohngruppe unterzubringen, nicht zu beanstanden.
60
Vor dem Hintergrund ihrer familiären Situation, insbesondere der psychischen Erkrankung und des chronischen Alkoholismus ihrer Mutter und konkret wohl im Zusammenhang mit dem Auszug ihrer älteren Schwester, kam es bei N. im Verlauf des Schuljahres 2015/2016 neben einem drastischen schulischen Leistungsabfall zu massiven äußerlichen und psychischen Auffälligkeiten wie Vermeidungsverhalten, sozialem Rückzug und erheblichen Unterrichtsfehlzeiten. Dies veranlasste die Schulleiterin im Mai 2016 zu einem „Hilferuf“ an das Jugendamt des Beklagten und führte schließlich zu der offen-stationären Aufnahme von N. in der Kinder- und Jugendpsychiatrie des … … am … … … Laut Gutachten der … vom … … … lagen bei N. angesichts einer hohen psychosozialen und sie völlig überfordernden Belastungssituation eine mittelgradige depressive Episode, eine soziale Phobie und ernsthafte soziale Beeinträchtigung sowie abnorme psychosoziale Umstände vor. Aus fachärztlicher Sicht wurde bei N. dringender Hilfebedarf für die Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung gesehen und ihre Unterbringung in einer therapeutischen Wohngruppe für junge Erwachsene mit psychischen Erkrankungen empfohlen.
61
Dementsprechend wurde in der sozialpädagogischen Beurteilung durch eine Fachkraft des Beklagten vom 19. Januar 2017 die Heimunterbringung für N. ausdrücklich befürwortet, da für den Fall ihrer Rückkehr zur Mutter die Gefahr eines Rückfalls in die soziale Isolation befürchtet wurde und eine weitere therapeutische Begleitung sowie eine Unterstützung zur Bewältigung der anstehenden Entwicklungsaufgaben für erforderlich erachtet wurden.
62
Das Gericht hat keinen Zweifel an der fachlichen Vertretbarkeit dieser Entscheidung. Zum Zeitpunkt ihrer Entlassung aus der … hatte N. wegen ihres fortbestehenden Krankheitsbildes und wegen ihrer emotionalen und psychosozialen Schwierigkeiten einen hohen Therapie- und Betreuungsbedarf. Die Mutter war aufgrund ihrer eigenen schweren Probleme offensichtlich nicht in der Lage, die Mangelsituation bei N. aufzufangen. Auch war für N. keine Unterstützung durch den Kläger zu erwarten. Bei einer Rückkehr zur Mutter lag die Gefahr auf der Hand, dass N. in alte Verhaltensmuster zurückfallen und sich ihr Krankheitsbild wieder verschlechtern und verfestigen würde. Zu einem eigenständigen Leben war N. unter den gegebenen Umständen eindeutig noch nicht fähig. Zum einen litt sie unter der psychischen Erkrankung. Zum anderen hatte sie weder einen Schulabschluss noch Einkommen oder Vermögen. Die stationäre Unterbringung zielte gerade auf die Stärkung der eigenverantwortlichen Lebensführung und das Erreichen eines Schulabschlusses ab. Auch die Entscheidung für die therapeutische Mädchenwohngruppe S. ist nachvollziehbar. Nach ihrer Konzeption bietet diese Einrichtung für Mädchen und junge Frauen einen beschützten Rahmen, in dem sie mit ihren individuellen Biografien die Möglichkeit haben, ihre Stärken und Interessen kennen zu lernen und eine realistische Lebensperspektive zu entwickeln (vgl. https://www diakonie-traunstein.de/therapeutische-tiergestuetzte-maedchenwohngruppe-schlehberg/- Zugriff 4.12.2020).
63
Demgegenüber greifen die Einwendungen des Klägers nicht durch. Soweit er bemängelt, dass seit der Entlassung von N. aus der … keine gesicherte medizinische Diagnose mehr erstellt worden sei, die eine Jugendhilfemaßnahme weiterhin rechtfertigen würde, ist dem entgegenzuhalten, dass die Hilfe für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII der Persönlichkeitsentwicklung und Verselbstständigung dient. Sie knüpft damit allein an in diesen Bereichen bestehende Defizite an, welche ihre Ursache zwar (auch) in psychischen oder physischen Belastungen haben können, jedoch kein (fortbestehendes) Krankheitsbild voraussetzen. Die mögliche „Heilung“ der depressiven Episode bei N. mag daher zwar - wohl auch als Erfolg der Maßnahme - eingetreten sein, hindert die Fortsetzung der Maßnahme jedoch nicht. Soweit der Kläger ferner rügt, dass seiner Tochter ein unnötiges, nicht zielführendes Wiederholen von zwei Schuljahren auf seine Kosten ermöglicht werde, ist er zunächst drauf hinzuweisen, dass die Hilfsmaßnahme in der Gesamtheit der Unterstützungsleistungen in der therapeutischen Wohngruppe besteht und das Erreichen eines Realschulabschlusses dabei nur einen - wenn auch sehr wichtigen - Baustein auf dem Weg der N. hin zur Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit darstellt. Selbst wenn N. also unmittelbar nach der Entlassung aus der … eine Ausbildung aufgenommen hätte, hätte die Ausbildungsvergütung nicht ansatzweise ausgereicht, um die Gesamtkosten ihrer vollstationären Unterbringung in Höhe von rund 7.000 EUR monatlich zu decken. Abgesehen davon kommt - im Rahmen der intellektuellen Eignung (vgl. insoweit auch BayVGH, B.v. 21.2.2013 - 12 CE 12.2136 - BeckRS 2013,47782 Rn. 33 zu § 35a SGB VIII) - dem Erreichen eines möglichst qualifizierten Schulabschlusses eine herausragende Rolle für die weitere Entwicklung und berufliche Perspektive zu. Nach ihrem IQ war N. generell zum Besuch der Realschule geeignet und nicht - wie der Kläger meint - „lernschwach“; der Leistungseinbruch war allein auf die häusliche Situation und die damit zusammenhängende psychische Erkrankung zurückzuführen. Auch dass N. nicht unmittelbar in die Abschlussklasse eingestiegen ist, sondern nochmals die letzten fünf Monate der bereits bestandenen 9. Klasse wiederholt hat, ist angesichts der im Rahmen ihrer Krankheit entwickelten Schulangst, des langen …aufenthalts und der damit verbundenen Notwendigkeit der Stoffnacharbeitung und der Wiedereingliederung in den Schulalltag nachvollziehbar und kann ihr entgegen der Auffassung des Klägers nicht als fehlende Bereitschaft zur Aufnahme einer eigenverantwortlichen Lebensführung vorgeworfen werden. Schließlich geht auch der Hinweis des Klägers auf die aus seiner Sicht nicht bestehende Unterhaltsverpflichtung gegenüber N. fehl. Zum einen darf ein Kostenbeitrag nach den §§ 91 ff. SGB VIII nicht nur dann erhoben werden, wenn der Kostenbeitragspflichtige auch nach Maßgabe der §§ 1601 ff. BGB zivilrechtlich zum Unterhalt verpflichtet ist; allenfalls können auftretende gravierende Wertungswidersprüche mit den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften zur Unterhaltspflicht über das Korrektiv der besonderen Härte in § 92 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 SGB VIII berücksichtigt werden (vgl. VG Karlsruhe, U.v. 3.12.2019 - 8 K 7612/18 - juris Rn. 24, 26). Im Übrigen hat ein Kind gegenüber seinen Eltern grundsätzlich auch nach den zivilrechtlichen Vorschriften im Rahmen seiner Fähigkeiten, Begabungen und dem Leistungswillen unabhängig vom Eintritt der Volljährigkeit einen Anspruch auf Unterstützung bis zu einem angemessenen berufsqualifizierenden Abschluss (Ausbildung oder Studium), vgl. § 1610 Abs. 2 Halbs. 1 BGB. Soweit schließlich der Kläger dem Beklagten vorwirft, mit der Maßnahme einem überteuerten „Wunschkonzert“ der N. nachzukommen, sind für das Gericht keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Kosten der Maßnahme überteuert sind, vielmehr halten sie sich im üblichen Rahmen der Kosten von vergleichbaren vollstationären Maßnahmen. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Beklagte den ganz überwiegenden Teil der Kosten selbst trägt und auch deshalb von einer angemessenen Kosten-Nutzen-Abwägung auszugehen ist.
64
Ungeachtet der bei der Rechtmäßigkeitsprüfung der Maßnahme vorzunehmenden ex-ante-Betrachtung ist hier abschließend festzuhalten, dass N. 2018 die mittlere Reife abgelegt hat und die ihr gewährte Hilfe im Ergebnis insoweit unstreitig erfolgreich war.
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2. Auch die Heranziehung des Klägers zu dem festgesetzten Kostenbeitrag ist rechtmäßig.
66
a) Die vollstationäre Unterbringung der jungen Volljährigen N. in einer betreuten Wohnform i. S. v. § 41 Abs. 1, § 34 SGB VIII stellt eine beitragspflichtige Maßnahme i.S.v. § 91 Abs. 1 Nr. 5 b, Nr. 8 SGB VIII dar. Zwar wäre N. gemäß 94 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII vorrangig zur Finanzierung heranzuziehen; sie hatte jedoch außer ihrem Taschengeld weder Einkommen noch nach § 92 Abs. 1a SGB VIII einzusetzendes Vermögen. Zudem wurde die Mutter von N. gemäß § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII zu einem Kostenbeitrag in Höhe des von ihr bezogenen Kindergelds herangezogen.
67
b) Der Kläger wurde vor seiner Inanspruchnahme mit Schreiben des Beklagten vom 25. Januar 2017, ergänzt durch die Schreiben vom 9. Februar 2017 und 18. und 19. April 2017, auch entsprechend den Anforderungen des § 92 Abs. 3 SGB VIII über die Gewährung der Leistung sowie die Folgen für seine Unterhaltspflicht informiert.
68
Hierbei handelt es sich nicht nur um eine formelle, sondern um eine tatbestandliche Voraussetzung für die Geltendmachung eines Kostenbeitrags (vgl. BayVGH, B.v. 17.7.2018 - 12 C 15.2631 - juris Rn. 6; Winkler in Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Ud-sching, BeckOK Sozialrecht, Stand: 1.9.2020, § 92 SGB VIII Rn. 17; Kunkel/Kepert in Kunkel/Kepert/Pattar, LPK-SGB VIII, 7. Aufl. 2018, § 92 SGB VIII Rn. 17, jeweils m.w.N.). Der Barunterhaltspflichtige muss demnach über den Beginn, die Dauer und (sofern bereits bezifferbar) die voraussichtliche Höhe der Leistung informiert werden. Der Umfang der Informationspflicht bemisst sich entsprechend dem Schutzzweck der Norm nach den jeweiligen wirtschaftlichen Dispositionsmöglichkeiten der Kostenbeitragspflichtigen. Vor allem sind den Betroffenen die für sie maßgeblichen Informationen zu vermitteln, um vermögensrechtliche Fehldispositionen im Zusammenhang mit der Entstehung der Kostenbeitragspflicht zu vermeiden. Die Höhe des Kostenbeitrags selbst braucht indes noch nicht beziffert zu werden (BayVGH, B.v. 17.7.2018 - 12 C 15.2631 - BeckRS 2018, 16774 Rn. 6 f.).
69
Zwar war in den Schreiben des Beklagten vom 25. Januar 2017 und 9. Februar 2017 zunächst noch kein konkretes Datum für den Beginn der Hilfe genannt; dies war auch noch nicht möglich, da zumindest bis 13. Februar 20217 ein Termin für N.‘s Umzug noch nicht feststand (vgl. Bl. 42 der vorgelegten Behördenakten). Der Kläger wurde aber darauf hingewiesen, dass aktuell bereits nach einer geeigneten Unterkunft für N. gesucht werde und dass der Kostenbeitrag ab Beginn der Leistung erhoben werden sollte. Auch wenn der Hilfebeginn in den beiden Schreiben zunächst nicht datiert, sondern der Kläger erst unter dem 19. April 2017 (nachträglich) über den erfolgten Hilfebeginn am … … … informiert worden war, hat der Beklagte mit dieser Vorgehensweise der Informationspflicht insbesondere auch im Hinblick auf den der Regelung des § 92 Abs. 3 SGB VIII zugrundeliegenden Schutzzweck Genüge getan. Dem Kläger war im Hinblick auf seine wirtschaftlichen Dispositionsmöglichkeiten spätestens mit Erhalt des Schreibens vom 9. Februar 2017 vor Augen geführt worden, dass eine Kostenbeitragspflicht und deren mögliche Auswirkungen auf Unterhaltsverpflichtung unmittelbar bevorstanden und er dies bei seinen Vermögensdispositionen zu berücksichtigen hatte.
70
Die Heranziehung des Klägers ab dem … … … war daher dem Grunde nach möglich.
71
c) Darüber hinaus ist auch der monatlich festgesetzte Betrag in Höhe von 342 EUR im Ergebnis nicht zu beanstanden.
72
Nach § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind die Kostenbeitragspflichtigen aus ihrem Einkommen in angemessenem Umfang zu den Kosten heranzuziehen. Die Berechnung des Einkommens richtet sich dabei nach § 93 SGB VIII. So legt § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zunächst fest, welche Einnahmen bei der Ermittlung des Kostenbeitrags als Einkommen anzusehen sind. Von diesem sind die in Abs. 2 der Vorschrift genannten Beträge abzusetzen. Das so ermittelte Nettoeinkommen ist schließlich gemäß § 93 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII um weitere individuelle Belastungen zu bereinigen, was nach § 93 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII in der Regel durch eine Kürzung des errechneten Betrags um pauschal 25% erfolgt. Maßgeblich ist dabei gemäß § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII stets das durchschnittliche Monatseinkommen, das die kostenbeitragspflichtige Person in dem Kalenderjahr erzielt hat, welches dem jeweiligen Kalenderjahr der Leistung oder Maßnahme vorangeht. Der genaue Umfang der Heranziehung bemisst sich sodann nach § 94 Abs. 5 SGB VIII entsprechend der Verordnung zur Festsetzung der Kostenbeiträge für Leistungen und vorläufige Maßnahmen in der Kinder- und Jugendhilfe (Kostenbeitragsverordnung - KostenbeitragsV). Dabei richtet sich die Höhe des Kostenbeitrags nach der Einordnung in eine der Einkommensgruppen in Spalte 1 der Anlage der KostenbeitragsV. Schließlich muss der Kostenbeitrag gemäß § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII angemessen sein.
73
Nach Maßgabe dieser Systematik hat der Beklagte den Kläger auf der Grundlage seiner Einkommensermittlung i.S.v. § 93 SGB VIII im Ergebnis zutreffend in die Einkommensgruppe 8 der Anlage zur KostenbeitragsV eingruppiert.
74
aa) Zutreffend und insoweit unstreitig ist der Beklagte auf der Grundlage der vom Kläger zu seiner Arbeitnehmertätigkeit vorgelegten Gehaltsabrechnungen im maßgeblichen Kalenderjahr 2016 von einem durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommen - d.h. nach Abzug von Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag sowie der Pflichtbeiträge zur Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung - gemäß § 93 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB VIII in Höhe von 2.928,62 EUR ausgegangen.
75
Insoweit hat der Beklagte zutreffend die Einkommensteuervorauszahlung für 2016 aus dem finanzamtlichen Einkommensteuerbescheid vom 13. September 2016 i.H.v. insgesamt 455 EUR (je Monat anteilig 37,92 EUR) nicht schon bei der Ermittlung des Nettoeinkommens gemäß § 93 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII abgesetzt.
76
Zwar können insbesondere bei Selbstständigen und Freiberuflern, bei denen keine Lohnsteuer einbehalten wird, unter den Begriff der auf das Einkommen gezahlten Steuern nach dem Zweck des § 93 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII auch tatsächlich geleistete Einkommenssteuervorauszahlungen eines kostenbeitragspflichtigen Elternteils fallen, sofern sie sich auf das im maßgeblichen Jahr erwirtschaftete Einkommen beziehen, die Steuervorauszahlung also seinen Einnahmen sachlich zuordenbar sind (BVerwG, U.v. 11.10.2012 - 5 C 22/11 - BVerwGE 144, 313 Rn. 24; U.v. 19.3.2013 - 5 C 16/12 - juris Rn. 28).
77
Vorliegend hat der Kläger aber nicht dargelegt, dass es sich um Steuervorauszahlungen (allein) auf seine Einnahmen aus nichtselbstständiger Tätigkeit gehandelt hat; dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn die Lohnsteuerabzüge in seiner Steuerklasse nicht ausgereicht hätten, die isoliert aus diesen, kostenbeitragsrechtlich allein maßgeblichen Einnahmen voraussichtlich zu erwartende Steuerlast abzudecken (vgl. dazu OVG NRW, U.v. 16.4.2013 - 12 A 1292/09 - BeckRS 2013, 51469).
78
Dass der Beklagte die Einkommensteuervorauszahlung insoweit als Belastung (Schuldverpflichtung i.S.v. §§ 93 Abs. 3 Satz 4 Nr. 3 SGB VIII) berücksichtigt hat, ist nicht zu beanstanden.
79
Auch war es richtig, dass der Beklagte die vom Kläger über die Pflichtversicherungsbeiträge hinaus gezahlten monatlichen Beiträge zu privaten Versicherungen nicht nach § 93 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII abgesetzt, sondern „nur“ als Belastungen im Rahmen von § 93 Abs. 3 SGB VIII berücksichtigt hat. Dies gilt insbesondere für die Lebensversicherung.
80
Die Aufzählung der abzugsfähigen Versicherungsleistungen in § 93 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII ist im Hinblick auf die versicherten Risiken abschließender Natur. Insbesondere dient insoweit eine Kapitallebensversicherung nicht wie die gesetzliche Rentenversicherung der Absicherung des Risikos „Alter“, sondern führt zur Vermögensbildung und zur Ausschüttung des gebildeten Kapitals am Ende der Vertragslaufzeit, das dann zwar auch für die Altersvorsorge, aber ebenso auch für andere Zwecke nach Belieben eingesetzt werden kann (st. Rspr., vgl. z.B. OVG Berlin-Bbg, B.v. 25.9.2012 - OVG 6 S 24.12 - juris Rn. 11 ff.; NdsOVG, B.v. 2.8.2012 - 4 LA 113/11 - juris Rn. 15; vgl. auch Krome in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, Stand: 22.12.2020, § 93 SGB VIII Rn. 37 m.w.N.). Etwas Anderes kommt allenfalls dann in Betracht, wenn die Lebensversicherung nicht schon vor Erreichen der Altersgrenze in Anspruch genommen werden kann (NdsOVG, B.v. 2.8.2012 a.a.O. Rn. 18; OVG Bbg, B.v. 25.9.2012 a.a.O. juris Rn. 11; VG München, U.v. 12.11.2008 - M 18 K 07.4595 - BeckRS 2008, 46172; Kunkel/Kepert a.a.O. § 93 SGB VIII Rn. 22). Dies ist hier nicht der Fall, denn die Ausschüttung der Versicherungssumme an den Kläger wird laut Vertag bereits am 1. März 2021 fällig.
81
bb) Der Beklagte hat im Folgenden im Ergebnis zu Recht nach § 93 Abs. 3 SGB VIII von dem Einkommen einen Pauschalbertrag in Höhe von 25% abgezogen, da höhere Belastungen nicht nachgewiesen wurden.
82
Bei der Berechnung hat der Beklagte zwar einige Belastungen dem Grunde nach zu Unrecht berücksichtigt bzw. fälschlich nicht berücksichtigt und andere der Höhe nach fehlerhaft angesetzt. Dies wirkt sich im Ergebnis aber nicht aus, da die fehlerhaften Ansätze ganz überwiegend zu Gunsten des Klägers erfolgten und die tatsächlich berücksichtigungsfähigen Aufwendungen in der Summe nicht höher sind als die Pauschale nach § 93 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII i.H.v. 732,15 EUR (25/100 x 2.928,62 EUR).
83
Der pauschale Abzug der Belastungen nach § 93 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII erfolgt unabhängig davon, ob die Höhe von 25 Prozent tatsächlich erreicht wird (Kunkel/Kepert a.a.O. § 93 SGB VIII Rn. 24). Höhere Belastungen können nur dann Berücksichtigung finden, wenn sie vom Kostenschuldner nachgewiesen werden (§ 93 Abs. 3 Satz 5 SGB VIII) und sie außerdem dem Grunde und der Höhe nach angemessen sind und einer wirtschaftlichen Lebensführung entsprechen (§ 93 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII). Als abzugsfähige Belastungen kommen nach § 93 Abs. 3 Satz 4 SGB VIII insbesondere in Betracht (1.) Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherung oder ähnlichen Einrichtungen, (2.) die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben sowie (3.) Schuldverpflichtungen.
84
aaa) Soweit der Kläger monatliche Beiträge zu Versicherungen nach § 93 Abs. 3 Satz 3 und 4 Nr. 1 SGB VIII geltend macht, gilt Folgendes:
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Zutreffend hat der Beklagte die nachgewiesenen monatlichen Beiträge für die Privathaftpflicht- und die Hausratsversicherung i.H.v. zusammen 11,24 EUR und für die nach heutigen Maßstäben als üblich und angemessen zu betrachtende (vgl. dazu VG München, U. v. 9.12.2009 - M 18 K 08.6205 - juris; VG Würzburg, U.v. 10.7.2014 - W 3 K 13.607 - BeckRS 2014, 56055; a.A. OVG NRW, B.v. 17.3.2009 - 12 A 3019/08 - juris, unter Verweis auf die Möglichkeit der Prozesskostenhilfe) Rechtsschutzversicherung i.H.v. 26,50 EUR berücksichtigt.
86
Dies gilt auch für die Berücksichtigung der Beiträge für die Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung i.H.v. monatlich 31,04 EUR; jedenfalls mit Blick auf die mitversicherte Erwerbsunfähigkeit erscheint die Kapitallebensversicherung nicht unangemessen, selbst wenn sie hier vorzeitig ausgezahlt werden kann (vgl. OVG NRW, U.v. 12.1.2010 - 6 K 1854/08 - BeckRS 2010, 45881; VG München, U.v. 9.12.2009 a.a.O.; insoweit einschränkend: Kunkel/Kepert a.a.O. § 93 SGB VIII Rn. 23; zur isolierten BUV vgl. auch VG München, U.v. 9.7.2020 - M 18 K 17.5881 - juris Rn. 71).
87
Nicht angezeigt - im Rahmen des Pauschalabzugs nach § 93 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII aber letztlich folgenlos - war dagegen die vom Beklagten zu Gunsten des Klägers vorgenommene Berücksichtigung der Beiträge für die PKW-Haftpflichtversicherung in Höhe von 57,47 EUR monatlich. Denn werden - wie auch vorliegend der Fall, dazu nachfolgend unter bbb) - berufsbedingte Fahrtkosten nach § 93 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 SGB VIII berücksichtigt, sollen damit nach ganz überwiegender Rechtsprechung auch die Kosten für die Kfz-Versicherung abgegolten sein (vgl. OVG Berlin-Bbg, U.v. 27.11.2003 - 4 A 220/03 - BeckRS 2003, 18247; OVG NRW, U.v. 20.6.2000 - 22 A 207/99 - NVwZ-RR 2001, 244f; VGH BW, U.v. 12.6.1991 - 6 S 1182/90 - FEVS 43, 200; VG Würzburg, U.v. 10.7.2014 - W 3 K 13.607- BeckRS 2014, 56055; vgl. auch Kunkel/Kepert a.a.O. § 93 SGB VIII Rn. 23; a.A.: NdsOVG, U.v. 29.11.1989 - 4 A 205/88 - FEVS 42, 104; Geiger in LPK-SGB XII, 12. Aufl. 2020, § 82 SGB XII Rn. 116; Krome a.a.O. § 93 SGB VIII Rn. 41).
88
bbb) Soweit der Kläger mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben nach § 93 Abs. 3 Satz 3 und 4 Nr. 2 SGB VIII geltend macht, gilt:
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Zutreffend hat der Beklagte hier die Gewerkschaftsbeiträge in Höhe von 27 EUR monatlich angesetzt.
90
Dem Grunde nach richtig und zwischen den Beteiligten unstreitig ist auch die Berücksichtigungsfähigkeit der berufsbedingten Fahrtkosten des Klägers zu seiner Arbeitsstelle. Allerdings ist in der (ober) gerichtlichen Rechtsprechung nicht abschließend geklärt, ob die Fahrtkosten insoweit nach sozialhilferechtlichen, unterhaltsrechtlichen oder - wie der Kläger meint - steuerrechtlichen Maßgaben zu ermitteln sind.
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Der Beklagte hat auf die sozialrechtliche Regelung in § 3 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a der Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII (DV zu § 82 SGB XII) zurückgegriffen, wonach bei Benutzung eines Kraftwagens eine monatliche Pauschale von 5,20 EUR für jeden vollen Entfernungskilometer zwischen Wohnung und Arbeitsstätte angesetzt wird, und ist so unter Zugrundelegung von 17 Entfernungskilometern beim Kläger zu monatlichen Ausgaben von 88,40 EUR gekommen.
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Dies ist nicht zu beanstanden. Zwar enthält § 93 SGB VIII seit der Gesetzesänderung durch das Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz - KICK - zum 1. Oktober 2005 (BGBl I S. 2729) keinen direkten Verweis mehr auf die §§ 82 bis 84 SGB XII (anders noch § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII i.d.F.v. 27.12.2003). Gleichwohl ist angesichts des in § 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII und § 93 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SGB VIII identischen Wortlauts („die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben“) sowie des Verweises in § 90 Abs. 4 Satz 4 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 SGB VIII auf die Regelungen der §§ 82 ff. SGB XII hinsichtlich der zumutbaren Belastungen eine sozialrechtliche Betrachtung angezeigt und der allgemein im Sozialleistungsrecht anerkannte Einkommensbegriff auch hier zu Grunde zu legen (so auch BayVGH, B.v. 25.10. 2012 - 12 ZB 11.501 - juris Rn. 18; B.v. 10. 2. 2010 - 12 ZB 08.3290 - BeckRS 2010, 11828; OVG NRW, B.v. 17.3.2009 - 12 A 3019/08 - BeckRS 2009, 35683; vgl. auch Loos in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015 Rn. 24, § 93 SGB VIII Rn. 24; offengelassen: BVerwG, U.v. 9.8.2010 - 5 C 10/09 - BVerwGE 137, 357 Rn. 27; vgl. aber auch nachfolgend BVerwG, U.v.19.3.2013 - 5 C 16/12 - juris Rn. 21).
93
Richtig war die Nichtberücksichtigung der vom Kläger geltend gemachten Kontoführungsgebühren (7,50 EUR je Monat), bei denen es sich nicht um mit der Einkommenserzielung verbundene notwendige Ausgaben, sondern um Kosten der allgemeinen Lebensführung handelt.
94
Zu Unrecht - im Ergebnis aber mit Blick auf den Pauschalabzug ebenfalls folgenlos - hat der Beklagte zu Gunsten des Klägers die Kosten für Arbeitskleidung in Höhe von 30 EUR je Monat angesetzt. Für diese Ausgaben liegt kein geeigneter Nachweis vor. Die vom Kläger beigebrachte Rechnung des Fachgeschäfts für Berufsbekleidung über 376,80 EUR datiert auf den 13. Februar 2017 und betrifft damit schon nicht das hier nach § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII maßgebliche Kalenderjahr 2016. Im Übrigen umfasst die Rechnung neben Arbeitsbekleidung (Sicherheitsschuhe, Berufshose, zwei Berufsjacken) auch grundsätzlich nicht zu berücksichtigende Alltagskleidung.
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Soweit der Kläger ferner - von dem Beklagten nicht berücksichtigte - Kosten i.H.v. 69 EUR monatlich für die Betreuung und Verpflegung seines 2008 geborenen Sohnes R. als zur Erzielung des Einkommens notwendige Ausgaben geltend macht und hierzu einen Betreuungsvertrag nebst Buchungsformular über eine Anmeldung von R. zur Mittagsbetreuung durch die AWO zu einem monatlichen Beitrag von 27 EUR sowie einen Bescheid des kommunalen Schulträgers vom 2. August 2016 über monatliche Zahlungen für die Schülerverpflegung in Höhe von 42 EUR vorgelegt, ist zu differenzieren: Anders als die der allgemeinen Lebensführung zuzurechnenden Schülerverpflegung können Kosten für eine Kinderbetreuung während der Arbeitszeit grundsätzlich notwendige Ausgaben i.S.v. § 93 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 SGB VIII darstellen (Kunkel/Kepert a.a.O. § 93 VIII Rn. 23 m.w.N.).
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Nach den vom Kläger vorgelegten Unterlagen war R. hier ab September 2016 jeweils freitags von 11:20 Uhr bis 14:00 Uhr für monatlich 27 EUR zur Betreuung angemeldet. Unterstellt, dieser Buchungsrahmen diente notwendig (auch) der Erwerbstätigkeit des Klägers, kommt eine Berücksichtigung der Aufwendungen allerdings allenfalls anteilig (zur Hälfte oder höchstens im Verhältnis zum jeweiligen Arbeitseinkommen) in Betracht, da der Betreuungsvertrag gemeinsam mit der Ehefrau des Klägers abgeschlossen wurde; aber selbst wenn man die Ehefrau unberücksichtigt lässt, konnten hier beim Kläger für die vier Monate in 2016 höchstens 108 EUR, mithin 9 EUR monatlich, berücksichtigt werden.
97
ccc) Soweit der Kläger schließlich Schuldverpflichtungen nach § 93 Abs. 3 Satz 3 und 4 Nr. 3 SGB VIII aus zwei Wohnbaudarlehen bei der Sparkasse R. i.H.v. insgesamt 1.047,60 EUR geltend macht, gilt nach den von ihm hierzu vorgelegten Unterlagen Folgendes:
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Darlehensnehmer sind sowohl der Kläger als auch seine Ehefrau. Die gesamten Darlehensleistungen aus den beiden Verträgen umfassen 400 EUR bzw. 647,60 EUR monatlich. Nach den Jahreskontoauszügen für 2016 belief sich dabei der darin enthaltene durchschnittliche Zinsanteil in 2016 auf monatlich 51,20 EUR bzw. 370,71 EUR (Saldo zum 31.12.2016 von 29.590,65 EUR bzw. 84.050,97 EUR).
99
Der Beklagte hat hier im Rahmen des § 93 Abs. 3 Satz 4 Nr. 3 SGB VIII insoweit nicht, wie vom Kläger geltend gemacht, die gesamten Beträge aus den Darlehensverpflichtungen, sondern jeweils nur einen Teilbetrag, namentlich den Zinsanteil von zusammen 421,91 EUR berücksichtigt.
100
Aber auch dies ist im Ansatz bereits überhöht.
101
Richtigerweise hätte der Beklagte nämlich nur die Differenz aus der Darlehensverpflichtung zu dem Wohnwert der finanzierten Immobilie in Höhe der fiktiven Mietkosten ansetzen dürfen, was vorliegend maximal einen zu berücksichtigenden Betrag in Höhe von 407,60 EUR ergibt.
102
Denn nach ständiger Rechtsprechung und einhelliger Auffassung auch in der einschlägigen Literatur stellen Schuldverpflichtungen, die zur Finanzierung selbstgenutzten Wohnungseigentums eingegangen worden sind, nur insoweit Belastungen im Sinne des § 93 Abs. 3 SGB VIII dar, als sie über den Betrag hinausgehen, der für den durch die Nutzung des Eigentums erzielten Wohnwert anzusetzen ist (vgl. NdsOVG., B.v. 26.1.2010 - 4 ME 2/10 - BeckRS 2010, 47902 amtl. LS; B.v. 18.7.2012 - 4 LA 90/11 - BeckRS 2012, 55545 amtl. LS; vgl. auch OVG NRW, B.v. 12.8.2020 - 12 E 553/19 - juris Rn. 17; B.v. 18.12.2008 - 12 E 1458/08 - BeckRS 2010, 52065 Rn. 8; VG Ansbach, U.v. 1.12.2011 - 14 K 11.00992 - BeckRS 2012, 47908; vgl. ferner Krome a.a.O. § 93 SGB VIII Rn. 52; Winkler a.a.O. § 93 SGB VIII Rn. 12; Kunkel/Kepert a.a.O. § 93 SGB VIII Rn. 23; Loos in Wiesner, SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe, 5. Aufl. 2015, § 93 SGB VIII Rn. 25; weiter einschränkend: hinsichtlich der den Wohnwert übersteigenden Belastungen soll - sofern diese im konkreten Fall niedriger ist - dann lediglich die Zinsleistung, aber nicht die Tilgungsleistung berücksichtigungsfähig sein, vgl. VG Stuttgart, U.v. 20.12.2019 - 9 K 20080/17 - juris Rn. 25 m.w.N.).
103
Als Grund hierfür wird angeführt, dass die Wohnungsmiete nicht zu den anerkennungsfähigen Belastungen gehört, weil in den Kostenbeitragstabellen bereits Ausgaben für eine angemessene Unterkunft berücksichtigt seien; zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen sei es daher erforderlich, Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Erwerb einer selbstgenutzten Immobilie nur nach Abzug eines angemessenen Wohnwertes zu berücksichtigen (Krome a.a.O. § 93 SGB VIII Rn. 52; Kunkel/Kepert a.a.O. § 93 SGB VIII Rn. 24 m.w.N.; Loos a.a.O. § 93 SGB VIII Rn. 25 m.w.N.).
104
Zur Ermittlung des jeweiligen Wohnwertes ist, sofern vorhanden, der örtliche Mietspiegel (Nettokaltmiete) heranzuziehen.
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Laut der Mietpreisentwicklung für den Wohnort K. des Klägers lag die Nettokaltmiete für eine 60 m²-Mietwohnung 2013 bei etwa 6,70 EUR und 2019 bei etwa 11,80 EUR; für eine 100 m²-Mietwohnung lag sie 2013 bei etwa 8,10 EUR und 2018 bei 10,70 EUR (https://www.wohnungsboerse.net/mietspiegel-K./; aufgerufen am 2.12.20). Für die relativ zentral gelegene, 87 m² große Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung der Familie des Klägers ist daher im maßgeblichen Jahr 2016 jedenfalls mindestens von einer geschätzten Nettokaltmiete von 7,40 EUR/m² (Durchschnitt aus 2013), also von einem Wohnwert von jedenfalls mindestens rund 640 EUR auszugehen. Als Belastungen sind daher insoweit höchstens 407,60 EUR (1.047,60 EUR abzügl. 640 EUR) ansetzbar.
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Offenbleiben kann, ob und ggf. in welchem Umfang hier zusätzlich zu berücksichtigen ist, dass neben dem Kläger in Person seiner Ehefrau eine weitere Darlehensschuldnerin und Wohnungsnutzerin existierte und deshalb auch die Belastungen entsprechend aufzuteilen waren (so Krome a.a.O. § 93 SGB VIII Rn. 52; vgl. dazu auch ausführlich NdsOVG, B.v. 18.7.2012 - 4 LA 90/11 - juris Rn. 5, juris, zur Zurechnung des Wohnwerts und der Darlehensverpflichtung bei Eheleuten zur Hälfte bzw. anteilig entsprechend ihrem Anteil am Gesamteinkommen), da selbst bei ungeteilter Einbeziehung der Schuldbelastung i.H.v. 407,60 EUR die Pauschale i.S.v. § 93 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII nicht überschritten wäre.
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Denn es ergeben sich auch unter Berücksichtigung des insoweit vollen Betrags insgesamt lediglich berücksichtigungsfähige Belastungen i.H.v. 638,70 EUR (Versicherungsbeiträge ohne Kfz-Haftpflicht: 68,78 EUR; notwendige erwerbsbedingte Aufwendungen ohne Arbeitskleidung: Gewerkschaftsbeitrag 27 EUR, „sozialrechtlich“ berechnete Fahrtkosten 88,40 EUR, Kinderbetreuungskosten 9 EUR; Schuldverpflichtungen: Einkommensteuervorauszahlung 37,92 EUR, Darlehensverpflichtungen, soweit den Wohnwert überschreitend, 407,60 EUR), die somit hinter der 25%-Pauschale von 732,16 EUR zurückbleiben; dies gilt im Übrigen selbst dann, wenn man die vom Beklagten zu Unrecht zu Gunsten des Klägers angesetzten Beträge für die Kfz-Haftpflicht (57,47 EUR) und Arbeitsbekleidung (30 EUR) hinzurechnet.
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cc) Damit ergibt sich - wie auch vom Beklagten angesetzt - ein bereinigtes durchschnittliches Monatseinkommen i.H.v. 2.196,46 EUR mit der Folge einer Eingruppierung in die Einkommensgruppe 8 gemäß Spalte 1 der Anlage zur KostenbeitragsV (Einkommensrahmen 2.001,00 EUR bis 2.200,99 EUR).
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Der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass es bei dieser Eingruppierung auch dann bleibt, wenn man mit dem Kläger die Auffassung vertritt, dass bei der Ermittlung der berufsbedingten Fahrtkosten ein steuerrechtlicher Maßstab anzulegen und gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG eine Entfernungspauschale von 0,30 EUR je Entfernungskilometer zu berücksichtigen ist (so OVG Lüneburg, B.v. 9.3.2011 - 4 PA 275/10 - BeckRS 2011, 51587; vgl. auch Krome in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, Stand: 22.12.2020, § 93 SGB VIII Rn. 46) oder auch der weiter vertretenen Meinung folgt, wonach die Fahrtkosten entsprechend den unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Oberlandesgerichte bestimmt werden (so OVG Schleswig, U.v. 28.4.2009 - 2 LB 7/09 - juris Rn. 28; vgl. auch Kunkel/Kepert a.a.O. § 93 SGB VIII Rn. 23; nach Ziffer 10.2.2 Satz 1 der Unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate in Süddeutschland - SüdL -, Stand 1.1.2017, hier 0,30 EUR pro gefahrenem Kilometer).
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Denn selbst wenn man die sich nach diesen Maßgaben jeweils ergebende Fahrtkostenpauschale - wie auch vom Kläger berechnet - mit 212,50 EUR (statt der berücksichtigten 88,40 EUR) ansetzen würde und damit die 25%-Pauschale überschritten wäre, verbliebe es im Weiteren bei der Einordnung in die Einkommensgruppe 8.
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dd) Bei der Festsetzung des Beitrags hat der Beklagte zutreffend weitere Unterhaltspflichten des Klägers durch seine Herabstufung in der Einkommensgruppe gemäß § 94 Abs. SGB VIII i.V.m. § 4 KostenbeitragsV berücksichtigt. Durch eine solche Herabstufung wird gewährleistet, dass Unterhaltsansprüche mindestens gleichrangig Berechtigter nicht geschmälert werden (vgl. Loos in Wiesner, SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe, 5. Aufl. 2015, § 94 SGB VIII Rn. 17; vgl. auch VG Augsburg, U.v. 4.6.2013 - Au 3 K 12.948 - juris Rn. 41).
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Gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 KostenbeitragsV war der Kläger wegen der bestehenden Unterhaltspflicht gegenüber seinem minderjährigen Sohn R. (geb. 2008) einer um eine Stufe niedrigeren Einkommensgruppe (d.h. Gruppe 7) zuzuordnen.
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Entgegen der klägerischen Ansicht konnten seine Ehefrau und sein 1994 geborener Sohn M. hier nicht berücksichtigt werden, da sie - anders als R. - nicht nach § 1609 BGB im mindestens gleichen Rang wie N. unterhaltsberechtigt, sondern insoweit nachrangig waren.
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Nach § 1609 Nr. 1 BGB gehen neben minderjährigen Kinder auch Kinder i.S.v. § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB Ehegatten (vgl. § 1609 Nr. 2 und 3 BGB) und sonstigen Kindern (vgl. § 1609 Nr. 4 BGB) im Rang vor. Sog. „privilegierte“ volljährige Kinder i.S.v. § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB sind volljährige unverheiratete Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, solange sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden. Mit dem Verweis auf § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB hat der Gesetzgeber den besonderen Schutz über das Alter der Minderjährigkeit hinaus bis zur Vollendung des 21. Lebensjahr auch auf Kinder erstreckt, die ausbildungsbedingt noch keine eigene Lebensstellung erlangt haben (vgl. Haidl in Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, GK BGB, Stand: 1.11.2020, § 1603 BGB Rn. 318 m.w.N.). Bei N. handelt es sich um ein volljähriges Kind i.S.v. § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB, da sie im maßgeblichen Zeitpunkt des Beginns der Hilfemaßnahme im Haushalt ihrer Mutter lebte - das Abstellen auf einen späteren Zeitpunkt würde bei stationären Maßnahmen den Verweis auf § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB leerlaufen lassen - und sich noch in der allgemeinen Schulausbildung (Abschlussklasse der Realschule) befand. Mit dem krankheitsbedingt vorangegangenen vorübergehenden Aufenthalt in der … in W. hatte N. ihren allgemeinen Lebensmittelpunkt im Haushalt der Mutter auch nicht aufgegeben. Dagegen hatte der ältere Sohn des Klägers M. bereits 2015 das 21. Lebensjahr vollendet und fiel allein deshalb schon nicht unter die in Regelung § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB.
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Auf Grund der Einkommensgruppe 7 ergibt sich nach Spalte 2 (Beitragsstufe 1 - vollstationär erste Person) der Anlage zur KostenbeitragsV ein Kostenbeitrag i.H.v. 342 EUR. Ein weiterer Umgruppierungstatbestand nach § 6 KostenbeitragsV (Heranziehung der Eltern bei Leistungen für junge Volljährige) ist nicht erfüllt.
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117
117
ee) Die Heranziehung des Klägers in diesem Umfang war auch angemessen i.S.v. § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII. Gemäß der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Heranziehung zu einem jugendhilferechtlichen Kostenbeitrag nur dann im Sinne von § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII angemessen, wenn dem (erwerbstätigen) Beitragspflichtigen zumindest der sog. unterhaltsrechtliche Selbstbehalt belassen wird. Für die Konkretisierung der Zumutbarkeitsgrenze auch der kostenbeitragsrechtlichen Leistungsfähigkeit ist es jedenfalls verfassungsrechtlich statthaft - sofern nicht Besonderheiten des Einzelfalles eine Abweichung bedingen -, auf die in den unterhaltsrechtlichen Leitlinien festgelegten (an der sog. Düsseldorfer Tabelle orientierten) und grundsätzlich (etwas) über dem Sozialhilfebedarf liegenden Selbstbehaltsätze abzustellen (BVerwG, U.v. 19.8.2010 - 5 C 10/09 - juris Rn. 16, 22).
118
Welcher Kostenbeitrag als angemessen anzusehen ist, wird durch die nach Einkommensgruppen gestaffelten Pauschalbeträge der Kostenbeitragsverordnung in der Fassung vom 5. Dezember 2013 vorgegeben, so dass regelmäßig keine Klärung im Einzelfall erforderlich sein sollte, außer wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls die Erhebung des Kostenbeitrags zu einer besonderen Härte für den Kostenbeitragspflichtigen führen würde (vgl. Schindler in Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, § 94 Rn. 4).
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Denn mit der Änderung der Kostenbeitragsverordnung durch das Gesetz vom 5. Dezember 2013 (BGBl. I S. 4040) hat der Gesetzgeber auf die Rechtsprechung des BVerwG zur Begrenzung der Heranziehung mit dem unterhaltsrechtlichen Selbstbehalt reagiert und dem Bedarf einer Anpassung der KostenbeitragsV an die wirtschaftlichen Verhältnisse entsprochen. Die grundlegende Überarbeitung der Kostentabelle hatte dabei insbesondere das Ziel, die Kostenbeiträge dem Erfordernis der Gewährung des unterhaltsrechtlichen Selbstbehaltes anzupassen und insoweit dafür Sorge zu tragen, dass der Anstieg der Beiträge in den unteren Einkommensgruppen langsamer als in den höheren Einkommensgruppen verläuft (vgl. die Gesetzesbegründung BR-Drs. 119/13, Seite 10 Nr. 9; so auch VG Stuttgart, U.v. 20.12.2019 - 9 K 20080/17 - juris Rn. 33; vgl. auch Schindler a.a.O. § 94 SGB VIII Rn. 4; Krome in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, Stand: 22.12.2020, § 94 SGB VIII Rn. 9 und 43 m.w.N.). Dabei ist die unterste Einkommensgruppe so gewählt, dass die Kostenbeitragspflicht den unterhaltsrechtlichen Selbstbehalt nach der Düsseldorfer Tabelle nicht schmälert (vgl. Loos in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 94 Rn. 12; Böcherer in LPK-SGB VIII, 7. Aufl. 2018, § 94 Rn. 12).
120
Der Tatsache, dass im Einzelfall ausnahmsweise auch bei einer niedrigeren Einstufung für die Kostenbeitragspflicht die Schmälerung vorrangiger Unterhaltsansprüche nicht vollkommen ausgeschlossen werden kann, wird durch die Regelung in § 94 Abs. 5 SGB VIII i.V.m. § 4 Abs. 2 KostenbeitragsV Rechnung getragen. Denkbar erscheint dies jedoch nur in den Fällen, in denen bei der Heranziehung zu den Kosten der Unterbringung eines jungen Volljährigen eine Konkurrenz mit Ehegattenunterhalt besteht; bei Ehegattenunterhalt findet eine Pauschalierung - wie bei dem Kindesunterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle - nicht statt. Aus diesem Grund kann eine Unterhaltspflicht vorliegen, die mit den Möglichkeiten der KostenbeitragsV nicht angemessen berücksichtigt wird, mit der Folge, dass ausnahmsweise eine Vergleichsberechnung und Reduzierung des Kostenbeitrags nach § 4 Abs. 2 KostenbeitragsV erforderlich ist (vgl. Schindler in Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, Anhang zu § 94 - KostenbeitragsV Rn. 10).
121
Ein besonderer Einzelfall, der ausnahmsweise zu einer weiteren Angemessenheitsprüfung Anlass geben könnte, liegt hier jedoch nicht vor.
122
ff) Schließlich stellt die Heranziehung des Klägers zu dem Kostenbeitrag auch im Übrigen keine besondere Härte i.S.v. § 92 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII dar.
123
Der Begriff der besonderen Härte ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der vollen verwaltungsgerichtlichen Überprüfung unterliegt und voraussetzt, dass eine atypische Situation des Kostenschuldners nicht ausreichend im Rahmen der Ermittlung des Kostenbeitrages Berücksichtigung finden kann und seine Erhebung den Leitvorstellungen der §§ 91 ff. SGB VIII nicht entspricht (vgl. Krome a.a.O. § 92 SGB VIII § 92 Rn. 52 m.w.N.). Ausgehend hiervon kann eine vom Gesetzgeber gewollte Belastung, die aufgrund gesetzlicher Regelung in einer Vielzahl von Einzelfällen einschlägig ist, in der Regel keine besondere Härte begründen. So können insbesondere Schuldverpflichtungen, welche im Rahmen des § 93 Abs. 3 Satz 4 Nr. 3 SGB VIII keine Berücksichtigung finden konnten, auch nicht zu einer besonderen Härte im Sinne des § 92 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII führen (vgl. Krome a.a.O. § 92 Rn. 53 m.w.N.; VG Würzburg, U.v. 28.2.2019 - W 3 K 17.1340 - juris Rn. 36).
124
Soweit der Kläger sich hier finanziell „ausgenutzt“ fühlt, weil aus seiner Sicht die Hilfe nicht erforderlich war, sondern damit allein dem „Wunschkonzert“ seiner Tochter N. gefolgt werde, vermag dies - wie ausgeführt - weder die Rechtswidrigkeit der Maßnahme noch eine besondere Härte seiner Inanspruchnahme begründen.
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Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 188 Satz 2 VwGO.
126
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.