VG Bayreuth, Urteil v. 29.09.2020 – B 1 K 19.9
Titel:
Widerruf einer luftverkehrsrechtlichen Genehmigung wegen Zugehörigkeit zur "Reichsbürgerbewegung"
Normenketten:
LuftSiG § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, Abs. 1a S. 4 Nr. 3
LuftSiZÜV § 1 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4, § 2 Abs. 1 Nr. 3
BayVwVfG Art. 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3
Leitsatz:
Wer der Ideologie der Reichsbürgerszene folgend die Existenz und Legitimation der Bundesrepublik Deutschland negiert, gibt Anlass zu der Befürchtung, dass er die der Sicherheit des Luftverkehrs dienenden Vorschriften nicht jederzeit strikt befolgen wird, womit die luftverkehrsrechtliche Zuverlässigkeit iSd § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, Abs. 1a S. 4 Nr. 3 LuftSiG iVm § 1 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4, § 2 Abs. 1 Nr. 3 LuftSiZÜV nicht (mehr) gegeben ist. (Rn. 15 und 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zweifel an der Zuverlässigkeit nach dem Luftsicherheitsgesetz, Beantragung eines Staatsangehörigkeitsausweises mit reichsbürgertypischem Vokabular, Beantragung der Änderung der Schreibweise des Familiennamens in Sperrschrift, luftverkehrsrechtliche Zuverlässigkeit, Sicherheit des Luftverkehrs, Reichsbürger, Staatsangehörigkeitsausweis, Königreich Bayern
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 19.02.2021 – 8 ZB 20.2786
Fundstelle:
BeckRS 2020, 43407
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Widerrufs seiner festgestellten Zuverlässigkeit nach dem Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG).
2
Die Regierung von … - Luftamt … - stellte unter dem 22. Juli 2015 die Zuverlässigkeit des Klägers (für fünf Jahre) nach § 7 LuftSiG fest.
3
Das Polizeipräsidium … teilte mit Schreiben vom 18. September 2017 mit, dass der Kläger im Jahr 2015 einen Antrag auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises gestellt habe. Unter Geburts- und Wohnsitzstaat habe er dabei „Deutschland (Königreich Bayern)“ angegeben sowie unter dem Punkt Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit „Abstammung gemäß RuStAG 1913 § 4 (1)“ und als weitere Staatsangehörigkeit „Königreich Preußen - erworben durch Abstammung gemäß RuStAG 1913 § 1, 3 Nr. 1,4 (1)“. Weiter habe er die Beglaubigung von Auszügen aus dem Liegenschaftskataster sowie von Staatsangehörigkeitsausweisen im Ausland beantragt. Telefonisch habe er bei einer Befragung am 16. August 2017 angegeben, die Informationen zum Ausfüllen des Antrags im Internet gefunden zu haben. Das Thema Staatsangehörigkeitsausweis sei aufgekommen, als er im Jahr 2008 im Gespräch mit einem amerikanischen Offizier gewesen sei. Dieser habe darauf hingewiesen, dass man für den Verkauf von Immobilien im Ausland oder den Verkauf von inländischen Immobilien an ausländische Kunden einen Staatsangehörigkeitsausweis benötigen würde. Als Pilot habe er für seine Ehefrau (falls sie im schlimmsten Fall die „Geschäfte“ weiterführen müsse) die Beglaubigung des Staatsangehörigkeitsausweises zur Verwendung im Ausland ausstellen lassen. Er habe verdutzt reagiert, als er auf den Stammtisch der Reichsbürgerbewegung angesprochen worden sei und habe angegeben, mit diesen nichts zu tun zu haben, schließlich zahle er Steuern und GEZ-Gebühren. Er zweifele nicht an der Rechtmäßigkeit des Staats der BRD, gehe seiner Wahlpflicht nach und erkenne die Gesetze der BRD an. Bei Würdigung der Gesamtumstände sei er nicht als Reichsbürger einzustufen.
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Mit weiterem Schreiben vom 2. Mai 2018 änderte das Polizeipräsidium … seine ursprüngliche Einschätzung und vertrat die Ansicht, dass der Kläger der Reichsbürgerbewegung zuzuordnen sei. Beim Landratsamt … seien verschiedene Schriftstücke eingegangen. In diesen Schreiben würden sich die Verfasser auf die Urkunde Staatsangehörigkeitsausweis versehen mit Apostille berufen und forderten eine Änderung der Schreibweise der Namen in den öffentlichen Registern, die berichtigten Sachverhalte erneut zu beurkunden und diese beglaubigt und fristgerecht an die Verfasser auszuhändigen. Die Schreiben seien vom Polizeipräsidium … überprüft worden und man habe festgestellt, dass alle in engem zeitlichen Zusammenhang erstellt worden seien. Es hätten sich in geringem Umfang individuelle Merkmale darauf befunden (Schriftformatierungen, Schreibfehler), sodass davon ausgegangen werden müsse, dass diese von den Absendern selbst erstellt worden seien. Bei dem Kläger handele es sich um einen Verfasser dieser Anschreiben. Es sei nunmehr deutlich, dass der Kläger in reichsbürgertypischer Weise in Erscheinung getreten sei (reichsbürgertypische Eingabe: Änderung der Namensschreibweise) und es sei offensichtlich, dass er mit anderen Reichsbürgern Kontakt pflege und deren Verhaltensweise in Teilbereichen übernommen habe.
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Die Regierung von … - Luftamt … - forderte den Kläger daher zur Beantwortung von Fragen betreffend seine Zuverlässigkeit auf. Hierauf antwortete der Kläger, dass er die Staatsangehörigkeit besitze, die ihm die Bundesrepublik ausgestellt habe. Veranlassung des Antrags für den Staatsangehörigkeitsausweis sei ein möglicher Verkauf seiner Eigentumswohnung an einen hochrangigen amerikanischen Militär gewesen. Dieser habe empfohlen nach 1913 abzuleiten, was er bis zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst habe. Damit, so seine Aussage, würde er nicht in die Nazi-Zeit fallen. Was auch immer das bedeute. Der Kläger berufe sich dabei aus der Logik heraus, da es 1913 so gewesen sei. Es habe sich nicht um eine Namensänderung, sondern um eine Feststellung gehandelt. Hierfür habe es einen Antrag und eine Urkunde der Bundesrepublik Deutschland gegeben, zu finden auf der Seite des Landratsamts … . Er habe keinen Kontakt zu diesem Phänomenbereich, was auch immer das sein mag (Frage betraf Phänomen Reichsbürger).
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Er würde keine Anträge in der Bundesrepublik Deutschland stellen, wenn diese nicht existent wäre.
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Mit Bescheid vom 3. Dezember 2018 widerrief die Regierung von … - Luftamt … - die am 22. Juli 2015 getroffene Feststellung der Zuverlässigkeit des Klägers (Nr. 1) und ordnete die sofortige Vollziehung an (Nr. 2). Rechtsgrundlage für den Widerruf sei Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG. Mit Mitteilung durch das Polizeipräsidium … vom 2. Mai 2018 seien Tatsachen eingetreten, die die Regierung von … berechtigt hätten, die Zuverlässigkeit des Klägers nicht festzustellen. Die Zuverlässigkeit beurteile sich nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 LuftSiG i.V.m. § 1 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4, § 2 Abs. 1 Nr. 3 LuftSiZÜV (Luftsicherheits-ZuverlässigkeitsüberprüfungsVO). Bei geringen Zweifeln sei wegen des hohen Gefährdungspotentials im Luftverkehr und der Hochrangigkeit der zu schützenden Rechtsgüter die Zuverlässigkeit zu verneinen. Der Kläger sei als Reichsbürger einzustufen. Damit sei der Kläger nicht fähig oder willens die Rechtsordnung zu respektieren oder sich dem Einfluss von Personen zu erwehren, die die bestehenden staatlichen Strukturen und die geltenden Gesetze ablehnen. Spätestens das an das Landratsamt … versandte Schreiben (das nach der polizeilichen Befragung im Jahr 2017 verfasst wurde) könne nicht mehr mit Irrtümern aufgrund von Internetangaben begründet werden. Zu den Hintergründen dieses Schreibens habe sich der Kläger nicht geäußert. Aus der Formulierung „was auch immer das sein mag“ ist zu entnehmen, dass der Kläger sich nicht von den Reichsbürgern distanziert habe. Die Wertung, dass unzuverlässige Personen grundsätzlich nicht im Sicherheitsbereich tätig sein sollen, spreche für eine Ermessensreduzierung auf Null. Zumindest sei ein intendiertes Ermessen anzunehmen, wonach bei Zweifeln an der Zuverlässigkeit nur eine Widerrufsentscheidung in Betracht komme. Aber auch bei Abwägung der Interessen sei die Sicherheit des Luftverkehrs höher zu bewerten als persönliche Belange des Klägers.
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Der Kläger erhob mit Schreiben vom 3. Januar 2019, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am 4. Januar 2019, Klage und beantragte zuletzt,
Es wird festgestellt, dass der Widerruf der vom Luftamt … am 22. Juli 2015 getroffenen Feststellung und der darauffolgende Widerrufsbescheid vom 3. Dezember 2018 rechtswidrig waren.
Es ist der Behörde aufzugeben, die Gründe, die in dem Widerrufsbescheid vom 3. Dezember 2018 enthalten sind, dem Kläger bei zukünftigen Anträgen nicht mehr entgegenzuhalten.
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Die Klage wurde mit Schreiben des Bevollmächtigten des Klägers vom 26. September 2019 begründet. Die Beantragung eines Staatsangehörigkeitsausweises könne die Unzuverlässigkeit des Klägers nicht begründen. Dem Kläger sei kein strafbares Verhalten vorwerfbar. Das Landratsamt habe den Antrag des Klägers auf Erstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises völlig unbeanstandet genehmigt. Art. 116 Abs. 2 GG räume jedem Abkömmling eines entrechteten deutschen Vorfahren die Wiedererlangung seiner Rechtsstellung vor der Machtergreifung Hitlers ein. Warum die Berufung auf die Rechtsstellung vor der NS-Diktatur den Kläger zum Reichsbürger nach dem Reichsbürgergesetz aus dem Jahr 1935 machen solle, erschließe sich nicht. Der Kläger habe ein legitimes Recht geltend gemacht und der geltend gemachte Anspruch sei bewilligt worden. Somit könne man hieraus keinen ideologischen Standpunkt des Klägers konstruieren. Dies sei grundgesetzwidrig. Das Polizeipräsidium … habe mit Schreiben vom 18. September 2017 festgestellt, dass der Kläger nicht als Reichsbürger einzustufen sei. Dies sei bei der Entscheidung nicht beachtet worden. Die Verwaltungsgerichte hätten bislang nicht festgestellt, dass es sich bei der „Reichsbürgerbewegung“ um eine Organisation handele, die zielgerichtet verfassungsfeindliche Bestrebungen durchführe. Der Kläger sei zudem nicht Anhänger dieser Bewegung. Das Schreiben vom 18. April 2018 sei nicht so zu interpretieren, dass damit der Sturz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung betrieben werde. Eigentlich müsste jedem Deutschen eine entsprechende Urkunde über die Staatsangehörigkeit ausgestellt werden. Es werde auf die Eigendarstellung der Bundesrepublik Deutschland bei Wikipedia verwiesen, indem diese sich selbst als Ausdrucksform des Deutschen Reiches von 1871 verstehe. Der Kläger passe nicht in das Bild eines typischen Reichsbürgers, da er seine Steuern bezahle. Das Verhalten des Beklagten sei rein willkürlich und grundgesetzwidrig.
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Der Beklagte beantragte mit Schreiben vom 4. November 2019 Klageabweisung.
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Der Klägerbevollmächtigte verkenne, dass sich Zweifel an der Zuverlässigkeit nicht wegen der Beantragung seines Staatsangehörigkeitsausweises ergeben würden, sondern wegen der Eintragungen im Antrag. Zwar sei der Kläger vom Polizeipräsidium … zunächst nicht der Reichsbürgerbewegung zugehörig eingeschätzt worden. Man sei aber im Nachgang darüber informiert worden, dass der Kläger die Änderung der Schreibweise seines Namens unter Berufung auf die Urkunde „Staatsangehörigkeitsausweis“ versehen mit Apostille beantragt habe.
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Der Klägerbevollmächtigte führte mit Schreiben vom 26. November 2019 aus, dass der Beklagte verkenne, dass die Berufung auf vorkonstitutionelles Recht nach Art. 123 GG in Verbindung mit Art. 139 GG nicht rechtswidrig sei. Der Kläger habe mit seiner Willenserklärung nach Art. 116 Abs. 2 GG von seinem Recht nach dem Grundgesetz Gebrauch gemacht (Art. 3, Art. 5 und Art. 2 GG). Der Beklagte verkenne, welche Bedeutung die Staatsangehörigkeit nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 unter Beachtung der Bestimmungen nach Art. 116 Abs. 2 GG habe. Konkrete Handlungen des Klägers, die auf seine Unzuverlässigkeit hindeuteten, seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Einordnung im Feststellungsverfahren im Zusammenhang mit der Beantragung eines Staatsangehörigkeitsausweises sei auf den Nachweis der Zugehörigkeit zu einem der Bundesstaaten des Kaiserreichs von 1871 gerichtet, da es kein Gesetz gebe, das die Staatsangehörigkeit der BRD regle. Die Formulierung „Verdacht zur Zugehörigkeit der Reichsbürgerbewegung“ sei grundgesetzwidrig (Art. 3 und 5 GG).
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Vortrag der Parteien sowie auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
Entscheidungsgründe
I.
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Die aufgrund von Wiederholungsgefahr zulässig auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO) umgestellte Anfechtungsklage gegen den Widerruf der im Bescheid vom 22. Juli 2015 festgestellten Zuverlässigkeit des Klägers (bis zum 22. Juli 2020) nach dem Luftsicherheitsgesetz durch Bescheid vom 3. Dezember 2018 ist zulässig, aber unbegründet. Das Gericht verweist zunächst auf die zutreffende Begründung des Bescheids und sieht insoweit von einer Begründung ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Ergänzend ist auszuführen:
15
Der Widerruf der Feststellung der Zuverlässigkeit des Klägers war rechtmäßig und hat den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Rechtsgrundlage für den Widerruf der Feststellung der Zuverlässigkeit war Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG, wobei für die Frage der Zuverlässigkeit auf § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 LuftSiG (in der hier zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses maßgeblichen Fassung - gültig vom 4. September 2017 bis 25. November 2019) i.V.m. § 1 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4, § 2 Abs. 1 Nr. 3 LuftsicherheitsZuverlässigkeitsüberprüfungsverordnung (LuftSiZÜV) abzustellen ist.
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1. a) Nach § 7 i.V.m. § 1 LuftSiG ist nur derjenige als zuverlässig anzusehen, der die Gewähr bietet, jederzeit das ihm Mögliche zum Schutz der Sicherheit des Luftverkehrs zu erbringen (BVerwG, U.v. 11.11.2004 - 3 C 8/04 - juris). Der Betroffene muss nach dem Gesamtbild seiner Persönlichkeit das erforderliche Maß an Verantwortungsbewusstsein und Selbstbeherrschung aufbringen, selbst bei dem Inaussichtstellen von Vorteilen oder bei der Androhung von Nachteilen die Belange der Sicherheit des Luftverkehrs zu wahren und die ihm obliegenden Pflichten zum Schutz vor Eingriffen, insbesondere vor Flugzeugentführungen und Sabotageakten, jederzeit in vollem Umfang zu erfüllen. Dabei ist mit Blick auf die in Rede stehenden Rechtsgüter ein strenger Maßstab anzulegen. Aus § 7 Abs. 6 LuftSiG ergibt sich, dass von der luftverkehrsrechtlichen Zuverlässigkeit nur ausgegangen werden kann, soweit keine Zweifel verbleiben. Der Begriff der persönlichen Zuverlässigkeit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der zwar der Konkretisierung bedarf, sich indes anhand gängiger juristischer Auslegungsmethoden unter Einbeziehung insbesondere der Zielsetzung des Gesetzes und einschlägiger Rechtsprechung zum Begriff der Zuverlässigkeit in anderen ordnungsrechtlichen Zusammenhängen hinreichend präzisieren lässt. Verbleibende Zweifel müssen dabei zulasten des Antragstellers gehen. Die luftverkehrsrechtliche Zuverlässigkeit kann bereits dann nicht festgestellt werden, wenn ausreichend begründete Anknüpfungspunkte vorhanden sind, die auf einen charakterlichen Mangel oder eine sonstige Schwäche der Persönlichkeit hinweisen, die sich ihrerseits gefährdend auf die Belange der Luftsicherheit auswirken können (BayVGH, B.v. 10.8.2010 - 8 CS 10.1566 - BeckRS 2010, 51883, Rn. 18).
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§ 7 Abs. 1a Satz 1 LuftSiG stellt klar, dass die Zuverlässigkeit des Betroffenen auf Grund einer Gesamtwürdigung des Einzelfalls zu bewerten ist. In § 7 Abs. 1a Satz 2 LuftSiG sind Fälle aufgeführt, in denen es in der Regel an der erforderlichen Zuverlässigkeit fehlt. Liegen in Satz 2 nicht genannte Verurteilungen oder sonstige Erkenntnisse vor, ist im Wege einer Gesamtwürdigung zu prüfen, ob sich daraus im Hinblick auf die Sicherheit des Luftverkehrs Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betroffenen ergeben (§ 7 Abs. 1a Satz 3 LuftSiG). Dabei kommen als sonstige Erkenntnisse insbesondere Sachverhalte in Betracht, aus denen sich Zweifel am Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung ergeben (§ 7 Abs. 1a Satz 4 Nr. 3 LuftSiG). Ergänzend stellt § 5 Abs. 1 Satz 1 LuftSiZÜV klar, dass die Zuverlässigkeit eines Betroffenen zu verneinen ist, wenn daran Zweifel verbleiben.
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Unter Beachtung dieser Maßgaben war die Feststellung des Beklagten, der Kläger sei nicht mehr zuverlässig, da er der Reichsbürgerszene zuzuordnen sei, nicht zu beanstanden. Die Kammer hat keine Zweifel daran, dass sich der Kläger die Ideologie der sogenannten „Reichsbürger“ als für sich verbindlich zu eigen gemacht hat.
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b) Der Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 (S. 174 ff.) definiert die Reichsbürgerszene als Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Dabei berufen sie sich unter anderem auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht. Den Vertretern des Staates sprechen sie die Legitimation ab oder definieren sich als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Dabei treten sie zur Verwirklichung ihrer Ziele zum Teil aggressiv gegenüber Behörden und Gerichten auf. Die Reichsbürgerideologie ist geeignet, Personen in ein geschlossenes verschwörungstheoretisches Weltbild zu verstricken, im dem aus Staatsverdrossenheit Staatshass werden kann. Dies kann die Grundlage für Radikalisierungsprozesse bis hin zur Gewaltanwendung sein. Reichsbürger entfalten gegenüber staatlichen Institutionen eine Vielzahl von Aktivitäten, die z.T. Ausdruck ihrer Ideologie sind, aber auch auf die gezielte Lahmlegung der öffentlichen Verwaltung zielen. Dazu zählt u.a. die Beantragung eines Staatsangehörigkeitsausweises, des sog. „gelben Scheins“ (Verfassungsschutzbericht Bayern 2018, S. 179 ff.). Aufgrund der Leugnung der Existenz der Bundesrepublik Deutschland bestimmt sich aus ihrer Sicht ihre Staatsangehörigkeit nach dem Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz in der im Jahr 1913 geltenden Fassung, wonach die Reichsangehörigkeit zum Deutschen Reich gegeben war, wenn eine Staatsangehörigkeit eines Landes des Deutschen Reichs bestand. Zur Bestätigung ihrer Reichs- und Staatsangehörigkeit beantragen sie häufig einen Staatsangehörigkeitsausweis. Dabei besteht die Notwendigkeit, die deutsche Staatsangehörigkeit mit einem Staatsangehörigkeitsausweis nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) nachzuweisen, nur ausnahmsweise, beispielsweise wenn beim Erwerb oder Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit durch persönliche Ereignisse wie Adoption oder beim Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit Zweifel entstanden sind.
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Personen, die ihren Äußerungen oder ihrem sonstigen Verhalten nach erkennbar die Existenz und staatliche Hoheitsgewalt der Bundesrepublik Deutschland oder ihrer Bundesländer und damit die geltende Rechtsordnung offensiv ablehnen oder ignorieren, bieten keine hinreichende Gewähr dafür, dass sie bereit sind, auch in luftverkehrsrechtlichen Zusammenhängen jederzeit für die Geltung und Durchsetzung der Rechtsordnung einzustehen. Dies trifft aufgrund ihrer Ideologie auch auf Angehörige der Reichsbürgerszene zu. Das Gericht geht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zur Zuverlässigkeit im Waffenrecht davon aus, dass bei der Verwendung von Vokabular, das für die Reichsbürgerbewegung typisch ist, eine ideologische Ausrichtung naheliegt (BayVGH, U.v. 30.7.2020 - 24 BV 18.2500 - Rn. 15).
21
Der Kläger hat bei der Beantragung seines Staatsangehörigkeitsausweises unter Geburts- und Wohnsitzstaat „Königreich Bayern“ sowie unter dem Punkt Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit „Abstammung gemäß RuStAG 1913 § 4 (1)“ und als weitere Staatsangehörigkeit „Königreich Preußen - erworben durch Abstammung gemäß RuStAG 1913 § 1, 3 Nr. 1,4“ angegeben. Weiter hat er in einem Schreiben an das Landratsamtsamt … (vom 3. April 2018) die Berichtigung der Schreibweise seines Familiennamens beantragt (dass dieser künftig in Sperrschrift geschrieben werde). Dies wertet das Gericht als ein weiteres Indiz für die Zugehörigkeit zur „Reichsbürgerbewegung“ (vgl. Süddeutschen Zeitung, „Die wirre Welt der ‚Reichsbürger‘ “, 20.10.2016, abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/bayern/ georgensgmuend-die-wirre-welt-der-reichsbuerger-1.3214590, Stand: 19.6.2020; VG Bayreuth, U.v. 28.5.2017 - B 1 K 17.334). Die Verwendung des Begriffs: „der Unterzeichner“ und der Sprachduktus im Schreiben vom 3. April 2018 stellen ebenfalls Indizien für eine ideologische Nähe zur „Reichsbürgerbewegung“ dar (vgl. Caspar/Neubauer, LKV 2012, S. 532 und VG Bayreuth, U.v. 28.5.2017 - B 1 K 17.334).
22
c) Der BayVGH führt in seinem Urteil vom 30.7.2020 (24 BV 18.2500 - Rn. 16) aus, dass bei einem nach außen wahrnehmbaren Verhalten, das auf ideologische Nähe zur Reichsbürgerbewegung schließen lässt, es sich bei der inneren Einstellung bzw. Geisteshaltung um Umstände handelt, die in die Sphäre des Betroffenen fallen. In diesem Fall ist es Sache des Klägers, die von ihm selbst hervorgerufenen Zweifel im Hinblick auf seine Zuverlässigkeit zu entkräften, zumal die Beteiligten bei der Erforschung des Sachverhalts mitwirken müssen (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 VwGO). Dies bedeutet, dass der jeweilige Kläger für die Verwendung der Begriffe, die die ideologische Nähe zur Reichsbürgerbewegung indizieren, eine nachvollziehbare und plausible Erklärung benötigt.
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Insofern sind die Fragen, die das Gericht an den Kläger in der mündlichen Verhandlung stellte, als eine Chance an den Kläger zu sehen, eine plausible Erklärung abzugeben. Dies ist dem Kläger zur Überzeugung des Gerichts nicht gelungen.
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Die Verwendung der Begriffe „Königreich Bayern“ und „RuStAG 1913“ erklärte er damit, eine Ausfüllhilfe des Internets verwendet zu haben. Diese Angabe wertet das Gericht als Schutzbehauptung. Es kann dem eloquenten Kläger nicht geglaubt werden, dass er Eintragungen aus dem Internet ungeprüft übernimmt - zumal sie ihm „seltsam“ vorkamen.
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Dass sein Gedankengang damals so war, „dass, wenn ich im Jahr 1913 geboren wäre, dies das Königreich Bayern gewesen wäre“ (Protokoll der mündlichen Verhandlung) zeigt, dass er ein ausschließliches Interesse daran hatte, eine deutsche Staatsangehörigkeit nach den Rechtsverhältnissen von 1913 und davor bescheinigt zu bekommen. Zum Schreiben vom 3. April 2018 gab er an: „Dieses Schreiben habe ich nicht selbst verfasst, es hat jemand für mich geschrieben und ich habe nur noch unterschrieben. Wer das ist, will ich nicht sagen. Diese Person hat sich mit diesem Thema etwas besser beschäftigt als ich.“ Gerade diese Ausführungen zeigen, dass der Kläger Kontakt zur Reichsbürgerszene hatte. Den Namen des Freundes möchte er offensichtlich deshalb nicht nennen. Zur Sperrschrift führt der Kläger aus: „Ich habe bei einer Durchsicht der Grundbuchauszüge festgestellt, dass die Schreibweise des Eigentümers unterschiedlich eingetragen war.“ (Protokoll der mündlichen Verhandlung). Warum deshalb „auf Grund der von Amts wegen festgestellten Sachverhalte unter anderem die Schreibweise … zu einer Berichtigung der Personenstandsregister zur Erlangung der Beweiskraft verbunden mit der Bitte, die entsprechenden Registereinträge zu kennzeichnen und die berichtigten Sachverhalte erneut zu beurkunden, sowie beglaubigte Auszüge an den Unterzeichner ordnungsgemäß anzufertigen und fristgerecht auszureichen“, vom Kläger im Schreiben vom 3. April 2018 beantragt wurde, wusste der Kläger in der mündlichen Verhandlung offenbar selbst nicht. Jedenfalls ist dieser Antrag seinem Wortlaut nach schon nicht mit seiner in der mündlichen Verhandlung erklärten Unsicherheit auf Grund unterschiedlicher Schriftarten im Grundbuch in Einklang zu bringen. Warum er sich an das Landratsamt … wendet, wenn es ihm um unrichtige Grundbucheinträge geht, erschließt sich nicht. Auffällig häufig kam der Kläger in der mündlichen Verhandlung immer wieder auf den Grund für die Beantragung seines Staatsangehörigkeitsausweises zurück (Verkauf von Immobilien im Inland an ausländische Interessenten). Mit diesen weitschweifigen Ausführungen - ohne auf die konkreten Fragen des Gerichts (insbesondere zur Sinnhaftigkeit des Schreibens vom 3. April 2018) einzugehen - zielte der Kläger offensichtlich darauf ab, die Kammer von seinen für die Reichsbürgerszene typischen Äußerungen (für die er selbst auch heute noch keine vernünftige Erklärung hat) abzulenken. Eine plausible Erläuterung für die Berichtigung der Schreibweise des Familiennamens in Sperrschrift ergibt sich erst recht nicht aus dem Verweis des Klägerbevollmächtigten „auf die Unterschiede im HGB und BGB und im Weiteren auf Art. 10 EGBGB.“
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Die Zweifel an der Zuverlässigkeit des Klägers sind somit berechtigt, da seine Verhaltensweise, die in der Verwendung des Schreibens vom 3. April 2018 und in der Art der Eintragungen im Antrag auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises zum Tragen kommt, typisch für die Reichsbürgerszene ist und man deshalb davon ausgehen muss, dass sich der Kläger deren Ideologie zu eigen gemacht hat. Eine glaubhafte Distanzierung des Klägers hiervon kann in der mündlichen Verhandlung nicht einmal im Ansatz erkannt werden. Wer der Ideologie der Reichsbürgerszene folgend die Existenz und Legitimation der Bundesrepublik Deutschland negiert, gibt Anlass zu der Befürchtung, dass er die der Sicherheit des Luftverkehrs dienenden Vorschriften nicht jederzeit strikt befolgen wird.
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2. Die Voraussetzungen für einen Widerruf nach Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG sind erfüllt. Diesbezüglich hat der Kläger auch nichts Gegenteiliges vorgetragen. Die Feststellung der Zuverlässigkeit hätte auf Grund obiger Ausführungen gemäß Art. 49 Abs. 2 Satz 1
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Nr. 3 BayVwVfG im Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung nicht mehr ergehen können. Die übrigen Voraussetzungen des Art. 49 Abs. 2 BayVwVfG sind eingehalten. Auch die Jahresfrist nach Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG wurde gewahrt. Der Beklagte hat das ihm zukommende Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt, weswegen sich der streitgegenständliche Widerrufsbescheid vom 3. Dezember 2018 als rechtmäßig erweist.
II.
29
Der Kläger trägt als unterliegender Beteiligter die Kosten des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 1 VwGO.
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III. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung basiert auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V. m. § 708 Nr. 11 Zivilprozessordnung (ZPO). Der Einräumung einer Abwendungsbefugnis bedurfte es angesichts der - wenn überhaupt anfallenden - jedenfalls geringen, vorläufig vollstreckbaren Aufwendungen des Beklagten nicht, zumal dieser auch die Rückzahlung garantieren kann, sollte in der Sache eine Entscheidung mit anderer Kostentragungspflicht ergehen.