Inhalt

OLG München, Beschluss v. 13.03.2020 – 29 W 275/20
Titel:

öffentliche Zustellung bei bekannten Problemen mit der Zustellung im Wege der Rechtshilfe

Normenketten:
ZPO § 185 Ziff. 3, § 567, § 891 S. 2
GG Art. 103 Abs. 1
EGStGB Art. 9 Abs. 1 S. 2
Leitsätze:
1. Gegen die Entscheidung des Gerichts darüber, in welcher Form die gemäß § 891 Satz 2 ZPO zu erfolgende Anhörung des Schuldners durchgeführt wird, ist die sofortige Beschwerde nicht statthaft. (Rn. 6 – 8)
2. Nimmt die Zustellung im Wege der Rechtshilfe nach den vorliegenden Erfahrungen in einem Land mindestens eineinhalb Jahre, ggf. auch deutlich länger in Anspruch und werden die Gesuche in der Regel unerledigt zurückgeleitet, überwiegen die Interessen des Gläubigers auf effektiven Rechtsschutz die Interessen des Schuldners im Hinblick auf die Gefährdung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör bezüglich der Anhörung nach § 891 Satz 2 ZPO jedenfalls dann, wenn der Gläubiger den Schuldner über die dem Gläubiger bekannten und auch von dem Schuldner genutzten elektronischen Kommunikationswege über den Ordnungsmittelantrag sowie den Antrag auf öffentliche Zustellung und die Möglichkeit, einen Zustellungsbevollmächtigten im Inland zu benennen, informiert. Im Hinblick auf die kurze Verjährungsfrist für die Festsetzung von Ordnungsmitteln von nur zwei Jahren gemäß Art. 9 Abs. 1 Satz 2 EGStGB würde der Justizgewährungsanspruch des Gläubigers leerlaufen, wenn man trotz der bekannten Probleme bei der Zustellung im Wege der Rechtshilfe eine solche im Rahmen der Anhörung nach § 891 Satz 2 ZPO für erforderlich ansehen würde. (Rn. 10 und 11)
Schlagworte:
Ordnungsmittelantrag, öffentliche Zustellung, Rechtshilfe, China, Anhörung, E-Mail, elektronischer Kommunikationsweg
Vorinstanz:
LG München I, Beschluss vom 31.01.2020 – 33 O 13946/19
Fundstellen:
BeckRS 2020, 4267
NJW 2020, 1378
LSK 2020, 4267
GRUR-RR 2020, 501

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 31.01.2020, Az. 33 O 13946/19, wird im Hauptantrag verworfen.
2. Auf den Hilfsantrag der Gläubigerin werden der Beschluss des Landgerichts München I im Hinblick auf die Zurückweisung des Antrags auf öffentliche Zustellung gemäß § 185 Ziff. 3 ZPO aufgehoben und die Sache in das Landgericht München I zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

Gründe

I.
1
Das Landgericht München I hat mit Beschluss vom 14.10.2019 eine einstweilige Verfügung gegen die Schuldner erlassen, den die Gläubigerin den Schuldnern auf der Messe I. 2019 am 15.10.2019 zugestellt hat.
2
Mit Schriftsatz vom 11.12.2019 hat die Gläubigerin einen Ordnungsmittelantrag gestellt und in Ziffer III. dieses Antrags angeregt, das gem. § 891 Satz 2 ZPO vorgeschriebene rechtliche Gehör durch Versendung eines Faxes oder einer E-Mail an eine der nachgewiesenen Adressen zu gewähren und hilfsweise die öffentliche Zustellung gemäß § 185 Ziff. 3 ZPO beantragt. Das Landgericht hat die Zustellung des Ordnungsmittelantrags im Wege der Rechtshilfe an die in China ansässigen Schuldner verfügt. Die Gläubigerin hat mit Schriftsatz vom 23.01.2020 den Antrag gemäß Ziffer III. des Ordnungsmittelantrags wiederholt und um eine begründete Entscheidung gebeten. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 31.01.2020 den Antrag zurückgewiesen.
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Gegen diesen Beschluss wendet sich die Gläubigerin mit ihrer Beschwerde und beantragt,
I. Die in § 891 ZPO vorgeschriebene Anhörung erfolgt per E-Mail an die vorgelegten Kontaktadressen info@ com, …@ com und L…@ com, über die die Vollstreckungsschuldner nachweislich erreichbar sind;
II. Hilfsweise zu I.: Der Ordnungsmittelantrag wird - nach einer elektronischen Benachrichtigung im Sinne von Ziff. I - gem. § 185 Ziff. 3 Alt. 2 ZPO öffentlich zugestellt.
II.
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1. Die sofortige Beschwerde ist im Hauptantrag unzulässig.
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Gemäß § 567 Abs. 1 ZPO findet die sofortige Beschwerde gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Entscheidungen der Amtsgerichte und Landgerichte statt, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist (§ 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) oder es sich um solche eine mündliche Verhandlung nicht erfordernde Entscheidungen handelt, durch die ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen worden ist (§ 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO).
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Es ist gesetzlich nicht ausdrücklich bestimmt, dass die Entscheidung des Gerichts darüber, in welcher Form die gemäß § 891 Satz 2 ZPO zu erfolgende Anhörung des Schuldners durchgeführt wird, mit der sofortigen Beschwerde angreifbar ist.
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Es handelt sich auch nicht um eine Entscheidung, durch die ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen worden ist. Unter dem Tatbestandsmerkmal „Gesuch“ ist nur ein förmlicher Antrag zu verstehen, eine Anregung der Partei genügt nicht. Deshalb ist dem Antragsteller die Beschwerde versagt, wenn die angefochtene Entscheidung ohne die Notwendigkeit eines Antrags von Amts wegen ergehen kann (BGH NJOZ 2017, 1055, Rn. 9; BGH GRUR 2014, 705, Rn. 8; BGH Beschluss vom 15.01.2020, Az. VII ZB 96/17 Rn. 11). Vorliegend ist die Gläubigerin zumindest in Ziffer III. des Ordnungsmittelantrags selbst zutreffend davon ausgegangen, dass das Landgericht von Amts wegen nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden hat, wie die Anhörung durchzuführen ist, und hat dementsprechend in Ziffer III. des Ordnungsmittelantrags die Anhörung per E-Mail lediglich angeregt und nicht beantragt.
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Dass das Landgericht verkannt hat, dass es in seinem Ermessen liegt, wie es die gesetzlich vorgeschriebene Anhörung durchführt, ist schon deshalb fernliegend, weil die Gläubigerin hierauf sowohl im Ordnungsmittelantrag als auch im Schriftsatz vom 23.01.2020 wiederholt hingewiesen hat. Das Landgericht ist im Rahmen der von ihm zu treffenden Ermessensentscheidung zu dem Ergebnis gelangt, dass eine ordnungsgemäße Anhörung der in China ansässigen Schuldner vorliegend eine förmliche Zustellung des Ordnungsmittelantrags voraussetzt. Gegen diese Entscheidung ist die sofortige Beschwerde gemäß § 567 ZPO nicht statthaft.
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2. a) Hinsichtlich des auf Bewilligung der öffentlichen Zustellung gerichteten Hilfsantrags ist die Beschwerde gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zulässig (vgl. Schutzky in Zöller, ZPO, 33. Aufl. § 186 Rn. 5).
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b) Die Beschwerde ist im Hilfsantrag auch begründet. Gemäß § 185 Nr. 3 Alt. 2 ZPO kann die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung (öffentliche Zustellung) erfolgen, wenn die Zustellung im Ausland keinen Erfolg verspricht. Das ist nicht erst dann der Fall, wenn feststeht, dass eine Zustellung im Wege der Rechtshilfe endgültig nicht erfolgen wird. Der Zweck dieser Vorschrift liegt darin, den Anspruch auf Justizgewährung für die Partei zu sichern, wenn auf anderem Wege eine Zustellung nicht durchführbar ist. Das Gebot, einen wirkungsvollen Rechtsschutz zu gewähren, erfordert, dass dieser in angemessener Zeit zu erlangen ist. Keinen Erfolg verspricht die Zustellung daher schon dann, wenn die Durchführung einen derart langen Zeitraum in Anspruch nehmen würde, dass ein Zuwarten der betreibenden Partei billigerweise nicht zugemutet werden kann. Allerdings ist andererseits zu beachten, dass eine Bewilligung der öffentlichen Zustellung den Anspruch auf rechtliches Gehör des Prozessgegners aus Art. 103 I GG gefährdet. Für die Entscheidung der Frage, ob die Dauer einer Zustellung im Wege der Rechtshilfe nicht mehr zumutbar ist, bedarf es daher einer Abwägung der beiderseitigen Interessen, wobei es auf die Umstände des Einzelfalls ankommt (BGH NJW-RR 2009, 855, Rn. 13).
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Der Beschwerdeführer hat dargelegt (Anlagen BF 2 - BF 5), dass nach den beim Landgericht München I vorliegenden Erfahrungen eine Zustellung im Wege der Rechtshilfe in China mindestens eineinhalb Jahre, ggf. auch deutlich länger in Anspruch nimmt und die Gesuche in der Regel unerledigt zurückgeleitet werden. Bei dieser Sachlage überwiegen die Interessen der Gläubigerin auf effektiven Rechtsschutz die Interessen der Schuldner im Hinblick auf die Gefährdung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör im vorliegenden Ordnungsmittelverfahren bezüglich der Anhörung nach § 891 Satz 2 ZPO jedenfalls dann, wenn die Gläubigerin, wie von dieser angeboten, die Schuldner über die der Gläubigerin bekannten und auch von den Schuldnern genutzten elektronischen Kommunikationswege über den Ordnungsmittelantrag sowie ihren Antrag auf öffentliche Zustellung und die Möglichkeit, einen Zustellungsbevollmächtigten im Inland zu benennen, informiert und zwar auch in englischsprachiger Übersetzung. Im Hinblick auf die kurze Verjährungsfrist für die Festsetzung von Ordnungsmitteln von nur zwei Jahren gemäß Art. 9 Abs. 1 Satz 2 EGStGB, würde der Justizgewährungsanspruch der Gläubigerin leerlaufen, wenn man trotz der bekannten Probleme bei der Zustellung in China im Wege der Rechtshilfe eine solche im Rahmen der Anhörung nach § 891 Satz 2 ZPO für erforderlich ansehen würde. Der Gefährdung des Anspruchs der Schuldner auf rechtliches Gehör kann dadurch Rechnung getragen werden, dass eine öffentliche Zustellung erst bewilligt wird, wenn die Gläubigerin die Schuldner - wie ausgeführt - über ihre Anträge entsprechend informiert hat und dies dem Gericht nachgewiesen hat. Die dann zu treffende Entscheidung bleibt dem Landgericht vorbehalten.
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3. Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde bestehen nicht (vgl. § 574 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 ZPO).