Inhalt

VerfGH München, Entscheidung v. 18.03.2020 – Vf. 17-VII-18
Titel:

Begründungsanforderungen an eine Rechtssatz-Popularklage

Normenketten:
GG Art. 2 Abs. 2
VfGHG Art. 55 Abs. 1 S. 2
BayVerf Art. 100, Art. 101
Leitsätze:
Unzulässigkeit einer Popularklage gegen einen Bebauungsplan, der in der Nähe von Stromfreileitungen ein allgemeines Wohngebiet ausweist, weil eine mögliche Grundrechtsverletzung nicht dargelegt wird.
Ist die geltend gemachte Verletzung einer Grundrechtsnorm nach Sachlage von vornherein ausgeschlossen, weil der Schutzbereich des angeblich verletzten Grundrechts durch die angefochtene Rechtsvorschrift nicht berührt wird, ist die Popularklage unzulässig. (Rn. 36) (red. LS Axel Burghart)
Schlagworte:
Bebauungsplan, allgemeines Wohngebiet, niederfrequente Anlagen, Grenzwerte, Grundrechtsverletzung, Landesentwicklungsprogramm, Raumordnung, Höchstspannungsfreileitung, Popularklage
Fundstellen:
BayVBl 2020, 372
BeckRS 2020, 4106
LSK 2020, 4106

Tenor

Der Antrag wird abgewiesen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Popularklage betrifft die Frage, ob der Bebauungsplan mit Grünordnung „Z.-straße“ des Marktes S. vom 20. April 2018 in der Fassung der im ergänzenden Verfahren nach § 214 Abs. 4 BauGB erlassenen Satzung vom 15. April 2019 gegen Normen der Bayerischen Verfassung verstößt.
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1. Der Geltungsbereich des Bebauungsplans erfasst ein ca. 1,93 ha großes Gebiet mit Teilflächen der bisher als Grünland intensiv genutzten Grundstücke Fl.Nrn. 2015, 2015/2, 2016 und 2018. Das Plangebiet schließt unmittelbar an den Ortsteil Öschle des Marktes Sulzberg an und wird im Norden begrenzt durch die W.-straße, im Südosten durch die B1. Straße und im Südwesten durch die Korridore der dort verlaufenden 220-/110-kV-Freileitungen. Der Geltungsbereich des Bebauungsplans grenzt bis zu 25 m an die Leitungsachse der 220-kVFreileitung; die Schutzzone von 30 m beidseits dieser Achse liegt teilweise im Geltungsbereich des Bebauungsplans (ca. 5 m), aber außerhalb der dort festgesetzten Baugrenzen. Als Art der baulichen Nutzung setzt der Bebauungsplan ein allgemeines Wohngebiet fest. Entlang der südlichen und westlichen Plangrenze ist die Anpflanzung von Bäumen, Sträuchern und sonstiger Bepflanzung vorgesehen. Unter Nr. 4.2 der Satzung (Sonstige Hinweise) werden „Hinweise im Bereich der 220-/110-kV-Leitung“ gegeben. Hier heißt es u. a.: „Von Hochspannungsleitungen gehen elektrische und magnetische Felder aus, die physikalisch bedingt sind und nicht vermieden werden können. Die in der 26. Verordnung zur Durchführung des Bundesimmissionsschutzgesetzes (26. BImSchV) festgelegten Grenzwerte für elektrische und magnetische Felder werden eingehalten.“ In der Begründung des Bebauungsplans wird unter Nr. 7 (Planungsrechtliche Voraussetzungen) bei Punkt „7.1 Landesentwicklungsprogramm Bayern“ u. a. dessen - seit 1. März 2018 geltende - Nr. „6.1.2 Höchstspannungsfreileitungen“ wiedergegeben und u. a. ausgeführt, dass gemäß einer Stellungnahme der höheren Landesplanungsbehörde bei der Regierung von Schwaben vom 18. Dezember 2018 (richtig: 2017) sich dieser Grundsatz auf den Neubau bzw. Ersatzneubau von Höchstspannungsfreileitungen im Zuge der Energiewende beziehe und die Festlegungen der Mindestabstände für die Übertragungsnetzbetreiber sowie für die entsprechenden Genehmigungsbehörden gälten; die Gemeinden könnten deshalb im Rahmen der gemeindlichen Planungshoheit und unter Berücksichtigung gesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse in der Abwägung weiterhin frei entscheiden, inwieweit eine Wohnbebauung an bereits bestehende Höchstspannungsfreileitungen heranrücken könne.
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Die als Grundsatz (G) festgelegte Nr. „6.1.2 Höchstspannungsfreileitungen“ (Anlage zu § 1 der Verordnung über das Landesentwicklungsprogramm Bayern - LEP - vom 22. August 2013, GVBl S. 550, die zuletzt durch Verordnung vom 3. Dezember 2019, GVBl S. 751, geändert worden ist) hat folgenden Wortlaut:
Planungen und Maßnahmen zum Neubau oder Ersatzneubau von Höchstspannungsfreileitungen sollen energiewirtschaftlich tragfähig unter besonderer Berücksichtigung der Wohnumfeldqualität der betroffenen Bevölkerung sowie der Entwicklungsmöglichkeiten der betroffenen Kommunen (z.B. für Bau-, Gewerbe- und Erholungsgebiete) und der Belange des Orts- und Landschaftsbildes erfolgen. Eine ausreichende Wohnumfeldqualität der betroffenen Bevölkerung ist in der Regel dann gegeben, wenn die Höchstspannungsfreileitungen folgende Abstände einhalten:
- mindestens 400 m zu
a) Wohngebäuden im Geltungsbereich eines Bebauungsplans oder im Innenbereich gemäß § 34 des Baugesetzbuchs, es sei denn Wohngebäude sind dort nur ausnahmsweise zulässig,
b) Schulen, Kindertagesstätten, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen,
c) Gebieten die gemäß den Bestimmungen eines Bebauungsplans vorgenannten Einrichtungen oder dem Wohnen dienen, und
- mindestens 200 m zu allen anderen Wohngebäuden.
Beim Ersatzneubau von Höchstspannungsfreileitungen sollen erneute Überspannungen von Siedlungsgebieten ausgeschlossen werden.
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2. In seiner Sitzung vom 16. Oktober 2017 beschloss der Marktgemeinderat die Aufstellung des Bebauungsplans. Dieser wurde gemäß § 13 b BauGB in einem beschleunigten Verfahren nach § 13 a BauGB aufgestellt. Von der Umweltprüfung gemäß § 2 Abs. 4 BauGB wurde abgesehen. Weiterhin wurde von der Angabe nach § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB, welche Arten umweltbezogener Informationen verfügbar sind, sowie von einer zusammenfassenden Erklärung nach § 10 Abs. 4 BauGB abgesehen. Ferner wurde gemäß § 13 a Abs. 2 Nr. 1 BauGB auf die frühzeitige Unterrichtung und Erörterung nach § 3 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 BauGB verzichtet. Der in der Sitzung des Marktgemeinderats vom 5. Februar 2018 gebilligte Entwurf des Bebauungsplans wurde nach entsprechender Bekanntmachung vom 8. Februar 2018 in der Zeit vom 16. Februar bis 23. März 2018 öffentlich ausgelegt. Gleichzeitig erfolgte die Beteiligung der Träger öffentlicher Belange. In der Sitzung vom 9. April 2018 beschloss der Marktgemeinderat den Bebauungsplan als Satzung. Am 20. April 2018 fertigte der erste Bürgermeister die Originalurkunde aus. Am 26. April 2018 erfolgte die öffentliche Bekanntmachung im Amtlichen Bekanntmachungsblatt des Marktes „Sulzberger Bürgerblatt“ (Nr. 17 S. 2).
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3. Nach Erhebung der Popularklage hat der Marktgemeinderat in seiner Sitzung vom 25. März 2019 ein ergänzendes Verfahren nach § 214 Abs. 4 BauGB durchgeführt und den Bebauungsplan mit Grünordnung „Z.-straße“ mit Rückwirkung zum 26. April 2018 erneut als Satzung nach § 10 Abs. 1 BauGB beschlossen. Am 15. April 2019 hat der erste Bürgermeister die Originalurkunde ausgefertigt, am 25. April 2019 ist die öffentliche Bekanntmachung im „Sulzberger Bürgerblatt“ (Nr. 17 S. 2) erfolgt.
II.
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Mit ihrer am 6. September 2018 erhobenen Popularklage rügen die Antragsteller, der Bebauungsplan verletze das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 101 i. V. m. Art. 100 BV), das Eigentumsgrundrecht (Art. 103 Abs. 1 BV) und das Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 BV).
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1. Die Zulässigkeit der Popularklage ergebe sich aus einer möglichen Verletzung der Grundrechte aus Art. 101 i. V. m. Art. 100 BV und aus Art. 103 Abs. 1 BV.
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a) Mit der Planung eines neuen Wohngebiets in einem Abstand von lediglich 30 m zu einer bereits bestehenden niederfrequenten Höchstspannungsfreileitung von 220 kV mit drei zusätzlichen 110-kV-Leitungen auf dem gleichen Mast sowie einer weiteren 110-kV-Leitung in unmittelbarer Nähe verstoße der Markt Sulzberg gegen seine aus der Bayerischen Verfassung resultierende Pflicht, das Leben und die körperliche Unversehrtheit zu schützen. Aufgrund der von einer derartigen Niederfrequenzanlage ausgehenden elektromagnetischen Felder bestehe die naheliegende Möglichkeit, dass junge Familien mit Kindern als Adressaten solcher Bauvorhaben gesundheitlichen Gefahren und Risiken, wie etwa einer Leukämieerkrankung, ausgesetzt würden.
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Nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen würden krebserregende Wirkungen bzw. Spätfolgen bereits unterhalb der Grenzwerte der 26. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (im Folgenden: 26. BImSchV) ausgelöst. So habe der Rat der Europäischen Union in seiner Empfehlung vom 12. Juli 1999 zur Begrenzung der Exposition der Bevölkerung gegenüber elektromagnetischen Feldern ein hohes Gesundheitsschutzniveau und eine entsprechende regelmäßige Überprüfung der Schutz- und Vorsorgestandards innerhalb des europäischen Gemeinschaftsrahmens angemahnt. Das Bundesamt für Strahlenschutz habe in der Folge auf der Grundlage einer Expertise der mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) assoziierten International Agency for Research on Cancer (IARC), die niederfrequente Felder als „möglicherweise kanzerogen“ eingestuft habe, die dringende Vorsorgeempfehlung bereits ab einem Wert von 0,3 bis 0,4 Mikrotesla magnetischer Flussdichte getätigt. Erst ab einem Mindestabstand von 400 m könnten negative Immissionseffekte im Rahmen eines Plangebiets bzw. im unbeplanten Innenbereich unter Berücksichtigung eines sozialadäquaten, hinzunehmenden Restrisikos praktisch ausgeschlossen werden. Die nun im Landesentwicklungsprogramm Bayern unter Nr. 6.1.2 festgelegten Mindestabstände zu Wohngebäuden konkretisierten den wissenschaftlich anerkannten Sachstand in Bezug auf die gebotenen risikovorsorgenden Maßstäbe hinsichtlich gesundheitsgefährdender Auswirkungen und Spätfolgen von niederfrequenten elektromagnetischen Feldern und stellten weitergehende Regelungen im Sinn des § 6 der 26. BImSchV dar.
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b) Daneben bestehe die Möglichkeit einer Verletzung der Eigentumsgarantie des Netzbetreibers, weil durch den streitgegenständlichen Bebauungsplan ein Ersatzneubau der bestehenden Stromtrasse am gleichen Ort mit Blick auf die Änderungen des Landesentwicklungsprogramms Bayern nur noch unter Anführung gewichtiger Gründe für eine Abweichung von dem normierten Mindestabstand von 400 m möglich sei. Dadurch sei die Dispositionshoheit des Netzbetreibers bezüglich eines Ersatzneubaus an der gleichen Stelle erheblich eingeschränkt, was zu einem erheblichen finanziellen Mehraufwand für die Wahl eines möglichen Alternativstandorts führen könne.
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2. Die Popularklage sei auch begründet, weil der Bayerische Verfassungsgerichtshof prüfungsbefugt sei und der verfahrensgegenständliche Bebauungsplan „Z.-straße“ in formeller wie materieller Hinsicht gegen die Bayerische Verfassung verstoße.
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a) Zur Prüfung der grundsätzlich bedeutsamen Frage, ob ein Ortsgesetzgeber auch nach Einführung der Nr. 6.1.2 des Landesentwicklungsprogramms Bayern im Rahmen seiner Planungshoheit unter Missachtung eines vorsorgenden Gesundheitsschutzes ein Wohngebiet nur 30 m entfernt von einer bestehenden 220 kVHöchstspannungsfreileitung festsetzen könne, sei der Bayerische Verfassungsgerichtshof befugt; damit gehe keine Überprüfung von bereits getroffenen Entscheidungen eines Gerichtshofs des Bundes einher (vgl. hierzu VerfGH vom 19.3.2018 - Vf. 4-VII-16). Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Juli 2010 Az. 7 VR 4.10 oder dessen spätere Entscheidungen wie das Urteil vom 6. April 2017 Az. 4 A 2.16 könnten nicht als die Kontrolle im Rahmen der Popularklage sperrende Referenzentscheidungen angesehen werden, da diese mit Planfeststellungsbeschlüssen zur Errichtung von Hochspannungsleitungen konkretindividuelle Verwaltungsmaßnahmen zum Gegenstand gehabt hätten und keine planungsrechtliche Rechtsnorm wie vorliegend. Zudem hätten sich seit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2010 die Umstände derart geändert, dass mehrere legislative und exekutive Gewalten mittlerweile selbst Regelungen zu Mindestabständen getroffen und damit den mittlerweile anerkannten wissenschaftlichen Sachstand konkretisiert hätten.
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b) Der Markt habe sich mit den von Freileitungen ausgehenden Gefahren und Risiken für die anzusiedelnde Wohnbevölkerung nur am Rand beschäftigt, obwohl der wissenschaftliche Sachstand und die gesetzgeberisch initiierten Mindestabstände zu Vorsorgemaßnahmen in diesem Bereich gedrängt hätten. Nach dem Bundesverfassungsgericht umfasse die aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit abgeleitete objektivrechtliche Schutzpflicht auch die verfassungsrechtlich garantierte Risikovorsorge (z. B. BVerfGE 56, 54/78), welche der Markt missachtet habe. Entgegen der Rechtsansicht des Marktes ergebe sich aus der Stellungnahme der Regierung von Schwaben vom 18. Dezember 2017 ausdrücklich, dass die Gemeinde bei einer Ausweisung von Wohnbauflächen in der Nähe einer bestehenden 220-kV-Leitung zu berücksichtigen habe, dass dies zu einer Einschränkung der Wohnumfeldqualität führe und dass die Mindestabstände der Abwägung zugänglich seien, sodass der Markt diese im Rahmen des Planungsvorgangs hätte beachten müssen. Denn die Regelung in Nr. 6.1.2 des Landesentwicklungsprogramms Bayern stelle zwar mit den Sätzen 1 und 3 auf den Neubau und den Ersatzbau von Höchstspannungsfreileitungen ab. In Satz 2 sei jedoch in Form einer Legaldefinition eindeutig definiert, wann im Hinblick auf Höchstspannungsfreileitungen von einer ausreichenden Wohnumfeldqualität auszugehen sei. Dieser Satz 2 stelle mit der Anführung von Mindestabständen einen allgemeinen Grundsatz auf, der aufgrund des Wortlauts und systematisch mit Blick auf die Überschrift „Höchstspannungsfreileitungen“ von den Sätzen 1 und 3 unabhängig betrachtet werden könne, sodass die Gemeinde direkter Adressat dieser Regelung sei. Die Norm differenziere demnach ausdrücklich zwischen dem Wohnumfeld und dem Orts- und Landschaftsbild, weshalb sich aus der Vorschrift selbst ergebe, dass es teleologisch nicht, wie der Markt meine, nur um eine harmonische Wohnsiedlungsstruktur mit Blick auf das Orts- und Landschaftsbild gehe, sondern mit der Fortschreibung des Landesentwicklungsprogramms ein weit darüber hinausgehender Sinn und Zweck, nämlich ein vorsorgender Gesundheitsschutz im Sinn von § 6 der 26. BImSchV verfolgt werde. Wegen seiner Schutzpflicht hätte der Markt damit die landesrechtliche Grundsatzregelung bei der Abwägung im Sinn einer normativen Verstärkung des Belangs der gesunden Wohnverhältnisse nach § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB berücksichtigen müssen, womit die Wohnumfeldqualität im Besonderen zu beachten sei.
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Als weitere bundesgesetzliche Direktive gelte die Verwirklichung einer menschenwürdigen Umwelt, womit der landesrechtliche Raumordnungsgrundsatz ebenfalls in teleologischer Konformität stehe und damit implizit den entsprechenden Rang eines Bundesgesetzes erhalte. Konkrete Planungsanforderungen ergäben sich dabei aus dem Grundsatz der möglichst weitgehenden Trennung von nicht verträglichen Nutzungen, wie er in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelt worden sei (BVerwGE 71, 163; 148, 256). Hiergegen habe der Markt verstoßen. Er habe mit einem Abstand von 30 m die hinter den Mindestabständen stehende Intention vom Schutzniveau her nicht marginal unterschritten, sondern die Mindestabstände überhaupt nicht berücksichtigt, weil er sich bereits nicht als Adressat dieser Abstände gesehen habe. Weder aus dem verfahrensgegenständlichen Bebauungsplan noch aus dem beglaubigten Sitzungsbuch des Marktgemeinderats vom 9. April 2018 sei in irgendeiner Weise ersichtlich, dass der Markt sich mit den Mindestabständen und dem dahinter stehenden risikovorsorgenden Gesundheitszweck überhaupt beschäftigt habe, obwohl es ausdrückliche Einwendungen seitens der Antragsteller gegeben habe. Diese Vorgehensweise des Marktes verstoße gegen Bundesrecht und stelle damit eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips der Bayerischen Verfassung nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV dar, das aufgrund der Zulässigkeit der Popularklage Prüfungsmaßstab sei.
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c) Zudem habe der Markt die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Wohnumfeldqualität missachtet, indem hinsichtlich des Mindestabstands von 30 m nicht einmal eine planungsrechtliche Alternativprüfung stattgefunden habe und folglich keine Maßnahmen ergriffen worden seien, um dem verfassungsrechtlich garantierten Gebot der Risikovorsorge und ihrer entsprechenden Schutzpflicht bezüglich des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit auch nur im Ansatz zu genügen. Zwar könne nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung die Verletzung einer Schutzpflicht erst dann festgestellt werden, wenn evident sei, dass eine ursprünglich rechtmäßige Regelung zum Schutz der Gesundheit aufgrund neuer Erkenntnisse oder einer veränderten Situation untragbar geworden sei (vgl. BVerfGE 56, 54/81; BVerfGK 10, 208/211 f. m. w. N.; BVerfG vom 4.5.2011 - 1 BvR 1502/08). Diese Voraussetzung liege jedoch aufgrund der nunmehr erfolgten Konkretisierung dieser Schutzpflicht in Nr. 6.1.2 des Landesentwicklungsprogramms Bayern vor.
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d) Durch die im ergänzenden Verfahren nach § 214 Abs. 4 BauGB erneut vorgenommene Abwägung habe sich die vom Markt eingenommene Position in Bezug auf den Gesundheitsschutz inhaltlich nicht geändert. Der Markt stütze sich weiterhin auf die Einhaltung der Grenzwerte der 26. BImSchV und halte dies unter dem Aspekt der Risikovorsorge bei elektromagnetischen Feldstärken für ausreichend. Den von der Bayerischen Staatsregierung eingeführten Mindestabständen des Landesentwicklungsprogramms Bayern unterstelle er nun einen bloßen Sinn und Zweck in der Form des Schutzes der Qualität des freien Wohnumfeldes vor optischen Beeinträchtigungen, ohne sich mit den von den Antragstellern vorgetragenen Überlegungen auseinanderzusetzen; demnach sollten diese Mindestabstände gerade verhindern, dass die Bevölkerung im Umfeld einer allgemeinen Grundbelastung durch niederfrequente Anlagen wohne. Deshalb finde wiederum unter dem Aspekt des risikovorsorgenden Gesundheitsschutzes lediglich eine unzureichende Abwägung statt; die Vorsorgewerte der Weltgesundheitsorganisation und des Bundesamtes für Strahlenschutz von 0,3 bis 0,4 Mikrotesla würden bagatellisiert.
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Es sei hervorzuheben, dass die Grenzwerte der 26. BImSchV, auf die sich der Markt ausschließlich berufe, nur die Kurzzeitexposition beträfen, nicht aber das Langzeitrisiko berücksichtigten. Diese Grenzwerte seien daher kein geeigneter Maßstab, wenn es gesundheitsvorsorgend darum gehe, das Leukämierisiko von Familien mit kleinen Kindern hinsichtlich elektromagnetischer Feldstärken zu minimieren. Der Stand der Wissenschaft zeige sich in der Sache regelmäßig in Rechtsnormen, hier im Landesentwicklungsprogramm Bayern mit weitergehenden Anforderungen im Sinn des § 6 der 26. BImSchV.
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Das zwischenzeitlich von den Antragstellern eingeholte Sachverständigengutachten des Dr. M. vom 5. Juni 2019, das zu wesentlichem Parteivortrag gemacht werde, komme zu einem differenzierten Ergebnis mit entsprechenden Empfehlungen, die sich aus der Unterscheidung von Kurzzeitexposition und Langzeitvorsorge ergäben. Danach würden die Grenzwerte der 26. BImSchV, die lediglich auf die Kurzzeitexposition abstellten, deutlich unterschritten und eingehalten. Demgegenüber würden von namhaften Organisationen und Instituten empfohlene Vorsorgegrenzwerte, die einen neuen wissenschaftlichen Sachstand indizierten und auf die Langzeitvorsorge ausgerichtet seien, auch unter Einbeziehung der Berechnungen der Netzbetreiber nicht eingehalten und teilweise deutlich überschritten.
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Der vorliegende Fall verdeutliche das Problem des umweltrechtlichen Risikos, wie es in der wissenschaftlichen Literatur diskutiert werde und auch bereits Eingang in die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gefunden habe (vgl. nur BVerfGE 49, 89/139; 53, 30/76; 59, 30/58 f.). Zwar sei es aus wissenschaftlicher Sicht schwierig, einen eindeutigen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen etwaigen gesundheitlichen Schädigungen und elektromagnetischen Feldstärken von bestimmten Niederfrequenzanlagen festzustellen; dass diese Auswirkungen auf den menschlichen Organismus hätten, sei heute jedoch unstreitig. Die Bayerische Staatsregierung habe dieses Problem erkannt und mit der Änderung des Landesentwicklungsprogramms Bayern auf die neuen Erkenntnisse reagiert, um Vorkehrungen dafür zu treffen, dass bestimmte Mindestabstände von Wohngebäuden zu Stromtrassen eingehalten würden. Sinn und Zweck der dort festgelegten Mindestabstände leiteten sich aus der Erkenntnis ab, dass bei einem Abstand von rund 100 m zu den Leitungen die gesetzlichen Anforderungen hinsichtlich der elektromagnetischen Auswirkungen zwar voll erfüllt seien, die Belastungen aber noch über dem Niveau der anzunehmenden Grundbelastung lägen.
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Dies werde durch das eingeholte Sachverständigengutachten des Dr. M. bestätigt.
Bei einem Abstand von 200 m zu den Leitungen lägen die elektromagnetischen Auswirkungen bereits auf dem Niveau der allgegenwärtigen Grundbelastung und seien nicht mehr messbar. Eine weitere Verdoppelung der Mindestabstände zur Wohnbebauung im Innenbereich berücksichtige überdies die typischen wohnumfeldnahen Aktivitäten (Nutzung von Spiel- oder Sportplätzen, ortsrandnahe Wanderwege), womit vorsorgend zudem auch noch der Erhalt des nahen Wohnumfeldes berücksichtigt werde. Die hinter den Mindestabständen stehende Absicht, die Wohnbevölkerung vor wissenschaftlich zwar nicht ganz beweisbaren, aber naheliegenden Risiken zu schützen, habe die bayerische Landesregierung mit der Änderung des Landesentwicklungsprogramms aufgegriffen, wobei sie hinsichtlich der gewählten Abstände von 200 m bzw. 400 m dem Vorbild des Bundesgesetzgebers im Energieleitungsausbaugesetz bzw. im Bundesbedarfsplangesetz bzw. von anderen Bundesländern in deren landesweiten Raumordnungsplänen und -programmen gefolgt sei. Wenn die Bayerische Staatsregierung in dem Landesentwicklungsprogramm Bayern als delegierter Normsetzer Mindestabstände aufstelle, die das Schutzniveau der Grenzwerte der 26. BImSchV weitergehend ausgestalteten, sei eine Kommune daran auch im Rahmen ihres Planungsvorgangs gebunden.
Die staatliche Schutzpflicht sei verletzt, wenn die vom Ortsgesetzgeber getroffenen Regelungen und Maßnahmen offensichtlich ungeeignet oder völlig unzulänglich seien, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder wenn sie erheblich hinter dem Schutzziel zurückblieben (vgl. BVerfGE 56, 54/80; 77, 170/215; 92, 26/46; 125, 39/78 f.; 142, 313/337 f.), was hier der Fall sei.
III.
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1. Der Bayerische Landtag hat sich am Verfahren nicht beteiligt.
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2. Die Bayerische Staatsregierung hat von einer Äußerung abgesehen.
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3. Der Markt Sulzberg hält die Popularklage für unbegründet, da die geltend gemachten Rechtsverletzungen nicht vorlägen.
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a) Der Markt habe nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV verstoßen, insbesondere liege kein offensichtlicher und schwerwiegender Verstoß gegen Bundesrecht vor.
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aa) Nr. 6.1.2 Satz 2 des Landesentwicklungsprogramms Bayern sei nicht zwingend, da die Vorschrift ausdrücklich als Grundsatz (G) gekennzeichnet sei und damit gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ROG nur abgewogen werden müsse. Dieser Grundsatz stelle auch keine weitergehenden Anforderungen des Immissionsschutzes aufgrund anderer Rechtsvorschriften im Sinn von § 6 der 26. BImSchV dar, da der Landesgesetzgeber hiermit keine über § 3 Abs. 2 der 26. BImSchV hinausgehende Anforderungen in Bezug auf die elektromagnetische Verträglichkeit aufgestellt, sondern lediglich einen Abwägungsposten zum Schutz des optischen Wohnumfeldes geschaffen habe. Die Gesetzgebungsmaterialien offenbarten eindeutig, dass es hier lediglich um das Landschaftsbild und nicht um den Gesundheitsschutz gegangen und der Gesetzgeber davon ausgegangen sei, dass letzterer durch die Grenzwerte der 26. BImSchV hinreichend gewährleistet werde (Bayerischer Landtag, Anhörung vom 27. April 2017 zu LT-Drs. 17/16280 S. 48, 53).
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Auch Minimierungsmaßnahmen gemäß § 4 Abs. 2 der 26. BImSchV habe der Markt nicht treffen müssen, da solche nur bei der Planung der Stromleitung zu treffen seien und von einer Gemeinde nicht durch Bebauungsplan angeordnet werden könnten. Zu einer Überspannung von Wohngebäuden im Sinn von § 4 Abs. 3 der 26. BImSchV könne es nicht kommen, da die Überspannungsbreite der östlichen 220-kV-Trasse ca. 26 m betrage, also 13 m auf beiden Seiten der Leitungsmittelachse, und die gesamte Wohnbebauung außerhalb der Schutzzone von 30 m Abstand zu der Leitungsmittelachse geplant sei. Ein Abwägungsdefizit im Hinblick auf § 2 Abs. 3 BauGB liege nicht vor, da nach den Berechnungen des Anlagenbetreibers die Grenzwerte nach § 3 Abs. 2 der 26. BImSchV eingehalten seien; nach § 5 der 26. BImSchV seien Messungen nicht erforderlich, wenn die Einhaltung der Grenzwerte durch Berechnungsverfahren festgestellt werden könne, was vorliegend der Fall sei. Auch die Kumulierungseffekte mit den anderen drei 110-kV-Leitungen auf demselben Mast seien beachtet worden, was aus den grafischen Modellen der Berechnungen ersichtlich sei. Mittlerweile sei im Rahmen einer ergänzenden Stellungnahme des Anlagenbetreibers auch die westlich benachbarte Stromtrasse (mit einer 110-kV-Leitung) in die Berechnung miteinbezogen worden. Nach wie vor betrügen die Maximalwerte der magnetischen Flussdichte bzw. der elektrischen Feldstärke ca. 5 Mikrotesla bzw. 0,5 kV/m. Eine Erdverkabelung (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ROG) als Alternative sei schon deshalb nicht in Betracht gekommen, weil vorliegend das Wohngebiet und nicht die Leitungen Gegenstand der Planung gewesen seien.
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bb) Das Abwägungsgebot nach § 1 Abs. 7 BauGB sei nicht verletzt.
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Einer Anwendung strengerer Grenzwerte als der nach § 3 und Anhang 1 a der 26. BImSchV habe es nicht bedurft. Den Grenzwerten der 26. BImSchV komme im Bereich der Bauleitplanung zumindest der Charakter als antizipiertes Sachverständigengutachten zu. Die von den Antragstellern ins Feld geführten deutlich niedrigeren Grenzwerte basierten nicht auf gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen. Auch die Weltgesundheitsorganisation bzw. das Bundesamt für Strahlenschutz sei der Auffassung, dass eine Kausalität zwischen der häuslichen Magnetfeldexposition von 0,3 Mikrotesla und Leukämie bei Kindern nicht feststehe bzw. die Wahrscheinlichkeit eines solchen Zusammenhangs sogar als „schwach“ anzusehen sei. Das Bundesamt für Strahlenschutz weise ausdrücklich darauf hin, dass die von den Antragstellern zitierte Statistik über Leukämieerkrankungen bei Kindern nicht repräsentativ sei, weil die in Deutschland erhobenen Daten auch aus einer berufsbedingten Exposition von Erwachsenen stammten. Ferner beschränke sich die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation darauf, die von ihr gegebenen Grenzwertempfehlungen umzusetzen. Wie das Bundesamt für Strahlenschutz zutreffend ausführe, sei diese Umsetzung durch die Einführung der 26. BImSchV erfolgt. Das Bundesverwaltungsgericht habe jüngst im Urteil vom 14. März 2018 Az. 4 A 5.17 zum wiederholten Mal bestätigt, dass keine Bedenken gegen die Grenzwerte der 26. BImSchV im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG bestünden.
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Auch in der Entscheidung gegen den 400 m-Abstand aus Nr. 6.1.2 Satz 2 des Landesentwicklungsprogramms Bayern liege keine Verletzung des § 1 Abs. 7 BauGB. Wie bereits ausgeführt, diene diese Bestimmung weder dem Gesundheitsschutz noch der Gesundheitsvorsorge, sondern stelle lediglich einen Abwägungsposten zum Schutz des optischen Wohnumfeldes dar. Auch das Bundesamt für Strahlenschutz sei der Meinung, dass Vorsorgemaßnahmen wie eine etwaige Abstandhaltung über die nach dem Stand der Wissenschaft notwendigen Schutzmaßnahmen der 26. BImSchV hinausgingen und bei Einhaltung der Grenzwerte der 26. BImSchV nach derzeitigem Erkenntnisstand keine Gesundheitsschädigung drohe. Der Markt habe sich im Hinblick auf den prognostizierten steigenden Bedarf an Wohnraum im Ortsteil Öschle gegen ein von optisch beeinträchtigenden Stromtrassen freies Wohnumfeld entschieden. Die Tatsache, dass die gesamte Bestandsbebauung in Öschle aus Häusern bestehe, die sämtlich innerhalb einer Entfernung von 400 m zu der Stromtrasse lägen, belege aus Sicht des Marktgemeinderats, dass der Anblick der Freileitungen das Wohnen nach der örtlichen Wahrnehmung nicht über die Erheblichkeitsgrenze beeinträchtige. Aufgrund der Lage von Öschle an der Stromtrasse würde jede Erweiterung des Ortsteils in Anbindung an die Bestandsbebauung (ohne eine Splittersiedlung zu schaffen) zwangsläufig innerhalb dieses 400 m-Abstands zur Stromtrasse liegen.
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cc) Der Markt habe vorsorglich ein ergänzendes Verfahren nach § 214 Abs. 4 BauGB durchgeführt und einzelne im Rahmen der öffentlichen Auslegung vorgetragene Anregungen, Bedenken und Hinweise erneut erörtert und abgewogen. Insbesondere seien in Bezug auf die Hochspannungsleitung die Belange der Wohnumfeldqualität und des Gesundheitsschutzes erneut abgewogen worden, auch was die Kumulierungseffekte der 220-kV- und der 110-kV-Freileitungen betreffe. Selbst das von den Antragstellern vorgelegte Gutachten bestätige die Einhaltung der Grenzwerte der 26. BImSchV. Gleiches gelte für die Berechnung und die erläuternde Stellungnahme des Betreibers vom 5. November 2018. Demnach sei eine Gesundheitsgefährdung nicht nachweisbar. Die Orientierung des Marktes an den Grenzwerten der 26. BImSchV würde nur dann eine Verletzung der verfassungsrechtlichen Schutzpflichten darstellen, wenn diese gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich wären, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder erheblich dahinter zurückblieben. Dazu müsse nach dem Bundesverwaltungsgericht aufgrund gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse feststehen, dass ein normkonkretisierendes Regelwerk ungeeignet sei, den Schutz des Bürgers zu gewährleisten. Dies sei vorliegend nicht der Fall und auch nicht durch das von den Antragstellern vorgelegte Gutachten nachgewiesen. Die Qualifikation des Gutachters als Ingenieur erschöpfe sich in der fachgerechten Ermittlung der elektromagnetischen Strahlung. Die medizinischen Risiken der ermittelten Strahlung könne er aus eigener Kompetenz nicht beurteilen. Auch den von ihm in Bezug genommenen Stellungnahmen lasse sich kein neuer Stand der Wissenschaft entnehmen.
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Der Gutachter berufe sich auf Stellungnahmen der International Agency for Research on Cancer (IARC) und der Weltgesundheitsorganisation aus dem Jahr 2002, wonach niederfrequente elektromagnetische Felder „möglicherweise“ kanzerogen seien. Das Bundesamt für Strahlenschutz sei aktuell der Auffassung, dass diese Frage nicht abschließend geklärt sei, und die Internationale Kommission zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung (ICNIRP) sehe hierfür nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft keinen Beleg. Das der Europäischen Kommission unterstehende Wissenschaftliche Gremium über Entstehende und Neu Identifizierte Gesundheitsgefahren (SCENIHR) habe in einer Stellungnahme vom 27. Januar 2015 festgestellt, dass kein Kausalzusammenhang zwischen Leukämie bei Kindern und einer täglichen Bestrahlung mit durchschnittlich 0,3 bis zu 0,4 Mikrotesla nachgewiesen werden könne. Die weiter im Gutachten herangezogenen Aussagen in Stellungnahmen der Bioinitiative Working Group aus den Jahren 2007 und 2012 würden vom Bundesamt für Strahlenschutz, von der ICNIRP und vom SCENIHR nicht geteilt. Gleiches gelte für die Aussagen in der Leitlinie der Europäischen Akademie für Umweltmedizin e. V. aus dem Jahr 2016 und in privaten Gutachten aus den Jahren 2006 und 2014. Das Bundesverwaltungsgericht habe auch in den letzten Jahren (zuletzt 2018) mehrmals festgestellt, dass die 26. BImSchV nicht durch einen neuen Stand der Wissenschaft zu einem langfristigen Leukämierisiko überholt sei.
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b) Das Eigentumsrecht (Art. 103 Abs. 1 BV) des Stromleitungsbetreibers werde durch den Bebauungsplan nicht verletzt. Da keine Gesundheitsgefährdung der Wohnbevölkerung zu befürchten sei, drohten diesem keine immissionspolizeilichen Maßnahmen nach den Grundsätzen der heranrückenden Wohnbebauung.
IV.
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Die Popularklage ist unzulässig.
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1. Ein Bebauungsplan, der von einer Gemeinde als Satzung beschlossen wurde, kann sowohl insgesamt als auch hinsichtlich einzelner Festsetzungen Gegenstand einer Popularklage gemäß Art. 98 Satz 4 BV, Art. 55 Abs. 1 Satz 1 VfGHG sein (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 28.10.2014 VerfGHE 67, 274 Rn. 24; vom 13.5.2015 VerfGHE 68, 93 Rn. 34; vom 21.3.2016 BayVBl 2016, 743 Rn. 23). Die Popularklage richtet sich gegen den ursprünglichen Bebauungsplan mit Grünordnung „Z.-straße“ des Marktes S., beschlossen am 9. April 2018, in der Fassung der nach Abschluss des ergänzenden Verfahrens gemäß § 214 Abs. 4 BauGB erlassenen Satzung (vgl. VerfGH vom 6.8.2010 VerfGHE 63, 128/130 m. w. N.).
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2. Den Darlegungen der Antragsteller kann trotz der umfangreichen Ausführungen nicht entnommen werden, dass der angegriffene Bebauungsplan gegen ein durch die Bayerische Verfassung gewährleistetes Grundrecht verstoßen könnte.
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Nach Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG gehört zu den prozessualen Voraussetzungen einer Popularklage, dass der Antragsteller darlegt, inwiefern durch die angegriffene Rechtsvorschrift ein in der Verfassung gewährleistetes Grundrecht verfassungswidrig eingeschränkt wird. Eine ausreichende Grundrechtsrüge liegt nicht schon dann vor, wenn ein Antragsteller lediglich behauptet, dass die angegriffene Rechtsvorschrift nach seiner Auffassung gegen Grundrechtsnormen der Bayerischen Verfassung verstößt. Der Verfassungsgerichtshof muss anhand von substanziiert bezeichneten Tatsachen und Vorgängen beurteilen können, ob der Schutzbereich der Grundrechtsnorm berührt ist. Die zur Überprüfung gestellten Tatsachen und Vorgänge müssen dies zumindest als möglich erscheinen lassen. Ist die geltend gemachte Verletzung einer Grundrechtsnorm nach Sachlage von vornherein ausgeschlossen, weil der Schutzbereich des angeblich verletzten Grundrechts durch die angefochtene Rechtsvorschrift nicht berührt wird, ist die Popularklage unzulässig. Auf die tatsächlichen Gegebenheiten abstellende Darlegungen eines Antragstellers sind besonders bei solchen Normen von Bedeutung, die - wie hier ein Bebauungsplan - keine abstraktgenerellen Rechtsvorschriften im klassischen Sinn sind, sondern konkretindividuelle Elemente enthalten (vgl. VerfGH vom 4.5.2012 VerfGHE 65, 73/81 m. w. N.; VerfGH BayVBl 2016, 743 Rn. 25). Danach fehlt es hier an einer substanziierten Grundrechtsrüge.
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a) Auf einen schwerwiegenden und krassen Verstoß der landesrechtlichen Norm gegen Bundesrecht unter dem Gesichtspunkt des Rechtsstaatsprinzips können sich die Antragsteller, wie von ihnen selbst erkannt, von vornherein nicht berufen, da Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV kein Grundrecht verbürgt (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGHE 63, 128/130).
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b) Eine mögliche Verletzung des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 101 i. V. m. Art. 100 BV ist trotz der umfangreichen Ausführungen hierzu nicht dargelegt.
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Zu Recht weisen die Antragsteller zwar darauf hin, dass das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, das nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs durch Art. 100 BV (Schutz der Menschenwürde) und Art. 101 BV (Handlungsfreiheit) garantiert wird (vgl. VerfGH vom 17.5.2006 VerfGHE 59, 63/74), nicht nur ein subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe ist, sondern dass darüber hinaus aus seinem objektivrechtlichen Gehalt die Pflicht der staatlichen Organe folgt, sich schützend und fördernd vor das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit der Bürger zu stellen und es vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 30.4.1987 VerfGHE 40, 58/64; vom 21.12.1989 VerfGHE 42, 188/ 192; BVerfG vom 9.2.1998 NJW 1998, 2961/2962; vom 2.7.2018 NVwZ 2018, 1555 Rn. 39). Diese aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit folgende Schutzpflicht kann jedoch dadurch, dass der Markt auf die Einhaltung der Grenzwerte der 26. BImSchV abgestellt hat, nicht verletzt sein.
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aa) Der Kritik der Antragsteller an den aus ihrer Sicht unzureichenden Grenzwerten nach der 26. BImSchV, die hier selbst nach dem von den Antragstellern eingeholten und vorgelegten Gutachten des Dr. M. deutlich unterschritten werden, kann der Verfassungsgerichtshof schon deshalb nicht nachgehen, weil Bundesrecht wegen seines höheren Rangs nicht am Maßstab der Bayerischen Verfassung geprüft werden kann. Die durch Art. 31 GG vorgegebene Normenhierarchie im Bundesstaat hat zur Folge, dass das Bundesrecht - auch eine Bundesverordnung wie die 26. BImSchV - im Rang über dem Landesrecht steht. Der Verfassungsgerichtshof kann daher nicht prüfen, ob das Bundesrecht unvollständig oder in sonstiger Weise defizitär ist oder ob es in einer bestimmten Weise verfassungskonform auszulegen ist (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 26.6.2013 VerfGHE 66, 94/99 f.; vom 16.11.2018 - Vf. 23-VI-16 - juris Rn. 19). Hiervon ausgehend hat der Verfassungsgerichtshof die Auslegung der in der 26. BImSchV festgelegten Grenzwerte durch das Bundesverwaltungsgericht zugrunde zu legen, dessen rechtliche Bewertungen insbesondere von Bundesnormen ebenso wenig der Kontrolle des Verfassungsgerichtshofs unterliegen, weil eine entsprechende mittelbare Überprüfung der Entscheidungen eines Bundesgerichts ebenfalls der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes widerspricht (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 30.1.2008 VerfGHE 61, 16/19 f.; vom 19.3.2018 BayVBl 2018, 514 Rn. 47 m. w. N.).
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts werden die Anforderungen zum Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen und zur Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen aufgrund elektromagnetischer Felder durch die 26. BImSchV rechtsverbindlich konkretisiert (BVerwG vom 14.6.2017 BVerwGE 159, 121 Rn. 48). Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die dort (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 2, § 3 Abs. 1 Satz 1 - bzw. Abs. 2 Satz 1 für nach dem 22. August 2013 errichtete Anlagen - i. V. m. Anhang 1 a der 26. BImSchV) für Niederfrequenzanlagen (50 Hertz) festgelegten Grenzwerte (Effektivwert der elektrischen Feldstärke 5 kV/m; Effektivwert der magnetischen Flussdichte 100 Mikrotesla) bestehen nicht (ständige Rechtsprechung; vgl. BVerwG vom 22.7.2010 NVwZ 2010, 1486 Rn. 25; vom 28.2.2013 UPR 2013, 345 Rn. 20; vom 26.9.2013 NuR 2013, 800 Rn. 33 ff.; vom 17.12.2013 BVerwGE 148, 353 Rn. 51 ff.; vom 21.1.2016 BVerwGE 154, 73 Rn. 188 f.; BVerwGE 159, 121 Rn. 28, 48; vom 14.3.2018 BVerwGE 161, 263 Rn. 43). Gemäß dieser Rechtsprechung fordert die staatliche Schutzpflicht für die menschliche Gesundheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nach derzeitigem fachwissenschaftlichem Kenntnisstand keine niedrigeren Grenzwerte. Der Verordnungsgeber verfüge bei der Erfüllung der Schutzpflicht für die menschliche Gesundheit über einen weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum, der auch Raum lasse, konkurrierende öffentliche und private Interessen zu berücksichtigen. Die verfassungsrechtliche Schutzpflicht werde erst verletzt, wenn die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen überhaupt nicht getroffen habe oder die getroffenen Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder unzulänglich seien, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder erheblich dahinter zurückblieben. Von einem solchen völlig unzureichenden Schutz könne so lange keine Rede sein, als sich Eignung und Erforderlichkeit geringerer Grenzwerte mangels verlässlicher wissenschaftlicher Erkenntnisse noch gar nicht abschätzen ließen.
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Gemessen hieran sei davon auszugehen, dass die Grenzwerte der 26. BImSchV (1996) wirksam akute Beeinträchtigungen der Gesundheit verhinderten. Der Verordnungsgeber habe bei der Novelle zur 26. BImSchV (Art. 1 der Verordnung vom 14. August 2013, BGBl I S. 3259) an dem Grenzwert für die elektrische Feldstärke und die magnetische Flussdichte festgehalten und sich dabei auf Empfehlungen der 2010 veröffentlichten Guidelines der International Commission on Non-Ionizing Radiation Protection (ICNIRP) berufen (BVerwGE 148, 353 Rn. 51 f.). Auch mögliche Langzeitfolgen ließen nicht erkennen, dass der Verordnungsgeber seinen Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum überschritten haben könnte. Die zu Langzeitfolgen vorliegende Befundlage erweise sich als „nicht stark genug, um einen Kausalzusammenhang zu belegen, aber ausreichend, um eine Besorgnis zu begründen“ (Sachverständiger Matthes, Deutscher Bundestag, Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, 92. Sitzung vom 27. August 2013, Protokoll 17/92 S. 10). Diese Bewertung entspreche im Kern der Einschätzung der Strahlenschutzkommission (BVerwGE 148, 353 Rn. 52; BVerwG NuR 2013, 800 Rn. 36 f.). Es liege eine unzureichende Anzahl von Studien vor, deren methodische Qualität sowie Größe häufig begrenzt sei und bei denen ein Bias oder der Einfluss von Störgrößen (confounding) nicht ausgeschlossen werden könne. Ähnlich gehe die ICNIRP in ihren Guidelines davon aus, dass es keine zwingende Evidenz gebe, dass dauerhafte Bedingungen (chronic conditions) ursächlich mit niederfrequenten elektrischen oder magnetischen Feldern zusammenhingen (BVerwG NuR 2013, 800 Rn. 37).
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann zwar eine auf Grundrechtsgefährdungen bezogene Risikovorsorge von der Schutzpflicht der staatlichen Organe umfasst sein; es hat dies bisher jedoch nur bei bestimmten risikobehafteten technischen Anlagen angenommen (vgl. etwa BVerfG vom 8.8.1978 BVerfGE 49, 89/140 ff.; vom 16.12.1983 BVerfGE 66, 39/58 f.; vom 29.10.1987 BVerfGE 77, 170/220 f.). Zu den in der 26. BImSchV geregelten Grenzwerten für Hochfrequenzanlagen (Mobilfunksendeanlagen) hat es ausdrücklich festgestellt, aus der staatlichen Schutzpflicht nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ergäben sich keine weitergehenden Anforderungen. Dem Verordnungsgeber komme ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich zu. Es müssten nicht alle nur denkbaren Schutzmaßnahmen getroffen werden. Eine Verletzung der Schutzpflicht könne erst festgestellt werden, wenn Vorkehrungen überhaupt nicht getroffen, gänzlich ungeeignet oder unzulänglich seien. Ohne verlässliche wissenschaftliche Erkenntnisse über komplexe Gefährdungslagen sei es nicht Sache der Gerichte, sondern des Verordnungsgebers, den Erkenntnisfortschritt der Wissenschaft mit geeigneten Mitteln zu beobachten und zu bewerten, um gegebenenfalls weitere Schutzmaßnahmen treffen zu können. Verletzt sei diese Nachbesserungspflicht erst, wenn eine ursprünglich rechtmäßige Regelung aufgrund neuer Erkenntnisse oder einer veränderten Situation verfassungsrechtlich evident untragbar geworden sei (BVerfG vom 24.1.2007 NVwZ 2007, 805 unter Verweis auf BVerfG vom 28.2.2002 NJW 2002, 1638). Bereits in einem vorangegangenen, zu einer Niederfrequenzanlage ergangenen Kammerbeschluss hat das Bundesverfassungsgericht den dem Gesetzgeber wie der vollziehenden Gewalt bei der Erfüllung der Schutzpflicht zukommenden weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich betont (BVerfG vom 17.2.1997 NJW 1997, 2509).
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Dies zugrunde gelegt wird dem grundrechtlich geschützten Gesundheitsschutz im Rahmen eines Bebauungsplanverfahrens grundsätzlich durch die Einhaltung der Grenzwerte der 26. BImSchV - wie dies hier der Fall ist - Rechnung getragen. Mit der Popularklage werden keine Erkenntnisse aufgezeigt, die diese Einschätzung infrage stellen würden.
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bb) Aus dem bayerischen Landesrecht, insbesondere aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 101 i. V. m. Art. 100 BV, ergibt sich kein weitergehender Schutzanspruch.
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(1) Das Recht auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 101 i. V. m. Art. 100 BV entspricht in seiner Reichweite dem Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und schützt vor allen Einwirkungen, die die menschliche Gesundheit im biologischphysiologischen Sinn beeinträchtigen. Beeinträchtigungen, die mit (bloßen) Grundrechtsgefährdungen verbunden sind, bewegen sich regelmäßig im Vorfeld relevanter Grundrechtsverletzungen und lösen damit subjektive Abwehrrechte noch nicht aus (VerfGHE 59, 63/74; vgl. auch BVerfG NJW 1997, 2509). Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn die Summe aus Gefahrennähe, Ausmaß der Gefahr und Rang des bedrohten Rechtsguts so erhebliches Gewicht erreicht, dass eine Risikotragung unzumutbar erscheint (VerfGHE 59, 63/74; vgl. auch BVerfG vom 4.5.2011 NVwZ 2011, 991 Rn. 37), wie dies beispielsweise bei risikobehafteten technischen Anlagen angenommen worden ist (siehe oben aa)). Dies ist aber bei Anlagen nach der 26. BImSchV, für die nach ständiger fachgerichtlicher und verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung nur eine Besorgnislage und eine entsprechende Beobachtungspflicht besteht (siehe oben aa); vgl. auch di Fabio in Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 49), nicht der Fall.
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(2) Im Übrigen ist schon nach dem eigenen Vortrag der Antragsteller nicht ersichtlich, dass die von ihnen zitierten Studien oder Empfehlungen fachlicher Stellen neue Erkenntnisse enthalten, die sich in der wissenschaftlichen Diskussion durchgesetzt haben, und daher einen ausreichenden wissenschaftlichen Nachweis über eine gesundheitsschädliche Wirkung niederfrequenter Anlagen unterhalb der geltenden Grenzwerte, insbesondere was die Langzeitrisiken betrifft, darstellen könnten. Vielmehr handelt es sich dabei um reine Vorsorgegrenzwerte bzw. entsprechende Vorsorgeempfehlungen. Die Empfehlungen des Gutachters und Ingenieurs Dr. M. können schon mangels dessen Qualifikation zur Beurteilung medizinischer Risiken einer niederfrequenten Strahlung keine neue wissenschaftliche Erkenntnis darstellen.
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(3) Entgegen der Auffassung der Antragsteller zeigen auch die in Nr. 6.1.2 des Landesentwicklungsprogramms Bayern aufgenommenen Mindestabstände keinen neuen Stand der Wissenschaft auf; ebenso wenig stellen diese weitergehende Anforderungen im Sinn des § 6 der 26. BImSchV dar, die (als solche) im Rahmen eines Bebauungsplanverfahrens zu berücksichtigen wären.
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Letzteres ergibt sich schon daraus, dass es sich nur um einen sog. Grundsatz der Raumordnung handelt. Grundsätze der Raumordnung sind nach der Legaldefinition des Art. 2 Nr. 3 BayLplG (vgl. auch § 3 Abs. 1 Nr. 3 ROG) Aussagen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums als Vorgaben für nachfolgende Abwägungs- oder Ermessensentscheidungen. Bei raumbedeutsamen Planungen und Entscheidungen öffentlicher Stellen über die Zulässigkeit raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen sind sie gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BayLplG (vgl. auch § 4 Abs. 1 Satz 1 ROG) in Abwägungs- oder Ermessensentscheidungen zu berücksichtigen. Im Unterschied zu den Zielen der Raumordnung im Sinn des Art. 2 Nr. 2 BayLplG (bzw. § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG) stellen Grundsätze keine landesplanerische Letztentscheidung dar. Die verbindliche Rechtsgeltung einer bestimmten Planaussage ist dem Rechtscharakter eines Grundsatzes der Raumordnung fremd. Vielmehr haben sie den Rang eines Abwägungsbelangs (vgl. BVerwG vom 4.4.2012 BVerwGE 142, 234 Rn. 298). Schon im Hinblick auf ihre Unverbindlichkeit können die in Nr. 6.1.2 des Landesentwicklungsprogramms Bayern aufgenommenen Mindestabstände keine weitergehenden Anforderungen gemäß § 6 der 26. BImSchV sein.
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Zudem gilt diese Bestimmung ihrem klaren Wortlaut nach nur für den Um- und Ausbau der Energieinfrastruktur (vgl. schon die Überschrift in Nr. 6.1 des Landesentwicklungsprogramms Bayern) und enthält daher gerade keinen im Rahmen eines Bebauungsplanverfahrens vom Ortsgesetzgeber zu beachtenden Abwägungsbelang. Den Antragstellern ist zwar einzuräumen, dass die dort genannten Mindestabstände nicht nur - wie der Markt meint - Belangen des Orts- und Landschaftsbildes Rechnung tragen sollen, sondern auch mit Blick auf eine Risikovorsorge getroffen wurden (vgl. hierzu auch LT-Drs. 17/16280 S. 29, 58, 85 f., wonach es sich bei den Mindestabständen um einen vorsorgeorientierten Grundsatz zum Bau von Höchstspannungsfreileitungen handelt). Dies führt aber nicht dazu, dass eine derartige - noch dazu in Form eines bloßen Abwägungsbelangs - vom Normgeber zum Ausgleich konkurrierender Belange in der Bevölkerung (vgl. LT-Drs. 17/16280 S. 29) erlassene Bestimmung einen neuen Stand der Wissenschaft dokumentieren könnte, und ändert nichts daran, dass es sich bei den dabei angesprochenen Risiken um (bloße) Grundrechtsgefährdungen handelt, die sich im Vorfeld relevanter Grundrechtsverletzungen bewegen.
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c) Auch eine mögliche Verletzung des Eigentumsrechts des Netzbetreibers in Form des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs (Art. 103 Abs. 1 BV) scheidet aus.
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Der Schutzbereich dieses Grundrechts erstreckt sich nicht auf bloße Aussichten, Erwartungen oder Erwerbschancen (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 12.9.2001 VerfGHE 54, 85/94; vom 28.6.2005 VerfGHE 58, 150/153). Die bloße Erwartung, in der Umgebung der Höchstspannungsleitungen werde sich keine (nachteilige) Veränderung ergeben, unterfällt daher nicht dem Eigentumsgrundrecht. Hinzu kommt, dass vorliegend bereits das Wohngebiet nördlich der W.-straße sehr nah an den Freileitungen des Netzbetreibers liegt, also auch ohne das nun ausgewiesene Baugebiet die nunmehr in Nr. 6.1.2 des Landesentwicklungsprogramms Bayern aufgenommenen Mindestabstände weit unterschritten sind. Aufgrund der Einhaltung bzw. deutlichen Unterschreitung der Grenzwerte der 26. BImSchV hat der Netzbetreiber auch keine nachträglichen Auflagen wegen der an die Trasse heranrückenden Wohnbebauung zu befürchten. Im Übrigen hat der Netzbetreiber keine Einwendungen im Bebauungsplanverfahren erhoben.
V.
Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG).