Inhalt

ArbG Regensburg, Beschluss v. 07.12.2020 – 2 BVGa 7/20
Titel:

Untersagung von Präsenzsitzungen des Betriebsrats aus Anlass der Corona-Pandemie

Normenketten:
BetrVG § 33 Abs. 1, § 78 S. 1, § 129
GewO § 106
Leitsatz:
Im Einzelfall kann das aktuelle Infektionsgeschehen der Corona-Pandemie es erfordern, dass ein Betriebsrat seine Betriebsratssitzungen digital im Sinne des § 129 Abs. 1 BetrVG durchzuführen hat. (Rn. 28 – 31)
Schlagworte:
Corona-Pandemie, COVID-19-Pandemie, Hygiene-Konzept, Betriebsrat, Betriebsratssitzung, Hausverbot, Präsenzsitzung, virtuelle Sitzung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 41046

Tenor

Der Antrag des Betriebsrats wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die Beteiligten streiten im einstweiligen Rechtsschutz darüber, ob die Beteiligte zu 2) die Durchführung von Sitzungen des Betriebsrats im Dezember 2020 als Präsenzsitzung untersagen und ihm hierfür auch keinen Sitzungsraum zur Verfügung stellen darf.
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Die Beteiligte zu 2) (im Folgenden auch: Arbeitgeberin) betreibt Wohnheime und Förderstätten für Menschen mit geistiger Behinderung oder Mehrfachbehinderung. Die Arbeitgeberin beschäftigt aktuell 297 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Beteiligte zu 1) (im Folgenden auch: Betriebsrat) ist der bei der Beteiligten zu 2) gebildete, (noch) amtierende Betriebsrat mit einer Stärke von acht Mitgliedern aus sechs verschiedenen Wohnheimen der Beteiligten zu 2) aus A-Stadt, E-Stadt, F-Stadt, G-Stadt, H-Stadt und B-Stadt. Dessen Vorsitzende ist Frau … Der Betriebsrat hält jeden Mittwoch ab 09.30 Uhr seine Betriebsratssitzungen ab. Hierfür wird ihm regelmäßig von der Arbeitgeberin ein Raum in dem Gebäude der L-Stadt Werkstätten GmbH in J-Stadt zur Verfügung gestellt. Die L-Stadt Werkstätten GmbH gehört wie die Beteiligte zu 2) zur Einrichtung der N.N. B-Stadt e.V.
3
Die Beteiligte zu 2) untersagte im Rahmen eines von ihr im Rahmen der herrschenden Corona-Pandemie erstellten Hygienekonzepts ab dem 02.11.2020 allgemein Präsenzveranstaltungen für Personen aus verschiedenen Einrichtungen der Beteiligten zu 2), um eine Verbreitung des Virus innerhalb der Einrichtungen zu verhindern. Mit E-Mails vom 16.10.2020 und 21.10.2020 (Anlage ASt 2 = Bl. 32 d. A.) wurde auch der Betriebsrat von der Geschäftsführerin der Arbeitgeberin, Frau Dr. O.O., gebeten und aufgefordert, aufgrund der Corona-Pandemie in den kommenden Wochen die Betriebsratssitzungen digital abzuhalten. Die hierzu erforderliche technische Ausrüstung wurde von der Arbeitgeberin gestellt. Weiter sagte die Arbeitgeberin im Bedarfsfall jederzeitige Unterstützung in der Umsetzung durch die IT-Abteilung.
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Nachdem der Betriebsrat dennoch weiter Präsenzsitzungen am 04.11.2020 und 11.11.2020 abgehalten hatte, wurde dem Betriebsrat durch den Einrichtungsleiter der Einrichtung in J-Stadt ein Hausverbot ausgesprochen. Auf eine E-Mail des Betriebsrats vom 12.11.2020 hin, in welcher dieser erneut um die Bekanntgabe eines Sitzungsraums für die nächste Sitzung gebeten hatte, schrieb Frau Dr. O.O. für die Arbeitgeberin mit E-Mail vom gleichen Tage (Anlage ASt 5 = Bl. 36 d. A.) an den Betriebsrat insbesondere was folgt:
„Es gibt derzeit keine Möglichkeit Präsenzveranstaltungen durchzuführen für Personen aus verschiedenen Einrichtungen der H.H. GmbH. Deshalb können Ihre Betriebsratssitzungen derzeit nur digital stattfinden. Dies ist auch durch die neuen Corona-Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes abgedeckt.“
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Die Arbeitgeberin wiederholte in der Folgezeit mit E-Mail vom 17.11.2020 (Anlage ASt 7 = Bl. 38 d. A.) nach weiterer Aufforderung des Betriebsrats vom 17.11.2020, einen Raum für die Präsenzsitzungen zur Verfügung zu stellen, dass seitens der Beteiligten zu 2) die persönlichen Zusammenkünfte untersagt worden seien, um die Betreuten, die Mitarbeiter und die zugehörigen Familien zu schützen.
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Der Betriebsrat führte daraufhin drei Sitzungen mit der von der Arbeitgeberin zur Verfügung gestellten technischen Ausrüstung digital durch (vgl. Sitzungsniederschrift vom 01.12.2020 Bl. 67 d. A.).
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Für die im Dezember 2020 vorgesehenen regulären Betriebsratssitzungen beschloss der Antragsteller in seiner Sitzung am 18.11.2020, sich gegen die Untersagung der Präsenzsitzungen gerichtlich zur Wehr zu setzen und beauftragte die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers mit dem Vorgehen im Wege der einstweiligen Verfügung. Dieser Beschluss enthält über der Unterschrift der Betriebsratsvorsitzenden das Datum „17.09.2020“.
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Bei der Beteiligten zu 2) fand am 19.11.2020 im Rahmen einer von der Berufsgenossenschaft geforderten Arbeitssicherheitsbegehung ein Treffen in K-Stadt statt, an dem neben der Betriebsratsvorsitzenden auch der Einrichtungsleiter, der Betriebsarzt und die zuständige Fachkraft für Arbeitssicherheit teilgenommen haben. Zuvor gab es auch am 17.11.2020 in G-Stadt eine solche Arbeitssicherheitsbegehung.
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Am Tag vor der mündlichen Anhörung vor der Kammer wurde der Beteiligten zu 2) bekannt, dass unter anderem in zwei ihrer Wohnheime in A-Stadt Infizierungen mit dem Coronavirus erfolgt waren.
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Der Betriebsrat trägt vor, dass er bei der Durchführung seiner Sitzungen die allgemeingültigen Verhaltensregeln im Zusammenhang mit den Corona-Schutzmaßnahmen wie Abstandsregeln und Maskentragen beachten würde.
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Der Betriebsrat meint, dass es Sache des/der Betriebsratsvorsitzenden sei zu entscheiden, wie der Betriebsrat seine Sitzungen abzuhalten beliebt. Dem Betriebsrat könne auch in Pandemiezeiten nicht durch ein Hygienekonzept der Arbeitgeberin vorgeschrieben werden, dass er seine Betriebsratssitzungen digital abhalten müsse. Das Hygienekonzept sei zudem nicht durch den Betriebsrat mitbestimmt, weshalb Zweifel an dessen Wirksamkeit bestünden. Zudem habe es in Bezug auf die Arbeitssicherheitsbegehungen auch im November 2020 noch einrichtungsübergreifende Zusammenkünfte gegeben. Die vom Gesetzgeber neu eingeführte Vorschrift des § 129 BetrVG sei eine sog. „Kann“-Vorschrift. Die Regel seien weiterhin Präsenzsitzungen. Das Ermessen übe der Betriebsratsvorsitzende aus. Wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat insoweit Vorschriften mache, stelle dies eine Behinderung im Sinne des § 78 Satz 1 BetrVG dar. Der Arbeitgeber sei hierzu auch nicht im Wege des Weisungsrechts nach § 106 GewO befugt. Dies habe auch das LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24.08.2020 - 12 TaBVGa 1015/20 so gesehen. Der Verfügungsanspruch bestehe daher. Angesichts der sich durch Zeitablauf zu erledigen drohenden Sitzungstermine im Dezember 2020 sei auch ein Verfügungsgrund zu bejahen. Der Betriebsrat könne nicht auf ein Hauptsacheverfahren verwiesen werden.
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Der Betriebsrat beantragt,
Der Beteiligten zu 2) wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis 10.000,00 € aufgegeben, es zu unterlassen, die Durchführung der Präsenzsitzungen des Betriebsrates am 02.12.2020, 09.12.2020, 16.12.2020 und 23.12.2020 unter persönlicher Anwesenheit zu untersagen und ihr keinen Sitzungsraum zur Verfügung zu stellen.
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Die Arbeitgeberin beantragt,
Der Antrag wird zurückgewiesen.
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Die Arbeitgeberin trägt vor, dass sie das Infektionsgeschehen im Auge behalten und die Möglichkeit für Präsenzsitzungen des Betriebsrates entsprechend fortlaufend überprüfen werde.
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Die Arbeitgeberin ist der Rechtsauffassung, dass sich der Betriebsrat auf Grund der im Rahmen des für alle Mitarbeiter geltenden Hygienekonzepts getroffenen Untersagung von einrichtungsübergreifenden Präsenzveranstaltungen auf die Möglichkeit der digitalen Betriebsratssitzung im Sinne des § 129 BetrVG verweisen lassen müsse. Eine Behinderung im Sinne des § 78 BetrVG sei darin nicht zu sehen. Die Bewohner der Wohnheime zählten zu der besonders schützenswerten Gruppe der Bevölkerung, für deren Schutz die Beteiligte zu 2) verantwortlich sei. Gerade weil aktuell bereits Infektionen in den Wohneinrichtungen festgestellt worden seien, sei die einrichtungsübergreifende Kontaktbeschränkung notwendig. Die Arbeitssicherheitsbegehungen im November 2020 seien zeitlich einerseits vor dem hier streitgegenständlichen Zeitraum erfolgt und würden im Übrigen dem Mitarbeiterschutz in der Pandemiezeit dienen. Sie seien für jede Einrichtung einmal jährlich von der BG vorgeschrieben, die auf die Durchführung auch in Zeiten des COVID-19 Virus bestanden habe. An dem Verfügungsgrund bestünden schon deshalb Zweifel, weil der verfahrenseinleitende Betriebsratsbeschluss das Datum des 17.09.2020 abbilde, was ein zu langes Zuwarten des Betriebsrates nahelegen würde.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird gemäß § 313 Abs. 1 ZPO auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift der mündlichen Anhörung am 01.12.2020 Bezug genommen.
II.
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1. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist nach § 2a Abs. 1 Ziff. 1, 80 Abs. 1 ArbGG eröffnet, weil es sich bei dem geltend gemachten Unterlassungsanspruch des Betriebsrats um eine betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeit zwischen der Arbeitgeberin und dem Betriebsrat handelt. Die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Arbeitsgerichts Regensburg - Kammer Landshut - ist nach § 82 Abs. 1 Satz 1 ArbGG gegeben, weil sich der Sitz der Beteiligten zu 2) in B-Stadt und damit im hiesigen Arbeitsgerichtsbezirk befindet.
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2. Die Voraussetzungen für die Unterlassungsverfügung gegen die Arbeitgeberin, die Präsenzsitzungen des Betriebsrats im Dezember 2020 nicht zu untersagen, sind nicht gegeben. Es besteht bei der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung keine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass dem Betriebsrat ein Unterlassungsanspruch in der beantragten Form zusteht.
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a) Gemäß § 87 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 85 Abs. 2 Satz 1 ArbGG ist der Erlass einer einstweiligen Verfügung auch im Beschlussverfahren gemäß den dort in Bezug genommenen §§ 916 ff. ZPO zulässig. Der Erlass einer sog. Leistungsverfügung, durch die der geltend gemachte Anspruch nicht nur gesichert, sondern bereits befriedigt wird, setzt voraus, dass der Antragsteller einen zu sichernden Verfügungsanspruch hat (§§ 916 Abs. 1, 920 Abs. 2, 936 ZPO) und ein Verfügungsgrund (§§ 935, 940 ZPO) gegeben ist (vgl. LAG München, Beschluss vom 17.11.2017 - 3 TaBVGa 15/17 m.w.Nw.).
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b) Der Verfügungsanspruch des Betriebsrats gegen die Arbeitgeberin, die Präsenzsitzungen des Betriebsrats im Dezember 2020 nicht zu untersagen, folgt insbesondere nicht aus § 78 Satz 1 BetrVG. Die Bezugnahme des Betriebsrats auf die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24.08.2020 - 12 TaBVGa 1015/20 ist dabei unbehelflich, da die zu Grunde liegenden Sachverhalte nicht vergleichbar sind, zumal es in dem dort entschiedenen Fall um eine Sitzung mit geheimen Wahlen innerhalb des Gremiums ging, was vorliegend nicht zur Debatte steht und die Entscheidung zudem in einer deutlich entspannteren Lage des Pandemiegeschehens im August 2020 erging.
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aa) Die Kammer verkennt dabei nicht, dass gemäß § 78 Satz 1 BetrVG die Mitglieder des Betriebsrates in der Ausübung ihrer Tätigkeit grundsätzlich nicht gestört oder behindert werden dürfen.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts steht dem Betriebsrat bei einer Störung oder Behinderung seiner Arbeit durch den Arbeitgeber ein Unterlassungsanspruch zu. Ein solcher Anspruch folgt aus dem Zweck der Vorschrift, die Erfüllung von Betriebsratsaufgaben zu sichern (BAG, Beschluss vom 04.12.2013 - 7 ABR 7/12; LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24.08.2020 - 12 TaBVGa 1015/20). Damit der Betriebsrat seine Aufgaben erfüllen kann, muss er die Unterlassung von Störungen der Tätigkeit seiner Mitglieder geltend machen können. Die Durchführung der Sitzungen und die Teilnahme daran zählen zu der geschützten Tätigkeit der Betriebsratsmitglieder. Die Untersagung der Sitzung kann grundsätzlich eine Störung und Behinderung darstellen, weil diese Unsicherheiten über die Zulässigkeit der Sitzungstätigkeit und die diesbezüglichen Befugnisse der Arbeitgeberin begründen kann. Es besteht die Gefahr, dass Mitglieder im Hinblick auf die Untersagung nicht an der Sitzung teilnehmen (LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24.08.2020 - 12 TaBVGa 1015/20).
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bb) Allerdings gilt dies nicht in dem hier zu entscheidenden Einzelfall. Es besteht vorliegend - anders als in dem vom LAG Berlin-Brandenburg entschiedenen Fall, dass der Betriebsrat in einer ganz bestimmten Sitzung geheime Wahlen im Gremium durchzuführen hat - kein besonderer Anlass, die Regelsitzungen des Betriebsrats im Dezember als Präsenzsitzungen durchzuführen. Er kann und hat auf die arbeitgeberseits unstreitig ermöglichte Durchführung der Sitzung im digitalen Wege auszuweichen, so wie er es bereits dreimal in jüngerer Vergangenheit zu Stande gebracht hat.
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Dies folgt nach Auffassung der Kammer aus dem richtigen Verständnis der Regelung in § 129 Abs. 1 Satz 1 BetrVG.
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(1) Ausgehend von der Regelung in § 33 Abs. 1 BetrVG, die besagt, dass die Beschlüsse des Betriebsrats von den anwesenden Mitgliedern gefasst werden, ist im Grundsatz davon auszugehen, dass das Betriebsverfassungsgesetz die Präsenzsitzungen als Regelfall vorsieht.
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(2) Die Durchführung von Betriebsratssitzungen als Telefon- oder Videokonferenz hat der Gesetzgeber erst im Laufe des Pandemiejahres 2020 neu geregelt. Danach können die Teilnahme an Sitzungen des Betriebsrats, Gesamtbetriebsrats und anderer Vertretungen mittels Video- und Telefonkonferenz erfolgen, wenn sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Die Vorschrift ist mit Wirkung zum 1. März 2020 in Kraft getreten. Die Regelung gilt in jedem Fall bis 31.12.2020 (Art. 19 Abs. 2, Abs. 6 i.V.m. Art. 6 Gesetz zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel und zur Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung vom 20. Mai 2020, BGBl 2020 I Seite 1044).
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Die Vorschrift des § 129 BetrVG will gerade der Situation um die COVID-19-Pandemie und den damit verbundenen Schwierigkeiten einer Präsenzsitzung Rechnung tragen. Es soll Rechtssicherheit für diese Ausnahmesituation geschaffen und es den Arbeitnehmervertretungen ermöglicht werden, Sitzungen und Beschlussfassungen mittels Video- und Telefonkonferenz einschließlich online gestützter Anwendungen durchzuführen (BT-Drs. 19/18753, S. 28). Hintergrund ist, dass eine Beschlussfassung im Umlaufverfahren oder aufgrund telefonischer Beratung bzw. Videokonferenz grundsätzlich für unzulässig erachtet wird (vgl. zu Vorstehendem zutreffend: LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24.08.2020 - 12 TaBVGa 1015/20).
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(3) Die Norm des § 129 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist dabei zwar als „Kann“-Vorschrift ausgestaltet, was dem Betriebsratsvorsitzenden, der die Sitzungen einberuft, grundsätzlich ein Ermessen einräumt. Dieses Ermessen ist aber pflichtgemäß auszuüben. Treten besondere Umstände hinzu, kann sich das Ermessen auch auf null reduzieren mit der Folge, dass der Betriebsrat im zeitlichen Geltungsbereich des § 129 BetrVG verpflichtet ist, von den dort vorgesehenen technischen bzw. digitalen Möglichkeiten Gebrauch zu machen, wenn solche zur Verfügung gestellt sind und es der Sitzungsinhalt zulässt. Das ist hier im Ergebnis der Fall. Eine problematische Sonderkonstellation, wie etwa geheime Wahlen innerhalb einer Betriebsratssitzung, für die allein (!) das LAG Berlin-Brandenburg einen Anspruch des Gesamtbetriebsrats auf Präsenzsitzungen trotz der Pandemie-Lage angenommen hat, sind vorliegend nicht Gegenstand der avisierten Sitzungstermine im Dezember 2020.
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(aa) Dass der Betriebsrat bei der Wahl der Sitzungsgegebenheiten betriebliche Belange des Arbeitgebers nicht völlig ausblenden kann, zeigt etwa auch ein Querblick zu § 30 Satz 2 BetrVG, der - zumindest für die Frage des Zeitpunktes der Sitzungen - vorgibt, dass der Betriebsrat auf die betrieblichen Notwendigkeiten Rücksicht zu nehmen hat. Ganz allgemein sieht die Kammer die Ermessensvorschrift des § 129 Abs. 1 Satz 1 BetrVG aber auch im Lichte des das gesamte Betriebsverfassungsrecht beherrschenden Grundsatzes der vertrauensvollen Zusammenarbeit der Betriebspartner, vgl. § 2 Abs. 1 BetrVG. Wenn der Arbeitgeber in dieser - nie dagewesenen - Hochzeit einer weltweit grassierenden Virus-Pandemie zum Schutz der teils mehrfachbehinderten Bewohner, der Mitarbeitenden und deren Familien und damit letztlich auch der Mitglieder des Betriebsrates selbst aus nachvollziehbaren Gründen eine einrichtungsübergreifende Zusammenkunft von Personen untersagt, ist weder rechtlich noch aus Vernunftsgründen einsichtig, weshalb der Betriebsrat dennoch auf Präsenzsitzungen pochen können sollte.
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Dafür kann dahinstehen, ob es im November Arbeitssicherheitsbegehungen mit mehreren Personen in Einrichtungen der Beteiligten zu 2) gegeben hat, zumal dieser Zeitraum nicht deckungsgleich mit dem beantragten Zeitraum ist. Etwaige von der Berufsgenossenschaft gerade in der Corona-Zeit geforderte Arbeitssicherheitsbegehungen sind nicht vergleichbar mit Sitzungen des Betriebsrats, die ohne weiteres auch digital abgehalten werden können, wie es der Betriebsrat selbst ja bereits dreimal unter Beweis gestellt hat. Die Kammer kann erfassen, dass die Durchführung der Betriebsratssitzungen in digitaler Form mit leichteren Erschwernissen in der Kommunikation verbunden sein mag. Unüberwindbare Hindernisse hat der Antragsteller jedoch weder schriftsätzlich noch in der mündlichen Anhörung vor der Kammer vorgetragen. In Not- und Eilfällen mag der Arbeitgeber derartige Konzepte auch einseitig bestimmen können. Wenn man das für den vorherrschenden Pandemiefall nicht als Ausnahme anerkennen wollte, bliebe die Frage nach der Rechtsfolge eines Verstoßes in einem solchen besonderen Fall (vgl. Joussen, Der Verzicht des Betriebsrats auf seine Mitbestimmungsrechte, RdA 2005, 31 m.w.Nw.). Dies abschließend zu klären ist nicht Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes.
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(bb) Dazu kommt der Fakt, dass die Regierung angesichts der steigenden Infektions- und Todeszahlen in der Bevölkerung die Maßnahmen und Einschränkungen zur Bekämpfung des Virus fortlaufend verstärkt. Dabei sind gerade die vulnerablen Bevölkerungsgruppen im Fokus des Schutzes. Aktuell werden die Anforderungen für das Betreten von Altenheimen, Krankenhäusern und Behinderteneinrichtungen erneut erhöht, um eine Ausbreitung des Virus in diesen Bereichen sowohl bei Mitarbeitern als auch bei den schutzbedürftigen Bewohnern bzw. Patienten möglichst einzudämmen. Dabei waren zum Entscheidungszeitpunkt nach Regierungsverordnung (§ 3 Abs. 1 der 9. BayIfSMV vom 30.11.2020, BayMBl. 2020 Nr. 683) auch außerhalb der genannten kritischen Einrichtungen nur Treffen mit einem weiteren Hausstand und insgesamt fünf Personen zugelassen. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass die von der Regierung erlassenen Vorgaben nur für den privaten und öffentlichen Bereich direkt gelten und der Arbeitsbereich eine davon zu trennende Sphäre darstellt. Allerdings dürfte vor diesem gesellschaftlichen Gesamthintergrund für vernunftsgetragene Menschen einsichtig sein, dass eine Zusammenkunft von acht Betriebsratsmitgliedern aus acht verschiedenen Haushalten und sechs verschiedenen Wohnheimen für Menschen mit Behinderungen an vier Terminen in der Hochphase der Pandemie ohne inhaltlich zwingende Hintergründe kein angebrachtes Ergebnis darstellte. Allein die Gefahr, dass die Betriebsratsmitglieder sich untereinander anstecken und das Virus am Ende in sechs unterschiedliche Einrichtungen ver- und einschleppen, ist untragbar. Die Kammer wird dem Ansinnen des Betriebsrats, der eine solche Gefahr offenbar sehenden Auges eingehen möchte, keinen Vorschub leisten. Die Untersagung der Arbeitgeberin ist sicher zu gegebener Zeit bei verändertem Infektionsgeschehen oder erfolgter Durchimpfung zu überdenken. Das gesteht diese auch unumwunden zu. Zum Entscheidungszeitpunkt aber ist die arbeitgeberseits getroffene Entscheidung aus Kammersicht nachvollziehbar und alternativlos.
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c) Da keine weiteren tragfähigen Anspruchsgrundlagen für die begehrte Unterlassungsbefriedigungsverfügung des Betriebsrats vorgetragen oder sonst ersichtlich sind, war der Antrag zurückzuweisen. Auf das Vorliegen eines Verfügungsgrundes, der sich aufgrund des Zeitablaufs für die Dezembersitzungen aufdrängt, kommt es im Ergebnis nicht mehr entscheidend an.
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3. Eine Kostenentscheidung war im Hinblick auf § 2 Abs. 2 GKG in Verbindung mit § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG nicht veranlasst.