Inhalt

SG Nürnberg, Endurteil v. 16.10.2020 – S 4 BA 76/19
Titel:

Selbstständigkeit eines Physiotherapeuten in fremder Praxis

Normenketten:
SGB IV § 7 Abs. 1, § 7a
SGB V § 124 Abs. 1, § 155
Leitsätze:
1. Für einen in fremder Praxis als freier Mitarbeiter tätigen Physiotherapeuten folgt aus dem Leistungserbringerrecht des SGB V keine entscheidende Weisungsbefugnis mit entsprechender Eingliederung. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ausschlaggebend für die Selbstständigkeit ist die Behandlung nur eigener Patienten, die Führung eines eigenen Terminkalenders sowie eigener Patientenkarten. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Scheinselbstständigkeit, freie Mitarbeit, Beschäftigungsverhältnis, Physiotherapeut, Leistungserbringerrecht, fehlende Abrechnungsbefugnis, eigene Patienten, eigener Terminkalender, eigene Patientenkarten, Gesamtabwägung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 40024

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 28.02.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.09.2019 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 23.07.2020 wird aufgehoben.
II. Es wird festgestellt, dass der Kläger die Tätigkeit für die Beigeladene zu 1) in der Zeit ab dem 01.02.2018 nicht im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses, sondern als Selbstständiger ausübt und insoweit nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegt.
III. Die Beklagte hat dem Kläger vollumfänglich dessen notwendige außergerichtliche Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger in der Zeit ab dem 01.02.2018 aufgrund seiner in der Praxis der Beigeladenen zu 1) verrichteten Tätigkeit als Physiotherapeut der Sozialversicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegt.
2
Der Kläger und die Inhaber der Beigeladenen zu 1) sind von Beruf Physiotherapeuten. Letztere betreiben eine Physiotherapiepraxis gemäß § 124 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) und verfügen über eine Krankenkassenzulassung als Heilmittelerbringer. Bis zum 31.12.2019 firmierte die Praxis der Beigeladenen zu 1) unter dem Namen „D. “. Die Beigeladene zu 1) hatte bis dato eine Mitarbeiterin. Diese ist seit Anfang 2020 Teilhaberin der Praxis. Die Praxis firmiert seither unter dem Namen „D.“. Sie verfügt über vier Behandlungsräume. Als behandelnde Physiotherapeuten sind auf der Homepage der Praxis ausschließlich Frau I., Herr H. und Frau G. aufgeführt (https://….html.). Der Name des Klägers ist auf der Homepage an keiner Stelle genannt.
3
Der Kläger betreibt seit 2015 als selbstständiger Physiotherapeut in A-Stadt eine Privatpraxis und firmiert unter dem Namen „Privatpraxis für Physiotherapie - A..“. Er behandelt dort Privatpatienten und Selbstzahler. Über eine eigene Krankenkassenzulassung verfügt er mangels passender Deckenhöhe der Räumlichkeiten in seiner Praxis nicht. Er betreibt eine eigene Homepage (https://www…..de/). Da der Kläger auch vereinzelt gesetzlich Versicherte, die er selbst in einem Tanzverein und im privaten Umfeld akquirierte, abrechnen wollte, schloss er zunächst unter dem 01.02.2017 mit der Beigeladenen zu 1) einen Arbeitsvertrag auf 450,00 € - Basis. Als wöchentliche Arbeitszeit waren sieben Stunden mit einem Stundenlohn von 15,00 € vereinbart. Der Arbeitsvertrag wurde zum 31.12.2017 gekündigt.
4
Unter dem 01.02.2018 schlossen der Kläger und die Beigeladene zu 1.) einen Dienstleistungsvertrag. Dieser enthält unter anderem folgende Regelungen:
„1. Aufgabenstellung“
Der freie Mitarbeiter ist als selbstständiger Physiotherapeut für die Praxis tätig. Er erbringt physiotherapeutische Leistungen nach Maßgabe der ärztlichen Verordnung; dabei führt er die von ihm übernommenen Behandlungsserien vollständig und in eigener Verantwortung durch.
Sämtliche Behandlungsleistungen sind von dem freien Mitarbeiter fachgerecht zu erbringen. Betreffend die von ihm behandelten Patienten erfüllte der freie Mitarbeiter auch sämtliche Verwaltungsaufgaben, soweit sie nicht von der Praxis übernommen werden.
(…)
2. Selbstständige Berufsausübung
Der freie Mitarbeiter teilt seine Tätigkeitszeiten nach eigenem Ermessen ein; er bestimmt selbst und frei seine Tätigkeitsund Abwesenheitszeiten. Er ist nicht weisungsgebunden und unterliegt nicht den allgemeinen Praxisregeln, die für Angestellte Geltung haben.
Der freie Mitarbeiter ist nicht verpflichtet, bestimmte Patienten bzw. Behandlungsserien zu übernehmen. Für die von ihm übernommenen Patienten vergibt er selbst die Behandlungstermine. Die vereinbarten Behandlungstermine sind im Interesse der Patienten genau einzuhalten.
Im Fall einer ursprünglich nicht vorgesehenen Praxisabwesenheit ist der freie Mitarbeiter dafür verantwortlich, dass die Patienten ab- oder umbestellt werden. Zuvor ist die Praxis von der bevorstehenden Nichteinhaltung bereits vereinbarter Behandlungstermine rechtzeitig zu verständigen.
Die für seine Tätigkeit notwendigen Karteikarten bzw. einen notwendigen Karteikasten bringt der freie Mitarbeiter nach Absprache mit der Praxis selbst auf eigene Kosten bei; das gilt auch für etwa von ihm verwendete Stempel. Der freie Mitarbeiter arbeitet mit eigenen Visitenkarten, eigenem Briefpapier und ist berechtigt, für seine freiberuflichen Leistungen in der Praxis - soweit gesetzlich zulässig - Werbung zu betreiben (…).
3. Vergütung/Abrechnung
3.1 Der freie Mitarbeiter erhält als Gegenleistung für seine freiberufliche Tätigkeit in der Praxis 70% der durch seine Therapietätigkeit in der Praxis eingehenden Beträge. 100% der Hausbesuche bzw. Kilometergebühr.
Aus der monatlich zu erstellenden Rechnung müssen die erbrachten Leistungen eindeutig ersichtlich sein. (…).
3.4 Die Zuzahlungen, die die von dem freien Mitarbeiter behandelten Patienten betreffen, verbleiben in der Praxis (…).
3.6 Die Begleichung des Honorars des freien Mitarbeiters erfolgt unter Vorbehalt. Die Parteien sind sich darüber einig, dass vom Abrechnungsunternehmen oder den gesetzlichen Krankenkassen nicht bezahlte Therapietätigkeiten zu Lasten des freien Mitarbeiters gehen. Der freie Mitarbeiter trägt infolgedessen das hieraus resultierende Unternehmerrisiko, das sich unter anderem darin ausdrückt, dass die Praxis zwischen Abrechnung und Auszahlungsbetrag entstehende Differenzen von dem freien Mitarbeiter zurückverlangen kann.
3.7. Der freie Mitarbeiter ist berechtigt, die von ihm behandelten Privatpatienten selbst mit eigenem Briefkopf und eigenen Rechnungsformularen abzurechnen. Der freie Mitarbeiter ist verpflichtet, monatlich die Rechnungsfotokopien der Praxis zur Verfügung zu stellen. Erfolgt eine derartige Abrechnung des freien Mitarbeiters, sind von den eingenommenen Beträgen 30% bei der monatlichen Abrechnung des freien Mitarbeiters der Praxis gegenüber als Abzugsposten zu berücksichtigen.
3.8. Der freie Mitarbeiter garantiert der Praxis einen Mindestumsatz durch seine Tätigkeit in Höhe von € 150 pro Quartal. Soweit der geschuldete Mindestumsatz unterschritten wird, hat der freie Mitarbeiter der Praxis den oben bezeichneten Mindestumsatz abzüglich eines Anteils von 30% zu erstatten.(…)
5
Unter Berücksichtigung dieser vertraglichen Regelungen wurde und wird das Vertragsverhältnis in tatsächlicher Hinsicht nach wie vor dergestalt gelebt, als dass der Kläger selbst mit den ausschließlich von ihm akquirierten Patienten Behandlungstermine in den Räumlichkeiten der Beigeladenen zu 1) vereinbart. Eine Vermittlung von Patienten durch die Beigeladene zu 1) erfolgt nicht. Eine vorherige Raumbuchung erfolgt ebenso wenig wie eine Vorgabe der zu nutzenden Behandlungsräume. Die Beigeladene zu 1) ist darüber informiert, dass der Kläger üblicherweise Mittwoch Nachmittag seine Patienten behandelt. Er belegt dann den Raum, der gerade frei ist. Sofern bestimmte Therapien mit speziellen Behandlungskriterien einen bestimmten Raum vereinzelt erfordern, erfolgt eine Absprache mit der Beigeladenen zu 1). Im Falle krankheitsbedingten Ausfalls des Klägers ruft dieser seine Patienten selbst an und verschiebt den Termin auf einen anderen Tag. Eine Vertretung durch die Inhaber der Beilgeladenen zu 1) erfolgt in diesem Fall nicht. Der Kläger verfügt zudem über einen eigenen Terminplan und eine eigene Kontaktliste. Der Terminplan oder die Kontaktlisten der Beigeladenen zu 1) werden nicht genutzt. In den Räumlichkeiten der Beigeladenen zu 1) bewahrt er seine Patientenkartei separiert von der der Beigeladenen zu 1) auf. Für die Behandlungen benutzt er eigene Arbeitsmaterialien, Arbeitskleidung und Auflagetücher, die sich farblich von denen der Beigeladenen zu 1) unterscheiden. Seitens des Beigeladenen zu 1) gebraucht er die Behandlungsliegen und vereinzelt größere Therapiegeräte, z.B. eine Sprossenwand.
6
Die Abrechnungsmodalitäten bei gesetzlich Versicherten erfolgen in tatsächlicher Hinsicht ausgehend von der vertraglichen Regelung dergestalt, als dass der Kläger gegenüber der Beigeladenen zu 1) monatlich Rechnungen schreibt. Er stellt dabei für in der Praxis und im Wege eines Hausbesuches behandelte Patienten 70% in Rechnung, die für Hausbesuche anfallende Anfahrtspauschale zu 100%. Die Behandlung werden dabei in den Rechnungen mit einem Faktor von 0,7 in Rechnung gestellt, die Anfahrtspauschale mit 1,0. Bei der Anfahrtspauschale handelt es sich ausschließlich um die Pauschale, die die Krankenkassen gewähren. Diese wird 1:1 an den Kläger weitergegeben, verbleibt dem Kläger also in voller Höhe. Eine gesonderte Kilometerpauschale wird seitens der Beigeladenen zu 1) nicht gewährt. Die Abrechnung für die Abrechnungsstelle wiederum, deren Einreichung vor dem Hintergrund des § 124 SGB V der Beigeladenen zu 1) obliegt, macht der Kläger selbst fertig, setzt den Stempel der Praxis darauf und unterschreibt sodann die Abrechnung. Der Beigeladene zu 1) nimmt sodann die Abrechnung gegenüber der Abrechnungsstelle vor. Für vereinzelt in den Räumlichkeiten der Beigeladenen zu 1) behandelte Privatpatienten schreibt der Kläger die Rechnungen direkt an diese unter Berücksichtigung von 3.7 des Dienstleistungsvertrages. Ihm obliegt insoweit auch das Forderungsmanagement.
7
Der Kläger stellte am 19.11.2018 bei der Beklagten einen Antrag auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status gemäß § 7a Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV); es sollte festgestellt werden, dass eine versicherungspflichtige Beschäftigung nicht vorliege.
8
Nach Anhörung des Klägers und der Beigeladenen zu 1) stellte die Beklagte mit an die Klägerin und die Beigeladene zu 1) gerichteten Bescheiden vom 28.02.2019 fest, dass die seitens des Klägers als Physiotherapeut in den Räumlichkeiten der Beigeladenen zu 1) ausgeübte Tätigkeit im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde und dass er deshalb ab dem 01.02.2018 der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliege. Nach Gesamtwürdigung aller zur Beurteilung der Tätigkeit relevanten Tatsachen würden die Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis überwiegen. Der Kläger sei zwar nicht zur Vertretung andere Mitarbeiter verpflichtet, könne seine Arbeitszeit frei gestalten und unterliege keinerlei Weisungen. Für eine abhängige Beschäftigung sprächen jedoch das Urteil des Bundessozialgerichts vom 24.03.2016, Az. B 12 KR 20/14 R sowie der Umstand, dass der Kläger denselben Betriebszweck wie die Beigeladene zu 1.) erfülle. Daneben bestünde kein unternehmerisches Risiko, die persönliche Leistungserbringung sei die Regel. Die Tätigkeit werde in der Praxis und somit in einer fremdbestimmten Arbeitsorganisation ausgeübt, es bestünde keine Betriebskostenbeteiligung bei der Beigeladenen zu 1.). Zwischen den Kassenpatienten und dem Kläger bestünde keine vertragliche Beziehung, Vertragspartner sei ausschließlich die Beigeladene zu 1.). Die Tätigkeit für die gesetzlich versicherten Patienten würde aufgrund fehlender eigener Kassenzulassung stets mit der Praxis abgerechnet. Zudem sei er vorher bei der Beigeladenen zu 1.) abhängig beschäftigt gewesen.
9
Der hiergegen eingelegte Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 23.09.2019 zurückgewiesen. Zur Begründung führte die Beklagte unter anderem aus, dass bei Physiotherapeuten, die ihre Leistungen in einer fremden, zur Leistungserbringung nach § 124 SGB V zugelassenen Praxis erbringen, in der Regel abhängig beschäftigt seien. Das Bundessozialgericht habe in seiner Entscheidung vom 24.03.2016 das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung für den entsprechenden Personenkreis bestätigt. Es lägen im Falle des Klägers zwar auch Merkmale einer selbstständigen Tätigkeit vor, die Gesamtwürdigung spreche jedoch für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis. Die rechtlichen Bindungen, die nach dem Zulassungsrecht zu beachten seien, seien ein Indiz dafür, wie die Beziehungen zu den in der Praxis tätigen Mitarbeitern zu regeln seien. Die Vorgaben des Leistungserbringungsgerichts könnten somit bei der Beurteilung des Bestehens eines Beschäftigungsverhältnisses nicht außer Acht gelassen werden, denn nach der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gehörten zu den tatsächlichen Verhältnissen eben auch die rechtlich relevanten Umstände. Die nach § 124 SGB V zugelassenen Leistungserbringer bzw. Praxisinhaber treten gegenüber den Patienten als Heilmittelerbringende der jeweiligen Krankenkasse auf, sie rechnen die erbrachten Heilmittel gegenüber der jeweiligen Krankenkasse ab und treten nach außen als verantwortliche Praxisbetreiber auf. Sie tragen damit das Risiko des wirtschaftlichen Praxisbetriebes. Dem Auftraggeber sei aufgrund dieser Regelungen die Verantwortung und Entscheidung für alle physiotherapeutischen Leistungen, die in seiner Praxis erbracht werden und die über ihn abgerechnet werden, zuzurechnen. Die rechtliche Ausgestaltung der Beziehung sei durch die zwingenden Vorgaben des Leistungserbringungsrechts definiert, welches der Beigeladenen zu 1.) als dem zugelassenen Leistungserbringer die Verantwortung für die von ihm abgerechneten Leistungen zuweise. Dementsprechend komme der Beigeladenen zu 1.) auch eine entscheidende Weisungs- und Entscheidungsbefugnis zu und der Kläger sei dadurch in die vorgegebene Arbeitsorganisation eingegliedert.
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Hiergegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 18.10.2019 Klage zum … erhoben. Zur Begründung seiner Klage verweist er auf sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren. Nach gerichtlicher Anfrage zum Ausschluss der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung vor dem Hintergrund der Regelung des § 5 Abs. 5 SGB V hat die Beklagte unter dem 23.07.2020 einen entsprechenden Änderungsbescheid erlassen und festgestellt, dass keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung besteht.
11
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 28.02.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.09.2019 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 23.07.2020 aufzuheben und festzustellen, dass der Kläger seine Tätigkeit für die Beigeladene zu 1) ab dem 01.02.2018 nicht im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses, sondern als Selbstständiger ausübt und insoweit nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegt.
12
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
13
Die Beigeladenen stellen keine Anträge.
14
Das Gericht hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 16.10.2020 den Kläger und die Inhaber der Beigeladenen zu 1) befragt. Der vor der streitbefangenen Tätigkeit geschlossene Arbeitsvertrag sei von vornherein beidseitig auf kurze Dauer angelegt gewesen. Es habe von vornherein festgestanden, dass der Kläger langfristig als freier Mitarbeiter tätig sein wollte. Der Arbeitsvertrag sei zunächst nur deshalb geschlossen worden, weil er mit seiner Privatpraxis umgezogen sei und weil er sich über die Modalitäten der freien Mitarbeit ausreichend informieren wollte. Dies habe eines entsprechenden zeitlichen Vorlaufs bedurft. Das Vertragsverhältnis mit der Beigeladenen zu 1.) habe sich dadurch angebahnt, dass er aufgrund seiner Betreuung einer Tanzgruppe und aufgrund von Anfragen gesetzlich versicherter Bekannter eine Praxis mit Krankenkassenzulassung gesucht habe, damit er gesetzlich Versicherte behandeln könne. Da die Patienten vorwiegend in N. wohnen, vereinbart er die Termine mit diesen in den Räumlichkeiten der Beigeladenen zu 1). Die Terminvergabe erfolge über ihn. Eine Patientenvermittlung über die Beigeladene zu 1) finde nicht statt. Von Seiten der Beigeladenen zu 1) erhalte er keine Anfahrtspauschale. Der Vertrag sei insoweit missverständlich formuliert. Er erhalte die Pauschale, die die Krankenkassen gewähren. Eine gesonderte Kilometerpauschale werde seitens der Beigeladenen zu 1) nicht gewährt. Auf die weiteren protokollierten Ausführungen wird Bezug genommen.
15
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogenen Verwaltungs- und die Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet. Die Bescheide der Beklagten vom 28.02.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.09.2019 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 23.07.2020 sind rechtswidrig. Denn mit diesen stellt die Beklagte zu Unrecht das Vorliegen von Versicherungspflicht - zuletzt in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung - aufgrund des Bestehens eines Beschäftigungsverhältnisses fest. Der Bescheid vom 23.07.2020 wurde dabei Gegenstand des Verfahrens, § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG), so dass auch über diesen mit zu befinden ist.
I.)
17
Gemäß § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV können die Beteiligten schriftlich eine Entscheidung beantragen, ob eine Beschäftigung vorliegt, es sei denn, die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger hatte im Zeitpunkt der Antragsstellung bereits ein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet. Über den Antrag entscheidet abweichend von § 28h Abs. 2 SGB IV die … (§ 7a Abs. 1 Satz 3 SGB IV). Der Kläger hat sich für das (fakultative) Anfrageverfahren bei der Beklagten (Clearing-Stelle) nach § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV entschieden. Ein vorrangiges Verfahren bei der Einzugs- oder der Prüfstelle war nicht eingeleitet worden und ist aus den Akten auch nicht ersichtlich.
18
Nach § 7a Abs. 2 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) entscheidet die Beklagte im Rahmen eines Anfrageverfahrens auf Grund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles, ob eine abhängige Beschäftigung vorliegt. Nach Auffassung des Bundessozialgerichtes - BSG - (Urteil vom 11.03.2009, Az.: B 12 R 11/07 R) findet dabei keine isolierte Feststellung des Vorliegens einer abhängigen Beschäftigung, sondern zugleich eine Entscheidung über die Versicherungspflicht in den Zweigen der Sozialversicherung statt.
19
Gemäß § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) und § 25 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) sind Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung versicherungspflichtig.
20
Ausgangspunkt für die Beurteilung des Vorliegens einer Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Tätigkeit und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (vgl. BSG, Urteil vom 30.10.2013, Az. B 12 KR 17/11 R, Rn. 23, juris, m.w.N.). Ob eine wertende Zuordnung zum Typus der Beschäftigung gerechtfertigt ist, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist (vgl. BSG SozR 4-2400, § 7 Nr. 21 Rn. 14; SozR 4-2400, § 7 Nr.17, Rn. 16 m.w.N.).
21
Die Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung bzw. selbstständigen Tätigkeit setzt dabei voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, das heißt den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei, gegeneinander abgewogen werden (BSG SozR 4-2400 § 7 Nr. 15 Rn 25 ff.). Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder es sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zur ursprünglich getroffenen Vereinbarung stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht (BSG SozR 3-2400 § 7 Nr. 4; SozR 3-4100 § 168 Nr. 18). In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen (BSGE 45, 199, 200 ff; BSG SozR 3-2400 § 7 Nr. 13; BSGE 87, 53, 56). Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist (vergleiche hierzu insgesamt BSG, SozR 4-2400 § 7 Nr. 7 Rdnr. 17, 25.01.2006, B 12 KR 30/04 R; 28.05.2008, B 12 KR 13/07 R).
22
Ausgehend von diesen Grundsätzen und unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls sprechen nach Überzeugung der erkennenden Kammer die weit überwiegenden Umstände dafür, dass der Kläger seit dem 01.02.2018 seine Tätigkeit in den Praxisräumen der Beigeladenen zu 1.) nicht im Rahmen eines abhängigen, dem Grunde nach sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ausübt, sondern dass die am Vertragsverhältnis Beteiligten zu Recht von einer selbständigen Tätigkeit ausgehen. Insoweit ist genau zu differenzieren zwischen seiner „normalen“ selbstständigen Tätigkeit in seiner Privatpraxis in A-Stadt und zwischen der hier streitbefangenen Tätigkeit in den Räumlichkeiten der Beigeladenen zu 1.). Nur letztere ist Beurteilungsmaßstab für das Gericht.
23
Rechtliche Grundlage für die Tätigkeit des Klägers war der mit der Beigeladenen zu 1.) am 01.02.2018 geschlossene Dienstleistungsvertrag. Danach vergibt der Kläger die Behandlungstermine für die von ihm übernommenen Patienten selbst. Diese Regelung stand auch in Übereinstimmung mit der tatsächlich durchgeführten Patienteneinbestellung.
24
Der Vertrag sagt zunächst nichts darüber aus, wie der Erstkontakt und die Patientenakquise zustande kommt. Nach den übereinstimmenden und für die Kammer durchweg überzeugenden und vom Beklagtenvertreter im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht bestrittenen Angaben der Beteiligten hat der Kläger die Erstterminierung (neben der Terminierung von Folgebehandlungen) selbst vorgenommen. Eine Patientenakquise über die Beigeladene zu 1.) erfolgte ebenso wenig wie eine Vergabe eines Ersttermins. Der Erstkontakt zu den Patienten fand damit ausschließlich über den Kläger statt. Seinen Patientenstamm hat der Kläger - wie er im Rahmen der mündlichen Verhandlung erläutert hat - selbst über seine Tätigkeit im Tanzverein und über private Kontakte aufgebaut. Da diese Patienten in N. wohnen und weitgehend gesetzlich versichert sind, nutzt er die Räumlichkeiten der Beigeladenen zu 1.), wobei er auch im Rahmen von Hausbesuchen behandelt. Auch ist aus der Homepage des Beigeladenen zu 1.) nicht ersichtlich, dass in deren Namen Behandlungen des Klägers stattfinden. Dieser wieder an keiner Stelle erwähnt.
25
Die Kläger führt darüber hinaus einen eigenen Terminkalender und entsprechend der vertraglichen Regelung eine eigene Patientenkartei. Der Kläger tritt zudem selbst am Markt auf und betreibt eigene Werbung mit eigenen Visitenkarten. Er akquiriert seine Patienten selbst. Er hat keine festen Arbeitszeiten und ihm steht es entsprechend der vertraglichen Regelung frei, wann er die Patienten behandelt. Der Umstand, dass er nur mittwochs aufgrund der Tätigkeit in seiner eigenen Privatpraxis Patienten in den Räumlichkeiten der Beigeladenen zu 1) behandelt ist gerade Ausfluss seiner freien Zeiteinteilung. Genau so gut könnte er Patienten montags oder mehrmals pro Woche bei der Beigeladenen zu 1.) behandeln. Ein Raumbuchungssystem besteht nicht. Er sucht sich vielmehr einen freien Raum aus. Sofern es vereinzelt zu Absprachen kommt, z.B. wenn der Behandlungsraum mit der Sprossenwand benötigt wird, so stellt dies gerade keine Vorgabe von Seiten der Beigeladenen zu 1.) dar. Dies ist vielmehr Ausfluss üblicher Rücksichtnahmepflichten im Rahmen eines Vertragsverhältnisses. Nur weil der Kläger vereinzelt ankündigt, an einem bestimmten Tag einen bestimmten Raum zu benötigen, so kann daraus nicht ein Kriterium für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis hergeleitet werden. Hinzu kommt, dass eine vorherige Absprache bezüglich eines bestimmten Raumes nur vereinzelt und damit in untergeordnetem Umfang erfolgt. Zudem gilt es zu berücksichtigen, dass die Vergütung in Höhe von 70% frei verhandelt wurde. Der Kläger hat insoweit ergänzend im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass es ihm sehr wichtig gewesen sei, auch die seitens der Krankenkasse gezahlte Pauschale zu erhalten. Eine Vorgabe der Vergütung von Seiten der Beigeladenen zu 1.) erfolgt nicht.
26
Der Kläger ist ferner bei der Ausübung seiner Tätigkeit - wie in Nr. 1 und Nr. 3 des Vertrags vereinbart und auch tatsächlich so ausgeführt - nicht weisungsgebunden und unterliegt nicht den allgemeinen Praxisregelungen. Es besteht kein Weisungsrecht sowohl hinsichtlich fachlicher Weisungen als auch bezüglich Zeitpunkt, Lage und Dauer der Tätigkeit. Denn er kann seine Behandlungstermine selbst bestimmen. Der Kläger muss sich im Krankheitsfall auch nicht abmelden. Er informierte die Beigeladene zu 1.) lediglich, da der mittwochs belegte Behandlungsraum dann frei wird. In diesem Fall erfolgt eine Terminabsage durch den Kläger von zu Hause aus, wo er neben der gesondert der Praxis aufbewahrten Patientenkartei eine gesonderte Liste mit den Patientendaten führt. Eine wechselseitige Vertretung und bei Urlaub und Krankheit findet faktisch und wann nur im äußersten Notfall statt. Zudem verfügt er über kleinere eigene Arbeitsmittel und bringt seine Handtücher, die sich farblich von denen der Beigeladenen zu 1.) unterscheiden, selbst mit.
27
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger wegen der Regelungen des Leistungserbringungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mit den Kostenträgern direkt abrechnen kann. Nach § 124 Abs. 1 SGB V dürfen Heilmittel, die als Dienstleistungen abgegeben werden, insbesondere unter anderem Leistungen der Physiotherapie, an Versicherte der GKV nur von zugelassenen Leistungserbringern abgegeben werden. Der für das Recht der Leistungserbringung in den GKV zuständige Fachsenat des BSG hat dazu für die ab 1989 geltende Rechtslage entschieden, dass diese Bestimmungen sowie die weiteren Regelungen des Leistungserbringerrechts des SGB V (§§ 155 ff. SGB V) einer Heilmittelabgabe durch freie Mitarbeiter des zugelassenen Leistungserbringers nicht entgegenstehen (BSG, SozR 3-2400 § 124 Nr. 1 S. 4 ff.). Durch die Änderungen des SGB V hat sich an dieser Rechtslage nichts geändert. Auch gilt es zu beachten, dass die Regelungen ausschließlich das Verhältnis zwischen Krankenkasse und zugelassenem Leistungserbringer betreffen. Der Regelung des Leistungserbringerrechts in § 124 Abs. 1 SGB V fehlt demgegenüber eine über das Leistungs- und Leistungserbringerrecht der GKV hinausgehende „übergeordnete“ Wirkung auch bezogen auf die sozialversicherungs- und beitragsrechtliche Rechtslage betreffend die im jeweiligen Einzelfall konkret zu beurteilende Tätigkeit, vgl. BSG, Urteil vom 24.03.2016, Az. B 12 KR 20/14 R, juris, Rn. 28. Es kann daher entgegen der im Widerspruchsbescheid zum Ausdruck kommenden Rechtsauffassung der Beklagten nicht der Schluss gezogen werden, dass aufgrund der Vorgaben des gesetzlichen Leistungserbringungsrechtes per se dem jeweiligen Auftraggeber - hier also der Beigeladenen zu 1.) - eine entscheidende Weisungsbefugnis zukäme mit der Folge entsprechender Eingliederung. Insoweit wird außer Acht gelassen, dass die Vorgaben des Leistungserbringungsrechtes zunächst nur das Verhältnis zwischen Krankenkasse und der Praxis betreffen. Daneben bedarf es einer gesonderte Beurteilung des Vertragsverhältnisses zwischen dem betroffenen Physiotherapeuten - hier dem Kläger - und der Praxis. Auch ist nach Auffassung der Kammer die Abrechnung der Beigeladenen zu 1) gegenüber der Abrechnungsstelle nur ein zu gewichtendes Merkmal (dazu siehe später), welches für die abhängige Beschäftigung spricht. Würde man hieraus eine Weisungsbefugnis der Beigeladenen zu 1.) abzuleiten, so würde man die weiteren vertraglichen Vereinbarungen und die tatsächlichen Verhältnisse weitgehend außen vor lassen, was einer Gesamtabwägung nicht gerecht werden würde. Warum die Beklagte aus dem Urteil des BSG vom 24.03.2016, aaO, etwas anderes ableiten will, erschließt sich der Kammer nicht. Insoweit hat dieses ausgeführt, vgl. BSG, aaO, Rn. 26: (…); es kann nicht angenommen werden, dass der Klägerin hierdurch auch eine entscheidende Weisungs- und Entscheidungsbefugnis zugekommen und die Beigeladene zu 1. deshalb in die von der Klägerin vorgegebene Arbeitsorganisation notwendig eingegliedert gewesen sei.
28
Entgegen der Auffassung der Beklagten hatte der Kläger auch ein Unternehmerrisiko zu tragen. Dieses ist dadurch gekennzeichnet, dass Kapital und Arbeitskraft eingesetzt werden, einerseits um größere Verdienstchancen zu haben, andererseits jedoch mit dem Risiko eines Verlusts des eingesetzten Kapitals oder ohne Vergütung aufgewandter Mittel. Zutreffend ist zwar, dass der Kläger kein ins Gewicht fallendes Kapital einzusetzen hatte. Dies wird jedoch wiederum relativiert durch die Art der Tätigkeit. Gerade im Bereich von Dienstleistungen, die vorwiegend durch die eigene Arbeitskraft geprägt sind, ist es aufgrund der Art der Tätigkeit üblich, dass kein nennenswerter Kapitaleinsatz erforderlich ist, z.B. bei Physiotherapeuten, Dolmetschern. Vorliegend hatte der Kläger jedenfalls das Risiko zu tragen, trotz Erbringung seiner Leistung keine Vergütung zu erhalten, wenn z. B. Leistungen erbracht wurden, die von der Krankenkasse nicht vergütet wurden, vgl. Ziff. 3.6 des Vertrages. Die Beigeladene zu 1.) hat auch in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass sie definitiv von dieser vertraglichen Klausel im Falle von Leistungsstörungen mit der Abrechnungsstelle gebraucht gemacht hätte. Unbeachtlich ist, in welchem Umfang sich dieses Risiko realisiert hat; maßgeblich ist vielmehr, dass es tatsächlich bestanden hat. Der Kläger hat zudem das Risiko zu tragen, dass Patienten nicht zur Behandlung erscheinen und er deshalb den Behandlungstermin nutzlos verstreichen lassen muss und nicht abrechnen kann. Insoweit hebt sich der Kläger auch von angestellte Physiotherapeuten ab. Denn diese werden auch für die Stunden bezahlt, in denen sie ihre Arbeitskraft vorhalten, die Patienten jedoch nicht erscheinen. Es besteht ein Entlohnungsanspruch von Arbeitnehmern bereits dann, wenn sie ihre Arbeitskraft anbieten, und nicht erst dann, wenn der Arbeitgeber dies auch annimmt. Der Arbeitgeber käme anderenfalls in Annahmeverzug mit der Folge, dass der Entlohnungsanspruch fortbesteht.
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Auch muss der Kläger ausweislich Ziff. 3.8 des Vertrages einen festen Mindestbetrag für die Nutzung der Ausstattung und der Räumlichkeiten an die Beigeladene zu 1) unabhängig von der tatsächlichen Nutzung zahlen. Aufgrund der getroffenen Vergütungsabrede entstehen dem Kläger Kosten, wenn er keine Einnahmen erzielt. Der Kläger hat daher mit der vereinbarten Vergütung laufende Kosten, die er unabhängig von seinem eigenen Tätigwerden mit dem Risiko des Verlustes einsetzen muss. Dies spricht ebenfalls für ein Unternehmerrisiko, wenn auch in finanziell geringem Umfang.
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Die vorstehend aufgeführten Merkmale sprechen nach Auffassung der Kammer für eine selbstständige Tätigkeit.
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Für eine abhängige Beschäftigung spricht demgegenüber, dass der Kläger die Räumlichkeiten und größere Arbeitsmaterialien, z.B. Sprossenwand der Beigeladenen zu 1.) zur Durchführung der Behandlungen nutzt. Dieser für eine abhängige Beschäftigung sprechende Gesichtspunkt wird jedoch wiederum dadurch relativiert, dass der Kläger für diese Nutzung der Räumlichkeiten nicht 100% der Krankenkassenvergütung, sondern nur 70% erhält. Insoweit könnte man in einem ersten Schritt genauso gut mit der Praxis eine 100%-Vergütung vereinbaren und sodann einen weiteren Mietvertrag über die Nutzung der Räumlichkeiten aufsetzen. Der Pauschalabzug von 30% dient daher der Vereinfachung und soll vorwiegend die Nutzungsmöglichkeit nebst Betriebskosten und die Leistungsabrechnung der Praxis gegenüber der Abrechnungsstelle abgelten.
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Ferner spricht der Umstand, dass ausschließlich die Beigeladene zu 1.) aufgrund der entsprechenden Zulassung gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen durfte, dafür dass der Kläger insoweit in den Betrieb der Beigeladenen zu 1.) eingegliedert ist. Der Kläger selbst hat keine Zulassung als Leistungserbringer, sondern allein die Beigeladene zu 1.). Diese ist Leistungserbringerin auf der Grundlage der zwischen dem Spitzenverband der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) und den maßgeblichen Spitzenorganisationen der Heilmittelerbringer abgeschlossenen Rahmenempfehlungen gem. § 125 Abs. 1 SGB V und den dazugehörigen Leistungsbeschreibungen. Nur die Beigeladene zu 1) ist befugt, die erbrachten Leistungen gegenüber den Leistungsträgern abzurechnen und damit zu erbringen. Es sind nach den Rahmenempfehlungen Vorgaben zum Datenschutz, organisatorische und personelle Voraussetzungen festgelegt. Bei Nichteinhaltung droht eine Verlust der Zulassung. Innerhalb dieses Leistungssystems erbringt der Kläger seine Leistungen für die Beigeladene zu 1) erbracht. Er war daher für die Ausübung seiner Tätigkeit auf die Eingliederung die Betriebsorganisation der Beigeladenen zu 1.) angewiesen. Insoweit ist eine Eingliederung gegeben.
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Diese Eingliederung bezieht sich aber nur auf die Abrechnung nach außen gegenüber Abrechnungsstelle, nicht jedoch auf die eigens akquirierten Patienten. Auch schlägt die fehlende Abrechnungsbefugnis des Klägers gegenüber der Abrechnungsstelle vorliegend nicht auf das Vertragsverhältnis dergestalt durch, als dass er dadurch Weisungen zeitlicher oder tatsächlicher Art in der Ausführung seiner Tätigkeit unterworfen ist. Die Beigeladene zu 1) erhält als Gegenleistung für die Durchführung der Abrechnung (und die Überlassung der Räumlichkeiten) 30% der Vergütung gegenüber der Abrechnungsstelle. Ansonsten schlägt sich deren Abrechnungsbefugnis nicht weiter auf das Vertragsverhältnis zum Kläger durch.
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Wenn und soweit die zudem Beklagte im Bescheid vom 28.02.2019 die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 24.03.2016, aaO, als Merkmal für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis wertet, so wird verkannt, dass die jeweils maßgeblichen Einzelfallumstände zu bewerten sind. Das Bundessozialgericht hat gerade nicht entschieden, dass Fallgruppen dergestalt zu bilden sind, als dass Physiotherapeuten generell abhängig beschäftigt sind. Denn zum einen muss es für jede berufliche Tätigkeit grundsätzlich möglich sein, sowohl abhängig beschäftigt, als auch freiberuflich tätig zu sein. Zum anderen führt das BSG, aaO, Rn. 30 aus (Unterstreichungen eingefügt):
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Auch frühere Rechtsprechung des 12. Senats des BSG zwingt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar hatte der Senat in seinem Urteil vom 14.9.1989 die Selbstständigkeit einer als „freien Mitarbeiterin“ eingesetzten Krankengymnastin bejaht (…). Maßgebend für die Beurteilung, ob Beschäftigung iS von § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV oder Selbstständigkeit vorliegt, sind jedoch - wie bereits oben unter A. 1. b) cc) (4) am Ende beschrieben - stets die konkreten Umstände des Einzelfalls. Die Umstände des seinerzeitigen Falles unterscheiden sich vom vorliegend zu entscheidenden Fall bereits wesentlich dadurch, dass die dortige Krankengymnastin „selbst Patienten angenommen“ hatte (…). Demgegenüber sprechen im vorliegenden Fall - wie dargelegt - gewichtige Umstände dafür, dass die Beigeladene zu 1. in die betriebliche Organisation der Klägerin derart eingebunden war, dass dies nur die Annahme von Beschäftigung rechtfertigt.
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Hinzu kommt, dass sich die dort zur Entscheidung stehende Fallkonstellation von der hiesigen insoweit unterschied, als dass - anders als hier - der Erstkontakt zu den Patienten ausschließlich über die Klägerin stattfand. Die dort Betroffene verfügte - ebenfalls anders als im vorliegenden Fall - über keine eigene Patientenkartei. Ebenfalls wurde im dort zur Entscheidung stehenden Fall vollumfänglich das Arbeitsmaterial gestellt, wohingegen hier der Kläger nur die Räumlichkeiten und ab und an eine Sprossenwand nutzt.
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Warum zudem - wie vom Beklagten angeführt - der gleiche Betriebszweck in Form der Durchführung von physiotherapeutischen Leistungen für eine abhängige Beschäftigung sprechen soll, erschließt sich der Kammer nicht. Insoweit ist es in nahezu jedem Statusfeststellungsverfahren üblich, dass eine Berufsgruppe mit der gleichen Berufsgruppe entsprechende Verträge schließt und daher der gleiche Betriebs-/Geschäftszweck gegeben ist.
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Schließlich ist ergänzend auszuführen, dass sich auch aus dem seitens des BSG entschiedene „Honorararzt-Fall“, vgl. Urteil vom 04.06.2019, Az. B 12 R 11/18, keine andere Beurteilung ergibt. Der Entscheidung lag ein Vertrag zugrunde. Die Ärztin verpflichtete sich, die im Krankenhaus zur Anwendung kommenden organisatorischen Regelungen einzuhalten und sich hierbei an die Anweisungen und Vorgaben der Chefärzte zu halten. Zudem behandelte die dort Betroffene - anders hier - keine eigenen Patienten, sondern die des Krankenhauses. Sie war im Dienstplan der Kliniken eingetragen und arbeitete arbeitsteilig mit anderen Mitarbeitern zusammen. Dies ist hier ebenfalls nicht der Fall.
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Zusammenfassend überwiegen daher zur Überzeugung der Kammer folgende Gesichtspunkte, die für eine selbstständige Tätigkeit sprechen, wobei ersten beiden besonderes Gewicht zukommt.
- Eigene Patientenakquise
- Selbstständige Terminvergabe
- Eigener Terminkalender
- Eigene Patientenkartei
- Keine Weisungen in Bezug auf Art und Zeit der Ausführung; unterliegt nicht den Praxisregeln und dortigen Arbeitsabläufen
- Eigene Werbung
- Unternehmerrisiko, insbesondere wegen 3.6 des Vertrages
- Eigenes Arbeitsmaterial in geringem Umfang Für eine abhängige Beschäftigung sprechen hingegen:
- Abrechnung der Kassenpatienten über die Beigeladene zu 1) und insoweit Eingliederung in die Organisationsstrukturen
- Nutzung der Räumlichkeiten und größerer Therapiegeräte.
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Nach alledem überwiegen zur Überzeugung der Kammer die typusbildenden Merkmale, die für das Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit sprechen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten waren daher aufzuheben und der Klage stattzugeben.
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Abschließend weißt die Kammer vor dem Hintergrund weiterer anhängiger „Physiotherapeutenfälle“ die Beteiligten darauf hin, dass die Frage des Bestehens der Versicherungspflicht unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles festzustellen ist. Im hiesigen Einzelfall konnte sich die Kammer aufgrund der vorstehend dargelegte Gründe nicht vom Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung und damit der Versicherungspflicht überzeugen. Anders wäre die Gewichtung ausgefallen, hätte der Kläger auch Patienten der Beigeladenen zu 1.) und nicht nur eigene behandelt. Ebenfalls war die Führung eines eigenen Terminkalenders und einer eigenen Patientenkartei ausschlaggebend.
II.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens. Die Kosten der Beigeladenen sind mangels Antragstellung nicht zu erstatten.