VG Ansbach, Urteil v. 27.11.2020 – AN 17 K 19.02293
Titel:

Keine Baugenehmigung für eine Stützmauer mit Sockelwirkung, wenn der Bebauungsplan entgegensteht

Normenkette:
BauGB § 29 Abs. 1, § 30, § 31 Abs. 2
Leitsätze:
1. Kommt einer Stützmauer Sockelwirkung für den Stabgitterzaun zu, so kann sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Mauer allenfalls aus einer Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans, nicht aber schon aus den Regelungen des Bebauungsplans selbst ergeben, wenn der maßgebliche Bebauungsplan Sockel im Bereich von Einfriedungen für unzulässig erklärt. Eine mögliche Zulässigkeit von Mauern und Einfriedungen an den inneren Grundstücksgrenzen der überplanten Baugrundstücke ergibt sich dann auch nicht aus einer "passiven Regelung" des Bebauungsplans, nämlich daraus, dass der Bebauungsplan sie nicht explizit verbietet. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ergibt sich aus den textlichen Festsetzungen eines Bebauungsplans, dass Sockel nicht zulässig sind, ist daraus zu entnehmen, dass Einfriedungen grundsätzlich nicht in Form (größerer) gemauerter Anlagen hergestellt werden dürfen und Ausnahmen hiervon vom Plangeber auch nicht vorgesehen waren. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
unbegründete Versagungsgegenklage gegen Ablehnung der Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung einer Winkelstützmauer mit aufgesetztem Stabgitterzaun im überplanten Gebiet an einer inneren Grundstücksgrenze, Grundzüge der Planung berührt, Stützmauer, Bebauungsplan, Sockel, Festsetzung, Ausnahme, Einfriedung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 15.09.2021 – 9 ZB 21.468
Fundstelle:
BeckRS 2020, 40012

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung einer grenzständigen Winkelstützmauer mit aufgesetztem Stabgitterzaun.
2
Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung … in … (* …*). Ausweislich des am 25. Juli 2019 bei der Gemeinde eingereichten Bauantrages möchte die Klägerin zu ihrem süd-östlich gelegenen Nachbargrundstück … hin, das im Eigentum der Frau … steht, eine Winkelstützmauer aus Betonfertigteilelementen auf einem Streifenfundament und mit aufgesetztem, 1,22 m hohem Stabgitterzaun errichten, die an eine schon bestehende, kurze Mauer direkt anschließen soll. Zum Grundstück … besteht im Grenzbereich eine Hanglage, wobei das Nachbargrundstück tiefer gelegen ist. Aus Sicht des Nachbargrundstücks ergibt sich dabei folgendes Bild (nicht maßstabsgerecht):
3
Die Klägerin hat mit ihrem Bauantrag einen Antrag auf Zulassung einer Abweichung von den Abstandsflächen des Art. 6 BayBO u.a. zum Grundstück … eingereicht, da sich eventuell einzuhaltende Abstandsflächen des Bauvorhabens mit den Abstandsflächen des Wohngebäudes auf dem Nachbargrundstück entsprechend der Darstellung im Abstandsflächenplan überdecken würden. Die Nachbarin … hat auf den Bauvorlagen nicht unterschrieben und im Baugenehmigungsverfahren dies sowie die Übernahme von Abstandsflächen mit anwaltlichem Schreiben auch abgelehnt. Die Gemeinde hat mit Stellungnahmen vom 14. August 2019 und - nach erneuter Vorlage durch die Baugenehmigungsbehörde mit Hinweisen zur Frage der Erforderlichkeit von Befreiungen/Ausnahmen - nochmals vom 16. Oktober 2019 das gemeindliche Einvernehmen zum Bauvorhaben erteilt.
4
Das Grundstück der Klägerin und das Nachbargrundstück der Frau … liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 1 „…“ der früheren Gemeinde … in der Fassung der 1. qualifizierten Änderung vom 19. September 1995 für einen Bereich des …-Sportplatzes und der ursprünglich geplanten Stellplätze. Das Plangebiet ist als allgemeines Wohngebiet ausgewiesen. Nach den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans ist hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung in Ziffer 1.2. festgesetzt: „Aus besonderen städtebaulichen Gründen wird die Anzahl der Vollgeschosse auf max. 2 begrenzt [II (I+D)], wobei das obere Geschoss in der Dachschräge liegen muss.“ Im ergänzenden Höhenplan zum Bebauungsplan ist hinsichtlich OKFF Erdgeschoss eine Höhe von 420.70 ü. NN. (beim Grundstück der Klägerin) bzw. 420.20 ü. NN. (hinsichtlich dem Grundstück der Nachbarin) als zu schaffende Höheneinstellung des Geländes im Bereich der Hauseingänge festgelegt. Im Übrigen weist der zeichnerische Planteil im Grenzbereich zwischen dem klägerischen Grundstück und dem Grundstück … auf dem Grundstück der Klägerin auf eine bestehende Böschung hin, die zum Nachbargrundstück abfällt. In den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans heißt es weiter:
„5. Nebenanlagen
5.1 Außerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen wird die Errichtung von baulichen Anlagen im Sinne des § 23 Abs. 5 BauNVO ausgeschlossen; dies gilt auch für Garagen.
5.2 Ausnahmen von 5.1 sind möglich, wenn Gartengerätehäuschen bis 15 m³ umbautem Raum sich der vorhandenen Bebauung anpassen und ins Siedlungsbild einfügen.
(…)
6. Einfriedungen
6.1 Bei Einfriedungen zum öffentlichen Raum werden Zäune aus senkrechten Latten festgesetzt (gehobelte Vierkantlatten 20/40 mm), mind. 1,00 m hoch. Eingangstürchen und ev. Einfahrtstore sind gleichartig auszubilden. Alternativ zulässig sind Zäune aus senkrechten Hanicheln (halbrunde Stange), mind. 1,00 m hoch. Pfosten sind so an der Innenseite (Privatgrundstück) anzubringen, daß sie vom Straßen- oder Landschaftsraum aus nicht sichtbar sind und das Zaunbild nicht unterbrechen.
6.2 Sockel sind nicht zulässig.“
5
Im zeichnerischen Planteil sind Baugrenzen um die mit Wohnhäusern überbaute Fläche festgesetzt. Bereits vorhandene Nebengebäude außerhalb dieser Baugrenzen sind ebenfalls vermerkt und zeichnerisch wird ein Bebauungsvorschlag für Nebenanlagen gegeben.
6
Auf beiden Grundstücken wurden im Jahr 1996 Wohnhäuser im Genehmigungsfreistellungsverfahren errichtet. Seitens der Nachbarin erfolgte die Errichtung des Bauvorhabens durch deren Rechtsvorgänger. Die Klägerin hat bei der Errichtung ihres Bauvorhabens erhebliche Auffüllungen auf dem gesamten Grundstück vorgenommen. Nach den im Genehmigungsfreistellungsverfahren vorgelegten Plänen, die seitens der Klägerin unterzeichnet wurden, waren auch hinsichtlich des Nachbargrundstücks umfangreiche Auffüllungen auf dem gesamten Grundstück vorgesehen. Tatsächlich wurden die geplanten Auffüllungen - insbesondere auch an der nordwestlichen Grundstücksgrenze zum Grundstück der Klägerin hin - seitens der Rechtsvorgänger jedoch nicht vorgenommen, was durch eine Baukontrolle des Beklagten vom 30. Januar 2017 bestätigt werden konnte. Hierdurch ist ein wesentlicher Unterschied im Hinblick auf die tatsächliche Geländehöhe entstanden. Des Weiteren ist durch die unterbliebenen Auffüllungen auf dem Nachbargrundstück - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - ein weiteres Vollgeschoss im Wohngebäude der Nachbarin entstanden, mit der Folge, dass dieses Wohnhaus nicht mit den Festsetzungen des Bebauungsplans hinsichtlich der Zahl der Vollgeschosse übereinstimmt.
7
Die Klägerin hat im Jahr 2000, zur Absicherung der von ihr vorgenommenen Auffüllungen und zur geplanten und bereits durchgeführten Vornahme weiterer Auffüllungen, begonnen, eine Stützmauer zu errichten, wovon der Beklagte am 16. Juni 2000 erfuhr. Daraufhin kam es am 20. Juni 2000 zu einer Ortsbesichtigung und einem sich anschließenden bauaufsichtlichen Tätigwerden durch den Beklagten. Schließlich wurden die Hinterfüllung der Stützmauer sowie die Stützmauer selbst durch die Klägerin wieder entfernt. Ein Einschreiten des Beklagten im Hinblick auf die unterbliebenen Auffüllungen auf dem Grundstück der Nachbarin ist in diesem Zusammenhang nicht erfolgt. Es ist den Behördenakten auch nicht zu entnehmen, dass seitens der Klägerin vorab oder jedenfalls in diesem Zeitpunkt Beschwerden zu den nicht vorhandenen Auffüllungen bzw. der Existenz eines weiteren Geschosses auf dem Nachbargrundstück gegenüber der Nachbarin oder dem Beklagten geäußert wurden. Ein erst im Jahr 2016 durch die Klägerin angestrengtes Verfahren auf bauaufsichtliches Einschreiten blieb erfolglos. Eine diesbezügliche Klage vor dem Verwaltungsgericht Ansbach vom 17. Mai 2017 wurde durch inzwischen rechtskräftiges Urteil vom 19. September 2018 im Hinblick auf eine vom Gericht angenommene Verwirkung möglicher Rechte der Klägerin abgewiesen (Verfahren AN 17 K 17.00910).
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In dem vorangegangenen Gerichtsverfahren hatte der Beklagte darauf hingewiesen, dass aus seiner Sicht der hier maßgebliche Bebauungsplan keine Verpflichtung zur Auffüllung der nordöstlichen Grundstücksbereiche vorsehe. Im Übrigen werde durch die Festsetzungen des Bebauungsplans weder hinsichtlich der Höhenfestlegung OKFF Erdgeschoss noch bezüglich der Zahl der Vollgeschosse Drittschutz vermittelt. Hinsichtlich der Abstandsflächen sei das natürliche Gelände relevant.
9
Entsprechende Überlegungen stellte der Beklagte auch im hier streitgegenständlichen Baugenehmigungsverfahren an und vermerkte unter dem 2. Oktober 2019 in der Behördenakte, dass es entgegen der Annahme der Gemeinde sehr wohl einer Befreiung auch von den Festsetzungen des Bebauungsplans bedürfe. Bei dem Bauvorhaben der Klägerin mit einer Höhe von bis zu 2,27 m und einer Länge an der Südseite von 11,83 m sowie an der Ostseite von 6,00 m handle es sich um eine Nebenanlage im Sinne des § 14 BauNVO, deren Errichtung außerhalb der Baugrenzen des Bebauungsplans ausgeschlossen sei. Die im Bebauungsplan vermerkte Böschung wolle die Klägerin auffüllen. Hinzu trete eine weitere Einfriedung (Stabgitterzaun) mit einer Höhe von ca. 1,22 m. Einer Abweichung von den Abstandsflächen sowie einer Befreiung zur Auffüllung mit Errichtung des Bauvorhabens könne seitens des Bauamtes nicht zugestimmt werden. Es bestünden Bedenken wegen eingeschränkter Belichtung und Belüftung. Die geplante Wand nach Süden habe eine einmauernde Wirkung und löse Abstandsflächen aus, die sich mit denen des Nachbargebäudes überlappen. Die Nachbarin habe bereits Einwendungen vorgebracht.
10
Am 7. November 2019 erließ der Beklagte daraufhin den streitgegenständlichen ablehnenden Bescheid und führte in den Gründen aus, der Bauantrag sei abzulehnen gewesen, da dem Bauvorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstünden, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen gewesen seien. Das Bauvorhaben widerspreche den Festsetzungen des maßgeblichen Bebauungsplans und sei deshalb nach § 30 Abs. 1 BauGB unzulässig. Ausnahmen nach § 31 Abs. 1 BauGB sehe der Bebauungsplan nicht vor; Befreiungen nach § 31 Abs. 2 BauGB scheiterten an den gesetzlichen Voraussetzungen. Eine Befreiung wäre insbesondere unter Würdigung mit den nachbarlichen Interessen nicht mit öffentlichen Belangen vereinbar. Im Übrigen sei derzeit noch keine Entscheidung der Gemeinde zum Einvernehmen zu dieser Befreiung getroffen worden. Für den gegenständlichen Standort des Bauvorhabens seien nicht nur keine überbaubaren Grundstücksflächen im Bebauungsplan festgesetzt worden, sondern es werde ganz deutlich auf eine bestehende Böschung hingewiesen. Erhebliche Geländeveränderungen und abstandsflächenwidrige Stützwände und Einfriedungen seien gerade in diesem Bereich vom Bebauungsplan nicht gedeckt und müssten vom betroffenen Nachbarn auch nicht hingenommen werden. Der Vortrag der Bauherrin, die geplante Baumaßnahme begründe sich mit einer nicht ausgeführten Auffüllung auf dem Nachbargrundstück, die aus ihrer Sicht erforderlich gewesen sei, überzeuge nicht. Zwar habe die ursprüngliche Planung auf dem Nachbargrundstück eine Auffüllung vorgesehen und sei dann tatsächlich nicht umgesetzt worden. Der Bebauungsplan treffe allerdings nur allgemeine Festsetzungen, jedoch keine Festsetzungen zu Bezugspunkten, die für Abstandsflächen und die Bestimmung der Vollgeschossigkeit relevant seien. Eine zwingende Auffüllung des Nachbargrundstücks sei nicht festgesetzt worden. Das private Interesse der Bauherrin an einer optimalen Ausnutzung ihres Grundstücks überwiege nicht die öffentlichen Belange unter Würdigung der nachbarlichen Interessen. Das Bauvorhaben widerspreche zudem dem Abstandsflächenrecht. Auch eine Abweichung von der Vorschrift des Art. 6 BayBO komme nicht in Betracht. Insbesondere sei kein atypischer Einzelfall erkennbar.
11
Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 21. November 2019 Klage. Zur Begründung wurde mit weiterem Schriftsatz vom 6. Februar 2020 im Wesentlichen vorgetragen:
12
Die Klägerin möchte aufgrund des bestehenden Höhenunterschieds zwischen ihrem und dem nachbarlichen Grundstück eine Stützwand mit zusätzlichem Sichtschutz, auch zur Absturzsicherung, errichten. Nach Auffassung der Klägerseite handle es sich bei der geplanten Baumaßnahme nicht um eine Nebenanlage nach § 23 Abs. 5 BauNVO, sondern um eine Einfriedung nach Ziffer 6. der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans, wobei Ziffer 6. dem Bauvorhaben nicht entgegenstünde. Selbst bei anderer Sichtweise hinsichtlich der Frage der Nebenanlage seien aber die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung erfüllt. Bei der Würdigung der nachbarlichen Interessen sei zu berücksichtigen, dass die Nachbarin bzw. deren Rechtsvorgänger entgegen deren damaliger Planung keine Geländeauffüllung vorgenommen und damit einen rechtswidrigen Zustand geschaffen hätten. Das Abstandsflächenrecht stehe dem Bauvorhaben nicht entgegen bzw. seien keine Abstandsflächen einzuhalten. Bezüglich der maßgeblichen Höhe, ab der die bauliche Anlage bewertet werde, sei nach ständiger Rechtsprechung auf die (ursprünglich) natürliche Geländeoberfläche abzustellen. Dies sei die gewachsene und nicht die durch Aufschüttung oder Abgrabung veränderte Geländeoberfläche. Gehe man, wie die Klägerseite, davon aus, dass es auch eine im Bebauungsplan festgelegte Geländeoberfläche mit Höhenlage gibt, sei diese maßgeblich. Im Übrigen lägen die Voraussetzungen für eine Ausnahme vor. Die Nachbarschaft sei nicht schutzwürdig. Die Klägerin lässt beantragen,
Unter Aufhebung des Bescheids vom 7. November 2019 wird die Beklagte verpflichtet, die beantragte Baugenehmigung zur Errichtung einer Stützwand zu erteilen.
13
Der Beklagte äußerte sich mit Schriftsatz vom 28. Februar 2020 und hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
14
Das Bauvorhaben sei weder mit Bauplanungsrecht noch mit Bauordnungsrecht vereinbar. Es werde auf die Argumentation der Beklagtenseite im Verfahren AN 17 K 17.00910 sowie auf die Gründe des angefochtenen Bescheids Bezug genommen. Überdies sei es unerheblich, ob das Bauvorhaben auch eine Einfriedung darstelle, denn dann seien lediglich die Festsetzungen in Ziffer 6. zusätzlich zu den Festsetzungen in Ziffer 5. des maßgeblichen Bebauungsplans zu berücksichtigen. Die Stützmauer mit Stabgitterzaun sei eine Nebenanlage. Mit den Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB setze sich die Klägerseite gar nicht weiter auseinander. Die Gemeinde habe in ihrer zweiten Stellungnahme zum Bauvorhaben vom 16. Oktober 2019 erkannt, dass eine Notwendigkeit einer Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans bestehe. Einen Antrag auf Befreiung diesbezüglich habe die Klägerin nicht gestellt. Hinsichtlich der Abstandsflächenproblematik sei das natürliche Gelände in den Bauvorlagen zumindest nicht unrealistisch dargestellt. Entgegen der Ansicht der Klägerseite sei allerdings der relevante Bezugspunkt nicht abweichend durch Festsetzungen im Bebauungsplan geregelt.
15
Hinsichtlich der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten sowie des Gangs des behördlichen und des gerichtlichen Verfahrens einschließlich der am 27. November 2020 stattgefundenen mündlichen Verhandlung wird auf die Gerichtsakte des hiesigen Verfahrens, die beigezogene Gerichtsakte AN 17 K 17.00910 und die Behördenakten zum streitgegenständlichen Baugenehmigungsverfahren (* …*) sowie der Akten zu den Genehmigungsfreistellungsverfahren für das Wohnhaus der Klägerin und das Wohnhaus auf dem Nachbargrundstück (Bauplan-Nr. … und … des Landratsamtes …*) und schließlich auf den vorgelegten Bebauungsplan verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 7. November 2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten; der Klägerin steht kein Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung zu (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
17
Das Gericht nimmt auf die Gründe des angefochtenen Bescheids Bezug und macht sich die zutreffenden Ausführungen in den Bescheidsgründen zu eigen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
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Ergänzend ist noch auszuführen:
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1. Das Bauvorhaben der Klägerin bedarf einer Baugenehmigung, denn es ist als vom Wohnhaus der Klägerin insbesondere in zeitlicher Hinsicht selbständiges Bauvorhaben weder verfahrensfrei nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 7 a) oder Abs. 2 Nr. 5 BayBO i.V.m. den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 1 „…“ noch genehmigungsfreigestellt nach Art. 58 BayBO.
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Hinsichtlich der Frage der Verfahrensfreiheit nach Art. 57 Abs. 1 BayBO kommt es dabei nicht darauf an, ob es sich bei der Winkelstützmauer mit aufgesetztem Stabgitterzaun um eine Einfriedung im Sinne des Bauordnungsrechts handelt, denn diese Norm erfasst sowohl Stützmauern als auch Einfriedungen gleichermaßen. Die Gesamthöhe des insoweit einheitlich aus Mauer plus Stabgitterzaun zu betrachtenden Bauvorhabens überschreitet jedoch die in Art. 57 Abs. 1 Nr. 7 a) BayBO genannte 2-Meter-Marke für verfahrensfreie Mauern und Einfriedungen, wobei es diesbezüglich aus Sicht der Kammer auf das tatsächliche Höhenniveau auf dem Grundstück der Klägerin im Bereich des beantragten Bauvorhabens ankommt (vgl. auch: Simon/Busse/Lechner/Busse, 138. EL September 2020, BayBO Art. 57 Rn. 216).
21
Das Bauvorhaben entspricht auch nicht den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 1 „…“ im Sinne des Art. 57 Abs. 2 BayBO. Das ergibt sich schon daraus, dass der Bebauungsplan in seinem zeichnerischen Teil im Bereich der hier in den Blick zu nehmenden Grundstücksgrenze des klägerischen Grundstücks keine Regelungen über die Zulässigkeit und den Standort einer Mauer bzw. baulicher Nebenanlagen ebendort trifft.
22
Eine solche Zulässigkeit des streitgegenständlichen Bauvorhabens kann die Kammer aber auch nicht aus der zusätzlichen Betrachtung der textlichen Festsetzungen, insbesondere den Ziffern 5. und 6. der Regelungen entnehmen.
23
Nach Ziffer 5.1 der textlichen Festsetzungen ist die Errichtung baulicher Anlagen außerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen grundsätzlich ausgeschlossen, was auch für bauliche Nebenanlagen im Sinne des § 23 Abs. 5 BauNVO gilt. Eine Ausnahme hiervon sieht Ziffer 5.2 der Festsetzungen nur für Gartengerätehäuschen vor. Das Bauvorhaben der Klägerin soll außerhalb von im zeichnerischen Planteil festgesetzter Baugrenzen errichtet werden und fällt ersichtlich nicht unter den Ausnahmetatbestand der Ziffer 5.2.
24
Ziffer 6.1 trifft Regelungen zu Einfriedungen zum öffentlichen Raum, was vorliegend nicht einschlägig ist. Darüber hinaus sieht Ziffer 6.2 weiter vor, dass Sockel nicht zulässig sind. Das Bauvorhaben der Klägerin soll - ungeachtet der Frage, ob es sich lediglich um eine Einfriedung oder zumindest auch um eine bauliche Anlage nach § 23 Abs. 5 BauNVO handelt - nicht zu einem öffentlichen Weg hin errichtet werden, sondern in erster Linie zum nachbarlichen Grundstück, so dass das Vorhaben nicht an Ziffer 6.1 zu messen ist. Soweit die Klägerseite nunmehr im Umkehrschluss daraus die Ansicht vertritt, dass gerade deswegen die textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans zu Einfriedungen dem Bauvorhaben nicht entgegenstehen, folgt hieraus jedoch nicht schon die Verfahrensfreiheit des Bauvorhabens aus Art. 57 Abs. 2 Nr. 5 BayBO. Verfahrensfreiheit nach dieser Vorschrift liegt vielmehr nur vor, wenn der Bebauungsplan eine aktive, konkrete Regelung zur Zulässigkeit, zum Standort und zur Größe von Mauern und Einfriedungen trifft. Daran fehlt es hier. Eine mögliche Zulässigkeit von Mauern und Einfriedungen an den inneren Grundstücksgrenzen der überplanten Baugrundstücke ergibt sich auch nach der Rechtsansicht der Klägerseite nur aus einer passiven Regelung des Bebauungsplans, nämlich daraus, dass der Bebauungsplan sie nicht explizit verbietet und unter der zusätzlichen Prämisse, dass nicht zugleich auch Ziffer 5.1 der textlichen Festsetzung einschlägig ist, was zwischen den Parteien gerade streitig ist. Zwar ist die Verfahrensfreiheit gemäß Art. 57 Abs. 2 BayBO nach Sinn und Zweck der Vorschrift bezogen auf den jeweiligen Tatbestand der Nr. 1 bis 9 auszulegen, sodass es sein kann, dass hinsichtlich einer bestimmten Anlage keine (expliziten) Regelungen zur Zulässigkeit, Standort und Größe erforderlich sind (BeckOK BauordnungsR Bayern/Weinmann, 16. Ed. 1.6.2020, BayBO Art. 57 Rn. 237). Nach Ansicht der Kammer kann dies für die streitgegenständliche Mauer im hier maßgeblichen Bebauungsplan nicht angenommen werden. Dies folgt nach Ansicht der Kammer bereits aus Ziffer 6.2 der textlichen Festsetzungen, der aufgrund seines Wortlauts und seiner systematischen Stellung nicht nur als Annexregelung zu Ziffer 6.1 auszulegen ist, sondern insoweit für alle Einfriedungen Geltung beansprucht, auch solchen an inneren Grundstücksgrenzen, sowie auch aus der Zusammenschau mit der vom Plangeber restriktiv gehandhabten Regelungen zu den überbaubaren Grundstücksflächen einschließlich der Zulässigkeit und des Standorts auch von baulichen Nebenanlagen. Ziffer 6.2 entspricht das Vorhaben nicht. Bei Sockeln handelt es sich nach allgemeinem Begriffsverständnis in der Bautechnik um einen blockartigen Unterbau mit Öffnung zur Aufstellung eines Bauteils (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Sockel), also etwa zur standsicheren Aufnahme von Zaunelementen im Sinne der Ziffer 6.1 der Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 1 „…“. Dem entspricht jedoch auch die Stützmauer des streitgegenständlichen Bauvorhabens, die als Unterbau für den aufgesetzten Stabgitterzaun dient. Ihr kommt mithin Sockelwirkung für den Stabgitterzaun zu, so dass sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Mauer allenfalls aus einer Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans, nicht aber schon aus den Regelungen des Bebauungsplans selbst ergeben kann. Damit scheidet eine Verfahrensfreiheit für das streitgegenständliche Bauvorhaben aus und war die Klägerin auf den Weg des Baugenehmigungsverfahrens zu verweisen.
25
2. Der Beklagte hat die Baugenehmigung zu Recht versagt, da dem Vorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen, die im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren (Art. 59 BayBO) zu prüfen waren, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO. Das Bauvorhaben erweist sich bereits unter dem Aspekt des Bauplanungsrechts (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 a) BayBO i.V.m. §§ 29 Abs. 1, 30 Abs. 1 BauGB) als unzulässig, denn es widerspricht den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 1 „…“ im Hinblick auf die zulässige überbaubare Grundstücksfläche und das Sockelverbot bei Einfriedungen. Die Kammer lässt daher im Ergebnis die Frage der Konformität des Bauvorhabens mit Bauordnungsrecht dahingestellt.
26
a) Die Versagung der Baugenehmigung scheitert nicht schon an einem fehlenden Antrag auf Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans gemäß § 31 Abs. 2 BauGB i.V.m. Art. 63 Abs. 2 Satz 1 BayBO.
27
Zutreffend hat der Beklagte darauf verwiesen, dass durch die Klägerin mit der Einreichung ihres Bauantrages kein Antrag auf Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans gestellt worden war. Bei den Bauvorlagen befindet sich nur ein Antrag auf Erteilung einer Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften nach Art. 6 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. Art. 63 BayBO. Dieser Antrag kann hier nicht zugleich in einen Antrag auf Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans nach § 31 Abs. 2 BauGB umgedeutet werden, denn Art. 63 Abs. 2 Satz 1 BayBO sieht dazu einen gesonderten schriftlichen Antrag mit Begründung vor. Der Wortlaut dieser Vorschrift steht zunächst der Möglichkeit einer konkludenten Mitbeantragung per se entgegen und diese Möglichkeit wollte der Landesgesetzgeber auch mit der Neufassung des Art. 63 Abs. 2 BayBO ausdrücklich ausschließen (Simon/Busse/Dhom/Simon, 138. EL September 2020, BayBO Art. 63 Rn. 48). Darüber hinaus verbietet sich eine Umdeutung bzw. Auslegung des von der Klägerin mit ihren Bauvorlagen eingereichten Antrags auf Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften in einen Antrag auf Befreiung von Festsetzungen des Bebauungsplans, weil diesbezüglich unterschiedliche Begründungsanforderungen bestehen und überdies im Falle des § 31 Abs. 2 BauGB Belange der plangebenden Gemeinde berührt sind. Gleichwohl scheitert die Erteilung der Baugenehmigung nicht an diesem fehlenden Antrag. Die plangebende Gemeinde wurde im Verfahren beteiligt und hat ihre Zustimmung auch nach erneuter Vorlage des Bauvorhabens durch den Beklagten erteilt. Der Beklagte wiederum hat trotz der von ihm erkannten Unvollständigkeit der Bauvorlagen nicht das dafür vorgesehene Verfahren nach Art. 65 Abs. 2 Satz 1 BayBO durchgeführt, sondern den Bauantrag in der Sache negativ verbeschieden. Die Wirkung des Art. 65 Abs. 2 Satz 2 BayBO ist damit vorliegend nicht eingetreten und dem Gericht eine Sachprüfung eröffnet.
28
b) Der Klägerin steht kein Anspruch auf Erteilung einer Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans im Hinblick auf die festgesetzte überbaubare Grundstücksfläche zu, da die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB insoweit nicht erfüllt sind (dazu nachfolgend (2)) und der Bebauungsplan selbst Ausnahmen im Sinne des § 31 Abs. 1 BauGB, die dem Bauvorhaben zur Zulässigkeit im Plangebiet verhelfen könnten, nicht vorsieht. Ob ein Anspruch auf Erteilung einer Befreiung vom Sockelverbot der Ziffer 6.2 besteht, kann dahinstehen, da es sich bei dem klägerischen Bauvorhaben nicht um eine bloße Einfriedung handelt, die allein an den Maßgaben des Bebauungsplans über Einfriedungen zu messen wäre (dazu nachfolgend (1)).
29
(1) Eine dem Bebauungsplan immanente Ausnahme für die Festsetzung zu überbaubaren Grundstücksflächen sowie Einfriedungen an inneren Grundstücksgrenzen ist vorliegend nicht ersichtlich.
30
Einfriedungen sind dabei nach gängiger Definition Anlagen mit dem Zweck (Funktion), ein - unbebautes oder bebautes - Grundstück oder Grundstücksteile nach außen zur Sicherung gegen unbefugtes Betreten oder Verlassen, unerwünschte Einsicht (Sicht) oder gegen Witterungs- oder Immissionseinflüsse (z. B. Lärm oder Wind, Straßenschmutz) abzuschließen und von Verkehrsflächen oder Nachbargrundstücken abzugrenzen (Simon/Busse/Lechner/Busse, 138. EL September 2020, BayBO Art. 57 Rn. 217 mit Rechtsprechungsnachweisen). Dem gegenüber zu stellen sind Stützmauern, die ihrer Intention nach das Abrutschen von Erdreich, Steinen u.ä. verhindern sollen (Simon/Busse, a.a.O.). Dabei können Stützmauern grundsätzlich auch die Funktion von Einfriedungen mit übernehmen, jedoch ist dies nicht ihr vordringlichster Zweck. Eine Differenzierung zwischen diesen unterschiedlichen Arten von Anlagen wird letztlich auch dadurch deutlich, dass der Landesgesetzgeber in Art. 57 Abs. 1 Nr. 7 a) BayBO beide Anlagen nebeneinander aufgeführt hat.
31
Im Fall des Bauvorhabens der Klägerin hat die Kammer keine Zweifel, dass dieses nicht allein die Funktion einer Einfriedung übernehmen soll, sondern auch eine statische Funktion im Sinne einer Stützmauer erfüllt. Das wird bereits durch die so gewählte Bezeichnung im Bauantrag („Errichtung einer Stützwand zum Nachbargrundstück“) deutlich und auch durch den der Anlage von der Klägerin beigemessenen Zweck. Sowohl durch die historische Rückschau auf das gegenüber der Klägerin im Jahr 2000 durchgeführte bauordnungsrechtliche Verfahren und auch ihren Vortrag in dem von ihr angestrengten Verfahren auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Nachbarin im Jahr 2016, sowie auch aufgrund der klaren Äußerung der Klägerseite in der mündlichen Verhandlung zum hiesigen Klageverfahren steht fest, dass es der Klägerin jedenfalls auch um ein Auffüllen ihrer Böschung zur besseren Nutzbarkeit ihres eigenen Grundstücks geht, was aufgrund des Gefälles zum nachbarlichen Grundstück letztlich nur mittels einer Stützmauer an der Grundstücksgrenze zur Nachbarin realisiert werden kann. Der stützende Charakter des beantragten Bauvorhabens steht zumindest gleichrangig zum Zweck des auch gegebenen einfriedenden Charakters. Damit erweist sich das Bauvorhaben der Klägerin nicht allein am Maßstab der Ziffer 6. der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans messend zulässig, sondern es handelt sich zumindest auch um eine bauliche Nebenanlage im Sinne der Ziffer 5. der textlichen Planregelungen.
32
Darüber hinaus bekräftigt Ziffer 6.2 der textlichen Festsetzungen, dass Sockel nicht zulässig sind, woraus die Kammer entnimmt, dass Einfriedungen grundsätzlich nicht in Form (größerer) gemauerter Anlagen hergestellt werden dürfen und Ausnahmen hiervon vom Plangeber auch nicht vorgesehen waren. Dieses Sockelverbot wird durch das beantragte Bauvorhaben aber offenkundig nicht eingehalten.
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Ob die Voraussetzungen für eine Nebenanlage in Sinne der Ziffer 5. hinsichtlich der Stützmauer mit aufgesetztem Stabgitterzaun im Einzelnen erfüllt sind, kann dahinstehen. Denn jedenfalls liegt ansonsten eine selbständige bauliche Anlage vor, die sich wiederum aufgrund ihrer Dimension und Kubatur an den übrigen Voraussetzungen des Bebauungsplans, insbesondere der Festsetzung über die überbaubare Grundstücksfläche messen lassen muss. Im Ergebnis bedarf es daher für die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des beantragten Bauvorhabens in jedem Fall einer Befreiung von den Festsetzungen des maßgeblichen Bebauungsplans.
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(2) Auf eine solche Befreiung hat die Klägerin in der Gesamtschau der vorgetragenen und der aktenkundigen Umstände jedenfalls in Bezug auf die überbaubare Grundstücksfläche keinen Rechtsanspruch.
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Dahingestellt bleiben kann, ob - wie der Beklagte in seinem Bescheid als tragende Erwägungen herangezogen hat - eine Abweichung von den Festsetzungen des Bebauungsplans für das Bauvorhaben unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Denn das Bauvorhaben berührt bereits die Grundzüge der Planung im Sinne des § 31 Abs. 2 BauGB.
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Mit dem Begriff der Grundzüge der Planung umschreibt der Gesetzgeber die planerische Grundkonzeption, die den Bebauungsplanfestsetzungen zugrunde liegt und in ihnen zum Ausdruck kommt. Maßgeblich ist also die jeweilige Planungssituation (BayVGH, U.v. 24.3.2011 - 2 B 11.59 - IBRRS 2011, 4046). Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwiderläuft. Für die Beurteilung, ob die Zulassung eines Bauvorhabens im Wege der Befreiung die Grundzüge der Planung berührt, sind auch die Auswirkungen des Vorhabens im Hinblick auf mögliche Vorbild- und Folgewirkungen für die Umgebung in den Blick zu nehmen (BayVGH, B.v. 10.9.2020 - 9 ZB 18.2199 - BeckRS 2020, 24827). Allgemein gilt, dass je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht der Planung eingreift, desto eher der Schluss naheliegt, dass eine Änderung der Planungskonzeption gegeben ist, der nur im Wege einer Planänderung nachgekommen werden darf (BayVGH, U.v. 14.12.2016 - 2 B 16.1574 - NVwZ-RR 2017, 483). Eine Abweichung vom planerischen Grundkonzept liegt zudem nicht erst dann vor, wenn die Befreiung zu einer gänzlich anderen Prägung des Plangebiets oder zur Funktionslosigkeit einzelner Festsetzungen führt (VGH Mannheim, U.v. 7.7.2017 - 3 S 381/17 - VBlBW 2018, 34). Wenn der Plangeber „angesichts des Falles“ bewusst eine Festsetzung getroffen hat, die einem Vorhaben entgegensteht, scheidet eine Befreiung in aller Regel aus (Battis/Krautzberger/Löhr/Reidt, 14. Aufl. 2019, BauGB § 31 Rn. 29).
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Unter Beachtung dieses Maßstabes greift das Bauvorhaben in eine wesentliche Festsetzung des Bebauungsplans Nr. 1 „…“ ein, indem es außerhalb der festgesetzten überbaubaren Grundstücksfläche errichtet werden soll. Die Festsetzung der überbaubaren Grundstücksfläche mittels Baugrenzen betrifft ausnahmslos alle planangehörigen Grundstücke und stellt somit ein das Baugebiet prägendes Element der städtebaulichen Gestaltungswirkung des Bebauungsplans dar. Es kam dem Plangeber dabei auch bewusst darauf an, eine auf die vorhandene Geländeformation und zwischenzeitlich gewachsene, schützenswerte Flora abgestimmte Entwicklung der Bebauung herzustellen. Insbesondere das Maß der Bebauung erachtete der Plangeber unter entsprechender Heranziehung der Begründung zum Bebauungsplan (siehe dazu: Ziffer 1. „Anlaß und Ziel für die Aufstellung“ sowie Ziffer 4.2 „Bauliche Entwicklung“) als wesentlich für die Herstellung eines homogenen, auf vorhandenen, benachbarten Wohnbestand Rücksicht nehmenden Ortsbildes in Randlage. Dem dienen auch die zeichnerisch festgesetzten Baugrenzen. Hinzu tritt der Gedanke des ökologischen Schutzes insbesondere in den als öffentliche Grünfläche ausgewiesenen Bereichen des Plangebiets. Der Plangeber hat insgesamt recht dezidierte Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung, zur Bauweise, zur Gestaltung der Baukörper und letztlich auch zu Nebengebäuden (insbesondere zur Lage von Garagen) und Nebenanlagen einschließlich der Gestaltung von Außenanlagen getroffen. Dem Plangeber kam es nach Ansicht der Kammer gerade darauf an, die für Bebauung nutzbaren Flächen zu beschränken. Außerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen gilt ein Pflanzgebot, das sich nicht auf die öffentlichen Grünflächen beschränkt (Ziffern 7.1 und 7.2 der textlichen Festsetzungen). Hinzu tritt der Aspekt, dass Geländemodellierungen grundsätzlich nur soweit als Festsetzung vorgesehen sind, wie sie für die wegemäßige Erschließung im Bereich der Stellplätze und Hauseingänge unter Berücksichtigung der spezifischen Höhenlagen des Geländes unabdingbar sind.
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Eine darüberhinausgehende „Planierung“ der gesamten überplanten Fläche ist nicht nur nicht zwingend, sondern nach Auffassung der Kammer im Hinblick auf die planerischen Ziele nicht gewünscht. Konkrete Höhenfestsetzungen im Bebauungsplan finden sich allein an den Hauseingängen der Hauptgebäude, was sich unter dem Aspekt einer gesicherten wegemäßigen Erschließung der Baugrundstücke auch begründen lässt, nicht aber darüberhinausgehend als Festsetzung eines einheitlichen Geländeniveaus für alle Bereiche der Baugrundstücke. Eine einheitliche Höhenfestsetzung für die gesamte Grundstücksfläche des klägerischen Grundstücks auf das Niveau, das der hier maßgebliche Bebauungsplan in seinem ergänzenden Höhenplan für den Bereich des Hauseingangs des klägerischen Wohnhauses als Festsetzung („Zu schaffende Höheneinstellung des Geländes im Bereich der Hauseingänge, z.B. 421,00 m ü. NN“) vorsieht, kann die Kammer weder dem zeichnerischen Planteil noch den textlichen Festsetzungen in Zusammenschau mit der Begründung des Bebauungsplans entnehmen. Die im zeichnerischen Planteil insoweit wiedergegebenen Höhenlinien sind ausweislich der Zeichenerklärung nur als Hinweis und nachrichtliche Übernahme zu verstehen. Darüber hinaus ist das klägerische Grundstück gerade in seinem hier für die Realisierung des beantragten Bauvorhabens maßgeblichen Bereich durch eine schon zum Zeitpunkt der Planaufstellung vorhandene Böschung zum nachbarlichen Grundstück hin geprägt. Die entsprechende Böschungssituation ist ebenfalls als Hinweis im zeichnerischen Planteil aufgenommen, wobei aber dieser Grundstücksbereich ausweislich der eindeutigen Festsetzungen im Bebauungsplan zu den Baugrenzen/überbaubaren Grundstücksflächen, Nebenanlagen und Bebauungsvorschlägen sowie als Bestand vermerkte Nebengebäude grundsätzlich nicht bebaubar ist. Das Plangebiet war bereits historisch dadurch gekennzeichnet, dass es als ehemaliger Sportplatz aufgeschüttet worden und insbesondere zum nördlichen Bereich hin abgeböscht war. Die Böschung im nördlichen Plangebiet war im Zeitpunkt der Planaufstellung aus Sicht des Plangebers auch schützens- und erhaltenswert, denn dort hatte sich ausweislich Ziffer 1. der Begründung zum Bebauungsplan „im Lauf der Jahre z.T. wertvoller Pflanzenbewuchs angesiedelt, auf den die Entwicklung der Bebauung abzustimmen ist“. Folglich wurde dieser nördliche Böschungsbereich auch als öffentliche Grünfläche festgesetzt. Das gilt zwar nicht im selben Maße für die hier gegenständliche Böschung auf dem klägerischen Grundstück zum Nachbargrundstück hin. Es besteht aber diesbezüglich eine Grenzsituation zwischen geschützter Böschung und „privater“ Böschung. Die Kammer kann aus der Gesamtschau der Festsetzungen, Hinweise und der gegebenen Begründung keine Anhaltspunkte dafür vorfinden, dass das überplante Gebiet erheblichen Geländemodellierungen in Form von gleichmäßigen Aufschüttungen auf allen Baugrundstücken bzw. flächig auf den Baugrundstücken außerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen beabsichtigt war. Insoweit ergibt die Auslegung des Bebauungsplans durch die Kammer keine Anhaltspunkte, dass gerade auch der als Bestand vermerkte Böschungsbereich auf dem Grundstück der Klägerin zwingend aufzufüllen sei.
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Das streitgegenständliche Bauvorhaben greift in die Grundkonzeption des Plangebers massiv ein und würde im Hinblick auch auf die Dimensionierung der Stützmauer mit aufgesetztem Stabgitterzaun einen Präzedenzfall in dem nicht sehr ausgedehnten Plangebiet schaffen (vgl. zur Grundkonzeption im Hinblick auf Baugrenzen auch: BayVGH, U.v. 1.12.2011 - 1 B 11.224 - BeckRS 2012, 52571; B.v. 31.7.2008 - 9 ZB 05.1476 - BeckRS 2009, 39992).
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Dass hier der Plangeber für die durch Böschungen berührten Baugrundstücke bezüglich Stützmauern aus Gründen der Gefahrenabwehr oder auch zur Stabilisierung der Böschungsbereiche zu deren Erhalt etwas Abweichendes geregelt, wenigstens aber mitbedacht hat, ist dem Bebauungsplan nicht explizit zu entnehmen. Ohnehin ist aber festzuhalten, dass die Klägerin auf die Errichtung des beantragten Bauvorhabens aus statischen bzw. gefahrenabwehrenden Gründen nicht angewiesen ist, wie die Klägerseite in der mündlichen Verhandlung bekundete und sich dies für die Kammer auch aus den vorgelegten Farbfotos zur aktuellen Gestaltungssituation des Böschungsbereichs zum nachbarlichen Grundstück vermittelte, wobei die in der mündlichen Verhandlung eingesehenen Farbfotos bereits Teil der vom Gericht beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten sind. Insofern bedarf diese Frage auch keiner vertieften Erörterung.
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Im Ergebnis muss der Klage daher der Erfolg versagt bleiben und war sie abzuweisen.
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3. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenfolge und zur Abwendungsbefugnis folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.