VG Ansbach, Urteil v. 04.12.2020 – AN 16 K 19.00689
Titel:
Waffenrechtliche Unzuverlässigkeit wegen reichbürgertypischen Verhaltens
Normenkette:
WaffG § 4 Abs. 1 Nr. 2, § 5 Abs. 1 Nr. 2 lit. a, lit. b
Leitsätze:
1. Wer der Ideologie der Reichsbürgerbewegung folgend die Existenz und Legitimation der Bundesrepublik Deutschland negiert und die auf dem Grundgesetz fußende Rechtsordnung generell nicht als für sich verbindlich anerkennt, gibt Anlass zu der Befürchtung, dass er auch die Regelungen des Waffengesetzes nicht strikt befolgen wird und somit nicht die nach § 5 WaffG erforderliche Zuverlässigkeit besitzt. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Lasst ein von außen wahrnehmbares Verhalten auf eine ideologische Nähe zur Reichsbürgerbewegung schließen, so ist es Sache der betreffenden Person, die von ihr selbst hervorgerufenen berechtigten Zweifel im Hinblick auf ihre waffenrechtliche Zuverlässigkeit zu entkräften. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Einstufung als bloßer "Verdachtsfall" einer Zugehörigkeit zur Reichsbürgerbewegung steht der Ablehnung einer waffenrechtlichen Erlaubnis aufgrund mangelnder Zuverlässigkeit nicht im Wege, solange entsprechende Anhaltspunkte für eine Reichsbürgernähe und entsprechendes Gedankengut vorliegen. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ablehnung d. Erteilung einer Waffenbesitzkarte, Reichsbürgertypisches Verhalten, Stellung eines Antrags nach RuStAG, Prüfung der Glaubwürdigkeit d. Antragstellers zur vorgetragenen Distanzierung, Reichbürgerbewegung, Waffenerlaubnis, Zuverlässigkeit, Verdachtsfall
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Urteil vom 16.05.2022 – 24 B 22.317
Fundstelle:
BeckRS 2020, 40005
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Waffenbesitzkarte mit Voreintragungen für zwei Waffen als Sportschütze.
2
Mit Antrag vom 3. Mai 2018 beantragte der Kläger beim Landratsamt … die Erteilung einer Waffenbesitzkarte gemäß § 8 WaffG als Sportschütze mit Voreinträgen zum Erwerb und Besitz einer Pistole im Kaliber 9 mm Luger sowie einer Selbstladebüchse im Kaliber 223 Rem. mit den jeweils dazugehörigen Munitionserwerbsberechtigungen.
3
Am 11. September 2014 stellte der Kläger einen Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit zur Erlangung eines Staatsangehörigkeitsausweises. In diesem Rahmen machte der Kläger unter anderem folgende Angaben: Er habe die deutsche Staatsangehörigkeit erworben durch Geburt (Abstammung) gemäß § 4 Abs. 1 RuStAG (Stand: 22.7.13). Der Kläger besitze neben der deutschen Staatsangehörigkeit noch die Staatsangehörigkeit des Königreiches Bayern [Deutschland als Ganzes] seit Geburt, erworben durch Abstammung. Von April 2001 bis April 2004 habe er sich in Berlin, Staat Preußen, aufgehalten.
4
Mit Schreiben vom 15. Mai 2017 teilte die Kriminalinspektion … dem Landratsamt … mit, dass der Kläger polizeilich zu einem Gespräch vorgeladen worden sei. Er sei auf den Verdacht einer möglichen Reichsbürgerzugehörigkeit angesprochen worden. Er habe sich deutlich von einer Reichsbürgereigenschaft distanziert. Eine abschließende polizeiliche Ein- oder Ausstufung als Reichsbürger könne derzeit nicht vorgenommen werden, da einige schriftliche Anhaltspunkte für eine Zugehörigkeit sprächen, sich der Kläger und seine Ehefrau jedoch klar davon distanzierten. Inwieweit dies eine Schutzbehauptung darstelle oder der Wahrheit entspreche, könne derzeit nicht mit Sicherheit geklärt werden. Möglich sei auch eine zwischenzeitliche tatsächliche Abwendung von dieser Ideologie. Polizeilich würden der Kläger und seine Ehefrau deshalb weiter als Reichsbürger (Verdachtsfall) eingestuft.
5
Nach einem Aktenvermerk der Kriminalpolizeiinspektion … vom 17. Mai 2017 liegen gegen den Kläger polizeiliche Erkenntnisse in der Hinsicht vor, dass er einen entsprechenden Staatsangehörigkeitsausweis beantragt hat. Zudem sei der Kläger im Jahre 2009 bezüglich eines Vergehens nach dem Waffengesetz und dem BTMG angezeigt worden. Bei einer Hausdurchsuchung sei eine PTB-Waffe in seinem Pkw aufgefunden worden. Außerdem seien eine Übungshandgranate sowie ein Tütchen Marihuana gefunden worden. Nach den Gründen der Beantragung des Staatsangehörigkeitsausweises befragt, habe der Kläger angegeben, dass er im Internet durch Zufall bei Wikipedia darauf gestoßen sei, dass der Personalausweis kein Nachweis über die deutsche Staatsangehörigkeit sei. Hierzu sei ein Staatsangehörigkeitsausweis zu beantragen. Im Internet habe er auf www.gelber-schein.net eine entsprechende Ausfüllhilfe für den Antrag gefunden. Deshalb habe er die Angaben so hingeschrieben. Dass es sich hierbei um eine Reichsbürgerseite gehandelt habe, sei ihm nicht bewusst gewesen. Der Kläger habe sich laut Aktenvermerk klar davon distanziert, ein Reichsbürger zu sein oder mit dieser Ideologie zu sympathisieren. Er habe immer wieder erklärt, dass dies mit seinem Beruf im Sicherheitsdienst und der dort entstehenden Zusammenarbeit mit der Polizei nicht zu vereinbaren sei. Auch gebe er Vorbereitungskurse für die Sachkundeprüfung nach § 34 GewO und müsse hierbei auch die relevanten Gesetze unterrichten. Dies könnte er nicht, wenn er die Gesetze des Staates nicht anerkennen würde. Zudem zahle er auch pflichtbewusst seine Steuern und Bußgelder. Andreas … sei ihm als Reichsbürger bekannt. Die Polizei kenne Herrn … als Reichsbürger.
6
Mit Vermerk vom 30. Juli 2018 referierte die Kriminalpolizeiinspektion … über ein Gespräch mit Herrn … Dieser habe angegeben, dass er den Kläger kenne. Seit etwa vier bis fünf Jahren bestehe überhaupt kein Kontakt mehr. Herr … habe erklärt, dass er etwa im Zeitraum von 2012 bis 2013 einige Infoveranstaltungen der „…“ besucht habe. Insgesamt habe er über einen Zeitraum von einem halben bis einem dreiviertel Jahr an solchen Treffen teilgenommen. Es seien jeweils etwa zehn bis zwölf Personen anwesend gewesen. Bei diesen Treffen habe er auch den Kläger wiedergesehen. Er sei sich auch absolut sicher, dass dieser bei einem der ersten Treffen, die er besucht habe, einen Vortrag gehalten habe. Das Thema könne er nicht mehr genau benennen. Es sei darum gegangen, ob die Bundesrepublik Deutschland existiere oder nicht.
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Im Anschluss an das Gespräch mit Herrn … sei der Kläger telefonisch kontaktiert worden. Er habe angegeben, dass ein Kontakt zu Herrn … etwa in der Zeit von Mitte April 2013 bis April 2014 stattgefunden habe. Ganz grob müsse er in dieser Zeit etwa vier bis fünf Treffen der „…“ besucht haben. Einen Vortrag habe er nie gehalten.
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Gemäß Vermerk blieb die polizeiliche Einstufung als Reichsbürger (Verdachtsfall) weiterhin bestehen.
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Gemäß der vorgelegten Behördenakte unterschrieb der Kläger am 7. März 2013 eine Geheimhaltungsvereinbarung zwischen ihm und der … Mit Bescheid vom 25. Februar 2019, dem Klägervertreter zugegangen am 1. März 2019, lehnte der Beklagte den Antrag auf Erteilung einer Waffenbesitzkarte gemäß § 14 Abs. 2 WaffG ab.
10
Zur Begründung führt der Beklagte im Wesentlichen aus, dass der Kläger aufgrund der polizeilichen Einstufung als Reichsbürger (Verdachtsfall) die erforderliche Zuverlässigkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 a und b sowie § 5 Abs. 2 Nr. 3 a WaffG nicht besitze. Daher werde der Antrag gemäß § 4 Abs. 1 Ziffer 2 WaffG abgelehnt. Aufgrund der praktizierten Handlungsweisen könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger der Reichsbürgerbewegung nahestehe oder zumindest nahegestanden habe. Insbesondere die Tatsache, dass er regelmäßig Szenetreffen besucht habe, belaste ihn unabhängig von der Frage, ob er dort selbst Vorträge gehalten habe, sehr. Der Kläger bestreite zwar die Ideologie der Reichsbürger, dennoch habe er unter Verwendung von „Reichsbürger-Vokabular“ im September 2014 einen Staatsangehörigkeitsausweis beantragt. Die vorgebrachte Begründung, er wolle deutsche Seeschiffe bewachen, verfange nicht. Damit verfestige sich der Eindruck, dass der Kläger zumindest zeitweise der Reichsbürgerbewegung und ihrer Ideologie nahegestanden habe. Darüber hinaus habe der Kläger bei einem Treffen der „…“ am 7. März 2013 nachweislich eine sogenannte Geheimhaltungsvereinbarung unterschrieben. Es sei unklar, inwieweit er sich noch an diese oder eventuelle andere Verschwiegenheitsverpflichtungen gebunden fühle. Die Einstufung als Verdachtsfall besage lediglich, dass gegenwärtig keine aktuellen Betätigungen in diese Richtung bekannt seien. Im Rahmen der gemeinsamen im Landratsamt … stattgefundenen Besprechung seien die Einlassungen des Klägers jedoch tatsächlich unvollständig und somit unglaubwürdig gewesen. Insbesondere sei lediglich zugegeben worden, was sowieso bereits behördlich bekannt gewesen sei. Das vom Klägervertreter vorgebrachte Argument, der Kläger würde seine Sozialversicherungsbeiträge abführen und Steuern bezahlen, was eindeutig gegen die Einstufung als Reichsbürger spreche, überzeuge nicht. Dies sei nicht als besonders positiv zu bewerten, sondern entspreche vielmehr dem als normal einzustufenden Verhalten eines jeden Bürgers.
11
Mit Schriftsatz vom 27. März 2019, eingegangen bei Gericht am 28. März 2019, erhob der Kläger Klage.
12
Zur Begründung der Klage wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Formulierung „Verdachtsfall“ gerade eine tatsächliche Zugehörigkeit zur Reichsbürgerszene ausschließe. Der Kläger habe sich mehrfach und eindeutig davon distanziert, ein Reichsbürger zu sein. Dem stehe auch nicht entgegen, dass der Kläger vereinzelt vor nunmehr knapp fünf Jahren Treffen besucht habe, die offensichtlich von der Reichsbürgerbewegung veranstaltet worden seien. Der Kläger habe bereits nach kurzer Zeit festgestellt, dass die Personen, die an dieser Veranstaltung teilnähmen, abstruse Gedanken hätten. Der Kläger bestreite nach wie vor, selbst einen Vortrag auf einer solchen Veranstaltung gehalten zu haben. Herr … habe keine weiteren Personen benannt, die seine Behauptungen, der Kläger habe selbst einen Vortrag gehalten, bestätigen würden. Dass der Kläger im Jahre 2013 eine „Geheimhaltungsvereinbarung“ unterzeichnet habe, rechtfertige nicht die Annahme, er sei Reichsbürger. Zum einen könne dieser Umstand bereits deshalb nicht mehr berücksichtigt werden, da er länger als fünf Jahre zurückliege. Dies ergebe sich insbesondere aus Sinn und Zweck der Regelung des § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG, wo ausdrücklich von „den letzten fünf Jahren“ die Rede sei. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei der Umstand sehr wohl von Bedeutung, dass der Kläger seit Jahren ein Gewerbe betreibe und es insoweit nicht zu Beanstandungen des Finanzamtes bzw. der Sozialversicherungsbehörden gekommen sei. Es sei bekannt, dass gerade Reichsbürger derartige Verpflichtungen entschieden ablehnten. Der Kläger sei seit Jahren Inhaber der Firma … … … Er werde nicht nur von anderen Unternehmen (z.B. der Leitung des …*), sondern auch von Kommunen (Stadt …, Stadt …, Stadt … … usw.) beauftragt. Der Bescheid sei auch deshalb aufzuheben, da der Kläger gerade nicht einen aktiven Beitrag in der Reichsbürgerszene geleistet habe. Der Begriff des Verfolgens im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 3 a bis 3 c WaffG setze voraus, dass zumindest Tatsachen die Annahme rechtfertigen müssten, dass der Antragsteller einen über die bloße Mitgliedschaft hinausgehenden, ihm individuell zurechenbaren aktiven Beitrag geleistet habe. Es liege gerade kein aktives Vorgehen gegen die verfassungsgemäße Ordnung vor. Ein Eintrag im Schuldnerregister aufgrund einer Forderung der GEZ sei längst gelöscht. Die Löschung der Eintragung des Klägers im Zentralen Schuldnerverzeichnis aufgrund der Eintragungsanordnung des Gerichtsvollziehers … vom 13. Juli 2018 mit dem Grund „Nichtabgabe der Vermögensauskunft“ sei von Amts wegen angeordnet worden. Die der Eintragung im Schuldnerverzeichnis zugrundeliegende Forderung sei vollständig befriedigt worden. Der Kläger habe sich nicht generell geweigert, der Zahlungsaufforderung der GEZ nachzukommen. Er habe lediglich einen konkreten Nachweis bzw. eine Aufstellung verlangt, wie sich der von der GEZ geltend gemachte Betrag zusammensetze. Sodann sei der Kläger bemüht gewesen, die Angelegenheit mit dem Gerichtsvollzieher … zu klären.
13
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides des Landratsamtes … vom 25. Februar 2019 den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger die beantragte Waffenbesitzkarte gemäß § 8 WaffG als Sportschütze im … mit Voreinträgen zum Erwerb und Besitz einer Pistole im Kaliber 9 mm Luger sowie einer Selbstladebüchse im Kaliber .223 Rem. mit der jeweils dazugehörigen Munitionsberechtigung zu erteilen.
14
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
15
In seiner Erwiderung verweist der Beklagte im Wesentlichen auf die Begründung des Bescheides und ergänzt, dass die Verweigerung der Zahlung des GEZ-Beitrags eine weitere typische Verhaltensweise von Angehörigen der Reichsbürgerbewegung sei. Zudem sei anderweitig eine E-Mail aufgefunden worden, mit der der Kläger zu einem Stammtisch der „… …“ einlade. Da in dieser E-Mail die Wahl eines Stammtischleiters und eines Kassenwartes angekündigt werde, gehe dies über ein lockeres Stammtischtreffen weit hinaus und weise eine Struktur auf. Der Kläger scheine dabei die Rolle eines Organisators oder Initiators zu spielen.
16
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die beigezogene Behördenakte, die Gerichtsakte, sowie das Protokoll über die mündliche Verhandlung.
Entscheidungsgründe
17
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der ablehnende Bescheid des Beklagten vom 25. Februar 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die beantragte Waffenbesitzkarte (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
18
Die Ablehnung der Erteilung der beantragten Waffenbesitzkarte ist rechtmäßig, da der Kläger nicht über die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit verfügt. Er ist insoweit der Reichsbürgerszene und ihrem Gedankengut zuzuordnen, von der er sich - insbesondere auch vor dem Hintergrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung - nicht glaubhaft distanziert hat.
I.
19
Die waffenrechtliche Zuverlässigkeit liegt beim Kläger nicht vor.
20
Gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG setzt eine waffenrechtliche Erlaubnis voraus, dass der Antragsteller der Erlaubnis die erforderliche Zuverlässigkeit gemäß § 5 WaffG besitzt. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass eine entsprechende waffenrechtliche Erlaubnis zu versagen ist, sollte diese erforderliche Zuverlässigkeit nicht vorliegen.
21
Im vorliegenden Fall stützt der Beklagte das Fehlen der erforderlichen Zuverlässigkeit beim Kläger auf § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchstaben a und b WaffG. Nach dieser Norm besitzen Personen die erforderliche Zuverlässigkeit nicht, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden werden (lit. a) oder mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren werden (lit. b).
22
Vorliegend sind entsprechende Tatsachen im Sinne dieser Norm vorhanden, da der Kläger sich verschiedentlich reichsbürgertypisch verhalten hat und sich von diesem Verhalten bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht glaubhaft distanziert hat.
23
1. Gemäß dem Verfassungsschutzbericht 2019 des Bundes (Seite 102 ff.) ist die Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ personell, organisatorisch und ideologisch heterogen. Sie setzt sich aus Einzelpersonen ohne Organisationanbindung, Kleinst- und Kleingruppierungen, länderübergreifend aktiven Personenzusammenschlüssen und virtuellen Netzwerken zusammen. Ihr verbindendes Element ist die fundamentale Ablehnung der Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland sowie deren bestehender Rechtsordnung. Diese Ablehnung ist das Ergebnis verschiedener ideologischer Positionen, die sich teilweise stark voneinander unterscheiden. Dennoch sind sie insgesamt dazu geeignet, Personen ein verschwörungstheoretisches Weltbild zu vermitteln, dessen Ergebnis die Ablehnung des Staates sein kann.
24
Nach dem Bayerischen Verfassungsschutzbericht 2019 (Seite 196 ff.) sind Reichsbürger Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnten. Dabei berufen sie sich unter anderem auf das historische Deutsche Reich, auf verschwörungstheoretische Argumentationsmuster und ein selbstdefiniertes Naturrecht. Den Vertretern des Staates sprechen sie die Legitimation ab oder definierten sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Zur Verwirklichung ihrer Ziele treten sie zum Teil aggressiv gegenüber den Gerichten und Behörden der Bundesrepublik Deutschland auf. Die Reichsbürgerideologie ist insgesamt geeignet, Personen in ein geschlossenes verschwörungstheoretisches Weltbild zu verstricken, in dem aus Staatsverdrossenheit Staatshass werden könne. Dies kann die Grundlage für Radikalisierungsprozesse sein bis hin zur Gewaltanwendung.
25
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. BayVGH, B.v. 9.2.2018 - 21 CS 17.1964 - juris RdNr. 15), der das Gericht folgt, gibt Anlass zu der Befürchtung, dass er auch die Regelungen des Waffengesetzes nicht strikt befolgen wird, wer der Ideologie der Reichsbürgerbewegung folgend die Existenz und Legitimation der Bundesrepublik Deutschland negiert und die auf dem Grundgesetz fußende Rechtsordnung generell nicht als für sich verbindlich anerkennt. Dies gilt für den Umgang mit Waffen ebenso wie für die Pflicht zur sicheren Waffenaufbewahrung, die Pflicht zur getrennten Aufbewahrung von Waffen und Munition, die Pflicht zu gewährleisten, dass andere Personen keinen Zugriff haben können, sowie die strikten Vorgaben zum Schießen mit Waffen im Besonderen (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 lit. a bis c WaffG). Ausgehend von dem Grundsatz, dass nur derjenige im Besitz von Waffen sein soll, der nach seinem Verhalten das Vertrauen darin verdient, dass er mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen wird (vgl. BVerwG, B.v. 26.3.1997 - 1 B 9/97 - juris), muss einer der sogenannten „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnenden Person anknüpfend an die Tatsache, dass sie die waffenrechtlichen Normen gerade nicht als für sich verbindlich ansieht, die nach § 5 WaffG erforderliche Zuverlässigkeit abgesprochen werden.
26
2. Der Kläger hat vorliegend reichsbürgertypische Verhaltensweisen gezeigt und diese bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht glaubhaft widerlegt. Damit hat er berechtigte Zweifel im Hinblick auf seine waffenrechtliche Zuverlässigkeit nicht entkräftet.
27
a) Hat ein waffenrechtlicher Antragsteller Verhaltensweisen an den Tag gelegt, die ihn als Reichsbürger und damit als waffenrechtlich unzuverlässig erscheinen lassen, ist es Aufgabe des erkennenden Gerichts zu prüfen, inwieweit die Einlassungen des Antragstellers im Einzelnen glaubhaft und geeignet sind, ihn als eine Person erscheinen zu lassen, die nicht die Ideologie der Reichsbürger als für sich verbindlich beansprucht (vgl. BayVGH, B.v. 9.2.2018 - 21 CS 17.1964 - juris RdNr. 19). Lässt ein von außen wahrnehmbares Verhalten des Klägers nach den zugrunde gelegten Erkenntnissen auf eine ideologische Nähe zur Reichsbürgerbewegung schließen, so ist es Sache des Klägers, die von ihm selbst hervorgerufenen, berechtigten Zweifel im Hinblick auf seine waffenrechtliche Zuverlässigkeit zu entkräften, zumal der Kläger an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken hat, insbesondere, da es sich bei einer inneren Einstellung bzw. Geisteshaltung um Umstände handelt, die in die „Sphäre“ des Klägers fallen (vgl. BayVGH, U.v. 30.7.2020 - 24 BV 18.2500 - juris RdNr. 16).
28
Das erkennende Gericht hat, insbesondere auch durch einen persönlichen Eindruck in der mündlichen Verhandlung, zu klären, inwieweit der Kläger einschlägige typische Verhaltensweisen erklären und entkräften kann. Insbesondere hat sich das Gericht einen Eindruck davon zu verschaffen, inwieweit diese Verhaltensweisen aufgeklärt oder eben auch verschleiert bzw. bagatellisiert werden (vgl. BayVGH, U.v. 30.7.2020 a.a.O.).
29
b) Im vorliegenden Fall hat der Kläger reichsbürgertypische Verhaltensweisen gezeigt. Zu nennen sind hier insbesondere das Beantragen eines Staatsangehörigkeitsausweises nach dem Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz in der Fassung von Juli 1913 unter Nutzung reichsbürgertypischen Vokabulars, die Umstände der Organisation und der Teilnahme an Treffen der „…“ sowie auch teils der Umgang des Klägers mit einem Gerichtsvollzieher aufgrund einer Streitigkeit betreffend die Zahlung der GEZ-Gebühr.
30
c) Unter Zugrundelegung der oben genannten Erkenntnisse und der Maßstäbe der Rechtsprechung ist das Gericht vorliegend der Auffassung, dass der Kläger der Reichsbürgerbewegung und ihrem Gedankengut nahestand und auch steht. Er hat sich nach Auffassung der Kammer - gerade auch vor dem Hintergrund seiner Einlassungen in der mündlichen Verhandlung - nicht glaubhaft von diesen Verhaltensweisen distanziert. Der Kläger hat bereits nicht im Verwaltungsverfahren und insbesondere auch nicht in der mündlichen Verhandlung eine Distanzierung glaubhaft machen können. Insgesamt erscheinen seine Einlassungen unglaubhaft, da sie den Eindruck von Schutzbehauptungen erwecken. Darüber hinaus blieben die Einlassungen des Klägers oberflächlich, teilweise wurden sie in unglaubhafter Weise bestritten.
31
aa) Der Kläger hat im September 2014 einen Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit zur Erlangung eines Staatsangehörigkeitsausweises gestellt. Die Umstände dieses Antrages entsprechen reichsbürgertypischen Verhaltens. Beispielsweise gab der Kläger an, dass er die deutsche Staatsangehörigkeit gemäß § 4 Abs. 1 des RuStAG nach dem Stand vom 22. Juli 1913 habe. Zudem informierte der Kläger, dass er die Staatsangehörigkeit des Königreiches Bayern besitze. Einen Wohnsitz legte der Kläger in diesem Zusammenhang in den Jahren 2001 bis 2004 in Berlin, Staat Preußen, fest.
32
Der Kläger hat es nicht vermocht, dieses Verhalten zu erklären und sich glaubhaft von der Reichsbürgerbewegung zu distanzieren. Der Kläger machte dem Gericht in der mündlichen Verhandlung durchaus keinen „unbedarften“ Eindruck, sondern vielmehr einen intelligenten. Sein Vorbringen, dass er eben nach Ausfüllhilfen gegoogelt habe und dabei diese Formulierungen quasi ungelesen übernommen habe, ist so nicht glaubhaft. Gerade dem Kläger, der mehrfach im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht hat, dass er als Inhaber einer Sicherheitsfirma mit dem deutschen Recht bestens vertraut sei und dieses auch unterrichte, musste es sich ohne Weiteres erschließen, dass es ein Königreich Bayern nicht gibt und er auch dessen Staatsangehörigkeit nicht besitzen kann. Gleiches gilt für seine Aussage in dem entsprechenden Antrag, dass er im Jahre 2001 noch im Staat Preußen gelebt habe. Auch die Vielzahl der genutzten, reichsbürgertypischen Begriffe spricht für eine bewusste Übernahme dieses Vokabulars in seinem Antrag. Zudem fällt in zeitlicher Hinsicht auf, dass der Kläger diesen Antrag erst nach den entsprechenden Umständen seiner Teilnahme an den Stammtischen der „… …“ gestellt hat. Diese hätten nach Angaben des Klägers im Jahre 2013 begonnen und sich bis ins Jahr 2014 hingezogen. Dass der Kläger, der bereits im Jahre 2013 mit entsprechenden Personen und dem entsprechenden Gedankengut Kontakt hatte, nun vollkommen unbedarft Ende 2014 solches Vokabular nutzt, ist nicht glaubhaft.
33
bb) Das Gericht ist vorliegend der Überzeugung, dass der Kläger die Stammtische der „… …“ nicht nur besucht, sondern auch mitorganisiert hat. Vor dem Hintergrund der behördlichen Erkenntnisse waren die Stammtische der „…“ ein Treffen von Personen, die reichsbürgertypisches Gedankengut geteilt haben. Insbesondere soll es dort eben auch um Diskussionsthemen gegangen sein wie beispielsweise ob die Bundesrepublik Deutschland überhaupt existiere oder nicht. Der Kläger stellte in der mündlichen Verhandlung diese Stammtische so dar, als ob es dort ausschließlich um Essen und Vorträge, wie beispielsweise über Versicherungsfonds, gegangen sei. Er habe die Gruppe, so der Kläger, auch nicht verlassen, weil dieses Gedankengut dort bestehe, sondern weil er festgestellt habe, dass diese Personen alle „Versager“ seien, die der Insolvenz nahe stünden. Er habe dort keine geschäftlichen Kontakte aufbauen können. Dem Gericht erschienen diese Ausführungen vorliegend als Bagatellisierung.
34
Darüber hinaus ist das Gericht der Auffassung, dass der Kläger die „…“ mitorganisiert hat. Die Kammer ist der Überzeugung, dass der Kläger die E-Mail vom 4. Juli 2013, die er, auch unter Angabe seiner Adresse, unterzeichnet hat, und in welcher er zum Stammtisch der „…“ einlädt sowie zur Tagesordnung die Themen „Wahl des Stammtischleiters“ und „Wahl des Kassenwartes“ stellt, selbst verfasst hat. Er ist damit als Organisator dieser Gruppierung anzusehen. Die Einlassungen des Klägers hierzu waren widersprüchlich und nicht glaubhaft. Teils gab der Kläger in der mündlichen Verhandlung an, dass er diese E-Mail keinesfalls geschrieben habe. Dann führte der Kläger aus, dass er die E-Mail allenfalls weitergeleitet habe und er diese von anderen Personen erhalten habe. Diese Einlassung ist so nicht glaubhaft, da sich eine Weiterleitung weder aus den förmlichen Umständen der E-Mail ergibt, noch ist diese E-Mail von einer anderen Person gezeichnet. Vielmehr ist diese E-Mail unterschrieben mit „Liebe Grüße, …“. Dies spricht zur Überzeugung der Kammer dafür, dass der Kläger Verfasser und geistiger Urheber dieser E-Mail ist.
35
cc) Darüber hinaus ist vorliegend auch das Verhalten des Klägers gegenüber dem Gerichtsvollzieher betreffend die Zahlung der GEZ reichsbürgertypisch, wenngleich es im hier gegebenen Fall nicht vollständig aufklärbar ist, inwieweit die Weigerung der Zahlung des Klägers hier auch auf reichsbürgertypischem Gedankengut fußt. In diesem Zusammenhang ist jedenfalls anzumerken, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, dass er deshalb nicht habe zahlen wollen, weil der Gerichtsvollzieher von ihm nur eine „Circa-Summe“ verlangt habe. Diese Behauptung des Klägers hat jedenfalls in der mündlichen Verhandlung schon widerlegt werden können.
36
dd) Die weiteren vorgebrachten Argumente der Klägerseite, um die Verhaltensweisen des Klägers zu entkräften, sind nicht überzeugend und führen daher zu keiner anderen rechtlichen Bewertung.
37
Das Gericht hat vorliegend berücksichtigt, dass die vorgeworfenen Verhaltensweisen des Klägers überwiegend in den Jahren 2013 und 2014 vonstatten gingen. Insbesondere vor dem Hintergrund dieses Zeitraumes von vier bis fünf Jahren hat das Gericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, aufgeklärt, inwieweit der Kläger sich nach einer solchen Zeitdauer von dem entsprechenden Gedankengut entfernt hat. Dabei war festzustellen, dass der Kläger sein früheres Verhalten lediglich bagatellisiert hat, ohne dass eine kritische Auseinandersetzung hiermit erkennbar war. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass es aufgrund der vorliegenden objektiven Umstände auch Sache des Klägers ist, darzulegen, dass er subjektiv diese Einstellung nicht mehr vertritt. Das Gericht ist vor dem Hintergrund des persönlichen Eindrucks des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu der Auffassung gelangt, dass der Kläger sich trotz dieses Zeitraumes nicht glaubhaft von seinen Verhaltensweisen distanziert hat, sodass davon auszugehen ist, dass er auch heute noch diesem Gedankengut nahesteht.
38
Die klägerseitige Argumentation, dass der Kläger beruflich mit seiner Sicherheitsfirma erfolgreich sei und auch viele Kommunen zu seinen Auftraggebern zähle, führt zu keiner anderen Bewertung. Denn zum einen ist der Kläger als Geschäftsmann von entsprechenden Aufträgen abhängig. Darüber hinaus ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Auftraggeber über die vergangenen Verhaltensweisen des Klägers Bescheid wüssten.
39
Dass die Kriminalpolizei den Kläger als „Verdachtsfall“ behandelt und ihn nicht vollständig als Reichsbürger einstuft, ist ebenfalls vorliegend nicht von Belang. Das Gericht ist vorliegend an diese Einstufung nicht gebunden. Vielmehr hat es sich einen eigenen Eindruck zu verschaffen und eine eigene Prüfung vorzunehmen, wenngleich eine solche Einstufung als Indiz herangezogen werden kann. Eine Einstufung als „Verdachtsfall“ steht damit der Ablehnung einer waffenrechtlichen Erlaubnis aufgrund mangelnder Zuverlässigkeit nicht im Wege, solange entsprechende Anhaltspunkte für eine Reichsbürgernähe und entsprechendes Gedankengut vorliegen. Dies ist beim Kläger der Fall. Hierzu wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
40
Die Argumentation der Klägerseite, dass der Kläger kein Reichsbürger sein könne, weil er beispielsweise pünktlich seine Steuern zahle, kann nicht überzeugen. Eine langjährige Rechtstreue ohne, insbesondere waffenrechtliche, Verstöße gegen die Rechtsordnung führt nicht zu der Annahme, dass der Kläger nicht der Reichsbürgerbewegung nahesteht. Allein der Umstand, dass sich eine Person in Übereinstimmung mit gesetzlichen Vorgaben verhält, begründet keine waffenrechtliche Zuverlässigkeit, wenn sie ihre Bindung an die Rechtsordnung durch Wort und Tat unter Vorbehalt stellt und auf diese Weise Zweifel weckt (vgl. BayVGH, B.v. 24.9.2020 - 24 ZB 19.1285 - juris RdNr. 15). Im vorliegenden Fall weckt der Kläger durch seine Verhaltensweisen entsprechende Zweifel. Hierzu wird auf obige Ausführungen verwiesen.
41
Unter Zugrundelegung der genannten Erkenntnisse und vor dem Hintergrund des persönlichen Eindrucks des Klägers in der mündlichen Verhandlung besitzt der Kläger daher die waffenrechtliche Zuverlässigkeit im Sinne des § 5 WaffG vorliegend nicht.
II.
42
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
III.
43
Zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kosten trifft die Kammer keine Entscheidung, weil sie davon ausgeht, dass der Beklagte vor Rechtskraft nicht vollstreckt.