Inhalt

AG Fürth, Urteil v. 08.01.2020 – 441 OWi 952 Js 164259/19
Titel:

Belästigung der Allgemeinheit durch provokativen öffentlichen Cannabiskonsum bei Verschreibung von Cannabis

Normenkette:
OWiG § 118 Abs. 1
Leitsatz:
Zwar kann die Allgemeinheit den öffentlichen Konsum von Cannabis hinnehmen müssen, ohne dass dies durch eine Ordnungswidrigkeit geahndet werden könnte. Dies ist jedoch dann nicht der Fall, wenn der Konsum bewusst zur Provokation genutzt wird. Dies erfüllt den Tatbestand der Belästigung der Allgemeinheit, § 118 Abs. 1 OWiG.
Schlagworte:
Cannabis, Marke, Verteidiger, Konsum, Marihuana, THC, Hauptverhandlung, Ausnahme, Suchtpotenzial, Medikament, Kostenfolge, ADHS, Ordnungswidrigkeit, Ablauf
Fundstelle:
BeckRS 2020, 39646

Tenor

1. Der Betroffene wird wegen Belästigung der Allgemeinheit zu einer  Geldbuße von 50,-- Euro verurteilt.
2. Der Betroffene hat die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen zu tragen.
Angewandte Vorschriften: § 118 Abs. 1, Abs. 2 OWiG.

Entscheidungsgründe

I.
1
Der Betroffene verdient als selbständiger Geschäftsmann monatlich netto 1.000,00 €. Er hat keine Kinder und keine Schulden.
2
Der Betroffene ist bislang weder einschlägig noch strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten.
3
Hinsichtlich der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse steht der Sachverhalt fest aufgrund der glaubhaften Angaben des Betroffenen sowie des verlesenen Bundeszentralregisterauszugs vom 04.12.2019.
II.
1. Vor der Tat:
4
Der Betroffene bekommt aufgrund eines attestierten ADHS Cannabis verschrieben, und zwar vor allem die Sorte Bakerstreet, zuletzt auch - je nach Verfügbarkeit des Medikaments - die Marke Red Nr. 4 und Pedanios. Das Marihuana Red Nr. 4 enthält 21,4 THC, das Medikament Bakerstreet ist im Wesentlichen wirkungsgleich.
5
Am 29.09.2019 konsumierte der Betroffene auf dem Kirchweihgelände der Michaelis-Kirchweih ärztlich verordnetes THC, weshalb er vom Personal eines Sicherheitsdienstes und sodann von zwei Polizeibeamten des Platzes verwiesen wurde. Im Anschluss wurde er jeweils von einer Polizeistreife bei zwei Gelegenheiten beim Konsum von verschriebenen Cannabisprodukten in Fürth in einem parkenden PKW kontrolliert.
2. Die Tat:
6
An Samstagen findet auf dem Platz in der W. straße in F. jeweils ein Bauernmarkt statt, so auch am 23.03.2019. Der Betroffene war der Auffassung, dass der Staat die Öffentlichkeitsarbeit vernachlässige, weil nicht kommuniziert werde, dass Cannabis kein Suchtpotenzial habe und es nicht toxisch sei. Deshalb begab er sich am 23.03.2019 gegen 09:30 Uhr auf den Platz in der W. straße und setzte sich dort auf einen Bistrotisch eines Restaurants mitten auf den Platz, um dort gut einsehbar einen wegen seiner größeren Ausmaße deutlich von einer Zigarette unterscheidbaren Joint mit Tabak und Cannabis - und zwar bewusst in Form eines als solcher deutlich erkennbaren Joints - zu konsumieren, wobei er Cannabis aufgrund ärztlicher Verschreibung konsumieren durfte. Dabei wusste der Betroffene, dass dies - wie bereits in der Vergangenheit - von Passanten als strafbarer Konsum von Betäubungsmitteln und damit als öffentlich begangene Straftat betrachtet werden würde. Diese Wirkung beabsichtigte der Betroffene, um Aufmerksamkeit zu erregen und zu provozieren, und zwar in sicherer Gewissheit, wegen der ärztlichen Verschreibung nicht wegen einer Straftat belangt werden zu können. Wie von dem Betroffenen beabsichtigt, wurde dies bemerkt, und zwar von dem Gemüsebauern B., der auf dem M.platz einen Verkaufsstand betrieb. Daraufhin entspann sich, wie vom Betroffenen beabsichtigt, mit B. eine Diskussion, in deren Rahmen B. den Betroffenen darauf hinwies sein Rauschgift doch weniger auffällig und nicht mitten auf dem Platz vor Kindern zu konsumieren, was der Betroffene ablehnte, sodass es zu einer verbalen Auseinandersetzung mit B. kam. Dieser verständigte im Anschluss die PI Fürth, sodass sich eine Streife der PI Fürth auf den Bauernmarkt begab und dem Betroffenen einen Platzverweisung androhte, sodass dieser nach einigen weiteren Diskussionen die Örtlichkeit verließ.
3. Nach der Tat:
7
Auch am kommenden Samstag, am 30.03.2019, konsumierte der Betroffene während des Bauernmarkts erneut THC haltige Cannabisprodukte, indem er sich zunächst auf einen Hocker eines dort anwesenden Kaffeewagens setzte und dies zum Konsum nutzte, was von zwei Mitarbeiterinnen des B. bemerkt wurde. Sie rochen, dass der Betroffene Cannabis konsumiert, und wiesen B. hierauf hin. Nach einem erneuten Disput mit B. setzte er sich dort auf eine Treppe, stellte dort seine Cannabisdose ab, baute deutlich von den Passanten einsehbar einen Joint und konsumierte so Cannabis.
III.
8
Dieser Sachverhalt steht aufgrund der Einlassung des Betroffenen soweit dieser gefolgt werden kann, sowie aufgrund der im Übrigen durchgeführten Beweisaufnahme.
9
Der Betroffene räumt den objektiven Sachverhalt so, wie geschildert, ein mit Ausnahme folgender Punkte, die er zwar nicht in Abrede stellte, aber auch nicht bestätigte:
- Konkrete Beschreibung des Joints
- Bemerken des Konsums aufgrund Geruchs durch zwei Mitarbeiterinnen des Gemüsebauern B.
10
Unter anderem sei er von B. beleidigt worden, habe aber diesen nicht angezeigt. Er erklärte, er wäre durch das Verfahren diskriminiert, wenn er bestraft werde, weil er die Medizin öffentlich einnehme. Der Staat vernachlässige die Öffentlichkeitsarbeit insoweit, als Cannabis kein Suchtpotenzial habe und nicht toxisch sei. Er habe sich bei beiden Gelegenheiten dort aufgehalten, um dort in Ruhe sein Cannabis konsumieren und so entspannt den Samstag beginnen zu können.
11
Sein Verteidiger erklärte, der Betroffene konsumiere das Cannabis nicht mit einem Vaporizer, sondern mit Tabak, weil dies einfacher und schneller sei und ein Vaporizer etwa 400,00 € koste. Diese Aussage seines Verteidigers bestätigte der Betroffene.
12
Insoweit schenkt das Gericht dem Betroffenen Glauben, weil seine Angaben durch die Angaben der Zeugen B. und H. bestätigt werden. Der Zeuge B. konnte sich an zwei Vorfälle konkret erinnern, möglicherweise habe es einen dritten Vorfall gegeben. Aufgrund seiner Aussage steht fest, dass am 23.03.2019 er und bei dem weiteren Fall die zwei Verkäuferinnen den Konsum bemerkten, die letztgenannten aufgrund des Geruchs. Im Übrigen decken sich seine Angaben mit denen des Betroffenen, insbesondere hinsichtlich des Vorfalls am Bistrotisch und des weiteren Vorfalls am 30.03.2019. Er schilderte, wie der Betroffene seine Aufforderung, in eine Ecke zu gehen und dort zu konsumieren, nicht nachgekommen sei. Der Zeuge B. ergänzte, dass am 23.03.2019 auch eine Familie mit vier oder fünf Kindern anwesend gewesen sei. Der Betroffene sei dagehockt und habe direkt neben seinem Stand gekifft.
13
Auch der vernommene PK H. schilderte, dass am 23.03.2019 schon von weitem optisch erkennbar war, dass der Betroffene einen Joint rauchte, dieser habe ein deutlich großes Volumen gehabt und nicht wie eine Zigarette ausgesehen. Es sei für ihn offensichtlich gewesen, dass der Betroffene wollte, dass alle sehen, dass er Cannabis konsumiert. Im Laufe der anschließenden Diskussion mit PK H. sei der Betroffene, wenn auch unwillig, bereit gewesen, den M.platz zu verlassen und nicht mehr zu konsumieren. Die weiteren Vorfälle, die im Sachverhalt geschildert und auch vom Betroffenen bestätigt wurden, habe er dem Datenbestand entnommen, er sei lediglich am 23.03.2019 persönlich auf den Betroffenen getroffen.
14
Das Gericht schenkt den Angaben der Zeugen PK H. und B. Glauben und legt diese seinem Urteil zugrunde. Der Zeuge PK H. war in dienstlicher Funktion mit dem Vorfall befasst, auch beim Zeugen B. bestand kein Anhaltspunkt dafür, dass er die Unwahrheit gesagt haben könnte. Beiden Zeugen war ein unnatürlicher Belastungseifer nicht anzumerken. Vielmehr machte der Zeuge B. deutlich, dass er kein Verständnis für den öffentlichen Konsum von Cannabis habe, insbesondere wenn, wie bei dem Bistrotisch, Kinder in unmittelbarer Nähe seien. Darüber hinaus decken sich die Angaben der Zeugin H. und B. in objektiver Hinsicht mit den Angaben des Betroffenen.
15
Zur Überzeugung des Gerichts nutzte der Betroffene die Tatsache, dass er Cannabis mit sich führen darf, wie dargelegt bewusst zur Provokation der Öffentlichkeit durch den offensichtlichen Konsum. Dies ergibt sich nicht nur aus dem objektiven Ablauf, nämlich der Tatsache, dass der Betroffene nicht dezent, sondern bewusst und in aller Öffentlichkeit sein Cannabis konsumierte, sondern auch aus der Tatsache, dass er am 30.03.2019 und damit nach dem verfahrensgegenständlichen Vorfall in der Nähe des Standes des Zeugen B. in vergleichbarer Weise noch einmal Cannabis konsumierte, obwohl es ihm nach Auffassung des Gerichts klar war, dass dies zu vergleichbaren Diskussionen führen und auf dem dortigen Markt von einer größeren Öffentlichkeit wahrgenommen werden würde. Diese Überzeugung wird bestätigt durch die vermeintliche - so zumindest die Auffassung des Betroffenen - Vernachlässigung der Öffentlichkeitsarbeit durch den Staat, der eben nicht darauf hinweise, dass Cannabis kein Suchtpotenzial habe und nicht toxisch sei. Dass dies bereits die Auffassung des Betroffenen am 23.03.2019 und zumindest mitursächlich für sein Verhalten an diesem Tag war, zeigt sich nach Auffassung des Gerichts durch das bewusst provokative Verhalten des Betroffenen an diesem Tag und dem Samstag darauf. Der Betroffene nutzte die Tatsache, dass ihm Cannabis zum Konsum verschrieben wurde, bewusst dahingehend, die Allgemeinheit mit seinem Konsum zu belästigen und die öffentliche Ordnung zu beeinträchtigen - so wie durch den öffentlich ausgetragenen Streit mit dem Zeugen B.
IV.
16
Damit hat sich der Betroffene der Belästigung der Allgemeinheit gemäß § 118 Abs. 1 OWiG schuldig gemacht. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass - sollte dies erforderlich sein - die Allgemeinheit auch den öffentlichen Konsum von Cannabis hinnehmen muss, ohne dass dies durch eine Ordnungswidrigkeit geahndet werden könnte, insbesondere, wenn durch das Unterlassen eines entsprechenden Konsums die körperliche Unversehrtheit des Patienten gefährdet werden würde. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn - wie vorliegend - der Konsum bewusst zur Provokation genutzt wird.
V.
17
Ausgehend von einer möglichen Geldbuße von 5,00 € bis 1.000,00 € sprach zugunsten des Betroffenen, dass er sich hinsichtlich des objektiven Ablaufs geständig zeigte und dass er bislang weder einschlägig noch strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Unter Würdigung des Tatbildes war eine Geldbuße von 50,00 EUR tat- und schuldangemessen.
VI.
18
Die Kostenfolge beruht auf § 46 OWiG i.V.m. §§ 464, 465, StPO.