Inhalt

FG München, Beschluss v. 05.11.2020 – 10 V 1479/20
Titel:

Ort der Geschäftsleitung nach DBA-Luxemburg

Normenkette:
DBA Luxemburg Art. 4 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Befindet sich der Ort der Geschäftsleitung der ausschüttenden Gesellschaft mit ausländischem Satzungssitz abkommensrechtlich im Inland, ist die im Ausland gezahlte Quellensteuer nicht gem. § 32d V 2 in Verbindung mit § 32d V 1 EStG anrechenbar. (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Ort der Geschäftsleitung iSd Art. 4 I DBA-Luxemburg bestimmt sich nach dem Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung iSd § 10 AO, also der laufenden Geschäftsführung. (redaktioneller Leitsatz)
3. Die laufende Geschäftsführung einer vermögensverwaltenden Gesellschaft hat ihren Schwerpunkt regelmäßig im Bereich der Verwaltung ihres Vermögens (vgl. BFH, Urteil v. 7.12.1994, I K 1/93, BStBl 1995 II S. 175). (redaktioneller Leitsatz)
4. Übernimmt in diesem Bereich ein Auftragnehmer die wesentlichen Aufgaben, bestimmt sich der Ort der Geschäftsleitung nach dem Ort der Geschäftsleitung des Auftragnehmers (BFH, Urteil v. 3.7.1997, IV R 58/95, BStBl 1998 II S. 86). (redaktioneller Leitsatz)
5. Zu einer faktischen Geschäftsführung der im Inland ansässigen Gesellschafter einer ausländischen vermögensverwaltenden Gesellschaft könnte es führen, wenn die Gesellschaft Gesellschafter oder beteiligungsidentische Gesellschaften mit wesentlichen Aufgaben der Verwaltung ihres Vermögens beauftragt. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ort der Geschäftsleitung nach DBA-Luxemburg, vermögensverwaltende Gesellschaft, Übertragung der laufenden Geschäfte auf eine andere Person, Einkommensteuer
Fundstellen:
EFG 2021, 429
StEd 2021, 105
BeckRS 2020, 39352
DStRE 2021, 1025
LSK 2020, 39352

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller (Ast) beantragen Aussetzung der Vollziehung (AdV) in einem anhängigen Einspruchsverfahren.
2
Streitig ist in diesem Einspruchsverfahren die Anrechnung luxemburgischer Quellensteuer auf ausgeschüttete Dividenden.
3
Der Ast war ab dem 5. Mai 2015 an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit satzungsmäßigem Sitz in Luxemburg (X-SARL) beteiligt. Sein Anteil am Stammkapital belief sich in den Streitjahren auf zwischen 2,62 und 11,97%, sein Gewinnbezugsrecht auf zwischen 9,85 und 14,19%. X-SARL schüttete in 2015, 2017 und 2018 Dividenden aus und führte luxemburgische Kapitalertragsteuer ab.
4
Zu Geschäftsführern der X-SARL waren in 2015 der in Deutschland ansässige Mehrheitsgesellschafter A, der in der Schweiz ansässige Gesellschafter B sowie der in Luxemburg ansässige C, in 2017 B, C sowie die in Luxemburg ansässigen D und E, in 2018 B (lt. Ast bis zum 18. Juli 2018), C (lt. Ast bis zum 1. Januar 2018), D, E sowie der in Luxemburg ansässige F (ab dem 27. März 2018) bestellt.
5
In ihren Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre erklärten die Ast von X-SARL ausgezahlte Dividenden des Ast in Höhe von 886.432 € in 2015, 1.405.645 € in 2017 und insgesamt 2.494.947 € in 2018 als ausländische Kapitalerträge sowie davon in Luxemburg einbehaltene und abgeführte anrechenbare Quellensteuer in Höhe von 132.964,80 € in 2015, 210.846,75 € in 2017 und insgesamt 374.242,05 € in 2018.
6
Aufgrund der Feststellungen in Außenprüfungen des Finanzamts München bei Y-SA, einer Gesellschaft mit teilweise identischem Gesellschafterkreis wie bei X-SARL, und einigen sog. Objektgesellschaften sowie von Steuerfahndungsprüfungen u. a. bei A, Gründungsgesellschafter der Y-SA und der X-SARL, und dem Ast änderte der Antragsgegner (das Finanzamt - FA -) seine Auffassung zum Ort der Geschäftsleitung und nahm eine steuerliche Ansässigkeit und damit unbeschränkte Steuerpflicht der Gesellschaften, einschließlich der X-SARL, in Deutschland an.
7
Mit gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (- AO - 2015, 2017) und § 164 Abs. 2 AO (2018) geänderten Bescheiden vom 19. Februar 2020 setzte das FA die Einkommensteuer auf 583.706 € für 2015, 1.359.691 € für 2017 und 1.016.202 € für 2018 sowie den Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer auf 31.855,66 € in 2015, 74.529,56 € in 2017 und 55.635,03 € in 2018 fest. Dabei berücksichtigte das FA die von X-SARL gezahlten Dividenden als inländische Kapitalerträge und rechnete daher in Luxemburg gezahlte Quellensteuer nicht mehr an.
8
Dagegen legten die Ast Einsprüche ein, über die das FA noch nicht entschieden hat.
9
Mit (aus nicht streitgegenständlichem Grund) gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändertem Bescheid vom 19. Juni 2020 setzte das FA die Einkommensteuer 2017 auf 1.359.503 € und den Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer auf 74.519,22 € herab.
10
Einen AdV-Antrag der Ast in Sachen Einkommensteuer 2015, 2017 und 2018 lehnte das FA mit Bescheid vom 5. Juni 2020 ab.
11
Ihren bei Gericht gestellten AdV-Antrag begründen die Ast im Wesentlichen wie folgt:
„An der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestünden ernstliche Zweifel.“
12
X-SARL sei ausschließlich in Luxemburg steuerlich ansässig. Somit seien die Dividenden ausländische Kapitalerträge und die in Luxemburg abgeführte Quellensteuer sei anzurechnen. Vertretungsberechtigte Geschäftsführer der X-SARL seien in den Streitjahren der in München wohnende Mitgesellschafter A (bis zum 2. Dezember 2016), der in der Schweiz wohnende Mitgesellschafter B (bis zum 18. Juli 2018) und der in Luxemburg wohnende C (bis zum 1. Januar 2018) gewesen. Weiter seien die in Luxemburg wohnenden D, E (jeweils ab dem 5. Dezember 2016) und F (ab dem 1. Januar 2018 bis zum 31. Juli 2019) zu Geschäftsführern berufen worden.
13
X-SARL habe in den Streitjahren an ihrem Sitz aufgrund eines Untermietvertrags mit der gleichfalls dort ansässigen Y-SA (damals JP S. á r. l. - Y-SARL -) von dieser angemietete Büroräumlichkeiten mitbenutzt (zunächst 31 qm, später 109 qm).
14
X-SARL habe für ihre Gesellschafter als Investitionsvehikel fungiert. Y-SA mit Sitz in Luxemburg und einem Büro in München habe als Asset Manager renditeversprechende Immobilien im Inland, Österreich und der Schweiz ermittelt, die sie einem begrenzten Investorenkreis, darunter der X-SARL, als Kapitalanlage angeboten habe (sog. Capital Call). Die Immobilie sei durch eine sog. Objektgesellschaft, i. d. R. Kapitalgesellschaften mit Sitz in Luxemburg, erworben worden, die sich auf administrative Tätigkeiten und das Halten der Eigentumsrechte an den Immobilien beschränkten mit exklusiver Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer für Kauf-, Kredit- und Verkaufsverträge. Die Investoren hätten Beteiligungen an diesen Objektgesellschaften im Verhältnis ihrer Einlagen erhalten. Y-SA kümmere sich als Asset Manager um die Entwicklung und Verwaltung der Immobilie. Zu diesem Zweck werde zwischen der jeweiligen Objektgesellschaft und Y-SA ein Asset Management Agreement abgeschlossen. Die Gesellschafter der X-SARL seien auch Gesellschafter der Y-SA und z. T. in deren Geschäftsführung eingebunden.
15
Der Geschäftszweck der X-SARL habe sich auf das Halten von Beteiligungen an Objektgesellschaften beschränkt und sie habe keinerlei zusätzlichen Geschäftsbetrieb gehabt. Diese Beteiligungen seien durch Y-SA als Treuhänder für X-SARL (wie auch für die übrigen Investoren der Objektgesellschaften) gehalten worden, wie sich aus den beispielhaft vorgelegten Subscription and Trust Agreements ergebe.
16
Die Entscheidung zur Investition in Objektgesellschaften hätten die Gesellschafter der X-SARL vor Gründung der Objektgesellschaften getroffen und sich gegenüber Y-SA zu bestimmten Investitionszahlungen verpflichtet. Die Investition werde von den Geschäftsführern per Freigabe der Treuhandvereinbarung mit Y-SA umgesetzt (durch Beschluss in der Geschäftsführerversammlung, s. Protokolle).
17
Die laufende Verwaltung der Beteiligung und die Vertretung der X-SARL in den Gesellschafterversammlungen der Objektgesellschaften habe in vollem Umfang Y-SA als Treuhänder unter einer uneigennützigen und jederzeit widerruflichen Treuhandschaft übernommen. Y-SA sei auch offiziell als Gesellschafter im luxemburgischen Handelsregister eingetragen. X-SARL sei als Treugeberin zu jeder Zeit berechtigt gewesen, Y-SA bei der Verwaltung der Beteiligungen anzuweisen. Wie alle anderen Investoren sei auch X-SARL nicht in die Verwaltung der von den Objektgesellschaften gehaltenen Immobilieninvestitionen eingebunden gewesen.
18
Entsprechend Art. 11 Abs. 3 Gesellschaftsvertrag (GV) vom 21. Dezember 2009 der X-SARL seien bei Bedarf Entscheidungen durch Beschluss der Geschäftsführerversammlung getroffen worden (z. B. Freigabe und Genehmigung von Dividendenausschüttungen oder von Subscription and Trust Agreements), die mit der Mehrheit der Stimmen der anwesenden oder in der Sitzung vertretenen Manager zu treffen seien (Art. 12 Abs. 8 GV).
19
Nach Art. 15 GV könnten zwei Manager alle Befugnisse auf jede Person übertragen, woraus sich nach Art. 16 GV eine Vertretungsmacht nach außen ergebe.
20
Die luxemburgischen Körperschaft-, Gewerbe- und Vermögensteuererklärungen der X-SARL seien ab 2015 für Veranlagungszeiträume ab 2013 in Luxemburg erstellt worden und unterschrieben von der Geschäftsführung (C 2013, A und C 2014, E und D 2015, 2016 und 2017). Die Steuerabzugserklärungen auf Einkünfte aus Kapitalvermögen hätten A und C 2015 und E und D 2017 und 2018 unterschrieben. Den Steuerberater habe zuletzt (3. August 2018) die luxemburgische Geschäftsführung beauftragt.
21
Die Jahresabschlüsse seien von G-GmbH in München vorbereitet (2015 bis 2017) und hinsichtlich der Überleitung auf luxemburgisches Handelsrecht von H-SARL erstellt worden (2016 und 2017). Die Geschäftsführung habe die Jahresabschlüsse geprüft (E-Mail vom 14. November 2018). Die Jahresabschlüsse seien von E bzw. H-SARL bei den luxemburgischen Behörden eingereicht worden.
22
Für Zwecke der laufenden Buchhaltung sowie der Prüfung von Steuererklärungen und Jahresabschlüssen habe sich die Geschäftsführung der X-SARL der Unterstützung durch Mitarbeiter der Y-SA bedient, die z. T. in dem luxemburgischen und z. T. in dem deutschen Büro der Y-SA tätig gewesen seien, zuvorderst des Ast, der in den Streitjahren über einen Beratervertrag für Y-SA tätig gewesen sei. Auf ihn habe die Geschäftsführung nach Art. 15 GV das Tagesgeschäft hinsichtlich der Prüfung von Steuererklärungen und Jahresabschlüssen einschließlich der Kommunikation mit den Steuerberatern ausgelagert.
23
Die wichtigsten Zahlen im Immobilienbereich hätten ihren Ursprung bei der Hausverwaltung und/oder dem Asset Manager, also der Y-SA. Zudem habe Y-SA als Treuhänder der Beteiligungen der Objektgesellschaften dem Treugeber die relevanten Informationen zu liefern.
24
Nach dem Asset Management Vertrag mit den Objektgesellschaften sei Y-SA verpflichtet, diese Informationen für die Investoren zusammenzustellen und aufzubereiten.
25
Der Ast und z. T. auch die in München angestellte I seien jährlich i. R. d. Vollständigkeitserklärung für den Jahresabschluss von der Geschäftsführung der X-SARL als Auskunftsperson bezeichnet worden. Die Jahresabschlüsse und Kontenrahmen seien jährlich von der Geschäftsführung in Luxemburg geprüft worden, wie sich aus den Unterschriften unter den Vollständigkeitserklärungen ergebe.
26
In die Korrespondenz mit den Beratern und der Finanzverwaltung sei die Geschäftsführung der X-SARL eingebunden. Die Geschäftsführung habe jährlich gegenüber den Gesellschaftern Bericht über die Geschäftsentwicklung der X-SARL erstattet; die Berichte seien ausschließlich von in Luxemburg ansässigen Geschäftsführern unterschrieben. Weiter habe die Geschäftsführung die Gesellschafter postalisch über die Ausschüttungen und einbehaltene Quellensteuer informiert und zu Gesellschafterversammlungen eingeladen.
27
X-SARL habe ein Geschäftskonto bei einer luxemburgischen Gesellschaft unterhalten. Kontoführungsbefugt seien in den Streitjahren neben der Geschäftsführung u. a. der Ast (nur gemeinsam mit einem Geschäftsführer) gewesen. In dem gewinnträchtigen Jahr 2017 seien - mit wenigen Ausnahmen - anders als zuvor alle Überweisungen durch die Geschäftsführung in Luxemburg direkt veranlasst worden.
28
Zum Verfahrensgang sei anzumerken, der steuerliche Bericht vom […] betreffend X-SARL erschöpfe sich in der Feststellung, dass sich ihr Ort der Geschäftsleitung im Inland befinde, in der Feststellung inländischer Einkünfte für 2008 bis 2017 und in einem Verweis auf einen strafrechtlichen Ermittlungsbericht vom […], der im Strafverfahren gegen A erst zum […] fertiggestellt und A zugestellt worden sei.
29
Letzterer sei nahezu wortgleich mit dem strafrechtlichen Ermittlungsbericht gegenüber dem Ast vom […]. Beide strafrechtlichen Ermittlungsberichte enthielten Feststellungen zu einem inländischen Ort der Geschäftsleitung der X-SARL, der Y-SA und der Objektgesellschaften in München in den von Y-SA unterhaltenen Geschäftsräumen sowie einer inländischen gewerblichen Tätigkeit der X-SARL und der Objektgesellschaften. Die Feststellungen auf S. […] zu den Geschäftsführern der X-SARL widersprächen den der Steuerfahndung vorliegenden Auszügen aus dem luxemburgischen Handelsregister.
30
Der Ort der Geschäftsleitung sei je Erhebungszeitraum zu prüfen. Die Feststellungen des FA und die in Bezug genommenen Asservate beträfen jedoch überwiegend den Zeitraum vor 2016.
31
Zur steuerlichen Ansässigkeit der X-SARL in Luxemburg sei anzumerken, dass nach § 32d Abs. 5 Einkommensteuergesetz in der für die Streitjahre geltenden Fassung - EStG - i. V. m. Art. 22 Abs. 1 Buchst. b des Abkommens vom 23. April 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und Verhinderung der Steuerhinterziehung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (BGBl II 2012, 1402 - DBA-Luxemburg -) die luxemburgische Steuer auf die deutsche Steuer anzurechnen sei. Die luxemburgische Quellensteuer sei in Übereinstimmung mit dem DBA-Luxemburg gezahlt worden, da unter den Voraussetzungen des Art. 10 Abs. 3, Abs. 2 Satz 1 DBA-Luxemburg.
32
Die abkommensrechtliche Ansässigkeit der X-SARL bestimme sich nach Art. 4 Abs. 1 DBA-Luxemburg, nicht nach Art. 4 Abs. 3 DBA-Luxemburg.
33
Bereits aufgrund ihres statutarischen Sitzes als „ähnliches Merkmal“ i. S. d. Art. 4 Abs. 1 Satz 2 DBA-Luxemburg sei X-SARL in Luxemburg ansässig i. S. d. Art. 4 Abs. 1 Satz 1 DBA-Luxemburg. Eine zusätzliche Ansässigkeit in Deutschland komme ab 2015 nicht in Betracht. Da X-SARL in den Streitjahren ein Büro an ihrem statutarischen Sitz unterhalten habe, an dem ihre zur Vertretung berufenen Geschäftsführer regelmäßig tätig würden, spreche schon der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass sich dort auch der Ort ihrer Geschäftsleitung i. S. d. § 10 AO befinde. X-SARL habe keine Geschäftsleitung in Deutschland gehabt. Dabei seien die Besonderheiten vermögensverwaltender Gesellschaften zu berücksichtigen. Entscheidend sei, an welchem Ort die für die Geschäftsführung erforderlichen Maßnahmen von einigem Gewicht angeordnet würden. Auf vorbereitende oder unterstützende Einzelmaßnahmen komme es nicht an, ebenso nicht darauf, wo die Geschäftsvorfälle und administrativen Maßnahmen letztendlich ausgeführt würden oder wo sie sich auswirkten. Besonderer Beweiswert komme der Unterzeichnung der Steuererklärung zu. Das FA blende aus, dass die hinter den Ausführungsmaßnahmen stehenden Entscheidungen, auf die es ankomme, im Beschlusswege oder per Delegation auf Geschäftsführerebene in Luxemburg getroffen worden seien.
34
Der Ast und andere Mitarbeiter der Y-SA seien bei X-SARL nicht vertretungsbefugt, so dass es auf deren Mitarbeit nicht ankomme. Der Austausch mit den Steuerberatern habe allein der Abstimmung steuererheblicher Sachverhalte gedient, in deren Ermittlung auch die Geschäftsführung eingebunden gewesen sei. Das FA hätte hieran auch keinen Anstoß genommen, wenn die betreffenden Mitarbeiter der Y-SA angestellt gewesen wären. Bei Anstellung dieser Personen direkt bei X-SARL wäre dies eindeutig. Zu prüfen sei, ob die betreffende Handlung/Maßnahme durch einen Mitarbeiter wahrgenommen werden könnte. Auch die Weiterleitung von Korrespondenz der X-SARL an Y-SA sei Ausfluss dieser unschädlichen Aufgabendelegation. Es sei typische Arbeitsteilung, dass Steuererklärung und Jahresabschluss so weit vorbereitet werden, dass sie nur noch abgegeben werden müssten.
35
Die Kontoeröffnung 2007 für X-SARL durch A sei für die Streitjahre nicht relevant. Die späteren Kontoeröffnungen und ab 2017 auch alle Überweisungen seien durch die Geschäftsführung der X-SARL in Luxemburg veranlasst worden.
36
Die von der Steuerfahndung zitierten Überweisungshandlungen seien erklärbar und ohne Gewicht für das Tagesgeschäft.
37
Dem Ast sei jedenfalls ab 2014 gemeinsam mit mindestens einem Geschäftsführer Kontovollmacht erteilt worden. Dies sei nach Art. 15 GV zulässig und zudem üblich. Überweisungen seien zudem nur ausführende Handlungen. Die Entscheidung zur Vornahme des Geschäftsvorfalls sei bei den genannten Überweisungen stets im Ausland getroffen worden.
38
Selbst wenn man bzgl. der von der Steuerfahndung herangezogenen Tätigkeiten davon ausgehen würde, dass es sich um Tagesgeschäft von einiger Wichtigkeit handelte, liege das deutliche Übergewicht dieser Tätigkeiten numerisch nachweisbar in Luxemburg. Auch rein quantitativ gesehen seien die luxemburgischen Geschäftsführer deutlich aktiver für X-SARL tätig als Mitarbeiter der Y-SA dies gewesen seien. A, der als einziger der drei Geschäftsführer einen Wohnsitz im Inland gehabt habe, sei zum 2. Dezember 2016 aus der Geschäftsführung ausgeschieden.
39
Selbst wenn X-SARL von 2015 bis 2018 einen Ort der Geschäftsleitung im Inland gehabt habe, stehe dies der Annahme einer für die Anwendung von Art. 22 Abs. 1 Buchst. b i. V. m. Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Buchst. b DBA-Luxemburg entscheidenden abkommensrechtlichen Ansässigkeit in Luxemburg nicht entgegen. Die dann schon wegen des statutarischen Sitzes doppelansässige Gesellschaft gelte nach Art. 4 Abs. 3 DBA-Luxemburg als nur in dem Staat ansässig, in dem sich der Ort ihrer tatsächlichen Geschäftsleitung befinde.
40
Denn nach dieser „tie-breaker“-Regelung werde auf den Ort der „tatsächlichen Geschäftsleitung“ der Gesellschaft abgestellt. Die in den Streitjahren in Luxemburg vorhandenen Büroräumlichkeiten, die den überwiegend - nach dem Ausscheiden des A aus der Geschäftsführung sogar ausschließlich - in Luxemburg wohnhaften Geschäftsführern zur Verfügung gestanden hätten und auch die Funktion einer Zentralverwaltung gehabt hätten, sprächen für einen Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung in Luxemburg. Qualitativ und quantitativ habe der Schwerpunkt der von den Geschäftsführern ausgeübten Tätigkeit in Luxemburg gelegen. Nach dem Gesamtbild ergäben sich die erheblich engeren Anbindungen der Geschäftsleitung an Luxemburg.
41
Die Beweislast dafür, dass der Ort der Geschäftsleitung im jeweiligen Streitjahr im Inland gelegen gewesen sei, treffe das FA. Das FA blende die besonderen funktionsadäquaten Anforderungen an die Bestimmung des Orts der Geschäftsleitung einer reinen Beteiligungsgesellschaft aus. Es missachte das Geschäftsmodell und die Funktionsverteilung zwischen den betroffenen Gesellschaften, indem es die Tätigkeiten der Objektgesellschaften, der rein vermögensverwaltenden Beteiligungsgesellschaft X-SARL und der gewerblich aktiven Y-SA einer undifferenzierten Gesamtbetrachtung unterwerfe.
42
Das FA bestätige selbst, dass der Aufgabenbereich der Geschäftsführer der X-SARL in Luxemburg in der (Selbst-)Organisation der Verwaltung des Standorts Luxemburg bestehe. Gerade dies sei für den Ort der Geschäftsleitung der X-SARL in Luxemburg entscheidend. Die Steuerfahndung habe am Sitz der X-SARL in Luxemburg am 15. Mai 2019 einen voll funktionierenden Geschäftsbetrieb vorgefunden und mehrere Tausend Unterlagen beschlagnahmt. Eine vergleichbare Substanz sei jedenfalls in 2017 und 2018 vorhanden gewesen, wie der E-Mail-Verkehr zwischen E und einem in Luxemburg tätigen Mitarbeiter vom 10. und 13. August 2018 belege.
43
Nach Art. 11 Abs. 3 Satz 2 GV vom 21. Dezember 2009 habe X-SARL nur durch eine einstimmige Entscheidung von zwei Geschäftsführern gebunden werden können. Bis zu dem Ausscheiden des A in 2016 habe X-SARL nur einen und danach keinen im Inland ansässigen Geschäftsführer gehabt. Die behauptete faktische Geschäftsführung durch A sei auch darüber hinaus nicht belegt.
44
Erstmals mit Art. 11 Abs. 3 GV vom 24. Oktober 2018 sei den Gesellschaftern anheimgestellt worden, zwischen Klasse-A- und Klasse-B-Geschäftsführern zu unterscheiden, wovon allerdings kein Gebrauch gemacht worden sei.
45
Es seien nicht sämtliche für die Geschäftsführung relevanten Entscheidungen von Vertretern der Y-SA im Inland getroffen worden. So seien Steuererklärungen und Jahresabschlüsse für die Streitjahre von H-SARL in Luxemburg erstellt worden.
46
Wenn das FA darauf hinweise, dass alle unterschriftsbereiten Unterlagen sowie der Schriftverkehr von München nach Luxemburg versandt worden seien, damit die Dokumente einen luxemburgischen Eingangsstempel hätten vorweisen können, sei unklar, was X-SARL mit einem solchen Eingangsstempel hätte beweisen wollen. Das FA vermische offenbar die Aufgabenbereiche des Treuhänders, des Asset Managers sowie der Beteiligungsgesellschaft X-SARL.
47
Die luxemburgischen Geschäftsführer hätten nicht nur Anweisungen aus dem Inland umgesetzt, sondern eigenständig und eigenverantwortlich gehandelt.
48
Dazu, dass es sich nicht um eine künstliche Steuerstruktur gehandelt habe, werde auf die Aussagen zweier im Strafverfahren als Zeugen vernommenen, mit dem vorliegenden Sachverhalt, insbesondere dem Geschäftsmodell, befassten Beamten der Finanzverwaltung verwiesen. Diese hätten bestätigt, dass für die Annahme eines Ortes der Geschäftsleitung einer Beteiligungsgesellschaft nicht viel Tagesgeschäft notwendig sei, wenn man - wie hier - fremde Dritte die Verwaltung vornehmen lasse, und dass dies allgemein Usus und bei nur vermögensverwaltend tätigen Gesellschaften ohne steuerliche Nachteile sei. Gerade der Nachweis dieser Verwaltungspraxis sei der Grund, warum das Strafverfahren bezüglich sämtlicher Objektgesellschaften unterdessen eingestellt worden sei.
49
Die vom FA vorgelegten von A unterschriebenen Darlehensverträge datierten aus 2009 und 2011 und seien daher vorliegend ohne Bedeutung. In den Streitjahren seien alle Darlehensverträge zunächst von C mit unterschrieben, ab 2017 sei eine Unterschrift von den luxemburgischen Geschäftsführern D, F und E erfolgt, wie sich aus dem vorgelegten Darlehensvertrag der X-SARL mit einer Objektgesellschaft vom 5. Juli 2018 ergebe.
50
Das FA vermische die Tätigkeiten des Asset Managers und Treuhänders Y-SA mit denen der Beteiligungsgesellschaft X-SARL und leite aus jeder noch so schlichten, dem bloßen Informationsaustausch dienenden Kommunikation Anhaltspunkte für eine vermeintlich umfassende Steuerung der luxemburgischen Geschäftsführung der X-SARL durch inländische Personen ab.
51
Das FA differenziere nicht anhand der Aufgabenverteilung zwischen dem Münchener Büro der Y-SA und der Geschäftsführung der X-SARL in Luxemburg.
52
Als „Database“ sei das in Luxemburg gepflegte Ablagesystem bezeichnet worden, in das die Originalunterlagen aufgenommen würden. Wie die vorgelegte Arbeitsanweisung für die Behandlung eingehender Rechnungen sowie auf deren Seite 2 der Rechnungsstempel des externen Buchhalters G-GmbH vom 28. September 2018 zeigten, handele es sich um einen für jedes Unternehmen typischen Rechnungsprozess, der vornehmlich durch die luxemburgische Geschäftsführung und ihre Mitarbeiter betrieben werde. Nach der Freigabe durch die luxemburgische Geschäftsführung habe die Mitarbeiterin im Accounting der Y-SA I den Überweisungsträger erstellt, den dann die luxemburgischen Geschäftsführer unterschrieben und bei der Bank eingereicht hätten. Das ergebe sich u. a. auch aus der vorgelegten E-Mail-Korrespondenz vom 26. August 2019 und aus den Protokollen über die Vernehmung der Zeugen […] im Strafverfahren.
53
Dass im Münchener Büro der Y-SA tatsächlich auf X-SARL bezogene Unterlagen beschlagnahmt worden seien, zumal in zahlreicher Form, müsse angezweifelt werden. Das FA spreche nichtssagend von „Gründungsurkunden“, „im Original benötigten Unterlagen“ und „Versicherungsscheinen“.
54
X-SARL habe im Inland kein Büro unterhalten. Bei der Durchsuchung der Geschäftsräume der X-SARL in Luxemburg seien lt. FA mehrere Tausend Unterlagen beschlagnahmt worden. Zudem seien dort in den Streitjahren drei Geschäftsführer und drei Mitarbeiter vor Ort tätig gewesen.
55
Bei dem Verkauf von Anteilen an Objektgesellschaften an K-GmbH handele es sich nicht um einen Vorgang des für den Ort der Geschäftsleitung notwendigen Tagesgeschäfts. Nicht unüblich sei, dass sich die Gesellschafter in den Verkaufsprozess einbrächten. Hierdurch würden sie jedoch nicht gleich zu faktischen Geschäftsführern. Sämtliche Anteilsübertragungen seien in Luxemburg nach Vertragsmustern vorbereitet, freigegeben und hinterlegt worden. Das zeige sich u. a. in der jeweils letzten Zeile des vorgelegten Standardformulars, der Share Transfer Form.
56
Nachweise dafür, dass die Entscheidungen faktisch in München getroffen worden seien, habe das FA nicht beigebracht. Die Staatsanwaltschaft München habe unlängst gegenüber dem Ast erklärt, dass man nicht länger von einer faktischen Geschäftsführung des Ast bei den in Luxemburg ansässigen Gesellschaften ausgehe.
57
Wie sich aus den vorgelegten Nachweisen ergebe, seien in den Streitjahren Beschlüsse in Luxemburg gefasst und (mit-) unterschrieben worden und hätten sämtliche Geschäftsführerversammlungen in Luxemburg stattgefunden.
58
Zahlreiche Zeugenaussagen widerlegten die Ansicht des FA, dass die Geschäftsführung in Luxemburg keine eigenen Entscheidungen treffe, dazu auch gar nicht qualifiziert sei oder dass die dafür erforderliche Substanz fehle (u. a. Aussagen der im Strafverfahren vernommenen Zeugen […]).
59
Die Ast beantragen sinngemäß,
1.
die Vollziehung der Bescheide vom 19. Februar 2020 und 19. Juni 2020 in Höhe von 132.965 € Einkommensteuer 2015, 210.883 € Einkommensteuer 2017 und 374.242 € Einkommensteuer 2018 und in Höhe von 7.313,07 € Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer 2015, 11.598,57 € Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer 2017 und 20.583,31 € Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer 2018 bis zum bestandskräftigen Abschluss der Einspruchsverfahren ohne Sicherheitsleistung auszusetzen,
2.
die durch die angefochtenen Bescheide angefallenen Säumniszuschläge ab Fälligkeit aufzuheben, soweit sie auf die auszusetzenden Beträge entfallen,
3.
sowie, hilfsweise, die Beschwerde zuzulassen.
60
Das FA beantragt,
den Antrag abzulehnen.
61
Das FA regt an, hilfsweise, die Vollziehung nur gegen Sicherheitsleistung auszusetzen.
62
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die ausgetauschten Schriftsätze und die vorgelegten Akten verwiesen.
II.
63
Der Antrag hat keinen Erfolg.
64
1. Der Antrag ist auch betreffend die angefochtenen Festsetzungen des Solidaritätszuschlags zur Einkommensteuer zulässig (Bundesfinanzhof - BFH - Beschluss vom 20. Mai 1998 III B 9/98, BFHE 186, 236, BStBl II 1998, 721).
65
2. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte im Sinne des § 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO bestehen nach Aktenlage nicht.
66
a) Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei überschlägiger Prüfung anhand des aktenkundigen Sachverhalts neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, dagegen sprechende Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist bereits dann begründet, wenn ein nicht nur geringer Grad von Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der gegen den Verwaltungsakt eingelegte Rechtsbehelf Erfolg haben wird (BFH-Urteil vom 7. Juni 1994 IX R 141/89, BStBl II 1994, 756; BFH-Beschlüsse vom 15. Januar 1998 IX B 25/97, BFH/NV 1998, 994; vom 25. August 1998 II B 25/98, BStBl II 1998, 674; vom 23. Juli 1999 VI B 116/99, BStBl II 1999, 684).
67
b) Im Streitfall hat der Senat keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO (2015, 2017) und § 164 Abs. 2 AO (2018) geänderten Festsetzungen der Einkommensteuer und des Solidaritätszuschlags zur Einkommensteuer.
68
Die Anrechnung ausländischer Steuern erfolgt im Festsetzungsverfahren, § 2 Abs. 6 Satz 1 EStG.
69
Eine Anrechnung der Quellensteuer gem. § 32d Abs. 5 Satz 2 i. V. m. Satz 1 EStG i. V. m. Art. 22 Abs. 1 Buchst. b Doppelbuchst. aa DBA-Luxemburg auf die deutsche Einkommensteuer scheidet aus. Denn die Quellensteuer wurde in Luxemburg nicht in Übereinstimmung mit diesem Abkommen gezahlt. Ein Fall des Art. 10 DBA-Luxemburg ist nicht gegeben, da in den Streitjahren sowohl die ausschüttende Gesellschaft X-SARL als auch der Ast als Empfänger im Inland ansässig waren.
70
aa) X-SARL war in den Streitjahren in Deutschland ansässig, denn der Mittelpunkt ihrer geschäftlichen Oberleitung i. S. d. § 10 AO als Ort der Geschäftsleitung i. S. d. Art. 4 Abs. 1 DBA-Luxemburg (zur Auslegung nach innerstaatlichem Recht vgl. Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 4 Rn. 105) befand sich in Deutschland.
71
aaa) Die Definition der Geschäftsleitung in § 10 AO geht auf das Urteil des Reichsfinanzhofs (RFH) vom 16. Juni 1931 I A 462/30 (RFHE 29, 78, RStBl 1931, 848) zurück. Danach ist der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung dort, wo der für die Geschäftsführung maßgebliche Wille gebildet wird. Es kommt darauf an, wo die für die Geschäftsführung nötigen Maßnahmen von einiger Wichtigkeit angeordnet werden. Dabei muss jedoch die Bedeutung der tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalles beachtet werden. Da jede nichtnatürliche Person einen Ort ihrer Geschäftsleitung haben muss, hängt es letztlich von den im Einzelfall tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten ab, welche von ihnen für die nichtnatürliche Person besonderes Gewicht hatten und auf welche deshalb bei der Bestimmung des Ortes der Geschäftsleitung abzustellen ist. Betätigt sich z. B. eine Kapitalgesellschaft nur vermögensverwaltend, so kann der Mittelpunkt ihrer geschäftlichen Oberleitung auch dort liegen, wo die Kapitalgesellschaft die laufende Kontrolle über ihr Vermögen ausübt, wo sie ihre Wertpapiere verwahrt oder wo sie ihre Steuererklärungen anfertigt bzw. unterschreibt, wenn sie nur an keinem anderen Ort gewichtigere Entscheidungen trifft. Wird eine Kapitalgesellschaft an verschiedenen Orten geschäftsführend tätig, so sind die an den verschiedenen Orten ausgeübten Tätigkeiten nach ihrer Bedeutung für die Kapitalgesellschaft zu gewichten, um auf diese Weise den Ort der Geschäftsleitung zu bestimmen. Die in diesem Sinne wesentlichen Maßnahmen von einiger Wichtigkeit lassen sich deshalb nicht abstrakt oder absolut umschreiben. Sie können nur für den Einzelfall bestimmt werden. Maßnahmen, die für die eine Kapitalgesellschaft von untergeordneter Bedeutung sind, können für eine andere Kapitalgesellschaft den Ort der Geschäftsleitung begründen (BFH-Urteil vom 7. Dezember 1994 I K 1/93, BFHE 176, 253, BStBl II 1995, 175 m. w. N.).
72
Unter der „geschäftlichen Oberleitung“ einer Kapitalgesellschaft i. S. des § 10 AO ist ihre Geschäftsführung im engeren Sinne zu verstehen. Das ist die sog. laufende Geschäftsführung. Zu ihr gehören die tatsächlichen und rechtsgeschäftlichen Handlungen, die der gewöhnliche Betrieb der Gesellschaft mit sich bringt, und solche organisatorischen Maßnahmen, die zur gewöhnlichen Verwaltung der Gesellschaft gehören („Tagesgeschäfte“). Zu ihnen gehören nicht die Festlegung der Grundsätze der Unternehmenspolitik und die Mitwirkung der Gesellschafter an ungewöhnlichen Maßnahmen bzw. an Entscheidungen von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung. Von der laufenden Geschäftsführung ist deshalb die Mitwirkung der Gesellschafter an einzelnen Geschäftsführungsentscheidungen zu unterscheiden, wobei es unerheblich ist, ob die Mitwirkung in der Satzung vorgesehen ist oder nicht. Sie ist solange kein Teil der Geschäftsleitung i. S. des § 10 AO, als die Gesellschafter sich nicht ständig in den gewöhnlichen Geschäftsverkehr der Kapitalgesellschaft einmischen und nicht alle Geschäftsführungsentscheidungen von einigem Gewicht selbst treffen.
73
Unter den Begriff der „geschäftlichen Oberleitung“ i. S. des § 10 AO fallen im Übrigen nur solche Entscheidungen und Maßnahmen, die für Rechnung der Person getroffen werden, deren Ort der Geschäftsleitung zu bestimmen ist (BFH-Urteile vom 7. Dezember 1994 I K 1/93, BFHE 176, 253, BStBl II 1995, 175; vom 3. Juli 1997 IV R 58/95, BFHE 184, 185, BStBl II 1998, 86; jeweils m. w. N.).
74
Im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) kann ein Finanzgericht (FG) aus dem Umstand, dass eine Kapitalgesellschaft an einem bestimmten Ort Einrichtungen für Zwecke der Geschäftsleitung schafft und dass ihre zur Vertretung berufenen Geschäftsführer von diesem Ort aus regelmäßig tätig werden, auf den Ort der Geschäftsleitung der Kapitalgesellschaft schließen (BFH-Urteil vom 7. Dezember 1994 I K 1/93, BFHE 176, 253, BStBl II 1995, 175 m. w. N.).
75
bbb) Nach diesen Maßgaben befand sich bei summarischer Prüfung anhand der präsenten Beweismittel der Ort der Geschäftsleitung der X-SARL in den Streitjahren in Deutschland.
76
Der Senat hat bei summarischer Prüfung keine durchgreifenden Zweifel, dass die funktionsmäßig wesentlichen Geschäftsleitungsaufgaben nicht bzw. nur in einem untergeordneten Umfang von den in Luxemburg tätigen Geschäftsführern, sondern im Inland erledigt wurden.
77
Dabei verkennt der Senat nicht, dass es sich bei X-SARL um eine vermögensverwaltende Gesellschaft handelt, zu deren gewöhnlicher Geschäftstätigkeit auch z. B. das Unterzeichnen von Steuererklärungen, „Steuerabzugserklärungen auf Einkünften aus Kapitalvermögen“ und Jahresabschlüssen, die Ausstellung von Bescheinigungen über den Steuereinbehalt an Gesellschafter, die Einberufung von Gesellschafterversammlungen sowie die Einreichung von Dokumenten (wie Jahresabschlüssen) bei den luxemburgischen Behörden zählen. Der Senat kann allerdings der Auffassung der Ast, dass es sich allein bei diesen Tätigkeiten um das „Tagesgeschäft“ handelte, nicht folgen. Denn wesentliche Tätigkeit der Gesellschaft war schon nach ihrem Gesellschaftszweck die Verwaltung ihres Vermögens.
78
Ohne Zweifel können im Rahmen dieser Tätigkeit andere Personen mit bestimmten Aufgaben beauftragt werden (vgl. BFH-Urteil vom 3. Juli 1997 IV R 58/95, BStBl II 1998, 86).
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(1) Wenn aber durch eine solche Beauftragung - wie von den ASt im Schriftsatz vom […] dargestellt - keinerlei vermögensverwaltende Tätigkeit mehr bei den bestellten Geschäftsführern der X-SARL verbleibt, mithin die laufenden Geschäfte (nämlich Eigenverwaltung und Vermögensverwaltung) von verschiedenen Personen ausgeführt werden, ist zu gewichten. Wie sich zum einen aus dem Gesellschaftszweck der X-SARL und zum anderen aus der geringen Managementvergütung (vgl. Schriftsatz des FA vom […]) für die Geschäftsführer der X-SARL ergibt, ist dann der Mittelpunkt der Geschäftsleitung auf den mit der Vermögensverwaltung beauftragten Treuhänder übergegangen (vgl. BFH-Urteil vom 3. Juli 1997 IV R 58/95, BStBl II 1998, 86).
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Der Mittelpunkt der Geschäftsleitung wäre auch dann auf den Treuhänder übergegangen, wenn - wie von den ASt in den Schriftsätzen im Aussetzungsverfahren vorgetragen - doch vermögensverwaltende Tätigkeit bei den Geschäftsführern der X-SARL verblieb, da sie Subscription and Trust Agreements unterzeichneten und die entsprechenden Geschäftsführerbeschlüsse fassten sowie entsprechend Subscription and Trust Agreements Capital Call-Überweisungen anwiesen und Darlehensverträge mit Objektgesellschaften unterzeichneten (wie z. B. durch auszugsweise Vorlage einiger Subscription and Trust Agreements aus 2017, Vorlage der Anweisung einer Zahlung eines Capital Calls durch D und E am 12. Dezember 2017 sowie eines Darlehensvertrags mit einer Objektgesellschaft vom 5. Juli 2018 glaubhaft gemacht). Denn mit diesen Tätigkeiten führten die Geschäftsführer nur Gesellschafterbeschlüsse betreffend Entscheidungen von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung aus. Die Umsetzung dieser Entscheidungen ist daher ein lediglich untergeordneter Teil der gesamten - nach dem Geschäftsmodell im Wesentlichen delegierten - Vermögensverwaltungstätigkeit.
81
Der Ort der Geschäftsleitung des Treuhänders Y-SARL befand sich in den Streitjahren im Inland. Nach den Angaben der Ast (Anlage 23, S. 2) waren bei Y-SARL in 2015 zunächst A und D, dann und bis 2018 A, D und E zu Geschäftsführern bestellt. A war alleinvertretungsberechtigt „Klasse A“, D gesamtvertretungsberechtigt „Klasse B“ und E durfte die Gesellschaft im täglichen Geschäft vertreten (vergleichbar Prokura). Das wesentliche Geschäft der Y-SARL (Suche von geeigneten Immobilienprojekten und Investoren, Tätigkeit als Treuhänder der Investoren und Asset Manager der Objektgesellschaften) wurde maßgeblich von A von Deutschland aus geführt. So sind auch z. B. die Subscription and Trust Agreements, die die Ast vorgelegt haben, für Y-SARL von A allein unterschrieben. Dies lässt sich zudem den vom FA im Ermittlungsbericht vom […] auszugsweise wiedergegebenen Zeugenaussagen z. B. der […] entnehmen.
82
(2) Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben - wofür einiges spricht -, ob bereits die Nichtwahrnehmung der Aufgaben, die X-SARL als Auftraggeberin im Bereich der Vermögensverwaltung nach Beauftragung der Y-SARL zukamen, durch die luxemburgischen Geschäftsführer der X-SARL (nämlich Kontrolle und Steuerung des Auftragnehmers, für die keine Glaubhaftmachung erfolgte) zu einer faktischen Geschäftsführung von - abgesehen von B und einem weiteren gering beteiligten Gesellschafter - in Deutschland ansässigen Gesellschaftern der X-SARL führte. Weiter braucht der Senat nicht darüber zu befinden, unter welchen Voraussetzungen eine solche faktische Geschäftsführung überhaupt vermieden werden könnte, wenn X-SARL Aufträge an Gesellschafter oder teilweise beteiligungsidentische Gesellschaften vergibt. Denn in diesem Fall erscheint lebensfremd, dass die luxemburgischen Geschäftsführer tatsächlich die Auftragserfüllung des Auftragnehmers überwachten.
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(3) Eine etwaige abweichende Verwaltungspraxis ist für das Gericht nicht bindend.
84
bb) Darüber hinaus befand sich in den Streitjahren auch der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung der X-SARL i. S. d. Art. 4 Abs. 3 DBA-Luxemburg in Deutschland. Dieser Begriff ist abkommensautonom auszulegen; aufgrund seiner Ähnlichkeit mit dem Begriff des Orts der Geschäftsleitung in § 10 AO kann jedoch das innerstaatliche Konzept herangezogen werden (Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 4 Rn. 263 ff.). Auf die Ausführungen unter Buchst. aa (s. o.) wird verwiesen.
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cc) Eine weitere Sachaufklärung bleibt dem anhängigen Einspruchsverfahren vorbehalten.
86
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
87
4. Die Beschwerde wird nicht zugelassen, weil kein Grund dafür vorliegt (§ 128 Abs. 3 i. V. m. § 115 Abs. 2 FGO).