Inhalt

VGH München, Beschluss v. 02.03.2020 – 21 CS 19.1736
Titel:

Alkoholabhängigkeitssyndrom

Normenketten:
BÄO § 6 Abs. 1 Nr. 2, § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 3
VwGO § 80 Abs. 5, § 146 Abs. 4
GKG § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 2
Leitsätze:
1. Die Alkoholsucht eines Arztes als solche begründet regelmäßig die Annahme, dass er zur Ausübung seines Berufs in gesundheitlicher Hinsicht zumindest vorübergehend nicht geeignet ist. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Weist eine Haarprobe eine Ethylglucuronid-Konzentration von mehr 30 pg/Milligramm auf, gilt das nach der aktuellen Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) als Beweis für einen exzessiven und regelmäßigen Alkoholgebrauch. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Berufsrecht der Ärzte, Erfolglose Beschwerde, Anordnung des Ruhens der Approbation, Alkoholabhängigkeitssyndrom, Approbation, ambulante Behandlung, Gesamtgeldstrafe, sofortige Vollziehung, Tateinheit, Ruhen, Therapie, Trunkenheit im Verkehr
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 14.08.2019 – AN 4 S 19.1487
Fundstelle:
BeckRS 2020, 3752

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Unter Abänderung der Nr. 3 des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 14. August 2019 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf jeweils 7.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der am … … 1956 geborene Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage, die er gegen die Anordnung des Ruhens seiner ihm am … … 1982 erteilten Approbation als Arzt erhoben hat.
2
Das Amtsgericht … verurteilte den Antragsteller mit Strafbefehl vom 12. Juli 2018, rechtskräftig seit dem 2. August 2018, wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (BAK von 2,27 ‰) und unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 65 Tagessätzen zu je 125,00 Euro.
3
Die Regierung von … teilte dem Antragsteller mit Schreiben vom 9. Oktober 2018 mit, dass aufgrund der strafrechtlich geahndeten Trunkenheitsfahrt Zweifel an dessen gesundheitlicher Eignung zur Ausübung des ärztlichen Berufs bestünden. Mit Schreiben vom 31. Oktober 2018 ordnete sie an, dass sich der Antragsteller zur gutachterlichen Klärung seiner gesundheitlichen Berufseignung einer fachärztlichen Untersuchung bei dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. med. habil. … zu unterziehen habe.
4
Das von Dr. med. habil. … erstellte psychiatrisch-neurologische Gutachten vom 18. März 2019 kommt unter anderem zu dem Ergebnis, es bestehe ein schädlicher Gebrauch von Alkohol; ein mögliches Abhängigkeitssyndrom müsse mittels einer Haarprobe evaluiert werden.
5
Nach dem am 28. Mai 2019 erstellten Gutachten der … … … GmbH über die Untersuchung einer dem Antragsteller am Institut für Rechtsmedizin der … … am 16. April 2019 entnommenen Haarprobe ergab die Analyse eine Ethylglucuronid-Konzentration von >100 pg/mg.
6
Mit Bescheid vom 25. Juli 2019 ordnete die Regierung von … das Ruhen der dem Antragsteller erteilten Approbation als Arzt an (Nr. 1), zog die Approbationsurkunde ein und gab dem Antragsteller auf, ihr das Original der Approbationsurkunde sowie alle Ausfertigungen, Zweitschriften sowie beglaubigte Kopien bis zum 23. August 2019 zu übermitteln (Nr. 2). Die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 des Bescheids wurde angeordnet (Nr. 3).
7
Der Antragsteller hat am 2. August 2019 bei dem Verwaltungsgericht Ansbach vorläufigen Rechtsschutz beantragt und am 14. August 2019 Klage erhoben.
8
Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag mit Beschluss vom 14. August 2019 abgelehnt. Dagegen richtet sich die am 28. August 2019 eingelegte Beschwerde.
II.
9
1. Die zulässige Beschwerde (§ 146 Abs. 1 und 4, § 147 VwGO) hat keinen Erfolg.
10
1.1 Die zur Begründung der Beschwerde fristgerecht dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat im Grundsatz beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen es nicht, die angefochtene Entscheidung abzuändern oder aufzuheben.
11
Der Bevollmächtigte des Antragstellers meint, der angefochtene Bescheid sei nicht offensichtlich rechtmäßig. Es sei deshalb eine umfassende Interessenabwägung durchzuführen, in die einzufließen habe, dass sich die Anordnung des Ruhens der Approbation im Hinblick auf das Alter des Antragstellers als deren faktischer Entzug erweise. Das Verwaltungsgericht habe sich zu Unrecht darauf gestützt, dass bei dem Antragsteller ein auf Alkohol bezogenes Abhängigkeitssyndrom bestehe. Dr. med. habil. … führe in seinem Gutachten aus, dass ein sofortiges Ruhen der Approbation an dieser Stelle nicht befürwortet werden könne und eine Abstinenz, eine psychotherapeutische Behandlung sowie eine suchtspezifische Therapie erforderlich seien. Dabei werde ausdrücklich eine ambulante Behandlung als ausreichend erachtet. Ausweislich des beigefügten ärztlichen Berichts des Facharztes für Neurologie und Nervenheilkunde Dr. med. … befinde sich der Antragssteller bei ihm seit dem 13. September 2018 in nervenärztlicher Mitbehandlung.
12
Das gibt keinen Anlass, von der im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung getroffenen Feststellung des Verwaltungsgerichts abzuweichen, die Klage werde voraussichtlich erfolglos bleiben.
13
Das Ruhen der Approbation als Arzt kann gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 BÄO angeordnet werden, wenn nachträglich die Voraussetzung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BÄO weggefallen ist, der Arzt also in gesundheitlicher Hinsicht zur Ausübung des Berufs nicht mehr geeignet ist. Die Anordnung ist aufzuheben, wenn ihre Voraussetzungen nicht mehr vorliegen (§ 6 Abs. 2 BÄO).
14
Die Alkoholsucht eines Arztes als solche begründet regelmäßig die Annahme, dass er zur Ausübung seines Berufs in gesundheitlicher Hinsicht zumindest vorübergehend nicht geeignet ist. Der zwanghaft hohe und regelmäßige Genuss von Alkohol rechtfertigt die Besorgnis, dass der Arzt seine Tätigkeit unter dem Einfluss des Suchtmittels ausübt und so unweigerlich die Gesundheit seiner Patienten erheblich gefährdet. Wegen des suchttypischen Krankheitsbildes ist eine rasche Verhaltensänderung nicht zeitgerecht zu erwarten, so dass die weitere Ausübung des ärztlichen Berufs ein Risiko darstellt, das im öffentlichen Gesundheitsinteresse nicht hingenommen werden kann (vgl. OVG LSA, U.v. 5.11.1998 - A 1 S 376.98 - juris Rn. 32; Schelling in Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, § 6 BÄO Rn. 15).
15
Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass bei dem Antragsteller ein auf Alkohol bezogenes Abhängigkeitssyndrom besteht. Es trifft zwar zu, dass der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. med. habil. … in seinem Gutachten vom 18. März 2019 ausgeführt hat, ein sofortiges Ruhen der Approbation könne er an dieser Stelle nicht befürworten, weil sich ein akuter Handlungsbedarf bei direkter Patientengefährdung anhand der Untersuchung nicht abbilde. Allerdings lässt die Beschwerde die notwendige Zusammenschau der weiteren Feststellungen des Gutachters Dr. med. habil. … mit der von der … … … GmbH durchgeführten Haaruntersuchung vermissen.
16
Dr. med. habil. … führte in Beantwortung der ihm gestellten Fragen des Weiteren aus: Es bestehe möglicherweise auch ein Abhängigkeitssyndrom, das müsse mittels Haarprobe dringend geklärt werden. Weise die Haarprobe ein Ergebnis von mehr als 30 pg/Milligramm Haare auf, gelte das nach der aktuellen Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) als Beweis für einen exzessiven und regelmäßigen Alkoholgebrauch. Ein solcher könne beim Antragsteller weiterhin vorliegen, das Ergebnis der Laboruntersuchung untermauere auch einen hohen aktuellen Konsum von Alkohol. Nach dem Gutachten der … … … GmbH vom 28. Mai 2019 ergab eine Untersuchung von Haaren des Antragstellers (Abschnitt 0 - 3 cm gemessen von der Kopfhaut an) eine Ethylglucuronid-Konzentration von >100 pg/mg. In dem Gutachten ist dazu ausgeführt, dass ein Zeitraum von etwa drei Monaten vor der Entnahme der Haarprobe (16.4.2019) überprüft worden sei, weil in der Regel ein Haarwachstum von 1 cm pro Monat zugrunde gelegt werde.
17
Zusammenfassend ist damit, eine Stellungnahme des Sachgebiets Gesundheit der Regierung von … vom 5. Juni 2019 bestätigt das, auf der Grundlage der genannten Gutachten bei dem Antragsteller ein Alkoholabhängigkeitssyndrom (ICD-10, F10.2) zu diagnostizieren, von dessen Bestehen mangels entgegenstehender Erkenntnisse nach wie vor auszugehen ist. Der mit der Beschwerde vorgelegte Arztbrief des Facharztes für Neurologie und Nervenheilkunde Dr. med. … vom 29. November 2018 ist schon deshalb nicht geeignet, eine Suchtfreiheit darzutun, weil er vor dem Zeitpunkt der einen exzessiven und regelmäßigen Alkoholkonsum belegenden Haarentnahme und -untersuchung erstellt wurde. Im Übrigen bestätigt der Arztbrief lediglich, dass neben Beratungsgesprächen medikamentöse Behandlungsversuche mit Mirtazapin und Doxepin begonnen worden seien. Für eine erfolgversprechende Therapie des Alkoholabhängigkeitssyndroms wäre jedoch (auch) eine stationäre Behandlung erforderlich. Nach der gutachterlichen Beurteilung des Dr. med. habil. … wäre eine ambulante Behandlung des Antragstellers nur dann ausreichend, wenn kein Abhängigkeitssyndrom besteht.
18
1.2 Die im Eilverfahren getroffene Feststellung, dass die Klage des Antragstellers voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird, reicht für die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht aus. Der darin liegende selbständige Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit ist nur unter strengen Voraussetzungen zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft. Er setzt voraus, dass überwiegende öffentliche Belange es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Betroffenen gegen die Grundverfügung einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt von einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls und insbesondere davon ab, ob eine weitere Berufstätigkeit schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter befürchten lässt (vgl. BVerfG, B.v. 8.4.2010 1 BvR 2709/09, juris Rn. 11 f.).
19
Das Verwaltungsgericht hat diesen Maßstab zugrunde gelegt und ausführlich sowie überzeugend dargelegt, dass eine fortwährende Berufsausübung des alkoholkranken Antragstellers konkrete Gefahren für das Leben und die körperliche Unversehrtheit einer unbestimmten Vielzahl von Patienten begründen würde (UA S. 11 ff). Die Beschwerde setzt sich damit nicht konkret auseinander.
20
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
21
3. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Dabei erscheint in Anlehnung an Nr. 16.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 18. Juli 2013 (abgedr. in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Anhang) wegen des nur vorläufigen Charakters der Ruhensanordnung und mangels anderweitiger Anhaltspunkte die Hälfte des dort vorgeschlagenen Mindeststreitwerts und damit ein Streitwert von 15.000,00 Euro angemessen (vgl. BayVGH, B.v. 14.12.1998 - 21 B 92.985 - unveröffentlicht). Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist der für das Hauptsacheverfahren anzunehmende Streitwert zu halbieren (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs). Der Streitwertbeschluss des Verwaltungsgerichts war dementsprechend von Amts wegen zu ändern (§ 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG).
22
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).