AG München, Endurteil v. 13.07.2020 – 123 C 5705/20
Titel:
Kein Schadenersatz für unbegleiteten Abbruch einer geführten Bergtour
Normenkette:
BGB § 651i Abs. 3 Nr. 7, § 651k Abs. 3, § 651n, § 651q
Leitsatz:
Wer eine geführte Bergtour wegen Krankheit abbricht und allein zum Ausgangspunkt zurückgeht, hat keinen Anspruch auf Schadenersatz für nicht mehr in Anspruch genommene Bergführerkosten und die Kosten für die selbst organisierte Rückreise.(Rn. 32 – 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Pauschalreise, Bergtour, Krankheit, Reiseabbruch, Bergführer, Nebenpflichtverletzung, Sowieso-Kosten
Fundstelle:
BeckRS 2020, 37378
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 989,87 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klägerin verlangt im Zusammenhang mit einer geführten Bergtour Schadensersatz.
2
Die Klägerin und ihr Ehemann buchten bei der Beklagten für die Zeit vom 05.08.2019 bis 10.08.2019 eine geführte Bergtour (Zehn berühmte Viertausender im Wallis mit Signalkuppe 4.554 m zum Gesamtreisepreis in Höhe von 2.030,00 € (K1)).
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Die Klägerin trägt vor, am 06.08.2019 habe sich am frühen Nachmittag ihr Gesundheitsstand verschlechtert. Sie habe die beiden Bergführer gebeten, das Tempo entsprechend anzupassen Sie habe unter einem akut eintretenden drückenden Kopfschmerz an den Schläfen, eine laufende Nase und einer hörbar eingeschränkten Atmung gelitten. Dies sei abgelehnt mit der Begründung worden, dass eine Schlechtwetterfront nahen würde. Es sei ihr nicht angeboten worden, umzukehren. Dies sei alleine über den Gletscher mit den Spalten auch nicht möglich gewesen.
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Am 07.08.2019 habe sich der Gesundheitszustand rapide verschlechtert und sie habe noch eitrige grünes Nasensekret sowie Husten und Fieber gehabt Hierüber seien die Bergführer am 07.08.2019 um 4:00 Uhr morgens informiert worden. Der Klägerin sei keine Wahl zur Rückkehr unterbreitet worden. Man sei am Morgen dann nach einer 8-stündigen Tour zur sogenannten Quintino-Sella Hütte gestiegen.
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Am 08.08.2019 um 4:00 Uhr habe die Klägerin zusätzlich noch Schüttelfrost bekommen und die Bergführer hierüber um 4.00 Uhr informiert, dass sie die Tour nicht fortsetzen kann Die Bitten der Klägerin und ihres Ehemannes sie zum Ausgangspunkt zu begleiten sei von den Bergführern abgelehnt worden. Die Gruppe habe sie mit den beiden Bergführern um von 4:45 Uhr in der Hütte verlassen, welche sich auf 3600 m befinde. Der Bergführer P… habe erklärt, dass sie den Abstieg alleine machen könne, weil er einfach sei. Das Ansinnen des Ehemannes zum Einsatz eines Hubschraubers o ä. sei von den Bergführern zurückgewiesen worden. Der Ehemann habe die Bergtour mit den anderen fortgesetzt.
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Um 7:00 Uhr sei sie über eisglattes Blockgestein über einen Grad auf dem Normalweg nach Italien (Staffa) abgestiegen. Beim Abstieg habe der Paukenerguss bei der Klägerin eingesetzt. Sie sei nach insgesamt 13 Stunden Reisezeit mit Transportmitteln um 20:00 Uhr zum Ausgangspunkt in der Schweiz, Herbriggen gelangt.
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Am 09.08.2019 sei sie mit dem Auto 8 Stunden nach Deutschland gefahren und habe um 17.00 Uhr einen Arzt aufgesucht. Dieser habe einen beidseitigen Paukenerguss, fiebrige und akute Sinusitis maxiliaris bestätigt Auf dem linken Ohr habe dies zu einem dauerhaften Verlust der Möglichkeit einen aktiven Druckausgleich vorzunehmen, geführt. Die Klägerin könne deshalb ihrer beruflich notwendigen Reisetätigkeit mit den damit verbundenen internationalen Flügen nicht nachkommen, was für sie negative Auswirkungen habe.
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Die Klägerin ist der Meinung, die Bergführer hätten im eklatanten Maße ihre Pflichten verletzt, da sie eine schwer kranke Person ihrem Schicksal überlassen hätten. Sie hätten sie bergabwärts zur nächsten Station bzw. Krankenhaus bringen müssen, wo die Klägerin hätte ärztlich versorgt werden können. Die Bergführer hätten gegen Ziffer 10 der Vertragsbedingungen verstoßen (K3).
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Es handele sich um eine positive Vertragsverletzung. Die beiden Bergführer seien verpflichtet gewesen alles zu unternehmen, um die Klägerin vor gesundheitlichen Schäden zu bewahren. Ein pflichtbewusster Bergführer hätte für die Klägerin bereits nach dem 1 Tag die Tour abgebrochen und sie nicht als einzige in der Seilschaft hinter sich hergezogen. Von der 1. Hütte (Lambroneccahütte) hätten nur 400 Höhenmeter zu den Zermatt Bergbahnen zurückgelegt werden müssen. Ein derartiger Vorschlag sei von dem Bergführer nicht gemacht worden.
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Spätestens am 2 Tag hatten die Bergführer ihre Beistandspflicht nachkommen müssen, um die Klägerin auf dem Rückweg zu begleiten.
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Die Klägerin macht die in der Anlage K4 aufgeführten Kosten geltend. Sie macht 800 € für nicht in Anspruch genommene Leistungen der Bergführer für 3 Tage nicht in Anspruch genommene Bergtouren geltend. Des Weiteren macht sie Kosten für den ungeplanten Rückweg in Höhe von 189,87 € geltend.
12
Mit anwaltlichen Schreiben vom 03.01.2020 machte die Klägerin 800,00 € geltend (K5).
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Des Weiteren verlangt die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147,56 €.
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Die Klägerin beantragt,
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 989,87 € 80 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der europäischen Zentralbank seit dem 18.01.2020 sowie außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 147,56 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der europäischen Zentralbankzeit seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt
die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte trägt vor, bereits zum 07.08.2019 sei der Klägerin anheimgestellt worden die Bergtour abzubrechen und gemeinsam mit ihrem Mann zurückzukehren. Dies habe die Klägerin abgelehnt.
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Am 08.08.2020 hätten die Bergführer der Klägerin mitgeteilt, dass eine Begleitung des einfachen Abstiegs durch einen Bergführer nicht notwendig sein. Sie hätten vorgeschlagen, dass die Klägerin sich durch ihren Mann, den Zeugen Dr. G… auf dem Abstieg begleiten lassen solle. Der Ehemann habe die Tour jedoch mit den Bergführern fortgesetzt und die Klägerin habe den Abstieg alleine angetreten Für die Bergführer habe kein Zweifel daran bestanden, dass die Klägerin körperlich und gesundheitlich in der Lage war, den Abstieg eigenständig vorzunehmen und keine Begleitung durch einen Bergführer benötigte.
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Durch die Nichtinanspruchnahme von weiteren Reiseleistungen habe sich die Beklagte keine Aufwendungen erspart. Die streitgegenständliche Tour sei mit einem Bergführer je 3 Teilnehmer ausgeschrieben.
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Soweit die Erkrankung der Klägerin dazu geführt habe, dass sie aus körperlichen Gründen die Bergtour nicht fortsetzen konnte, sei dies die Verwirklichung eines allgemeinen Lebensrisikos, das nicht zu Ansprüchen der Beklagten führe.
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Die Tour am 07.08.2019 habe die Klägerin auf eigenen Wunsch fortgesetzt und den Abstieg ins Tal am 8. August dann selbstständig und ohne ihren Mann. Dies beweise offensichtlich, dass die Klägerin Dritten gegenüber nicht den Anschein erweckt habe, als ob sie den Abstieg nicht alleine meistern würde. Da der Ehemann die Bergtour mit den Bergführern fortgesetzt hat, habe es für die Bergführer keinerlei Anlass zur Annahme gegeben, dass die Klägerin Hilfe benötigen würde.
21
Die zusätzlichen Kosten, die die Klägerin geltend mache, seien aus keinem Rechtsgrund von der Beklagten zu ersetzen, da sie der Klägerin nur deshalb entstanden seien, da sie aufgrund von persönlichen Umständen die vertragsgegenständlichen angebotenen Leistungen nicht in Anspruch genommen habe.
22
Die Beklagte berufe sich auch auf eine gravierende Verletzung einer Schadensminderungspflicht da Sie in Kenntnis der Krankheitssymptome die Bergtour am 06., 07. und 08. auf eigene Verantwortung fortgesetzt habe.
23
Ein Anspruch gemäß § 651 q BGB auf Begleitung nach Wünschen der Kläger ergebe sich nicht.
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Ergänzend zum Sach- und Streitstand wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien samt Anlagen sowie das Protokoll vom 02.07.2020 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Die Klägerin macht Ansprüche wegen fehlender Inanspruchnahme eines Bergführers geltend sowie die in der Anlage K4 aufgeführten Kosten für Übernachtungen, Lift, Bustickets und Zug sowie Rückfahrt privater Pkw, Gebühren für Attest und Apotheke.
27
Die Klägerin hat für den Zeitraum vom 5.8. bis 10.08.2019 eine Pauschalreise im Wallis entsprechend der Reiseleistungen (K2) gebucht.
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Die Klägerin hat keinen Anspruch wegen Verletzung einer Nebenpflicht nach § 651 q BGB.
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In der Anlage K3 Ziffer 10 wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass der Reiseveranstalter dem Reisenden Beistand leistet, wenn dieser sich in Schwierigkeiten befindet Der Hinweispflicht nach § 651 q I Nr. 1 BGB wurde damit genügt. Danach hatte Reiseveranstalter, wenn sich ein Reisender in Schwierigkeiten befindet diesem unverzüglich in angemessener Weise Beistand zu gewähren, insbesondere durch Bereitstellung geeigneter Informationen über Gesundheitsdienste, Behörden vor Ort und Konsularische Unterstützung. Des Weiteren ist in § 651 q I Nr. 2 und 3 BGB geregelt, dass Unterstützung bei der Herstellung von Fernkommunikationsverbindungen und Unterstützung bei der Suche nach anderen Reisemöglichkeiten zu gewähren ist. § 651 q Abs. 2 Nummer 3, 2. Halbsatz verweist auf § 651 k Abs. 3.
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Nach eigenem Vortrag der Klägerin ist die in § 651 q BGB und § 651 k Abs. 3 BGB normierte Beistandspflicht nicht verletzt worden.
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Nach der Darstellung der Klägerin wurde die Reise auch nicht mangelhaft erbracht, weshalb ein Schadensersatzanspruch nach §§ 651 i Abs. 3 Nr. 7, 651 n BGB ausscheidet.
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Selbst wenn der Gesundheitszustand der Klägerin und die Umstände der Rückkehr es erfordert hätten, dass die Klägerin bei dem Abstieg von einem Bergführer begleitet wird, so wären die Kosten für eine Nichtinanspruchnahme des Bergführers dennoch nicht als Schadensersatzanspruch begründet.
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Die Klägerin hat eine 5-tägige Bergtour mit Bergführer gebucht. Die geplante Bergtour mit Bergführern war der Klägerin ab dem 08.08.2020 deshalb nicht möglich, weil dies ihr Gesundheitszustand nicht erlaubt hat. Dies liegt nicht im Verantwortungsbereich der Beklagten, sondern demjenigen der Klägerin. Die Beklagte hat daher die entsprechenden Kosten für die Nichtinanspruchnahme eines Bergführers nicht zu erstatten.
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Im Übrigen tragt die Klägerin selbst vor, dass sie am 06.08.2019 lediglich gebeten hat, das Tempo wegen ihres Gesundheitszustandes zu reduzieren. Sie hat an diesem Tag die geplante Tour mit Bergführern durchgeführt. Dies gilt auch für den 07.08.2019, an dem sie bei der 8-stündigen Bergtour teilgenommen hat. Dass die Klägerin am 08.08.2019 den Abstieg alleine durchgeführt hat und am 09 und 10.08.2019 nicht an der Bergtour teilnehmen konnte, lag in ihrem Verantwortungsbereich.
35
Da die Bergtour aber mit den anderen Reisenden durchgeführt wurde, sind die im Reisepreis enthaltenen Kosten für die Bergführer auch angefallen. Die Beklagte hat sich durch die im eigenen Verantwortungsbereich liegende Rückkehr der Klägerin keine Kosten erspart.
36
Auch wenn man unterstellt, dass es sinnvoll gewesen wäre, dass ein Bergführer die Klägerin bei der Rückkehr begleitet, so wären die weiteren geltend gemachten Kosten wie in der Anlage K4 aufgeführt auch entstanden, wenn die Klägerin ein Bergführer begleitet hätte. Es handelt sich dabei um sogenannte „sowieso“ Kosten, die von der Beklagten nicht zu erstatten sind.
37
Da die Voraussetzungen einer Anspruchsgrundlage nicht gegeben sind, war die Klage als unbegründet zurückzuweisen.
38
Da die Hauptforderung nicht besteht, entfallen auch die Nebenkosten.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO und die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708, 711 ZPO.
40
Der Streitwert folgt aus § 3 ZPO.