Inhalt

VGH München, Beschluss v. 10.12.2020 – 4 CE 20.2271
Titel:

fristgerechte Ladung zur konstituierenden Gemeinderatssitzung

Normenketten:
BayGO Art. 9 Abs. 2 S. 1, Art. 23 Abs. 1, Art. 31 Abs. 2 S. 1, Art. 36 S. 1, Art. 45 Abs. 1, Art. 46 Abs. 2, Art. 47 Abs. 2, Art. 48 Abs. 1 S. 1
BayGLKrWG Art. 41 Abs. 1, Art. 43 Abs. 1
VwGO § 123, § 146 Abs. 4 S. 6
Leitsätze:
1. Die Geschäftsordnung des Gemeinderats gilt nicht über das Ende seiner Wahlzeit hinaus. (Rn. 20)
2. Eine vier Tage vor Sitzungsbeginn zugehende Ladung zur konstituierenden Sitzung ist noch als innerhalb „angemessener Frist“ ergangen anzusehen. (Rn. 21)
3. Ein zeitgleich mit dem bisherigen Gemeinderat ausscheidender Bürgermeister kann nicht zur ersten Sitzung des neu gewählten Gemeinderats laden. (Rn. 25)
4. Bezieht sich ein Ladungsmangel auf die Gemeinderatssitzung insgesamt, so muss die entsprechende (einer Heilung entgegenstehende) Rüge schon vor oder zumindest zu Beginn der jeweiligen Sitzung erfolgen. (Rn. 31)
Schlagworte:
Ladung zur konstituierenden Gemeinderatssitzung, Geltungsdauer einer Geschäftsordnung, Ladung innerhalb „angemessener Frist“, Anspruch auf ordnungsgemäße Ladung, Zuständigkeit des amtierenden ersten Bürgermeisters, Heilung eines Ladungsverstoßes, Anforderungen an eine wirksame Rüge, Fristberechnung, organschaftliche Mitwirkungsrechte, Geschäftsordnungsautonomie, Verwirkung
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Beschluss vom 24.09.2020 – B 9 E 20.733
Fundstellen:
DÖV 2021, 316
BayVBl 2021, 273
BeckRS 2020, 36168
LSK 2020, 36168

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller, die dem Stadtrat der Antragsgegnerin angehören, begehren die Wiederholung der konstituierenden Stadtratssitzung.
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Die Ladung zu der konstituierenden Sitzung am 7. Mai 2020 erfolgte mit einem am 30. April 2020 verfassten und zur Post gegebenen Schreiben des bis zu diesem Tag amtierenden früheren Oberbürgermeisters „im Namen des neu gewählten Oberbürgermeisters“. In der Sitzung am 7. Mai 2020 waren zwei Stadtratsmitglieder aus gesundheitlichen Gründen entschuldigt nicht anwesend.
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Im Rahmen einer von den Antragstellern beantragten rechtsaufsichtlichen Prüfung durch das Landratsamt Kulmbach teilte die Antragsgegnerin mit, der frühere und der ab dem 1. Mai 2020 amtierende Oberbürgermeister hätten sich hinsichtlich der Ladung und der Durchführung der konstituierenden Sitzung abgestimmt. Da der Sitzungstermin am 7. Mai 2020 bereits in der Stadtratssitzung am 28. November 2019 beschlossen worden sei, habe man an dem Termin festhalten wollen. In die mit dem Amtsvorgänger konkret abgestimmte Ladung seien die Beschlusspunkte und die Tagesordnung nach den Vorgaben des jetzigen Amtsinhabers aufgenommen worden. Die endgültige Tagesordnung habe vergleichsweise spät festgestanden, so dass eine Versendung erst am 30. April 2020 möglich gewesen sei. Eine neue Geschäftsordnung habe erst in der konstituierenden Sitzung beschlossen werden können. Art. 46 GO verlange lediglich, dass eine Teilnahme und die Vorbereitung der Sitzungsteilnahme unter gewöhnlichen Umständen noch möglich seien. Eine Ladungsfrist von drei Tagen könne hier als ausreichend angesehen werden. Die Antragsteller hätten in der konstituierenden Sitzung auch keinerlei Vorbehalte oder Beanstandungen geltend gemacht.
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Nachdem die Rechtsaufsichtsbehörde ihnen mitgeteilt hatte, dass weder im Hinblick auf die Person des Ladenden noch auf die Ladungsfrist ein Ladungsmangel erkennbar sei, erhoben die Antragsteller am 17. August 2020 beim Verwaltungsgericht Klage und beantragten zugleich, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, bis zur einer Hauptsacheentscheidung die konstituierende sowie alle nachfolgenden Sitzungen des Stadtrats und seiner Gremien zu wiederholen, hilfsweise nur die konstituierende Sitzung zu wiederholen. Der derzeitige Zustand verletze die Antragsteller in ihrem Recht auf korrekte Ladung entsprechend ihrem Stadtratsmandat. Ein Anordnungsgrund ergebe sich aus der „gefährdeten Beschlusslage“ des Stadtrats und seiner Ausschüsse. Die Ladung zur Sitzung am 7. Mai 2020 sei unheilbar fehlerhaft, weil sie nicht von dem ab dem 1. Mai 2020 amtierenden Oberbürgermeister unterzeichnet worden sei. Zudem sei die in der Geschäftsordnung des Stadtrats geregelte Frist nicht eingehalten worden. Ein Zugang des Ladungsschreibens sei frühestens am Montag, dem 4. Mai 2020 erfolgt. Bei der Berechnung der Ladungsfrist seien der Tag des Zugangs und der Sitzungstag nicht mitzurechnen; somit betrage die Ladungsfrist nur zwei Tage. Die Antragsteller hätten dies in einer Sitzungspause gegenüber dem geschäftsleitenden Beamten der Antragsgegnerin gerügt. Die Niederschrift zur konstituierenden Sitzung sei fehlerhaft, weil darin eine fehlerfreie Ladung festgestellt worden sei.
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Die Antragsgegnerin beantragte, den Antrag abzulehnen, und trug vor, die behaupteten Ladungsmängel seien jedenfalls durch rügelose Einlassung aller anwesenden Mitglieder des Stadtrats geheilt worden. Die Antragsteller hätten weder gegenüber dem Oberbürgermeister als Sitzungsleiter noch gegenüber dem Stadtrat durch Wortmeldung auf einen Ladungsmangel hingewiesen, sondern an der Beratung und Abstimmung aller Punkte teilgenommen. Auch hätten sie die Niederschrift der Sitzung vom 7. Mai 2020 in der nachfolgenden Sitzung genehmigt. Die Rüge gegenüber dem geschäftsleitenden Beamten sei unbeachtlich.
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Mit Beschluss vom 24. September 2020 lehnte das Verwaltungsgericht Bayreuth den Eilantrag ab. Der in einem Kommunalverfassungsstreit um die Organbefugnisse eines Gemeinderats gestellte Antrag sei zulässig. Insbesondere fehle nicht das Rechtsschutzbedürfnis wegen Verwirkung, da sich in der Zeitspanne von etwas über drei Monaten zwischen der konstituierenden Sitzung und der Antragstellung noch keine Vertrauensgrundlage in Bezug auf eine Nichtausübung des Antragsrechts habe bilden können und die Antragsteller sich zudem zunächst an die Rechtsaufsichtsbehörde gewandt hätten. Der Antrag sei jedoch in der Sache nicht begründet, da kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht worden sei. Es spreche bereits viel dafür, dass die Unterzeichnung des Ladungsschreibens durch den bis zum 30. April 2020 amtierenden Oberbürgermeister nicht zu einem Ladungsmangel geführt habe. Da ein neu gewählter Bürgermeister vor Beginn der Wahlzeit (1. Mai) keine Amtshandlungen vornehmen dürfe, werde es weitgehend für zulässig gehalten, dass der bisherige Amtsinhaber im Einvernehmen mit seinem Nachfolger vor dem 1. Mai zu einer Sitzung lade, die erst nach diesem Tag stattfinde. Bei dieser Vorgehensweise würden weder Sinn und Zweck der Ladung noch organschaftliche Mitwirkungsrechte von Ratsmitgliedern oder des Bürgermeisters beeinträchtigt, sondern dem in Art. 46 Abs. 2 GO zum Ausdruck kommenden Beschleunigungsgedanken Rechnung getragen. Ob eine zu kurze Ladungsfrist vorgelegen habe, könne im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend geklärt werden. Die für die frühere Wahlperiode geltende Geschäftsordnung könne insoweit nicht ohne Weiteres herangezogen werden, sondern allenfalls als Orientierung dienen. Ob die am 30. April 2020 zur Post gegebene Ladung am Samstag, den 2. Mai, oder erst am Montag, den 4. Mai, zugegangen sei und ob auch in diesem Fall noch von einer Ladung „mit angemessener Frist“ im Sinne des Art. 46 Abs. 2 Satz 2 GO auszugehen sei, könne dahinstehen. Ein etwaiger Ladungsmangel sei jedenfalls wegen rügeloser Einlassung der erschienenen Mandatsträger geheilt. Die Formwidrigkeit einer Ladung müsse auch dann als unbeachtlich angesehen werden, wenn der Betroffene zwar der Sitzung fernbleibe, dafür aber bereits im Voraus gegenüber dem Sitzungsleiter persönliche Entschuldigungsgründe angeführt habe. Daher könne sich auch bei den zwei aus gesundheitlichen Gründen entschuldigt fehlenden Ratsmitgliedern ein etwaiger Ladungsmangel nicht auswirken und somit nicht zur Beschlussunfähigkeit des Stadtrats führen. Ein solcher Mangel sei auch von keinem der Stadtratsmitglieder und insbesondere nicht von den Antragstellern gegenüber dem Oberbürgermeister als Vorsitzendem gerügt worden.
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Gegen diesen Beschluss wenden sich die Antragsteller mit der vorliegenden Beschwerde. Sie beantragen,
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unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 24. September 2020 die Antragsgegnerin zu verpflichten, die am 7. Mai 2020 abgehaltene konstituierende Stadtratssitzung zu wiederholen, die dort gefassten Beschlüsse einstweilen aufzuheben und darüber neu zu entscheiden.
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Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut habe der Oberbürgermeister und nicht im Einvernehmen mit diesem der vorhergehende erste Bürgermeister zur konstituierenden Sitzung zu laden. Sowohl nach der früheren als auch nach der neu beschlossenen Geschäftsordnung betrage die Ladungsfrist fünf Tage; sie könne in dringenden Fällen auf drei Tage verkürzt werden. Der Sitzungstag und der Tag des Zugangs der Ladung würden dabei nicht mitgerechnet. Da der Zugang der am 30. April 2020 in den Postversand gegebenen Ladung nicht vor dem 2. Mai 2020 erfolgt sein könne, habe die 5-Tage-Frist nicht eingehalten werden können; ein dringender Fall habe nicht vorgelegen. Entsprechend der Vermutung, dass ein Poststück spätestens am dritten Tag nach dem Postversand als zugestellt gelte, habe hier eine Zustellung erst am Montag, dem 4. Mai 2020 vorgelegen. Ein Verzicht auf ordnungsgemäße Ladung könne nicht im Vorhinein erfolgen, auch nicht im Falle einer bereits bekannten Verhinderung. Es sei aus den Unterlagen auch nicht ersichtlich, wann sich die fehlenden Stadtratsmitglieder entschuldigt hätten. Die in der konstituierenden Sitzung gefassten Beschlüsse seien wegen der nicht geheilten Ladungsmängel unwirksam. Den Antragstellern gehe es dabei insbesondere um die Beschlüsse zur Verteilung der Ausschusssitze.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise zurückzuweisen.
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Die Antragsteller hätten sich nicht hinreichend mit der angegriffenen Entscheidung auseinandergesetzt, sondern größtenteils die im erstinstanzlichen Verfahren vorgebrachte Argumentation wiederholt. Mit dem Zusammenwirken des alten und des neuen Oberbürgermeisters werde der Sinn und Zweck der Ladung gewahrt; das reine Festhalten am Wortlaut der Vorschrift werde dem nicht gerecht. Hinsichtlich der Ladungsfrist gelte weder die alte noch die neue Geschäftsordnung; die Frist müsse lediglich angemessen sein, was bei einem anzunehmenden Zugang am 2. Mai 2020 der Fall sei. Dass die Ladung erst am 4. Mai 2020 zugegangen sei, hätten die Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Die beiden nicht anwesenden Ratsmitglieder hätten sich bereits vorab entschuldigt; damit sei ein etwaiger Ladungsmangel geheilt. Die vermeintlich vorgetragene Rüge sei jedenfalls nicht gegenüber dem zuständigen Organ geäußert worden.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
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1. Die Beschwerde der Antragsteller hat keinen Erfolg.
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Zwar fehlt es der Beschwerdebegründung nicht an einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Gründen der angegriffenen Entscheidung (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO); die Antragsteller haben zumindest ansatzweise dargelegt, weshalb sie den Beschluss des Verwaltungsgerichts für unrichtig halten. Ihren fristgerecht vorgebrachten Einwänden, auf die sich die Überprüfung durch den Senat beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), lässt sich der behauptete Anordnungsanspruch aber nicht entnehmen.
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Das im Wege eines Kommunalverfassungsstreitverfahrens verfolgte Eilrechtsschutzbegehren mit dem Ziel, die Antragsgegnerin zur Wiederholung der konstituierenden Stadtratssitzung zu verpflichten, kann nur erfolgreich sein, wenn die Antragsteller durch die Anberaumung oder den Ablauf der genannten Sitzung in einer ihnen als Mandatsträger zustehenden Rechtsposition verletzt worden sind (vgl. BayVGH, U.v. 25.2.1970 - 150 IV 68 - VGH n.F. 24, 129 ff. = BayVBl 1970, 222; B.v. 26.6.2001 - 4 ZE 01.1624 - BayVBl 2001, 665; BVerwG, B.v. 22.12.1988 - 7 B 250.87 - BayVBl 1989, 378; Prandl/Zimmermann/Büchner/Pahlke, Kommunalrecht in Bayern, Art. 30 GO Anm. 6.2 m.w.N.). Zu ihrer organschaftlichen Stellung als Gemeinderatsmitglieder gehört das mit der Teilnahmepflicht nach Art. 48 Abs. 1 Satz 1 GO korrespondierende Recht auf Sitzungsteilnahme auf der Grundlage einer ordnungsgemäß ergangenen Ladung (vgl. Jung in BeckOK Kommunalrecht Bayern, Art. 47 GO Rn. 24; Bauer/Böhle/Ecker, Bayerische Kommunalgesetze, Art. 47 GO Rn. 8; Glaser in Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Art. 47 Rn. 7). Dass dieses individuelle Teilhaberecht durch die Art und Weise der Ladung zur Sitzung am 7. Mai 2020 verletzt worden wäre, ist jedoch nach gegenwärtigem Stand nicht erkennbar. Die Ladung erfolgte nicht mit einer zu kurzen Frist (a); die Antragsteller können sich insoweit auch nicht mit Erfolg auf das Handeln eines unzuständigen Organs berufen (b).
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a) Aus dem Beschwerdevortrag der Antragsteller geht nicht hervor, dass sie zu der konstituierenden Sitzung nicht fristgerecht geladen worden wären. Nach den Umständen ist vielmehr davon auszugehen, dass ihnen und den übrigen Stadtratsmitgliedern die Ladung mit einem ausreichenden zeitlichen Vorlauf zugegangen ist, nämlich am fünften Tag vor Beginn der Sitzung (2.5.2020).
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aa) Laut dem in den Akten befindlichen handschriftlichen Vermerk sind die Ladungsschreiben an die im Stadtgebiet der Antragsgegnerin wohnenden Ratsmitglieder am Donnerstag, dem 30. April 2020, zur Post gegeben worden. Nach allgemeiner Erfahrung darf grundsätzlich angenommen werden, dass eine im Bundesgebiet werktags aufgegebene Postsendung am nachfolgenden Werktag an den Empfänger ausgeliefert wird (vgl. BVerwG, U.v. 20.6.2013 - 4 C 2.12 - BVerwGE 147, 37 Rn. 8; BGH, B.v. 19.6. 2013 - V ZB 226/12 - juris Rn. 7 m. w. N.). Der folgende Werktag war hier Samstag, der 2. Mai 2020. Dass die Ladungsschreiben bei ihnen selbst oder bei anderen Ratsmitgliedern nicht an diesem Tag, sondern erst später eingetroffen wären, haben die Antragsteller nicht vorgetragen und ist auch sonst nicht ersichtlich. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass der Zugang tatsächlich am 2. Mai 2020 erfolgt ist.
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bb) Die somit fünf Tage vor der konstituierenden Sitzung erfolgte Ladung war fristgerecht. Dass in der Geschäftsordnung des früheren Stadtrats für den Regelfall eine Mindestfrist von fünf Tagen vorgesehen war, bei deren Berechnung der Sitzungstag und der Tags des Zugangs der Ladung außer Betracht zu bleiben hätten, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die genannten Bestimmungen waren für die Einberufung der ersten Sitzung der am 1. Mai 2020 beginnenden neuen Wahlperiode nicht mehr anzuwenden.
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Geschäftsordnungen, die von demokratisch gewählten Vertretungskörperschaften zur Regelung ihrer internen Verfahrensabläufe beschlossen werden, sind immer nur für die Dauer der jeweiligen Wahlperiode gültig (vgl. zu parlamentarischen Geschäftsordnungen BVerfG, U.v. 6.3.1952 - 2 BvE 1/51 - BVerfGE 1, 144/148; VerfGH, E.v. 26.11.2009 - Vf. 32-IVa-09 - VerfGHE 62, 208/215 = BayVBl 2010, 298; BVerwG, U.v. 17.10.1991 - 3 C 45.90 - BVerwGE 89, 121/125). Auch eine vom Gemeinderat erlassene Geschäftsordnung gilt daher, sofern das Gesetz nichts anderes regelt (dazu Lange, Kommunalrecht, 2. Aufl. 2017, S. 373 f.), nicht über das Ende der eigenen Wahlzeit hinaus, denn die dem neu gewählten Gemeinderat zustehende Geschäftsordnungsautonomie (Art. 45 Abs. 1 GO) darf nicht durch Festlegungen des bisherigen Vertretungsorgans beschränkt werden (Wachsmuth in Schulz u.a., Kommunalverfassungsrecht Bayern, Art. 45 GO Anm. 5; Hölzl/Hien/Huber, Gemeindeordnung, Art. 45 Anm. 1; Prandl/Zimmermann/Büchner/Pahlke, a.a.O., Art. 45 Anm. 2; NdsOVG, B.v. 8.10.1986 - 5 B 72/86 - OVGE MüLü 40, 321; a. A. Glaser in Widtmann u.a., a.a.O., Art. 45 Rn. 6; Lange, a.a.O.; Gern/Brüning, Deutsches Kommunalrecht, 4. Aufl. 2019, S. 299; OVG NW, E.v. 29.3.1971 - II A 1315/68 - OVGE MüLü 26, 225). Zwar kommt auch eine stillschweigende (unveränderte) Übernahme der bisherigen Geschäftsordnung durch den neuen Gemeinderat in Betracht (vgl. BayVGH, U.v. 8.5.1968 - 145 IV 67 - BayVBl 1968, 324/325; Wachsmuth, a.a.O.; Glaser, a.a.O.). Die dafür erforderliche konkludente Willensbekundung des Ratsplenums kann aber frühestens in der ersten Gemeinderatssitzung erfolgen, so dass für die Einberufung zu dieser Sitzung die Ladungsvorschriften der bisherigen Geschäftsordnung (noch) keine Anwendung finden können (Prandl/Zimmermann/Büchner/Pahlke, a.a.O.; Hölzl/Hien/Huber, a.a.O.).
21
Da es im Zeitpunkt der Ladung zur konstituierenden Sitzung naturgemäß auch noch keine vom Gemeinderat ausdrücklich beschlossene neue Geschäftsordnung geben kann, in der die Ladungsfrist exakt festzulegen wäre (Art. 45 Abs. 2 Satz 1 GO), kann zur Bestimmung des notwendigen zeitlichen Vorlaufs nur auf die generelle gesetzliche Vorgabe in Art. 46 Abs. 2 Satz 2 GO zurückgegriffen werden (ebenso Prandl/Zimmermann/Büchner/Pahlke, a.a.O.). Danach beruft der erste Bürgermeister den Gemeinderat unter Angabe der Tagesordnung mit „angemessener Frist“ ein, erstmals unverzüglich nach Beginn der Wahlzeit. Bei der Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs einer „angemessenen“ Ladungsfrist ist zu berücksichtigen, dass die konstituierende Sitzung des Gemeinderats nach Art. 46 Abs. 2 Satz 4 GO spätestens am 14. Tag nach Beginn der Wahlzeit, d. h. am 14. Mai (vgl. Prandl/Zimmermann/Büchner/Pahlke, a.a.O., Art. 46 Anm. 10) oder aber, sofern es sich um ein Wochenende handelt, sogar noch einen oder zwei Tage früher stattfinden muss. Angesichts dieses einerseits sehr engen Zeitfensters, auf das sich die neu gewählten Mandatsträger von Anfang an einstellen müssen, und der andererseits beträchtlichen Zeitspanne zwischen dem Wahltag (Art. 9 Abs. 2 Satz 1 GLKrWG) und dem Beginn der Wahlperiode (Art. 23 Abs. 1 GLKrWG), innerhalb derer sie die erforderlichen internen Vorbereitungsgespräche führen können, dürfte bereits eine vier Tage vor Sitzungsbeginn zugehende Ladung als innerhalb „angemessener Frist“ ergangen anzusehen sein. Erst recht muss dies gelten, wenn der Zugang wie hier schon am fünften Tag vor der Sitzung erfolgt. An dieser rechtlichen Bewertung vermag auch der Umstand, dass die für die Sitzungsvorbereitung verfügbare Zeit teilweise auf ein Wochenende fällt, nichts zu ändern, da die ehrenamtliche Tätigkeit als Mitglied des Gemeinderats (Art. 31 Abs. 2 Satz 1 GO) nicht an werktägliche Arbeitszeiten gebunden ist.
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b) Der von den Antragstellern geltend gemachte Anspruch auf Wiederholung der konstituierenden Stadtratssitzung folgt auch nicht daraus, dass in kompetenzwidriger Weise anstelle des neu gewählten Oberbürgermeisters sein bis zum 30. April 2020 amtierender Amtsvorgänger zu der Sitzung geladen hat.
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aa) Das im Rahmen einer kommunalverfassungsrechtlichen Streitigkeit einklagbare Recht auf eine ordnungsgemäße Ladung zu den Ratssitzungen dürfte allerdings auch die Einhaltung der innergemeindlichen Zuständigkeitsordnung umfassen. Durch eine von einer unzuständigen Stelle ausgehende Ladung werden die Ratsmitglieder zwar - anders als bei Nichteinhaltung der vorgeschriebenen Mindestfrist oder bei Vorenthaltung notwendiger Sitzungsunterlagen - nicht in ihrem organschaftlichen Recht auf eine angemessene Vorbereitung auf die Sitzung behindert. Mit dem Zugang der Ladung entsteht aber für den jeweiligen Adressaten eine auf den konkreten Sitzungstag bezogene sanktionsbewehrte Teilnahmepflicht (Art. 48 GO). Diese zwingende Rechtsfolge setzt voraus, dass die Einberufung des Gemeinderats durch eine dafür legitimierte Amtsperson erfolgt ist. Ein Ratsmitglied braucht also nur zu solchen Sitzungen zu erscheinen, bei denen das nach dem Gesetz zuständige Gemeindeorgan den Termin bestimmt und die Tagesordnung festgelegt hat. Fehlt es daran, kann grundsätzlich eine Wiederholung der betreffenden Sitzung verlangt werden.
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bb) Die von den Antragstellern als fehlerhaft angesehene Ladung zur konstituierenden Sitzung des Stadtrats erfolgte zwar ursprünglich unter Verstoß gegen die geltenden Kompetenzvorschriften (1). Dieser Mangel ist jedoch nachträglich geheilt worden (2).
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(1) Mit der am 30. April 2020 vom damals noch amtierenden früheren Oberbürgermeister unterzeichneten und zusammen mit einer Tagesordnung versandten Ladung konnte der Stadtrat nicht wirksam zu der Sitzung am 7. Mai 2020 einberufen werden. Die Zuständigkeit des früheren Amtsinhabers, in seiner Funktion als Ratsvorsitzender (Art. 36 Satz 1 GO) die übrigen Mitglieder des Gemeinderats zu den Sitzungen zu laden (Art. 46 Abs. 2 Satz 2 GO), endete mit Ablauf seiner Amtszeit am 30. April 2020. Er konnte daher keine Amtshandlungen mehr vornehmen, die den Sitzungsbetrieb in dem neu gewählten, nach dem 1. Mai 2020 zusammentretenden Stadtrat betrafen. Für die Ladung zur konstituierenden Sitzung war vielmehr sein für die neue Wahlperiode gewählter Nachfolger zuständig (ebenso Wachsmuth, a.a.O., Art. 46 Anm. 5.1; Keller, BayGT 2008, 67; vgl. auch Prandl/Zimmermann/Büchner/Pahlke, a.a.O., Art. 46 Anm. 8; Gaß, BayGT 2020, 180).
26
Entgegen einer im Schrifttum verbreiteten Auffassung können die von einem nicht mehr zuständigen früheren Bürgermeister am Ende seiner Amtszeit versandten Ladungen zu Ratssitzungen, die in der nachfolgenden Wahlperiode stattfinden sollen, auch dann nicht als (von Anfang an) wirksam angesehen werden, wenn sie wie hier erklärtermaßen im Einvernehmen mit dem noch nicht im Amt befindlichen künftigen Bürgermeister erfolgen (so aber Hölzl/Hien/Huber, a.a.O., Art. 46 Anm. 4; Glaser in Widtmann u.a., a.a.O., Art. 46 Rn. 20; FSt 1956 Nr. 180). Der zum neuen (Ober-)Bürgermeister gewählte Amtsnachfolger ist vor Beginn seiner Amtszeit (Art. 41 Abs. 1, Art. 43 Abs. 1 GLKrWG) nicht befugt, rechtsverbindliche amtliche Erklärungen abzugeben; seine vorab erteilte Zustimmung zu dem Sitzungstermin und zur vorgesehenen Tagesordnung geht somit ins Leere (Wachsmuth, a.a.O.; Keller, a.a.O.; Wernsmann/Neudenberger in BeckOK Kommunalrecht Bayern, Art. 46 GO Rn. 30). Er ist an seine Einverständniserklärung auch gegenüber dem Amtsvorgänger in keiner Weise gebunden, sondern kann nach Amtsantritt jederzeit einen anderen Tag für die konstituierende Sitzung bestimmen.
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Der zeitgleich mit dem Gemeinderat ins Amt gekommene Bürgermeister ist aber nicht verpflichtet, zu der betreffenden Sitzung erneut förmlich zu laden. Er kann vielmehr nach Amtsantritt seine Zustimmung zu dem von seinem Vorgänger gewählten Sitzungstermin und zu der übersandten Tagesordnung erklären. Die entsprechende Willensbekundung gegenüber den übrigen Ratsmitgliedern kann sowohl im Vorfeld der konstituierenden Sitzung als auch noch zu deren Beginn in ausdrücklicher oder konkludenter Form erfolgen. Von Letzterem ist insbesondere dann auszugehen, wenn der neue Bürgermeister wie im vorliegenden Fall zu der Sitzung erscheint und nach erfolgter Vereidigung ohne weiteres die Sitzungsleitung übernimmt. Ein solches Verhalten lässt bei objektiver Betrachtung nur den Schluss zu, dass sich der aktuelle Amtsinhaber die von der unzuständigen Stelle ausgehende Ladung uneingeschränkt zu eigen macht (vgl. BayVGH, B.v. 28.10.2019 - 14 ZB 18.2060 - BayVBl 2020, 236 Rn. 12).
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(2) Allerdings kann der neu gewählte Bürgermeister als der für die laufende Wahlperiode zuständige Sitzungsleiter die Fehlerhaftigkeit der Ladung nicht auch mit Wirkung für die übrigen Ratsmitglieder ungeschehen machen. Seine nachträglich (konkludent) erklärte Zustimmung führt daher nur dann zur Heilung und demgemäß zur Beschlussfähigkeit des Gemeinderats nach Art. 47 Abs. 2 GO, wenn sich alle Mandatsträger auf die Terminsbestimmung durch den früheren Bürgermeister einlassen, indem sie zur Sitzung erscheinen und rügelos an der Beratung teilnehmen oder indem sie schon im Voraus ihre Verhinderung aus persönlichen Gründen erklären (vgl. dazu allgemein BayVGH, U.v. 20.6.2018 - 4 N 17.1548 - BayVBl 2019, 265 Rn. 41 m.w.N.). Wird der Verstoß gegen die innergemeindliche Organkompetenz dagegen von (mindestens) einem Gemeinderatsmitglied rechtzeitig geltend gemacht, bleibt es bei der Unwirksamkeit der Ladung, so dass auch die in der Sitzung gefassten Beschlüsse ungültig sind.
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Ausgehend von diesen Grundsätzen ist im vorliegenden Fall von einer Heilung des Ladungsmangels auszugehen. Die Mitglieder des Stadtrats der Antragsgegnerin waren zwar zur konstituierenden Sitzung nicht vollständig erschienen. Die beiden abwesenden Mandatsträger hatten jedoch schon im Vorfeld ihr Fernbleiben aus gesundheitlichen Gründen angekündigt und waren daher jedenfalls nicht als Folge der fehlerhaften Ladung an der Wahrnehmung ihrer organschaftlichen Mitwirkungsrechte gehindert. Hätte der ab dem 1. Mai 2020 im Amt befindliche Oberbürgermeister sie zu dem - auch von ihm gewünschten - Sitzungstermin am 7. Mai 2020 geladen, wären sie ebenfalls an einer Teilnahme verhindert gewesen, so dass sich der Kompetenzverstoß bei ihnen nachweislich nicht ausgewirkt hat (vgl. BayVGH, a.a.O.; Wutz, BayVBl 2020, 733/734 f. m.w.N.).
30
Die zur konstituierenden Sitzung erschienenen weiteren Stadtratsmitglieder haben sich ebenfalls vorbehaltlos auf die Beratung und Beschlussfassung eingelassen. Aus der in der Behördenakte befindlichen detaillierten Sitzungsniederschrift geht nicht hervor, dass sich einer der Mandatsträger während der laufenden Sitzung zu Wort gemeldet und auf die nicht ordnungsgemäße Ladung hingewiesen hätte. Der Ladungsmangel ist demnach durch rügelose Einlassung aller Stadtratsmitglieder geheilt worden. Das Vorbringen der Antragsteller, sie hätten die fehlerhafte Ladung in einer Sitzungspause gegenüber dem geschäftsleitenden Beamten der Antragsgegnerin beanstandet, kann zu keinem anderen Ergebnis führen, da diese Rüge weder rechtzeitig noch in der gebotenen Form erhoben worden ist.
31
Bezieht sich ein Ladungsmangel nicht lediglich auf einzelne Tagesordnungspunkte, sondern auf die Gemeinderatssitzung insgesamt, so muss die entsprechende Rüge schon vor oder zumindest zu Beginn der jeweiligen Sitzung erfolgen. Der Rügende kann zwar anschließend unter entsprechendem Vorbehalt an der weiteren Beratung und Beschlussfassung teilnehmen, ohne dass seine Rüge damit unbeachtlich würde (vgl. Wutz, a.a.O., 736 f.). Sieht sich ein Ratsmitglied durch eine nicht ordnungsgemäße Ladung in seinen organschaftlichen Rechten verletzt, kann es aber von der Ausübung des Rügerechts nicht vorläufig absehen und die Erhebung von Einwänden etwa davon abhängig machen, ob die Sitzung einen aus seiner Sicht unerwünschten Verlauf nimmt. Das Rügerecht darf insbesondere nicht dazu benutzt werden, eine zuvor unter eigener Beteiligung erfolgte Abstimmung im Gemeinderat im Nachhinein für ungültig erklären zu lassen (vgl. BayVGH, a.a.O., Rn. 45).
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Hiernach war der von den Antragstellern erst in der Sitzungspause erhobene Einwand gegen die Ordnungsgemäßheit der Ladung als verspätet anzusehen, nachdem sie es bei Sitzungsbeginn versäumt hatten, auf den betreffenden Rechtsverstoß ausdrücklich hinzuweisen. Darüber hinaus war der geschäftsleitende Beamte der Antragsgegnerin als Nichtmitglied des Stadtrats auch kein geeigneter Adressat für eine wirksam erhobene Ladungsrüge. Wenn ein in der Sitzung erschienenes Ratsmitglied die ihm zugegangene Ladung wegen eines Frist- oder Formverstoßes für nicht ordnungsgemäß hält, muss dieser Mangel entweder vorab gegenüber dem Sitzungsleiter oder nach Sitzungsbeginn gegenüber dem Plenum geltend gemacht werden, damit sogleich über die Beschlussfähigkeit entschieden werden kann. Die Rüge einer nicht ordnungsgemäßen Ladung kann der betroffene Mandatsträger während der Gemeinderatssitzung auch nur persönlich erheben und nicht einen Dritten gleichsam als Boten beauftragen.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO.
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3. Die Entscheidung zum Streitwert beruht auf § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nrn. 1.5, 22.7 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).