VG Ansbach, Urteil v. 06.08.2020 – AN 17 K 18.02254
Titel:
Erfolglose Nachbarklage gegen eine Baugenehmigung zum Umbau und zur Erweiterung einer Praxis für Zahnmedizin sowie Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie im Innenbereich
Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
BauGB § 34 Abs. 1, Abs. 2
BayBO Art. 2 Abs. 4 Nr. 3, Art. 6 Abs. 1 S. 3, Art. 59 S. 1 Nr. 1 lit. a
BauNVO § 6 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, Nr. 4, Nr. 5
Leitsätze:
1. Aus § 6 Abs. 1 BauNVO folgt für das Mischgebiet, dass zwischen den Nutzungsarten kein Vorrangverhältnis besteht, sondern von einer Gleichwertigkeit und Gleichgewichtigkeit beider Nutzungsarten auszugehen ist, die quantitativ und qualitativ durchmischt sein sollen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB darf auch die auf dem Vorhabengrundstück vorhandene Bebauung berücksichtigt werden. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO findet nicht nur im Rahmen eines Bebauungsplans, sondern ebenso im nicht überplanten Innenbereich Anwendung, womit auch der tatsächlich vorhandenen Bauweise grundsätzlich Vorrang vor dem Abstandsflächenrecht zukommt. Der tatsächlichen Bebauung muss dabei kein städtebauliches Ordnungssystem zu Grunde liegen. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Faktische Baulinie im unbeplanten Innenbereich lässt bauordnungsrechtliches Abstandsflächenerfordernis gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO entfallen, Keine erdrückende Wirkung eines etwa 12 m hohen und 16 m breiten, dreistöckigen und grenzständigen Praxisgebäudes gegenüber 7,4 m (öffentliche Straße) entferntem, vierstöckigem und ebenfalls grenzständigem Wohn- und Geschäftsgebäude mit einer Firsthöhe von etwa 12,5 m und einer Breite von etwa 9,5 m, Nachbarklage, Anbau, drittschützende Norm, Innenbereich, Mischgebiet, Gemengelage, Gebot der Rücksichtnahme, erdrückende Wirkung, Abstandsflächen, Grenzbebauung, faktische Baulinie
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 16.02.2023 – 9 ZB 21.304
Fundstelle:
BeckRS 2020, 34321
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Tatbestand
1
Die Kläger wenden sich gegen die dem Beigeladenen durch die beklagte Stadt … erteilte Baugenehmigung vom 17. Oktober 2018 zum Zwecke des Umbaus und der Erweiterung von dessen Praxis für Zahnmedizin sowie Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie.
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Der Beigeladene betreibt auf dem Grundstück mit der Flurnummer (FlNr.) … der Gemarkung … (Anschrift: …) eine Praxis für Zahnmedizin sowie Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und zahn- und gesichtsästhetische Behandlungen in Gemeinschaft mit weiteren Ärzten. Das Grundstück steht im Eigentum des Beigeladenen sowie des Herrn Dr. Dr. … und der „Zahnärztlichen Gemeinschaftspraxis Fachärzte für Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie, Dr. Dr. …, Dr. Dr. …“. Das östlich liegende Drittel des Grundstücks zur … …, … …, hin ist bislang unbebaut, auf der Westseite finden sich die Bestandsgebäude der Praxis, wobei das Grundstück nach Norden hin nicht durchgehend geschlossen bebaut ist. Der östliche, bislang unbebaute Grundstücksteil soll grenzständig mit einem Praxisgebäude neu bebaut werden.
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Östlich gegenüber des Praxisgrundstücks liegt, getrennt durch die 7,42 m breite … …, das Grundstück der Kläger mit der FlNr. … der Gemarkung … (Anschrift: … …, … …), welches grenzständig mit einem mehrstöckigen Haus mit Walmdach (EG, 1.OG, 2.OG, zurückgesetzter Ausbau im DG) bebaut ist, das ausweislich der diesbezüglich letzten Baugenehmigung aus dem Jahr 1998 eine Höhe ab Geländeoberfläche bis zur Decke des Dachgeschosses von 10,72 m sowie eine Gesamthöhe (Firsthöhe) von 12,52 m aufweist. Im Erdgeschoss befindet sich ein Frisörstudio, darüber zwei augenscheinlich der Wohnnutzung dienende Etagen, sowie eine dritte, zurückgesetzte Etage auf einem Teil der Grundfläche. Die jetzigen Kläger bilden eine Erbengemeinschaft nach dem am 30. Juni 2019 verstorbenen …- … …, dem ursprünglichen Kläger. Das klägerische Grundstück - nicht aber das des Beigeladenen - ist vom Bebauungsplan Nr. … der Stadt …, in Kraft getreten am 14. Oktober 2002, umfasst, der eine Baulinie unmittelbar angrenzend an die Ostseite der … … für die dort liegenden Grundstücke vorsieht (wobei die im Norden der … … in Richtung der … liegenden Grundstücke mit den FlNrn. … und … nicht mehr erfasst sind). Der Bebauungsplan sieht für das Plangebiet, welches im Norden von dem Anwesen … … und den Grundstücken des Freistaates Bayern für die Justiz- und Forstverwaltung, im Osten von der … und dem …, im Süden von der … und im Westen von der … … begrenzt ist, in Teilen ein Mischgebiet vor.
4
Die Grundstücke mit den FlNrn. … (teils), …, …, …, … (teils) sind mit der zur … … liegenden Seite (östlich) jeweils grenzständig bebaut. Sie liegen allesamt südlich des Praxisgrundstücks des Beigeladenen, getrennt durch das Grundstück mit der FlNr. …, welches zur … … hin aber nicht bebaut ist. Das sich nördlich an das Praxisgrundstück anschließende Grundstück FlNr. … ist nicht grenzständig zur … … bebaut, sondern weist auf Höhe der Grundstücksgrenze zum Praxisgrundstück einen Abstand von der Außenwand des Gebäudes bis zur Außenseite des Gehwegs von 4,04 m auf. Da der südliche Gebäudeteil auf der FlNr. … gegenüber dem nördlichen Gebäudeteil etwas zurückgesetzt ist und die Grundstücksgrenze sich in nordöstlicher Richtung vom Gebäude weg bewegt, verbreitert sich dieser Abstand zunächst auf 6,41 m und verschmälert sich sodann bei Beginn der nördlichen Gebäudehälfte wieder auf 4,83 m, um sich schließlich in Richtung der zur … liegenden Frontseite hin auf 7,92 m erneut zu verbreitern. Auf der gegenüberliegenden Seite der … …, auf der sich das klägerische Grundstück FlNr. … befindet, ist das Gebäude auf dem nördlich des Grundstücks der Kläger liegenden Grundstück mit der FlNr. … ebenfalls zur … … hin (westlich) grenzständig errichtet. Auf dem noch weiter nördlich liegenden Grundstück FlNr. … findet sich, von einer minimalen Flucht abgesehen, ebenfalls eine grenzständige Bebauung zur Straßenseite hin. Auf den südlich des klägerischen Grundstücks befindlichen Grundstücken mit den FlNrn. …, … und … findet sich auch eine grenzständige Bebauung zur Straßenseite (westlich) hin.
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Der Beigeladene beantragte mittels eines ausgefüllten Formblattes mit Anlagen vom 15. September 2017, Eingang bei der Beklagten am 30. Oktober 2017, eine Baugenehmigung zum Umbau und der Erweiterung der bestehenden Zahnarztpraxis. Ausweislich der dem Bauantrag beigefügten Schnittzeichnungen vom 12. September 2017 soll der unmittelbar an die … … (Ostseite des Praxisgrundstücks FlNr. …) grenzende Praxisneubau eines Hauptgebäudes mit Flachdach eine Höhe „OK Attika“ von ca. 10,54 m aufweisen, wobei der Schnittpunkt der Gebäudewand mit der Geländeoberfläche 1,70 m unter der natürlichen Geländeoberfläche liegt; im Abstandsflächenplan ist für den Praxisneubau Hauptgebäude eine Höhe von 12,26 m angegeben. Die Gebäudehöhe verteilt sich auf drei Stockwerke (EG, 1. OG, 2. OG), wobei das Erdgeschoss in dem Sinne nicht voll ausgebaut ist, als dass sich zur … … hin die Einfahrt zu den Pkw- und Fahrrad-Stellplätzen im Innenhof der Praxisgrundstücks FlNr. … befindet. Lediglich im Bereich dieses Innenhofes sind an die südliche Grundstücksgrenze zur FlNr. … anschließend Erdgeschossräume vorhanden, insb. für den Hausmüll, die Haustechnik, den Schacht des Bettenaufzuges und das Treppenhaus II. Durch den Neu- und Erweiterungsbau vergrößert sich die Bruttogrundfläche von 1287,81 m² (Bestand) auf 2063,85 m² (überdeckte und allseitig umschlossene Flächen), die gewerbliche Nutzfläche von 538,45 m² (Bestand) auf 773,76 m².
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Mit Bescheid vom 17. Oktober 2018 erteilte die Beklagte dem Beigeladenen in Ziffer I. des Tenors die Baugenehmigung für das beantragte Vorhaben unter Erteilung einer Befreiung in Ziffer II. des Tenors nach Art. 63 Abs. 1 BayBO von den gesetzlichen Abstandsflächen vor der nördlichen Grundstücksgrenze zum Nachbargrundstück FlNr. … In kursiver Schrift war folgender Hinweis angefügt:
„Eine Abweichung wegen der geplanten Grenzbebauung zur … … hin (östliche Grundstücksgrenze) ist wegen der dort vorgegebenen geschlossenen Bauweise nicht erforderlich, nähere Ausführungen s.u. unter ‚Gründe‘.“
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In Ziffer IV. der Baugenehmigung ging die Beklagte von einem Bauvorhaben der Gebäudeklasse 5 (IV. 5) im Innenbereich nach § 34 BauGB aus (IV. 3) und wählte mangels Sonderbau im Sinne des Art. 2 Abs. 4 BayBO das vereinfachte Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO (IV. 4.). Im Begründungsteil des Baugenehmigungsbescheids vom 17. Oktober 2018 führte sie unter anderem aus, dass die nähere Umgebung des Vorhabengrundstücks nicht eindeutig einem der Baugebiete nach der BauNVO entspreche und deswegen der Maßstab des § 34 Abs. 1 BauGB gelte. Die Art der baulichen Nutzung der Hauptanlage bleibe wie bisher bzw. werde in den neu zu errichtenden Teil übernommen. Hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung bildeten die … …, die … und die … zwischen beiden den Beurteilungsrahmen. Der Neubau des Beigeladenen verfüge über drei Geschosse, die … … sei von zwei bis dreigeschossiger Bebauung geprägt, das Eckgebäude an der … weise fünf Geschosse auf. Die Höhenentwicklung entlang der westlichen … … reiche hinsichtlich der Gebäudehöhen von 15,80 m (Eckgebäude …), über den geplanten Neubau mit 12,24 Metern bis zu 11,10 m (… …), wobei bei den traufständigen Gebäuden in der … … auf die Traufhöhe, bei den Mansarddächern mit den steilen Dachflächen auf den „Knick“ in der Dachfläche abzustellen sei. Insofern füge sich der Neubau des Beigeladenen im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB sowohl hinsichtlich der Gesamt-, als auch der Wandhöhe in die nähere Umgebung ein. Hinsichtlich der Bauweise seien die Hauptgebäude in der näheren Umgebung fast durchgängig entlang der Straßenbegrenzungslinien und in geschlossener Bauweise im Sinne einer Blockrandbebauung errichtet. Zwar befänden sich in näherer Umgebung unbebaute (Teil-)Flächen in Richtung … … (FlNr. …, …). Diese seien jedoch nach der baulichen und der Grenzsituation um das Jahr 1910 zu urteilen von Anfang an auf Dauer für eine an die … … heranreichende Blockrandbebauung vorgesehen gewesen. Es sei somit eine deutliche faktische Baulinie zu erkennen. Abgesehen von den rückwärtig noch nicht bebauten Grundstücken ergebe sich aus der durchgängigen Bebauung entlang der Straßenlinie zur … …, dass nicht nur das Recht, sondern aus planungsrechtlicher Sicht zugleich auch die Pflicht zur Anordnung der Baukörper an der Grenze zwischen öffentlicher Straße und Baugrundstück bestehe. Das nördlich an das Baugrundstück angrenzende Gebäude in der …, welches von dieser Baulinie abweiche, sei nicht prägend, da es sich um ein Eckgrundstück handele, welches nicht zur … …, sondern zur … hin orientiert sei. Hinsichtlich des aus § 34 Abs. 1 BauGB fließenden Rücksichtnahmegebots sei nicht davon auszugehen, dass das Bauvorhaben eine erdrückende Wirkung auf die Nachbarn habe, insbesondere, weil sich die Höhendifferenzen zur Umgebungsbebauung in Grenzen hielten. Nach alldem bestünde zugunsten des Beigeladenen ein Anspruch auf die erteilte Baugenehmigung. Die Baugenehmigung wurde am 22. Oktober 2018 als Einschreiben an den Rechtsvorgänger der Kläger durch die Beklagte zur Post gegeben.
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Mit am 20. November 2018 beim Verwaltungsgericht Ansbach eingegangenem Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten hat der mittlerweile verstorbene …- … … Klage gegen den zugunsten des Beigeladenen ergangenen Baugenehmigungsbescheid vom 17. Oktober 2018 erhoben. Mit Schriftsatz vom 18. November 2019 legte der Prozessbevollmächtigte eine durch die Mitglieder der Erbengemeinschaft nach dem am 30. Juni 2019 verstorbenen …- … … unterzeichnete Vollmacht auf ihn vor. Zur Begründung der Klage führen die Kläger aus, dass der Erweiterungsbau des Beigeladenen nach Osten zu ihrem Grundstück hin eine Abstandsfläche einzuhalten habe, die auf der öffentlichen Verkehrsfläche allenfalls bis zu deren Mitte zum Liegen kommen könne. Die nach der Wandhöhe an der östlichen Gebäudeseite erforderliche Abstandsfläche werde zu Lasten des klägerischen Grundstückes nicht eingehalten. Selbst wenn man zu Unrecht auch im nördlichen Bereich der … … auf der westlichen Seite eine prägende Bebauung mit faktischer Baulinie annehmen würde, wäre der Erweiterungsbau aufgrund seiner Ausmaße und dem geringen Abstand zum klägerischen Gebäude rücksichtslos.
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Die Kläger beantragen,
die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Stadt … vom 17. Oktober 2018 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung führt sie aus, dass entgegen der Behauptung des Klägers dessen Grundstück (FlNr. …) innerhalb des Bebauungsplans Nr. …, in Kraft getreten im Jahr 2020, liege. Der Bebauungsplan sehe entlang der gesamten Ostseite der … … eine an der Straßengrenze verlaufende Bebauung vor. Hinsichtlich der Verhältnisse auf der Westseite und der faktischen Baulinie kraft vorhandener Bebauung und des daraus folgenden Grenzbaurechts werde auf die streitgegenständliche Baugenehmigung verwiesen.
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Der Beigeladene beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung führt er aus, dass weder das Abstandsflächenrecht noch das Gebot der Rücksichtnahme den Klägern zum Erfolg gereichten. Die Beklagte sei mit Blick auf die städtebaulichen Gegebenheiten in der näheren Umgebung des Baugrundstücks gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO zutreffend vom Vorrang des Planungsrechts ausgegangen. Insofern sei nicht zu beanstanden, dass der Beigeladene bis an die Ostgrenze seines Grundstücks, also bis an die … …, heranbaue und die sich hierbei theoretisch ergebenden Abstandsfläche die Straßenmittellinie der öffentlichen Verkehrsfläche deutlich überschreite. Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO finde nicht nur im Geltungsbereich eines Bebauungsplans Anwendung, sondern auch, wenn es sich um ein Vorhaben im Bereich des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB handele. Entgegen der Ausführungen des Klägers sei trotz der Tatsache, dass nicht alle Gebäude an die vordere Grundstücksgrenze zur … … gebaut worden seien, ein städtebauliches Ordnungsprinzip zu erkennen, wonach die Bauweise an der … … durch eine grenzständige Bauweise geprägt sei. Das Gebäude mit der Anschrift …, im Eigentum der … Lebensversicherung AG (FlNr. …), nehme als Eckhaus insoweit eine Sonderstellung ein und sei als Ausreißer zu bewerten. Auch habe der Rechtsvorgänger der Kläger selbst sein Gebäude unmittelbar an der vorderen Grundstücksgrenze errichtet. Schließlich sei das klägerische Gebäude bezogen auf die Firsthöhe mit 12,52 Metern sogar höher als das mit einem Flachdach geplante Gebäude des Beigeladenen mit 12,24 Metern. Im Übrigen sei die Beklagte zutreffend davon ausgegangen, dass sich das Vorhaben des Beigeladenen sowohl nach Art der geplanten Nutzung als auch nach der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge. Die Angaben des Klägers zur angeblichen Rücksichtslosigkeit seien zu pauschal. Zwischen dem klägerischen Gebäude und der durch den Beigeladenen geplanten Bebauung liege die … … mit einer Breite von mehr als 7 m.
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Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten (Begründung zum Vorentwurf Bebauungsplan Nr. … im Original; Bebauungsplan Nr. … im Original; Bauantrag … „Umbau und Erweiterung einer Zahnarztpraxis“; Bearbeitungsbogen zum Bauantrag …; Bauantrag … Umbau / Sanierung … …; Bearbeitungsbogen zum Bauantrag …) und die Gerichtsakte Bezug genommen. Für den Verlauf der mündlichen Verhandlung und der Inaugenscheinnahme des Vorhabengrundstücks und der näheren Umgebung am 6. August 2020 wird auf die Sitzungsniederschrift und die gefertigten Lichtbilder verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Das Versterben des ursprünglichen Klägers …- … … nach Klageerhebung hatte gemäß § 173 Satz 1 VwGO, § 246 Abs. 1 ZPO keine Unterbrechung des Prozesses zur Folge, da dieser anwaltlich vertreten war und kein Antrag auf Aussetzung gestellt wurde. Überdies haben seine Rechtsnachfolger das Verfahren aufgenommen und weiter betrieben. Sie sind im Wege des Parteiwechsels ohne Klageänderung qua Gesetz (§ 1922 BGB) an seine Stelle getreten (Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 91 Rn. 24).
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Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
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1. Die zulässige Klage ist unbegründet, weil der Baugenehmigungsbescheid vom 17. Oktober 2018 rechtmäßig ist und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Eine Anfechtungsklage hat nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nur dann Erfolg, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und die Kläger in ihren Rechten verletzt. Dafür genügt nicht die objektive Verletzung einer Rechtsnorm. Die Rechtsverletzung muss sich aus einer Norm ergeben, die zumindest auch dem Schutz des Nachbarn dient (Schutznormtheorie, s. BayVGH, B.v. 23.6.2017 - 15 ZB 16.920 - BayVBl 2019, 596 Rn. 8). Zudem müssen die als verletzt gerügten Normen Teil des Prüfprogramms im Baugenehmigungsverfahren sein, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO (Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, 135. EL Dezember 2019, Art. 66 Rn. 537).
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Eine Verletzung drittschützender Normen durch die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung scheidet aus. Das Prüfprogramm bemisst sich vorliegend nach Art. 59 BayBO (vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren). Der durch den Beigeladenen geplante Erweiterungsbau seiner Praxis stellt keinen Sonderbau im Sinne des Art. 2 Abs. 4 BayBO dar. Insbesondere ist nicht Art. 2 Abs. 4 Nr. 3 BayBO einschlägig, weil schon die Summe aller Geschossflächen des Neubaus nur 776,04 m² beträgt.
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a) Ein Verstoß gegen die im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO zu prüfenden bauplanungsrechtlichen Vorschriften der §§ 29 - 38 BauGB ist nicht ersichtlich. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit beurteilt sich unbestritten nach § 34 BauGB, da das Vorhabengrundstück offensichtlich im Innenbereich der Stadt … liegt und selbst, soweit der streitgegenständliche Neubau betroffen ist, nicht vom räumlichen Geltungsbereich eines Bebauungsplans umfasst ist. Der Bebauungsplan Nr. … der Beklagten, in Kraft getreten am 14. Oktober 2002, beginnt räumlich erst östlich der … … Und der Bebauungsplan Nr. … der Beklagten, in Kraft getreten am 3. April 1984, umfasst nur den zur … ausgerichteten Bestandsbau.
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Hinsichtlich der zulässigen Nutzungsart ist als Maßstab auf § 34 Abs. 1 BauGB abzustellen, da die Eigenart der näheren Umgebung nicht eindeutig einem der in § 34 Abs. 2, § 9a BauGB i.V.m. § 2 ff. BauNVO genannten Baugebiete entspricht.
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Ein faktisches Mischgebiet im Sinne des § 6 BauNVO wäre zwar denkbar. So beherbergt das zur … liegende Eckgebäude auf der FlNr. … eine Niederlassung des Amtsgerichts … als Anlage der Verwaltung nach § 6 Abs. 2 Nr. 5 BauNVO. Außerdem befindet sich im Erdgeschoss des klägerischen Hauses (FlNr. …) ein Frisör als Gewerbebetrieb, der das Wohnen nicht wesentlich stört gemäß § 6 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 BauNVO und auf FlNr. … im Erdgeschoss ein Informationsbüro für Wohnprojekte in Holzbauweise als Geschäftsgebäude gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 BauNVO, sowie findet im Übrigen, wie etwa im ersten und zweiten Obergeschoss des klägerischen Gebäudes, auch Wohnnutzung statt. Die genannten Grundstücke und ihre Bebauung bzw. Nutzung sind, obwohl sie ihrerseits Teil der Bebauungspläne Nr. … und Nr. … der Beklagten sind, für die Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung im Sinne des § 34 BauGB heranziehbar (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberger/Krautzberger, BauGB, 138. EL Mai 2020, § 34 Rn. 36). Gleichwohl mangelt es an der Eindeutigkeit der Zuordnung (Mitschang/Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 14. Aufl. 2019, § 34 Rn. 60) zu einem Mischgebiet nach § 6 BauNVO, welches nach § 6 Abs. 1 BauNVO dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören, dient. Aus § 6 Abs. 1 BauNVO folgt, dass zwischen den Nutzungsarten kein Vorrangverhältnis besteht, sondern von einer Gleichwertigkeit und Gleichgewichtigkeit beider Nutzungsarten auszugehen ist (BVerwG, B.v. 11.4.1996 - 4 B 51/96 - NVwZ-RR 1997, 463), die quantitativ und qualitativ durchmischt sein sollen (BayVGH, B.v. 12.7.2010 - 14 CS 10.327 - juris Rn. 34). Berücksichtigt man, dass das zur … liegende Eckgebäude (FlNr. …) eher dieser Straße zugewandt ist und nur zu einem geringeren Maße die übrige entlang der … … liegende Bebauung prägt und das Frisörstudio im Erdgeschoss des klägerischen Gebäudes (FlNr. …) grundsätzlich auch in einem allgemeinen Wohngebiet nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO zulässig wäre, ist eine ausreichende Prägung der näheren Umgebung durch nicht störende Gewerbebetriebe im Sinne des § 6 Abs. 1 BauNVO nicht eindeutig genug, um zu einem faktischen Mischgebiet gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO als Beurteilungsmaßstab zu kommen, wenn auch eine dementsprechende Tendenz ausgemacht werden kann.
23
Nach dem sodann hinsichtlich der zulässigen Nutzungsart maßgeblichen § 34 Abs. 1 BauGB fügt sich der geplante Neu- und Erweiterungsbau der Praxis für Zahnmedizin und Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie in die Eigenart der näheren Umgebung ein und kann schon deshalb nicht das im Rahmen von § 34 Abs. 1 BauGB drittschützende Gebot der Rücksichtnahme verletzen. Zum einen befindet sich in unmittelbarer Nähe zum geplanten Standort, auf der gegenüberliegenden Straßenseite der … …, mit der Hausnummer … und direkt nördlich an das klägerische Grundstück angrenzend, auf der FlNr. … eine (Augen-)Arztpraxis. Zum anderen darf für die Eigenart der näheren Umgebung auch die auf dem Vorhabengrundstück vorhandene Bebauung berücksichtigt werden (BVerwG, U.v. 8.12.2016 - 4 C 7/15 - NVwZ 2017, 717 Rn. 10): Auf dem Grundstück des Beigeladenen FlNr. … wird in den Bestandsgebäuden ausweislich der Baugenehmigung der Beklagten vom 26. März 1996 (Nutzungsänderung Arztpraxis statt Wohnung für FlNr. …, Az. …) seit etwa 15 Jahren eine Praxis für Zahnmedizin betrieben, die durch o.g. Neubau erweitert werden soll. Auch wenn der vorgesehene Neubau mit immerhin zwei Vollgeschossen an Behandlungs- und Verwaltungsräumen eine deutliche Vergrößerung des bisherigen Praxisbetriebes mit sich bringt, in Zahlen ein Plus von etwa 43,7% bei der gewerblichen Nutzfläche, ändert dies nichts am Charakter der Nutzungsart als Ausübung des freien, heilkundlichen Berufs des Zahn- und Humanmediziners. Das Vorhaben hält sich also seiner Nutzungsart nach innerhalb des aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmens, da die an der … … anliegenden Gebäude durch eine Mischung insbesondere aus Wohnnutzung, freiberuflicher Ausübung des Arztberufs, einem Handwerksbetrieb (Frisör) und, wenn auch abgeschwächt, einer Anlage der Verwaltung (s.o.) geprägt sind. Dasselbe Ergebnis erhielte man, wenn entgegen der obigen Ausführungen doch gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO ein Mischgebiet angenommen würde, da dann nach § 13 BauNVO auch Gebäude für die Berufsausübung freiberuflich Tätiger, wie für (Zahn-)Ärzte, ihrer Art nach zulässig wären.
24
Hinsichtlich der übrigen in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB genannten Kriterien des Einfügens - Maß der baulichen Nutzung, Bauweise und Grundstücksfläche, die überbaut werden soll - kommt diesen ebenso wenig unmittelbar drittschützender Charakter zu, jedoch ist im Tatbestandsmerkmal des Einfügens nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB das Gebot der Rücksichtnahme enthalten, welches Drittschutz vermitteln kann (BVerwG, U.v. 23.5.1986 - 4 C 34/85 - NVwZ 1987, 128; Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, 135. EL Dezember 2019, Art. 66 Rn. 389 ff.). Das drittschützende Rücksichtnahmegebot wird aktiviert, „wenn in qualifizierter und individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist“ (BVerwG, U.v. 5.12.2013 - 4 C 5/12 - NVwZ 2014, 370 Rn.21). Die Anforderungen, die das Rücksichtnahmegebot an die Zulässigkeit des Vorhabens stellt, hängen wesentlich von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des durch das Vorhaben Betroffenen ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, desto weniger muss er sich in Rücksichtnahme üben. Es ist also darauf abzustellen, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BayVGH, B.v. 15.10.2019 - 15 ZB 19.1221 - juris Rn. 15; B.v. 5.4.2019 - 15 ZB 18.1525 - BeckRS 2019, 7160 Rn. 9; s.a. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger (EZBK), BauGB, 136. EL Oktober 2019, § 34 Rn. 141).
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Im Hinblick auf das Maß der baulichen Nutzung kommt es bei der Prüfung des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach § 34 Abs. 1 BauGB nicht auf die „Feinheiten der Berechnungsregeln“ der BauNVO an, sondern auf die von außen wahrnehmbare Erscheinung des Gebäudes im Verhältnis zur Umgebungsbebauung und die absoluten Maße, insbesondere Grundfläche, Geschosszahl, Höhe und Volumen des Baukörpers (BVerwG, U.v. 23.3.1994 - 4 C 18/92 - NVwZ 1994, 1006; Mitschang/Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 14. Aufl. 2019, § 34 Rn. 28 m.w.N.). Eine Verletzung des drittschützenden Rücksichtnahmegebots liegt nach der Rechtsprechung allerdings erst dann vor, wenn dem Vorhaben in der Gesamtschau eine „erdrückende“ oder „abriegelnde“ Wirkung zukommt (BayVGH, B.v. 23.4.2014 - 9 CS 14.222 - juris Rn. 12). Dies kann vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden anzunehmen sein (BayVGH, a.a.O.). Bejaht hat die Rechtsprechung eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots etwa für ein 12-geschossiges Gebäude in einer Entfernung von 15 m zum 2 ½-geschossigen Nachbarwohnhaus (BVerwG, U.v. 13.3.1981 - 4 C 1/78 - juris Rn. 32 ff.), drei 11,5 m hohe Düngekalksilos im Abstand von 6 Metern zu einem 2-geschossigen Wohnhaus (BVerwG, U.v. 23.5.1986 - 4 C 34/85 - juris Rn. 12 ff.), hingegen verneint für einen Höheunterschied von wenigen Metern bei einem Abstand zwischen beiden Gebäuden von etwa 2 m (SächsOVG, B.v. 17.12.2014 - 1 B 216/14 - juris Rn. 10 ff.; w.N. zur Rspr. bei Söfker in EZBK, BauGB, 136. EL Oktober 2019, § 34 Rn. 142).
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Diesen Maßstab zu Grunde gelegt verletzt das Bauvorhaben des Beigeladenen nicht das aus § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB fließende Rücksichtnahmegebot hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung. Ihm kommt keine das Geschäfts- und Wohngebäude der Kläger in diesem Sinne erdrückende Wirkung zu. Geht man gemäß der Bauakten von einer Gebäudehöhe des Praxisneubaus mit Flachdach von 12,26 m unter Berücksichtigung der tieferliegenden natürlichen Geländeoberfläche und einer Gebäudebreite zur … … hin von 15,79 m sowie einer Gesamthöhe (Firsthöhe) des klägerischen Gebäudes von 12,52 m, einer Höhe bis zur Dachgeschossdecke von 10,72 m und einer Breite von 9,45 m aus, so lässt sich zwar eine beeinträchtigende, aber keine erdrückende oder abriegelnde Wirkung auf das etwa in einem Abstand von 7,4 m gegenüberliegende klägerische Gebäude begründen. Daran ändert auch nichts, dass das gaubenartig ausgebaute Dachgeschoss des klägerischen Gebäudes wegen des Walmdaches von der darunter liegenden Außenwand aus gesehen leicht zurückgesetzt ist, es verringert im Gegenteil die beeinträchtigende Wirkung durch den geplanten Praxisneubau für die klägerische Dachgeschossebene. Der geplante Neubau des Praxisgebäudes ist kein „übergroßer“ Baukörper im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Kläger im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB keinen generellen Schutz vor etwaigen unerwünschten Einblicken durch die geplante Nachbarbebauung genießen (BayVGH, B.v. 23.4.2014 - 9 CS 14.222 - juris Rn. 13).
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Mangels erdrückender oder abriegelnder Wirkung ist auch nicht erkennbar, inwieweit das Rücksichtnahmegebot in Bezug auf die Bauweise und die überbaubare Grundstücksfläche verletzt sein soll.
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b) Ein Verstoß gegen die im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b BayBO zu prüfende bauordnungsrechtliche Vorschrift des Art. 6 BayBO zu den Abstandsflächen liegt nicht vor.
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Eine Abstandsfläche vor der östlichen, zur … … grenzständigen und dem klägerischen Gebäude gegenüberliegenden Außenwand des Praxisneubaus ist gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO nicht erforderlich, da nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss, jedenfalls aber darf. Die Norm des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO findet nicht nur im Rahmen eines Bebauungsplans, sondern ebenso im nicht überplanten Innenbereich Anwendung, auch der tatsächlich vorhandenen Bauweise kommt grundsätzlich Vorrang vor dem Abstandsflächenrecht zu (vgl. schon BayVGH, U.v. 19.11.1976 - 106 I 73 - BeckRS 1976, 105754; BayVGH, U.v. 25.11.2013 - 9 B 09.952 - juris Rn. 46 ff.; Dhom/Franz/Rauscher in Simon/Busse, BayBO, 135. EL Dezember 2019, Art. 6 Rn. 34). Der tatsächlichen Bebauung muss dabei kein städtebauliches Ordnungssystem zu Grunde liegen, die Rechtfertigung der Grenzbebauung kann sich auch aus einer regellosen Bauweise ergeben (nunmehr BayVGH, U.v. 25.11.2013 - 9 B 09.952 - juris Rn. 47 f. m.w.N.; Schönfeld in BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, 13. Edition November 2019, Art. 6 Rn. 61; Dhom/Franz/Rauscher in Simon/Busse, BayBO, 135. EL Dezember 2019, Art. 6 Rn. 47).
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Zum einen lässt sich den an der Westseite der … … anliegenden Grundstücken von der FlNr. … an eine faktische Baulinie an den Grundstücksgrenzen zur … … entnehmen. So weisen die Grundstücke mit den FlNrn. … (teilweise), …, …, … und … (teilweise) eine Grenzbebauung auf und begründen damit eine fortzusetzende Baulinie. Das folgende Grundstück mit der FlNr. …, welches südlich des Vorhabengrundstücks des Beigeladenen (FlNr. …) liegt, ist zur … … hin zwar nicht bebaut, was jedoch den Eindruck einer faktischen Baulinie nicht zu zerstören vermag. Wenn dort gebaut würde, müsste in Fortsetzung der faktischen Baulinie an die Grundstücksgrenze gebaut werden, ebenso wie auf dem Beigeladenengrundstück. Das an die … grenzende Eckgrundstück mit der FlNr. … (Niederlassung Amtsgericht „Versicherungsgebäude“), welches zur … … hin nicht grenzständig bebaut ist, ist für die Betrachtung außen vor zu lassen, da die Bebauung mehr zur … als zur … … hin ausgerichtet und orientiert ist und damit nicht mehr bauplanungsrechtlich prägend für die Bebauung entlang der Westseite der … …, mithin ein Ausreißer ist. Die Annahme einer faktischen Baulinie entlang der östlichen Grundstücksgrenzen zur … … hin fügt sich auch symmetrisch in das Gesamtbild mit der gegenüberliegenden Straßenseite, an der u.a. das klägerische Grundstück (FlNr. …) liegt, ein. Für die dort liegenden Grundstücke, außer für die aber ebenfalls grenzständig bebauten FlNrn. … und …, die gegenüber der FlNr. … (Amtsgericht) liegen, ist im Bebauungsplan Nr. … der Beklagten eine Baulinie auf der Grundstücksgrenze zur … … hin vorgesehen bis einschließlich des Grundstücks FlNr. …, unterbrochen nur von einer Baugrenzlinie etwa von der Mitte des Grundstücks FlNr. … bis Anfang …, die aber selbst zu einer planungsrechtlichen Rechtfertigung einer Grenzbebauung im Innenbereich führen kann (Schönfeld in Spannowsky/ Manssen, BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, 16. Ed. 1.6.2020, Art. 6 BayBO Rn. 64).
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Selbst wenn man entgegen der Ansicht der Kammer und mit den Ausführungen der Kläger eine faktische Baulinie ablehnen würde, so müsste man in Konsequenz jedenfalls eine bezüglich der Grenzbebauung an der Westseite der … … regellose Bebauung annehmen, die einen zumindest fakultativen Grenzanbau zulässig machte (vgl. nunmehr BayVGH, U.v. 25.11.2013 - 9 B 09.952 - juris Rn. 47 f. m.w.N.). Das Eckgebäude (Amtsgericht „Versicherungsgebäude“) mit der FlNr. … etwa hält zur … … hin einen geringen Abstand zur Grundstücksgrenze ein, die südlich daran anschließenden Grundstücke des Beigeladenen (FlNr. …) und FlNr. … sind derzeit nicht rückwärtig an die … … hin bebaut. Das weiter südlich folgende Grundstück FlNr. … ist teilweise, aber nicht vollständig grenzständig bebaut. Die sich noch weiter südlich anschließenden Grundstücke mit den FlNrn. …, …, … sind hingegen grenzständig zur … … bebaut, das am südlichsten liegende Eckgrundstück mit der FlNr. … wiederum nur teilweise.
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Nach alldem ist gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO davon auszugehen, dass das Bauvorhaben des Beigeladenen vor seiner östlichen Außenwand zur … … hin keine Abstandsfläche einzuhalten hat.
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c) Weitere die Kläger schützende und im Rahmen des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens nach Art. 59 BayBO zu prüfende Normen, die verletzt sein könnten, sind nicht ersichtlich und klägerseits auch nicht vorgetragen.
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Daher war die Klage als unbegründet abzuweisen.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Nachdem sich der Beigeladene durch einen eigenen Antrag am Verfahren beteiligt und sich damit dem Kostenrisiko nach § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten ersetzt bekommt, § 162 Abs. 3 VwGO.
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Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.