Inhalt

VG Regensburg, Beschluss v. 02.11.2020 – RN 4 S 20.2660
Titel:

Corona-Bekämpfung durch versammlungsrechtliche Auflage (Maskenpflicht) - einstweiliger Rechtsschutz

Normenketten:
GG Art. 2 Abs. 2, Art. 8 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4
VwGO § 80 Abs. 5
BayVersG Art. 15 Abs. 1, Art. 25
7. BayIfSMV § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, S. 3
Leitsätze:
1. Die Zulässigkeit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO setzt als ein Gebot der Logik und in Übereinstimmung mit der soweit ersichtlich ganz überwiegend in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung voraus, dass spätestens im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ein Rechtsbehelf eingelegt ist, dessen aufschiebende Wirkung angeordnet oder wiederhergestellt werden kann. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Beschränkung der von einer Versammlung ausgehenden Infektionsgefahren auf ein infektionsschutzrechtlich vertretbares Maß darf die Versammlungsbehörde keine völlige Risikofreiheit im Sinne einer absoluten infektionsschutz-rechtlichen „Unbedenklichkeit“ fordern, sondern hat eigene Überlegungen zur Minimierung von Infektionsrisiken anzustellen  und ist daher verpflichtet, sich um eine kooperative, einvernehmliche Lösung mit dem Versammlungsveranstalter zu bemühen (VGH München BeckRS 2020, 9460 Rn. 24, Rn. 25), wobei sie auch dessen Selbstbestimmungsrecht hinsichtlich der Modalitäten der Versammlung zu würdigen hat, also namentlich dazu, ob sie als Aufzug durchgeführt wird und an welchen Orten sie stattfinden soll. (Rn. 14 und 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für eine Befreiung vom Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung ist die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung erforderlich, die nachvollziehbare Befundtatsachen sowie eine Diagnose enthält, denn die Verwaltung bzw. das Gericht muss aufgrund von konkreten und nachvollziehbaren Angaben in den ärztlichen Bescheinigungen in die Lage versetzt werden, das Vorliegen der jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen selbständig zu prüfen (vgl. VGH München BeckRS 2020, 28369 Rn. 18, Rn. 19). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
4. Für die Wirksamkeit einer angeordneten Maskenpflicht ist ein Verbot der Nahrungsaufnahme und des Rauchens erforderlich, denn ansonsten hätte es jeder Versammlungsteilnehmer selbst in der Hand, darüber zu entscheiden, ob er die angeordnete Maskenpflicht einhalten oder sie durch Essen, Trinken oder Rauchen umgehen will. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einlegung eines Rechtsbehelfs in der Hauptsache als Zulässigkeitsvoraussetzung eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO, Anforderungen an die Glaubhaftmachung zur Befreiung von der Maskenpflicht, Verbot der Nahrungsaufnahme und des Rauchens bei einer Versammlung, vorläufiger Rechtsschutz, Rechtsbehelf in der Hauptsache, Beschränkung der Infektionsgefahren, kooperative Lösung, Selbstbestimmungsrecht des Versammlungsveranstalters, Befreiung von der Maskenpflicht, ärztliche Bescheinigung, Befundtatsachen und Diagnose, Verbot von Nahrungsaufnahme und Rauchen
Fundstelle:
BeckRS 2020, 30561

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens
III. Der Streitwert wird auf 2.500,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
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Der Antragsteller zeigte am 29.10.2020 beim Landratsamt ... für den 2.11.2020 in der Zeit von 15:30 Uhr bis 18:30 Uhr eine Kundgebung auf einem Teil der Festwiese in P. an. Unter dem Thema „Wir klären auf. Wir halten zusammen.“ war geplant, dass Reden gehalten werden sollten und Eltern von ihren Erfahrungen an Schulen berichten könnten. Den Versammlungsteilnehmern solle die Möglichkeit gegeben werden, sich zu äußern. Der Antragsteller gab an, dass er eine Anzahl von circa 500 Personen erwarte.
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Unter dem 30.10.2020 erließ das Landratsamt ... einen versammlungsrechtlichen Auflagenbescheid, welcher unter Nummer 1.9 folgende Bestimmung enthielt:
Allgemeine infektionsschutzrechtliche Vorgaben:
Für alle Versammlungsteilnehmer einschließlich der Ordner und des Versammlungsleiters gilt Maskenpflicht.
Alle Teilnehmer die von der Maskenpflicht befreit sind, haben sich vor Beginn der Versammlung bei den zuständigen Mitarbeitern des Landratsamtes zu melden und ihre Befreiung glaubhaft zu machen.
Die Nahrungsaufnahme und das Rauchen am Versammlungsort sind untersagt.
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Zur Begründung dieser Auflage führte das Landratsamt ... aus, dass die Maskenpflicht angeordnet werde, weil im Landkreis derzeit ein diffuses Infektionsgeschehen herrsche. Laut Feststellung des Robert-Koch-Instituts betrage die Zahl der Neuinfektionen mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 derzeit über 100 pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen, weshalb auch spezielle und strengere infektionsschutzrechtliche Vorgaben nach § 25 7. BayIfSMV greifen und durch Allgemeinverfügung sogar ein Lock-Down angeordnet worden sei. Es sei eine Anordnung ergangen, dass alle Versammlungsteilnehmer eine Maske tragen müssten, um sicherzustellen, dass eine Ansteckung der Versammlungsteilnehmer untereinander und von Personen, die auf dem P+R geparkt hätten und an der Versammlung vorbeigingen, nicht möglich sei und sich das Infektionsgeschehen im Landkreis nicht weiter verschlimmere. Gemäß § 1 Abs. 2 7. BayIfSMV seien Kinder bis zum 6. Geburtstag und Personen, die glaubhaft machen könnten, dass ihnen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aufgrund einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar sei, von der Trageverpflichtung befreit. Glaubhaftmachung sei dabei mehr als die bloße Behauptung. Insbesondere genügten ärztliche Atteste, die alleine das Ergebnis bescheinigten, nicht. Vielmehr müsse substantiiert dargelegt werden, aus welchen konkreten gesundheitlichen Gründen in der konkreten relevanten Tragesituation keine Maske getragen werden könne. Zweifel an der Richtigkeit eines Attestes seien u.a. auch dann möglich, wenn es erkennbar ohne persönliche Untersuchung erstellt worden sei oder wenn identische Atteste zu mehreren Personen vorlägen. Versammlungsteilnehmer, die sich weigerten, eine Maske zu tragen, ohne glaubhaft machen zu können, von der Maskenpflicht aus gesundheitlichen Gründen befreit zu sein, etwa weil ein vorgezeigtes ärztliches Attest den Anforderungen nicht genüge, müssten eine Maske tragen oder seien vom Versammlungsleiter von der Versammlung auszuschließen. Bei vorangegangen Versammlungen, die sich gegen die Corona-Maßnahmen richteten, habe festgestellt werden können, dass Versammlungsteilnehmer am Versammlungsort mit der Absicht Lebensmittel verzehrten, die Maskenpflicht zu umgehen, weil die Mund-Nasen-Bedeckung während der Nahrungsaufnahme notwendig abgenommen werden müsse. Um eine Umgehung der Maskenpflicht zu verhindern, sei angeordnet worden, dass Versammlungsteilnehmer am Versammlungsort keine Nahrung zu sich nehmen und nicht rauchen dürften. Den Versammlungsteilnehmern bleibe es unbenommen, den Versammlungsort kurz zu verlassen, um etwas zu sich zu nehmen oder zu rauchen. Das Landratsamt weise außerdem darauf hin, dass auch die übrigen Vorgaben von § 7 Abs. 1 7. BayIfSMV, u.a. der Mindestabstand von 1,5 m einzuhalten seien. Zur Verhältnismäßigkeit führte das Landratsamt aus, dass die getroffenen Beschränkungen erforderlich gewesen seien, um einen störungsfreien Ablauf der Versammlung unter freiem Himmel sicherzustellen. Sie dienten der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, insbesondere der Sicherheit der Versammlungsteilnehmer und von Dritten vor Infektionen.
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Am 2.11.2020 ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz stellen.
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Er trug vor, dass er sich nicht gegen die Maskenpflicht an sich wende, sondern gegen die Auslegung des Begriffs der Glaubhaftmachung durch das Landratsamt, welche im Gesetz keine Stütze finde. Außerdem beziehe sich der Antrag auf die Untersagung der Nahrungsaufnahme der Versammlungsteilnehmer am Versammlungsort. Es bestünden ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes, weshalb an der sofortigen Vollziehung kein überwiegendes Interesse bestehen könne. Sollte das Gericht zum Ergebnis kommen, dass die Erfolgsaussichten unklar seien, sei die Klage ebenfalls begründet, weil die vorzunehmende Interessenabwägung im Sinne einer Folgenbetrachtung zu Gunsten des Antragstellers ausgehe. Der Verwaltungsakt sei bereits formell rechtswidrig, da bezüglich der angegriffenen Auflagen keine Gelegenheit zur Stellungnahme, also Anhörung im Sinne des Art. 28 BayVwVfG gewährt worden sei. Insbesondere sei er materiell rechtswidrig. Sowohl in der 7. als auch in der 8. BayIfSMV sei bewusst keine weitere Konkretisierung der Glaubhaftmachung vorgenommen worden - trotz der öffentlichen Diskussion sowie anhängiger bzw. bereits vereinzelt entschiedener gerichtlicher Verfahren diesbezüglich. Glaubhaftmachung könne demnach nur heißen, dass es überwiegend wahrscheinlich sein müsse, dass das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aufgrund einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar sei. Sowohl der Wortlaut als auch die vertane Möglichkeit des Verordnungsgebers, die bestehenden Unsicherheiten und manchmal abweichenden Gerichtsurteile durch konkretere Formulierung zu entwirren, ergäben eindeutig den gesetzgeberischen Willen, dass keine überspitzten Anforderungen an die Glaubhaftmachung gestellt werden sollten und dürften. Da im Verordnungstext noch nicht einmal ein Attest gefordert werde, sei gerade dies ein ausreichendes Mittel der Glaubhaftmachung. Mit keinem Wort werde konkretisiert, was im Attest an Informationen aufgenommen sein müsse. Lediglich dann, wenn das Attest offensichtlich gefälscht oder ohne Bezug zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung stehe, könne die Ansicht vertreten werden, dass jenes Attest einer Glaubhaftmachung nicht genüge. Jedes Attest, das bescheinige, dass aus gesundheitlichen Gründen oder einer Behinderung das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung nicht möglich sei, genüge grundsätzlich dem Erfordernis des § 1 Abs. 2 der 7. BayIfSMV (jetzt § 2 Nr. 2 der 8. BayIfSMV). Durch die Konkretisierung des Gesetzestextes durch das Landratsamt werde eine unbestimmte Anzahl an Versammlungsteilnehmern, Ordnern und ggf. auch der Versammlungsleiter davon abgehalten, die Versammlung wie beantragt ganz oder teilweise durchführen zu können. Das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG werde beschränkt, da das Verkünden jener Auflage die Teilnahme an der Versammlung unattraktiv oder gar unmöglich mache, wenn ein entsprechendes Attest nicht existiere. Damit sei insgesamt der Erfolg der Versammlung und das Grundrecht des Art. 8 Abs. 1 GG gefährdet, ohne dass dies gerechtfertigt wäre. Der Verordnungsgeber habe bewusst jede Art der Glaubhaftmachung zugelassen, so dass dies auch mit Attesten möglich sein müsse, die nicht gleich die gesamte medizinische Vorgeschichte und damit sensible, höchst private bzw. sogar intime Details preisgäben. Somit sei auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG betroffen. Hilfsweise sei die Anordnung aber auch deshalb rechtswidrig, da zumindest die Nennung des Diagnoseschlüssels (ICD-10) auf einem Attest ausreichen müsse. Zudem sei das Verbot der Nahrungsaufnahme völlig unverhältnismäßig, weil es ausreiche, anzuordnen, dass nur für die Dauer der Nahrungsaufnahme die Mund-Nasen-Bedeckung abgesetzt werden dürfe. Den Versammlungsort hierfür verlassen zu müssen, stelle Eingriffe in Art. 8 Abs. 1 GG und Art. 11 Abs. 1 GG, hilfsweise in Art. 2 Abs. 1 GG dar, die nicht gerechtfertigt seien. Die bloße Behauptung, dass auf einer anderen Versammlung zuvor die Maskenpflicht in der Gestalt umgangen worden sein solle, dass gegessen worden sei, genüge für das pauschale Verbot nicht. Zum einen müsse dies damals nicht der gleiche Versammlungsleiter gewesen sein, der die Verstöße nicht unterbunden habe und falls doch, möge es ihm zum anderen trotz des Einsatzes von Ordnern ggf. nicht möglich gewesen sein, dies zu unterbinden. In jedem Fall sei das Verbot der Nahrungsaufnahme zu pauschal und ohne Abwägung des Einzelfalls getroffen worden. Es hätte z.B. die Einschränkung erfolgen müssen, dass das Abnehmen der Maske nur für eine zügige Nahrungsaufnahme, die 15 Minuten nicht übersteige, erfolgen dürfe. Es gebe Bevölkerungsgruppen wie Diabetiker oder Kinder, die nicht einfach auf Essen verzichten könnten. Der Verweis auf einen Ort außerhalb der Versammlung sei nicht nur ein unverhältnismäßiger Eingriff in Art. 8 Abs. 1 GG und Art. 11 Abs. 1 GG, sondern auch gar nicht zur Zweckerreichung geeignet. Bei Einhalten der Abstände von mind. 1,5 m sei der Verzehr von Nahrungsmitteln sogar unbedenklicher als irgendwo abseits der Versammlung wo Abstände nicht mehr eingehalten werden könnten und wo es auch keine polizeiliche Überwachung und Überprüfung mehr gebe.
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Der Antragsteller lässt beantragen,
die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Klage gegen Nr. 1.9 des Bescheids des Landratsamts ... vom 30.10.2020 anzuordnen.
7
Der Antragsgegner hat keinen Antrag gestellt.
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Für den Sachverhalt und das Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte mit den eingereichten Schriftsätzen.
II.
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1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist unzulässig (dazu 1.1), er wäre aber auch in der Sache ohne Erfolg geblieben (dazu 1.2).
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1.1 Die Zulässigkeit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO setzt als ein Gebot der Logik voraus, dass spätestens im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ein Rechtsbehelf eingelegt ist, dessen aufschiebende Wirkung angeordnet oder wiederhergestellt werden kann (vgl. dazu ausführlich Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80, Rn. 81 m.w.N.). Die Kammer schließt sich insoweit ausdrücklich der soweit ersichtlich ganz überwiegend in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung an (vgl. beispielhaft VGH Mannheim, B. v. 18.6.1991 - 8 S 1306/91, juris; OVG Weimar, B. v. 25.5.1994 - 1 EO 178/93, juris Rn. 44). Ein anderes Ergebnis folgt insbesondere nicht aus dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG (so Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 80, Rn. 139). Denn wenn jemand gerichtlichen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO in Anspruch nimmt, so ist ihm auch zuzumuten, den entsprechenden Rechtsbehelf in der Hauptsache einzulegen (überzeugend Hoppe in Eyermann, VwGO, a.a.O.), weil ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gerade nicht dazu dient, die Auffassung des Gerichts zu einer Rechtsfrage zu erfahren, bevor die Entscheidung über die Erhebung des Rechtsbehelfs in der Hauptsache getroffen wird (Schoch in Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 80 Rn. 461).
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1.2 Lediglich ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass der Antrag auch in der Sache erfolglos geblieben wäre.
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Gemäß § 80 Abs. 1 VwGO haben Widerspruch und Klage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt allerdings nach § 80 Abs. 2 VwGO dann, wenn dies gesetzlich vorgeschrieben ist. In diesen Fällen kann das Gericht nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung von Klage und Widerspruch anordnen. Das Gericht trifft insoweit eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat dabei zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind vorrangig die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die gebotene summarische Prüfung, dass Rechtsbehelfe gegen den angefochtenen Bescheid keinen Erfolg versprechen, tritt das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung regelmäßig hinter das Vollziehungsinteresse zurück und der Antrag ist unbegründet. Erweist sich die erhobene Klage hingegen bei summarischer Prüfung als zulässig und begründet, dann besteht kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheids und dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist stattzugeben. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht ausreichend absehbar, muss das Gericht die widerstreitenden Interessen im Einzelnen abwägen.
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Gemessen an diesen Maßstäben wäre der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich Nr. 1.9 des streitgegenständlichen Bescheides auch in der Sache abzulehnen, da sich diese bei der gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich als rechtmäßig erweist.
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Rechtsgrundlage der streitgegenständlichen Anordnung ist Art. 15 Abs. 1 BayVersG. Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Gefährdungen der Gesundheit und des Lebens, wie sie die Antragsgegnerin hier anführt, können daher prinzipiell Beschränkungen von Versammlungen rechtfertigen, zumal Leben und körperliche Unversehrtheit ihrerseits verfassungsrechtlich geschützt sind (BayVGH, B.v. 30.4.2020 - 10 CS 20.999 - juris Rn. 23). Allerdings ist mit dem Merkmal der unmittelbaren Gefährdung ein hoher Gefahrenmaßstab angesprochen, den nicht schlechterdings jede zu erwartende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit erreicht. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 der 7. BayIfSMV führt vor diesem Hintergrund aus, dass die Versammlungsbehörden, soweit im Einzelfall erforderlich, durch Beschränkungen sicherzustellen haben, dass die von der Versammlung ausgehenden Infektionsgefahren auf ein infektionsschutzrechtlich vertretbares Maß beschränkt bleiben; davon sei in der Regel auszugehen, wenn die Versammlung nicht mehr als 200 Teilnehmer habe und ortsfest stattfinde.
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Dabei darf die Behörde keine völlige Risikofreiheit im Sinne einer absoluten infektionsschutzrechtlichen „Unbedenklichkeit“ fordern (vgl. BayVGH, B.v. 30.4.2020 - 10 CS 20.999 - juris Rn. 24 zur Vorgängervorschrift aus der 2. BayIfSMV). Sie hat vielmehr eigene Überlegungen zur Minimierung von Infektionsrisiken anzustellen (BVerfG, B.v. 17.4.2020 - 1 BvQ 37/20 - juris Rn. 25) und ist daher verpflichtet, sich um eine kooperative, einvernehmliche Lösung mit dem Versammlungsveranstalter zu bemühen (BayVGH, B.v. 30.4.2020 - 10 CS 20.999 - juris Rn. 24). Bei ihrer Entscheidung hat die Behörde auch zu würdigen, dass Art. 8 Abs. 1 GG nicht nur das Recht zur Teilnahme an öffentlichen Versammlungen gewährleistet, sondern dem Veranstalter zugleich ein Selbstbestimmungsrecht hinsichtlich der Modalitäten der Versammlung gewährt, also namentlich zu der Frage, ob sie als Aufzug durchgeführt wird und an welchen Orten sie stattfinden soll (BVerfG, B.v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - juris Rn. 16).
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Angesichts dieser Maßstäbe folgt die Kammer bei summarischer Prüfung der von der Antragsgegnerin getroffenen Einschätzung, dass es zur Glaubhaftmachung einer Befreiung von der Maskenpflicht eines qualifizierten ärztlichen Attestes bedarf und dass es ohne die Untersagung der Nahrungsaufnahme und des Rauchens während der Versammlung zu unmittelbaren Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung kommen kann. Auf die Gründe des angefochtenen Bescheids, denen sich das entscheidende Gericht anschließt, wird insoweit zunächst ausdrücklich Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
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Ergänzend weist das Gericht auf folgendes hin:
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Nach dem täglichen Lagebericht des ----Instituts zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vom 1.11.2020 ist aktuell eine zunehmende Beschleunigung der Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten. Die Inzidenz der letzten sieben Tage ist deutschlandweit auf 114,6 Fälle pro 100.000 Einwohner angestiegen, wobei seit Anfang September der Anteil älterer Personen unter den COVID-19 Fällen wieder zunimmt. In der Risikogruppe der Personen über 60 Jahre ist der Inzidenzwert auf 75,1 Fälle pro 100.000 EW angestiegen. Als Ursache hierfür nennt das Robert-Koch-Institut diffuse Geschehen, mit zahlreichen Häufungen unter anderem im Zusammenhang mit Gruppenveranstaltungen. Die Zahl der intensivmedizinisch behandelten COVID-19-Fälle hat sich in den vergangenen zwei Wochen von 769 Patienten am 18.10.2020 auf 2.061 Patienten am 1.11.2020 fast verdreifacht.
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Allein für den hier betroffenen Landkreis --- meldet das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) in der „Übersicht der Fallzahlen von Coronavirusinfektionen in Bayern am 2.11.2020“ eine Zunahme um 62 Fälle am Tag und damit einen Siebentagwert von 314,4. Damit liegt der Landkreis --- nicht nur weit über dem bayerischen Durchschnittswert der Siebentageinzidenz von 134,4, sondern nimmt nach der tabellarischen Aufstellung des Robert-Koch-Instituts zugleich einen Spitzenplatz in Deutschland ein.
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Bei dieser Sachlage bedarf es nach der Überzeugung des Gerichts keiner weiteren Erläuterung, dass eine Versammlung von erwarteten ca. 500 Personen auch im Freien erhebliche Auswirkungen auf das Infektionsgeschehen haben kann und sich damit als unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung darstellt.
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Die durch das Landratsamt --- zur Begrenzung dieser Gefahr verfügte und vom Antragsteller angegriffene Auflage 1.9 begegnet vor diesem Hintergrund bei summarischer Prüfung auf der Grundlage von § 7 Abs. 1 S. 3 der 7. BayIfSMV keinen rechtlichen Bedenken.
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Die Regelung aus § 7 Abs. 1 der 7. BayIfSMV hält einer verfassungsrechtlichen Prüfung stand (dazu a)), sie rechtfertigt grundsätzlich auch die Anordnung einer Maskenpflicht (dazu b)). Dabei ist weder die Forderung des Landratsamts nach einem qualifizierten Attest zur Glaubhaftmachung einer Befreiung von der Maskenpflicht (dazu c)) noch die Anordnung des Verbots der Nahrungsaufnahme und des Rauchens während der Versammlung (dazu d)) zu beanstanden.
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a) Gegen die Regelung von § 7 Abs. 1 der 7. BayIfSMV bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, denn die Vorschrift konkretisiert lediglich die versammlungsrechtliche Befugnisnorm des Art. 15 Abs. 1 BayVersG sowohl auf der Tatbestands- wie auch auf der Rechtsfolgenseite im Hinblick auf von Versammlungen unter freiem Himmel ausgehende Gefahren für die Gesundheit und das Leben Einzelner (Art. 2 Abs. 2 GG) sowie den Schutz des Gesundheitssystems vor einer Überlastung (vgl. BayVGH, B. v. 11.9.2020 - 10 CS 20.2064, juris Rn.22 m.w.N. zu § 7 Abs. 1 der 6. BayIfSMV). Selbst wenn es diese Konkretisierung nicht gäbe, wären entsprechende Anordnungen zum Abstandsgebot und zur Maskenpflicht auf der Grundlage von Art. 15 Abs. 1 BayVersG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 GG möglich (BayVGH, B. v. 11.9.2020, a.a.O., Rn. 23).
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b) Die Anordnung einer Maskenpflicht lässt sich vorliegend auf § 7 Abs. 1 S. 3 der 7. BayIfSMV stützen, der bestimmt, dass jedenfalls ab einer Teilnehmerzahl von 200 Personen „in der Regel“ Maskenpflicht anzuordnen ist. Zum einen hat der Antragsteller eine erwartete Teilnehmerzahl von 500 Personen angegeben, so dass die Teilnehmerzahl weit über dem normierten Grenzwert liegt, zum anderen findet die von ihm geplante Versammlung in einem Landkreis mit einem im Vergleich zum bayerischen Landesdurchschnitt zweieinhalbfachen Siebentageinzidenzwert statt. Bereits aus diesen Überlegungen ergibt sich, dass für ein Abweichen von der Regel, bei einer Versammlung mit mehr als 200 Teilnehmern eine Maskenpflicht anzuordnen, kein Raum verbleibt.
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c) Weder gegen die Auflage, dass alle Teilnehmer, die von der Maskenpflicht befreit sind, sich vor Beginn der Versammlung bei den zuständigen Mitarbeitern des Landratsamtes zu melden und ihre Befreiung glaubhaft zu machen haben noch die Erläuterung der Anforderungen an diese Glaubhaftmachung in den Gründen bestehen rechtliche Bedenken. Der vom Landratsamt in den Gründen des Bescheids aufgenommene Hinweis, welche Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer Befreiung von der Maskenpflicht zu stellen sind, erweist sich lediglich als Erläuterung der geltenden Rechtslage. Insoweit entspricht es nämlich der obergerichtlichen Rechtsprechung, der sich die entscheidende Kammer anschließt, dass für eine Befreiung vom Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung erforderlich ist, welche nachvollziehbare Befundtatsachen sowie eine Diagnose enthält (BayVGH, B. v. 26.10.2020 - 20 CE 20.2185, juris Rn.18). Da das Wesen der Glaubhaftmachung darin liegt, eine überwiegende Wahrscheinlichkeit zu belegen, dass Personen aus gesundheitlichen Gründen von der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung befreit sind, muss die Verwaltung bzw. das Gericht aufgrund von konkreten und nachvollziehbaren Angaben in den ärztlichen Bescheinigungen in die Lage versetzt werden, das Vorliegen der jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen selbständig zu prüfen (OVG NRW, B. v. 24.9.2020 - 13 B 1368/20, juris Rn. 12). Dass dies bei einem ärztlichen Attest, das alleine das Ergebnis bescheinigt, nicht der Fall ist, liegt für das Gericht auf der Hand. Soweit das Landratsamt meint, dass Zweifel an der Richtigkeit eines Attests dann „möglich“ sind, wenn es erkennbar ohne persönliche Untersuchung erstellt wurde oder wenn identische Atteste zu mehreren Personen vorliegen, geht das Gericht davon aus, dass hierin regelmäßig sogar ein gewichtiges gegen eine Glaubhaftmachung sprechendes Indiz liegen wird. Nicht einzugehen war auf die vom Antragsteller aufgeworfene Frage, ob die Nennung des Diagnoseschlüssels (ICD-10) ausreicht, weil sich der Bescheid hierzu nicht verhält.
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d) Auch das vom Landratsamt verfügte Verbot der Nahrungsaufnahme und des Rauchens während der Versammlung begegnet bei summarischer Prüfung keinerlei rechtlichen Bedenken. Es erweist sich insbesondere als verhältnismäßig.
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Dass ein Verbot der Nahrungsaufnahme und des Rauchens für eine Wirksamkeit der angeordneten Maskenpflicht erforderlich ist, ergibt sich schon daraus, dass es ansonsten jeder Versammlungsteilnehmer selbst in der Hand hätte, darüber zu entscheiden, ob er die angeordnete Maskenpflicht einhalten oder sie durch Essen, Trinken oder Rauchen umgehen will. Ohne dem Antragsteller oder einzelnen Versammlungsteilnehmern eine Umgehungsabsicht zu unterstellen, liegt damit auf der Hand, dass dies geradezu zwangsläufig dazu führt, dass die Anordnung der Maskenpflicht insgesamt völlig ins Leere läuft, wenn sie ins Belieben der einzelnen Versammlungsteilnehmer gestellt wird. Da die Maskenpflicht dem Schutz überragender Gemeinschaftsgüter wie Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 GG) sowie dem Schutz des Gesundheitssystems vor Überlastung zu dienen bestimmt ist, wäre dies kaum hinnehmbar.
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Entgegen der Rechtsauffassung des Antragstellers vermag das Gericht auch kein milderes Mittel zu erkennen. Insbesondere wäre die vom Antragsteller angesprochene Beschränkung der Nahrungsaufnahme auf 15 Minuten schon deshalb ersichtlich ungeeignet, weil die Annahme dass die Einhaltung derartiger zeitlicher Vorgaben auch nur ansatzweise überprüfbar wäre, vollkommen lebensfremd ist.
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Die getroffene Einschätzung findet eine zusätzliche Stütze darin, dass § 7 Abs. 1 S. 4 der 7. BayIfSMV anordnet, dass die Versammlung zu verbieten ist, wenn die Anforderungen nach § 7 Abs. 1 S. 2 der 7. BayIfSMV auch durch Beschränkungen nicht sichergestellt werden können. Die vom Landratsamt verfügten Auflagen erweisen sich daher letztlich als milderes Mittel zu einem vollständigen Verbot der Versammlung.
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Schließlich wird das Ergebnis durch eine Abwägung der widerstreitenden Grundrechte bestätigt. Dem schon in Anbetracht der im betroffenen Landkreis vorliegenden extrem hohen Infektionszahlen geschuldeten erheblichen Risiko für Leben und Gesundheit Einzelner (Art. 2 Abs. 2 GG) sowie für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems insgesamt steht auf Seiten der Versammlungsteilnehmer der lediglich geringfügige Eingriff in ihr durch Art. 8 Abs. 1 GG geschütztes Grundrecht gegenüber, für eine Dauer von drei Stunden, entweder auf das Essen, Trinken oder Rauchen zu verzichten oder hierfür kurzzeitig die Versammlung zu verlassen.
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2. Die gerichtliche Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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3. Rechtsgrundlage der Streitwertfestsetzung sind § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 Gerichtskostengesetz. Die Kammer hat ihrer Entscheidung Nr. 45.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zugrunde gelegt, aber auf eine Verminderung des Streitwerts nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs verzichtet, weil mit dem vorliegenden Beschluss die Hauptsache vorweggenommen wird.