Inhalt

VGH München, Beschluss v. 12.11.2020 – 20 NE 20.2463
Titel:

Corona-Pandemie - Untersagung des Betriebs von Fitnessstudios in Bayern aus Gründen des Infektionsschutzes

Normenketten:
VwGO 47 Abs. 6
BayIfSMV § 10 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, Abs. 4
GG Art. 2 Abs. 2 S. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1
Leitsätze:
1. Eine Schlechterstellung von Fitnessstudios gegenüber sonstigen Angeboten des Individualsports in Sporthallen, Sportanlagen und anderen Sportstätten ist nicht gerechtfertigt. (Rn. 26 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Betriebsbeschränkungen für Sporthallen, Sportanlagen und Sportstätten folgen grundsätzlich den allgemeinen Kontaktbeschränkungen nach § 3 Abs. 1 BayIfSMV und erscheinen angesichts der derzeit hohen und weiter stark ansteigenden Infektionszahlen nicht offensichtlich unangemessen, zumal für die betroffenen Betriebe erhebliche staatliche Entschädigungsleistungen für den Umsatzausfall angekündigt wurden. (Rn. 33 – 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Corona-Pandemie, einstweiliger Rechtsschutz im Normenkontrollverfahren, Fitnessstudio, Verhältnismäßigkeit, Gleichbehandlung, Folgenabwägung, Normenkontrollverfahren, einstweiliger Rechtsschutz, Betriebsschließung, Einzeltraining, Kontaktbeschränkung, Grundsatz der Gleichbehandlung, Individualsport, andere Sportstätte, Unverhältnismäßigkeit, Grundrechtseingriff, freie wirtschaftliche Betätigung, sachwidriger Grund
Fundstellen:
BayVBl 2021, 55
BeckRS 2020, 30337
COVuR 2020, 830
LSK 2020, 30337
ZMR 2021, 78

Tenor

I. § 10 Abs. 4 der Achten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 30. Oktober 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 616) wird außer Vollzug gesetzt.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
III. Der Gegenstandswert wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin betreibt ein Fitnessstudio in Bayern.
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Mit ihrem Antrag wendet sie sich gegen § 10 der Achten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (8. BayIfSMV; BayMBl. 2020 Nr. 616 vom 30. Oktober 2020) und beantragt sinngemäß, diese Regelung vorläufig außer Vollzug zu setzen.
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Die Regelung hat folgenden Wortlaut:
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㤠10 Sport
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(1) 1Die Ausübung von Individualsportarten ist nur allein, zu zweit oder mit den Angehörigen des eigenen Hausstands erlaubt. 2Die Ausübung von Mannschaftssportarten ist untersagt. 3Abs. 2 bleibt unberührt.
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(2) Der Wettkampf- und Trainingsbetrieb der Berufssportler sowie der Leistungssportler der Bundes- und Landeskader ist unter folgenden Voraussetzungen zulässig:
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1. 1. Die Anwesenheit von Zuschauern ist ausgeschlossen.
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2. 2. Es erhalten nur solche Personen Zutritt zur Sportstätte, die für den Wettkampf- oder Trainingsbetrieb oder die mediale Berichterstattung erforderlich sind.
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3. 3. Der Veranstalter hat zur Minimierung des Infektionsrisikos ein Schutz- und Hygienekonzept auszuarbeiten und zu beachten, das auf Verlangen den zuständigen Behörden vorzulegen ist.
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(3) Der Betrieb und die Nutzung von Sporthallen, Sportplätzen und anderen Sportstätten sowie von Tanzschulen ist nur für die in Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 genannten Zwecke zulässig.
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(4) Der Betrieb von Fitnessstudios ist untersagt.“
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Sie macht geltend, umfassende Hygienemaßnahmen getroffen zu haben. Außerdem hätten sich Fitnessstudios bislang nicht als sog. „Hotspots“ für Corona-Infektionen erwiesen. Von den rund 1.000 Mitgliedern der Antragstellerin sei bisher keines positiv auf die Covid-19-Erkrankung getestet worden. Es komme zu einer Ungleichbehandlung mit dem Profisport. Die Verordnung erfülle nicht die Anforderungen an den Parlamentsvorbehalt. § 10 Abs. 4 8. BayIfSMV sei unverhältnismäßig, weil mildere Mittel zur Infektionsbekämpfung (z.B. erhöhte Hygienemaßnahmen) ausreichend seien. In dem Studio der Antragstellerin finde Einzeltraining nach vorheriger Anmeldung unter Begrenzung der Teilnehmerzahl statt. Außerdem verstoße die angegriffene Norm gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil Yoga- und EMS-Studios öffnen dürften.
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Sie beantragt sinngemäß,
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§ 10 8. BayIfSMV vorläufig außer Vollzug zu setzen, soweit dieser dem Betrieb des Fitnessstudios im bisherigen Umfang entgegensteht.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
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Der Antragsgegner sieht den Vorbehalt des Gesetzes als gewahrt und die Betriebsschließungen als durch § 28 Abs. 1 i.V.m. § 32 Satz 1 IfSG als gedeckt an. Hierzu verweist er auf den Entwurf eines Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (BT-Drs. 19/23944 vom 3. November 2020). Dieses sehe in Art. 1 Nr. 17 die Einführung eines neuen
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28a IfSG vor. Außerdem sei die Schließung von Fitnessstudios in Anbetracht der stark steigenden Infektionszahlen auch verhältnismäßig, weil es durch das gemeinsame Training von Menschen in Innenräumen zu einem erheblichen Ausstoß von Aerosolen komme. Bei seiner Entscheidung könne der Verordnungsgeber generalisieren und typisieren, so dass sich die Antragstellerin nicht erfolgreich auf die von ihr ergriffenen Hygienemaßnahmen berufen könne. Zu berücksichtigen seien die stark ansteigenden Infektionszahlen sowie die in Aussicht gestellten Entschädigungsleistungen für die betroffenen Unternehmen. Auf Anfrage des Senats teilte der Antragsgegner mit, Yoga- und EMS-Studios, die nur Einzeltraining anböten, seien als Dienstleistungsbetriebe mit Kundenverkehr anzusehen. Ergänzend zu den Maßnahmen für Dienstleistungsbetriebe mit Kundenverkehr sei Individualsport in Yoga- und EMSStudios nur allein, zu zweit oder mit den Angehörigen eines weiteren Hausstands erlaubt. Die Berechtigung einer Maßnahme zur Bekämpfung eines epidemischen Geschehens könne nicht mit dem Verweis auf ebenfalls denkbare weitere Eingriffe in Rechte anderer Grundrechtsträger oder zu Lasten der Allgemeinheit in Frage gestellt werden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
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Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat in der Sache zum Teil Erfolg. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen hinsichtlich § 10 Abs. 4 8. BayIfSMV vor. § 10 Abs. 4 8. BayIfSMV verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG und erweist sich als unverhältnismäßige Regelung. Im Übrigen war der Antrag im Rahmen einer Folgenabwägung bei offenen Erfolgsaussichten abzulehnen.
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1. Im Interesse der Gewährung effektiven Rechtschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) erscheint es vorliegend sachgerecht, die als Haupt- und Hilfsantrag gestellten Anträge zu einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO zusammenzufassen, der das Ziel verfolgt, § 10 8. BayIfSMV insgesamt außer Vollzug zu setzen. An die Formulierung des Antrags ist das Gericht im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO nicht gebunden (Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 47 Rn. 63). Die Antragstellerin möchte zwar - so ergibt es sich aus der Antragsbegründung - nur erreichen, dass sie ihr Fitnessstudio zu den unter der 7. BayIfSMV geltenden Bedingungen weiterbetreiben kann. Dieses (begrenzte) Rechtsschutzziel lässt sich jedoch wegen der in § 47 Abs. 6 VwGO des für den Fall des Obsiegens zu treffenden vorläufigen Außervollzugsetzung der angegriffenen Norm schon aus prozessualen Gründen nicht erreichen, weshalb der Senat seiner Entscheidung im Interesse der Gewährung umfassenden Rechtsschutzes das oben genannte Verständnis des Antrags zugrunde legt. Dafür spricht auch, dass die Antragstellerin im „Hilfsantrag“ die Feststellung beantragt hat, in den Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1 Satz 1 8. BayIfSMV zu fallen. Dem von der Antragstellerin begehrten Rechtsschutzziel, den Betrieb ihres Fitnessstudios vollumfänglich unter Hygieneauflagen fortzusetzen, stehen nicht nur § 10 Abs. 4, sondern auch § 10 Abs. 1 und 3 8. BayIfSMV entgegen.
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2. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen oder noch zu erhebenden Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ ZfBR 2015, 381 - juris Rn. 12; zustimmend OVG NW, B.v. 25.4.2019 - 4 B 480/19.NE - NVwZ-RR 2019, 993 - juris Rn. 9). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann.
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Ergibt die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ juris Rn. 12).
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Lassen sich die Erfolgsaussichten nicht absehen, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber später Erfolg hätte, und die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber später erfolglos bliebe. Die für eine einstweilige Außervollzugsetzung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass sie - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 - 4 VR 5.14 u.a. - juris Rn. 12).
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3. Nach diesen Maßstäben erweist sich § 10 Abs. 4 8. BayIfSMV als nicht mit höherrangigem Recht vereinbar und ist vorläufig außer Vollzug zu setzen (a.). Hinsichtlich der verbleibenden Regelungen des § 10 Abs. 1 bis 3 8. BayIfSMV sind die Erfolgsaussichten derzeit als offen anzusehen. Die dann zu treffende Folgenabwägung führt wegen des großen Gewichts des Schutzgutes Leben und Gesundheit zur Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (b.).
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a. Die von der Antragstellerin ausdrücklich angegriffene Regelung des § 10 Abs. 4 8. BayIfSMV ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG, weil die grundsätzliche Wertung des Verordnungsgebers in § 10 Abs. 3 8. BayIfSMV, Individualsport auch in Sporthallen, Sportanlagen und anderen Sportstätten unter den Beschränkungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 8. BayIfSMV zuzulassen, die vollständige Untersagung des Betriebs von Fitnessstudios nicht rechtfertigt. Gleichzeitig verstößt § 10 Abs. 4 8. BayIfSMV gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, weil die Regelung ohne Anknüpfung an sachliche Gründe Fitnessstudios gegenüber anderen Sportstätten nach § 10 Abs. 3 8. BayIfSMV benachteiligt, indem sie deren Betrieb gänzlich untersagt, ohne die Möglichkeit eines nach § 10 Abs. 1 Satz 1 8. BayIfSMV (stark) beschränkten Betriebes zu ermöglichen.
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Die Regelung des § 10 Abs. 4 8. BayIfSMV, die im Bereich des Freizeit- und Amateursports allein den Betrieb von Fitnessstudios unabhängig von der Anzahl der Kontakte nach § 10 Abs. 1 Satz 1 8. BayIfSMV gänzlich untersagt, ist im Rahmen des vom Antragsgegner gewählten Regelungskonzepts des § 10 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 8. BayIfSMV nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig. Denn nach der Einschätzung der pandemischen Situation durch den Verordnungsgeber soll die Ausübung von Individualsport im Freizeit- und Amateurbetrieb nicht grundsätzlich verboten, sondern im Rahmen der Kontaktbeschränkungen allein, zu zweit oder mit den Angehörigen des eigenen Hausstands erlaubt bleiben. Damit wählt der Verordnungsgeber ein milderes Mittel zur Verfolgung des Zwecks der Reduzierung von privaten Kontakten als die vollständige Schließung von Sportstätten aller Art, soweit dort Individualsport (in Abgrenzung zum Mannschaftssport) betrieben wird. Es sind keine sachlichen Gründe vorgetragen noch sonst erkennbar, weshalb für Fitnessstudios andere Maßstäbe gelten sollten (vgl. hierzu etwa § 1a Abs. 6 Nr. 7 der Corona-Verordnung des Landes Baden-Württemberg vom 23. Juni 2020 in der ab 2. November 2020 gültigen Fassung, https://www...de/fileadmin/redaktion/dateien/PDF /Coronainfos/201106_SM_CoronaVO_EQ.pdf 2020, zur Regelung des Betriebs aller Sportstätten). Ausgehend von dem der 8. BayIfSMV zugrunde liegenden Regelungskonzept, gezielt private bzw. freizeitbezogene Kontakte weitgehend einzuschränken, erscheint die Einlassung des Antragsgegners, Grund für die Differenzierung seien die von einem großen Personenkreis benutzten Trainingsgeräte, als ungeeignetes Kriterium, da üblicherweise auch bei Ausübung anderer Individualsportarten Trainingsgeräte durch einen unbestimmten Teilnehmerkreis genutzt werden, dieser Personenkreis aber bereits maßgeblich durch § 10 Abs. 1 Satz 1 8. BayIfSMV auf ein aus Sicht des Verordnungsgebers noch hinnehmbares Maß an Kontakten eingeschränkt wird. Das Anknüpfen der Regelung an einen (gedachten) regulären Betrieb eines Fitnessstudios zur Rechtfertigung der Schlechterstellung in § 10 Abs. 4 8. BayIfSMV nach einem Vergleich mit dem (gedachten) pandemiebedingt bereits stark eingeschränkten Betrieb anderer Sportanlagen (wie zum Beispiel Yogaoder EMS-Studios) wird dem Grundsatz der Gleichbehandlung nicht gerecht, weil die Regelungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 8. BayIfSMV ohne sachlichen Grund nur in der Vergleichsgruppe berücksichtigt werden. Indem der Antragsgegner weiterhin im Rahmen der angegriffenen Regelung auf die Infektionsgefahren eines konkreten Verhaltens in der Freizeit abstellt und nicht ausschließlich darauf, private Kontakte im Freizeitbereich möglichst umfassend zu unterbinden, durchbricht er mit § 10 Abs. 4 8. BayIfSMV sein eigenes Regelungskonzept, das so den Anforderungen des Gleichheitsgrundsatzes nicht gerecht wird, sondern Fitnessstudios aus einem sachwidrigen Grund schlechter als andere Einrichtungen im Bereich des Freizeitsports stellt.
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Der Erlass der einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO ist zur Abwehr schwerer Nachteile dringend geboten, weil die Unvereinbarkeit der Norm mit höherrangigem Recht bereits nach Prüfung im Eilverfahren feststeht und das Verbot daher außer Vollzug zu setzen ist. Die offensichtliche Rechtswidrigkeit indiziert den schweren Nachteil, weil in der Regel kein Interesse am Vollzug einer rechtswidrigen Norm besteht (Hoppe in Eyermann, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 107). Dies gilt erst recht, weil ein Verstoß gegen die Norm als Ordnungswidrigkeit mit einem Regelsatz von 5.000,00 EUR geahndet werden kann, § 27 Nr. 7 8. BayIfSMV i.V.m. Ziffer 8 des Bußgeldkatalogs „CoronaPandemie“ vom 2. November 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 617).
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b. Bezüglich der vom Verordnungsgeber in § 10 Abs. 1 bis 3 8.BayIfSMV getroffenen Beschränkungen des anlagenbezogenen Sportbetriebs ist derzeit von offenen Erfolgsaussichten auszugehen, weil fraglich ist, ob die Anforderungen des Parlamentsvorbehaltes noch gewahrt sind, sich die in der 8. BayIfSMV getroffenen Regelungen aber nicht als offensichtlich unverhältnismäßig oder willkürlich erweisen. Der Antrag war insoweit abzulehnen.
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aa. Mit der Frage, ob langandauernde gravierende Eingriffe in die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit ausschließlich auf Verordnungen der Landesregierungen nach §§ 32 Satz 1, 28 Abs. 1 gestützt werden können und ob dadurch der aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip abgeleitete Parlamentsvorbehalt verletzt wird, hat sich der Senat zuletzt in den Beschlüssen vom 29. Oktober 2020 und 5. November 2020 befasst und die jeweiligen Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bei offenen Erfolgsaussichten im Rahmen einer Folgenabwägung abgelehnt (BayVGH, B.v. 29.10.2020 - 20 NE 20.2360 - BeckRS 2020, 28521 - und B.v. 5.11.2020 - 20 NE 20.2468 - BeckRS 2020, 29302). Dabei ist er auch davon ausgegangen, dass sich die getroffenen Maßnahmen angesichts der Entwicklung des pandemischen Geschehens nicht als offensichtlich unangemessen oder gleichheitswidrig erweisen. An dieser Rechtsauffassung hält der Senat fest.
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bb. Das Infektionsgeschehen stellt sich nach dem aktuellen Situationsbericht des RKI (https://www...de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/N ov_2020/2020-11-10-de.pdf? _blob=publicationFile, Seite 1) wie folgt dar:
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Aktuell ist nach dem Lagebericht des RKI vom 10. November 2020 eine zunehmende Beschleunigung der Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten. Die Inzidenz der letzten 7 Tage ist deutschlandweit weiter auf 139,1 Fälle pro 100.000 Einwohner (EW) angestiegen, bayernweit liegt sie sogar höher. Seit Anfang September nimmt der Anteil älterer Personen unter den COVID-19-Fällen wieder zu. Die 7-Tage-Inzidenz bei Personen ≥ 60 Jahre ist weiter auf aktuell 94,2 Fälle/100.000 EW angestiegen. Der bundesweite Anstieg wird verursacht durch zumeist diffuse Geschehen, mit zahlreichen Häufungen in Zusammenhang mit privaten Feiern im Familien- und Freundeskreis oder Gruppenveranstaltungen, aber zunehmend auch in Gemeinschaftseinrichtungen und Alten- und Pflegeheimen, sowie in beruflichen Settings und ausgehend von religiösen Veranstaltungen. Die Zahl der intensivmedizinisch behandelten COVID-19-Fälle hat sich in den vergangenen 2 Wochen von 1470 Patienten am 27. Oktober 2020 auf 3059 Patienten am 8. November 2020 erhöht.
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cc. Die in § 10 8. BayIfSMV ausgesprochenen Betriebsbeschränkungen für Sporthallen, Sportanlagen und Sportstätten folgen grundsätzlich den allgemeinen Kontaktbeschränkungen nach § 3 Abs. 1 8. BayIfSMV, engen diese aber auf einen Haushalt ein und erscheinen bei prognostischer Betrachtung zur Kontaktreduzierung und damit auch zur Vermeidung möglicher Ansteckungsfälle beim Sportbetrieb geeignet. Angesichts der derzeit hohen und weiter stark ansteigenden Infektionszahlen bei einem großen Anteil nicht rückverfolgbarer Infektionsketten (vgl. https://www...de/DE /Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Nov_2020/2020-11-08- de.pdf? _blob=publicationFile, S. 13; Epidemiologisches Bulletin 38/2020 v. 17.9.2020, https://edoc.rki.de/bitstream/handle/176904/6944/38-2020-DOI-Infektions umfeld.pdf?sequence=4& isAllowed=y) erscheinen die (befristeten) Betriebsbeschränkungen auch nicht offensichtlich unangemessen, zumal für die betroffenen Betriebe erhebliche staatliche Entschädigungsleistungen für den Umsatzausfall angekündigt wurden (vgl. https://www...de/wpcontent/uploads/2020/10/201029-ministerrat .pdf). Ebenso wenig liegt den § 10 Abs. 1 bis 3 8. BayIfSMV ein offensichtlicher Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG zugrunde. Selbst wenn hier eine Ungleichbehandlung in infektiologischer Hinsicht vergleichbarer Sachverhalte vorläge, wäre diese jedenfalls bei summarischer Prüfung sachlich zu rechtfertigen. Die Betriebsbeschränkungen sind Teil eines Gesamtkonzeptes, welches eine deutliche Verringerung von Kontakten bei gleichzeitigem Offenhalten von Schulen und Kindertagesstätten und eine weitgehende Aufrechterhaltung des Berufslebens und der wirtschaftlichen Produktivität als Ausgangspunkt hat. Dieses neue Konzept weicht maßgeblich von den Regelungskonzepten der ersten Maßnahmen im Frühjahr ab, weil es erklärtermaßen und in nicht unerheblichem Umfang auch andere als infektionsschutzrechtliche Belange berücksichtigt. Dies hat unmittelbar Einfluss auf die in eine rechtliche Überprüfung einzustellenden Erwägungen im Hinblick auf die Gewährleistung des Verhältnismäßigkeits- und Gleichheitsgrundsatzes.
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Nach Vornahme dieser Priorisierung auf Erwerbsleben und Bildung ist es aus der hier für diese Entscheidung maßgeblichen exante-Sicht denkbar, in einer Phase der fehlenden Rückverfolgbarkeit von Infektionsketten und einer großen Zahl diffus auftretender Ansteckungen mit dem SARS-CoV-2-Virus die (von allgemeinen Kontaktverboten begleiteten, § 3 Abs. 1 8. BayIfSMV) Kontaktbeschränkungen im Bereich der Freizeitgestaltung der Bürger zu verorten, wo längerdauernde soziale und damit auch infektiöse Kontakte (während der Wintermonate vor allem in geschlossenen Räumen) stattfinden, um das Pandemiegeschehen insgesamt zu verlangsamen und die Kontrolle über die Infektionswege wieder zu erlangen. Letztlich soll so eine Überlastung des Gesundheitswesens mit der Folge vermeidbarer tödlicher Krankheitsverläufe verhindert werden.
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§ 10 Abs. 2 8. BayIfSMV verstößt nicht offensichtlich gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Regelung unterwirft den Wettkampf- und Trainingsbetrieb der Berufssportler sowie der Leistungssportler der Bundes- und Landeskader den in den Nummern 1 bis 3 genannten Beschränkungen, wobei sie die grundsätzliche Zulässigkeit von Berufs- und Leistungssport bereits voraussetzt. Diese Differenzierung steht in Einklang mit dem Konzept des Verordnungsgebers, die Kontaktreduzierungen vor allem im Bereich der Freizeitgestaltung der Bürger vorzunehmen, so dass für sie ein hinreichender sachlicher Grund bestehen dürfte.
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dd. Bei der Annahme offener Erfolgsaussichten der Hauptsache ergibt die gebotene Folgenabwägung zwischen dem betroffenen Schutzgut der freien wirtschaftlichen Betätigung aus Art. 12 Abs. 1 GG mit dem Schutzgut Leben und Gesundheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG insbesondere im Hinblick auf die enorm steigenden Infektionszahlen, dass die von der Antragstellerin dargelegten wirtschaftlichen Folgen hinter den Schutz von Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Menschen zurücktreten müssen. Die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der angegriffenen Norm - insbesondere die mögliche Eröffnung weiterer Infektionsketten durch eine mit der Außervollzugsetzung der angegriffenen Norm verbundene Öffnung von Sportanlagen - dürften schwerer ins Gewicht fallen als die (insbesondere wirtschaftlichen) Folgen ihres einstweilig weiteren Vollzugs (vgl. auch OVG NW, B.v. 26.10.2020 - 13 B 1581/20.NE - juris Rn. 70).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da die von der Antragstellerin angegriffenen Bestimmungen bereits mit Ablauf des 30. November 2020 außer Kraft treten (§ 28 8. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht angebracht ist.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).