VG Ansbach, Beschluss v. 22.09.2020 – AN 17 K 20.01821
Titel:

Kostentragungspflicht des vollmachtlosen Rechtsanwalts

Normenketten:
VwGO § 67, § 155 Abs. 2
BGB § 179 Abs. 1
Leitsatz:
Erhebt ein Rechtsanwalt wissentlich ohne Vollmacht eine Klage, so hat er als Veranlasser die Kosten des Verfahrens zu tragen, sofern er gutgläubig im Besitz einer tatsächlich erteilten Vollmacht wähnt, die etwa wegen fehlender Prozessfähigkeit des Vollmachtgebers unwirksam ist. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wissentlich vollmachtlose Klageerhebung durch Rechtsanwalt, Kostentragungspflicht des vollmachtlosen Rechtsanwalts, Nutzungsuntersagung, Klageverfahren, Klageerhebung, Vollmachtsurkunde, vollmachtloser Vertreter, Verfahrenskosten, Kostentragungspflicht
Fundstelle:
BeckRS 2020, 27503

Tenor

1. Das Verfahren der Klägerin zu 1), AN 17 K 20.01821, wird eingestellt.
2. Die Kosten des Verfahrens der Klägerin zu 1), AN 17 K 20.01821, trägt Herr Rechtsanwalt …, …, …
3. Der Streitwert für das Verfahren der Klägerin zu 1), AN 17 K 20.01821, wird auf 20.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Beklagte erließ am 11. September 2020 eine für sofort vollziehbar erklärte Nutzungsuntersagung sowie ein Betretungsverbot hinsichtlich eines durch die vermeintliche Klägerin zu 1), die … (..., ...), betriebenen …Verbrauchermarktes in …  Gegen die Klägerin zu 2), die … GmbH & Co. KG, welche Eigentümerin des Grundstückes und des auf diesem stehenden Gebäudes ist, in dem der …Verbrauchermarkt betrieben wird, erging im selben Bescheid eine Anordnung die Nutzungsuntersagung zu Lasten der … zu dulden.
2
Hiergegen erhob Herr Rechtsanwalt …, …, …, mit Schriftsatz per Fax am 11. September 2020 um 14:37 Uhr Klage (AN 17 K 20.01821 [vermeintliche Klägerin zu 1) ] und AN 17 K 20.01826 [Klägerin zu 2) ]) und stellte je einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO (AN 17 S 20.0180 und AN 17 S 20.01825, beide bereits durch Beschluss eingestellt). Die … war in den Antrags- und Klageschriftsätzen als Antragstellerin/Klägerin zu 1) aufgeführt, ohne dass eine Vollmacht ihrerseits für den in ihrem Namen auftretenden Rechtsanwalt …, der auch der Prozessbevollmächtigte der Klägerin zu 2) ist, vorlag und bis zum Entscheidungszeitpunkt vorliegt. Für die Klägerin zu 2) liegt hingegen eine Vollmacht vor. Die … hat gegenüber dem in ihrem Namen aufgetretenen Rechtsanwalt … mit E-Mail vom 15. September 2020 erklärt, sich nicht am Rechtsstreit beteiligen zu wollen, was dieser dem Gericht per Telefon und Fax am 15. September 2020 mitteilte.
3
Nachdem Rechtsanwalt … mit Schriftsatz vom 15. September 2020 erklärt hatte, dass die Klägerin zu 1) sich nicht am Rechtsstreit beteiligen wolle und er nur aufgrund vermeintlicher, letztendlich nicht erteilter Vollmacht Klage und Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO für sie erhoben habe, nahm er mit Schriftsatz vom 16. September 2020 die Klage und den Antrag hinsichtlich der Klägerin zu 1) zurück. Zur Erläuterung teilte er weiter mit, dass er sich auf die Angabe der Klägerin zu 2) verlassen habe, dass auch die … gerichtlich gegen die Nutzungsuntersagung der Beklagten vorgehen wolle.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten, auch der Eilverfahren (AN 17 S 20.0180 und AN 17 S 20.01825), und die beigezogene Behördenakte sowie den bisherigen Vortrag der Beteiligten Bezug genommen.
II.
5
1. Das Klageverfahren der Klägerin zu 1), AN 17 K 20.01821, ist durch Beschluss gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, nachdem Rechtsanwalt …, der vermeintliche Prozessbevollmächtigte der Klägerin zu 1), die Klage (und den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO) mit Schriftsatz vom 16. September 2020 zurückgenommen hat. Die Tatsache der Klageerhebung und Antragstellung durch einen vollmachtlosen Vertreter ändert nichts daran, dass die Einstellungsentscheidung des Gerichts formell gegen den angeblich Vertretenen ergeht; dieser wird dadurch nicht gehindert, erneut selbst oder durch einen Bevollmächtigten Klage zu erheben (W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 67 Rn. 52).
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2. Die Kosten des Verfahrens der Klägerin zu 1) sind Herrn Rechtsanwalt ..., ..., ..., abweichend von § 155 Abs. 2 VwGO persönlich aufzuerlegen.
7
Die Abweichung von der Regelung des § 155 Abs. 2 VwGO, nach der der zurücknehmende Beteiligte die Kosten des Verfahrens zu tragen hätte, ergibt sich aus dem sogenannten Veranlasserprinzip, welches sich unter anderem aus § 154 Abs. 3, Abs. 4, § 155 Abs. 2 bis Abs. 4 VwGO und § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 89 Abs. 1 Satz 3 ZPO ableiten lässt. Danach sind die Verfahrenskosten ausnahmsweise nicht durch den unterlegenen Beteiligten zu tragen, also formell die … als Klägerin zu 1), sondern durch denjenigen Verfahrensbeteiligten, der sie verursacht hat (W.-R. Schenke/Hug in Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 154 Rn. 3). Erhebt ein Rechtsanwalt wissentlich ohne Vollmacht eine Klage, so hat er als Veranlasser im obigen Sinne und der Wertung des § 179 Abs. 1 BGB nach die Kosten des Verfahrens zu tragen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn er überhaupt keine Vollmachtsurkunde vorlegen kann. Eine andere Beurteilung wäre nur dann möglich, wenn sich der vollmachtlose Vertreter gutgläubig im Besitz einer tatsächlich erteilten Vollmacht wähnt, die etwa wegen fehlender Prozessfähigkeit des Vollmachtgebers unwirksam ist (W.-R. Schenke/Hug in Kopp/ Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 154 Rn. 3), oder aus anderen Gründen der Beteiligte dem Rechtsanwalt nachweisbar Anlass zur Klageerhebung geboten hätte (näher hierzu Neumann/ Schaks in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 154 Rn. 33 ff.; BVerwG, B.v. 29.11.2010 - 6 B 59/10 - NJW 2011, 1894, 1895 f.).
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Vorliegend hat Rechtsanwalt … im Bewusstsein, dass er über keine Vollmachtsurkunde der Klägerin zu 1) verfügt, für diese eine Klage und einen Antrag nach § 80 Abs. 5 erhoben (Schriftsatz vom 11. September 2020). Dies räumte er im Schriftsatz vom 15. September 2020 selbst ein, indem er mitteilte, „nur aufgrund vermeintlicher, letztlich nicht erteilter Vollmacht für die Antragstellerin zu 1) einen Antrag (…) nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt sowie Klage erhoben [zu haben]“. Soweit er mit Schriftsatz vom 16. September 2020 zur Erläuterung ausführt, dass ihm durch die Klägerin zu 2) mitgeteilt worden sei, dass die Klägerin zu 1) sich vor Gericht wehren wolle, vermag dies seine Einordnung als Veranlasser nicht in Frage zu stellen, da er sich bei der Klägerin zu 1) selbst hätte versichern müssen, ob diese eine Vertretung durch ihn wünscht oder wenigstens bei der Klägerin zu 2) hätte nachfragen müssen, worauf diese ihre Aussage gründet. Auch die Vorschrift des § 67 Abs. 6 Satz 4 VwGO, nach dem das Gericht den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen hat, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt, ändert nichts am Ergebnis. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entfällt in diesem Fall nur die Pflicht, nicht aber die Befugnis, den Mangel der Vollmacht unabhängig von einer Rüge anderer Beteiligter zu prüfen. Die Art und Weise der Prozessführung kann dem Gericht hierzu Anlass geben (BVerwG, U.v. 27.6.2011 - 8 A 1/10 - juris Rn. 16).
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3. Der Streitwert hinsichtlich des Verfahrens der Klägerin zu 1), AN 17 K 20.01821, wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 1.7.2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf 20.000 Euro festgesetzt.
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Im gegen die … gerichteten Bescheid vom 11. September 2020 war in den Ziffern I. und III. eine sofort vollziehbare Nutzungsuntersagung sowie ein Betretungsverbot hinsichtlich des durch diese betriebenen …Supermarktes angeordnet. In Ziffer IV. wurde diesbezüglich ein Zwangsgeld in Höhe von 20.000 Euro angedroht. Da laut Ziffer 9.4 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit bei einer Nutzungsuntersagung die „Höhe des Schadens oder der Aufwendungen (geschätzt)“ festzusetzen ist, hierzu jedoch keine näheren Angaben gemacht wurden, ist wenigstens gemäß Ziffer 1.7.2 die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes heranzuziehen, also 20.000 Euro.
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4. Dieser Beschluss ist in seinen Nummern 1 und 2 gemäß § 92 Abs. 3 Satz 2, § 158 Abs. 2 VwGO unanfechtbar.