Inhalt

FG Nürnberg, Beschluss v. 16.09.2020 – 3 V 452/20
Titel:

Aussetzung der Vollziehung des Vorauszahlungsbescheides über den Solidaritätszuschlag zur Einkommenssteuer

Normenkette:
FGO § 69 Abs. 2 S. 7, Abs. 3 S. 3
Leitsätze:
1. Das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung sowie an dem Vollzug eines ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes überwiegt im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes das Interesse der Antragsteller, den Solidaritätszuschlag vorläufig nicht entrichten zu müssen.
2. Der Solidaritätszuschlag als Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer im Sinne des Art. 106 I Nr. 6 GG findet auch für den Veranlagungszeitraum 2020 eine ausreichende verfassungsrechtliche Grundlage, denn dieser hat auch nicht "automatisch" mit Auslaufen des Solidarpakts II (und der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs) seine Rechtfertigung verloren.
Schlagwort:
Vollzugsaussetzung
Fundstellen:
EFG 2021, 1
BeckRS 2020, 26831
DStRE 2021, 759
LSK 2020, 26831

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens haben die Antragsteller zu tragen.

Gründe

I.
1
Streitig ist die Aussetzung der Vollziehung des Vorauszahlungsbescheides über den Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer für das 1. Quartal 2020.
2
Das Finanzamt setzte mit Einkommensteuerbescheid für 2017 vom 29.01.2020 eine Vorauszahlung für den Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer für das 1. Quartal 2020 (10.03.) in Höhe von 1.949 € fest.
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Die Antragsteller legten mit Schreiben vom 26.02.2020 Einspruch gegen die Festsetzung eines Solidaritätszuschlags zur Einkommensteuer für das 1. Quartal 2020 ein und beantragten insoweit Aussetzung der Vollziehung des Vorauszahlungsbescheides.
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Das Finanzamt lehnte die Aussetzung der Vollziehung mit Bescheid vom 06.03.2020 ab.
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Das Einspruchsverfahren ist noch nicht abgeschlossen.
6
Die Prozessbevollmächtigten haben mit Schriftsatz vom 06.04.2020 und korrigierter Antragschrift vom 21.04.2020 bei Gericht Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Vorauszahlungsbescheides über den Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer für das 1. Quartal 2020 gestellt.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Erhebung des Solidaritätszuschlags ab dem 01.01.2020 unzulässig und verfassungswidrig sei. Eine Ermächtigungsgrundlage für die Erhebung des Solidaritätszuschlags bestehe mit dem Auslaufen des Solidarpakts II zum 31.12.2019 nicht mehr. Die Erhebung der Ergänzungsabgabe finde nach dem 31.12.2019 gemäß Art. 106 Abs. 3 Satz 1 und 2 bzw. Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG keine Rechtsgrundlage mehr vor. Die Forterhebung des Solidaritätszuschlags stelle darüber hinaus einen verfassungswidrigen intransparenten Formenmissbrauch dar, weil eine Korrektur allgemeiner einkommensteuerrechtlicher Belastungen ausschließlich über eine Änderung des Einkommensteuerrechtes in einer allgemeingültigen Regelung zu erfolgen habe und nicht über den Ausnahmetatbestand einer Ergänzungsabgabe, für die die gesetzliche Legitimationsgrundlage eindeutig entfallen sei. Der Formenmissbrauch verletze daher auch Art. 106 Abs. 1 und 2 GG sowie die Beteiligungsrechte des Bundesrates gemäß Art. 105 Abs. 3 GG und damit die bundesstaatliche Zuständigkeitsordnung für die nur bei Vorliegen einer verfassungskonformen Ermächtigungsgrundlage zulässige Eingriffsnorm in Form einer Abgabe- bzw. Steuererhebung.
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Der Solidaritätszuschlag und damit die Erhebung von Abgaben nach dem Solidaritätszuschlagsgesetz (SolZG) stellten eine Ergänzungsabgabe dar. Eine (zunächst verfassungsgemäß beschlossene) Ergänzungsabgabe werde aber dann verfassungswidrig, wenn sich die Verhältnisse, die für die Einführung maßgeblich waren, grundlegend ändern, z.B., wenn der mit der Erhebung verfolgte Zweck erreicht sei und die Ergänzungsgabe nicht wegen eines anderen Zwecks fortgeführt werden solle. Der BFH habe in seiner Entscheidung vom 21.07.2011 (II 50/09, BFH/NV 2011, 1685) entschieden, dass die Verfassungsmäßigkeit der Ergänzungsabgabe dann zweifelhaft werde, wenn die Änderung der Verhältnisse eindeutig und offensichtlich feststehe. Diese Entwicklung sei nach Auffassung der Antragsteller seit dem 01.01.2020 eingetreten.
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Unter Zugrundelegung der insoweit zutreffenden Entscheidungsgrundsätze des BFH stehe unter Berücksichtigung der bereits angeführten verfassungsrechtlichen Wertungen aber fest, dass die Grundlagen für die Erhebung des Solidaritätszuschlags und damit die verfassungsrechtliche Berechtigung des Solidaritätszuschlagsgesetzes zum 31.12.2019 in Wegfall geraten seien. Der mit der Erhebung der Ergänzungsabgabe verfolgte Zweck sei erreicht. Gleichzeitig stehe fest, dass die Ergänzungsabgabe nicht wegen eines anderen Zweckes fortgeführt werden solle. Der Gesetzgeber habe in keiner Weise für die Forterhebung des Solidaritätszuschlags eine neue Bestimmung festgelegt oder definiert.
10
Der BFH habe in den angeführten Entscheidungen ausdrücklich entschieden, dass ein dauerhafter Finanzbedarf regelmäßig über die auf Dauer angelegten Steuern und nicht über eine Ergänzungsabgabe zu decken sei. Die zeitliche Begrenzung für eine nach Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG unbefristet erhobene Ergänzungsabgabe ergebe sich sachlich aus der Tatsache, dass die Ergänzungsabgabe nach ihrem Charakter den Zweck habe, einen vorübergehenden aufgabenbezogenen Mehrbedarf des Bundes zu finanzieren. Sie dürfe kein dauerhaftes Instrument der Steuerumverteilung sein.
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Weiter werde die verfassungsrechtlich gebotene Kompetenzverteilung zwischen dem Bund einerseits und den Bundesländern andererseits hierdurch verletzt.
12
Zur weiteren Begründung verweisen sie auf das in der Anlage beigefügte Gutachten von Prof. Dr. Dres. h.c. P. zur verfassungsrechtlichen Beurteilung der Erhebung des Solidaritätszuschlags ab 2020.
13
Das Finanzamt beantragt die Abweisung des Antrags.
14
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zwar auch verfassungsrechtliche Zweifel an der Gültigkeit eines Gesetzes sein können. Die Gewährung einer AdV setze aber nach langjähriger Rechtsprechung des BFH wegen des Geltungsanspruchs und der Vermutung der Verfassungsmäßigkeit jedes formell ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes zusätzlich ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes voraus (BFH-Beschluss vom 25.11.2014 VII B 65/14, BStBl. II 2015, 207).
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Würde eine Aussetzung der Vollziehung im Ergebnis zur vorläufigen Nichtanwendung eines ganzen Gesetzes führen, habe das Interesse an einer geordneten Haushaltsführung Vorrang, wenn der durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts eintretende Eingriff beim Steuerpflichtigen als eher gering einzustufen sei und dieser Eingriff keine dauerhaften nachteiligen Wirkungen habe; ob ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes bestehen, müsse dann i.d.R. nicht geprüft werden (BFH-Beschluss vom 25.11.2014 VII B 65/14, BStBl. II 2015, 207).
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Das SolZG sei formell ordnungsgemäß zustande gekommen und könne daher bis zu einer anders lautenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) Geltung beanspruchen. Am Vollzug des SolZG bestehe wegen der Sicherung einer geordneten Haushaltsführung ein öffentliches Interesse. Eine Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung der Bescheide über den Solidaritätszuschlag würde zu einer faktischen Außerkraftsetzung des SolZG und damit zu Einnahmeausfällen in Milliardenhöhe führen. Das Aufkommen des Solidaritätszuschlags habe im Jahr 2018 ca. 20 Mrd. € betragen. Der vorläufige Rechtsschutz könne nicht auf einzelne Steuerpflichtige beschränkt werden. Die streitgegenständliche Vorauszahlung für das I. Quartal 2020 betrage 1.949 €. Bei einem zu versteuernden Einkommen von 404.562 € sei der durch Vollziehung eintretende Eingriff bei den Steuerpflichtigen als sehr gering einzustufen. Das öffentliche Interesse am Vollzug des SolZG überwiege daher bei Weitem das Einzelinteresse der Steuerpflichtigen. Dauerhafte nachteilige Wirkungen oder eine unbillige Härte seien nicht ersichtlich.
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Im Streitfall bestünden auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts. Die zeitliche Anwendung des SolZG sei nicht eingeschränkt. Bis zu einer entgegenstehenden Entscheidung des BVerfG könne das SolZG Geltung beanspruchen. Eine verfassungsgemäß beschlossene Ergänzungsabgabe, wie das SolZG 1995, könne dann verfassungswidrig werden, wenn sich die Verhältnisse, die für die Einführung maßgebend waren, grundlegend änderten, z.B., weil der mit der Erhebung verfolgte Zweck erreicht sei und die Ergänzungsabgabe nicht wegen eines anderen Zwecks fortgeführt werden solle. Die Verfassungsmäßigkeit der Ergänzungsabgabe werde in diesen Fällen aber erst dann zweifelhaft, wenn die Änderung der Verhältnisse eindeutig und offensichtlich feststehe (BFH Urt. v. 21.07.2011 II R 52/10, BFH/NV 2011, 1685). Entgegen der Auffassung der Antragsteller könne das alleinige Auslaufen des Solidarpakts II keinen Wegfall der Ermächtigungsgrundlage zur Erhebung des Solidaritätszuschlags darstellen, da es nicht per se bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit auf den Solidarpakt II ankomme, sondern allein darauf, ob der Solidaritätszuschlag durch einen Finanzbedarf des Bundes veranlasst sei. Die Entscheidungen darüber, welche Aufgaben in Angriff genommen werden und wie sie finanziert werden sollen, gehörten jedoch zur Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, die sich grundsätzlich der gerichtlichen Nachprüfung entziehe. Für die Frage, was einen Finanzbedarf des Bundes bilde und wann ein solcher Bedarf anzunehmen sei, bestünden mithin sehr weite Einschätzungsspielräume des Gesetzgebers.
18
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf die von den Beteiligten vorgelegten Schriftsätze mit Anlagen sowie die vom Finanzamt vorgelegte Rechtsbehelfsakte der Antragsteller verwiesen.
II.
19
Der Antrag ist unbegründet.
20
Gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes auf Antrag auszusetzen, soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung (§ 69 Abs. 2 Satz 7, Abs. 3 Satz 3 FGO). Ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung schließt, sofern er nicht im Einzelfall erkennbar auf eine in die Zukunft wirkende Maßnahme beschränkt wird, das Begehren nach einer Aufhebung der Vollziehung ein (BFH-Beschluss vom 03.02.2005 I B 208/04, BStBl. II 2005, 351; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 FGO Tz. 176).
21
Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken. Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt. Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (st. Rspr., z.B. BFH-Beschluss vom 03.09.2018 VIII B 15/18, BFH/NV 2018, 1279, Rz 6; jeweils m.w.N.). Es genügt, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wenig auszuschließen ist, wie sein Misserfolg (Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 FGO Tz. 89 m.w.N.).
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Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt, da sich weder dem Vorbringen der Antragsteller noch dem sonstigen Akteninhalt ein (besonderes) berechtigtes Interesse der Antragsteller an der Gewährung von AdV entnehmen lässt und zudem keine ernstlichen Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 der FGO an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen.
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1. Beruhen die vorgetragenen ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts auf Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift, setzt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wegen des Geltungsanspruchs jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes (d.h. im Sinne eines ordnungsgemäßen Gesetzgebungsvorgangs) zusätzlich ein (besonderes) berechtigtes Interesse des Antragstellers voraus (BFH-Beschlüsse vom 01.04.2010 II B 168/09, BStBl. II 2010, 558; vom 25.11.2014 VII B 65/14, BStBl. II 2015 m.w.N., 207; Gräber/Stapperfend, FGO 9. Auflage, § 69 Rn. 164, 186; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 FGO Tz. 96).
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Bei der Prüfung, ob ein solches berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen besteht, ist dieses mit den gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Dabei kommt es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung hinsichtlich des Gesetzesvollzugs und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung an. Dem bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des BVerfG bestehenden Geltungsanspruch jedes formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes ist der Vorrang einzuräumen, wenn die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung eines Steuerbescheids im Ergebnis zur vorläufigen Nichtanwendung eines ganzen Gesetzes führen würde, die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheids im Einzelfall eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen als eher gering einzustufen sind und der Eingriff keine dauerhaften nachteiligen Wirkungen hat (BFH-Beschluss vom 25.11.2014 VII B 65/14, BStBl. II 2015, 207 m.w.N.).
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Eine eventuelle Aussetzung der Vollziehung wäre in gleicher Weise jedem Adressaten eines Vorauszahlungsbescheides über den Solidaritätszuschlag ab dem Jahr 2020 zuzubilligen. Dies wäre im Ergebnis eine vorläufige Außervollzugsetzung des Solidaritätszuschlags ab dem 01.01.2020 bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Die Befugnis, eine solche Rechtsfolge herbeizuführen, steht jedoch nur dem BVerfG zu, dem allein die Feststellung der Nichtigkeit eines Gesetzes sowie der sich aus der Nichtigkeit ergebenden Konsequenzen vorbehalten ist.
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2. Die beantragte AdV war danach abzulehnen. Das Aufkommen des Solidaritätszuschlags beträgt im Jahr 2018 ca. 20 Mrd. € und trägt somit erheblich zum Steueraufkommen bei. Weder dem Vorbringen der Antragsteller noch dem sonstigen Akteninhalt lässt sich deren (besonderes) berechtigtes Interesse an der Gewährung von AdV entnehmen. Da der vom FA festgesetzte Vorauszahlungsbetrag über einen Solidaritätszuschlag von 1.949 € lediglich knapp 0,5% des zu versteuernden Einkommens der Antragsteller des Jahres 2018 ausmacht, ist diesen die (vorläufige) Entrichtung des Solidaritätszuschlags ohne weiteres zumutbar. Damit überwiegt das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung sowie an dem Vollzug eines ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes auch in der vom Gesetzgeber hierfür bestimmten Zeit das Interesse der Antragsteller, den Solidaritätszuschlag vorläufig nicht entrichten zu müssen. Bereits dies schließt die Gewährung von AdV aus.
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3. Zudem ist der Senat aber auch der Auffassung, dass keine ernstlichen Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 der FGO an der Rechtmäßigkeit des Solidaritätszuschlags im Jahr 2020 bestehen. So hat der erkennende Senat in einem anderen Verfahren eine Klage gegen den Bescheid über die Vorauszahlungen zum Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer im Jahr 2020 als unbegründet abgewiesen (Finanzgericht Nürnberg, Urteil vom 29.07.2020, 3 K 1098/19; Revision anhängig beim BFH unter dem Az. IX R 15/20).
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a) Der Solidaritätszuschlag als Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG findet nach Auffassung des Senats nach derzeitigem Stand auch für den Veranlagungszeitraum 2020 eine ausreichende verfassungsrechtliche Grundlage. Es handelt sich um eine echte Steuer im Sinne des § 3 AO, für die der Bund die Ertragshoheit und alleinige Gesetzgebungskompetenz hat (Art. 105 Abs. 2 GG). Der Solidaritätszuschlag hat auch nicht „automatisch“ mit Auslaufen des Solidarpakts II (und der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs) seine Rechtfertigung verloren. Hier mag zwar eine gewisse politische Verbindung bestehen, eine rechtliche Verbindung dahingehend, dass alleine der Solidarpakt II einen Mehrbedarf des Bundes zur Finanzierung der Lasten der Wiedervereinigung zu begründen vermag, sieht der Senat nicht. Der Solidarpakt II war sicherlich geeignet, einen längerfristigen Mehrbedarf des Bundes zu begründen (nach BFH-Urteil vom 21.07.2011 - II R 50/09, a.a.O.; erforderlich für die Ergänzungsabgabe). Dies bedeutet jedoch nicht, dass ein solcher Mehrbedarf des Bundes auch nach Neuregelung des Länderfinanzausgleichs nicht ausreichend begründet wurde und begründbar ist. Nach Auffassung des Senats lässt sich dies auch nicht den Urteilen des BFH vom 21.11.2011 (II R 50/09, a.a.O. und II R 52/10, a.a.O.) entnehmen. Dort legt der BFH nur deutlich nahe, dass mit sinkendem Finanzbedarf in Verbindung mit der bereits in der Gesetzesbegründung enthaltenden Ankündigung, den Solidaritätszuschlag „mittelfristig“ zu überprüfen, mit Auslaufen des Solidarpakts eine solche Überprüfung hinsichtlich des Finanzbedarfs des Bundes vorzunehmen ist. Die erforderliche Prüfung hat der Gesetzgeber im Rahmen des Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 Ende des Jahres 2019 vorgenommen und zur Begründung der fortgesetzten Erhebung des Solidaritätszuschlags aber auch zu der aus seiner Sicht gebotenen Abschmelzung ausgeführt, dass der Bund weiterhin einen wiedervereinigungsbedingten zusätzlichen Finanzierungsbedarf, etwa im Bereich der Rentenversicherung, beim Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz, für den Arbeitsmarkt sowie für andere überproportionale Leistungen aus dem Bundeshaushalt für die ostdeutschen Bundesländer (bisheriger Korb II des Solidarpakts II) habe (BT-Drs. 19/14103).
29
b) Nach Auffassung des Senats ist diese Begründung des Gesetzgebers - insbesondere, weil es sich hier nur um eine Prognose handeln kann - unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ausreichend, um die Erhebung des Solidaritätszuschlags über das Jahr 2019 hinaus weiterhin zu rechtfertigen (Finanzgericht Nürnberg, Urteil vom 29.07.2020, 3 K 1098/19; Revision anhängig beim BFH unter dem Az. IX R 15/20). Für die Frage, was den aufgeführten „aufgabenbezogenen Mehrbedarf“ bildet und wann ein solcher anzunehmen ist, bestehen ohnehin weite Einschätzungs- und Beurteilungsspielräume des Gesetzgebers.
30
c) Es handelt sich beim Solidaritätszuschlag nach wie vor um den Typus Ergänzungsabgabe im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG; der Gesetzgeber geht prinzipiell von einem vorübergehenden Zweck aus, der jedenfalls im Jahr 2020 noch nicht erreicht ist. Insofern liegt kein Formenmissbrauch vor und das grundgesetzliche System von Aufgaben- und Ausgabenverteilung wird nicht unterlaufen. In Anbetracht der Höhe (5,5%) werden die den Bund und den Ländern gemeinschaftlich zustehenden Steuern nicht ausgehöhlt (vgl. Urteile des BFH vom 21.07.2011 II R 50/09, a.a.O.; II R 52/10, a.a.O.) und die Eigenstaatlichkeit der Bundesländer nicht gefährdet. Der Solidaritätszuschlag als verfassungsmäßig vorgesehene Ergänzungsabgabe verletzt in der 2020 gültigen Fassung nicht das Eigentumsgrundrecht nach Art. 14 GG (vgl. Urteile des BFH vom 21.07.2011 II R 50/09, a.a.O.; II R 52/10, a.a.O.) und verstößt auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
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4. Die Vollziehung des angefochtenen Bescheides ist auch nicht wegen unbilliger Härte gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO auszusetzen.
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a) Eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte im Sinn dieser Vorschriften liegt vor, wenn dem Zahlungspflichtigen durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes wirtschaftliche Nachteile drohen, die durch eine etwaige spätere Rückzahlung des eingezogenen Betrages nicht ausgeglichen werden oder nur schwer gutzumachen sind, oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz führen würde (BFH-Beschlüsse vom 21.02.1990 II B 98/89, BStBl. II 1990, 510; vom 05.03.1998 VII B 36/97, BFH/NV 1998, 1325).
33
b) Eine solche unbillige Härte ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.