Inhalt

VGH München, Beschluss v. 08.10.2020 – 2 ZB 19.449
Titel:

Fehlende Klagebefugnis einer umweltrechtlichen Vereinigung gegen eine nach § 30 Abs. 1 BauGB erteilte Baugenehmigung

Normenketten:
VwGO § 42 Abs. 2, § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3
BauGB § 30 Abs. 1
UmwRG § 1 Abs. 1
UIG § 2 Abs. 3
AarhusK Art. 9 Abs. 3
AEUV Art. 267 Abs. 3
Leitsätze:
1. Eine nach § 30 Abs. 1 BauGB erteilte Baugenehmigung ist keine rechtsbehelfsfähige Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG, weil ein Bebauungsplan keine Rechtsvorschrift des Bundes oder des Landes darstellt. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Klagebefugnis nach Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention wurde bislang nur im Rahmen einer Durchsetzung objektiven Umweltrechts bei Normenkontrollverfahren anerkannt. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Baugenehmigung, Klagebefugnis, Bebauungsplan, umweltbezogene Festsetzung, Vorlagepflicht, umweltrechtliche Vereinigung
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 16.01.2019 – Au 4 K 18.280
Fundstelle:
BeckRS 2020, 26750

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 15.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

1
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung nach §§ 124, 124a Abs. 4 VwGO hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.
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1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts begegnet im Rahmen der dargelegten Zulassungsgründe keinen ernstlichen Zweifeln an seiner Richtigkeit (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Der Senat geht wie das Erstgericht davon aus, dass dem Kläger im vorliegenden Einzelfall keine Klagebefugnis im Sinn von § 42 Abs. 2 VwGO zukommt.
3
Der Kläger führt zunächst an, dass auch eine nach § 30 Abs. 1 BauGB erteilte Baugenehmigung eine rechtsbehelfsfähige Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG darstelle. Insoweit stellt der Kläger die Rechtsauffassung des Senats (vgl. BayVGH, B.v. 11.4.2018 - 2 CS 18.198 - juris; B.v. 22.8.2018 - 2 CS 18.1126 - n.v.), welche das Erstgericht wörtlich in seiner Entscheidung zitiert, dass ein Bebauungsplan keine Rechtsvorschrift des Bundes oder Landes darstelle, in Frage. Selbst wenn insoweit der Literaturauffassung (vgl. Michl, NuR 2018, 845; Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 4 Rn. 48) zu folgen wäre, wonach satzungsgebende juristische Personen des öffentlichen Rechts dem Staat eingegliedert sind, also entweder dem Bund oder dem Land, so dass Satzungen entweder als Bundes- oder als Landesrecht zu qualifizieren seien, führt dies vorliegend zu keinem anderen Ergebnis. Auch nach Michl (vgl. NuR 2018, 845/846) ist im Einzelfall zu prüfen, ob sich eine Festsetzung zum Schutz von Mensch und Umwelt auf die in § 2 Abs. 3 Nr. 1 und 2 UIG genannten Umweltaspekte bezieht. Nicht jedwede Festsetzung eines Bebauungsplans stellte daher eine umweltbezogene Rechtsvorschrift dar. Im vorliegenden Fall bezieht sich der Kläger zur Begründung seiner Klagebefugnis jedoch gerade nicht darauf, dass die hier verfahrensgegenständliche Baugenehmigung gegen eine umweltbezogene Festsetzung des der Baugenehmigung zugrundeliegenden Bebauungsplans verstößt sondern auf die Nichtigkeit des Bebauungsplans als solchem. Die Klagebefugnis wird darauf gestützt, dass die Baugenehmigung nicht nach § 30 Abs. 1 BauGB hätte erteilt werden dürfen, weil der Bebauungsplan nichtig sei, sondern die Prüfung des Bauvorhabens nach § 35 Abs. 2 BauGB hätte erfolgen müssen. So mag zwar die nach § 30 Abs. 1 BauGB erteilte Baugenehmigung eine rechtsbehelfsfähige Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG darstellen, jedoch fehlt es im Rahmen der Klagebefugnis an einer Darlegung, welche Festsetzung des Bebauungsplans vorliegend durch die verfahrensgegenständliche Baugenehmigung verletzt sein sollte und ob diese Festsetzung im Einzelfall eine umweltbezogene Rechtsvorschrift darstellen würde.
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Der Kläger hat den Ausführungen des Senats (B.v. 22.8.2018 - 2 CS 18.1126) sowie des Erstgerichts in der angegriffenen Entscheidung nicht widersprochen, dass der Einzelne zwar verlangen kann, dass materielle Rechte gewahrt werden, er jedoch keinen Anspruch darauf hat, dass dies in einem bestimmten Verfahren geschieht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. B.v. 5.3.1999 - 4 A 7.98, 4 A 3.98 - NVwZ-RR 1999, 556) soll der Einzelne die Beachtung der Verfahrensvorschriften nicht um ihrer selbst erzwingen können. Etwas Anderes kann nur dann gelten, wenn eine Verfahrensvorschrift einem Dritten unabhängig vom materiellen Recht eine eigene, selbständig durchzusetzbare verfahrensrechtliche Rechtsposition gewähren will. Aus dem Regelungsgehalt müsste sich ergeben, dass diese Regelung des Verwaltungsverfahrens mit einer eigenen Schutzfunktion zu Gunsten Einzelner ausgestattet ist, und zwar in der Weise, dass der Begünstigte unter Berufung allein auf einen ihn betreffenden Verfahrensmangel, d.h. ohne Rücksicht auf das Entscheidungsergebnis in der Sache, die Aufhebung einer behördlichen Entscheidung gerichtlich soll durchsetzen können (vgl. BVerwG, B.v. 15.1.1982 - 4 C 26.78 - BverwGE 64, 325, 331f.). Insoweit hat der Kläger auch in der Zulassungsbegründung nicht vorgetragen, dass die planungsrechtliche Behandlung eines Vorhabens nach § 34 BauGB bzw. § 35 BauGB zu seinem Schutz bestimmt ist.
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Im Hinblick auf die Inzidentprüfung des Bebauungsplans trägt der Kläger richtig vor, dass eine solche auch im Rahmen eines Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO erfolgen kann (vgl. BayVGH, B.v. 5.9.2017 - 2 NE 17.1146 - n.v.). Der Kläger lässt aber außer Acht, dass der Senat in seinem Beschluss (v. 22.8.2018 - 2 CS 18.1126) - wiederholend das Erstgericht in dem hier angegriffenen Urteil - dies in keiner Weise negiert, sondern lediglich feststellt, dass eine Inzidentprüfung grundsätzlich eine Frage der Begründetheit darstellt und nicht im Rahmen der Zulässigkeit zur Begründung einer Klagebefugnis erfolgen kann. In seinem Beschluss vom 5. September 2017 (2 NE 17.1146 - n.v.) hat der Senat lediglich allgemein festgestellt, dass auch eine inzidente Prüfung der Wirksamkeit einer Satzung im Rahmen eines Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO möglich ist, nicht aber dass dies auch und nur im Rahmen der Zulässigkeit zur Begründung der Klagebefugnis erfolgen kann und darf.
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Weiterhin ist der Kläger der Auffassung, dass sich seine Klagebefugnis aus Art. 42 Abs. 2 VwGO i.V.m. Art. 9 Abs. 3 der Aarhus-Konvention (AK) ergebe. Insoweit hat der Senat in seinem Beschluss vom 22. August 2018 (2 CS 18.1126 - n.v.) bereits festgestellt, dass dies in der Rechtsprechung bislang nur im Rahmen einer Durchsetzung objektiven Umweltrechts bei Normenkontrollverfahren anerkannt wurde (so auch BayVGH, U.v. 28.7.2016 - 14 N 15.1870 - juris; BVerwG, U.v. 5.9.2013 - 7 C 21.12 - juris). Auch aus dem Urteil des EuGH (U.v. 20.12.2017 - C-664/15 - juris) ergibt sich insoweit nichts Gegenteiliges. Danach darf anerkannten Umweltorganisationen durch im innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien insbesondere nicht die Möglichkeit genommen werden, die Beachtung der aus dem Unionsumweltrecht hervorgegangenen Rechtsvorschriften überprüfen zu lassen, zumal solche Rechtsvorschriften in den meisten Fällen auf das allgemeine Interesse und nicht auf den alleinigen Schutz der Rechtsgüter Einzelner gerichtet sind und Aufgabe besagter Umweltorganisationen der Schutz des Allgemeininteresses ist. Insoweit bleibt es dem Kläger unbenommen, den der hier verfahrensgegenständlichen Baugenehmigung zugrundeliegenden Bebauungsplan im Weg einer Normenkontrolle anzugreifen, was auch erfolgte. Aus der Entscheidung ergibt sich jedoch nicht das vom Kläger vorgetragene Ergebnis einer unmittelbaren Klagebefugnis aus Art. 9 Abs. 3 AK in Bezug auf das Baugenehmigungsverfahren. Insgesamt übersieht der Kläger bei seiner Argumentation, dass es sich vorliegend nicht allgemein um den Ausschluss der Klagebefugnis einer anerkannten Umweltvereinigung gegenüber einer Baugenehmigung handelt sondern um einen speziellen Einzelfall, bei dem der Kläger versucht, seine Klagebefugnis durch eine inzidente Feststellung der Nichtigkeit des der Baugenehmigung zugrundeliegenden Bebauungsplans zu erreichen, ohne jedoch Verletzungen von umweltbezogenen Rechtsvorschriften durch die hier verfahrensgegenständliche Baugenehmigung als solcher oder die fehlerhafte Umsetzung einer umweltbezogenen Festsetzung des Bebauungsplans durch die Baugenehmigung geltend zu machen. Der Kläger will vielmehr das Normenkontrollverfahren gegen den Bebauungsplan in die Anfechtungsklage gegenüber der Baugenehmigung verlagern.
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2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Denn sie verursacht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine größeren, d.h. überdurchschnittlichen, das normale Maß nicht unerheblich übersteigende Schwierigkeiten und es handelt sich auch nicht um einen besonders unübersichtlichen oder kontroversen Sachverhalt, bei dem noch nicht abzusehen ist, zu welchem Ergebnis ein künftiges Berufungsverfahren führen wird (vgl.BayVGH, B.v. 12.4.2000 - 23 ZB 00.643 - juris). Vielmehr sind die maßgeblichen und entscheidungserheblichen Rechtsfragen durch die Rechtsprechung des Senats hinreichend geklärt. Im Übrigen wird auf die Ausführungen unter Ziffer 1. verwiesen.
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3. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass die im Zulassungsantrag dargelegte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, diese höchstrichterlich oder - bei tatsächlichen Fragen oder nicht revisiblen Rechtsfragen - durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist (vgl. BayVGH, B.v. 12.10.2010 - 14 ZB 09.1289 - juris; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 124 Rn. 36). Gemessen an diesen Grundsätzen liegt kein Fall von grundsätzlicher Bedeutung vor.
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Der Kläger begründet die behauptete grundsätzliche Bedeutung damit, dass die Entscheidung in der Hauptsache von der Auslegung und Anwendung von EU-Recht abhänge und insoweit eine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV bestehe. Insoweit hält der Kläger die nachfolgende Frage für vorlagepflichtig:
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Ist es mit dem auch unionsrechtlich geltenden Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus vereinbar, dass der deutsche Gesetzgeber die Realisierung eines umweltrelevanten Vorhabens in mehrere rechtlich selbständige Verfahrensschritte (hier: vorhabensbezogener Bebauungsplan und nachfolgende Baugenehmigung) gliedert und somit die Klagebefugnis einer anerkannten umweltrechtlichen Vereinigung im Verfahren gegenüber dem nachgelagerten Verfahrensschritt wegfällt, weil diese angeblich keine umweltbezogenen Bestimmungen betrifft, sondern nur den zugrunde liegenden Bebauungsplan, wenn zugleich die Rechtsprechung vorsieht, dass ein Eilverfahren gegen den Bebauungsplan wegen der vorgehenden rechtlichen Wirkung der Baugenehmigung als die das Vorhaben gestattende Maßnahme gleichfalls unzulässig ist bzw. kein Rechtsschutz gewährt?
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Der Kläger verkennt, dass die in dieser Form gestellte Frage für das vorliegende Verfahren nicht entscheidungserheblich ist und somit auch keine Vorlagepflicht besteht. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 22. August 2018 (2 CS 18.1126) bereits ausgeführt, dass bei § 1 Abs. 4 UmwRG im Einzelfall zu prüfen ist, ob eine umweltbezogene Rechtsvorschrift vorliegt, auf die sich der Kläger hier im Zusammenhang mit seiner Klagebefugnis berufen kann. Dies wurde im vorliegenden Einzelfall verneint (vgl. auch Ziffer 1.). Der vorliegende Einzelfall zeichnet sich nicht nur dadurch aus, dass das Bauvorhaben auf der Grundlage eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans genehmigt wurde und diese Baugenehmigung den Regelungsgehalt des Bebauungsplans ausschöpft, sondern auch durch die Besonderheit im zeitlichen Ablauf. Nicht jeder - auch vorhabenbezogene - Bebauungsplan wird jedoch durch Erlass nur einer Baugenehmigung inhaltlich zur Gänze ausgeschöpft. Auch liegt hier aufgrund des zeitlichen Ablaufs eine Ausnahmekonstellation vor, die nicht verallgemeinerungsfähig ist. Ferner ist der Kläger nicht rechtsschutzlos gestellt, da ihm unzweifelhaft gegenüber dem Bebauungsplan selbst eine Antragsbefugnis zusteht. Auch wäre grundsätzlich ein Eilrechtsschutz gegen den Bebauungsplan zulässig. Dieser wurde vorliegend nicht als unzulässig sondern wegen der fehlenden Dringlichkeit abgelehnt (vgl. B.v. 22.8.2018 - 2 NE 18.1512). Es handelt sich hier nicht um eine verallgemeinerungsfähige Frage sondern um einen ganz speziellen Einzelfall, so dass eine Vorlagepflicht entfällt. Im Übrigen hat der Kläger keine Verletzung umweltbezogener Festsetzungen des Bebauungsplans durch die erteilte Baugenehmigung vorgetragen. Vielmehr versucht der Kläger die Klagebefugnis durch die Wahl des falschen Verfahrens zu begründen, indem er die inzident im Rahmen der Klagebefugnis festzustellende Nichtigkeit des Bebauungsplans behauptet.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst (§ 162 Abs. 3 VwGO). Im Berufungszulassungsverfahren sind die außergerichtlichen Kosen eines Beigeladenen in der Regel nicht aus Billigkeitsgründen der unterliegenden Partei aufzuerlegen (vgl. BayVGH, B.v. 11.10.2001 - 8 ZB 01.1789 - BayVBl 2002, 378). Ein Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.