Inhalt

OLG München, Beschluss v. 01.10.2020 – 29 U 6221/19
Titel:

Darf eine Kabelnetzbetreiberin und Internetzugangsproviderin von Verbrauchern entsprechend ihrer AGB eine sogenannte Selbstzahlerpauschale von 2,50 Euro je Zahlung verlangen, wenn diese keine Ermächtigung zum Bankeinzug erteilen? - Vorlage zur Vorabentscheidung

Normenketten:
AEUV Art. 267
ZPO § 148
RL 2015/2366/EU Art. 62 Abs. 4
BGB § 270a
Leitsätze:
Ist Art. 62 IV RL (EU) 2015/2366 so auszulegen, dass er einer nationalen Regelung oder Gepflogenheit entgegensteht, die als Übergangsregelung bei Dauerschuldverhältnissen mit Verbrauchern das Verbot von Entgelten für die Nutzung von Zahlungsinstrumenten und Zahlungsdienstleistungen nach der entsprechenden nationalen Umsetzungsvorschrift nur eingreifen lässt, wenn das zugrunde liegende Schuldverhältnis ab dem 13.1.2018 entstanden ist, nicht jedoch wenn das zugrunde liegende Schuldverhältnis vor dem 13.1.2018 entstanden ist, mit der Abwicklung (weiterer) Zahlungsvorgänge aber erst ab dem 13.1.2018 begonnen wird? (redaktioneller Leitsatz)
Ist Art. 62 Abs. 4 der Richtlinie (EU) 2015/2366 so auszulegen, dass er einer nationalen Regelung oder Gepflogenheit entgegensteht, die als Übergangsregelung bei Dauerschuldverhältnissen mit Verbrauchern das Verbot von Entgelten für die Nutzung von Zahlungsinstrumenten und Zahlungsdienstleistungen nach der entsprechenden nationalen Umsetzungsvorschrift nur eingreifen lässt, wenn das zugrundeliegende Schuldverhältnis ab dem 13.01.2018 entstanden ist, nicht jedoch wenn das zugrundeliegende Schuldverhältnis vor dem 13.01.2018 entstanden ist, mit der Abwicklung (weiterer) Zahlungsvorgänge aber erst ab dem 13.01.2018 begonnen wird? (Rn. 7 – 14) (red. LS Andy Schmidt)
Schlagworte:
Zahlungsvorgang, Dauerschuldverhältnis, Entstehungszeitpunkt, Verbraucher, Allgemeine Geschäftsbedingung, Unterlassungsanspruch, SEPA-Überweisung, Selbstzahlerpauschale, Entgeltverbot, Zusatzentgelt
Vorinstanz:
LG München I vom -- – 33 O 6578/18
Rechtsmittelinstanz:
EuGH Luxemburg vom -- – C-484/20
Fundstellen:
K & R 2020, 850
ZBB 2020, 400
BeckRS 2020, 26155
ZIP 2020, 2116
LSK 2020, 26155
EWiR 2021, 3
VuR 2021, 32

Tenor

I. Das Verfahren wird gemäß § 148 ZPO ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV zur Auslegung von Art. 62 Absatz 4 der Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 2002/65/EG, 2009/110/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2007/64/EG (nachfolgend kurz: Richtlinie (EU) 2015/2366) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art. 62 Absatz 4 der Richtlinie (EU) 2015/2366 so auszulegen, dass er einer nationalen Regelung oder Gepflogenheit entgegensteht, die als Übergangsregelung bei Dauerschuldverhältnissen mit Verbrauchern das Verbot von Entgelten für die Nutzung von Zahlungsinstrumenten und Zahlungsdienstleistungen nach der entsprechenden nationalen Umsetzungsvorschrift nur eingreifen lässt, wenn das zugrundeliegende Schuldverhältnis ab dem 13.01.2018 entstanden ist, nicht jedoch wenn das zugrundeliegende Schuldverhältnis vor dem 13.01.2018 entstanden ist, mit der Abwicklung (weiterer) Zahlungsvorgänge aber erst ab dem 13.01.2018 begonnen wird?

Gründe

1
Die Parteien streiten beim vorlegenden Gericht darüber, ob die Beklagte als Kabelnetzbetreiberin und Internetzugangsproviderin berechtigt ist, von Verbrauchern entsprechend ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine sogenannte Selbstzahlerpauschale von € 2,50 je Zahlung zu verlangen, wenn diese der Beklagten keine Ermächtigung zum Bankeinzug erteilen, sondern Rechnungen selbst mittels SEPA-Überweisung begleichen, sofern das zugrundeliegende Schuldverhältnis vor dem Zeitpunkt der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2015/2366 ins nationale Recht am 13.01.2018 begründet wurde, mit der Abwicklung (weiterer) Zahlungsvorgänge aber erst danach begonnen wird.
1. Rechtlicher Rahmen
a. Unionsrecht
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Die Erwägungsgründe der Richtlinie (EU) 2015/2366 lauten auszugsweise wie folgt:
„(1) In den letzten Jahren sind bei der Integration von Massenzahlungen in der Union erhebliche Fortschritte erzielt worden, insbesondere im Zusammenhang mit den Rechtsakten der Union zum Zahlungsverkehr, und hier vor allem durch die Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, die Verordnung (EG) Nr. 924/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates, die Richtlinie 2009/110/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie die Verordnung (EU) Nr. 260/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates. Mit der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates wurde der Rechtsrahmen für Zahlungsdienste weiter ergänzt, indem durch die Festlegung einer bestimmten Obergrenze die Fähigkeit der Einzelhändler, ihren Kunden für die Nutzung eines bestimmten Zahlungsmittels einen Aufschlag zu berechnen, eingeschränkt wurde.
(6) Zur Schließung der Regulierungslücken sollten neue Vorschriften vorgesehen werden, und gleichzeitig sollte mehr Rechtsklarheit geschaffen und die unionsweit einheitliche Anwendung des rechtlichen Rahmens sichergestellt werden. Den bestehenden sowie den neuen Marktteilnehmern sollten gleichwertige Bedingungen für ihre Tätigkeit garantiert werden, indem neuen Zahlungsmitteln der Zugang zu einem größeren Markt eröffnet und ein hohes Maß an Verbraucherschutz bei der Nutzung dieser Zahlungsdienstleistungen in der Union als Ganzes gewährleistet wird. Das dürfte zu Effizienzgewinnen im Zahlungssystem insgesamt sowie zu mehr Auswahl und Transparenz bei den Zahlungsdiensten führen und gleichzeitig das Vertrauen der Verbraucher in einen harmonisierten Markt für Zahlungen stärken.
(66) Unterschiedliche Vorgehensweisen in den einzelnen Ländern bei der Entgeltberechnung für die Nutzung eines bestimmten Zahlungsinstruments (nachstehend „zusätzliche Entgelte“") haben zu einer enormen Heterogenität des Zahlungsverkehrsmarkts in der Union geführt und bei den Verbrauchern Verwirrung ausgelöst, insbesondere beim elektronischen Geschäftsverkehr und im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr. Händler, die in Mitgliedstaaten ansässig sind, in denen Aufschlagsberechnung zulässig ist, bieten in Mitgliedstaaten, in denen das verboten ist, Produkte und Dienstleistungen an und berechnen dem Verbraucher einen Aufschlag. Viele Händler berechnen Verbrauchern auch einen Aufschlag, der viel höher ist als die Kosten, die ihnen durch die Nutzung eines bestimmten Zahlungsinstruments entstehen. Deutlich für eine Überprüfung der Praxis der zusätzlichen Entgelte spricht des Weiteren die Tatsache, dass in der Verordnung (EU) 2015/751 Vorschriften über Interbankenentgelte für kartengebundene Zahlungsvorgänge festgelegt werden. Interbankenentgelte sind der wichtigste Bestandteil der Händlerentgelte für Karten und Kartenzahlungen. Die zusätzlichen Entgelte werden von Händlern manchmal als Vorgehensweise zur Kompensierung zusätzlicher Kosten von Kartenzahlungen verwendet. Die Verordnung (EU) 2015/751 begrenzt die Interbankenentgelte. Diese Begrenzungen gelten, bevor das in der vorliegenden Richtlinie bestimmte Verbot greift. Daher sollten die Mitgliedstaaten in Erwägung ziehen, Zahlungsempfänger davon abzuhalten, Entgelte für die Verwendung von Zahlungsinstrumenten zu fordern, für die Kapitel II der Verordnung (EU) 2015/751 Vorschriften für die Interbankenentgelte enthält.
(99) Es muss sichergestellt werden, dass die nach dieser Richtlinie erlassenen nationalen Rechtsvorschriften auch tatsächlich durchgesetzt werden. Aus diesem Grund sollten geeignete Verfahren eingeführt werden, mit deren Hilfe gegen Zahlungsdienstleister, die diesen Vorschriften nicht nachkommen, Beschwerde erhoben werden kann, und die gewährleisten, dass gegebenenfalls wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen verhängt werden (…).“
3
Die Richtlinie (EU) 2015/2366 bestimmt unter anderem:
Artikel 2 Anwendungsbereich
(1) Diese Richtlinie gilt für Zahlungsdienste, die innerhalb der Union erbracht werden.
(2) Die Titel III und IV gelten für Zahlungsvorgänge in der Währung eines Mitgliedstaats, wenn sowohl der Zahlungsdienstleister des Zahlers als auch der des Zahlungsempfängers oder - falls nur ein einziger Zahlungsdienstleister an dem Zahlungsvorgang beteiligt ist - dieser in der Union ansässig ist.
Artikel 4 Begriffsbestimmungen
Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck: (…)
9. „Zahlungsempfänger“ eine natürliche oder juristische Person, die den Geldbetrag, der Gegenstand eines Zahlungsvorgangs ist, als Empfänger erhalten soll; (…)
14. „Zahlungsinstrument“ jedes personalisierte Instrument und/oder jeden personalisierten Verfahrensablauf, das bzw. der zwischen dem Zahlungsdienstnutzer und dem Zahlungsdienstleister vereinbart wurde und zur Erteilung eines Zahlungsauftrags verwendet wird;
Artikel 62 Entgelte
(4) Die Mitgliedstaaten stellen in jedem Fall sicher, dass der Zahlungsempfänger keine Entgelte für die Nutzung von Zahlungsinstrumenten verlangt, für die mit Kapitel II der Verordnung (EU) 2015/751 Interbankenentgelte festgelegt geregelt werden, und für die Zahlungsdienstleistungen, auf die die Verordnung (EU) Nr. 260/2012 anwendbar ist.
Artikel 107 Vollständige Harmonisierung
(1) Unbeschadet des Artikels 2, des Artikels 8 Absatz 3, des Artikels 32, des Artikels 38 Absatz 2, des Artikels 42 Absatz 2, des Artikels 55 Absatz 6, des Artikels 57 Absatz 3, des Artikels 58 Absatz 3, des Artikels 61 Absätze 2 und 3, des Artikels 62 Absatz 5, des Artikels 63 Absätze 2 und 3, des Artikels 74 Absatz 1 Unterabsatz 2 und des Artikels 86 dürfen die Mitgliedstaaten in den Bereichen, in denen diese Richtlinie harmonisierte Bestimmungen enthält, keine anderen als die in dieser Richtlinie festgelegten Bestimmungen beibehalten oder einführen.
Artikel 115 Umsetzung
(1) Die Mitgliedstaaten erlassen und veröffentlichen bis zum 13. Januar 2018 die Rechtsund Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie nachzukommen. Sie setzen die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis.
(2) Sie wenden diese Vorschriften ab dem 13. Januar 2018 an.
4
Die Verordnung (EU) Nr. 260/2012 bestimmt:
Artikel 1  Gegenstand und Anwendungsbereich
(1) In dieser Verordnung werden Vorschriften für auf Euro lautende Überweisungen und Lastschriften innerhalb der Union festgelegt, bei denen entweder der Zahlungsdienstleister des Zahlers und der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers oder der einzige am Zahlungsvorgang beteiligte Zahlungsdienstleister auf dem Gebiet der Union ansässig ist.
b. Nationales Recht
5
§ 270a des Bürgerlichen Gesetzbuches (eingeführt mit Wirkung vom 13.01.2018 durch Gesetz vom 17.07.2017 (Bundesgesetzblatt I Seite 2446)) lautet:
Eine Vereinbarung, durch die der Schuldner verpflichtet wird, ein Entgelt für die Nutzung einer SEPA-Basislastschrift, einer SEPA-Firmenlastschrift, einer SEPA-Überweisung oder einer Zahlungskarte zu entrichten, ist unwirksam. Satz 1 gilt für die Nutzung von Zahlungskarten nur bei Zahlungsvorgängen mit Verbrauchern, wenn auf diese Kapitel II der Verordnung (EU) 2015/751 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2015 über Interbankenentgelte für kartengebundene Zahlungsvorgänge (ABl. L 123 vom 19.5.2015, S. 1) anwendbar ist.
6
Die Überleitungsvorschrift des Artikels 229 § 45 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (angefügt mit Wirkung vom 13.01.2018 durch Gesetz vom 17.07.2017 (Bundesgesetzblatt I Seite 2446)) lautet:
(1) Auf Schuldverhältnisse, die die Ausführung von Zahlungsvorgängen zum Gegenstand haben und ab dem 13. Januar 2018 entstanden sind, sind nur das Bürgerliche Gesetzbuch und Artikel 248 in der ab dem 13. Januar 2018 geltenden Fassung anzuwenden.
(2) Auf Schuldverhältnisse, die die Ausführung von Zahlungsvorgängen zum Gegenstand haben und vor dem 13. Januar 2018 entstanden sind, sind das Bürgerliche Gesetzbuch und Artikel 248 in der bis zum 13. Januar 2018 geltenden Fassung anzuwenden, soweit in den Absätzen 3 und 4 nichts anderes bestimmt ist.
(3) Wenn bei einem Schuldverhältnis im Sinne von Absatz 2 erst ab dem 13. Januar 2018 mit der Abwicklung eines Zahlungsvorgangs begonnen worden ist, sind auf diesen Zahlungsvorgang nur das Bürgerliche Gesetzbuch und Artikel 248 in der ab dem 13. Januar 2018 geltenden Fassung anzuwenden.
(4) § 675f Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der ab dem 13. Januar 2018 geltenden Fassung ist ab diesem Tag auch auf Schuldverhältnisse im Sinne von Absatz 2 anzuwenden.
(5) § 270a des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist auf alle Schuldverhältnisse anzuwenden, die ab dem 13. Januar 2018 entstanden sind.
2. Umstände des Ausgangsverfahrens
7
a. Der Kläger, ein nach deutschem Recht klagebefugter Verbraucherschutzverein, nimmt die Beklagte, eine Kabelnetzbetreiberin und Internetzugangsproviderin, nach vorangegangener Abmahnung auf Unterlassung in Anspruch, im Rahmen geschäftlicher Handlungen - außer gegenüber Unternehmern - eine allgemeine Geschäftsbedingung zu verwenden oder sich im Rahmen von Dienstleistungsverträgen über Telekommunikations- und Kabeldienstleistungen auf eine solche Bedingung zu berufen, welche lautet: „Selbstzahlerpauschale: Pauschale je Zahlung ohne Bankeinzug € 2,50.“
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Die Beklagte unterscheidet bei ihren Verträgen seit der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2015/2366 ins deutsche Recht zum 13.01.2018 zwischen Bestandsverträgen und Neuverträgen. In Bestandsverträgen, die vor dem 13.01.2018 abgeschlossen wurden, verwendet die Beklagte in einer Preis- und Leistungsbeschreibung die oben genannte Klausel, die beispielsweise SEPA-Überweisungen nicht ausnimmt. In der entsprechenden für Neuverträge mit Abschluss ab dem 13.01.2018 geltenden Preisliste ist die Klausel nicht mehr enthalten.
9
Die Beklagte sieht sich zur Verwendung der Klausel für Bestandsverträge berechtigt, da das Verbot der Erhebung von Zusatzentgelten nach § 270a des Bürgerlichen Gesetzbuches nur für solche Dauerschuldverhältnisse gelte, die ab dem 13.01.2018 entstanden seien. Sie sei folglich berechtigt, die Selbstzahlerpauschale auch nach diesem Datum bei Bestandsverträgen mit davor liegendem Abschlussdatum zu erheben, weil die eindeutige Übergangsvorschrift des Art. 229 § 45 Absatz 5 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch auf das Entstehen des Schuldverhältnisses ab dem 13.01.2018 abhebe, so dass eine rückwirkende Anwendung von § 270a des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht in Betracht komme, auch wenn ab dem 13.01.2018 Zahlungen erfolgten.
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Der Kläger ist demgegenüber der Ansicht, das Verbot der Erhebung von Zusatzentgelten ab dem 13.01.2018 gelte auch für Bestandsverträge mit Abschlussdatum vor dem 13.01.2018. Da Art. 62 Absatz 4 der Richtlinie (EU) 2015/2366 mit dem Stichtag gleiche Bedingungen im Binnenmarkt habe herstellen wollen, müsse die Umsetzungsvorschrift in § 270a des Bürgerlichen Gesetzbuches unabhängig von der Laufzeit eines Vertrages und damit auch auf Dauerschuldverhältnisse Anwendung finden, die vor dem 13.01.2018 entstanden seien. Die Übergangsvorschrift in Art. 229 § 45 Absatz 5 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch sei entsprechend des Rechtsgedankens in Art. 229 § 45 Absatz 3 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch so auszulegen, dass bei vor dem 13.01.2018 geschlossenen Verträgen gleichwohl das neue, ab dem Stichtag geltende Recht Anwendung finde, wenn mit Zahlungsvorgängen auch ab dem 13.01.2018 begonnen werde.
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b. Das vorlegende Gericht neigt dazu, die Art. 62 Absatz 4 der Richtlinie (EU) 2015/2366 umsetzende nationale Regelung in § 270a des Bürgerlichen Gesetzbuches auch dann für anwendbar zu halten, wenn das den Zahlungen zugrundeliegende Dauerschuldverhältnis vor dem 13.01.2018 geschlossen wurde, mit der Abwicklung von (weiteren) Zahlungsvorgängen hieraus aber erst nach diesem Stichtag begonnen wird, weil beispielsweise - wie im vorliegenden Fall - Kabelnutzungs- oder Internetprovidergebühren in periodischen, in der Regel monatlichen Abständen fällig werden.
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Maßgeblich ist hierbei nach Auffassung des vorlegenden Gerichts, dass Art. 62 Absatz 4 der Richtlinie (EU) 2015/2366 allein auf die Nutzung von Zahlungsinstrumenten und Zahlungsdienstleistungen abhebt, für die er im Wege der Vollharmonisierung für die Zeit nach Ablauf der Umsetzungsfrist am 13.01.2018 ein Verbot von Zusatzentgelten beim Zahlungsempfänger anordnet. Auf die Entstehung des den Zahlungen zugrundeliegenden Schuldverhältnisses stellt die Richtlinie demgegenüber nicht ab.
13
Das vorlegende Gericht neigt deshalb zu einer Anwendung des Entgeltverbots auch auf vor dem 13.01.2018 geschlossene Bestandsverträge, weil nach Erwägungsgrund (6) der Richtlinie die unionsweit einheitliche Anwendung des rechtlichen Rahmens für den Zahlungsverkehr sichergestellt, bestehenden sowie neuen Marktteilnehmern gleichwertige Bedingungen für ihre Tätigkeit garantiert und ein hohes Maß an Verbraucherschutz bei der Nutzung von Zahlungsdienstleistungen in der Union als Ganzes gewährleistet werden sollen. Nach Erwägungsgrund (66) sollen die unterschiedlichen Vorgehensweisen in den einzelnen Ländern bei der Entgeltberechnung, die zu einer enormen Heterogenität des Zahlungsverkehrsmarktes in der Union geführt und bei den Verbrauchern Verwirrung ausgelöst haben, vereinheitlicht werden, indem Zahlungsempfängern untersagt wird, Entgelte für die Verwendung bestimmter Zahlungsinstrumente zu fordern. Diese unionsweite Vereinheitlichung wäre infrage gestellt, wenn bei Dauerschuldverhältnissen auch in Zukunft für eine unabsehbare Zeit unterschiedliche Entgeltberechnungen in den Mitgliedstaaten zulässig wären, weil es vermeintlich auf den Zeitpunkt des Entstehens des Schuldverhältnisses nach nationalem Recht und nicht auf den Ablauf der Umsetzungsfrist für die Richtlinie am 13.01.2018 ankommen soll.
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Das vorlegende Gericht sieht eine umfassende Anwendung des Verbots von Zusatzentgelten auf Zahlungen ab dem 13.01.2018 derzeit durch den Wortlaut der Übergangsvorschrift in Artikel 229 § 45 Absatz 5 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch infrage gestellt, der allein auf die Entstehung des Schuldverhältnisses abhebt. In der Literatur wird deshalb zum Teil eine strikte Anwendung nur auf ab dem 13.01.2018 geschlossene Neuverträge vertreten (Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 79. Auflage, EGBGB 229 § 45, Randnummer 3). Soweit andernorts eine Einschränkung bei Dauerschuldverhältnissen befürwortet wird, stellt sich im nationalen Recht die Frage, ob die für eine analoge Anwendung von Art. 229 § 45 Absatz 3 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch notwendige planwidrige Regelungslücke besteht, zumal der deutsche Gesetzgeber seitens der akademischen Lehre im Gesetzgebungsverfahren auf das bei Dauerschuldverhältnissen entstehende Problem hingewiesen worden ist, Art. 229 § 45 Absatz 5 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch aber dennoch unverändert verabschiedet hat (Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch/Casper, 7. Auflage, EGBGB Art. 229 § 45, Randnummer 6 und Fußnote 6; beckonline GROSSKOMMENTAR/Zahrte, Stand 1.9.2020, EGBGB Art. 229 § 45, Randnummern 24 und 24.1).
15
Mit der nachfolgenden Vorlagefrage ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof um die Auslegung von Art. 62 Absatz 4 der Richtlinie (EU) 2015/2366. Dies deshalb, weil das vorlegende Gericht nach dem Sinn der Norm davon ausgeht, dass ihr eine zeitlich uneingeschränkte Anwendung ab 13.01.2018 zuteilwerden muss, so dass ab diesem Zeitpunkt unabhängig von der Frage des Entstehungszeitpunkts von Dauerschuldverhältnissen eine einheitliche Gebührenregelung für den Zahlungsverkehrsmarkt in der Union getroffen wird:
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Ist Art. 62 Absatz 4 der Richtlinie (EU) 2015/2366 so auszulegen, dass er einer nationalen Regelung oder Gepflogenheit entgegensteht, die als Übergangsregelung bei Dauerschuldverhältnissen mit Verbrauchern das Verbot von Entgelten für die Nutzung von Zahlungsinstrumenten und Zahlungsdienstleistungen nach der entsprechenden nationalen Umsetzungsvorschrift nur eingreifen lässt, wenn das zugrundeliegende Schuldverhältnis ab dem 13.01.2018 entstanden ist, nicht jedoch wenn das zugrundeliegende Schuldverhältnis vor dem 13.01.2018 entstanden ist, mit der Abwicklung (weiterer) Zahlungsvorgänge aber erst ab dem 13.01.2018 begonnen wird?