Inhalt

LArbG Nürnberg, Beschluss v. 17.09.2020 – 2 Ta 106/20
Titel:

Klage auf Annahmeverzugslohn

Normenketten:
ZPO § 3
RVG § 23
GKG § 42 Abs. 2 S. 1, § 45
ArbGG § 12
BGB § 140
Leitsatz:
Im Rahmen der Prüfung der wirtschaftlichen Identität eines Bestandsstreits mit einem auf Zahlung von Annahmeverzug gerichteten Antrag sind die zunächst isoliert zu ermittelnden Werte des Bestandsstreits (ggf. unter Berücksichtigung mehrerer Kündigungen mit unterschiedlichen Beendigungszeitpunkten, s. Ziff. I. 21.3 Streitwertkatalog) einerseits und des auf Zahlung des Annahmeverzugs gerichteten Leistungsantrags für den gesamten geltend gemachten Zeitraum andererseits zu vergleichen. Festzusetzen ist der höhere Wert (vgl. Ziff. I. 6 Streitwertkatalog). (Rn. 13 – 18)
Schlagworte:
Annahmeverzugslohn, wirtschaftliche Identität, Bestandsstreit, Streitwertbeschwerde, Abfindung, Arbeitsgerichtsbarkeit, Wirtschaftliche Identität, Beschäftigungsanspruch, außerordentliche Kündigung
Vorinstanz:
ArbG Nürnberg, Beschluss vom 27.07.2020 – 17 Ca 4867/19
Fundstelle:
BeckRS 2020, 25788

Tenor

Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 27.07.2020, Az. 17 Ca 4867/19, wird zurückgewiesen

Gründe

A.
1
Die Parteien stritten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung vom 12.09.2019, die gleichzeitig hilfsweise ordentlich zum nächst zulässigen Termin erklärt wurde. Das monatliche Bruttoeinkommen des Klägers ist in der Klage mit 1.650,96 € angegeben. Darüber hinaus wurden Annahmeverzugslohnansprüche eingeklagt und zwar für April 2020 in Höhe von 1.645,60 € brutto abzüglich 583,20 € netto und für Mai und Juni 2020 in Höhe von jeweils 1.570,80 € brutto abzüglich 583,20 € netto. Wegen der genauen Antragstellung wird auf den Schriftsatz der Klagepartei vom 13.07.2020 (Blatt 160 der Akten) verwiesen.
2
Das Verfahren endete durch Abschluss eines gerichtlich protokollierten Vergleichs (Blatt 174 der Akten). Die Parteien vereinbarten die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch ordentliche betriebsbedingte Kündigung vom 12.2019 zum 31.03.2020 gegen Zahlung einer Abfindung von 2.000,- €.
3
Mit Beschluss vom 27.07.2020 setzte das Arbeitsgericht den Streitwert auf 4.952,88 € fest (= 1650,96 € × 3).
4
Hiergegen legten die Prozessvertreter des Klägers mit Schriftsatz vom 05.08.2020 Beschwerde ein mit der Begründung, der streitgegenständliche Annahmeverzugslohn sei zusätzlich in Ansatz zu bringen. Es handele sich beim Bestandsstreit und den Annahmeverzugsansprüchen um verschiedene Streitgegenstände, die zu addieren seien. Ein Additionsverbot wegen wirtschaftlicher Identität könne allenfalls den Zeitraum nach Ausspruch der außerordentlichen Kündigung erfassen.
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Mit Beschluss vom 14.08.2020 half das Arbeitsgericht der Beschwerde nicht ab und legte das Verfahren dem Landesarbeitsgericht Nürnberg zur Entscheidung vor (Blatt 185 f der Akten).
6
Das Landesarbeitsgericht gab den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme bis 10.09.2020. Auf die Stellungnahmen der Beklagtenvertreter, die den Beschluss des Arbeitsgerichts verteidigt, und der Klägervertreter, die an ihrer Rechtsansicht festhält und weiter vertieft, wird Bezug genommen.
B.
7
I. Die Beschwerde ist zulässig.
8
Sie ist statthaft, § 68 Abs. 1 GKG, denn sie richtet sich gegen einen Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühr gemäß § 63 Abs. 2 GKG festgesetzt worden ist. Dies gilt auch für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts (LAG Nürnberg 28.05.2020 - 2 Ta 76/20 juris; 24.02.2016 - 4 Ta 16/16 juris mwN). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,- €. Die Beschwerde ist innerhalb der in § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG bestimmten Frist eingelegt worden, § 68 Abs. 1 Satz 3 GKG. Der Klägervertreter kann aus eigenem Recht Beschwerde einlegen, § 32 Abs. 2 RVG.
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II. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat ihr mit zutreffender Begründung nicht abgeholfen. Im Einzelnen gilt folgendes:
10
1. Die seit 01.01.2020 für Streitwertbeschwerden allein zuständige Kammer 2 des Landesarbeitsgerichts Nürnberg folgt grundsätzlich den Vorschlägen der auf Ebene der Landesarbeitsgerichte eingerichteten Streitwertkommission. Diese sind im jeweils aktuellen Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit niedergelegt (derzeitige Fassung vom 09.02.2018, NZA 2018, 498). Der Streitwertkatalog entfaltet zwar keine Bindungswirkung. Er stellt aber aus Sicht des erkennenden Gerichts eine ausgewogene mit den gesetzlichen Vorgaben übereinstimmende Orientierung für die Arbeitsgerichte dar.
11
2. Das Arbeitsgericht hat den Bestandsstreit zutreffend mit 4.952,88 € bewertet. Nach Ziff. I Nr. 21.1 Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit ist eine außerordentliche Kündigung, die hilfsweise als ordentliche erklärt wird (einschließlich Umdeutung nach § 140 BGB), höchstens mit der Vergütung für ein Vierteljahr zu bewerten, unabhängig davon, ob sie in einem oder mehreren Schreiben erklärt werden. In diesem Falle handelt es sich nämlich wirtschaftlich um eine Einheit, auch der Streitgegenstand ist letztlich der gleiche, da die ausgesprochenen Kündigungen von dem Kündigenden ebenfalls als eine Einheit angesehen werden (GMP Germelmann/Künzl, ArbGG, 9. Aufl., § 12 ArbGG, Rn 109). Deshalb ist auch der Streitwert nicht über die Grenze des § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG festzusetzen. Das Arbeitsgericht ist hierbei zutreffend vom dem in der Klage angegebenen Bruttomonatsgehalt ausgegangen. Hiergegen wendet sich die Beschwerdeführerin auch nicht.
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3. Der neben dem besonderen Kündigungsschutzantrag gestellte allgemeine Feststellungsantrag führt gem. Ziff. I Nr. 17.2, 21.2 des Streitwertkatalogs zu keiner zusätzlichen Bewertung, denn es handelt sich - soweit nicht andere Beendigungstatbestände zu anderen Beendigungszeitpunkten betroffen werden - noch immer um den identischen Bestandsstreit, für den die Höchstgrenze des § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG gilt.
13
4. Das Arbeitsgericht hat den im Wege der Klageerweiterung geltend gemachten Anspruch auf Annahmeverzugslohn zu Recht nicht zusätzlich berücksichtigt. Es konnte mit dem Wert des Bestandsstreits eine Verrechnung vornehmen, denn wegen der Abhängigkeit der Zahlungsforderung vom Ausgang des Bestandsstreits ist bis zur Höhe des hierfür festgesetzten Streitwerts von einer wirtschaftlichen Identität auszugehen, (vgl. Ziffer I Nr. 6 Streitwertkatalog).
14
Bei der Klage auf Annahmeverzugslohn handelt sich zwar um einen bürgerlichen Rechtsstreit, bei der sich der Gegenstandswert grundsätzlich nach der Höhe der geltend gemachten Geldforderung richtet, §§ 23 Abs. 1 Satz 1 RVG, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, 3 ZPO. Wird in einem Bestandsstreit im Wege der Klagehäufung Annahmeverzugsvergütung geltend gemacht, bei der die Vergütung vom streitigen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses abhängt, so besteht nach dem Beendigungszeitpunkt eine wirtschaftliche Identität zwischen dem Bestandsstreit und der Zahlungsklage. Insoweit findet nach § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG keine Wertaddition statt, vielmehr ist der höhere Wert maßgeblich (vgl. LAG Nürnberg 22.02.2019 - 4 Ta 11/19; 16.04.2018 - 4 Ta 40/18; 02.02.2011 - 4 Ta 189/10 - JurBüro 2011, 258; Hessisches LAG 01.08.2014 - 1 Ta 190/14; LAG Rheinland-Pfalz 04.05.2010 - 1 Ta 55/10; beide zitiert in Juris).
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Von einer wirtschaftlichen Identität beider Streitgegenstände ist nach ständiger Rechtsprechung des Beschwerdegerichts dann auszugehen, wenn der Erfolg der Entgeltklage von dem der Kündigungsschutzklage unmittelbar abhängt. In diesem Fall verfolgt der Arbeitnehmer mit beiden Klagen dasselbe wirtschaftliche Ziel, die Erhaltung und Durchsetzung seiner Entgeltansprüche nach dem Beendigungstermin der angegriffenen Kündigung. Dies ist im Rahmen des § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG zu berücksichtigen. Bei dem vom Erfolg der Kündigungsschutzklage abhängigen Entgeltanspruch handelt es sich, ebenso wie bei einem davon abhängigen Beschäftigungsanspruch, nämlich bei genauer Betrachtung um einen uneigentlichen Hilfsantrag i.S.d. § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG. Hieran knüpft auch die Regelung in Ziffer I Nr. 6 des Streitwertkatalogs an (LAG Nürnberg 22.02.2019 - 4 Ta 11/19 und 16.04.2018 - 4 Ta 40/18 mwN).
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Der entgegenstehenden Rechtsansicht des LAG Düsseldorf (Beschluss vom 16.06.2017 - 4 Ta 211/17 - zitiert in Juris) folgt die Beschwerdekammer nicht. Das für die Bemessung des Gegenstandswertes des Bestandsstreits i.R.d. § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG entscheidende wirtschaftliche Interesse der Klagepartei ist genau dasselbe wie das an der Zahlungsklage, soweit es den Annahmeverzug nach dem Beendigungstermin der angegriffenen Kündigung betrifft.
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Dies schließt nicht aus, dass sich aus dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses auch noch andere Rechtsfolgen ergeben können, die in die Ermittlung des Streitwerts nach § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG nicht einfließen.
18
Die wirtschaftliche Identität ist auch nicht nur bezogen auf den Drei-Monats-Zeitraum ab dem streitigen Beendigungstermin zu prüfen. Wirtschaftliche Identität besteht vielmehr grundsätzlich für den gesamten Zeitraum des von der Wirksamkeit der Kündigung abhängenden und geltend gemachten Annahmeverzugsanspruchs. Die Abhängigkeit endet nicht nach einem Vierteljahr. Nur die Höhe des Wertes des Bestandsstreits ist durch § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG begrenzt. Im Rahmen der Prüfung der wirtschaftlichen Identität sind daher die zunächst isoliert zu ermittelnden Werte des Bestandsstreits (ggf. unter Berücksichtigung mehrerer Kündigungen mit unterschiedlichen Beendigungszeitpunkten, s. Ziff. I. 21.3 Streitwertkatalog) einerseits und des auf Zahlung des Annahmeverzugs gerichteten Leistungsantrags andererseits zu vergleichen. Festzusetzen ist dann der höhere Wert (GMP Germelmann/Künzl, ArbGG, 9. Aufl., § 12 ArbGG, Rn 115).
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Nur ergänzend sei erwähnt, dass der zunächst isoliert zu ermittelnde Wert des Annahmeverzugsanspruchs vorliegend nicht 4.861,70 € beträgt, sondern lediglich 3.037,60 €. Die Prozessvertreter haben die im Antrag abgezogenen auf die BA übergegangenen Ansprüche nicht berücksichtigt.
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III. Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden alleine ergehen, § 78 Satz 3 ArbGG.
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IV. Für eine Kostenentscheidung bestand kein Anlass, da das Beschwerdeverfahren gebührenfrei ist und eine Kostenerstattung nicht stattfindet, § 68 Abs. 3 GKG.