Inhalt

VGH München, Beschluss v. 02.09.2020 – 11 CS 20.1438
Titel:

Feststellung der Inlandsungültigkeit einer EU-Fahrerlaubnis

Normenketten:
FeV § 7 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, § 28 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1 Nr. 2, S. 2
RL2006/126/EG Art. 2 Abs. 1, Art. 7, Art. 12, Art. 15 S. 1
Leitsätze:
1. Ein Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis muss aufgrund der vom Ausstellungsmitgliedstaat stammenden Informationen nicht bereits von vornherein abschließend erwiesen sein. Vielmehr reicht es aus, wenn diese Informationen darauf „hinweisen“, dass ein Wohnsitzverstoß vorliegt. Dann können die Behörden und Gerichte des Aufnahmemitgliedstaats auch inländische Umstände zur Beurteilung der Frage heranziehen, ob die Wohnsitzvoraussetzung eingehalten ist (stRspr vgl. BVerwG BeckRS 2019, 29034 Rn. 25; VGH München BeckRS 2019, 3426 Rn. 20). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Umstand, dass ein Fahrerlaubnisinhaber im Ausstellungsmitgliedstaat Eigentümer eines Anwesens ist, dass dort enge Familienangehörige leben und dass auch administrative Beziehungen zu Behörden und Sozialdiensten bestehen, besagt nichts über den Wohnsitz, der gleichwohl an einem anderen Ort liegen kann (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Inlandsungültigkeit einer polnischen Fahrerlaubnis, Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung, Wohnsitzverstoß, unbestreitbare Informationen aus dem Ausstellungsmitgliedstaat, Wohnsitzerfordernis
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Beschluss vom 28.05.2020 – B 1 S 20.451
Fundstelle:
BeckRS 2020, 24645

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen die Anordnung des Sofortvollzugs hinsichtlich der Feststellung der Inlandsungültigkeit seiner polnischen Fahrerlaubnis der Klassen C, C1, C1E, CE, D, DE, D1 und D1E und der Verpflichtung zur Vorlage seines Führerscheins.
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Der Antragsteller ist polnischer Staatsangehöriger. Mit Schreiben vom 18. September 2018 informierte die Verkehrspolizeiinspektion Nürnberg das Landratsamt Forchheim (im Folgenden: Landratsamt) über einen Verkehrsunfall, an dem der Antragsteller beteiligt war. Er habe einen polnischen Führerschein vorgelegt, der am 8. August 2008 ausgestellt worden sei, sei aber seit 8. August 2007 dauerhaft in Deutschland gemeldet. Über das Kraftfahrt-Bundesamt erhielt das Landratsamt die Auskunft der zuständigen polnischen Behörde des Kreises Brzozów vom 18. Juni 2019, wonach die Fahrerlaubnis des Antragstellers am 28. August 2018 verlängert worden sei. Als Adresse im Führerschein sei … … … eingetragen. Die Fragen nach einem gewöhnlichen Wohnsitz des Antragstellers für mindestens 185 Tage im Kalenderjahr unter der angegebenen Adresse und nach einer beruflichen Tätigkeit vor Ort verneinte die polnische Behörde; die Fragen nach engen Familienangehörigen, nach einer existierenden Unterkunft, nach Eigentum und nach administrativen Verbindungen zu örtlichen Behörden bejahte sie hingegen.
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Mit Bescheid vom 11. November 2019 stellte das Landratsamt fest, der Antragsteller sei nicht berechtigt, von seiner polnischen Fahrerlaubnis der Klassen C, C1, C1E, CE, D, DE, D1 und D1E im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen (Nr. 1), verpflichtete ihn zur Vorlage des polnischen Führerscheins zur Eintragung eines Sperrvermerks (Nr. 2) und ordnete hinsichtlich der Nr. 1 und 2 den Sofortvollzug an (Nr. 5). Im Zeitpunkt der Erteilung bzw. Verlängerung der Fahrerlaubnis für die genannten Klassen durch die polnischen Behörden am 28. August 2018 habe der Antragsteller den eingeholten Auskünften zufolge keinen ordentlichen Wohnsitz von mindestens 185 Tagen im Jahr in Polen gehabt.
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Den beim Verwaltungsgericht Bayreuth eingereichten Antrag, die aufschiebende Wirkung der gegen den Bescheid erhobenen Klage wiederherzustellen bzw. anzuordnen, hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 28. Mai 2020 abgelehnt. Unbestreitbare Informationen aus dem Ausstellungsmitgliedstaat würden darauf hinweisen, dass der Antragsteller im Jahr 2018 keinen gewöhnlichen Aufenthalt von über 185 Tagen in Polen gehabt habe. Einen solchen Aufenthalt habe die polnische Behörde in ihrer Auskunft vom 18. Juni 2019 ausdrücklich verneint. Gegenteiliges ergebe sich auch nicht aus der nachgereichten Information dieser Behörde vom 4. November 2019 über eine Vorsprache des Antragstellers, in der dieser angegeben habe, sein Aufenthalt in Polen im Jahr 2018 und in den vorhergehenden Jahren sei regelmäßig länger als 185 Tage gewesen. Es handele sich lediglich um die Wiedergabe der Behauptung des Antragstellers, nicht jedoch um eine amtliche Bestätigung seines gewöhnlichen Aufenthalts von 185 Tagen in Polen im Zeitpunkt der Verlängerung der Fahrerlaubnis. Ein gewichtiger inländischer Umstand gegen einen ordnungsgemäßen Wohnsitz in Polen sei die dauerhafte Meldung des Antragstellers mit Hauptwohnsitz in Deutschland seit 2007 und dessen Beschäftigung bei einem deutschen Unternehmen. Auch seine Ehefrau und der gemeinsame Sohn seien seit September 2010 durchgehend mit Wohnsitz in Deutschland registriert, was auf einen entsprechenden Lebensmittelpunkt hindeute. Der Antragsteller habe den Verdacht eines Wohnsitzverstoßes nicht durch sein Vorbringen entkräftet, dass er polnischer Staatsangehöriger sei, ein landwirtschaftliches Anwesen mit zwei Häusern unter der im Führerschein angegebenen Adresse in Polen besitze und im Jahr 2018 an nur 172 Tagen in Deutschland gearbeitet habe. Er habe nicht hinreichend dargelegt, dass er jeden Tag, an dem er nicht für das deutsche Unternehmen gearbeitet habe, in seinem Anwesen in Polen verbracht habe. Aufgrund der Entfernung von Deutschland und der Meldung seiner Ehefrau und seines Sohnes in Deutschland sei dies selbst bei regelmäßigen Fahrten nach Polen nicht anzunehmen.
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Zur Begründung der hiergegen eingelegten Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, lässt der Antragsteller im Wesentlichen vortragen, die Maßnahme verletze den unionsrechtlichen Anerkennungsgrundsatz. Für einen Wohnsitzverstoß sei die Führerscheinbehörde beweispflichtig. Der Antragsteller habe die Frage nach einem gewöhnlichen Aufenthalt von mindestens 185 Tagen in Polen deshalb zunächst falsch beantwortet, weil er nach einem durchgängigen Aufenthalt von 185 Tagen gefragt worden sei, den er tatsächlich nicht gehabt habe. Allerdings sei er in den Ferienwochen und an den Wochenenden regelmäßig und insgesamt mehr als 185 Tage in Polen gewesen. Dort besitze er Eigentum und betreibe eine Landwirtschaft. Das Verwaltungsgericht habe fälschlich angenommen, dass eine Mitteilung der polnischen Behörden existiere, wonach er dort nicht gemeldet sei. Die Anforderungen der vom Antragsteller erbrachten Begutachtungen und Schulungen für die Fahrerlaubnis seien in Polen höher als in Deutschland. Deren erneute Durchführung in Deutschland sei mit erheblichem Kosten- und Zeitaufwand verbunden und eine reine Förmelei. Außerdem arbeite der Antragsteller als LKW-Fahrer in einem systemrelevanten Beruf.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
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Es kann dahinstehen, ob die Beschwerde wegen des fehlenden Antrags unzulässig ist (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 3 und 4 VwGO) oder ob sich das Begehren noch hinreichend durch Auslegung ermitteln lässt. Sie ist jedenfalls unbegründet. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern und die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen (Feststellung der Inlandsungültigkeit der polnischen Fahrerlaubnis und Verpflichtung zur Vorlage des Führerscheins) bzw. anzuordnen (Zwangsgeldandrohung) wäre.
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1. a) Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV, BGBl I S. 1980), zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Oktober 2019 (BGBl I S. 1416), dürfen Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Abs. 1 oder 2 FeV in der Bundesrepublik Deutschland haben - vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 - im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV gilt die Berechtigung nach § 28 Abs. 1 FeV nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Information zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Abs. 1 oder 2 FeV im Inland hatten, es sei denn, dass sie als Studierende oder Schüler im Sinne des § 7 Abs. 2 FeV die Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts erworben haben. Über die fehlende Berechtigung kann die Behörde einen feststellenden Verwaltungsakt erlassen (§ 28 Abs. 4 Satz 2 FeV).
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Ein ordentlicher Wohnsitz im Inland wird nach § 7 Abs. 1 Satz 2 FeV angenommen, wenn der Betroffene wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder - bei fehlenden beruflichen Bindungen - wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen ihm und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, das heißt während mindestens 185 Tagen im Jahr, im Inland wohnt. Liegen die persönlichen Bindungen im Inland, hält sich der Betroffene aber aus beruflichen Gründen in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten der EU (oder EWR) auf, hat er seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland, sofern er regelmäßig dorthin zurückkehrt (§ 7 Abs. 1 Satz 3 FeV). Die Voraussetzung der regelmäßigen Rückkehr entfällt, wenn sich der Betroffene zur Ausführung eines Auftrags von bestimmter Dauer in einem solchen Staat aufhält (§ 7 Abs. 1 Satz 4 FeV).
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Diese Bestimmungen stehen mit Art. 2 Abs. 1, Art. 7 und Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (Neufassung, ABl EG Nr. L 403 S.18 - RL 2006/126/EG), insbesondere mit der Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine (mit der Folge der Anerkennung der dem Dokument zugrundeliegenden Fahrerlaubnis, vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2018 - 3 C 9.17 - BVerwGE 162, 308 Rn. 28), in Einklang. Voraussetzung für die Ausstellung eines Führerscheins und für dessen Erneuerung bei Ablauf der Gültigkeitsdauer ist ein ordentlicher Wohnsitz im Hoheitsgebiet des ausstellenden Mitgliedstaats im Sinne des Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG oder der Nachweis eines dortigen Studiums während eines Mindestzeitraums von sechs Monaten (Art. 7 Abs. 1 Buchst. e, Abs. 3 Satz 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/126/EG). Die Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung von durch EU-Mitgliedstaaten erteilten Fahrerlaubnissen gemäß Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG gilt nicht, wenn entweder Angaben im zugehörigen Führerschein oder andere vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührende unbestreitbare Informationen vorliegen, nach denen das Wohnsitzerfordernis nicht eingehalten wurde (vgl. EuGH, U.v. 1.3.2012 - C-467/10, Akyüz - NJW 2012, 1341 Rn. 62; B.v. 9.7.2009 - C-445/08, Wierer - NJW 2010, 217 Rn. 51). Solche Informationen können insbesondere Angaben einer Einwohnermeldebehörde des Ausstellungsmitgliedstaats sein (EuGH, B.v. 9.7.2009 a.a.O. Rn. 61).
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Zwar ist nur der Ausstellungsmitgliedstaat für die Überprüfung zuständig, ob die im Unionsrecht aufgestellten Mindestanforderungen, insbesondere die Voraussetzungen hinsichtlich des ordentlichen Wohnsitzes und der Fahreignung, erfüllt sind und ob somit die Erteilung einer Fahrerlaubnis gerechtfertigt ist. Hat ein Aufnahmemitgliedstaat triftige Gründe, die Ordnungsgemäßheit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins zu bezweifeln, so hat er dies dem Ausstellungsmitgliedstaat mitzuteilen. Es ist allein Sache dieses Mitgliedstaates, geeignete Maßnahmen in Bezug auf diejenigen Führerscheine zu ergreifen, bei denen sich nachträglich herausstellt, dass ihre Inhaber die vorgeschriebenen Voraussetzungen nicht erfüllten (BVerwG, B.v. 24.10.2019 - 3 B 26.19 - NJW 2020, 1600 Rn. 21 f. m.w.N.). Zu der eigenständigen Entscheidung, dem in einem anderen EU-Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein in seinem Hoheitsgebiet die Anerkennung zu versagen, ist ein Aufnahmemitgliedstaat jedoch befugt, wenn aufgrund von Angaben im Führerschein selbst oder anderen vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, dass die unionsrechtlich vorgesehene Voraussetzung eines ordentlichen Wohnsitzes zum Zeitpunkt der Führerscheinausstellung nicht beachtet wurde (BVerwG, B.v. 24.10.2019 a.a.O. Rn. 23). Dabei muss ein Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis aufgrund der vom Ausstellungsmitgliedstaat stammenden Informationen nicht bereits von vornherein abschließend erwiesen sein (vgl. BayVGH, U.v. 4.3.2019 - 11 B 18.34 - juris Rn. 21 m.w.N.; B.v. 12.1.2018 - 11 CS 17.1257 - juris Rn. 10; B.v. 23.1.2017 - 11 ZB 16.2458 - juris Rn. 12; OVG NW, B.v. 9.1.2018 -16 B 534/17 - juris Rn. 14 ff. m.w.N). Vielmehr reicht es aus, wenn diese Informationen darauf „hinweisen“, dass ein Wohnsitzverstoß vorliegt. Dann können die Behörden und Gerichte des Aufnahmemitgliedstaats auch inländische Umstände zur Beurteilung der Frage heranziehen, ob die Wohnsitzvoraussetzung eingehalten ist (stRspr vgl. BVerwG, B.v. 24.10.2019 a.a.O. Rn. 25; BayVGH, U.v. 4.3.2019 a.a.O. Rn. 20; B.v. 12.1.2018 a.a.O. Rn. 10). Es obliegt dann dem Inhaber der Fahrerlaubnis, substantiierte und verifizierbare Angaben zu Beginn und Ende seines Aufenthalts im Ausstellungsmitgliedstaat sowie zu den persönlichen und beruflichen Bindungen zu machen, die im maßgeblichen Zeitraum zu dem im Führerschein angegebenen Wohnort bestanden. Dies gilt in besonderer Weise, wenn der Inhaber des Führerscheins gleichzeitig einen Wohnsitz in Deutschland beibehalten hat (BVerwG, B.v. 24.10.2019 a.a.O. Rn. 28).
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b) Hieraus folgt zunächst, dass es dem Landratsamt nicht verwehrt war, der Frage nachzugehen, ob der Antragsteller bei der Verlängerung der polnischen Fahrerlaubnis der Klassen C, C1, C1E, CE, D, DE, D1 und D1E am 28. August 2018 tatsächlich einen ordentlichen Wohnsitz von mindestens 185 Tagen im Jahr in Polen hatte (vgl. EuGH, U.v. 26.4.2012 - C-419/10, Hofmann - juris Rn. 90). Die Erfüllung des Wohnsitzerfordernisses setzt insbesondere voraus, dass die aufgestellten Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Erteilung bzw. Verlängerung der Fahrerlaubnis im Ausstellungsmitgliedstaat bestehen (vgl. EuGH B.v. 9.7.2009 - C-445/08 - Wierer - EuZW 2009, 735 Rn. 51; BVerwG, U.v. 25.2.2010 - 3 C 15.09 - BVerwGE 136, 149 Rn. 22). Durch den Eintrag eines im Gebiet des Ausstellungsmitgliedstaats liegenden Wohnorts im Führerschein wird das tatsächliche Innehaben eines Wohnsitzes an diesem Ort nicht positiv und in einer Weise bewiesen, dass die Behörden und Gerichte anderer EU-Mitgliedstaaten dies als nicht zu hinterfragende Tatsache hinzunehmen hätten (vgl. BayVGH, U.v. 25.9.2012 - 11 B 10.2427 - NZV 2013, 259). Die Verpflichtung zu gegenseitiger Amtshilfe nach Art. 15 Satz 1 der Richtlinie 2006/126/EG vermittelt dem Aufnahmemitgliedstaat vielmehr das Recht, sich im Zweifelsfall bei den Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats über das tatsächliche Bestehen eines ordentlichen Wohnsitzes zu erkundigen. Dem steht die Verpflichtung dieses Staats gegenüber, einschlägige Informationen zur Verfügung zu stellen (vgl. BayVGH, U.v. 7.5.2015 - 11 B 14.654 - juris Rn. 33).
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Der Abfrage des Melderegisters vom 2. Oktober 2018 zufolge ist der Antragsteller seit dem 8. August 2007 durchgehend mit Wohnsitz in O* … gemeldet. Daraus ergeben sich berechtigte Zweifel hinsichtlich der Einhaltung des Wohnsitzerfordernisses im Zeitpunkt der Verlängerung der Fahrerlaubnis durch die polnischen Behörden am 28. August 2018, denen das Landratsamt nachgehen durfte. Diese Bedenken haben sich durch die eingeholte Auskunft der Behörde des Kreises Brzozów vom 18. Juni 2019 bestätigt, wonach der Antragsteller sich weder für mindestens 185 Tage im Kalenderjahr unter der angegebenen Anschrift aufgehalten noch beruflich dort tätig war.
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Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass er dort offenbar Eigentümer eines Anwesens ist, dass dort enge Familienangehörige leben und dass auch administrative Beziehungen zu Behörden und Sozialdiensten bestehen. Dies besagt nichts über den Wohnsitz des Antragstellers, der gleichwohl an einem anderen Ort liegen kann. Auch die nachgereichte Bestätigung der Behörde des Kreises Brzozów vom 4. November 2019 über eine Erklärung des Antragstellers, er habe sich im Jahr 2018 und in den vorhergehenden Jahren regelmäßig länger als 185 Tage in Polen aufgehalten, besagt über den Umstand hinaus, dass der Antragsteller eine entsprechende Erklärung abgegeben hat, nicht, dass die polnischen Behörden einen entsprechenden Aufenthalt überprüft hätten und bestätigen könnten. Aus der Bescheinigung seines deutschen Arbeitgebers vom 5. Dezember 2019 über die im Jahr 2018 tatsächlich geleisteten 172 Arbeitstage ergibt sich ebenfalls kein ordentlicher Wohnsitz in Polen am Tag der Verlängerung der Fahrerlaubnis. Vielmehr lässt sich dieser Bestätigung entnehmen, dass der Antragsteller mit Ausnahme eines einzigen Monats (Januar) im Jahr 2018 in jedem Monat zwischen 11 und 20 Tagen gearbeitet hat. Ein dennoch bestehender ordentlicher Wohnsitz in Polen im Sinne von § 7 FeV bzw. Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG ist daher fernliegend, zumal auch die Ehefrau und der Sohn des Antragstellers an seinem Wohnort in Deutschland gemeldet sind. Es hätte daher dem Antragsteller oblegen, nähere Angaben zu seinem Aufenthalt in Polen zu machen. Hierfür sind die Angabe der Anschrift und die Vorlage eines Google-Maps-Screenshots, auf dem das Grundstück mit dem Anwesen zu sehen ist, nicht ausreichend.
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c) Der Antragsteller kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Anforderungen für die von ihm erbrachten Begutachtungen und Schulungen für die Fahrerlaubnis in Polen höher seien als in Deutschland, dass deren erneute Durchführung in Deutschland mit erheblichem Kosten- und Zeitaufwand verbunden sei und dass er als LKW-Fahrer in einem systemrelevanten Beruf arbeite. All dies ändert nichts daran, dass die polnische Fahrerlaubnis aufgrund des Wohnsitzverstoßes im Zeitpunkt ihrer Verlängerung ihn nicht dazu berechtigt, hiervon im Bundesgebiet Gebrauch zu machen. Der Berechtigungsausschluss folgt bereits aus der Nichtbeachtung der den ordentlichen Wohnsitz betreffenden Vorschriften für sich, eines Verkehrsverstoßes oder sonstiger Voraussetzungen bedarf es nicht (vgl. BVerwG, B.v. 24.10.2019 - 3 B 26.19 - NJW 2020, 1600 Rn. 19, 34).
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2. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
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3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nrn. 1.5, 46.4 und 46.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
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4. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).