VG München, Beschluss v. 07.08.2020 – M 4 S 19.5871
Titel:

Erlöschen einer Niederlassungserlaubnis und einer ARB-Berechtigung wegen jahrelangen Auslandsaufenthalts

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 123
AufenthG § 2 Abs. 3 S. 1, § 51 Abs. 1 Nr. 6, Nr. 7, Abs. 2
ARB 1/80 Art. 7, Art. 14
Leitsätze:
1. Ein vorübergehender Grund i.S. des § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG liegt dann vor, wenn der Auslandsaufenthalt nach seinem Zweck typischerweise zeitlich begrenzt ist und keine wesentliche Änderung der gewöhnlichen Lebensumstände in Deutschland mit sich bringt. Neben Dauer und Zweck des Aufenthalts sind alle objektiven Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen; auf den inneren Willen kann es dabei nicht allein ankommen. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Maßgeblich für die nach § 51 Abs. 2 S. 1 AufenthG zu treffende Prognoseentscheidung, ob der Lebensunterhalt des Ausländers für den Fall seiner zukünftigen Wiedereinreise zumindest auf absehbare Zeit gesichert ist, ist der Zeitpunkt des Eintritts der Erlöschensvoraussetzungen. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Türkischer Staatsangehöriger, Erlöschen der Niederlassungserlaubnis, Mehrjähriger Aufenthalt in der Türkei, Maßgeblicher Zeitpunkt der Prognose zur Sicherung des Lebensunterhalts, Lebensunterhaltssicherung, Erlöschen einer ARB-Berechtigung, mehrjähriger Auslandsaufenthalt, Sicherung des Lebensunterhalts, Prognose, maßgeblicher Zeitpunkt, Arbeitslosengeld, Trennungsunterhalt
Fundstelle:
BeckRS 2020, 24160

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners, mit dem dem Antragsteller eine Ausreisefrist gesetzt und die Abschiebung in die Türkei angedroht wurde. Hilfsweise begehrt der Antragsteller die Verpflichtung des Antragsgegners, die Abschiebung bis zur Hauptsacheentscheidung auszusetzen.
2
Der am … … … in der Türkei geborene Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger, heiratete am … … 1989 eine in Deutschland lebende Türkin, der ein unbefristetes Aufenthaltsrecht zusteht (Bl. * … … der Ausländerakte), und reiste am … … 1990 mit einem Visum zum Familiennachzug erstmals in das Bundesgebiet ein (Bl. * … **).
3
Am 21. Februar 1991 erteilte die Ausländerbehörde dem Antragsteller eine befristete Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug, die nachfolgend mehrfach bis zum 14. Mai 1998 verlängert wurde (Bl. * … … … … **). Am 13. November 1998 erteilte die zuständige Ausländerbehörde dem Antragsteller eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis (Bl* * **).
4
Der Antragsteller ging während seines Aufenthalts nach eigenen Angaben neben zwei kurzfristigen Gewerbetätigkeiten von zwei Monaten bzw. einem Jahr und drei Monaten, die in den Jahren 1998 und 2006 wieder aufgegeben wurden (Bl. I … … und I … …*), versicherungspflichtigen Beschäftigungen, u.a. im Gastronomiebereich nach. Die letzte aktenkundige Erwerbstätigkeit des Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland endete ausweislich eines vorgelegten Rentenversicherungsverlaufs des Antragstellers vom 23. Mai 2019 am 22. Juli 2012. Der Rentenversicherungsverlauf des Antragstellers (K 4 zu Klage M 4 K …*) weist folgende Pflichtversicherungsbeitragszeiten und -summen auf:
5
Der Antragsteller und seine Ehefrau sind Eltern von drei Kindern (geboren in den Jahren 1992, 1993 und 2000).
6
Der Antragsteller und seine Ehefrau lebten nach Angaben der Ehefrau gegenüber der Polizei am 21. Februar 2013 seit September 2012 getrennt. Der Antragsteller zog nach den Angaben seiner Ehefrau im Oktober 2012 nach … und kam „hin und wieder zu Besuch für ein paar Tage“. Die Ehe wurde am … Oktober 2013 geschieden. Der Antragsteller lebte zu diesem Zeitpunkt nach den Angaben im Scheidungsurteil in der Türkei (Bl. I …*). Ausweislich einer polizeilichen Aufenthaltsermittlung vom 22. November 2013 bestätigte die geschiedene Ehefrau ihre Angaben vom 21. Februar 2013 und erklärte, der Antragsteller komme „seine Kinder alle drei Monate besuchen“ (Bl. I …*). Das Einwohnermeldeamt meldete am 26. November 2013 den Wohnsitz des Antragstellers rückwirkend zum 21. Februar 2013 aus der …, … ab (Bl. I … ff.).
7
Am 26. November 2018 erfasste die Gemeinde … den Zuzug des Antragstellers im Landkreisgebiet zum 20. November 2018 (Bl. … *). Das Sozialamt des Landratsamts … teilte dem Ausländeramt mit E-Mail vom 11. Dezember 2018 mit, dass der Antragsteller beim Jobcenter … einen Antrag auf Sozialhilfe gestellt und angegeben habe, die letzten fünf Jahre in der Türkei gelebt zu haben (Bl. II **).
8
Ausweislich eines internen Aktenvermerks des Landratsamts … vom 5. Mai 2019 ist die Niederlassungserlaubnis des Antragstellers wegen seines mehr als sechsjährigen Auslandsaufenthalts erloschen. Der Antragsteller habe nach erneuter Einreise Ende 2018 Sozialhilfe beantragt, was darauf schließen lasse, dass er seinen Lebensunterhalt entgegen § 51 Abs. 2 AufenthG nicht sichern könne (Bl. II **).
9
Das Ausländeramt des Landratsamts … erläuterte dem Antragsteller bei einer Vorsprache am 16. Mai 2019, dass seine Niederlassungserlaubnis kraft Gesetzes am 20. Februar 2015 erloschen sei und der Antragsteller sich deshalb seit dem 20. November 2018 illegal in Deutschland aufhalte. Der Antragsteller solle freiwillig bis zum 30. Mai 2019 ausreisen oder es würde ihm eine kostenpflichtige Abschiebung angedroht werden. Der Antragsteller trug bei der Vorsprache vor, wegen seiner Kinder wieder nach Deutschland gekommen und nach der Scheidung wirr im Kopf gewesen zu sein. Er habe deshalb das Land verlassen. Ausweislich des Aktenvermerks sprach der Antragsteller sehr schlecht Deutsch und habe zur Kommunikation einen Freund zum Übersetzen mitgebracht. Die Niederlassungserlaubnis des Antragstellers wurde ungültig gestempelt und ihm wurde eine Grenzübertrittsbescheinigung ausgehändigt (Bl. II … … …).
10
Der Bevollmächtigte erhob für den Antragsteller mit Schriftsatz vom 29. Mai 2019, eingegangen bei Gericht am selben Tag, Klage (M 4 K 19. …*) mit dem Antrag, dass festgestellt wird, dass die Niederlassungserlaubnis des Antragstellers nicht erloschen ist (Bl. II … ff.). Mit demselben Schriftsatz beantragte der Bevollmächtigte für den Kläger Eilrechtsschutz im Wege einer einstweiligen Anordnung (M 4 E 19. …*). Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, dass sich der Antragsteller seit 2012 in unregelmäßigen Abständen und für unterschiedliche Zeiträume in der Türkei aufgehalten habe. Die Niederlassungserlaubnis des Antragstellers sei nicht erloschen, da der Privilegierungstatbestand nach § 51 Abs. 2 AufenthG auf den Antragsteller anzuwenden sei. Dem Antragsteller sei eine Lebensunterhaltssicherung möglich. Der Antragsgegner sei bei der Prognose der Lebensunterhaltssicherung vom falschen Zeitpunkt ausgegangen, da es nach höchstrichterlicher Rechtsprechung für diese auf den Zeitpunkt des Erlöschens der Niederlassungserlaubnis - nicht auf den Zeitpunkt der Wiedereinreise - ankomme. Der genaue Zeitpunkt des Erlöschens sei bereits nicht festgestellt worden. Jedenfalls ergebe sich aus der Erwerbsbiografie des Antragstellers, dass sein Lebensunterhalt zum 21. Februar 2013 gesichert gewesen sei: Bis auf wenige Jahre habe sich der Antragsteller während seines Aufenthalts in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen befunden. Nach einer Vereinbarung mit der Exfrau habe der Antragsteller während der Ehe in Teilzeit gearbeitet, damit er die Kinder betreuen und die Ehefrau in Vollzeit arbeiten könne. Er verfüge über Berufserfahrung in verschiedenen Branchen und habe ohne weiteres eine Anschlussbeschäftigung in Vollzeit finden können. Ferner hätte er von Juli 2012 bis Juli 2014 für einen Zeitraum von zwölf Monaten einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I gehabt. Ergänzend hätte er auf Unterhaltsleistungen der in Vollzeit berufstätigen und somit leistungsfähigen Ehefrau zurückgreifen können. Der Krankenversicherungsschutz hätte bis zur Scheidung über die Ehefrau erlangt werden können. Die Exfrau des Antragstellers wäre damals bereit gewesen und sei es auch heute, eine Verpflichtungserklärung für den Antragsteller abzugeben. Des Weiteren habe der Antragsteller aktuell ein konkretes Arbeitsangebot als Servicekraft, mit dem er monatlich 1.800 Euro brutto verdienen könne. Es wurden Rentenversicherungsverläufe des Antragstellers und seiner geschiedenen Ehefrau vorgelegt.
11
Nach einer Rücknahme mit klägerischem Schriftsatz vom 4. Juli 2019 wurde das Eilverfahren (M 4 E 19. …*) mit gerichtlichem Beschluss vom 8. Juli 2019 eingestellt.
12
Der Antragsgegner übersandte dem Gericht die Behördenakten und beantragte mit Schriftsatz vom 4. September 2019 im Klageverfahren, die Klage abzuweisen (Bl. II **). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Niederlassungserlaubnis nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen sei. Die objektiven Umstände (Trennung, Arbeitsplatzverlust) zeigten deutlich, dass der Antragsteller nicht nur vorübergehend ausgereist sei, sondern seinen Lebensmittelpunkt für sechs Jahre in die Türkei verlagert habe. Es habe nur kurze Besuchsaufenthalte in Deutschland gegeben. Auch § 51 Abs. 2 AufenthG stehe einem Erlöschen nicht entgegen, da der Lebensunterhalt prognostisch zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht gesichert gewesen sei. Maßgeblicher Zeitpunkt sei vorliegend im Fall des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG sechs Monate nach der Ausreise des Antragstellers. Der Antragsteller habe keine Ausbildung und sei zum Zeitpunkt der Ausreise bereits mehrere Monate arbeitslos gewesen. Der Rentenversicherungsverlauf zeige mehrere Unterbrechungen, in denen der Antragsteller Gewerbe angemeldet habe. Aus der Ausländerakte gehe hervor, dass der Antragsteller aufgrund seiner fehlenden Ausbildung nur Hilfstätigkeiten habe ausüben können und der Lebensunterhalt zeitweise nur von der damaligen Ehefrau bestritten worden sei. Gegen eine gute Integration und gute Aussichten auf dem Arbeitsmarkt sprächen auch die schlechten Deutschkenntnisse des Antragstellers. Ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 stehe dem Antragsteller nicht zu, da der Antragsteller für einen nicht nur unerheblichen Zeitraum und ohne berechtigen Grund Deutschland verlassen und seinen Lebensmittelpunkt in die Türkei verlegt habe.
13
Am 26. September 2019 wurde der Reisepass des Antragstellers von der Ausländerbehörde einbehalten (Bl. II **).
14
Die Ausländerbehörde hörte den Antragsteller mit Schreiben vom 28. Oktober 2019 zum Erlass einer Ausreiseaufforderung samt Abschiebungsandrohung an (Bl. II …*).
15
Der Bevollmächtigte nahm mit Schreiben vom 11. November 2019 dahingehend Stellung, dass § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG vorrangig anwendbar sei und daher Oktober 2012 den maßgeblichen Prüfungszeitpunkt für die Lebensunterhaltssicherung darstelle (Bl. II … ff.). In der Gastronomie herrsche stets eine hohe Nachfrage nach erfahrenen Arbeitskräften. Die beiden volljährigen Söhne des Antragstellers seien im Oktober 2012 (und auch aktuell) vollzeitbeschäftigt gewesen und nach wie vor bereit, eine Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG abzugeben. Freiwillige Unterhaltsleistungen seien auch ohne vorliegende Verpflichtungserklärung beachtlich (VGH Baden-Württemberg, U.v. 9.11.2015 - 11 S 714/15- juris).
16
Mit Bescheid vom 12. November 2019 (Bl. II 116) forderte die Ausländerbehörde den Antragsteller auf, innerhalb von 14 Tagen aus der Bundesrepublik Deutschland auszureisen (Ziff. 1). Für den Fall einer nicht fristgerechten Ausreise wurde ihm die Abschiebung in die Türkei oder einen anderen Staat, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet sei, angedroht (Ziff. 2). Für den Fall einer Abschiebung wurde gegen den Antragsteller ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von einem Jahr angeordnet (Ziff. 3 Satz 2). Auf die Bescheidsbegründung wird Bezug genommen, § 117 Abs. 5 VwGO analog. Der Bescheid wurde dem Antragsteller gegen Empfangsbekenntnis am 12. November 2019 ausgehändigt (Bl. II …*).
17
Der Bevollmächtigte des Antragstellers erhob mit Schriftsatz vom 26. November 2019, eingegangen am selben Tag, eine weitere Klage (M 4 K 19. …*) und beantragte, den Bescheid vom 12. November 2019 aufzuheben. Weiter beantragte er:
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung wird angeordnet. Hilfsweise wird der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, bis zur Hauptsacheentscheidung die Abschiebung auszusetzen.
18
Zur Begründung wurde zunächst auf die Angaben in den Verfahren M 4 K 19. … und M 4 E 19. … und in der Stellungnahme vom 11. November 2019 Bezug genommen. Der Antragsteller habe sich seit Ende 2012 in unregelmäßigen Abständen und zu unregelmäßigen Zeiträumen zur Pflege seiner Eltern in der Türkei aufgehalten. Eine Verlagerung des Lebensmittelpunktes in die Türkei habe zu keinem Zeitpunkt stattgefunden. Auf das Fehlen deutscher Sprachkenntnisse und einer Berufsausbildung könne es im Rahmen der Prognoseentscheidung nicht ankommen, da es dem in der Gastronomie berufserfahrenen Antragsteller immer möglich sein werde, eine lebensunterhaltssichernde Tätigkeit in einem türkischen oder nicht-türkischen Gastronomiebetrieb zu finden. Die wenigsten Beschäftigten dort hätten eine Berufsausbildung. Dem Antragsteller stehe weiter ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 zu, da er das Bundesgebiet mit berechtigtem Grunde verlassen habe. Der Antragsteller habe sich unfreiwillig in die Türkei begeben, um sich um seine dort lebenden, pflegebedürftigen Eltern zu kümmern. Dafür spreche, dass er sich zu keinem Zeitpunkt in Deutschland abgemeldet habe, seine Beiträge aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht habe erstatten lassen und weiterhin (Mit)-Mieter der Wohnung in der … in … sei. Auch der Stromliefervertrag für diese Wohnung laute noch auf seinen Namen. Aus dem Reisepass des Antragstellers gehe hervor, dass er sich regelmäßig für längere Zeiten in Deutschland aufgehalten habe. Der Mietvertrag des Antragstellers und seiner Exfrau für die Wohnung in der …, … vom 31. Oktober 2001 sowie eine Stromrechnung auf den Namen des Antragsstellers für diese Wohnung vom November 2019 wurden vorgelegt. Ein Prozesskostenhilfeantrag wurde für Klage und Eilantrag gestellt.
19
Das Landratsamt … beantragte mit Schriftsatz vom 20. Februar 2020:
Der Antrag wird „zurückgewiesen“.
20
Der Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO sei unbegründet, da der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig sei. Auf den Schriftsatz vom 4. September 2019 im Verfahren M 4 E 19. … und die Begründung im streitgegenständlichen Bescheid werde verwiesen. Bis heute sei der Antragsteller nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis.
21
Auf gerichtliche Anfrage übersandte der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 18. Mai 2020 Kopien des gesamten türkischen Reisepasses des Antragstellers und teilte die Namen und Geburtsdaten der drei Kinder des Antragstellers mit. Weiter führte der Antragsgegner aus, dass der Antragsteller in der … … nach einer Einwohnermeldeamtsanfrage vom 10. Oktober 2001 bis zum 11. Oktober 2012 und vom 17. Oktober 2012 bis zum 21. Februar 2013, sowie die geschiedene Ehefrau und die im Jahr 1993 und 2000 geborenen Kinder des Antragstellers seit dem 19. Oktober 2001 gemeldet seien. Aus den Einreise- und Ausreisestempeln im Reisepass ergeben sich zwischen der Ausreise des Antragstellers im Oktober 2012 und seiner Einreise im Jahr 2018 folgende (soweit lesbar) Einreisestempel: 29. Oktober 2013 bzw. 1. November 2013, 30. April 2014 bzw. 1. Mai 2014, zu einem unbekannten Tag im Dezember 2014, am 18. Dezember 2015, am 21. November 2016 und am 17./18. Januar 2018.
22
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.
II.
23
Die zulässigen Anträge sind unbegründet.
24
1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO betreffend die in Nr. 2 des Bescheids des Antragsgegners vom 12. November 2019 angedrohte Abschiebung ist angesichts der Regelungen in Art. 21a VwZVG zulässig. Er ist jedoch unbegründet, da dem Antragsteller das geltend gemachte Aufenthaltsrecht nicht (mehr) zusteht und die Abschiebungsandrohung im Hauptsacheverfahren voraussichtlich Bestand haben wird.
25
Die Niederlassungserlaubnis des Antragstellers ist nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG aufgrund des langjährigen Auslandsaufenthalts erloschen (1.1.); auf einen Privilegierungstatbestand nach § 51 Abs. 2 AufenthG kann sich der Antragsteller nicht berufen (1.2.). Auch ein Aufenthaltsrecht des Antragstellers nach Art. 7 ARB 1/80 ist wegen des jahrelangen Auslandsaufenthalts erloschen (1.3.).
26
1.1. Nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG erlischt ein Aufenthaltstitel, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht nur vorübergehenden Grunde ausreist. Ein vorübergehender Grund in dem Sinne liegt dann vor, wenn der Auslandsaufenthalt nach seinem Zweck typischerweise zeitlich begrenzt ist und keine wesentliche Änderung der gewöhnlichen Lebensumstände in Deutschland mit sich bringt. Fehlt es an einem dieser Merkmale, liegt ein seiner Natur nach nicht nur vorübergehender Grund im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG vor. Neben der Dauer und dem Zweck des Auslandsaufenthalts sind bei der Prüfung, ob die Ausreise aus einem seiner Natur nach nicht nur vorübergehenden Grund erfolgt ist, alle objektiven Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, während es auf den inneren Willen des Ausländers und insbesondere seine Planung der späteren Rückkehr nach Deutschland nicht allein ankommen kann. § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG greift nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht nur dann, wenn der seiner Natur nach nicht nur vorübergehende Grund bereits im Zeitpunkt der Ausreise vorlag, sondern auch dann, wenn er erst während des Aufenthalts des Ausländers im Ausland eingetreten ist (vgl. BVerwG, U.v. 30.4.2009 - 1 C 6/08 - BVerwGE 134, 27 bis 41, Rn. 21 m.w.N.). Wesentlich ist auch die Dauer der Abwesenheit: Je länger sie währt und je deutlicher sie über einen bloßen Besuchs- und Erholungsaufenthalt im Ausland hinausgeht, desto mehr spricht dafür, dass der Auslandsaufenthalt nicht nur vorübergehender Natur ist (BayVGH, U.v. 27.11.2018 - 19 CE 17.550 - juris Rn. 11).
27
Nach diesen Maßstäben ist der Antragsteller nicht nur aus einem der Natur nach vorübergehenden Grunde ausgereist. Der Antragsteller ist nach dem Scheitern seiner Ehe und dem Verlust seines Arbeitsplatzes in die Türkei ausgereist. Er war in Deutschland seit dem 21. Februar 2013 melderechtlich nicht mehr erfasst und hat sich nur noch besuchsweise im Bundesgebiet aufgehalten. Als Auslöser für die nicht nur vorübergehende Ausreise ist die Trennung des Antragstellers von seiner Ehefrau im September 2012 anzusehen. Dies gab die geschiedene Ehefrau des Antragstellers am 21. Februar 2013 an und der Antragsteller bestätigte dies bei seiner Vorsprache bei der Ausländerbehörde am 16. Mai 2019. Der Antragsteller gab im Rahmen seines Antrags auf Arbeitslosenhilfe im Herbst 2018 weiter an, fünf Jahre in der Türkei gelebt zu haben. Erstmals mit Schriftsatz vom 26. November 2019 wurde vorgetragen, dass der Antragsteller in die Türkei gereist sei, um seine Eltern vorübergehend zu pflegen. Mangels jeglicher Substantiierung dieses Vortrags hält das Gericht das Vorbringen als taktisch motiviert. Sofern die Pflege der Eltern tatsächlich durch den Antragsteller persönlich geleistet worden sein sollte, kann angesichts des Zeitraums von über fünf Jahren ein vorübergehender Grund im Sinne der Rechtsprechung nicht mehr angenommen werden.
28
Weder der Mietvertrag noch die Stromrechnung auf den Namen des Antragstellers ändern an dieser Entscheidung etwas: Der Mietvertrag wurde im Jahr 2001 zusammen mit der damaligen Ehefrau als Mieterin abgeschlossen. Die ehemalige Ehefrau lebt zusammen mit den 1993 und 2000 geborenen Söhnen nach wie vor in der angemieteten Wohnung. Deshalb sprechen der Abschluss des Mietvertrages im Jahr 2001 und eine nicht erfolgte Änderung des Mietvertrags nach dem Auszug des Antragstellers im Oktober 2012 nicht dagegen, dass der Antragsteller aus einem nicht nur vorübergehenden Grund ausgereist ist. Insbesondere angesichts der Trennung des Antragstellers von seiner geschiedenen Ehefrau und der Anmeldung des Antragstellers nach erneuter Einreise im Jahr 2018 in einer anderen Wohnung in … ist auch nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller tatsächlich von 2012 bis 2018 in der Wohnung, für die er 2001 einen Mietvertrag abgeschlossen hat, gewohnt hat und dort während der geltend gemachten fünfjährigen Pflege seiner Eltern in der Türkei seinen Lebensmittelpunkt hatte.
29
Insoweit ist auch die an den Antragsteller adressierte Stromrechnung von November 2019 nicht aussagekräftig. Denn bei pünktlicher Zahlung der Rechnung war eine Ummeldung des Stromanschlusses auf die geschiedene Ehefrau des Antragstellers nicht erforderlich. Eine Glaubhaftmachung, dass der Antragsteller weiterhin seinen Lebensmittelpunkt in der früheren Familienwohnung in … hatte, ist damit nicht erfolgt.
30
Das Vorbringen, dass der Antragsgegner es dem Antragsteller mangels Aufenthaltstitels verwehrt habe, in der Familienwohnung zu wohnen, ist unglaubhaft, was bereits daraus ersichtlich ist, dass der Antragsteller seit seiner erneuten Einreise zweimal innerhalb des Landkreisgebiets umgezogen ist, ohne nach Aktenlage von dem Antragsgegner deswegen behelligt worden zu sein.
31
Auch die vom Antragsteller geltend gemachte fehlende „Übertragung“ der vom Antragsteller erwirtschafteten Rentenanwartschaften auf das türkische Rentenversicherungssystem ist nicht ausschlaggebend. Nach dem Sozialversicherungsabkommen zwischen Deutschland und der Türkei ist eine Übertragung von Anwartschaften nicht notwendig, da bei Stellen eines Rentenantrags in der Türkei unter Angabe der deutschen Rentenanwartschaften und Nachweis derselben eine Anrechnung erfolgt. Vor dem Antrag auf Auszahlung der Altersrente ist im Fall einer Altersrente kein weiteres Verwaltungsverfahren erforderlich (vgl. Informationen aus: „Arbeiten in Deutschland und der Türkei“ der Deutschen Rentenversicherung, abrufbar unter https://www.deutscherentenversicherung.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/international/weitere_abkommen/02_arbeiten_deutschland_tuerkei.pdf? blob=publicationFile& v=1). Absehen davon besteht für eine solche „Übertragung“ angesichts des fehlenden Renteneintrittsalters des Antragstellers auch noch gar kein Erfordernis.
32
Jedenfalls ist der Antragsteller länger als für sechs Monate aus dem Bundesgebiet ausgereist, § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG, so dass seine Niederlassungserlaubnis - unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG -auch deshalb erloschen ist.
33
1.2. Dem Erlöschen der Niederlassungserlaubnis steht auch nicht § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG entgegen, da der Lebensunterhalt des Antragstellers im maßgeblichen Zeitpunkt nicht gesichert war.
34
Nach § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG erlischt die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat nicht nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 und Nr. 7 AufenthG, wenn dessen Lebensunterhalt gesichert ist und kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 oder Absatz 2 Nr. 5 bis 7 AufenthG besteht. Maßgeblich für die nach § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu treffende Prognoseentscheidung, ob der Lebensunterhalt des Ausländers für den Fall seiner zukünftigen Wiedereinreise auf Dauer oder zumindest auf absehbare Zeit gesichert ist, ist der Zeitpunkt des Eintritts der Erlöschensvoraussetzungen (vgl. BVerwG, U.v. 23.3.2017 - 1 C 14.16 - juris Rn. 15; BayVGH, U.v. 27.11.2018 - 19 CE 17.550 - juris Rn. 20).
35
Die Voraussetzungen des Privilegierungstatbestands des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der Ausreise aus Deutschland im Oktober 2012 nicht die positive Prognose gestellt werden konnte, dass der Lebensunterhalt des Antragstellers für den Fall einer zukünftigen Rückkehr nach Deutschland gesichert gewesen wäre. In Anbetracht der Erwerbsbiografie und der schlechten Deutschkenntnisse des Antragstellers (1.2.1.) ist sein Lebensunterhalt zum maßgeblichen Zeitpunkt im Oktober 2012 prognostisch als nicht gesichert anzusehen. Daran ändern weder die vom Bevollmächtigten vorgetragenen Möglichkeiten, Arbeitslosengeld I (1.2.2.) bzw. Trennungsunterhalt von der damals noch nicht geschiedenen Ehefrau (1.2.3.) zu beziehen, noch die im Oktober 2012 hypothetisch freiwilligen Unterhaltsleistungen der geschiedenen Ehefrau und der erwachsenen Söhne etwas (1.2.4.).
36
Der Lebensunterhalt ist nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gesichert, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann.
37
Es ist eine positive Prognose gemäß § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG erforderlich, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist. Zweifel gehen dabei zu Lasten des ausreisenden Ausländers. Je unsicherer der Zeitpunkt einer möglichen Wiedereinreise ist, umso schwieriger ist es, eine positive Prognose zu stellen, es sei denn, der Betreffende verfügt über feste wiederkehrende Einkünfte, etwa in Gestalt einer Altersrente, oder über ein ausreichendes, auch im Bestand gesichertes Vermögen (BVerwG, U.v. 23.3.2017 - 1 C 14/16 - juris Rn. 15). Solche festen, wiederkehrenden Einkünfte des Antragstellers waren im Oktober 2012 weder ersichtlich noch wurden solche vorgetragen.
38
1.2.1. Das Gericht geht nicht davon aus, dass der Antragsteller im Oktober 2012 seinen Lebensunterhalt durch Arbeit prognostisch hätte sichern können.
39
Entgegen der Rechtsauffassung des Bevollmächtigten sind für die Prognose sowohl eine Ausbildung als auch die Deutschkenntnisse des Antragstellers zu berücksichtigen (BayVGH, B.v. 27.11.2018 - 19 CE 17.550 - juris Rn. 21). Der Antragsteller hat keine Ausbildung und arbeitete als ungelernte Hilfskraft (Bl. I **), zuletzt als Servicekraft in der Gastronomie. Die beiden von ihm angemeldeten Gewerbe sind jeweils nach eineinhalb (Bl. I … **) bzw. eineinviertel Jahren (Bl. I … …*) wieder abgemeldet worden. Der Antragsteller war zwar seit dem 20. März 2008 bis zum 22. Juli 2012 durchgängig versicherungspflichtig - nach Angaben des Antragstellers als Servicekraft in der Gastronomie - beschäftigt. Hier ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller lediglich geringe Jahresbruttoentgelte in Höhe von durchschnittlich 7.500 Euro erwirtschaftete. Dies folgte zwar aus der absprachemäßigen Teilzeittätigkeit des Antragstellers, um den jüngsten Sohn, der im Jahr 2000 geboren ist, zu betreuen. Allerdings ergibt sich hieraus auch, dass nicht gesichert erscheint, dass der Antragsteller im Oktober 2012 einen Arbeitsplatz in Vollzeit gefunden hätte, mit dem er seinen Lebensunterhalt vollumfänglich bestreiten hätte können: Dagegen sprechen zum einen die schlechten Deutschkenntnisse des Antragstellers, der nach mehr als 22 Jahren, in denen sein Lebensmittelpunkt in Deutschland lag, nach wie vor offenbar nicht ausreichend Deutsch sprach, um sich ohne Hilfe eines Dolmetschers mit der Ausländerbehörde zu verständigen. Weiter nimmt das Gericht entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten nicht an, dass der Antragsteller ohne Weiteres eine Vollzeittätigkeit hätte finden können. Dagegen spricht bereits, dass der Antragsteller zwischen dem 22. Juli 2012 und seiner Ausreise im Oktober 2012 keine neue Arbeitsstelle gefunden hat, ohne dass hierfür ein Grund ersichtlich ist. Eine positive Prognose der dauerhaften Lebensunterhaltssicherung in Deutschland durch Erwerbsarbeit ist wegen der schlechten Deutschkenntnisse, der fehlenden Ausbildung und der unbeständigen, lückenhaften Erwerbsbiografie des Antragstellers im maßgeblichen Zeitpunkt nicht möglich.
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1.2.2. Der Antragsteller mag zwar nach Angaben des Bevollmächtigten die Möglichkeit gehabt haben, Arbeitslosengeld I zu beanspruchen, was nach § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 6 AufenthG bei der Lebensunterhaltssicherung berücksichtigungsfähig ist. Allerdings berechnet sich die Höhe der Leistungen des Arbeitslosengelds I auf Grundlage des Bruttoerwerbslohns im vorangegangenen Bezugszeitraum (ein oder zwei Jahre). Aufgrund des niedrigen erwirtschafteten Bruttoerwerbslohns des Antragstellers in den Jahren vor 2013, der sich aus dem vorgelegten Rentenversicherungsverlauf ergibt, war auch nur ein Anspruch auf Arbeitslosengeld I in niedriger Höhe zu erwarten. Dieser reichte jedenfalls nicht zur Lebensunterhaltssicherung.
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1.2.3. Auch der mögliche Trennungsunterhalt, den der Antragsteller von seiner damaligen Ehefrau hätte beanspruchen können, reichte voraussichtlich nicht aus, um den Lebensunterhalt des Antragstellers dauerhaft bzw. zumindest auf absehbare Zeit zu sichern.
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Eine zur Lebensunterhaltssicherung ausreichende Höhe des Trennungsunterhalts wurde mangels ausreichender Darlegung von Berechnungsgrundlagen des Trennungsunterhaltsanspruchs schon nicht glaubhaft gemacht. Eine hypothetische Berechnung muss daher dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Allerdings hat das Gericht nach Aktenlage Zweifel, dass der Antragsteller seinen Lebensunterhalt durch einen geltend gemachten Trennungsunterhaltsanspruch hätte sichern können: Als sozialversicherungspflichtiger Bruttolohn der geschiedenen Ehefrau des Antragstellers im Jahr 2012 sind im vorgelegten Rentenversicherungsverlauf 28.369 Euro angegeben. Daraus ergibt sich ein Nettoeinkommen in Höhe von monatlich circa 1.800 bis 2.000 Euro. Abzüglich eines Erwerbstätigenbonus von 10%, berufsbedingter Aufwendungen in Höhe von 5%, Unterhaltsleistungen an das noch minderjährige Kind, anzusetzender externer Kinderbetreuungskosten wegen der Trennung sowie eines Selbstbehalts der Ehefrau von 1050 Euro verbleibt - wenn überhaupt - ein niedriger dreistelliger Betrag. Hiervon hätte dem Antragsteller lediglich die Hälfte als Trennungsunterhalt zugestanden (vgl. Unterhaltsrechtliche Leitlinien der Familiensenate in Süddeutschland, Stand 1.1.2012). Abgesehen davon ist zum maßgeblichen Zeitpunkt auch nicht davon auszugehen, dass die geschiedene Ehefrau überhaupt leistungsbereit war. Denn dass sie den Antragsteller tatsächlich unterstüzt hat, was unabhängig vom Aufenthaltsort möglich gewesen wäre, wurde bereits nicht vorgetragen. Gleiches gilt im Übrigen hinsichtlich der Leistungsbereitschaft der beiden damals schon volljährigen Kinder des Antragstellers.
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1.2.4. Freiwillige Unterhaltsleistungen von unterhaltsfähigen und -bereiten Dritten sind für die Prognose der Lebensunterhaltssicherung grundsätzlich zwar berücksichtigungsfähig (VGH Ba-Wü, U.v. 9.11.2015 - 11 S 714/15 - juris Rn. 60 ff.), allerdings müssen sie jederzeit realisierbar sein. Hier ist - wie unter 1.2.3. ersichtlich - das Einkommen der damaligen Ehefrau des Antragstellers nicht ausreichend, um eine Lebensunterhaltssicherung des Antragstellers bei Getrenntleben zu finanzieren. Hierbei ist zu beachten, dass nach der Trennung wegen der nun erforderlichen Zweitwohnung und anzunehmenden Betreuungskosten für den minderjährigen Sohn ein weit höherer Unterhaltsbedarf bestand als zuvor im Rahmen des gemeinsamen Ehelebens. Der bloße, unsubstantiierte Vortrag, dass die damalige Ehefrau im Jahr 2012 freiwillig Unterhalt geleistet hätte bzw. eine Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG abgegeben hätte, reicht vor diesem Hintergrund nicht aus, um die Unterhaltssicherung darzulegen.
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Zu den Einkommens- und Familienverhältnissen der beiden im Jahr 2012 bereits volljährigen Söhnen ist nichts vorgetragen, so dass schon die Unterhaltsfähigkeit derselben nicht beurteilt werden kann.
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1.2.5. Auch in einer Gesamtschau der möglicherweise verfügbaren Einkommensquellen (gering entlohnter Teilzeitjob/Minijob oder ALG-I und Trennungsunterhalt) ist angesichts der Notwendigkeit, einen eigenen Hausstand zu finanzieren, von einer ausreichenden Lebensunterhaltssicherung zum Oktober 2012 auf Dauer bzw. zumindest auf absehbare Zeit nicht auszugehen. Hierbei ist berücksichtigt, dass der Antragsteller jedenfalls bis zur Ehescheidung am 31. Oktober 2013 über seine Ehefrau im Rahmen einer Familienversicherung gesetzlich krankenversichert war.
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1.2.6. Im Fall des Erlöschens der Niederlassungserlaubnis gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG ist für die Prognose der Lebensunterhaltssicherung auf April 2013 abzustellen. Eine Änderung der unter 1.2.1. bis 1.2.5. benannten Grundlagen für eine Prognose der Lebensunterhaltssicherung zu Gunsten des Antragstellers ist indes auch bei einer Verschiebung des maßgeblichen Zeitpunkts auf April 2013 nicht ersichtlich.
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Die Voraussetzung der Lebensunterhaltssicherung des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG liegt nicht vor. Die Niederlassungserlaubnis des Antragstellers ist daher erloschen.
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1.3. Dem Antragsteller steht auch kein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 als Familienangehöriger eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmer, der die Genehmigung erhalten hat, zu ihm zu ziehen, zu, da sein früheres, von der Ehefrau abgeleitetes Aufenthaltsrecht ebenfalls erloschen ist.
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Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erlischt ein Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 nur dann, wenn es gemäß Art. 14 ARB 1/80 rechtmäßig aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit beschränkt wurde oder wenn der Rechtsinhaber das Gebiet des aufnehmenden EU-Mitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum und ohne berechtigte Gründe verlässt (vgl. EuGH, U.v. 16.3.2000 - Ergat, Rs. C-329/97 - juris Rn. 45 ff.; EuGH, U.v. 8.12.2011 - Ziebell, C-371/08 - juris Rn. 49). Ob ein türkischer Staatsangehöriger das Bundesgebiet für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen und dadurch sein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht verloren hat, richtet sich danach, ob er seinen Lebensmittelpunkt aus Deutschland wegverlagert hat. Je länger der Auslandsaufenthalt des Betroffenen andauert, desto eher kann von der Aufgabe seines Lebensmittelpunktes in Deutschland ausgegangen werden. Ab einem Auslandsaufenthalt von ungefähr einem Jahr müssen gewichtige Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sein Lebensmittelpunkt noch im Bundesgebiet ist (BayVGH, U.v. 27.11.2018 - 19 CE 17.550 - juris Rn. 24; BVerwG, U.v. 25.3.2015 - 1 C 19/14 - BVerwGE 151, 377 bis 386; LS 1 und 2 in Fortentwicklung von BVerwG, U.v. 30.4.2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27).
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Der Antragsteller war mehr als sechs Jahre überwiegend in der Türkei wohnhaft und hatte seinen Lebensmittelpunkt von Deutschland in die Türkei verlegt. Ein berechtigter Grund für das Verlassen des Bundesgebiets ist nicht ersichtlich, insbesondere ist dem Vortrag, dass die Ausreise wegen der Pflege der Eltern des Antragstellers erfolgte, nicht glaubhaft. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen zum Punkt 1.1. Bezug genommen.
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Die Anwendung von § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7 AufenthG verstößt nicht wegen des gleichzeitigen Verlusts des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts (vgl. nachfolgend 1.3.) gegen Unionsrecht bzw. Assoziationsrecht, insbesondere nicht gegen die Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (vgl. Funke-Kaiser, GK-AufenthG, Stand 12/2015, § 51 AufenthG Rn. 14; BayVGH, U.v. 27.11.2018 - 19 CE 17.550 - juris Rn. 15 ff.).
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1.4. Die Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung ist auch ansonsten rechtmäßig. Der Antragsteller ist ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1 AufenthG), da sein Aufenthaltstitel erloschen ist. Die Ausreisepflicht ist auch vollziehbar (§ 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG). Der Antragsteller ist zu einem unbekannten Zeitpunkt vor/im November 2018 ohne Visum unerlaubt eingereist (§§ 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 14 Abs. 1 Nr. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG).
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1.5. Die Klage gegen die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (Ziff. 3) hat nach § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung, so dass ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO insoweit nicht statthaft ist.
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§ 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG bezieht sich nach seinem Wortlaut nur auf die Klage gegen die „Befristung“ eines Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG (vgl. Samel: in Bergmann/Dienelt, AufenthG, 13. Auflage 2020, § 84 Rn. 14; a.A. mit ausführlicher Begründung VGH Baden-Württemberg, B.v. 13.11.2019 - 11 S 2996/19 - juris Rn. 41 ff.). § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 AufenthG betrifft die hier nicht einschlägige Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 6 AufenthG.
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2. Der Hilfsantrag nach § 123 VwGO auf Verpflichtung des Antragsgegners, die Abschiebung auszusetzen ist zulässig, aber unbegründet. Ein Anordnungsgrund ist nicht ersichtlich.
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Es ist dem Antragsteller, der von Oktober 2012 bis zum Herbst 2018 in der Türkei lebte, zumutbar, den Rechtsstreit über das Fortbestehen seiner Niederlassungserlaubnis vom Ausland aus zu führen. Erhebliche und unzumutbare Nachteile des Antragstellers bei einer Rückkehr in die Türkei sind nicht vorgetragen oder ersichtlich.
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Auch ein Anordnungsanspruch ist nicht ersichtlich, da die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Abschiebung nach § 60a AufenthG nicht vorliegen. Insbesondere ist keine verfahrensmäßige Sicherung eines Aufenthaltsrechts über eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO nötig, da der Antragsteller sich nicht auf eine Fiktion nach § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG berufen kann und die Frage, ob sein Niederlassungsrecht erloschen ist oder nicht, unabhängig von seinem Aufenthalt im Bundesgebiet geklärt werden kann. Ein verfahrensmäßiger Nachteil, der bei einer Ausreise zu einem Rechteverlust führt, ist in der vorliegenden Konstellation nicht ersichtlich.
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Es sind auch unter Berücksichtigung der Belange der geschiedenen Ehefrau und der drei inzwischen volljährigen Kinder keine tatsächlichen oder rechtlichen Gründe ersichtlich, wegen derer eine Abschiebung unmöglich wäre (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Familientreffen könnten unter Zuhilfenahme eines Einreisevisums zu Tourismuszwecken bzw. durch Besuche der Familienangehörigen des Antragstellers in der Türkei realisiert werden. Gültige Reisepapiere des Antragstellers liegen vor.
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Auch dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder ein öffentliches Interesse für eine Anwesenheit des Antragstellers in Deutschland bis zur Hauptsacheentscheidung sind nicht vorgetragen oder ersichtlich (§ 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG).
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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4. Der Streitwert beläuft sich nach § 53 Abs. 2 Nr. i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Ziffern 8.3. und 1.5. Satz 1 des Streitwertkataloges der Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 auf 2.500 Euro.