VG Ansbach, Urteil v. 14.08.2020 – AN 19 K 20.30061
Titel:

Konversion zum Christentum im Iran - Flüchtlingseigenschaft

Normenketten:
AsylG § 3, § 25, § 77 Abs. 2 S. 1, § 83b
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
GG Art. 16a
Leitsatz:
Bei der Glaubhaftmachung im Asylverfahren und im anschließenden Verwaltungsgerichtsverfahren kommt dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden hinsichtlich der vor Ausreise entstandenen Fluchtgründe naturgemäß eine besondere Bedeutung zu. Hinsichtlich der objektiven Nachprüfbarkeit dürfen keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Das Gleiche gilt für Fluchtgründe, welche im Wesentlichen auf einer inneren Überzeugung beruhen und daher objektiv ebenfalls nur schwer nachprüfbar sind. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asyl, Iran, Flüchtlingseigenschaft (bejaht), Konversion zum Christentum, Abschiebungsverbote, Christentum, Flüchtlingseigenschaft, Glaubensbetätigung, Konversion, Glaubhaftmachung, persönliches Vorbringen
Fundstelle:
BeckRS 2020, 22197

Tenor

1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. Januar 2020 (Az. …) wird in den Ziffern 1 sowie 3 bis 6 aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Das Bundesamt wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

1
Der … 1990 geborene Kläger ist iranischer Staatsangehöriger persischer Volkszugehörigkeit und reiste nach eigenen Angaben auf dem Landweg am 18. Juli 2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 2. August 2019 stellte der Kläger einen Asylerstantrag.
2
Im Rahmen seiner persönlichen Anhörung gemäß § 25 AsylG am 12. August 2019 trug der Kläger gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vor, dass er bis zu seiner Ausreise in … in der Wohnung seiner Eltern gelebt habe. Er sei schwerhörig und aus diesem Grund vom Wehrdienst im Iran befreit gewesen. Er habe ein Geschäft betrieben, in dem er Computer, Software und Handys verkauft und repariert habe.
3
Zu seinen Ausreisegründen befragt, gab der Kläger an, aus religiösen Gründen ausgereist zu sein. Er sei gebürtiger Moslem und als solcher in einer sehr religiösen, gläubigen Familie aufgewachsen. Er habe als Kind sehr schlechte Erfahrungen mit dem Islam gemacht, weil er von seinen Eltern dazu gezwungen worden sei, an gewalttätigen religiösen Zeremonien teilzunehmen. Er sei damals in seinem Leben verletzt worden, er sei quasi ohne Religion gewesen und vom Islam enttäuscht. So habe man ihm, als er sieben Jahre alt gewesen sei, gesagt, er müsse das Tagesgebet verrichten. Wenn er, was manchmal vorgekommen sei, dabei eingeschlafen sei, sei er geschlagen oder getreten worden. Wenn er im Ramadan nicht gefastet habe, habe er zur Strafe nichts zu essen bekommen. Solche Dinge hätten ihn gequält, jetzt aber sei er mit Hilfe von Jesus erleichtert.
4
Der Kläger erläuterte, über seinen Cousin zum christlichen Glauben gefunden zu haben. Dieser sei vor seiner eigenen Bekehrung zum Christentum ein asozialer, böser Mensch gewesen, der auch Drogen genommen habe. Der Cousin habe dem Kläger erzählt, dass er sich verändert und Ruhe gefunden habe. Der Cousin habe die Bibel gelesen und dann dem Kläger davon erzählt. Circa ein Jahr vor seiner Ausreise sei der Cousin zu ihm in den Laden gekommen und habe berichtet, er würde seit einem Jahr glauben. Der Kläger habe gesehen, dass der Cousin sich wirklich geändert habe. Der Cousin sei von einem christlichen Bruder namens … missioniert worden. Nach einiger Zeit habe man gemeinsam einen Hauskreis besucht.
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Der Kläger berichtete des Weiteren, dass in derselben Zeit bei seinem 17 Jahre jüngeren Bruder ebenfalls Schwerhörigkeit diagnostiziert worden sei. Er sei darüber sehr verzweifelt gewesen, weil er ja wisse, wie schwierig das Leben mit dieser Behinderung sei. In diesem Zustand habe ihn dann sein Cousin im Laden angetroffen und sie hätten gemeinsam für die Heilung des Bruders gebetet. Bei einer späteren ärztlichen Untersuchung habe der Bruder des Klägers alles gehört, obwohl er doch schwerhörig sei. Diese Begebenheit zeige, dass Gott seinen Bruder geheilt habe. Gott habe sein Gebet erhört. Der Kläger führt aus, durch den Glauben an Jesus zwei Dinge geschenkt bekommen zu haben, nämlich einmal die Gabe Gottes und zum Zweiten die Heilung des Bruders.
6
Der eigentliche Grund für die Ausreise sei gewesen, dass der Hauskreis, den der Kläger gemeinsam mit dem Cousin besucht habe, entdeckt und der Cousin festgenommen worden sei. Daher sei auch das Leben des Klägers in Gefahr gewesen. Seine Mutter habe ihn nämlich kontaktiert und mitgeteilt, dass zwei Personen in der gemeinsamen Wohnung gewesen seien und sich nach ihm erkundigt hätten. Sie hätten die Speicherplatte seines Computers und zwei Bibeln mitgenommen. Als er über seine Cousine erfahren habe, dass sein Cousin abgeholt worden sei, sei er davon ausgegangen, dass der Hauskreis entdeckt worden sei. Er habe daraufhin sein Handy weggeworfen und ein neues Handy aus dem Laden mitgenommen. Er sei dann mit einem befreundeten Kurden in dessen Stadt … gefahren und habe von dort aus nach zwei Tagen das Land verlassen.
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Auf Nachfrage des Bundesamtes erläuterte der Kläger, den Hauskreis innerhalb von acht Monaten circa 10 bis 20 Mal zusammen mit seinem Cousin besucht zu haben. Der 6. November 2018 sei der Tag seines Glaubens gewesen, zwei Wochen danach seien sie das erste Mal zusammen zum Hauskreis gegangen. Er sei immer von seinem Cousin mit dem Auto abgeholt worden, und der Hauskreis habe teilweise im Haus seines Cousins stattgefunden oder bei anderen Leuten. Es hätten jeweils acht bis zehn Leute teilgenommen. Zum Ablauf eines Hauskreises befragt, gab der Kläger an, man habe dort Gott gepriesen, gebetet und Lobpreislieder gesungen. Schließlich habe man eine Bibelstelle gelesen und Glaubensbekenntnisse von den Mitgliedern gehört. Zum Schluss seien Süßigkeiten ausgegeben und Tee getrunken worden. An Weihnachten, Ostern oder Pfingsten habe es auch Zeremonien gegeben. Es sei allgemein genauso gewesen, wie man es auch hier in … in der Kirche mache.
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Zu der Frage des Bundesamtes, wer die zwei Zivilbeamten gewesen seien bzw. von welcher Dienststelle diese gekommen seien, gab der Kläger an, dies nicht zu wissen. Da er keinen Wehrdienst geleistet habe, kenne er sich mit der Bedeutung der Schulterabzeichen nicht aus. Seine Mutter habe ihm erzählt, die beiden hätten ein Funkgerät dabei gehabt und nach ihm gesucht. Wie die Beamten auf ihn gekommen seien, konnte der Kläger nicht beantworten.
9
Auf weitere Nachfrage des Bundesamtes erklärte der Kläger, er habe im Iran missioniert, indem er seinen Glauben gegenüber Freunden bekannt habe. Dies seien aber nur enge Freunde gewesen, die in seinen Laden gekommen seien. Während seiner Arbeit hätten sie z.B. ihre Probleme erzählt und er von seinen. Außerdem habe er ihnen berichtet, was mit seinem Bruder passiert sei.
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Hinsichtlich seiner Glaubensbetätigung in der Bundesrepublik gab der Kläger an, das erste Mal in der freien evangelischen Gemeinde zwei Wochen vor der Anhörung gewesen zu sein. Es sei an einem Donnerstag gewesen, es hätten sich dort etwa 20 Personen befunden, und sie hätten ein Blatt mit einem Lied in persischer Sprache ausgehändigt bekommen. Außerdem habe man gemeinsam eine Seite aus der Bibel gelesen und sie hätten die Möglichkeit bekommen Fragen zu dieser Bibelstelle zu stellen. Außerdem würde er sonntags die Freie evangelische Gemeinde in … besuchen. Zu weiteren religiösen Aktivitäten befragt, erklärte der Kläger, die Bibel zu lesen, was Anderes nicht.
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Auf Frage des Bundesamtes, was im Falle einer Rückkehr in den Iran passieren könne, nahm der Kläger Bezug auf die Bibelstelle Matthäus 10, Vers 16: „Ich habe euch wie die Schafe unter die Wölfe geschickt, seid wachsam wie die Schlangen, seid friedlich wie die Tauben. Seid wachsam, denn man wird euch vor Gericht oder Synagoge bringen und auspeitschen, aber macht euch keine Sorgen, was ihr sagen sollt, es wird euch gegeben werden, der himmlische Vater hat es für euch hinterlegt.“ Diese Stelle erinnere ihn an seine jetzige Situation. Er sei ein Kind Gottes und ein Kind Gottes solle nicht im Gefängnis bleiben.
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Als wichtigste Kernpunkte des Christentums sehe er die Auferstehung von Jesus Christus und Vater und Sohn und Heiliger Geist an.
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Mit Bescheid vom 10. Januar 2020 (Az. …) lehnte das Bundesamt die Anträge des Klägers auf Asylanerkennung, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzstatus ab. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Der Kläger wurde außerdem aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheides zu verlassen. Die Abschiebung in den Iran oder in jeden anderen zur Aufnahme bereiten oder zur Aufnahme verpflichtenden Staat wurde angedroht. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
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Zur Begründung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, dass der Kläger die vor seiner Ausreise aus Iran behauptete Vorverfolgung nicht habe glaubhaft machen können. Die der behaupteten Vorverfolgung zugrundeliegenden Umstände und Geschehnisse seien vom Kläger in wesentlichen Teilen unsubstantiiert und nicht nachvollziehbar geschildert worden. Dies betreffe insbesondere die angebliche Suche der Sicherheitskräfte nach dem Kläger, aber auch die angebliche Verhaftung seines Cousins sowie die Frage, ob auch andere Hauskreismitglieder festgenommen worden seien. Die Schilderung des Klägers über den Ablauf der Hauskreiszusammenkünfte ließen es nicht glaubhaft erscheinen, dass der Kläger im Iran tatsächlich einen christlichen Hauskreis besucht habe. Letztlich habe der Kläger auch nicht überzeugend darlegen können, weshalb er allein aufgrund der angeblichen Christwerdung seines Cousins und dessen Erzählungen hierüber selbst die christliche Religion angenommen haben. Der Kläger habe insgesamt nicht glaubhaft machen können, dass er sich bereits im Iran dem Christentum zugewendet habe und aufgrund der von ihm geschilderten Ereignisse einer Verfolgungsgefahr seitens der iranischen Behörden ausgesetzt gewesen sei. Objektiv betrachtet sei dem Kläger in seinem Heimatland - selbst bei Wahrunterstellung des Sachverhaltes - bis zu seiner Ausreise kein Schaden zugefügt worden. Folglich habe der Kläger sein Heimatland im asylrechtlichen Sinne nicht vorverfolgt verlassen. Die Neigung zum Christentum im Iran sowie in Deutschland führte nach Auffassung des Bundesamtes nicht zu einer mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit anzunehmenden Verfolgungsgefahr bei Rückkehr in den Iran.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe des Bescheides Bezug genommen (Bl. 82 ff. der Bundesamtsakte). Der Bescheid vom 10. Januar 2020 wurde dem Kläger am 21. Januar 2020 persönlich ausgehändigt (Bl. 117 der Bundesamtsakte).
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Am 23. Januar 2020 erschien der Kläger vor der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach und erhob Klage mit folgendem Antrag:
„1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. Januar 2020, Az. …, wird aufgehoben.
2. Das Bundesamt wird verpflichtet, mich als Asylberechtigten anzuerkennen, die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Weiterhin wird beantragt, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 bis 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.“
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Durch Schriftsatz vom 27. Januar 2020 beantragte das Bundesamt für die Beklagte
Klageabweisung.
18
Mit Beschluss der 19. Kammer vom 7. Februar 2020 wurde der Rechtsstreit der Berichterstatterin zur Entscheidung als Einzelrichterin übertragen.
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In der mündlichen Verhandlung am 24. April 2020 ließ der Kläger seinen persönlich gestellten Klageantrag wiederholen. Der Rechtsstreit wurde durch Beschluss des Gerichts vom 28. April 2020 zur weiteren Sachverhaltsaufklärung vertagt. Mit Schriftsatz vom 23. Juli 2020 ließ der Kläger eine Taufkarte über seine Taufe am 12. Juli 2020 durch die „Freie Christengemeinde …“ vorlegen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am 24. April 2020 ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten - schriftsätzlich bzw. durch Generalverzicht - auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet haben, § 101 Abs. 2 VwGO.
22
Die Klage ist vollumfänglich zulässig und überwiegend begründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 10. Januar 2020 ist insoweit rechtswidrig, als der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG hat, § 113 Abs. 5 VwGO. Der in der Folge auch in den Ziffern 3 bis 6 zu Unrecht ergangene Bescheid war dementsprechend aufzuheben. Hinsichtlich des geltend gemachten Asylanspruches gemäß Art. 16a GG (Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides) erweist sich die Klage jedoch als unbegründet, weil der Kläger keinen Anspruch auf Asylanerkennung hat, § 113 Abs. 5 VwGO.
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1. Dem Kläger steht in dem hier gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1, 2. Hs. AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der heutigen gerichtlichen Entscheidung ein Anspruch dahingehend zu, ihm unter Aufhebung des angefochtenen Bescheids in den Ziffern 1 und 3 bis 6 die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
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Denn der Kläger ist Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, ohne dass Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 und 3 AsylG bzw. des § 60 Abs. 8 AufenthG bestehen.
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Über das Vorliegen der Zuerkennungsvoraussetzungen hat das Gericht selbst zu befinden. Eine Aufhebung des angefochtenen Bescheids und Zurückverweisung des Verfahrens zur erneuten Entscheidung durch das Bundesamt - etwa unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts - kommt nicht in Betracht, da es sich bei der Flüchtlingsanerkennung nicht um eine Ermessensentscheidung handelt. Vielmehr hat das erkennende Gericht die Spruchreife herzustellen und über den etwaigen Anspruch des Klägers zu entscheiden, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO (vgl. für die vorliegende Konstellation im Asylverfahren z.B. BVerwG, B.v. 9.3.1982, 9 B 360/82, juris).
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2. Der Kläger ist Flüchtling im Sinne von § 3 AsylG. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
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Die für § 3 Abs. 1 AsylG maßgebliche Gefährdung des Klägers ergibt sich aus seiner - zur Überzeugungsgewissheit des Gerichts feststehenden - auf einer ernsthaften inneren Glaubensüberzeugung beruhenden Konversion zum Christentum und der daraus folgenden, nachhaltig geprägten religiösen Identität des Klägers, die bei Rückkehr in den Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer Verfolgung führen würde.
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2.1 Nach den Erkenntnissen über die aktuelle Situation von Konvertiten im Iran, die das Gericht unter anderem dem „Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Stand: Februar 2020)“ des Auswärtigen Amtes vom 26. Februar 2020 (Gz.: 508-516.80/3 IRN) entnimmt und welche den Prozessbeteiligten zur Verfügung gestellt wurden, stellt sich die Lage muslimischer Konvertiten (Lagebericht, aaO, 1.1.4.) wie folgt dar: „Muslimen ist es ebenso verboten zu konvertieren (‚Abfall vom Glauben‘) wie an Gottesdiensten anderer Religionen teilzunehmen. Die Konversion eines schiitischen Iraners zum sunnitischen Islam oder einer anderen Religion sowie Missionstätigkeit unter Muslimen können eine Anklage wegen Apostasie und schwerste Sanktionen bis hin zur Todesstrafe nach sich ziehen. Oftmals lautet die Anklage jedoch auf ‚Gefährdung der nationalen Sicherheit‘, ‚Organisation von Hauskirchen‘ und Beleidigung des Heiligen‘, wohl um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe wegen Apostasie zu vermeiden.“
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Der Kläger darf indes nicht darauf verwiesen werden, von etwaigen religiösen Betätigungen Abstand zu nehmen, um einer Verfolgung zu entgehen. (EuGH, U.v. 5.9.2012 - C-71/11 und C-99/11 - ABl. EU 2012, Nr. C 331 S. 5 - NVwZ 2012, 1612 zur bis dahin praktizierten Unterscheidung zwischen „forum internum“ und „forum externum“). Allerdings „ist geklärt, dass es für die Frage einer Verfolgungsgefahr im Iran wegen Konversion maßgeblich darauf ankommt, ob im Fall einer Rückkehr einer konvertierten Person in den Iran davon auszugehen ist, dass diese ihren neu aufgenommenen Glauben - und die damit verbundene Abkehr vom Islam - aktiv im Iran ausüben (BayVGH, B.v. 16.11.2015 - 14 ZB 13.30207 - juris Rn. 6 m.w.N.; B.v. 7.11.2016 - 14 ZB 16.30380 - juris Rn. 7) oder nur erzwungener Maßen, unter dem Druck drohender Verfolgung, auf eine Glaubensbetätigung verzichten wird (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 - 1 B 40.15 - BayVBl 2016, 104 Rn. 11 m.w.N.).“ (BayVGH, B.v. 9.7.2018 - 14 ZB 17.30670 -, Rn. 21, juris)
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2.2 Das Gericht ist davon überzeugt, dass die bereits im Iran vollzogene Hinwendung des Klägers zum Christentum auf einer ernsthaften inneren Glaubensüberzeugung beruht, welche seine religiöse Identität nachhaltig prägt und nicht lediglich aus Opportunität oder aus asyltaktischen Gründen erfolgt ist. Der Kläger hat seine Konversion während seines bisherigen Aufenthalts in Deutschland weiter vorangetrieben und sich vor kurzem taufen lassen. Der Kläger hat seinen neuen Glauben zudem derart in seine Gesamtpersönlichkeit integriert, dass von einer Religionsausübung im Iran auszugehen ist, welche mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung durch iranische Behörden nach sich ziehen wird.
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Die ernsthafte und nachhaltige Hinwendung zum Christentum hat der Kläger zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft gemacht.
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Allgemein ist zur Glaubhaftmachung folgendes auszuführen: Bei der Glaubhaftmachung im Asylverfahren und im anschließenden Verwaltungsgerichtsverfahren kommt dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden hinsichtlich der vor Ausreise entstandenen Fluchtgründe naturgemäß eine besondere Bedeutung zu. Hinsichtlich der objektiven Nachprüfbarkeit dürfen keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Das Gleiche gilt für Fluchtgründe, welche im Wesentlichen auf einer inneren Überzeugung beruhen und daher objektiv ebenfalls nur schwer nachprüfbar sind. Gleichwohl müssen die Verwaltungsgerichte „selbst zu der vollen Überzeugung gelangen“, „dass einem Asylbewerber wegen Konversion zum Christentum in seinem Heimatland eine Verfolgung wegen seiner Religion droht und dass die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für die religiöse Identität des Betroffenen zentrale Bedeutung hat“ (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 3.4.2020, 2 BVR 1838/15, juris).
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Von zentraler Bedeutung sind daher die aus der ausführlichen Befragung des Gerichts in der mündlichen Verhandlung am 24. April 2020 gewonnenen Erkenntnisse über den glaubhaft gemachten Religionswechsel des Klägers und die daraus folgende identitätsprägende Wirkung.
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Anders als das Bundesamt geht das Gericht davon aus, dass der Kläger bereits in seinem Heimatland nachhaltig und in identitätsprägender Weise mit dem Christentum in Berührung gekommen ist. So hat der Kläger sowohl gegenüber dem Bundesamt als auch gegenüber dem Gericht ausführlich und schlüssig über seine innere Abkehr von seiner Herkunftsreligion, dem schiitischen Islam, berichtet. Aufgrund seiner körperlichen Beeinträchtigung durch die angeborene Schwerhörigkeit und der damit einhergehenden Schwierigkeiten hat sich der Kläger nach seiner Darstellung besonders durch die christlichen Glaubensinhalte, was die Seligmachung durch Vergebung und Glaube an Jesus Christus angeht, angesprochen gefühlt. Während er sich von seiner Herkunftsreligion vor allem durch die damit einhergehenden Rituale (z.B. Bestrafungspraxis) bereits vor seinem Kontakt mit dem Christentum innerlich distanziert hatte, fühlte er sich nach seiner Darstellung umso mehr von den neutestamentarischen Grundsätzen angesprochen, die er nachvollziehbar mit seiner eigenen - vor allem durch die Schwerhörigkeit geprägten - Situation verknüpft hat.
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Was den Besuch der Hauskreise angeht, kommt es darauf nicht entscheidungserheblich an. Allerdings teilt das Gericht die Einschätzung des Bundesamtes, der Kläger habe seinen Sachvortrag insoweit nicht hinreichend substantiiert, nicht. Das Bundesamt kritisiert insoweit beispielsweise, dem Vortrag des Klägers fehle es an „spezifischen Einzelheiten“, „wie etwa detaillierte Aussagen über Räumlichkeiten, über die anderen anwesenden Personen, die Umgebung oder aber auch spezielle Sinneseindrücke“ (S. 5 des angefochtenen Bescheids). Dem Bundesamt ist insoweit entgegenzuhalten, dass der Kläger ausweislich des Protokolls seiner Anhörung gar nicht nach derartigen „spezifischen Einzelheiten“ gefragt worden ist, weder zu Räumlichkeiten oder zur Umgebung. Hinzu kommt, dass „spezielle Sinneseindrücke“ bei einem stark hörgeschädigten Menschen möglicherweise nur eingeschränkt erwartet werden können. Der anhörende Mitarbeiter des Bundesamts hat sich insoweit auf einen Disput mit dem Kläger konzentriert, wie oft der Kläger den Hauskreis besucht hat. Zu den Inhalten und dem Ablauf der Sitzungen hat der Kläger indes Auskunft gegeben und dies in der mündlichen Verhandlung noch einmal präzisiert.
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Maßgeblich und hier entscheidungserheblich ist jedoch, dass der Kläger jedenfalls in Deutschland eine ernsthafte und nachhaltige Hinwendung zum Christentum vollzogen hat. Dabei ist zum einen der formale Akt der Taufe am 12. Juli 2020 zu berücksichtigen, vor allem aber seine gelebte Religiosität.
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So hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung noch einmal nachvollziehbar geschildert, welche Glaubenssätze des Christentums für ihn von zentraler Bedeutung sind und warum sie sein Denken und Leben nachhaltig beeinflusst haben und prägen Außerdem hat der Kläger glaubhaft dargelegt, dass er bereits kurz nach seiner Ankunft aktiv nach einem Raum und einer Gemeinschaft für seine Glaubensfindung bzw. -überzeugung gesucht hat, so dass das Gericht nicht von einer asyltaktischen Motivation ausgeht. Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere, dass der Kläger im Laufe seines Verfahrens mehrmals umverteilt worden ist und unmittelbar nach Bezug seiner neuen Unterkunft jeweils auch eine neue Kirchengemeinde gesucht und gefunden hat (…, …, … und …).
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Im angefochtenen Bescheid wird dem Kläger vorgehalten, er besuche „nur“ die Gottesdienste und betätige sich darüber hinaus in religiöser Hinsicht nicht (S. 8). Zum einen ist insoweit zu Gunsten des Klägers die im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 24 April 2020 bestehende Situation im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zu berücksichtigen. Aufgrund der Ausgangsbeschränkungen war es dem Kläger schlichtweg nicht möglich, weitergehende Aktivitäten zu entfalten. Dennoch hat er per Videokonferenz an den Osterfeierlichkeiten teilgenommen. Zum anderen ist dem Bundesamt insoweit entgegenzuhalten, dass ein im ländlichen Raum untergebrachter Asylantragsteller, nämlich in …, bestenfalls nur eingeschränkte Möglichkeiten hat, den Sitz seiner Kirchengemeinde, hier in …, zu erreichen. Die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten hat der Kläger indes genutzt.
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Nach den Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung über die Bedeutung und den Stellenwert des Christentums in seinem Leben ist das Gericht zu der Überzeugungsgewissheit gelangt, dass eine Rückkehr des Klägers in den Iran eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung mit hier beachtlicher Wahrscheinlichkeit nach sich ziehen würde, weil eine christliche Glaubensbetätigung für ihn aufgrund seiner religiösen Identität nunmehr unentbehrlich ist.
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Nach alledem ist dem Kläger unter Aufhebung des angefochtenen Bescheids in dessen Ziffer 1 und in der Folge die Ziffern 3 bis 6 die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen.
41
3. Ein Anspruch auf Asylanerkennung gemäß Art. 16a GG besteht indes nicht, weil der Kläger nach eigenen Angaben auf dem Landweg und somit aus einem Staat im Sinne von Art. 16a Abs. 2 GG in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Insoweit war die Klage abzuweisen.
42
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, da der Kläger nur zu einem geringen Teil unterlegen ist. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.