Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 24.08.2020 – AN 17 E 20.50232
Titel:

Familienzusammenführung in Deutschland im Wege des Dublin-Verfahrens

Normenketten:
VwGO § 42 Abs. 2, § 52 Nr. 3 S. 3, Nr. 5, § 123
GG Art. 6
Dublin III-VO Art. 5, Art. 9, Art. 10, Art. 13 Abs. 1, Art. 17 Abs. 2, Art. 20, Art. 21 Abs. 1, Art. 22 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3a, Art. 27 Abs. 1
AufenthG § 25 Abs. 2
AsylG § 76 Abs. 4 S. 1
Leitsätze:
1. Die Vorschriften der Dublin III-VO dienen auch dem Grundrechtsschutz und geben dem Asylsuchenden ein subjektives Recht auf Prüfung seines Asylantrags durch den zuständigen Mitgliedsstaat. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine unterbliebene Antwort des ersuchten Mitgliedsstaates innerhalb der zweiwöchigen Frist des Art. 5 Abs. 2 S. 3 Dublin III-VO führt nicht zur Zuständigkeit des ersuchten Staates, vielmehr ist der ersuchende Staat grundsätzlich als zuständig anzusehen. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
3. Art. 27 Abs. 1 Dublin III-VO zielt insbesondere auf die Überprüfung der richtigen Anwendung der in Kapitel III normierten Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
erfolgreicher Eilantrag auf Familienzusammenführung in Deutschland im Wege des Dublin-Verfahrens, Anspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland auf Zuständigerklärung für die Bearbeitung der Asylgesuche in Griechenland aufhältiger Antragsteller (Mutter und Geschwister), deren minderjährige Söhne/Brüder (Zuerkennung, Flüchtlingseigenschaft) und Ehemann/Vater (mittlerweile: subsidiärer Schutz) sich in Deutschland befinden, Asylantragstellung im Sinne des Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO, Zuständigkeitsverschiebung aus Art. 5 Abs. 2 Dublin-Durchführungsverordnung (verneint), Anordnungsanspruch, Anordnungsgrund, Schutzstatus, Familienangehörige, Familienverband, Kindeswohl
Fundstelle:
BeckRS 2020, 22194

Tenor

1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, sich unter Aufhebung der ergangenen Ablehnungen des Aufnahmegesuchs sowie der Wiedervorlage durch das Griechische Migrationsministerium - Nationales Dublin-Referat - diesem gegenüber für die Prüfung der Asylanträge der Antragsteller zu 1) bis 6) für zuständig zu erklären.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehren die Antragsteller im Ergebnis die Durchführung ihrer Asylverfahren in Deutschland.
2
Die Antragstellerin zu 1) ist die Mutter der minderjährigen Antragsteller zu 2) bis 6). Der Ehemann/Vater der Antragsteller, Herr …, befindet sich bereits in Deutschland, ebenso wie die beiden weiteren minderjährigen Söhne des Paares, … und … Die in Deutschland befindlichen Familienmitglieder besitzen eine Aufenthaltserlaubnis nach Art. 25 Abs. 2 AufenthG. Die beiden Söhne reisten 2015 bzw. 2016 nach Deutschland ein, während der Vater 2019 mit einem Visum nachzog.
3
Die Antragsteller zu 1) bis 6) reisten am 14. Mai 2019 in Griechenland ein.
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Am 10. Januar 2020 richtete die griechische Dublin-Einheit auf Grundlage des Art. 9 Dublin III-VO ein die Antragsteller zu 1) bis 6) betreffendes Aufnahmegesuch an die Antragsgegnerin. Es wurde darauf verwiesen, dass der Sohn/Bruder der Antragsteller …, geboren … 2009, als Begünstigter internationalen Schutzes in Deutschland aufhältig sei. Ebenso sei der Ehemann/Vater der Antragsteller in Deutschland. Die Antragstellerin zu 1) habe ihre Absicht, einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes zu stellen, am 15. Mai 2019 geäußert. Ein Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes sei am 10. Oktober 2019 gestellt worden.
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Die Antragstellerin zu 1) habe zudem angegeben, Augen- und Nierenprobleme zu haben. Beigefügt waren u.a. Fotos der Antragsteller, die EURODAC-Treffermeldung der Antragsteller zu 1) bis 3) mit „Asylum Histories“ (in griechischer Sprache), Personalausweis und „Written Consent“ der Antragstellerin 1) zur Familienzusammenführung der Antragsteller, Aufenthaltserlaubnis und Passersatz von …, Familienregister mit Übersetzungen als Nachweis der Familienbande. In der Asylum History der Antragsteller zu 1) bis 3) finden sich EURODAC-Treffermeldungen der Kategorie 2 mit Datum vom 14. Mai 2019 sowie EURODAC-Treffermeldungen der Kategorie 1 am 10. Oktober 2019. Beigefügt war auch ein „Written Consent“ des Ehemannes/Vaters der Antragsteller vom 16. Oktober 2019 (vgl. hierzu: S. 37 und 38 der Behördenakte).
6
Mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 30. Januar 2020 an die griechischen Behörden lehnte diese die Übernahme der Antragsteller zu 1) bis 6) ab und begründete dies mit verspäteter Stellung des Aufnahmegesuchs. Die Antragsteller hätten die im Zusammenhang stehende Asylantragsstellung, wie sich den „Asylum Histories“ entnehmen lasse, als Teil der Erstregistrierung am 15. Mai 2019 durchgeführt. Auch in dem Übernahmeersuchen der griechischen Behörden sei erwähnt worden, dass die Antragsteller am 15. Mai 2019 beabsichtigten, Asyl zu beantragen. Daher hätte ein EURODAC-Treffer der Kategorie 1 bereits am 15. Mai 2019 erfolgen müssen. Der EuGH-Rechtsprechung (Mengesteab) folgend sei daher der 15. Mai 2019 als Fristbeginn für die Stellung des Übernahmegesuchs zu sehen. Das Übernahmeersuchen sei somit verspätet gestellt worden, Art. 21 Dublin III-VO. Unerheblich sei, dass die formale Asylantragstellung erst am 10. Oktober 2019 stattgefunden habe.
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Die griechischen Behörden remonstrierten mit Schreiben vom 20. Februar 2020. Zwar seien die formalen Anforderungen an die Asylantragsstellung durch den Europäischen Gerichthof abgesenkt werden. Es genüge demnach, dass die zuständige Behörde des Mitgliedstaates zuverlässig darüber informiert worden sei, dass ein Drittstaatsangehöriger um internationalen Schutz ersucht hat, ohne dass das zu diesem Zweck erstellte Schriftstück eine ganz bestimmte Form haben oder zusätzliche, für die Anwendung der in der Dublin-III-VO festgelegte Kriterien oder gar für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz in der Sache relevante Informationen enthalten müsse. Es sei in diesem Verfahrensstadium auch nicht erforderlich, dass bereits ein persönliches Gespräch geführt wurde. Dennoch sei es immer noch erforderlich, dass ein Antrag auf Zuerkennung internationalen Schutzes gestellt worden sei. Ein solcher Antrag ist nach der eindeutigen Stellungnahme der griechischen Dublin-Behörden jedoch nicht vor dem 10. Oktober 2019 gestellt worden. Die fehlende Stellung des Asylantrages führt nicht zur Fiktion der Antragstellung, sondern lediglich zur Zuständigkeit nach Art. 13 Dublin III-VO und führe nicht zur Einleitung des Verfahrens nach dem Kapitel VI der Dublin III-VO.
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Überdies gebiete es der Schutz der Familie und des Kindeswohls, dass eine Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaates um Übernahme auch dann bestehen müsse, wenn die Fristen des Art. 21 Dublin III-VO abgelaufen seien. Jedenfalls sei ein Anspruch auf Übernahme nach Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO gegeben. Es sei zum Wohle des erst 11-jährigen Kindes … mit seiner Mutter und den Geschwistern vereint zu werden. Auch die Mutter habe das Recht mit ihrem minderjährigen Sohn in Deutschland vereint zu werden. Die Familienbande seien hinreichend nachgewiesen worden. Dem Gesuch sei gemäß Art. 9 Dublin III-VO oder Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO stattzugeben. Beifügt war ein „Legal Report“ von Michael Kientzle vom 19. Februar 2020, in welchem u.a. ausgeführt wird, dass es in diesem Fall unstrittig sei, dass die Frist des Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO abgelaufen sei. Dieser Fristablauf sei den Antragstellern jedoch nicht zuzuordnen. Diese hätten von Beginn an den griechischen Behörden mitgeteilt, dass sie in Deutschland Familienangehörige hätten. Ebenso hätten sie keinen Einfluss auf den Zeitpunkt gehabt, in dem sie auf Kos den Asylantrag stellen konnten, nachdem sie bereits im Mai 2019 ihren Wunsch, internationalen Schutz zu beantragen, geäußert hätten. Auch hätten sie keine Möglichkeit gehabt, die Stellung eines Übernahmeersuchens innerhalb dieses Zeitraums zu forcieren, da jegliche rechtliche Beratung und Unterstützung gefehlt habe. Daher müsse der ersuchte Mitgliedstaat dem Übernahmeersuchen nach Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO zustimmen.
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Die Antragsgegnerin beantwortete das Remonstrationsschreiben der griechischen Behörden mit Schriftsatz vom 25. Februar 2020 und bestätigte ihre ablehnende Entscheidung vom 30. Januar 2020.
10
Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 20. Juni 2020, bei dem Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach eingegangen am 22. Juni 2020, begehren die Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO. Zur Begründung führen die Antragsteller im Wesentlichen aus, dass sich der Anordnungsanspruch aus Art. 9 Dublin III-VO ergebe, denn die in Deutschland aufhältigen minderjährigen Söhne/Brüder der Antragsteller hätten internationalen Schutz erhalten. Insbesondere sei die Verwandtschaft der Antragsteller hinreichend durch das vorgelegte Familienregister nachgewiesen. Ebenso lägen die schriftlichen Zustimmungen vor. Auch die Frist des Art. 21 Abs. 1, 20 Abs. 2 Dublin III-VO sei eingehalten worden. Zwar seien die Anforderungen für die Annahme eines fristauslösenden Antrages abgesenkt worden. Voraussetzung sei aber immer noch, dass ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden sei und dieser bei einer Behörde auf einem Formblatt festgehalten worden sei. Ein solcher sei nach Angaben der griechischen Dublin-Unit erst am 10. Oktober 2019 gestellt worden. Dafür, dass ein Formblatt mit dem schriftlichen Wunsch der Antragstellerin zu 1) Asyl zu beantragen schon vorher bei einer Behörde vorlag, bestünden keine Anhaltspunkte. Auch könne alleine durch das Vorliegen eines EURODAC-Treffers nicht darauf geschlossen werden, dass die nach der zitierten EuGH-Rechtsprechung erforderlichen Informationen an die zuständige griechische Behörde, die Asylbehörde, weitergeleitet worden seien. Die Registrierung mit EURODAC-Fingerabdrücken könne in Griechenland regelmäßig durch die Polizeibehörden vorgenommen werden, ohne dass automatisch ein entsprechendes Formblatt oder die darin enthaltenen Informationen an die Asylbehörde weitergeleitet würden. Das griechische Dublin-Referat als Teil der griechischen Migrationsbehörde habe mit der Wiedervorlage am 20. Februar 2020 unzweifelhaft erklärt, dass die erforderlichen Informationen erst mit Asylantragstellung vom 10. Oktober 2019 an die Asylbehörde gelangt seien und die Frist nach Art. 21 Abs. 1, 20 Abs. 2 Dublin III-VO erst zu diesem Zeitpunkt zu laufen beginne. Das Hinterfragen des Datums seitens der Antragsgegnerin und die damit implizierte Unterstellung der falschen Anwendung der Dublin III-VO oder der Rechtsprechung des EuGH durch das griechische Dublin-Referat verstoße gegen das Prinzip des gegenseitigen Vertrauens. Angaben, die das Gegenteil beweisen würden, seien von der Antragsgegnerin nicht vorgelegt worden. Die Zuständigkeit der Antragsgegnerin im Hinblick auf den Ehemann/Vater ergebe sich aus Art. 10 Dublin III-VO. Jedenfalls hätten die Antragsteller einen Anspruch aus Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO.
11
Die Antragsteller beantragen zuletzt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, sich unter Aufhebung der ergangenen Ablehnungen des Aufnahmegesuchs sowie der Wiedervorlagen durch das Griechische Migrationsministerium - Nationales Dublin-Referat - für die Asylanträge der Antragstellenden zu 1) bis 6) für zuständig zu erklären und auf ihre Überstellung hinzuwirken.
12
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag nach § 123 VwGO abzulehnen, und führte zur Begründung im unter anderem aus, dass eine etwaige Zuständigkeit Deutschlands nach Art. 9 Dublin III-VO jedenfalls aufgrund Fristablaufs, Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3 Dublin III-VO, auf Griechenland übergegangen sei. Der Asylantrag sei bereits am 15. Mai 2019 gestellt worden. Auf die formale Asylantragstellung am 10. Oktober 2020 komme es nicht an. Wie von der Antragstellerseite ausgeführt, seien die formalen Anforderungen für das fristauslösende Ereignis gesenkt worden. Aus dem Übernahmeersuchen vom 10. Januar 2020 ergebe sich, dass die Antragsteller bereits am 15. Mai 2019 ihr Asylbegehren geäußert hätten. Dies werde bestätigt durch die übersandte Asylhistorie (Blatt 11 der Behördenakte), aus der sich ergebe, dass ein Asylgesuch bereits am 15. Mai 2019 vorgelegen habe. Außerdem könne aufgrund der Versteinerungsregel, Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO, der Beginn einer Frist nicht nach Belieben auf einen für die Antragsteller opportunen Zeitpunkt verschoben werden. Ein Anspruch ergebe sich auch nicht aus Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO. Zudem handele es sich um eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache. Sollte Griechenland über den Asylantrag der Antragsteller entscheiden und diesen internationalen Schutz gewähren, unterfielen die Antragsteller zwar nicht mehr der Dublin III-VO. Es sei aber nicht erkennbar, aus welchen Gründen dadurch schwere und irreparable Nachteile entstünden. So erhielten die Antragsteller das, was sie selbst in Griechenland beantragt hätten, nämlich internationalen Schutz. Zudem bestehe die Möglichkeit, nach Abschluss des Asylverfahrens in Griechenland eine Familienzusammenführung in Griechenland oder Deutschland zu erreichen, z.B. nach nationalem deutschen Ausländerrecht.
13
Die Antragsteller erwiderten hierzu mit weiteren Schreiben vom 9. Juli 2020 und führten insbesondere aus, dass die Asylantragstellung erst am 10. Oktober 2019 mit dem EURODAC-Treffer der Kategorie 1 vom 10. Oktober 2019 bewiesen werde. Die Antragsgegnerin hätte einen Gegenbeweis erbringen müssen, was nicht geschehen sei. Außerdem kenne § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kein Vorwegnahmeverbot der Hauptsache. Die einseitige Fixierung auf die partielle faktische Vorwegnahme der Hauptsache, die mit der Regelungsanordnung verbunden ist, blende den Rechtsverlust aus, der ohne die einstweilige Anordnung mit fortschreitender Zeit eintrete.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie die in elektronischer Form vorgelegten Behördenakten der Antragsteller sowie des Ehemanns/Vater der Antragsteller (Az. …), der Söhne/Brüder der Antragsteller … (Az. …) und … (Az. …) sowie des Onkels … (Az.: …) verwiesen.
II.
15
Der Antrag ist nach verständiger Würdigung des Gemeinten (§ 122 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 88 VwGO) dahingehend auszulegen, dass in dem letzten Halbsatz kein eigenständiger Antrag zu sehen ist, denn mit der begehrten Verpflichtung der Antragsgegnerin, sich für die Asylverfahren der Antragsteller für zuständig zu erklären, ist dem Rechtschutzbedürfnis der Antragsteller bereits Genüge getan.
16
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist zulässig (2), und begründet (3). Das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach ist für die Entscheidung hierüber zuständig (1).
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1. Die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Ansbach ergibt sich hier aus § 52 Nr. 2 Satz 3, Nr. 3 Satz 3 Halbsatz 2, Nr. 5 VwGO, da sich sämtliche Antragsteller in Griechenland aufhalten. Die für asylrechtliche Streitigkeiten (vgl. für Streitigkeiten nach der Dublin III-VO BVerwG, B.v. 2.7.2019 -1 AV 2/19 - juris Rn. 4) regelmäßige Zuständigkeitsvorschrift des § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbsatz 1 VwGO und auch § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbsatz 2, Nr. 3 Satz 2 VwGO greift daher nicht, denn die Antragsteller haben weder i.S.d. § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbsatz 1 VwGO ihren Aufenthalt nach den Vorschriften des Asylgesetzes zu nehmen noch verfügen sie über einen Wohnsitz im Bundesgebiet (§ 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO), weshalb für die örtliche Zuständigkeit nur die Auffangregelung des § 52 Nr. 3 Satz 3, Nr. 5 VwGO in Betracht kommt. Danach ist dasjenige Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Antragsgegnerin ihren Sitz hat. Wird der Antrag gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet, ist auf den Sitz der handelnden Behörde abzustellen. Im vorliegenden Fall ist dies das Bundesamt, das seinen Sitz in … und mithin nach Art. 1 Abs. 2 Nr. 4 AGVwGO im Bezirk des Verwaltungsgerichts Ansbach hat (zum Ganzen BVerwG, B.v. 2.7.2019 - 1 AV 2/19 - juris Rn. 6). Einer Zuständigkeitsbestimmung durch das Bundesverwaltungsgericht nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO bedarf es vorliegend nicht, da die Person, zu der zugezogen werden soll, nicht als Antragsteller auftritt und damit keine Kollision von Zuständigkeiten besteht.
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2. Der Antrag, zu dessen Entscheidung nach § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG die Einzelrichterin berufen ist, ist zulässig.
19
Insbesondere sind hinsichtlich des vorliegenden Begehrens sämtliche Antragsteller in entsprechender Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Erforderlich ist hierfür die Geltendmachung einer möglichen Verletzung subjektiver Rechte der Antragsteller. Die Regelungen der Dublin III-VO schließen eine Antragsbefugnis von Familienangehörigen, die aus einem anderen Mitgliedstaat in den zuständigen Staat überstellt werden, jedenfalls nicht ausdrücklich aus; dies legen die Erwägungsgründe 13, 14 und 15 der Dublin III-VO, Art. 47 GR-Charta sowie Art. 6 GG nahe (vgl. BVerwG, B.v. 2.7.2019 - 1 AV 2/19 - juris Rn. 12). Es erscheint möglich, dass die dem Kindeswohl und dem Schutz der Familie dienenden Vorschriften der Art. 9, 10, 20 Abs. 3 Satz 1 Dublin III-VO den in Griechenland befindlichen Antragstellern ein subjektives Recht auf Überstellung nach Deutschland vermitteln (vgl. BVerwG, B.v. 2.7.2019 - 1 AV 2/19 - juris Rn. 12 sowie VG Ansbach, B.v. 2.10.2019 - AN 18 E 19.50790, B.v. 26.11.2019 - AN 18 E 19.50958 - juris Rn. 26, VG Berlin, B.v. 15.3.2019 - 23 L 706.18 A - juris Rn. 20; VG Münster, B.v. 20.12.2018 - 2 L 989/18.A - juris Rn. 21).
20
3. Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg.
21
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO; sog. Regelungsanordnung). Der streitige Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind jeweils glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
22
Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und den Antragstellern nicht schon in vollem Umfang, das gewähren, was sie nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnten. Im Hinblick auf das Gebot eines wirksamen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gilt dieses Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache dann nicht, wenn die sonst zu erwartenden Nachteile des Antragstellers unzumutbar sowie in einem Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären und ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad für einen Erfolg in der Hauptsache spricht (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2013 - 6 VR 3/13 - juris Rn. 5,7).
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Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Den Antragstellern ist es sowohl gelungen, einen entsprechenden Anordnungsanspruch als auch die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen. Insbesondere ist hier ausnahmsweise auch die Vorwegnahme der Hauptsache geboten.
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a) Der Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht.
25
Die Zuständigkeit der Antragsgegnerin für die Durchführung des Asylverfahrens der Antragsteller folgt aus Art. 9, 10, 20 Abs. 3 Satz 1 Dublin III-VO. Die Antragsteller haben einen Anspruch darauf, dass sich die Antragsgegnerin gegenüber dem griechischen Migrationsministerium - Nationales Dublin-Referat - unter Aufhebung der ergangenen Ablehnungen zum Übernahmegesuch und der Wiedervorlage durch das griechische Migrationsministerium - Nationales Dublin-Referat - für die Prüfung der Asylanträge der Antragsteller für zuständig erklärt.
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Art. 9, 10, 20 Abs. 3 Dublin III-VO vermitteln den Antragstellern diesbezüglich auch ein subjektives Recht, so dass eine hiermit nicht in Einklang stehende Entscheidung der Antragsgegnerin gerichtlich überprüft werden kann (vgl. VG Ansbach, B.v. 2.10.2019 - AN 18 E 19.50790, B.v. 26.11.2019 - AN 18 E 19.50958 - juris Rn. 26; VG Münster, B.v. 20.12.2018 - 2 L 989/18.A). Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat entschieden, dass die Vorschriften der Dublin III-VO, wenn sie nicht nur die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten regeln, sondern - wie hier - (auch) dem Grundrechtsschutz dienen, den Asylsuchenden ein subjektives Recht auf Prüfung ihres Asylantrages durch den zuständigen Mitgliedstaat geben (vgl. BayVGH, U.v. 3.12.2015 - 13 a B 15.50124 - juris Rn. 23 - bezüglich der Regelung des Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO).
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(1) Die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 9 Dublin III-VO sind vorliegend erfüllt. Haben Antragsteller einen Familienangehörigen - ungeachtet der Frage, ob die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat -, der in seiner Eigenschaft als Begünstigter internationalen Schutzes in einem Mitgliedstaat aufenthaltsberechtigt ist, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig, sofern die betreffenden Personen diesen Wunsch schriftlich kundtun.
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Die Antragstellerin zu 1) und die in Deutschland lebenden minderjährigen Söhne, der 2009 geborene … und der 2007 geborene …, sind Familienangehörige im Sinne der Vorschrift, Art. 2 lit. g Dublin III-VO.
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Die Zuständigkeit Deutschlands für die Durchführung des Asylverfahrens auch der Antragsteller zu 2) bis 6) begründet sich aus dem Schutz und der Wahrung der Familieneinheit und einer insoweit über Art. 20 Abs. 3 Satz 1 Dublin III-VO vermittelten verfahrensrechtlichen Akzessorietät zum Verfahren der Mutter, der Antragstellerin zu 1). Dies steht auch im Einklang mit Art. 23 der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie), wonach die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass der Familienverband aufrechterhalten wird. Die Zuständigkeit Deutschlands für die Prüfung der Asylanträge der Antragsteller zu 2) bis 6) folgt somit aus Art. 20 Abs. 3 Satz 1 Dublin III-VO, wonach für die Zwecke dieser Verordnung die Situation eines mit dem Antragsteller einreisenden Minderjährigen, der der Definition des Familienangehörigen entspricht, untrennbar mit der Situation seines Familienangehörigen verbunden ist und in die Zuständigkeit des Mitgliedstaates fällt, der für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz dieses Familienangehörigen zuständig ist, sofern dies dem Wohl des Minderjährigen dient. Die Antragsteller zu 2) bis 6) sind mit ihrer Mutter, der Antragstellern zu 1) in Griechenland eingereist und sind als minderjährige Kinder auch Familienangehörige im Sinne des Art. 2 lit. g Dublin III-VO. Mit der Zuständigkeit Deutschlands für die Prüfung der Asylanträge der Antragstellerin zu 1) nach Art. 9 Dublin III-VO ist Deutschland auch zuständig für die Prüfung der Asylanträge der Antragsteller zu 2) bis 6). Dies dient auch dem Kindeswohl.
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Die Familienbande sind durch die vorgelegten Dokumente auch hinreichend glaubhaft gemacht und werden im Übrigen von der Antragsgegnerin auch nicht bestritten.
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Ebenso sind die Söhne/Brüder der Antragsteller im maßgeblichen Zeitpunkt der erstmaligen Antragstellung in 2019, Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO, Begünstigte internationalen Schutzes. … wurde mit Bescheid vom 18. April 2017 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, … mit Bescheid vom 17. Juni 2016. Im Rahmen der Regelprüfung ist diese Entscheidung nicht widerrufen worden. Auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus hinsichtlich des Ehemannes/Vaters der Antragsteller kann jedoch hinsichtlich des Art. 9 Dublin III-VO nicht abgestellt werden, denn zum maßgeblichen Zeitpunkt, Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO, der Asylantragstellung in Griechenland in 2019 war ihm dieser Status noch nicht zuerkannt, sondern erst mit Bescheid vom 7. Februar 2020.
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Auch die beidseitig notwendigen schriftlichen Zustimmungserklärungen nach Art. 9 Dublin III-VO zur Familienzusammenführung liegen vor. Hinsichtlich der Antragsteller wurde ein „Written Consent“ vom 22. Oktober 2019 vorgelegt (S. 35, 36 der Behördenakte der Antragsteller), in dem die Antragstellerin zu 1) den Wunsch auf Familienzusammenführung mit dem Sohn/Bruder der Antragsteller, …, geboren … 2009, äußert. Die Zustimmungserklärung ist zudem unproblematisch dahingehend auszulegen, dass auch eine Familienzusammenführung mit dem anderen Sohn/Bruder, dem 2007 geborenen …, gewollt ist. Anhaltspunkte, dass dem nicht so sein könnte, liegen nicht vor. Letztlich ist es aber unerheblich, ob für die Zustimmungserklärung zur Zusammenführung mit … vorliegt, denn ein Anspruch zur Familienzusammenführung zu einem der Söhne in Deutschland, nämlich dem 2009 geborenen …, genügt zur Bejahung des Anspruchs.
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Ebenso liegen die notwendigen schriftlichen Zustimmungserklärungen der Kinder … und … zur Familienzusammenführung vor. So findet sich in der Behördenakte der Antragsteller der vom Ehemann/Vater der Antragsteller unterschriebene „Written Consent“ vom 16. Oktober 2019 (S. 37, 38 der Behördenakten der Antragsteller). Zwar werden die beiden in Deutschland lebenden Söhne … und … nicht explizit genannt. Dies ist jedoch unschädlich, denn es entspricht erkennbar dem Willen des Ehemannes/Vaters der Antragsteller als gesetzlichem Vertreter der beiden in Deutschland lebenden minderjähren Söhne bzw. dem Willen der beiden minderjährigen Söhne, dass eine Familienzusammenführung der Antragsteller zu den Söhnen … und … stattfindet. Ebenso unschädlich ist, dass offensichtlich die Passage fehlt, in der erklärt wird, dass eine Familienzusammenführung gewünscht ist, denn aus der Überschrift und den Gesamtumständen ergibt sich, dass ein schriftlicher Wunsch auf Familienzusammenführung geäußert wurde. Ohnehin sind an die erforderliche schriftliche Äußerung des Wunsches auf Familienzusammenführung keine allzu großen formalen Anforderungen zu stellen. Zwar lag hinsichtlich … und … zunächst eine Vormundschaft des Onkels … … (Az.: …) vor. Mit dem Aufenthalt des Vaters in Deutschland ist dieser jedoch wieder der gesetzliche Vertreter der Kinder (siehe auch S. 15 der Behördenakte von …, Az.: …) und damit zweifellos berechtigt, die Zustimmungserklärung abzugeben.
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(2) Überdies sind die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 10 Dublin III-VO erfüllt, denn im maßgeblichen Zeitpunkt der Asylantragstellung in Griechenland in 2019 lag noch keine Erstentscheidung in der Sache zum Asylantrag des Ehemannes/Vaters der Antragsteller in Deutschland vor. Vielmehr wurde der Bescheid jedenfalls erst am 7. Februar 2020 erlassen. Auch liegt die erforderliche schriftliche Kundgabe des Willens auf Familienzusammenführung vor. Ebenso sind die Voraussetzungen des Art. 20 Abs. 3 Satz 1 Dublin III-VO gegeben. Auf die obigen Ausführungen wird entsprechend verwiesen.
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(3) Die Zuständigkeit Deutschlands ist nicht aufgrund des Ablaufs der Drei-Monats-Frist des Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO auf Griechenland übergegangen, Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3 Dublin III-VO.
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Nach Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO kann ein Mitgliedsstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde und der von der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedsstaats für die Prüfung dieses Antrags ausgeht, diesen Staat sobald als möglich, jedenfalls aber innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung im Sinne des Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO, um die Übernahme des Antragstellers ersuchen. Wird ein entsprechender Übernahmeantrag nicht innerhalb der vorstehend bezeichneten Frist unterbreitet, so ist für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz nach Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3 Dublin III-VO derjenige Staat zuständig, in dem ein solcher gestellt wurde.
37
Nach Überzeugung des Gerichts haben die Antragsteller glaubhaft gemacht, dass der Asylantrag nach Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO nicht bereits am 15. Mai 2019 gestellt wurde, wie die Antragsgegnerin ausführt, sondern erst am 10. Oktober 2019. Mit der Stellung des Aufnahmegesuchs an Deutschland am 10. Januar 2020 hat Griechenland das Aufnahmegesuch nach Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO damit fristgerecht innerhalb von drei Monaten nach Asylantragstellung im Sinne des Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO gestellt, Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3 Dublin III-VO.
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Aus Art. 20 Abs. 1 Dublin-III-VO folgt, dass das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats eingeleitet wird, sobald in einem Mitgliedstaat erstmals ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird. Gemäß Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO gilt ein Antrag auf internationalen Schutz als gestellt, wenn den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats ein vom Antragsteller eingereichtes Formblatt oder ein behördliches Protokoll zugegangen ist, wobei bei einem nicht in schriftlicher Form gestellten Antrag die Frist zwischen der Abgabe der Willenserklärung und der Erstellung eines Protokolls so kurz wie möglich sein sollte. Die formalen Anforderungen zur Bejahung eines solchen Antrages sind durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes abgesenkt worden. Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO ist dahin auszulegen, dass ein Antrag auf internationalen Schutz als gestellt gilt, wenn der mit der Durchführung der sich aus dieser Verordnung ergebenden Verpflichtungen betrauten Behörde ein Schriftstück zugegangen ist, das von einer Behörde erstellt wurde und bescheinigt, dass ein Drittstaatsangehöriger um internationalen Schutz ersucht hat, und, gegebenenfalls, wenn ihr nur die wichtigsten in einem solchen Schriftstück enthaltenen Informationen, nicht aber das Schriftstück oder eine Kopie davon, zugegangen sind (vgl. EuGH, U.v. 26. Juli 2017 - C-670/16 (Mengesteab) - juris Rn. 103). Eine Asylantragstellung bereits am 15. Mai 2019, die diesen Anforderungen entspricht, ist nach Überzeugung des Gerichts nicht gegeben.
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Das Gericht verkennt dabei nicht, dass die vorgelegten Unterlagen zu dieser Frage in einigen Teilen durchaus missverständlich sind. Die griechischen Behörden gaben im Aufnahmegesuch an, dass die Antragstellerin zu 1) bereits am 15. Mai 2019 ihren Wunsch äußerte, Asyl zu beantragen, was vom Wortlaut zumindest mehrdeutig ist. Auch die übersandte „Asylum History“ und der mit dem Remonstrationsschreiben vom 20. Februar 2020 übersandte Legal Report vom 19. Februar 2020, in dem es heißt, dass es in diesem Fall unstrittig sei, dass die Frist nach Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO abgelaufen sei, sind insofern jedenfalls missverständlich. In dem Legal Report wird ein paar Zeilen weiter dargelegt, dass die Antragsteller keinen Einfluss auf den Zeitpunkt gehabt hätten, an dem sie auf Kos ihren Asylantrag stellen konnten, nachdem sie bereits im Mai 2019 ihren Wunsch, internationalen Schutz zu beantragen, geäußert hatten. Dies kann nach Dafürhalten des Gerichts sowohl dahingehend ausgelegt werden, dass am 15. Mai 2019 nur eine bloße Absichtserklärung erfolgte, aber auch, dass dort bereits das Asylgesuch geäußert wurde, wobei dennoch nicht klar wäre, ob am 15. Mai 2019 den Anforderungen des Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO Genüge getan wurde. Letztlich bestreitet die griechische Dublin-Unit das Vorhandensein eines Asylantrages nach Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO bereits am 15. Mai 2019 dezidiert. Zusammen mit der Tatsache, dass für den 14. Mai 2019 ein EURODAC-Treffer der Kategorie 2 vorliegt, der lediglich die illegale Einreise der Antragsteller an diesem Tage dokumentiert und gerade nicht die Asylantragstellung (vgl. Art. 9, 14, 24 Abs. 4 Eurodac-Verordnung (EU) Nr. 603/2013) am 14. Mai 2019 und schon gar nicht am 15. Mai 2019, und dem Umstand, dass der EURODAC-Treffer der Kategorie 1 auf den 10. Oktober 2019 datiert, ist von einer Asylantragstellung, Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO, erst am 10. Oktober 2020 auszugehen.
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Letztlich hat die Antragsgegnerin auch den nötigen Gegenbeweis nicht erbracht. In dem Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates werden Beweismittel und Indizien verwendet, Art. 22 Abs. 2 Dublin III-VO. Beweismittel sind förmliche Beweismittel, die insoweit über die Zuständigkeit nach dieser Verordnung entscheiden, als sie nicht durch Gegenbeweise widerlegt werden, Art. 22 Abs. 3 lit. a Dublin III-VO. In Anhang II, Verzeichnis A, Beweise, der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 werden explizit die einzelnen Beweise/Beweis-mittel genannt. Aus der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014, Anhang II, Verzeichnis A, II. 1 und 2 ergibt sich, dass ein positives Ergebnis seitens Eurodac nach Vergleich der Fingerabdrücke des Antragstellers mit den gemäß Art. 9 der „Eurodac-Verordnung“ genommenen Abdrücken ein Beweis für die Asylantragstellung ist (hier bezogen auf die Normen Art. 20 Abs. 5 und Art. 18 Abs. 1 lit. b, c und d Dublin III-VO).
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Der EURODAC-Treffer der Kategorie 1 (Asylantragsstellung) ist dabei auch als Beweismittel für die Asylantragstellung, Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO, im Rahmen der Prüfung des Art. 21 Dublin III-VO anzusehen, denn ebenso wie für Art. 20 Abs. 5 Dublin III-VO und Art. 18 Abs. 1 lit. b, c und d Dublin III-VO ist auch für Art. 21 Dublin III-VO die Asylantragstellung nach Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO ausschlaggebend. Da damit ein Beweis im Sinne des Art. 22 Abs. 3 lit. a Dublin III-VO vorliegt, hätte die Antragsgegnerin diesen durch Gegenbeweis widerlegen müssen, Art. 22 Abs. 3 lit. a Dublin III-VO, was ihr nicht gelungen ist.
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Das Übernahmeersuchen erfolgte damit fristgerecht. Die Antragsgegnerin antwortete mit Schreiben vom 30. Januar 2020 ebenso fristgerecht, Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO. Auch die anschließende Remonstration Griechenlands erfolgte mit Schreiben vom 20. Februar 2020 fristgerecht innerhalb von drei Wochen, Art. 5 Abs. 2 Satz 1, 2 Dublin-Durchführungsverordnung. Die deutschen Behörden antworteten hierauf fristgerecht innerhalb der zweiwöchigen Antwortfrist, Art. 5 Abs. 2 Satz 3 Dublin-Durchführungsverordnung, am 25. Februar 2020 und bestätigten die bereits getätigte Ablehnung des Übernahmeersuchens. Nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 13. November 2018 ist spätestens mit Ablauf der zweiwöchigen Antwortfrist des Art. 5 Abs. 2 Satz 3 Dublin-Durchführungsverordnung das zusätzliche Remonstrationsverfahren abgeschlossen, gleich ob der ersuchte Mitgliedstaat fristgerecht antwortete oder nicht, und der ersuchende Staat grundsätzlich als zuständig anzusehen (vgl. hierzu: EuGH, U.v. 13.11.2018, C-47/7, C-48/17, juris Rn. 86 ff.). Dies führt allerdings nicht zur Zuständigkeit Griechenlands für die Asylverfahren der Antragsteller. So ist davon auszugehen, dass der Europäische Gerichtshof mit diesem Entscheidungssatz lediglich klarstellen wollte, dass jedenfalls eine unterbliebene Antwort des ersuchten Mitgliedstaates innerhalb der zweiwöchigen Frist des Art. 5 Abs. 2 Satz 3 Dublin-Durchführungsverordnung nicht zur Zuständigkeit des ersuchten Staates führt. So legt der Europäische Gerichtshof dar, dass sich der ersuchte Mitgliedstaat bemühen müsse, binnen zwei Wochen eine Antwort zu erteilen. Ebenso führt er aus, dass die Vorschrift des Art. 5 Abs. 2 Dublin-Durchführungsverordnung, die zu einem zusätzlichen Verfahren führe, im Einklang mit der Dublin III-VO und den mit dieser verfolgten Zielen auszulegen sei (vgl. hierzu: EuGH, U.v. 13.11.2018, C-47/7, C-48/17, juris Rn. 72 f.), was gegen die Annahme einer Zuständigkeitsverschiebung spricht.
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Dieses Ergebnis ergibt sich auch aus folgenden Erwägungen: Bereits die erstmalige Ablehnung des Aufnahmegesuchs durch die Antragsgegnerin wie auch die folgende fristgerechte (Art. 5 Abs. 2 Satz 3 Dublin-Durchführungsverordnung) Antwort auf das Remonstrationsersuchen Griechenlands erfolgten rechtswidrig und können somit keinen Zuständigkeitsübergang auf Griechenland zur Folge haben (vgl. hierzu: VG Ansbach, B.v. 13.8.2020 - AN 17 E 20.50216 - juris Rn. 38 ff., B.v. 2.10.2019 - AN 18 E 19.50790). Andernfalls könnte die Antragsgegnerin durch eine bloße Nichtantwort oder erneute ablehnende Antwort innerhalb der Frist des Art. 5 Abs. 2 Satz 3 Dublin-Durchführungsverordnung einen Zuständigkeitsübergang auf den ersuchenden Staat herbeiführen, obwohl die Antragsteller einen Anspruch darauf haben, dass sich Deutschland für die Prüfung der Asylanträge der Antragsteller zuständig erklärt. Damit würden die familienbezogenen Zuständigkeitskriterien der Dublin III-VO ad absurdum geführt und rechtswidriges Verwaltungshandeln zementiert. Es läge in der Hand des eigentlich zuständigen ersuchten Staates durch treuwidriges Verhalten seine eigene Zuständigkeit zu vereiteln. Anders als im Fall des nicht fristgerecht gestellten Aufnahmegesuchs nach Art. 21 Dublin III-VO, das richtigerweise zur Zuständigkeit des ersuchenden Staates führt, liegt das fehlerhafte Verhalten hier nicht bei dem ersuchenden, sondern beim ersuchten Staat. Dieses Ergebnis kann nicht Intention der Regelungen zur Familienzusammenführung und insbesondere zum Schutz der Minderjährigen im Rahmen der Anwendung der Dublin III-VO sein (vgl. VG Ansbach, B.v. 13.8.2020 - AN 17 E 20.50216 - juris Rn. 38 ff.).
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Die Antragsteller können sich auf die fehlerhafte Anwendung der Zuständigkeitskriterien der Art. 9, 10, 20 Abs. 3 Satz 1 Dublin III-VO auch berufen (vgl. EuGH, U.v. 7.6.2016 - C-63/15 (Ghezelbash) - juris Rn. 63). Die zentrale Stellung, die dem Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates aufgrund der in Kapitel III der Dublin III-VO festgelegten Kriterien für die Anwendung der Verordnung zukommt, wird dadurch bestätigt, dass nach ihrem Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO der Mitgliedstaat, bei dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist, einen anderen Mitgliedstaat nur dann um die Aufnahme eines Asylbewerbers ersuchen kann, wenn seiner Auffassung nach dieser andere Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrages zuständig ist. Außerdem muss das Aufnahmegesuch nach Art. 21 Abs. 3 Dublin III-VO die Beweise und Angaben enthalten, anhand derer die Behörden des Mitgliedstaates prüfen können, ob ihr Staat nach den in der Verordnung definierten Kriterien zuständig ist. Ebenso muss nach Art. 22 Dublin III-VO die Antwort auf das Aufnahmegesuch auf einer Prüfung der Beweismittel und Indizien beruhen, die die Anwendung der in Kapitel III der Dublin III-VO festgelegten Kriterien erlauben. Art. 27 Abs. 1 Dublin III-VO zielt demnach insbesondere auf die Überprüfung der richtigen Anwendung der in Kapitel III der Dublin III-VO normierten Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats (vgl. EuGH, U.v. 7.6.2016 - C-63/15 (Ghezelbash) - juris Rn. 43 f.).
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b) Den Antragstellern ist es auch gelungen, einen Anordnungsgrund glaubhaft zu machen. Es besteht ein unmittelbar drohender Rechtsverlust. Durch den Fortgang der Asylverfahren in Griechenland ist für die Antragsteller ein zeitnaher und dauerhafter Verlust des geltend gemachten Anspruchs nach der Dublin III-VO zu befürchten. Nach den gescheiterten Versuchen des griechischen Dublin-Referats, eine Übernahme der Antragsteller durch die Antragsgegnerin zu erreichen, ist nunmehr eine Sachentscheidung der griechischen Asylbehörden über die Asylbegehren der Antragsteller zu besorgen ist, womit diese nicht mehr dem Anwendungsbereich der Dublin III-VO unterfielen (vgl. VG Berlin, B.v. 15.3.2019 - 23 L 706.18 A - juris Rn. 36; VG Münster, B.v. 20.12.2018 - 2 L 989/18.A - juris Rn. 69). Hierfür ist es insbesondere nicht zwingend erforderlich, dass den Antragstellern bereits ein Anhörungstermin bekannt ist. Auch ohne einen solchen ist hier grundsätzlich mit einer jederzeitigen Sachentscheidung der griechischen Behörden über die Asylanträge zu rechnen.
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c) Ebenso ist vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG ausnahmsweise eine Vorwegnahme der Hauptsache zulässig, da ansonsten ein nicht mehr umkehrbarer Übergang der Zuständigkeit auf Griechenland zu befürchten ist und die Familieneinheit - jedenfalls basierend auf der Dublin III-VO - nicht mehr herbeigeführt werden könnte. Dies wäre den Antragstellern unzumutbar und nicht mehr rückgängig zu machen. Zudem besteht - wie bereits dargelegt - eine hohe Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen in der Hauptsache. Nach alledem führt der Verweis der Antragsgegnerin auf andere Möglichkeiten der Familienzusammenführung, deren Ausgang zudem ungewiss ist, und auf die mögliche Gewährung internationalen Schutzes durch Griechenland, zu keinem anderen Ergebnis. Die Vorwegnahme der Hauptsache ist hier ausnahmsweise geboten.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
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Die Entscheidung ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.