Inhalt

VG Regensburg, Beschluss v. 03.09.2020 – RN 14 S 20.1917
Titel:

Fortbestehen der Quarantäneverpflichtung trotz Vorlage eines negativen Testergebnisses

Normenkette:
IfSG § 2 Nr. 3, Nr. 7, § 4, § 16 Abs. 8, § 28, § 29, § 31, § 56 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege v. 18.8.2020 findet bei summarischer Prüfung in § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG eine ausreichende Rechtsgrundlage und ist mit höherrangigem Recht vereinbar. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege v. 18.8.2020 für Kontaktpersonen der Kategorie I keine Möglichkeit einer vorzeitigen Beendigung der Quarantäne wegen eines negativen Testergebnisses vorsieht. Nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand kann die Inkubationszeit einer COVID-19-Erkrankung bis zu 14 Tage betragen. (Rn. 30 – 34) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweiliger Rechtsschutz gegen eine 14-tägige Quarantäneverpflichtung als Kontaktperson der Kategorie I, Fortbestehen der Quarantäneverpflichtung trotz Vorlage eines negativen Testergebnisses, Vollzugsinteresse, Erkrankung, Quarantäneverpflichtung, COVID-19, Kontaktperson, Friseurin, Testergebnis, Friseursalon, Schließung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 21548

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,--€ festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Aufhebung der ihr gegenüber angeordneten häuslichen Quarantäne als Kontaktperson der Kategorie I.
2
Das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege hat am 18.8.2020 eine Allgemeinverfügung zur Isolation von Kontaktpersonen der Kategorie I, von Verdachtspersonen und von positiv auf das Coronavirus getesteten Personen erlassen (GZ6a-8000-2020/572), die am 18.8.2020 im Bayerischen Ministerialblatt Nr. 464 veröffentlicht wurde und die nach dessen Nr. 8 vom 19.8.2020 bis einschließlich 30.9.2020 gilt.
3
Die Antragstellerin ist nach eigenen Angaben Inhaberin eines Friseursalons in der …gasse, … Am 27.8.2020 wurde eine ihrer Mitarbeiterinnen, Frau …, positiv auf das SARS-CoV-2- Virus getestet. Dies wurde der Antragstellerin am 28.8.2020 ebenso telefonisch vom Gesundheitsamt … mitgeteilt wie ihre Einstufung als Kontaktperson der Kategorie I. Sie habe sich daher vom 29.8.2020 bis 9.9.2020 in Quarantäne zu begeben. Per E-Mail erhielt die Antragstellerin am 31.8.2020 globale Verhaltensregeln des Landratsamtes …, Abteilung Gesundheitswesen (Verhaltensregeln für Kontaktpersonen der Kategorie I). Nach den Ausführungen der Antragstellerin hat sonst keine Behörde Kontakt mit ihr aufgenommen.
4
Die Antragstellerin wandte sich am 2.9.2020 mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz an das Verwaltungsgericht. Sie führte aus, dass ein am 31.8.2020 von Herrn Dr. … und Kollegen, …, … durchgeführter Coronatest negativ gewesen sei. Dennoch habe das Gesundheitsamt … ihre Quarantäneverpflichtung bis 9.9.2020 aufrechterhalten. Es sei nicht nachvollziehbar, dass eine Kontaktperson Kategorie I trotz negativem Test 14 Tage in Quarantäne bleiben müsse. Sie vertrete die Auffassung, dass nach einem negativen Testergebnis auch die Quarantäne sofort aufzuheben sei. Sie habe einen Betrieb, in dem ihre Mitarbeit sehr wichtig und unabdingbar sei.
5
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Antragsgegner zu verpflichten, die ihr gegenüber angeordnete häusliche Quarantäne aufzuheben.
6
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
7
Am Abend des 28.8.2020 sei seitens des Landratsamtes …, Gesundheitswesen, mit der Antragstellerin ein ausführliches Telefongespräch geführt worden, um im Hinblick auf die beiden infizierten Mitarbeiterinnen des Friseurbetriebs der Antragstellerin die Kontaktpersonen zu ermitteln. Die Antragstellerin habe die infizierte Mitarbeiterin … … zuletzt am 26.8.2020 getroffen. Bei diesem Telefonat sei die Antragstellerin als Kontaktperson der Kategorie I eingestuft worden und es sei mündlich eine Quarantäne bis 9.9.2020 angeordnet worden. Für Kontaktpersonen der Kategorie I sei eine Verkürzung der mindestens 14-tägigen Quarantäne (berechnet ab dem letzten Kontakt mit der infizierten Person) auch durch negative Abstrichergebnisse auf SARS-CoV-2 nicht möglich.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, insbesondere auf die zwischen den Beteiligen gewechselten Schriftsätze, Bezug genommen.
II.
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Der Antrag hat keinen Erfolg.
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Er ist zwar zulässig, aber unbegründet, weil nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erforderlichen (aber auch ausreichenden) summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage die Anordnung der häuslichen Quarantäne bis zum 9.9.2020 im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung voraussichtlich rechtmäßig ist. Daher fällt vorliegend die Interessenabwägung zugunsten des Antragsgegners aus.
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1. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, wenn also die aufschiebende Wirkung der Klage kraft Gesetzes entfällt, ganz oder teilweise anordnen. Die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 18.8.2020, Az. GZ6a-G8000-2020/572, zur Isolation von Kontaktpersonen der Kategorie I, von Verdachtspersonen und von positiv auf das Coronavirus getesteten Personen ist gemäß § 28 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 IfSG kraft Gesetzes sofort vollziehbar. Der Antrag kann gemäß § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO auch schon vor Erhebung der Anfechtungsklage eingereicht werden. Im vorliegenden Fall, in dem aufgrund der Eilbedürftigkeit der Entscheidung von vorneherein absehbar ist, dass eine Entscheidung in der Hauptsache nicht rechtzeitig ergehen kann, ist ein Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auch unabhängig von einer Klageerhebung zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts zulässig.
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2. Der Antrag war gegen den Freistaat Bayern, vertreten durch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege, zu richten, nachdem sich die Verpflichtung zur Isolation unmittelbar aus der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 18.8.2020, GZ6a-G8000-2020/572 ergibt. Es bedarf dazu keines weiteren Verwaltungsaktes seitens der Kreisverwaltungsbehörde.
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Im Rahmen seiner Entscheidung hat das Gericht eine Interessenabwägung zwischen dem Vollzugsinteresse der Allgemeinheit sowie dem Interesse des Antragstellers, die Anordnungen bis zur Entscheidung über die Hauptsache nicht befolgen zu müssen, vorzunehmen. Im Rahmen dieser Interessenabwägung spielen die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage eine entscheidende Rolle.
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Vorliegend wird die Hauptsacheklage voraussichtlich erfolglos sein. Die Antragstellerin ist aufgrund von Nr. 2.1.1 i.V.m. Nr. 1.1 der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 18.8.2020, GZ6a-G8000-2020/572 bis einschließlich 9.9.2020 zur Isolation verpflichtet. Daher war der Antrag abzulehnen.
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a) Frau …, die als Friseuse im Friseursalon der Antragstellerin arbeitet, wurde am 27.8.2020 positiv auf das Corona Virus getestet.
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Die Antragstellerin ist als Kontaktperson der Kategorie I schon auf der Grundlage von Nr. 2.1.1 der Allgemeinverfügung des bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 18.8.2020 verpflichtet, sich unverzüglich nach der Mitteilung des Gesundheitsamtes gemäß Nr. 1.1 in Isolation zu begeben und dort bis zum Ablauf des 14. Tages nach dem vom Gesundheitsamt mitgeteilten letzten Kontakt mit einem bestätigten COVID-19-Fall zu bleiben.
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Kontaktpersonen der Kategorie I sind nach Nummer 1.1 der Allgemeinverfügung Personen, denen vom Gesundheitsamt mitgeteilt wurde, dass sie aufgrund eines engen Kontakts zu einem bestätigten Fall von COVID-19 nach den jeweils geltenden Kriterien des Robert Koch-Instituts Kontaktpersonen der Kategorie I sind.
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Die aktuellen Empfehlungen des Robert Koch-Instituts, das bei der Vorbeugung übertragbarer Krankheiten und der Verhinderung der Verbreitung von Infektionen eine besondere Sachkunde aufweist (§ 4 IfSG), definiert in seiner Empfehlung „Kontaktpersonennachverfolgung bei respiratorischen Erkrankungen durch das Coronavirus SARS-CoV-2, Stand 14.8.2020“ die Kontaktpersonen der Kategorie 1 (Personen mit engem Kontakt, „höheres“ Infektionsrisiko) wie folgt:
„Kontaktpersonen der Kategorie I mit engem Kontakt („höheres“ Infektionsrisiko):
- Personen mit kumulativ mindestens 15-minütigem Gesichts- („face-to-face“) Kontakt, z.B. im Rahmen eines Gesprächs. Dazu gehören z.B. Personen aus Lebensgemeinschaften im selben Haushalt.“
- Personen mit direktem Kontakt zu Sekreten oder Körperflüssigkeiten, insbesondere zu respiratorischen Sekreten eines bestätigten COVID-19-Falls, wie z.B. Küssen, Kontakt zu Erbrochenem, Mund-zu-Mund Beatmung, Anhusten, Anniesen, etc.
- Personen, die nach Risikobewertung durch das Gesundheitsamt mit hoher Wahrscheinlichkeit einer relevanten Konzentration von Aerosolen ausgesetzt waren (z.B. Feiern, gemeinsames Singen oder Sporttreiben in Innenräumen)
- Medizinisches Personal mit Kontakt zum bestätigten COVID-19-Fall im Rahmen von Pflege oder medizinischer Untersuchung (≤ 2m), ohne verwendete Schutzausrüstung.
- Falls die Person früher als COVID-19 Fall gemeldet wurde ist keine Quarantäne erforderlich, es soll ein Selbstmonitoring erfolgen und bei Auftreten von Symptomen eine sofortige Selbst-Isolation und -Testung. Bei positivem Test wird die Kontaktperson zu einem Fall. Bei diesem sollten alle Maßnahmen ergriffen werden wie bei sonstigen Fällen auch (inkl. Isolation).
- Kontaktpersonen eines bestätigten COVID-19-Falls im Flugzeug:(…)
(https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Kontaktperson/Management.html#doc13516162bodyText3)
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Die Antragstellerin ist als Inhaberin und Beschäftigte des Friseursalons, die in den gleichen Räumen ihrer beruflichen Tätigkeit nachgeht wie die positiv getestete Angestellte der Antragstellerin, zweifelsfrei als Kontaktperson der Kategorie I in diesem Sinne zu qualifizieren. Es ist davon auszugehen, dass der Kontakt von zwei Mitarbeiterinnen in einem Friseursalon vergleichbar ist mit dem von Lebensgemeinschaften im selben Haushalt.
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b) Die Antragstellerin hat sich als Kontaktperson der Kategorie I bis zum Ablauf des 14. Tages nach dem vom Gesundheitsamt mitgeteilten letzten Kontakt mit einem bestätigten COVID-19 Fall in Isolation zu begeben. Nachdem der letzte Kontakt zwischen der Antragstellerin und ihrer Mitarbeiterin … nach eigener Aussage der Antragstellerin am 26.8.2020 stattfand, ist der der Antragstellerin gegenüber mitgeteilte Quarantänezeitraum bis zum 9.9.2020 nicht zu beanstanden.
21
Die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 18.8.2020 sieht für Kontaktpersonen der Kategorie I keine Möglichkeit einer vorzeitigen Beendigung der Quarantäne wegen eines negativen Testergebnisses vor. Schon aus diesem Grund muss die Antragsgegnerin sich daher bis 9.9.2020 in häuslicher Quarantäne aufhalten.
22
c) Die Antragstellerin ist als Inhaberin eines Friseursalons nicht in einem Unternehmen der kritischen Infrastruktur gemäß Nr. 4.4. der Allgemeinverfügung tätig, so dass von der Quarantäneverpflichtung auch im Einzelfall nicht abgewichen werden konnte.
23
d) Die streitgegenständliche Allgemeinverfügung ist im streitgegenständlichen Fall auch anwendbar. Sie findet bei summarischer Prüfung in § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG eine ausreichende Rechtsgrundlage und ist mit höherrangigem Recht vereinbar.
24
Es bestehen keine Zweifel daran, dass es sich bei der Infektion mit dem SARS-CoV-2, der zur Lungenkrankheit Covid-19 führen kann, um eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 2 Nr. 3 IfSG handelt, sodass der Anwendungsbereich des 5. Abschnitts des Infektionsschutzgesetzes, der sich mit der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten befasst, eröffnet ist.
25
Die Antragstellerin ist Ansteckungsverdächtige im Sinne des § 2 Nr. 7 IfSG und gehört damit zum Kreis der von §§ 28 Abs. 1 S. 1 IfSG erfassten Personen.
26
Nach § 28 Abs. 1 IfSG trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten (Satz 1).
27
Es handelt sich bei der Bestimmung des § 28 Abs. 1 Satz 1 1. HS IfSG n.F. um eine Generalklausel, die die zuständigen Behörden zum Handeln verpflichtet. Nur hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen -„wie“ des Eingreifens - ist der Behörde ein Ermessen eingeräumt. Die Behörde muss ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermessensermächtigung im Interesse des effektiven Schutzes des Lebens und der Gesundheit der Bevölkerung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ausüben. Daran bestehen vorliegend keine Zweifel.
28
Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der verfügten Maßnahmen ist der im allgemeinen Polizei- und Sicherheitsrecht geltende Grundsatz heranzuziehen, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist.
29
Da nach wie vor weder ein Impfstoff noch eine wirksame Therapie gegen eine COVID-19- Erkrankung vorhanden sind, besteht insbesondere bei älteren Menschen und bei Menschen mit Vorerkrankungen ein erhöhtes Risiko eines schweren Verlaufs der Erkrankung mit erheblichen Folgen für Leben und Gesundheit der Bevölkerung und einer Überforderung des Gesundheitssystems. Nach der Risikobewertung des Robert Koch-Instituts handelt es sich weltweit und in Deutschland nach wie vor um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation, die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland ist nach wie vor insgesamt als hoch, für Risikogruppen als sehr hoch einzuschätzen. Angesichts teilweise schwerer und lebensbedrohlicher Krankheitsverläufe muss es Ziel sein, durch geeignete Maßnahmen eine Ausbreitung der Infektion mit SARS-CoV-2 einzudämmen und so weit wie möglich zeitlich zu verlangsamen. Nur so können die vorgenannten Risikogruppen ausreichend geschützt werden. Die häusliche Isolation von Kontaktpersonen ist dabei aus infektionsmedizinischer Sicht eine entscheidende Maßnahme zur Unterbrechung möglicher Infektionsketten. Diese Maßnahme ist daher nicht zu beanstanden.
30
Es ist voraussichtlich auch nicht zu beanstanden, dass die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 18.8.2020 für Kontaktpersonen der Kategorie I keine Möglichkeit einer vorzeitigen Beendigung der Quarantäne wegen eines negativen Testergebnisses vorsieht. Nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand kann die Inkubationszeit bis zu 14 Tage betragen.
31
Das Robert Koch-Institut führt dazu folgendes aus (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html#doc13776792bodyText10):
32
Die Inkubationszeit gibt die Zeit von der Ansteckung bis zum Beginn der Erkrankung an. Die mediane Inkubationszeit wird in den meisten Studien mit 5 Tagen angegeben. In verschiedenen Studien wurde berechnet, zu welchem Zeitpunkt 95% der Infizierten Symptome entwickelt hatten, dabei lag die 95ste Perzentile der Inkubationszeit bei 10-14 Tagen (205-211).
33
Das serielle Intervall definiert das durchschnittliche Intervall vom Beginn der Erkrankung eines ansteckenden Falles bis zum Erkrankungsbeginn eines von diesem angesteckten Falles. Das serielle Intervall ist bei vielen Infektionskrankheiten länger als die Inkubationszeit, weil die Ansteckung oft erst dann erfolgt, wenn ein Fall symptomatisch geworden ist. Letzteres scheint auf SARS-CoV-2-Infektionen nicht zuzutreffen (212), was auch Studien zu asymptomatischen Übertragungen belegen (siehe unten). Das Robert Koch-Institut schätzt das serielle Intervall für SARS-CoV-2 im Median auf vier Tage (Interquartilsabstand: 3-5 Tage), was durch verschiedene Studien gestützt wird (45, 213-215). Prinzipiell ist das serielle Intervall jedoch keine stabile Eigenschaft eines Erregers, sondern hängt (wie die Reproduktionszahl) ebenso von den Eigenschaften der Gesellschaft ab, in der sich ein Virus verbreitet.
34
Es ist daher nach den dargelegten wissenschaftlichen Erkenntnissen davon auszugehen, dass bis zum 14. Tag nach dem letzten direkten Kontakt noch eine (geringe) Wahrscheinlichkeit für eine Infektion besteht. Auch eine Person, die in den Tagen davor noch negativ auf das Virus getestet wurde, kann also bis zum 14. Tag noch eine Infektion entwickeln, so dass ein Test erst zu einem späteren Zeitpunkt positiv anschlägt. Daher müssen alle Personen, die in den letzten 14 Tagen einen engen Kontakt im Sinne der Empfehlungen des Robert Koch-Instituts mit einem COVID-19-Fall hatten, abgesondert werden. Erst nach dem Ablauf von 14 Tagen ist sichergestellt, dass sich diese Person nicht bei der ursprünglich positiv getesteten Person angesteckt hat. Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Quarantäne daher zwingend. Ein zu einem früheren Zeitpunkt gewonnenes negatives Testergebnis ist lediglich eine Momentaufnahme, schließt aber noch nicht mit der erforderlichen Gewissheit aus, dass sich die Kontaktperson der Kategorie I nicht doch angesteckt hat. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass auch eine Kontaktperson der Kategorie I mit einem negativen Testergebnis die vollen 14 Tage in Quarantäne verbleiben muss. Nur dann ist eine Verbreitung des Virus gesichert ausgeschlossen.
35
Hinzu kommt, dass vorliegend der Test -dessen Ergebnis dem Gericht gar nicht vorgelegt wurde und nach den dem Gericht vorliegenden Unterlagen auch nicht dem Gesundheitsamtoffenbar schon einige wenige Tage nach dem möglichen Ansteckungszeitpunkt vorgenommen wurde, so dass dieser im Hinblick auf eine mögliche Ansteckung bei Beachtung der möglichen Inkubationszeit kaum aussagekräftig ist.
36
Die durch die Quarantäneverpflichtung zwangsweise eintretende Einschränkung der Grundrechte der Antragstellerin ist voraussichtlich auch in Abwägung mit den Grundrechten der Allgemeinheit angemessen. Auch wenn die Antragstellerin durch die Anordnung der Isolation bis zum 9.9.2020 ihrer beruflichen Tätigkeit in ihrem Friseursalon nicht nachgehen kann, so handelt es sich dabei nur um eine vorübergehende Einschränkung ihrer Berufsfreiheit. Die für sie angeordnete Isolation hat nicht zwingend die Schließung des gesamten Friseursalons zur Folge, nachdem dieser über mehrere Beschäftigte verfügt und nicht sämtliche Beschäftigte als Kontaktpersonen der Kategorie I unter Isolation stehen. Das IfSG sieht zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen einer angeordneten Quarantäne zudem in § 56 Abs. 1 IfSG eine Entschädigungsmöglichkeit für den entstandenen Verdienstausfall vor. Auf der anderen Seite stellt das Corona Virus eine ernste Bedrohung für Leben und Gesundheit einzelner, insbesondere älterer und kranker Menschen, sowie auch für das Gesundheitssystem und die medizinische Versorgung als Ganzes dar. In der Abwägung der privaten Interessen der Antragstellerin an ihrer beruflichen Tätigkeit in ihrem Friseursalon mit den Interessen der Allgemeinheit an einer effektiven Eindämmung des Virus ist den Interessen der Allgemeinheit im konkreten Fall der Vorrang einzuräumen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Quarantäne nach momentanem Kenntnisstand nur noch bis zum 9.9.2020 und damit nicht einmal mehr eine Woche lang andauern soll.
37
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
38
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abrufbar auf der Homepage des BVerwG).