Inhalt

LG Bamberg, Endurteil v. 01.09.2020 – 42 O 105/20
Titel:

Keine Verjährung von Schadenersatzansprüchen bezüglich eines vom Abgasskandal betroffenen Dieselfahrzeugs bei gerichtlicher Geltendmachung im Jahr 2020 (hier: Audi Q 5)

Normenketten:
StGB § 263
BGB § 31, § 199 Abs. 1, § 249 Abs. 1, § 823 Abs. 2, § 826, § 831
Leitsätze:
1. Zur Frage einer möglichen Verjährung von Ansprüchen im Zusammenhang mit dem Diesel-Abgasskandal bei erst nach dem Jahr 2018 erhobener Klage vgl. nunmehr grundlegend BGH, Urteil vom 17.12.2020 - VI ZR 793/20; noch wie hier: OLG Stuttgart BeckRS 2020, 7263; OLG Oldenburg, BeckRS 2020, 6999; BeckRS 2020, 7000; BeckRS 2020, 6830; a.A. OLG Stuttgart BeckRS 2020, 5743; OLG München BeckRS 2020, 11023; BeckRS 2020, 28789; OLG Koblenz BeckRS 2020, 20955. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Rechtsunkenntnis des Käufers eines vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs kann den Verjährungsbeginn hinausschieben, wenn eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage vorliegt, die selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag, da es dann an der Zumutbarkeit der Klageerhebung als übergreifender Voraussetzung für den Verjährungsbeginn fehlt. (Rn. 79) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Bewertung des Verhaltens der VW AG in einer Vielzahl rechtlicher Einzelpunkte des Anspruchs nach § 826 BGB (Bestehen eines Schadens trotz Weiternutzungsmöglichkeit, Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung - Bindungswirkung des Bescheids des KBA, Schutzzweck der Norm, Sittenwidrigkeit des Handelns der VW AG, Vorsatz aufgrund Organisationsverschuldens) wurde erst im Jahre 2020 abschließend durch eine höchstrichterliche Entscheidung geklärt, so dass im Jahre 2016 auch ein rechtskundiger Dritter die Rechtslage nicht zuverlässig einschätzen konnte. (Rn. 81) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 189, Schadensersatz, Kaufvertrag, Diesel-Fahrzeug, Abschalteinrichtung, Verjährung, Verjährungsbeginn, unsichere und zweifelhafte Rechtslage, höchstrichterliche Klärung
Rechtsmittelinstanz:
OLG Bamberg, Urteil vom 01.04.2021 – 8 U 253/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 21464

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 25.540,88 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.04.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi Q5 mit der Fahrzeugidentifikationsnummer
2. Die Beklagte wird weiter verurteilt, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung seiner Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwälte H. & Partner mbB, G. straße 14, 2... O., in Höhe von 1.358,86 € freizustellen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 19% und die Beklagte 81% zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 31.577,20 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sog. „VW-Abgasskandal“.
2
Der Kläger erwarb im Jahre 2913 einen gebrauchten Audi Q5 zum Preis von 40.700, - € (Anlage K 1) mit einer Laufleistung von 10 km.
3
Herstellerin des PkW war die Audi AG. Die Beklagte stellte den im Fahrzeug verbauten Dieselmotor Motor des Typs EA 189 her. Die Beklagte ist zudem die Muttergesellschaft des Volkswagenkonzerns.
4
Der in dem Fahrzeug verbaute Dieselmotor des Typs EA 189 verfügt über eine Software, die Stickoxidwerte (NOx) im Prüfstandlauf optimiert (sog. Umschaltlogik). Sie erkennt, wenn das Fahrzeug den „Neuen Europäischen Fahrzyklus“ (NEFZ) durchfährt und schaltet das regulär im Betriebsmodus 0 (Straßenbetrieb) betriebene Fahrzeug dann in den Betriebsmodus 1, in dem der Ausstoß von Stickoxiden dadurch verringert wird, dass mehr Abgas über die Abgasrückführung in den Ansaugtrakt des Motors zurückgeführt wird.
5
Dadurch werden auf dem Prüfstand geringere Stickoxidwerte (NOx) erzielt und es konnten im Testzyklus die nach der Euro-5-Abgasnorm (Verordnung (EG) 715/2007 vom 20.06.2007) vorgegebenen Werte eingehalten werden - was im Betriebsmodus 0 nicht möglich gewesen wäre.
6
Das Fahrzeug erhielt folglich auch die EG-Typengenehmigung und wurde von der Beklagten seitdem massenhaft in den Verkehr gebracht.
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Wer auf Seiten der Beklagten hierüber informiert war, ist zwischen den Parteien streitig.
8
Im Jahre 2015 erließ das Kraftfahrtbundesamt (im Folgenden: KBA) einen - inzwischen bestandskräftigen - Bescheid, wonach es feststellte, dass es sich bei der geschilderten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007 i.V.m. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/007 handele und in dem es den Rückruf der Fahrzeuge anordnete, die in einen Zustand zu bringen sind, der den öffentlichrechtlichen Normen entspricht. Seitens der Beklagten wurde - in Abstimmung mit dem KBA - eine technische Überarbeitung mittels Software-Update angeboten, welches die Klägerin hat aufspielen lassen. Funktionsweise, Kosten und Auswirkungen des Software-Updates sind zwischen den Parteien streitig.
9
Das Fahrzeug durfte seit Anordnung des Rückrufs weiter im Straßenverkehr genutzt werden und wurde von dem Kläger auch genutzt. Zuletzt betrug der km-Stand 93.125 km.
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Mit Schreiben vom 06.04.2020 forderte der - rechtsanwaltlich vertretene - Kläger die Beklagte zur Erfüllung von Schadensersatzansprüchen auf.
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Der Kläger stützt seine Klage auf Ansprüche nach §§ 826, 31 BGB; §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. § 263 StGB sowie § 831 BGB.
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Er ist der Meinung, bei der sog. Umschaltlogik handele es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007 i.V.m. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007.
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Die Beklagte habe - auch auf Vorstandsebene - Kenntnis über die Manipulationssoftware gehabt.
14
Der Kläger ist der Meinung, dass die erteilte Typengenehmigung von Anfang an und auch nach Aufspielen des Updates unwirksam sei - das Fahrzeug befinde sich weiterhin in einem nicht zulassungsfähigen Zustand, so dass das Risiko bestehe, dass das Fahrzeug mangels Genehmigung stillgelegt werde.
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Insbesondere über das Bestehen der Typengenehmigung, aber auch über andere Punkte, wie die Schadstoffwerte sei von der Beklagten getäuscht worden. In Kenntnis der gesamten Thematik hätte er das streitgegenständliche Fahrzeug nicht erworben.
16
Zudem führe das Update zu negativen Auswirkungen auf das Fahrzeug, insbesondere zu höherem Spritverbrauch, geringerer Motorleistung und Einschränkungen der Dauerhaltbarkeit der Teile bis hin zum Motorschaden.
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Er meint, Nutzungen seien - wenn überhaupt - auf Grundlage einer Gesamtlaufleistung von 400.000 km anzurechnen.
18
Der Kläger beantragt zuletzt,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 31.577,20 € nebst Zinsen in Höhe von 4% aus 40.700,00 € seit dem 09.10.2013 bis zum 09.04.2020 und seit dem 10.04.2020 in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi Q5, Fahrzeugidentifikationsnummer
2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs Audi Q5, Fahrzeugidentifikationsnummer Annahmeverzug befindet.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den vorgerichtlichen Gebühren seiner Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwälte H. & Partner mbB, G. straße 14, 2... O., in Höhe von 1.474,89 € freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
20
Die Beklagte meint, der Sachvortrag des Klägers zur Kenntnis der Beklagten sei unsubstantiiert. Nach jetzigen Ermittlungsstand habe im maßgeblichen Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses der damalige Vorstand keine Kenntnis von der Programmierung bzw. der Verwendung der Umschaltlogik gehabt Die erteiite Typengenehmigung sei wirksam und das Fahrzeug weiterhin technisch sicher und uneingeschränkt gebrauchstauglich.
21
Sowohl mangels Einbindung der Beklagten in den Verkaufsvorgang als auch ansonsten seien keinerlei Täuschungen durch die Beklagte erfolgt, insbesondere nicht bzgl. der Typengenehmigung, der Nutzbarkeit des Fahrzeugs oder der Schadstoffwerte.
22
Das Update führe nicht zu verringerter Lebensdauer des Fahrzeugs. Entsprechendes habe auch das KBA in seiner Freigabebestätigung bestätigt.
23
Die Marktwerte der betroffenen Fahrzeuge seien stabil. Lediglich aufgrund der - von dem Abgasskandal unabhängigen - Thematik etwaiger Dieselfahrverbote habe sich die Nachfrage zu Benzinern hin verschoben.
24
Bezüglich der Anrechnung von Nutzungen sei von einer Gesamtlaufleistung im Bereich zwischen 200.000 und 250.000 km auszugehen.
25
Die Beklagte ist der Ansicht, es fehle an einem kausalen Schaden und an einer sittenwidrigen Handlung bzw. dem Schädigungsvorsatz der Beklagten. Zudem wird die Einrede der Verjährung erhoben, da die Beklagte davon ausgeht, das eine schlüssige Klage bereits im Jahre 2015 hätte erhoben werden können.
26
Wegen der weiteren Einzelheiten des umfangreichen Sachvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30.06.2020 (BI. 117 ff. d.A.) und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

27
Die zulässige Klage hat im wesentlichen Erfolg.
A.
28
Die Klage ist zulässig.
29
Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Bamberg folgt aus § 32 ZPO.
30
Der Kläger begehrt Schadensersatz gestützt auf deliktische Normen, wobei zum zuständigkeitsbegründenden Begehungsort im Sinne von § 32 ZPO auch der Ort gehört, wo der schädigende Erfoig eingetreten ist, wenn der Schaden Tatbestandsmerkmai der Anspruchsnorm ist (vgi. etwa Zölier - Schultzky, 33. Aufl. 2018, § 32 Rn. 19). Dies ist jedenfails bei § 826 BGB - auf den sich der Kiäger berufen hat - der Fall.
31
Der schädigende Erfolg ist dabei hier am Wohnsitz des Klägers eingetreten (vgi. BeckOK - ZPO / Touissant, 24. Edition, § 32 Rn. 12.1) - mithin im Bezirk des Landgerichts Bamberg.
B.
32
Die Klage ist überwiegend begründet.
33
Dem Kläger stehen gegen die Beklagte Ansprüche auf Schadensersatz in Höhe von 25.540,88 € Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs sowie auf Zahlung von Zinsen jeweils Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs und Freistellung von (anteiligen) Rechtsanwaltskosten zu (§ 826 BGB).
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Die Voraussetzungen dieser Norm - wonach derjenige, der durch ein als sittenwidrig zu qualifizierendes, vorsätzliches Verhalten eines anderen einen Schaden erlitten hat, Anspruch auf Ersatz dieses Schadens hat - liegen vor (so im Ergebnis - mit in Einzelheiten divergierenden Begründungen - auch zwei aktuelle Hinweise von Oberlandesgerichten: OLG Oldenburg, Hinweis vom 19.06.2018 - 2 U 9/18; OLG Karlsruhe, Hinweis vom 06.07.2018 -13 U 17/18; sowie eine Vielzahl anderer aktueller landgerichtlicher Entscheidungen, etwa: LG Potsdam, Urteil vom 16.11.2018 - 6 O 462/17; LG Heilbronn, Urteil vom 22.05.2018 - 6 O 35/18; LG Kiel, Urteil vom 18.05.2018 - 12 O 371/17; LG Hamburg, Urteil vom 18.05.2018 - 308 O 308/17; LG Bonn, Urteil vom 07.03.2018 - 19 O 327/17; LG Krefeld, Urteil vom 28.02.2018 -7 O 10/17; LG Köln, Urteil vom 26.02.2018 - 19 O 109/17; LG Duisburg, Urteil vom 19.02.2018 - 1 O 178/17; LG Düsseldorf, Urteil vom 09.02.2018 - 7 O 212/16; LG Stuttgart, Urteil vom 08.02.2018 - 19 O 68/17; LG Wuppertal, Urteil vom 16.01.2018 - 4 O 295/17; LG Arnsberg, Urteil vom 12.01.2018 - 2 O 134/17; LG Bochum, Urteil vom 29.12.2017 - 6 O 96/17; LG Essen, Urteil vom 19.10.2017 - 9 O 33/17; LG Bielefeld, Urteil vom 16.10.2017 - 6 O 149/16; LG Mainz, Urteil vom 27.07.2017 - 4 O 196/16; LG Mönchengladbach, Urteil vom 11.07.2017 - 1 O 320/16; LG Lüneburg, Urteil vom 29.06.2017 - 3 O 204/16, die in der Folge vielfach in Bezug genommen und zum Teil wörtlich zitiert werden).
Im Einzelnen:
I.
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Dem Kläger ist durch den Erwerb des streitgegenständlichen Pkws Audi Q5 ein Schaden im Sinne von § 826 BGB entstanden.
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1. Ein Schaden im Sinne von § 826 BGB ist nicht nur jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage, in dem Sinne, dass sich bei dem vorzunehmenden Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre, ein rechnerisches Minus ergibt.
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Der Schadensbegriff des § 826 BGB ist vielmehr subjektbezogen, so dass bei wertender Betrachtung Vermögensminderungen oder nachteilige Einwirkungen auf die Vermögenslage umfasst sind, wie - bei Eingriff in die Dispositionsfreiheit - die Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung oder die Vermögensgefährdung durch Eingehung eines nachteiligen Geschäfts (BGH, Urteil vom 19.07.2004 - II ZR 402/02 = zitiert nach juris; BGH, Urteil vom 21. Dezember 2004 - VI ZR 306/03 = BGHZ 161, 361 BGH, Urteil vom 28. Oktober 2014 - VI ZR 15/14 = zitiert nach juris; Münchener Kommentar zum BGB / Wagner, 7. Aufl., § 826 Rn. 41ff.). Dabei ist bei dem Abschluss von Verträgen unter Eingriff in die Dispositionsfreiheit maßgeblich auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen, nicht auf die tatsächliche Realisierung eines Schadens zu einem späteren Zeitpunkt (vgi. BGH, Urteil vom 13. Dezember 2011 - XI ZR 51/10 = BGHZ 192, 90).
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2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze - denen das Gericht folgt - stellt bereits die Tatsache, dass der Kläger aufgrund des Verschweigens der Beklagten über den Einsatz der Umschaltlogik bzw. der Motorsteuerungssoftware einen für ihn ungewollten wirtschaftlich nachteiligen Vertrag (Anlage K 1) geschlossen hat, einen derartigen Schaden dar, da sein Vermögen bereits dadurch - unabhängig von einem messbaren Vermögensnachteil durch einen entstehenden Wertverlust - mit einer ungewollten Verbindlichkeit negativ belastet Ist.
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a) Die wirtschaftliche Nachteiligkeit des Vertrages für den Kläger ergibt sich dabei schon daraus, dass er nicht das erhalten hat, was ihm nach dem Kaufvertrag zustand, nämlich ein technisch einwandfreies, den gesetzlichen Bestimmungen entsprechendes Fahrzeug.
40
Stattdessen hat der Kläger einen Vertrag über einen Pkw geschlossen, der zwar formal über eine erteilte EG-Typgenehmigung verfügte, in den aber gleichzeitig eine unzulässige Abschaltvorrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007 i.V.m. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 eingebaut war, die einer Zuiassung objektiv entgegenstand.
41
(1) Die objektiven Zuiassungsvoraussetzungen in Bezug auf Abschaltvorrichtungen ergeben sich aus folgenden Normen:
42
Gemäß Art. 10 Abs. 1 EG-VO 715/2007 erteilt die nationale Zulassungsbehörde die Typgenehmigung, wenn das betreffende Fahrzeug den Vorschriften der Verordnung und ihrer Durchführungsbestimmungen entspricht.
43
Gemäß § 4 Abs. 4 der Verordnung über die EG-Genehmigung für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, Bauteile und selbstständige technische Einheiten für diese Fahrzeuge (EG-FGV) darf eine EG-Typgenehmigung nur erteilt werden, wenn die erforderlichen Prüfverfahren ordnungsgemäß und mit zufriedenstellenden Ergebnis durchgeführt wurden.
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Nach Art. 5 Abs. 1 EG-VO 715/2007 hat der Hersteller das Fahrzeug so auszurüsten, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht.
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Gemäß Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Nach Art. 3 Nr. 10 EG-VO 715/2007 ist eine „Abschalteinrichtung“ ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdrück im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
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(2) Das streitgegenständliche Fahrzeug verfügte nach Auffassung des Gerichts über eine unzulässige Abschalteinrichtung im derartigen Sinne, so dass die Voraussetzungen für die Erteilung der EG-Typgenehmigung nicht vorliegen.
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Die von den Parteien geschilderte Umschaltlogik - d.h. der Betrieb in zwei verschiedenen Betriebsmodi, bei Rückführung von Emissionen aus dem Verbrennungsprozess durch eine Abgasrückführung teilweise wieder in den Verbrennungsprozess hinein - ist Teil eines Emissionskontrollsystems im Sinne von Art. 3 Nr. 10 EG-VO 715/2007. Die Emissionen werden ersichtlich kontrolliert und gesteuert: Die Motorsteuerung, die den Prüfzyklus erkennt, schaltet im Modus 0 (regulärer Straßenbetrieb) die Abgasrückführung, die der Kontrolle der Emissionen und der Reduzierung des Schadstoffausstoßes dient, ab.
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Soweit die Beklagte dies durch eine Unterscheidung zwischen „so genannten innermotorischen Maßnahmen“ und denjenigen der „Abgasreinigung im Emissionskontrollsystem“ in Zweifel zieht, „lässt sich eine derartige Unterscheidung der Verordnung nicht entnehmen und widerspricht offensichtlich deren Zweck. Die Emissionskontrolle im Sinne der Verordnung ist nicht auf die Abgasreinigung beschränkt. Durch die Rückführung eines Teils der Abgase (Emissionen) in den Verbrennungsprozess im Motor werden die Emissionen kontrolliert. Durch die Fahrzykluserkennung wird dieser Teil des Kontrollsystems abgeschaltet. Die Auslegung der Beklagten widerspricht auch offensichtlich dem Zweck der Verordnung, wonach das Testverfahren möglichst das Verhalten des Fahrzeugs unter normalen Betriebsbedingungen widerspiegeln soll. So schreibt Art. 5 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausdrücklich vor, dass der Herstellerdas Fahrzeug so auszurüsten hat, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Erwägungsgrund 15 der Verordnung weist auf das Ziel hin, dass die bei den Typgenehmigungsprüfungen gemessenen Emissionen denen im praktischen Fährbetrieb entsprechen sollen. Die Motorsteuerung der Beklagten knüpft demgegenüber nicht an bestimmte Betriebszustände oder Umweltbedingungen an, sondern ausschließlich an die Feststellung des NEFZ, zielt also bewusst auf eine Steuerung der Emissionen für den Ausnahmefall der Genehmigungsprüfung.“ (so zutreffend LG Stuttgart, Urteil vom 08.02.2018 - 19 O 68/17 = zitiert nach Juris; inhaltlich ebenso beispielhaft: LG Krefeld, Urteil vom 19.07.2071 - 7 O 147/16 = zitiert nach Juris, LG Hildesheim, Urteil vom 17.01.2017 - 3 O 193/16 = zitiert nach Juris; LG Offenburg, Urteil vom 12.05.2017 - 6 O 199/16 = zitiert nach Juris; LG Düsseldorf - Urteil vom 09.02.2018 - 7 O 212/16 = zitiert nach Juris).
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b) Die durch den wirtschaftlich nachteiligen Vertrag begründete Verbindlichkeit war für den Kläger ersichtlich auch ungewollt:
50
Dies folgt schon daraus, dass bei verständiger Würdigung und unter lebensnaher Betrachtung kein durchschnittiich informierter und wirtschaftiich vernünftig denkender Kunde ein Fahrzeug mit dieser Motorsteuerungssoftware erwerben würde, wenn die Beklagte (oder der Verkäufer) ihn vor dem Kauf darauf hinweisen würde, dass die Software nicht gesetzeskonform ist und er deshalb jedenfalls für den Fall der Entdeckung der Manipulation durch das KBA (wenn auch erst In einigen Jahren) mit Problemen bis hin zum Entzug der Zulassung rechnen muss.
51
Ein Durchschnittskäufer kann und muss nicht davon ausgehen, dass die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte nur deshalb eingehalten und entsprechend attestiert werden, weil eine Software installiert worden ist, die dafür sorgt, dass der Prüfstandslauf erkannt wird und über eine entsprechende Programmierung der Motorsteuerung in gesetzlich unzulässiger Weise insbesondere der Stickoxidausstoß reduziert wird.
52
Insoweit kann auch zwanglos davon ausgegangen werden, dass die Gesetzmäßigkeit des Fahrzeugs schon allein wegen des Einflusses der Manipulation auf die Schadstoffklasseneingruppierung - mit den damit verbundenen steuerlichen und sonstigen Folgen - und die Zulassung des Fahrzeugs für die Kaufentscheidung immer von Bedeutung ist, ohne dass es auf konkrete Äußerungen im Verkaufsgespräch ankäme (so auch LG Arnsberg, Urteil vom 14.06.2017 - 1 O 227/16 = zitiert nach juris; LG Kleve, Urteil vom 31.03.2017 - 3 O 252/16 = zitiert nach juris).
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Bei gehöriger Aufklärung hätte der Kläger vielmehr erkannt, dass sich aus der geschilderten Problematik die Gefahr der Stilllegung des Fahrzeugs sowie zumindest die Gefahr eines massiven Wertverlustes der Kaufsache ergeben und vom Kauf abgesehen (wofür nach Auffassung des LG Duisburg, Urteil vom 19.02.2018 - 1 O 178/17= zitiert nach juris bereits ein Anscheinsbeweis spricht), zumal zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses nicht absehbar gewesen wäre, dass die Beklagte kurzfristig in der Lage ist, ein Software-Update zu entwickeln, dass tatsächlich die Zulassungsfähigkeit herstellt ohne negative Auswirkungen für das Fahrzeug mit sich zu bringen.
54
Auch der Käufer eines gebrauchten Fahrzeuges erwartet regelmäßig, dass er sein Fahrzeug dauerhaft und uneingeschränkt nutzen kann und er sich nicht zu einem ungewissen Zeitpunkt in der Zukunft damit konfrontiert sieht, dass ein Entzug der Zulassung und bei Weiterveräußerung des Fahrzeugs ein massiver Wertverlust droht.
55
Objektive Anhaltspunkte dafür, dass dies im konkreten Fall ausnahmsweise anders war - der Kläger das Fahrzeug mithin auch in Kenntnis der Umschaltlogik zu den vereinbarten Konditionen erworben hätte - sind weder vorgetragen, noch ersichtlich. Sie ergeben sich auch nicht daraus, dass der Kläger erst Jahre nach Aufspielen des Updates Ansprüche geltend gemacht hat - was angesichts der zunächst völlig ungeklärten Rechtslage ohne weiteres verständlich ist.
56
c) Soweit von Beklagtenseite und teilweise auch in der Rechtsprechung (vgi. LG Köln, Urteil vom 07.10.2016 - 7 O 138/16 LG Ellwangen. Urteil vom 10.06.2016 - 5 O 385/15 LG Braunschweig. Urteil vom 19. Mai 2017 - 11 O 4153/16 - jeweils zitiert nach juris) die Auffassung vertreten wird, eine Haftung nach § 826 BGB scheide schon deshalb aus, weil die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen, gegen die die Beklagte durch den Einsatz der Software und die Manipulation des Prüfungsverfahrens verstoßen hat, nicht dem Schutz individueller Vermögensinteressen, sondern gesamtgesellschaftlichen Zielen diene, und deshalb Vermögensschäden im Zusammenhang mit dem Verstoß der Beklagten nicht unter den Schutzbereich des § 826 BGB fielen, folgt das Gericht dieser Auffassung nicht.
„Die Haftung aus § 826 BGB hängt nicht davon ab, auf welchem Weg und unter Verstoß gegen welche gesetzlichen Vorschriften der Schädiger gehandelt hat (vgi. LG Hildesheim, Urteil vom 17.01.2017 - 3 O 139/16; LG Frankfurt (Oder), Urteil vom 17.07.2017 - 13 O 174/16 - jeweils zitiert nach juris). Es steht auch nicht zu befürchten, dass es andernfalls zu einer Ausuferung der Haftung kommen würde: Der Schädiger haftet allein für die durch seine sittenwidrige Schädigung verursachten Vermögensschäden, der Kreis der Ersatzberechtigten wird dadurch eingegrenzt, dass der Schädiger hinsichtlich der Schädigung mit Vorsatz handeln muss (s.u.) und dadurch diejenigen Personen, deren Vermögensschäden zu ersetzen sind, von vornherein ausreichend genau bestimmt werden; erfasst werden im vorliegenden Fall nämlich nur die Erwerber der von der Manipulation betroffenen Fahrzeuge. Im Übrigen übersieht die vorzitierte Rechtsauffassung, dass der Beklagten nicht allein ein Verstoß gegen das Genehmigungsverfahren anzulasten ist, sondern insbesondere, dass sie der Allgemeinheit und den betroffenen Fahrzeugkäufern durch ihre öffentlichen Angaben und die - von ihr zu verantwortenden Übereinstimmungsbescheinigungen - suggeriert, dass die Fahrzeuge bestimmte technische Eigenarten aufweisen, die tatsächlich nicht gegeben sind. Ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB hängt schließlich auch nicht davon ab, ob der Käufer seinen Vermögensschaden von einer anderen Person ersetzt verlangen kann. Das Bestehen von kaufrechtlichen Ansprüchen gegen den Verkäufer schließt deliktische Ansprüche gegen einen Dritten nämlich keinesfalls aus.“ (so zutreffend LG Duisburg, Urteil vom 19.02.208 - 1 O 178/17 = zitiert nach juris; sowie inhaltlich ebenso LG Hildesheim, Urteil vom 17.01.2017 - 3 O 139/16 LG Frankfurt (Oder), Urteil vom 17.07.2017 -13 O 174/16 - jeweils zitiert nach juris). II.
57
Der Schaden des Klägers beruht auch auf einem Verhalten der Beklagten.
58
Die Beklagte musste wissen, dass die Audi AG den von ihr hergestellten Motor In ihre Fahrzeuge einbauen und auf den Markt bringen würde. Dass die Audi AG diesbezüglich bei der Übereinstimmungsbescheinigung des jeweiligen Fahrzeugs falsche Angaben machen muss, um die Fahrzeuge mit der Software vermarkten zu können, war für sie, die selbst Fahrzeuge produziert, absehbar.
59
Dieses Verhalten war für den Schadenseintritt (Eingehung des wirtschaftlich nachteiligen und ungewollten Vertrages) auch unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der Norm adäquat kausal.
III.
60
Das Verhalten der Beklagten ist als sittenwidrig zu qualifizieren.
61
1. Ein Verhalten ist sittenwidrig, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (st. Rspr. seit RGZ 48, 114, 124). In diese rechtliche Beurteilung ist einzubeziehen, ob die Handlung nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist (vgi. BGH, Urteil vom 06.05.1999 - VII ZR 132/97, BGHZ 141,357, 361 Urteil vom 19.07.2004 - II ZR 402/02, BGHZ 160, 149, 157; Urteil vom 03.12.2013 - XI ZR 295/12, WM 2014, 71, Rn. 23 m. w. N.). Für die Annahme einer Sittenwidrigkeit genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde vertragliche Pflichten oder das Gesetz verletzt oder bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft (vgi. BGH, Urteil vom 15.10.2013 - VI ZR 124/12, NJW 2014,1380, Rn. 8 m. w. N.). Ein Unterlassen verletzt die guten Sitten nur dann, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Hierfür reicht die Nichterfüllung einer allgemeinen Rechtspflicht, aber auch einer vertraglichen Pflicht nicht aus. Es müssen besondere Umstände hinzutreten, die das schädigende Verhalten wegen seines Zwecks oder wegen des angewandten Mittels oder mit Rücksicht auf die dabei gezeigte Gesinnung nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als „anständig“ Geltenden verwerflich machen (vgi. BGH, Urteil vom 19.10.2010 -VI ZR 124/09, WM 2010, 2256, Rn. 12 Urteil vom 20.11.2012 - VI ZR 268/11, WM 2012, 2377, Rn. 25 jeweils m. w. N.). Dabei kann es auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Sie kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, Urteil vom 28. Juni 2016 - VI ZR 536/15 -, Rn. 16, juris). Bezüglich des Anstandsgefühls aller billig und gerecht Denkenden kommt es wesentlich auf die berechtigten Verhaltenserwartungen im Verkehr an (Staudinger/Oechsler BGB [2014] § 826, Rn. 31).
62
2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze - denen das Gericht folgt - ist das Verhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren:
63
Die berechtigten Verkehrserwartungen gehen dahin, dass ein Autohersteller sich gewissenhaft an die Regeln hält, denen er im Rahmen des Zulassungsverfahrens unterliegt, und er sich nicht durch falsche Angaben zu wichtigen zulassungsrelevanten Eigenschaften eine Typgenehmigung erschleicht. Dabei wird eine sehr hohe Sorgfalt erwartet, weil das Handeln von einer großen Tragweite sowohl für die Mobilität als auch das Vermögen der einzelnen (zigtausend bis Millionen) Kunden, als auch für die Umwelt (bei in großer Stückzahl produzierten Fahrzeugen hohen Auswirkungen auf die Umweltbelastung und damit wiederum für die Gesundheit der Allgemeinheit) ist und Verstöße zu hohen Schäden führen können. „Den europäischen Normen entsprechend erwartet der Verbraucher objektive und genaue, und somit wahrheitsgemäße Informationen. Verbrauchs- und Emissionswerte haben allgemein eine hohe Bedeutung bei den Anschaffungsentscheidungen. Die allgemeine Verkehrserwartung geht auch dahin, dass sich ein Hersteller nicht durch falsche Angaben oder durch Manipulationen im Rahmen des Prüfverfahrens mit nicht vergleichbaren Werten Wettbewerbsvorteile verschafft. An die Redlichkeit werden besonders hohe Erwartungen gestellt, da der Verbraucher auf die Richtigkeit der Angaben durch den Hersteller angewiesen ist, weil er zu einer eigenen Überprüfung nicht in der Lage ist.
64
Gegen diese berechtigte Verkehrserwartung hat die Beklagte in einem erheblichen Maße verstoßen. Die Installation einer Abschalteinrichtung widersprach offensichtlich den Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 715/2007. Ein Fahr- und Emissionsverhalten, das durch eine spezielle Steuerungssoftware allein auf das Prüfverfahren abgestimmt war und somit - wie die Beklagte selbst vorträgt - keine Rückschlüsse auf die tatsächlichen Eigenschaften im Normalbetrieb erlaubt, widersprach dem erkennbaren Zweck der Vorschrift und erfüllte die Zulassungsvoraussetzungen nicht. Unstreitig wurde die Beklagte durch den Hersteller der Software, die Firma Bosch, vor dem gesetzeswidrigen Einsatz der Software gewarnt. Das Handeln entgegen dieser Warnung verstärkt das Unwerturteil.
65
Bei der Beurteilung der Verwerflichkeit des Handelns ist der hohe Schaden, den die Beklagte verursacht hat, sowie das hohe Risiko für die zahlreichen Fahrzeugkäufer zu berücksichtigen, das die Beklagte in Kauf genommen hat. Der Beklagten war bewusst, dass sie die Anforderungen der Abgasnormen nicht ohne die unzuiässige Abschalteinrichtung erfüiien konnte. Dies foigt bereits aus der instaiiation der Software, die speziell eine Motorsteuerung für den Prüfzyklus vorsah, und somit für die Prüfung nicht geeignete Emissionswerte erzeugte. Ais Automobiihersteiier war ihr weiter bekannt, dass sie keine rechtsbeständige EG-Typgenehmigung durch eine Täuschung im Prüfverfahren erhalten kann und somit die Gefahr des Widerrufs der EG-Typgenehmigung und der Allgemeinen Betriebserlaubnis für die Fahrzeuge bestand. Der dadurch drohende Schaden war angesichts der hohen Stückzahl der produzierten Motoren enorm. Die Inkaufnahme eines derartigen Schadens zum Zwecke des Gewinnstrebens enthält ein hohes Maß an Skrupellosigkeit. Gleichzeitig hat sich die Beklagte gegenüber ihren Mitbewerbern, die auf ordnungsgemäße Weise die Einhaltung der Anforderungen der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nachgewiesen haben, einen unerlaubten Wettbewerbsvorteil verschafft. Sie hat sich die Kosten der Entwicklung einer Technik gespart, die den Anforderungen der Vorschriften gerecht geworden wäre (so zutreffend LG Stuttgart, Urteil vom 08.02.2018 -19 O 68/17 = zitiert nach juris).
66
Die daraus zu entnehmende Gesinnung, aus Gewinnstreben massenhaft die Käufer der so produzierten Autos bei ihrer Kaufentscheidung zu täuschen, die Wettbewerber zu benachteiligen und die Umwelt so zu schädigen, dass Gesundheitsgefahren [für die Allgemeinheit] drohen, weil die Schadstoffwerte (NOx) erhöht werden, lässt das Verhalten insgesamt als sittenwidrig erscheinen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass es sich bei der Anschaffung eines Fahrzeugs für einen Verbraucher in der Regel um eine wirtschaftliche Entscheidung von erheblichem Gewicht handelt und ein Verbraucher als technischer Laie die Manipulation nicht erkennen kann. Die Beklagte hat die Ahnungslosigkeit des Verbrauchers bewusst zu ihrem Vorteil ausgenutzt, was eine besonders verwerfliche Vorgehensweise darstellt. Mit der Motorsteuerungssoftware wurde mit erheblichem Aufwand ein System zur planmäßigen Verschleierung gegenüber Behörden und Verbrauchern geschaffen, um den Umsatz und Gewinn durch die bewusste Täuschung zu steigern (so zutreffend LG Krefeld, Urteil vom 28.02.2018- 7 O 10/17 = zitiert nach juris m. w. Nachweisen).
67
Die subjektive Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände war bei den handelnden Personen unzweifelhaft gegeben.
IV.
68
Die Beklagte hat dabei auch vorsätzlich gehandelt, wobei sie sich das Wissen und Verhalten ihrer Repräsentanten zurechnen lassen muss. 1.
69
Die schädigende Handiung ist der Beklagten nach § 31 BGB (analog) zuzurechnen.
70
a) Die Haftung einer juristischen Person setzt voraus, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter im Sinne des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht (BGH, Urteil vom 28.06.2016 - VI ZR 536/16 = zitiert nach juris).
71
Darüber hinaus wird der Anwendungsbereich des § 31 BGB bei Organisationsmängeln erweitert (Palandt - Ellenberger, BGB - Kommentar, 77. Aufl. 2018, § 31 Rn. 7), denn juristische Personen sind verpflichtet, den Gesamtbereich ihrer Tätigkeit so zu organisieren, dass für alle wichtigen Aufgabengebiete ein verfassungsmäßiger Vertreter zuständig ist, der die wesentlichen Entscheidungen selbst trifft. Entspricht die Organisation diesen Anforderungen nicht, muss sich die juristische Person so behandeln lassen, als wäre der tatsächlich eingesetzte Verrichtungsgehilfe ein verfassungsmäßiger Vertreter (vgi. BGH, Urteil vom 08.07.1980 - VI ZR 158/78 = NJW 1980, 2810).
72
b) Hier hat die Beklagte jedenfalls entgegen der sie treffenden sekundären Darlegungslast nicht dargelegt, dass sie den Organisationsanforderungen gerecht geworden ist.
73
Bei dem Einbau einer manipulierten Motorsteuerungssoftware - die zudem noch von einem Drittunternehmen entwickelt wird - handelt es sich offensichtlich nicht um das Augenblicksversagen eines einzelnen Mitarbeiters, sondern um eine wesentliche strategische Entscheidung mit enormer wirtschaftlicher Bedeutung - wie insbesondere die finanziellen Folgen des Abgasskandals zeigen - und Risiken, bei der millionenfach in den Motor (das „Herzstück“ des Fahrzeuges) eingegriffen wird.
74
Selbst wenn - wie die Beklagte vorträgt (zur Frage einer direkten Zurechnung unter einer sekundären Darlegungslast der Beklagten insoweit etwa LG Düsseldorf, Urteil vom 09.02.2018 - 7 O 212/16 = zitiert nach juris; LG Stuttgart, Urteil vom 08.02.2018 = zitiert nach juris; LG Bonn, Urteil vom 07.03.2018 - 19 O 327/17 = zitiert nach juris) - kein Vorstandsmitglied Kenntnis von dieser Entscheidung hatte, sondern diese weitreichende Entscheidung tatsächlich von Mitarbeitern unterhalb der Vorstandsebene auf nachgeordneter Arbeitsebene getroffen worden sein sollte, läge insoweit offenbar ein massives Organisationsdefizit vor, so dass sich die Beklagte so behandeln lassen muss, als wären die handelnden Mitarbeiter ihre verfassungsmäßigen Vertreter (so auch LG Essen, Urteil vom 28.08.2017 - 4 O 114/17 = zitiert nach juris; LG Düsseldorf, Urteil vom 09.02.2018 - 7 O 212/16 = zitiert nach Juris).
75
2. Die der Beklagten zuzurechnende Handlung war auch vorsätzlich, da die handelnden Personen jedenfalls Art und Richtung des Schadens (massenhafter Abschluss von Kaufverträgen über Fahrzeuge, deren EG-Typgenehmigung erschlichen war) und die Schadensfolgen (Begehr auf Rückgängigmachung des Kaufvertrages) vorausgesehen und zumindest billigend in Kauf genommen haben.
V.
76
Der Anspruch des Klägers ist nicht verjährt.
77
Für den deliktischen Anspruch nach § 826 BGB gilt die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB von 3 Jahren. Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste, § 199 Abs. 1 BGB.
78
Der Beklagten ist es bereits nicht gelungen, darzulegen und zu beweisen, dass eine Kenntnis des Klägers von der Betroffenheit ihres Fahrzeuges von dem sog. „VW-Abgasskandal“, der bereits im Jahre 2015 Gegenstand eine adhoc Mitteilung und der medialen Berichterstattung war, schon im Jahre 2015 bestand.
79
Demgegenüber ist auch nicht ersichtlich, inwieweit der Kläger grob fahrlässig von diesem Umstand in Unkenntnis geblieben ist. Ausnahmsweise kann die Rechtsunkenntnis des Gläubigers den Verjährungsbeginn hinausschieben, wenn eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage vorliegt, die selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag. In diesem Fall fehlt es an der Zumutbarkeit der Klageerhebung als übergreifender Voraussetzung für den Verjährungsbeginn (BGH, Urt. V. 7. 12. 2010 - XI ZR 348/09, NJW 2011, 1278).
80
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze - denen das Gericht folgt - war dem Kläger eine Klageerhebung weder im Jahre 2015 noch im Jahre 2016 zumutbar. Zu diesem Zeitpunkt konnte der Kläger noch nicht sicher abschätzen, ob sein Fahrzeug überhaupt von der „Umschaltlogik“ betroffen ist bzw. ob und inwieweit sich hieraus Ansprüche seinerseits ergeben.
81
Insoweit ist darauf abzustellen, dass die Bewertung des Verhaltens der Beklagten in einer Vielzahl der oben ersichtlichen rechtlicher Einzelpunkte des Anspruchs nach § 826 BGB (Bestehen eines Schadens trotz Weiternutzungsmöglichkeit, Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung - Bindungswirkung des Bescheids des KBA, Schutzzweck der Norm, Sittenwidrigkeit des Handelns der Beklagten, Vorsatz aufgrund Organisationsverschuldens) erst im Jahre 2020 abschließend durch eine höchstrichterliche Entscheidung geklärt wurden und deshalb im Jahre 2016 auch ein rechtskundiger Dritter die Rechtslage nicht zuverlässig einschätzen konnte.
82
Eine Klageerhebung war dem Kläger somit jedenfalls nicht vordem Jahr 2017 zumutbar, weswegen die Verjährung frühestens mit Ablauf des Jahres 2020 eintritt.
VI.
83
Als Rechtsfolge kann der Kläger Schadensersatz nach § 249 Abs. 1 BGB fordern - er hat mithin Anspruch darauf, so gestellt zu werden, als ob das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre.
84
1. Nachdem davon auszugehen ist, dass der Kläger bei Kenntnis des Sachverhalts und der damit verbundenen Risiken für den Fortbestand der Betriebserlaubnis einerseits und des Wertes des Fahrzeugs andererseits den Kaufvertrag über den streitgegenständlichen Pkw nicht geschlossen hätte und damit der Schaden bereits bei Eingehung des Vertrages bzw. mit Vertragsschluss entstanden ist, ist er so zu stellen, als hätte er den Vertrag nicht geschlossen.
85
Er hat folglich Anspruch auf Zahlung des unstreitigen Kaufpreises in Höhe von 40.700,- €, muss jedoch gleichzeitig im Wege des Vorteilsausgleichs das streitgegenständliche Fahrzeug an die Beklagte herausgeben und übereignen (dem ist in Form einer Zug um Zug Verurteilung Rechnung zu tragen) sowie sich die gezogenen Nutzungen anrechnen lassen.
86
2. Dass ein in Abstimmung mit dem KBA entwickeltes Software-Update aufgespielt wurde, ist für die Schadensbeurteilung ohne Relevanz. Der Geschädigte muss sich vom Schädiger nicht das Festhalten an dem Vertrag aufdrängen lassen, zumal die (etwaig nachteiligen) Folgen des Software-Updates möglicherweise erst nach einem längeren Dauerbetrieb auftreten und nur mittels kostspieligen Sachverständigengutachtens geklärt werden können (so auch LG Stuttgart, Urteil vom 08.02.2018,19 O 68/17 = zitiert nach juris). 3.
87
Die Höhe des Nutzungsvorteiis berechnet sich auf Grundlage der Formel Bruttokaufpreis x gefahrene km / Gesamtlaufleistung.
88
Hierbei geht das Gericht nach § 287 ZPO von einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km aus, was bei einem neueren Dieselfahrzeug durchaus realistisch erscheint.
89
Die tatsächlich gefahrenen Kilometer bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung entnimmt das Gericht den unstreitigen Angaben des Klägers - die insgesamt eine Laufleistung von 93.125 km angegeben und nachgewiesen hat.
90
Dies ergibt eine Nutzungsentschädigung von 15.159,12 €, die mit dem Kaufpreis - ohne dass es einer Gestaltungserklärung oder Einrede des Schädigers bedarf (vgi. BGH, NJW 2015, 3160) - zu verrechnen ist.
91
Nachdem die Nutzung während der gesamten Besitzzeit des Klägers - trotz der Umschaltlogik - nicht beeinträchtigt war, kann aus dem bloßen Umstand der Mangelhaftigkeit nicht abgeleitet werden, dass Nutzungsentschädigung nicht geschuldet ist (so auch LG Hamburg, Urteil vom 18.05.2018 - 308 O 308/17 = zitiert nach juris).
92
Insgesamt ergibt sich danach ein Zahlungsanspruch von 25.540,88 €, der Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu erfüllen ist.
VI.
93
Der Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 1,288, 291 BGB i.V.m. der im Schreiben vom 06.04.2020 gesetzten Frist. Die insoweit gesetzte Frist war kurz, jedoch im Hinblick auf die gerichtsbekannte Praxis der Beklagten betreffend außergerichtliche Forderungsanmeldungen angemessen.
94
Nachdem die Nutzung während der gesamten Besitzzeit des Klägers - trotz der Umschaltlogik - nicht beeinträchtigt war, besteht für einen Zinsanspruch aus §§ 849, 246 BGB kein Raum
VII.
95
Dem Kläger steht weiter ein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu (§§ 826, 249 Abs. 1 BGB).
96
Die erforderlichen Rechtsanwaltskosten ergeben sich der Höhe nach aus einer 1,3 Geschäftsgebühr und einem berechtigten Gegenstandswert
von 25.540,88 €
zzgl. Auslagenpauschale und MWSt,
wie foigt: 1,3 Geschäftsgebühr 1.121,90 €
Ausiagenpauschaie 20,00 €
MWSt. 19%
GESAMT: 1.358,86 €
97
Eine über eine 1,3 Geschäftsgebühr hinausgehende Gebühr darf der Kiäger nicht für erforderlich halten. Es handelt sich vorliegend sowohl hinsichtlich des Umfangs als auch hinsichtlich des rechtlichen Schwierigkeitsgrades nicht um einen überdurchschnittlichen Fall. Die diskutierten Rechtsfragen sind Gegenstand unzähliger Rechtsstreitigkeiten und Gerichtsentscheidungen, die Beteiligten verwenden standardisierte Schreiben und Textbausteine formularmäßig in einer Vielzahl von Fällen.
C.
98
Der Antrag des Klägers auf Feststellung des Annahmeverzuges war indes abzuweisen (§ 256 Abs. 1,293 f. BGB).
99
Im vorprozessualen Schreiben vom 06.04.2020 wurden unter Bezugnahme auf die Klageschrift Zinsen ab Kaufpreiszahlung in Höhe von 4% begehrt.
100
Eine solche Zuvielforderung hindert indes den Eintritt des Annahmeverzuges, weil die potentiell weit reichenden Folgen des Annahmeverzuges (§§ 300 ff. BGB) dem Gläubiger billigerweise nicht aufgebürdet werden können, wenn sich der Schuldner zur Herausgabe selbst gegen Erhalt der ihm seinerseits zustehenden Leistung nicht bereit erklärt (vgi. insbesondere LG Kiel, Urteil vom 18.05.2018 - 12 O 371/17 = zitiert nach juris mit umfangreichen Rechtsprechungsnachweisen; LG Köln, Urteil vom 26.02.2018 -19 O 109/17 = zitiert nach Juris).
D.
101
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO und den Anteilen am Obsiegen und Unterliegen. E.
102
Der Ausspruch über die voriäufige Voiistreckbarkeit foigt aus §§ 708 Nr. 11, 709 S. 1,2, 711 ZPO.