VGH München, Urteil v. 06.08.2020 – 22 BV 19.530
Titel:
Sonntagsöffnung von Verkaufsstelle
Normenketten:
GG Art. 9 Abs. 1, Abs. 3
WRV Art. 139
VwGO § 42 Abs. 2, § 43
LadSchlG § 14 Abs. 1
GewO § 69
NRWLÖG § 6 Abs. 1 S. 3
Leitsätze:
1. Eine Sonntagsöffnung nach § 14 LadSchlG in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 und 3 GG ein, wenn dadurch die betreffende Vereinigung mehr als nur geringfügig in ihrer Betätigung beeinträchtigt wird, wobei aufgrund der Gesamtwirkung mit anderen gemeindlichen Verordnungen nach § 14 LadSchlG ein solcher Eingriff bereits angenommen werden kann, wenn eine Gemeinde nur an einem einzelnen Sonntag die Öffnung von Verkaufsstellen zulässt. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. § 43 Abs. 2 VwGO ist seinem Zweck entsprechend einschränkend dahingehend auszulegen, dass die angeordnete Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber einer Leistungsklage bei Klagen gegen den Staat nur gilt, wenn - anders als vorliegend - die Sonderregelungen über Fristen und Vorverfahren für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen unterlaufen würden. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Tatbestandsvoraussetzung „aus Anlass von Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen“ in § 14 Abs. 1 S. 1 LadSchlG ist mit Blick auf das Erfordernis einer allenfalls geringen prägenden Wirkung der Ladenöffnung so zu verstehen, dass die öffentliche Wirkung der traditionell auch an Sonn- und Feiertagen stattfindenden Märkte, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen gegenüber der typisch werktäglichen Geschäftigkeit der Ladenöffnung im Vordergrund stehen muss (wie BVerwG BeckRS 2016, 42071 Rn. 24). (Rn. 36 – 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
gemeindliche Verordnung zur Zulassung einer jährlichen Sonntagsöffnung von Verkaufsstellen im gesamten Gemeindegebiet, Klage von Vereinigungen im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG mit dem Ziel der Feststellung, dass sie durch die zugelassene Sonntagsöffnung in ihren Rechten verletzt werden, prägende Wirkung der anlassgebenden Veranstaltung (verneint), Normenkontrollantrag, Sonntagsöffnung, Gewerkschaft, Popularklage, Feststellungsklage, Leistungsklage, Verkaufsstelle
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Urteil vom 30.10.2018 – B 8 K 18.382
Rechtsmittelinstanz:
BVerwG Leipzig, Beschluss vom 10.05.2021 – 8 B 59.20
Fundstellen:
BayVBl 2021, 819
LSK 2020, 20657
BeckRS 2020, 20657
Tenor
I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 30. Oktober 2018 (Az. B 8 K 18.382) wird abgeändert.
II. Es wird festgestellt, dass die Kläger durch die Verordnung über die Freigabe von Sonntagen zum Verkauf anlässlich von Messen, Märkten und ähnlichen Veranstaltungen vom 24. April 1996 in der Fassung der Änderungsverordnung vom 18. September 1996 in eigenen Rechten verletzt werden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen die Kläger zu je 1/10, die Beklagte zu 8/10.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Kläger wenden sich gegen eine von der Beklagten erlassene Verordnung zur Zulassung bestimmter Sonntagsöffnungen von Verkaufsstellen nach § 14 LadSchlG.
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Die Klägerin zu 1 ist nach ihrer Satzung eine Gewerkschaft für im Dienstleistungsbereich tätige Arbeitnehmer, u.a. im Bereich des Einzelhandels. Im Bezirk Oberfranken West, zu dem die Beklagte zählt, hat die Klägerin zu 1 ca. 11.000 Mitglieder, von denen mehrere Tausend im Handel beschäftigt sind. Der Kläger zu 2 ist ein eingetragener Verein innerhalb der Katholischen Arbeiterbewegung (KAB), der sich in verschiedene Ortsverbände gliedert. Im Erzbistum Bamberg hat die KAB rund 5.000 Mitglieder, die sich zusätzlich zur Verbandsarbeit unter anderem in Pfarrgemeinden, Gewerkschaften und der sozialen Selbstverwaltung engagieren. Die KAB ist nach ihrem Selbstverständnis u.a. eine Interessenvertretung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
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Unter dem 24. April 1996 erließ die Beklagte aufgrund des § 14 Abs. 1 LadSchlG eine „Verordnung über die Freigabe von Sonntagen zum Verkauf anlässlich von Messen, Märkten und ähnlichen Veranstaltungen“ (Amtsblatt der Beklagten vom 3.5.1996, S. 3). Gemäß § 1 der Verordnung dürfen die Verkaufsstellen im gesamten Stadtgebiet der Beklagten, einschließlich aller Gemeindeteile, abweichend von § 3 Satz 1 Nr. 1 LadSchlG alljährlich anlässlich des Frühjahrs- und Herbstmarktes, zeitgleich mit den Bamberger Markttagen, von 12:00 Uhr bis 17:00 Uhr geöffnet sein. Macht der Inhaber einer Verkaufsstelle von der Berechtigung nach § 1 der Verordnung Gebrauch, so muss diese Verkaufsstelle an dem Samstag, der dem jeweiligen freigegebenen Marktsonntag vorausgeht, gemäß § 2 der Verordnung ab 14:00 Uhr geschlossen sein. Mit einer Änderungsverordnung vom 18. September 1996 (Amtsblatt der Beklagten vom 4.10.1996, S.1) wurde die Bezugnahme auf die Bamberger Markttage in § 1 Abs. 1 der Verordnung vom 24. April 1996 gestrichen.
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Mit Bescheid vom 24. Oktober 2006 setzte das Landratsamt Bamberg auf Antrag der Beklagten - unter Ersetzung einer früheren Marktfestsetzung aus dem Jahr 1996 - gemäß § 69 GewO ein jeweils alljährliches Frühjahrs- und Herbstfest fest. Nach Nr. 1 des Bescheides findet der Frühjahrsmarkt zeitgleich mit den Bamberger Markttagen statt. Der Herbstmarkt ist jeweils am zweiten Sonntag im November; falls dieser Termin auf den Volkstrauertag fallen sollte, so findet der Markt bereits am ersten Sonntag im November statt. Die Märkte erstrecken sich jeweils auf den M.platz, einen bestimmten Abschnitt der B. straße sowie auf den Parkplatz eines Gewerbebetriebs. Mit Änderungsbescheid vom 22. Oktober 2018 wurde das Marktgebiet während einer Umbaumaßnahme im Bereich des Marktplatzes auf den Parkplatz vor der sogenannten Marktscheune verlegt.
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Mit ihrer am 17. April 2018 erhobenen Klage begehrten die Kläger mit ihrem Hauptantrag die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Verordnung vom 24. April 1996 in der Fassung vom 18. September 1996 aufzuheben.
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Mit Urteil vom 30. Oktober 2018 gab das Verwaltungsgericht der Feststellungsklage statt. Die Klage sei zulässig. Im vorliegenden Verfahren sei insbesondere die Möglichkeit einer Inzidentkontrolle der streitigen Verordnung im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der auf dieser Verordnung beruhe, ausgeschlossen; die streitgegenständliche Verordnung bedürfe keines Vollzugs durch einen Verwaltungsakt, sondern entfalte unmittelbare Wirkung. Insbesondere bei solchen Self-executing-Normen sei es im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG notwendig, eine Rechtsschutzmöglichkeit auch außerhalb der engen Voraussetzungen des § 47 VwGO und außerhalb verfassungsrechtlicher Streitigkeiten zu eröffnen. Die von den Klägern begehrte Feststellung stelle ein Rechtsverhältnis im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO dar. Die Kläger hätten auch ein berechtigtes Interesse an einer baldigen Feststellung. Die Feststellungsklage sei auch nicht ausgeschlossen, da keine andere Möglichkeit der Kläger, ihre Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage zu verfolgen, ersichtlich sei (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Die Klage sei auch begründet. Die Beklagte sei verpflichtet, die streitgegenständliche Verordnung aufzuheben; diese sei rechtswidrig (geworden), da sie nicht (mehr) den Erfordernissen der zugrundeliegenden Ermächtigungsgrundlage in § 14 LadSchlG genüge. Unter anderem fehle der Verordnung jegliche Abwägung und Prognose bezüglich der prägenden Wirkung des anlassgebenden Herbstmarktes auf das gesamte Stadtgebiet. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Verordnung im Rahmen der Feststellungsklage sei die aktuelle Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Die maßgebliche Sach- und Rechtslage habe sich seit dem Erlass der Verordnung in 1996 wesentlich verändert. Zum einen habe das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2009 mit Entscheidungen vom 1. Dezember 2009 - 1 BvR 2857/07 und 1 BvR 2858/07 - die Rechtsanwendung fortentwickelt; infolgedessen habe sich die Auslegung der Voraussetzungen des § 14 LadSchlG grundlegend gewandelt. Zum anderen habe sich die Sachlage wesentlich verändert. Die derzeitigen Ladenflächen im Bereich der Beklagten stellten sich im Vergleich zur Sachlage im Jahr 1996 grundsätzlich anders dar. Ein Einkaufszentrum im Osten der Stadt habe noch gar nicht existiert. Auch in einem bestimmten Stadtgebiet habe es noch nicht die Vielfalt und Größe an Einzelhandelsflächen gegeben, wie es heute der Fall sei. Auch wenn die streitgegenständliche Verordnung die Öffnungserlaubnis an die Veranstaltung des Frühlings- und des Herbstmarktes knüpfe und diese wirksam festgesetzt worden seien, sei vorliegend das Kriterium „aus Anlass eines Marktes“ im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 1 LadSchlG nicht erfüllt. Dieses Tatbestandsmerkmal setze voraus, dass diese Veranstaltungen so prägend sein müssten, dass sich die Ladenöffnung nur noch als Annex der eigentlich anlassgebenden Veranstaltung darstelle. Maßgebliche Kriterien für die Annahme einer prägenden Wirkung des Marktes seien deshalb, ob der Besucherstrom durch den Markt oder die Ladenöffnung ausgelöst werde, ob es einen räumlichen Bezug zwischen dem Markt und den geöffneten Läden gebe und inwiefern der Markt flächenmäßig die Ladenflächen überwiege. Diese Kriterien seien in wesentlichen Punkten vorliegend nicht erfüllt. Insbesondere gebe es keine Prognosen, Überlegungen oder Erhebungen und Erfahrungswerte zum Besucherstrom. Für manche Stadtteile fehle eine räumliche Beziehung zum Markt völlig. Im Gegensatz zu den genannten Vorgaben dominierten vielmehr die enormen Verkaufsflächen die im Verhältnis dazu geringen tatsächlich genutzten Marktflächen.
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Mit ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen, am 4. März 2019 eingelegten Berufung gegen das Urteil vom 30. Oktober 2018 beantragt die Beklagte,
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unter Aufhebung dieses Urteils die Klage abzuweisen.
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Der Feststellungsantrag der Kläger sei unzulässig, weil gesetzlich nicht vorgesehen und jedenfalls nicht von der Kompetenz des erstinstanzlichen Verwaltungsgerichts umfasst. Das Verwaltungsgericht gehe bei seiner Entscheidung offensichtlich davon aus, dass Art. 19 Abs. 4 GG optimalen oder gar maximalen Rechtsschutz gebiete, was jedoch nicht der Fall sei. Der Gesetzgeber habe sich bei seiner Ausgestaltung des Rechtswegs dazu entschieden, die prinzipale Kontrolle untergesetzlicher Normen über das objektive Normenkontrollverfahren gemäß § 47 VwGO den Oberverwaltungsgerichten bzw. Verwaltungsgerichtshöfen der Länder zuzuweisen, um dergestalt den Vorrang des höherrangigen Rechts, die Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung und die Einheitlichkeit der Rechtsanwendung zu sichern. Den Verwaltungsgerichten hingegen werde eine generell-abstrakte Normverwerfungskompetenz nicht zugestanden, sondern allenfalls deren inzidente Überprüfung im Rahmen der Gewährung des subjektiven Rechtsschutzes, weshalb ein entsprechender Ausspruch nur Wirkung inter partes erzeugen könne. Aus der Verfristung des Normenkontrollantrags den Weg eines „dennoch“ über Art. 19 Abs. 4 GG herzuleiten, sei verfehlt. Dass es bei selbstvollziehenden Vorschriften mangels Vollzugsaktes nicht zu einer Inzidentkontrolle durch die Verwaltungsgerichte kommen könne, dürfe ebenso nicht als Argument für eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der Feststellungsklage herangezogen werden. Auch wenn der feststellende Urteilsausspruch theoretisch nur inter partes gelten solle, so werde de facto doch eine allgemeine inter omnes-Wirkung erzeugt. Die Allgemeingültigkeit eines Feststellungsausspruchs entsprechend einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO könne § 43 VwGO gerade nicht entnommen werden. Das Verwaltungsgericht habe auch nicht untersucht, inwiefern die klagende Gewerkschaft bzw. Vereinigung durch die angegriffene Ladenöffnung in ihrem Tätigkeitsbereich betroffen sei. Dadurch werde die Feststellungsklage nach § 43 VwGO wiederum in unzulässiger Weise zu einer Art Popularklage ausgeweitet. Nach Ablauf der Frist des § 47 Abs. 2 Satz 2 VwGO sei zur Vermeidung einer erheblichen Beeinträchtigung der Rechtssicherheit eine Normenkontrolle nach dem Willen des Gesetzgebers nur noch inzident möglich. Auch fänden sich im angefochtenen Urteil keine Ausführungen zur Anforderung des Bundesverwaltungsgerichts, dass die Interessen der Kläger mehr als nur geringfügig beeinträchtigt sein müssten. Seit über einem Jahrzehnt werde nur noch am Sonntag des sogenannten Herbstmarktes von der Möglichkeit von Sonntagsöffnungen Gebrauch gemacht; der Frühjahrsmarkt sei seitdem nicht mehr als verkaufsoffener Sonntag durchgeführt worden. Dies zeige, dass sich die Beklagte durchaus mit der Thematik befasst und im Wege der Abwägung eine vollzugsbeschränkende Regelung beschlossen habe. Die Verordnung sei im Gesamtzusammenhang von § 14 LadSchlG auszulegen. Die Eingriffsintensität sei unzweifelhaft eine andere, wenn mehrere Tage und nicht lediglich einer von der Sonntagsöffnung betroffen seien. Gerade bei einer lediglich einmaligen Sonntagsöffnung werde deren Ausnahmecharakter besonders deutlich. Eine Differenzierung zwischen einmaliger und viermaliger Sonntagsöffnung erscheine vor der gesetzgeberischen Grundentscheidung, die Sonntagsöffnung überhaupt zu gestatten, geboten. Dem Regel-Ausnahme-Verhältnis, das § 14 LadSchlG zu entnehmen sei, werde vorliegend gerade auch dadurch Rechnung getragen, dass es bei einem anlassbezogenen Ereignis bleibe. Heute umfasse die gelebte Wirklichkeit, welcher mit einer Ausnahme vom sonntäglichen Ladenschluss auch Rechnung getragen werde, längst auch den gemeinsamen, d. h. mit Familien und Freunden durchgeführten Besuch von Märkten und Einkaufszentren als Teil einer seelischen Erhebung. Die Berufsausübungsfreiheit der Verkaufsstelleninhaber und die allgemeine Handlungsfreiheit potentieller Kunden hinsichtlich Bedarfsdeckung und Versorgung würden vom Verwaltungsgericht gar nicht in Betracht genommen. Soweit das Verwaltungsgericht unter Verweis auf das Kriterium des Anlassbezugs verlange, dass eine Besucherprognose anzufertigen sei, so sei dies wegen fehlender praktischer Umsetzbarkeit sowie der Falsifizierbarkeit solcher Prognosen abzulehnen. Stattdessen sei das Anlasskriterium dahingehend zu interpretieren, dass ein bei räumlicher und zeitlicher Nähe vermuteter Zusammenhang für die Erfüllung des Anlasses ausreiche (so etwa § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LÖG NRW). Weiter stelle die Änderung der Rechtsprechung zum Ladenschluss und verkaufsoffenen Sonntagen durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts keine Änderung der Rechtslage dar, die zwangsläufig eine Aufhebung oder Anpassung der Verordnung notwendig machen würde. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei geklärt, dass eine Änderung auch höchstrichterlicher Rechtsprechung grundsätzlich keine Änderung der Rechtslage herbeiführe. Im Hinblick darauf, dass die Kläger nicht bereits nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 2006 Feststellungsklage erhoben hätten, sei auch an den Gesichtspunkt der Verwirkung des Klagerechts zu denken.
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Die Kläger beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Weiter beantragen sie,
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hilfsweise für den Fall, dass der Berufung stattgegeben wird, festzustellen, dass die Kläger durch die Verordnung der Beklagten vom 24. April 1996 in der Fassung vom 18. September 1996 in eigenen Rechten verletzt werden.
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Grundsätzlich seien Verordnungen im Wege der Normenkontrolle gemäß § 47 VwGO anzugreifen. Eine Normenkontrolle sei jedoch vorliegend aufgrund des Verstreichens der Antragsfrist gemäß § 47 Abs. 2 VwGO nicht in Betracht gekommen. Die rechtlichen Verhältnisse hätten sich nach Ablauf der Frist für die Normenkontrolle geändert. Dies betreffe zum einen die Rechtsbetroffenheit der Kläger. Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Dezember 2009 - 1 BvR 2857/07, 1 BvR 2858/07 - sei in Literatur und Rechtsprechung anerkannt gewesen, dass der verfassungsrechtliche Sonn- und Feiertagsschutz gemäß Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV keinerlei subjektive Rechte begründen könne, sondern nur als objektives Staatsziel anzusehen sei. Die vorgenannte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts habe dazu geführt, dass sich nicht nur die Religionsgemeinschaften, sondern auch Träger anderer Grundrechte, die auf den Schutz der Sonn- und Feiertage angewiesen seien, auf den Sonn- und Feiertagsschutz als subjektive Rechte begründendes Verfassungsrecht berufen könnten. Dies habe für die Kläger die Möglichkeit begründet, den Sonn- und Feiertagsschutz zum Beispiel im Zusammenhang mit Sonntagsöffnungen auch gerichtlich durchzusetzen. Zum anderen sei eine Änderung der Rechtslage durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. November 2015 - 8 CN 2/14 - eingetreten, mit der die Voraussetzungen für die Zulassung von Sonntagsöffnungen auf Grundlage des § 14 Abs. 1 LadSchlG deutlich angehoben und damit deren Anwendungsbereich eingeschränkt worden seien. Vorliegend sei diese Änderung maßgeblich, da genau diese Anhebung der Anforderungen dazu geführt habe, dass die streitgegenständliche Verordnung, die nach den ursprünglichen Maßstäben rechtmäßig gewesen sein möge, rechtswidrig geworden sei. Ändere sich aber nach Ablauf der Frist für die Normenkontrolle die Rechtslage so, dass die Verordnung rechtswidrig werde und damit eine Verletzung subjektiver Rechte Dritter verbunden sei, müsse es im Interesse der Durchsetzung der Rechtsschutzgarantie diesen Dritten möglich sein, eine Beendigung der Rechtsverletzung gerichtlich durchzusetzen. Es treffe zwar zu, dass der Gesetzgeber die Normenkontrolle abschließend geregelt habe und deshalb nach Ablauf der maßgeblichen Frist ein Normenkontrollverfahren selbst dann nicht mehr möglich sei, wenn die Verordnung nachträglich rechtswidrig werde. Der Gesetzgeber habe aber damit entgegen der Auffassung der Beklagten nicht geregelt, dass eine Inzidentkontrolle im Rahmen eines Feststellungsverfahrens oder im Rahmen einer anderen Verfahrensart ausgeschlossen sein solle. Das Verwaltungsgericht habe entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs den Tätigkeitsbereich der Kläger zutreffend erfasst und festgestellt, dass insoweit eine Betroffenheit gegeben sei. Schließlich habe das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, dass die streitgegenständliche Verordnung nach den aktuellen Maßstäben als rechtswidrig einzustufen sei und damit die Klägerin in ihren Rechten verletze. Es fehle bereits an der vom Bundesverwaltungsgericht geforderten prägenden Wirkung der als Anlässe angegebenen Veranstaltungen. Die Sonntagsöffnungen stellten sich nach den gesamten Umständen nicht lediglich als Annex zu diesen Anlassveranstaltungen dar. Darüber hinaus fehle es an einer hinreichenden Prognose bezüglich der prägenden Wirkung. Für die Frage der Rechtmäßigkeit einer einzelnen Sonntagsöffnung komme es entgegen der Auffassung der Beklagten nicht darauf an, wie viele Sonntage im Jahr verkaufsoffen seien und wie hoch damit die Eingriffsintensität ausfalle. Entscheidend sei vielmehr, ob ein hinreichender Anlass für die konkrete Sonntagsöffnung gegeben sei und ob damit die gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Durchbrechung des Sonntagsschutzes an diesem Tag vorlägen. Lägen diese Voraussetzung nicht vor, könne die einzelne Sonntagsöffnung nicht rechtmäßig werden, weil keine weiteren Sonntagsöffnungen stattfänden. Entgegen der Auffassung der Beklagten wäre dem von der Verfassung geforderten Regel-Ausnahme-Verhältnis auch nicht allein dadurch Rechnung getragen, dass die Anzahl der verkaufsoffenen Sonntage beschränkt sei. Vielmehr bedürfe jede einzelne Sonntagsöffnung eines konkreten Sachgrundes, der eine Ausnahme von der Regel, dass Geschäfte an Sonntagen geschlossen bleiben müssten, rechtfertige. Es treffe auch nicht zu, dass das sonntägliche Einkaufen aufgrund einer Änderung der sozialen Wirklichkeit als Tätigkeit der „seelischen Erhebung“ im Sinne des verfassungsrechtlichen Sonntagsschutzes zuzuordnen sei und Tätigkeiten im Zusammenhang mit Sonntagsöffnungen damit als „Arbeit für den Sonntag“ einzustufen seien. Vielmehr handele es sich bei Tätigkeiten im Zusammenhang mit einer Sonntagsöffnung um „Arbeit trotz des Sonntags“, die einer besonderen Rechtfertigung bedürfe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in beiden Rechtszügen sowie auf die vorgelegten Vorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Mit dem schriftsätzlich erklärten Einverständnis der Beteiligten kann über die Klage ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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Die Klage ist zulässig, insbesondere liegen die Prozessvoraussetzungen einer Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO vor (1.). Sie erweist sich im Hauptantrag als unbegründet, sodass die Berufung insoweit Erfolg hat und die Klage abzuweisen ist; die Beklagte ist nicht verpflichtet, die von ihr erlassene Verordnung vom 24. April 1996 in der Fassung vom 18. September 1996 insgesamt aufzuheben (2). Die Klage ist allerdings im Hilfsantrag begründet, da die Kläger durch die Verordnung in der derzeit geltenden Fassung in eigenen Rechten verletzt werden (3.).
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1. Die Klage ist als Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO zulässig.
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a) Die von den Klägern gerügte Verletzung in eigenen Rechten durch die von der Verordnung der Beklagten zugelassene Sonntagsöffnung von Verkaufsstellen ist ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO.
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Als Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 VwGO werden die rechtlichen Beziehungen angesehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer diesen Sachverhalt betreffenden öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis mehrerer Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben. Ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis setzt ferner voraus, dass zwischen den Beteiligten dieses Rechtsverhältnisses ein Meinungsstreit besteht, aus dem heraus sich eine Seite berühmt, ein bestimmtes Tun oder Unterlassen der anderen Seite verlangen zu können (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 43 Rn. 12 m.w.N.).
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Die von den Klägern behauptete Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 9 Abs. 1 und 3 GG und Art. 4 GG durch die von der Beklagten zugelassenen Sonntagsöffnungen gemäß § 14 LadSchlG sowie der Anspruch, diese Grundrechtsverletzung zu unterbinden, stellen jeweils ein solches Rechtsverhältnis dar. Die Kläger machen mit Verweis auf entsprechende Rechtsprechung (vgl. z.B. BVerfG, U.v. 1.12.2009 - 1 BvR 2857/07, 1 BvR 2858/07 - juris Rn. 124; BVerwG, U.v. 11.11.2015 - 8 CN 2/14 - juris Rn. 16 f.; BayVGH, U.v. 24.5.2017 - 22 N 17.527 - juris Rn. 41 bis 43) sinngemäß geltend, dass im Einzelhandel tätige Mitglieder, die an den jeweiligen verkaufsoffenen Sonntagen arbeiten, daran gehindert werden, an Veranstaltungen der Kläger an diesen Sonntagen teilzunehmen; weiter werde die Mitgliederwerbung der Kläger erschwert. Diese behauptete Beeinträchtigung der Betätigung der Kläger infolge der Sonntagsarbeit stellt einen konkreten Sachverhalt im vorgenannten Sinne dar. Weiter meinen die Kläger, durch die von der Beklagten gewährte Sonntagsöffnung in Verbindung mit der Gesamtbelastung durch weitere gemeindliche Verordnungen nach § 14 LadSchlG würden Art. 9 Abs. 1 und 3 GG und Art. 4 GG, konkretisiert durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV, verletzt. Ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO ist sowohl die behauptete Grundrechtsverletzung durch die Zulassung der Sonntagsöffnung als mittelbarer Eingriff wie auch der unter Umständen hieraus folgende Anspruch des jeweiligen Klägers gegen die Beklagte, diese Grundrechtsverletzung durch eine Änderung der Verordnung nach § 14 LadSchlG zu beenden (vgl. BVerfG, B.v. 17.1.2006 - 1 BvR 541/02, 1 BvR 542/02 - Rn. 50 f. m.w.N.).
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Die Kläger können ihr Feststellungsbegehren auch gegen den Beklagten als Normgeber richten. Die Sonntagsöffnung, welche nach dem Vortrag der Kläger insbesondere ihre Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 und 3 GG beeinträchtigt, beruht unmittelbar auf der Verordnung der Beklagten; sie bedarf keiner weiteren Konkretisierung oder Individualisierung im Wege des Verwaltungsvollzuges (vgl. BVerwG, U.v. 12.12.2019 - 8 C 8/19 - juris Rn. 12).
23
Zwischen den Beteiligten ist schließlich auch streitig, ob eine solche Grundrechtsverletzung vorliegt und ob ein Änderungsanspruch besteht; dies hängt wiederum von der Vorfrage ab, ob die Voraussetzungen für eine Sonntagsöffnung gemäß § 14 LadSchlG vorliegen.
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b) Das berechtigte Feststellungsinteresse der Kläger im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO liegt in dem mit der Klage verfolgten Ziel, dass die von ihnen angenommene Grundrechtsverletzung durch eine Änderung oder Aufhebung der Verordnung der Beklagten beendet wird.
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c) Die Kläger sind auch klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO analog). Sie können geltend machen, durch die von der Beklagten erlaubten Sonntagsöffnungen mittelbar in ihren Grundrechten aus Art. 9 Abs. 1 und 3 GG verletzt zu sein. Beide Kläger können sich auf die Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 und 3 GG berufen; ob die Betätigung des Klägers zu 2 zudem dem Schutzbereich des Art. 4 GG unterfällt, kann dahinstehen (vgl. hierzu im Einzelnen BayVGH, U.v. 24.5.2017 - 22 N 17.527 - juris Rn. 40 bis 49). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 11.11.2015 - 8 CN 2/14 - juris Rn. 18) und des Verwaltungsgerichtshofs (U.v. 24.5.2017 - 22 N 17.527 - juris Rn. 50) greift eine Sonntagsöffnung nach § 14 LadSchlG in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 und 3 GG ein, wenn dadurch die betreffende Vereinigung mehr als nur geringfügig in ihrer Betätigung beeinträchtigt wird. Aufgrund der Gesamtwirkung mit anderen gemeindlichen Verordnungen nach § 14 LadSchlG kann ein solcher Eingriff bereits angenommen werden, wenn wie vorliegend eine Gemeinde nur an einem einzelnen Sonntag die Öffnung von Verkaufsstellen zulässt. Über das ganze Jahr gesehen kann ein „Flickenteppich“ sonntäglicher Ladenöffnungen entstehen, der die Organisation gemeinschaftlicher gewerkschaftlicher Tätigkeiten an Sonntagen spürbar erschweren kann (vgl. BVerwG, U.v. 11.11.2015 - 8 CN 2/14 - juris Rn. 18). Beide Kläger sind zudem im Bereich der Beklagten mit Untergliederungen vertreten, denen jeweils eine erhebliche Zahl von Mitgliedern angehört.
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d) Der Grundsatz der Subsidiarität (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO) steht der Zulässigkeit der Feststellungsklage vorliegend nicht entgegen.
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Die Kläger können ihr Klageziel einer Änderung bzw. Aufhebung der Verordnung der Beklagten schon deshalb nicht durch eine Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) erreichen, weil die angestrebte Maßnahme kein Verwaltungsakt ist. Das Klagebegehren ist auch nicht vorrangig im Wege einer allgemeinen Leistungsklage zu verfolgen. Ob eine solche Klage vorliegend statthaft wäre, kann offenbleiben. Wie das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 4. Juli 2002 - 2 C 13/01 - (juris Rn. 15 f.) ausgeführt hat, ist § 43 Abs. 2 VwGO seinem Zweck entsprechend einschränkend dahingehend auszulegen, dass die angeordnete Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber einer Leistungsklage bei Klagen gegen den Staat nur gilt, wenn - anders als vorliegend - die Sonderregelungen über Fristen und Vorverfahren für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen unterlaufen würden. Im Übrigen trage die Verfolgung des Klagebegehrens durch eine Feststellungsklage eher als eine Leistungsklage dem Gewaltenteilungsprinzip Rechnung, weil auf die Entscheidungsfreiheit des rechtsetzenden Organs gerichtlich nur in dem für den Rechtsschutz des Bürgers unumgänglichen Umfang eingewirkt werde; die Entscheidung, in welcher Weise eine festzustellende Rechtsverletzung zu beheben sei, bleibe dem Normgeber überlassen.
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e) Der Zulässigkeit der Feststellungsklage steht auch nicht entgegen, dass die Kläger gegen die Verordnung der Beklagten einen Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO hätten stellen können.
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Die Normenkontrolle schließt es nicht aus, dass die Vereinbarkeit der betreffenden Rechtsnorm in einem anderen Rechtsbehelfsverfahren inzident überprüft wird. Die spezielle Regelung zur fristgebundenen Normenkontrolle (vgl. § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO) schließt eine Feststellungsklage nur dann aus, wenn damit die Gültigkeit einer Rechtsnorm oder eine abstrakte Rechtsfrage geklärt werden soll. Anders liegt es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. U.v. 12.9.2019 - 3 C 3/18 - juris Rn. 22 bis 24), wenn die Anwendung einer Rechtsnorm auf einen bestimmten und konkreten Sachverhalt streitig ist, sodass die Rechtmäßigkeit der Norm nur als - wenn auch streitentscheidende - Vorfrage aufgeworfen wird. Für die Frage, inwieweit eine die Feststellungsklage ausschließende Wirkung des § 47 VwGO anzunehmen ist, kommt es folglich nicht auf die im angefochtenen Urteil erörterte Frage an, ob die Verordnung der Beklagten erst nach Erlass rechtswidrig geworden ist.
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Vorliegend geht es den Klägern lediglich darum, durch ein Urteil mit Feststellungsausspruch, dessen Rechtskraft - anders als im Normenkontrollverfahren (vgl. § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO) - gemäß § 121 VwGO auf die Beteiligten beschränkt ist, eine konkrete Verletzung eigener Rechte abzuwehren (vgl. BVerwG, U.v. 12.9.2019 - 3 C 3/18 - juris Rn. 24). Dem steht nicht entgegen, dass die Frage der Vereinbarkeit der Norm mit der Ermächtigungsgrundlage streitentscheidende Vorfrage ist. Dem vorliegenden Rechtsschutzziel widerspräche es im Übrigen, wenn im Verhältnis zwischen den Klägern und der Beklagten festgestellt würde, dass die Verordnung der Beklagten nichtig ist. Aufgrund der Beschränkung der Rechtskraft einer solchen gerichtlichen Feststellung auf die Beteiligten des Rechtsstreits (§ 121 VwGO) könnten sich die Gewerbetreibenden weiterhin auf die Zulassung der Sonntagsöffnung durch diese Verordnung berufen; die sonntägliche Öffnung der Verkaufsstellen und die damit verbundene Sonntagsarbeit würden nicht unterbunden. Im Übrigen kommt der von den Klägern begehrten Feststellung - entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten - nicht deshalb eine Wirkung inter omnes zu, weil die Inhaber der Verkaufsstellen und potentielle Kunden von einer Aufhebung der Verordnung gemäß § 14 LadSchlG betroffen wären. Es würde sich dabei nicht um eine rechtliche Wirkung eines feststellenden Urteilsausspruchs, sondern um eine bloß tatsächliche mittelbare Folge handeln.
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2. Die Klage ist unbegründet, soweit die Feststellung begehrt wird, dass die Beklagte zur Aufhebung der Verordnung vom 24. April 1996 in der Fassung vom 18. September 1996 verpflichtet ist.
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Die Kläger machen geltend, dass die Verordnung in der derzeit geltenden Fassung nicht den Voraussetzungen des § 14 LadSchlG genüge. Sie rügen den räumlichen Geltungsbereich der Verordnung, der das gesamte Stadtgebiet der Beklagten erfasst. Die beiden anlassgebenden Veranstaltungen, der Frühjahrs- und der Herbstmarkt, mit jeweils ca. 40 Ständen fänden ausschließlich auf dem M.platz in der Kernstadt statt; insofern könne davon ausgegangen werden, dass die beiden Märkte in keinem Fall über den Altstadtbereich hinaus ausstrahlen würden. Unter Umständen könne es zudem angezeigt sein, bei Jahreszeitenmärkten wie vorliegend die Öffnung der Verkaufsstellen auf solche Warengruppen zu beschränken, die einen Bezug zu den jahreszeitlichen Themen aufweisen würden.
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Aus diesem Vortrag ergibt sich nicht, dass die Voraussetzungen des § 14 LadSchlG („aus Anlass von Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen“) nicht zumindest bezogen auf den Altstadtbereich vorliegen. Auch hat das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil (Urteilsabdruck S. 18) ausgeführt, im Hinblick auf den M.platz ergebe sich unstreitig ein räumlicher Bezug der Ladenöffnung zum stattfindenden Markt. Es spricht daher alles dafür, dass die Beklagte den Geltungsbereich der Verordnung grundsätzlich in rechtmäßiger Weise auf diesen engeren Bereich festlegen könnte. Dies setzt selbstverständlich insbesondere eine den Anforderungen der Rechtsprechung genügende Begründung einschließlich einer Prognose zu Besucherzahlen voraus. Es bedürfte dann gegebenenfalls keiner Aufhebung, sondern lediglich einer Änderung der Verordnung. Deshalb kann nicht festgestellt werden, dass die Beklagte zu einer Aufhebung der Verordnung verpflichtet ist.
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Eine solche Feststellung kann auch nicht mit der Einschränkung, dass ein engerer Bereich um den M.platz ausgenommen wird, getroffen werden. Dem steht bereits entgegen, dass die exakte Grenzziehung des Geltungsbereichs einer ggf. rechtskonformen Sonntagsöffnung im Hinblick auf dessen Ermessen grundsätzlich nur durch den Verordnungsgeber vorgenommen werden kann (vgl. BayVGH, U.v. 9.8.2018 - 22 N 18.243 - juris Rn. 55). Vorliegend ist auch nicht ersichtlich, dass nach dem Willen der Beklagten als Normgeber die Verordnung jedenfalls für einen definierten räumlichen Teilbereich fortgelten sollte (vgl. entsprechend zu den Voraussetzungen einer Teilnichtigkeit BVerwG, U.v. 12.12.2018 - 8 CN 1/17 - juris Rn. 15).
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3. Die Klage ist im Hilfsantrag begründet, den die Kläger bereits im erstinstanzlichen Verfahren als Hilfsantrag Nr. 1 gestellt und in der Berufungserwiderung vom 12. Juni 2019 aufrechterhalten haben. Demnach ist festzustellen, dass die Kläger durch die Verordnung vom 24. April 1996 in der Fassung vom 18. September 1996 in eigenen Rechten verletzt werden. Insoweit ist der Klage stattzugeben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
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a) In ihrer geltenden Fassung ist die Verordnung der Beklagten nicht von § 14 LadSchlG gedeckt. Die Tatbestandsvoraussetzung „aus Anlass von Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen“ in Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift ist nicht erfüllt.
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Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 11. November 2015 - 8 CN 2/14 - (juris Rn. 24 f.) ausgeführt, diese Tatbestandsvoraussetzung sei mit Blick auf das Erfordernis einer allenfalls geringen prägenden Wirkung der Ladenöffnung so zu verstehen, dass die öffentliche Wirkung der traditionell auch an Sonn- und Feiertagen stattfindenden Märkte, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen gegenüber der typisch werktäglichen Geschäftigkeit der Ladenöffnung im Vordergrund stehen müsse. Die Ladenöffnung entfalte dann eine geringe prägende Wirkung, wenn sie nach den gesamten Umständen als bloßer Annex zur anlassgebenden Veranstaltung erscheine. Das könne in der Regel nur dann angenommen werden, wenn die Ladenöffnung auf das Umfeld des Marktes begrenzt werde, weil nur insoweit ihr Bezug zum Marktgeschehen erkennbar bleibe. Je größer die Ausstrahlungswirkung des Marktes wegen seines Umfangs oder seiner besonderen Attraktivität sei, desto weiter reiche der räumliche Bereich, in dem die Verkaufsstellenöffnung noch in Verbindung zum Marktgeschehen gebracht werde. Darüber hinaus bleibe die werktägliche Prägung der Ladenöffnung nur dann im Hintergrund, wenn nach der anzustellenden Prognose der Besucherstrom, den der Markt für sich genommen auslöse, die Zahl der Besucher übersteige, die allein wegen einer Öffnung der Verkaufsstellen kämen.
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Im angefochtenen Urteil (Urteilsabdruck S. 17 bis 19 unter 2.b.bb. und cc.) wird insbesondere nachvollziehbar dargelegt, dass der räumliche Bezug eines Marktes in der Innenstadt zu den von der Verordnung erfassten Verkaufsstellen in mehreren Stadtteilen nicht gegeben ist. Dies betrifft den Stadtteil Dörfleins (räumliche Trennung vom restlichen Stadtgebiet durch Ackerflächen und den Main; 20 Gehminuten von der Innenstadt), den Stadtteil „Hallstatt Ost“ (abgetrennt durch Bahnlinie; Wegstrecke vom Marktgebiet zu Fuß mindestens 13 Minuten) und das Gebiet „Am Laubanger“ (von der Innenstadt getrennt durch die Autobahn), mit Ausnahme allenfalls bis zum Parkplatz am dortigen Einkaufsmarkt, wo allerdings mittlerweile kein Markt mehr stattfinde; Modenschauen würden von ortsansässigen Einzelhändlern unabhängig vom Markt als Werbemaßnahme abgehalten. Weiter hat das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass nach unwidersprochenen Angaben der Kläger die geöffneten Verkaufsflächen mit 58.000 m² die Marktfläche von 2.000 m² deutlich überschreiten. Ausweislich des vorlegten Budenplans neueren Datums sei in den letzten Jahren tatsächlich nur der Marktplatz als Marktfläche mit bis zu 30 Verkaufsbuden genutzt worden, sodass ein deutliches Ungleichgewicht zwischen geöffneten Ladenflächen und den anlassgebenden Marktflächen festzustellen sei. Hinzu kommt, dass eine Prognose zu Besucherströmen, die einerseits von dem Marktgeschehen und andererseits von der Sonntagsöffnung der Verkaufsstellen hervorgerufen wird, unstreitig nicht angestellt wurde (vgl. Urteilsabdruck S. 17 unter 2.b.aa.). Die Beklagte ist den vorstehenden schlüssigen Erwägungen des Verwaltungsgerichts mit der Berufungsbegründung nicht konkret entgegengetreten.
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Eine Vermutungsregelung betreffend die Prägung durch ein Marktgeschehen wie in § 6 Abs. 1 Satz 3 LÖG NRW („Das Vorliegen eines Zusammenhangs im Sinne des Satzes 2 Nummer 1 wird vermutet, wenn die Ladenöffnung in räumlicher Nähe zur örtlichen Veranstaltung sowie am selben Tag erfolgt“), auf die die Beklagte der Sache nach hinweist, kennt der in Bayern fortgeltende § 14 LadSchlG nicht. Unabhängig davon hat das BVerwG in seinem Urteil vom 20. Juni 2020 - 8 CN 3.19 - (vgl. Pressemitteilung des BVerwG Nr. 36/2020 v. 22.06.2020 - juris) hervorgehoben, dass bei verfassungskonformer Auslegung dieser Vorschrift die Vermutung z.B. wegen des erheblichen Umfangs der Zahl der geöffneten Verkaufsstellen sowie deren Fläche widerlegt sein kann; gegebenenfalls dürfe nicht auf einen Vergleich der zu erwartenden Besucherströme verzichtet werden.
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In dem weiteren Urteil vom 20. Juni 2020 - 8 CN 1.19 - (vgl. Pressemitteilung des BVerwG Nr. 36/2020 v. 22.06.2020 - juris) hat das Bundesverwaltungsgerichts erneut betont, dass die prägende Wirkung einer anlassgebenden Veranstaltung, u.a. hinsichtlich der räumlichen Ausstrahlungswirkung gewährleistet sein muss. Weiter wurde in dieser Entscheidung klargestellt, dass eine strenge Beschränkung der Höchstzahl verkaufsoffener Sonntage es nicht rechtfertigt, die Anforderungen an den Bezug der sonntäglichen Ladenöffnung zu der anlassgebenden Veranstaltung auf den Ausschluss bloßer Alibiveranstaltungen zu senken. Dem liegt zugrunde, dass (selbstverständlich) jede einzelne Sonntagsöffnung voraussetzt, dass jeweils die Tatbestandsvoraussetzungen des § 14 LadSchlG vorliegen. Entsprechend gilt vorliegend entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten für die Anforderungen an die Zulassung der Sonntagsöffnung von Verkaufsstellen nicht deshalb ein anderer rechtlicher Maßstab, weil durch die vorliegende Verordnung die gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 LadSchlG maximale Zahl von vier verkaufsoffenen Sonn- und Feiertagen nicht ausgeschöpft wurde und in der Praxis derzeit von einem der nach der Verordnung jährlich zwei verkaufsoffenen Sonntage kein Gebrauch gemacht wird.
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b) Da die streitgegenständliche Verordnung in der geltenden Fassung nicht von der Ermächtigung im § 14 Abs. 1 Satz 1 LadSchlG gedeckt ist und die Kläger mehr als nur geringfügig in ihren Rechten beeinträchtigt werden (vgl. oben unter 1. c), werden durch die zugelassenen Sonntagsöffnungen deren Rechte aus Art. 9 Abs. 1 und 3 GG verletzt (vgl. insoweit zur Anfechtungsklage einer Gewerkschaft BayVGH, B.v. 8.12.2016 - 22 ZB 16.1180 - juris Rn. 14).
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte obsiegt im vorliegenden Rechtsstreit nur zu einem geringen Teil, der mit einem Kostenanteil von 1/5 bemessen wird. Auch dann, wenn entsprechend dem Hauptantrag der Kläger eine Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung ihrer Verordnung festgestellt worden wäre, hätte die Beklagte für einen räumlichen Teilbereich eine neue Verordnung gemäß § 14 LadSchlG erlassen dürfen. Der Unterschied zum vorliegenden Urteilsausspruch erschöpft sich im Ergebnis darin, dass die Beklagte diesem entweder mit einer Aufhebung (ggf. verbunden mit dem Neuerlass einer Verordnung) oder einer bloßen Änderung der Verordnung Rechnung tragen kann.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
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Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).