Inhalt

VGH München, Beschluss v. 07.08.2020 – 5 CS 20.1302
Titel:

Publikation eines lebensmittelrechtlichen Kontrollberichts auf der Internetseite "TopfSecret"

Normenketten:
VIG § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 5 Abs. 4 S. 1, § 6 Abs. 1 S. 1, S. 3, Abs. 3 S. 2, Abs. 4 S. 2
LFGB § 40 Abs. 1a
VwGO § 80a Abs. 3, § 146 Abs. 4 S. 3, § 152 Abs. 1
GG Art. 5 Abs. 1
DSGVO Art. 4 Nr. 1, Nr. 2, Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. c, Abs. 3 S. 1
Leitsätze:
1. Der Begriff der „nicht zulässigen Abweichung“ i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VIG, erfasst jede objektive Nichtbeachtung von Rechtsvorschriften. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Ergebnis- oder Kontrollberichte über eine lebensmittelrechtliche Betriebsprüfung unterliegt keiner Begründungspflicht, weil Art. 39 BayVwVfG mangels Verwaltungsaktqualität nicht anwendbar ist. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für den Informationsanspruch aus § 2 Abs. 1 S. 1 VIG kommt es auf eine etwaige Strohmann-Eigenschaft des Antragstellers nicht an. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Versagungsgrund des Rechtsmissbrauchs nach § 4 Abs. 4 S. 1 VIG, der insb. bei überflüssigen Anfragen (vgl. § 4 Abs. 4 S. 2 VIG) oder querulatorischen Begehren zum Tragen kommt, ist bei Antragstellungen im Rahmen einer Kampagne Dritter nicht einschlägig. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
5. Die Publikation eines Kontrollberichts auf der von privater Seite betriebenen Plattform „TopfSecret“ kann erkennbar keine staatliche Autorität in Anspruch nehmen. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Informationszugang nach dem Verbraucherinformationsgesetz, Übermittlung der Ergebnisse einer lebensmittelrechtlichen Betriebsprüfung, Antragstellung über die Internetplattform „Frag den Staat“ im Rahmen der Initiative „TopfSecret“, Art und Weise der Informationsgewährung, Richtigstellung der zugänglich gemachten Informationen, Streitwertfestsetzung, Auskunftsanspruch, aufschiebende Wirkung, Meinungsfreiheit, Informationszugang, Verschulden, Betriebsprüfung, Internetplattform, Informationsgewährung, Verbraucherinformationsgesetz
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 04.05.2020 – RO 5 S 20.541
Fundstelle:
BeckRS 2020, 20595

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 4. Mai 2020 wird abgeändert. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird unter Abänderung der erstinstanzlichen Festsetzung für beide Instanzen auf je 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin, die ein Gasthaus mit Hotel im Stadtgebiet der Antragsgegnerin betreibt, wendet sich gegen die Übermittlung der Ergebnisse einer lebensmittelrechtlichen Betriebsprüfung (im Folgenden: Ergebnis- oder Kontrollberichte) an den Beigeladenen (im Folgenden auch: VIG-Antragsteller).
2
Im März 2019 beantragte der Beigeladene über die Internetplattform „Frag den Staat“ im Rahmen der Initiative „TopfSecret“ bei der Antragsgegnerin Informationen über die beiden letzten lebensmittelrechtlichen Betriebsprüfungen im Betrieb der Antragstellerin. Für den Fall einer Beanstandung begehrte er zudem die Herausgabe der entsprechenden Kontrollberichte, wobei er um Antwort in elektronischer Form bat. Die Antragsgegnerin hörte die Antragstellerin mit Schreiben vom 9. Oktober 2019 zur beabsichtigten Herausgabe an. Im Anhörungsschreiben hieß es, dass der Betrieb am 29. September 2017 und am 4. März 2019 kontrolliert worden sei. Es sollten daher die anliegenden Kontrollberichte hierzu übermittelt werden. Die Antragstellerin stimmte der Gewährung von Informationen nicht zu.
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Mit Bescheid vom 13. März 2020 gab die Antragsgegnerin dem Antrag des Beigeladenen statt und kündigte die Bekanntgabe der Daten der beiden letzten lebensmittelrechtlichen Betriebsüberprüfungen sowie die Herausgabe der entsprechenden Kontrollberichte an. Die Auskunft werde schriftlich zehn Tage nach Zustellung des Bescheids im Rahmen einer schriftlichen Information erteilt. Dies wurde der Antragstellerin mit Schreiben vom selben Tag mitgeteilt. Dem Schreiben an die Antragstellerin waren eine Kopie des an den Beigeladenen ergangenen Bescheids sowie die entsprechenden Kontrollberichte beigefügt.
4
Die Antragstellerin erhob gegen den an den Beigeladenen gerichteten Bescheid am 2. April 2020 Klage und beantragte zugleich die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Das Verwaltungsgericht Regensburg ordnete mit Beschluss vom 4. Mai 2020 die aufschiebende Wirkung der Klage an. Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde, in der sie beantragt,
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den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 4. Mai 2020 aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abzulehnen.
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Die Antragstellerin beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Der Beigeladene hat sich auch im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
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1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 4. Mai 2020 ist zulässig. Insbesondere entspricht die Beschwerdebegründung noch den Darlegungserfordernissen nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Sie ist zwar äußerst knapp gehalten, setzt sich aber insbesondere mit der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Interessenabwägung, die letztlich für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts maßgeblich war, auseinander.
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2. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80a Abs. 3 Satz 2, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu Unrecht angeordnet, da der Hauptsacherechtsbehelf der Antragstellerin keinen Erfolg haben kann (dazu a) und auch eine Interessenabwägung zu keinem anderen Ergebnis führt (dazu b).
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a) Die Klage ist aller Voraussicht nach unbegründet, weil sich der auf das Verbraucherinformationsgesetz gestützte Bescheid als rechtmäßig erweist. Der Anwendungsbereich des Gesetzes ist eröffnet und die sachlichen Anspruchsvoraussetzungen liegen vor (aa). Der Beigeladene ist anspruchsberechtigt; sein Begehren ist nicht rechtsmissbräuchlich (bb). Ausschluss- und Beschränkungsgründe greifen nicht ein (cc). Die Informationsgewährung verstößt nicht gegen Grundrechte der Antragstellerin, auch wenn der Beigeladene die erlangten Informationen weiterverwenden sollte (dd). Die Art und Weise des Informationszugangs ist nicht zu beanstanden (ee).
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aa) Der geltend gemachte Informationszugangsanspruch stützt sich auf das Gesetz zur Verbesserung der gesundheitsbezogenen Verbraucherinformation (Verbraucherinformationsgesetz - VIG), das im Streitfall Anwendung findet.
14
Der Senat geht davon aus, dass die Informationen über die streitgegenständlichen lebensmittelrechtlichen Kontrollen entsprechend der Erklärung der Antragsgegnerin im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (Schriftsatz vom 28.4.2020) und dem Vortrag im Beschwerdeverfahren in der Form eines Ergebnisprotokolls, wie es dem bayernweit einheitlichen Fachsystem TIZIAN entspricht, gegeben werden. Nach diesem System werden die festgestellten nicht zulässigen Abweichungen beschrieben und hierzu die Rechtsnormen, gegen die verstoßen worden sein soll, benannt.
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Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG bezieht sich der Zugangsanspruch auf alle Daten über behördlich „festgestellte nicht zulässige Abweichungen“ von bestimmten (lebensmittel-)rechtlichen Anforderungen. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals geklärt. Der Begriff der „nicht zulässigen Abweichung“, der das frühere Merkmal des „Verstoßes“ abgelöst hat, erfasst jede objektive Nichtbeachtung von Rechtsvorschriften. Auf subjektive Elemente wie Verschulden oder Vorwerfbarkeit kommt es ebenso wenig an wie darauf, ob ein Verstoß gegen Vorschriften des Ordnungswidrigkeiten- oder Strafrechts vorliegt oder ob die festgestellten nicht zulässigen Abweichungen zu weiteren Maßnahmen der Lebensmittelbehörde über die bloße Feststellung hinaus geführt haben. Im Interesse einer zeitnahen Information muss die „nicht zulässige Abweichung“ nicht durch Verwaltungsakt festgestellt worden sein (vgl. BVerwG, U.v. 29.8.2019 - 7 C 29.17 - NJW 2020, 1155 Rn. 30).
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In der Benennung einer Rechtsgrundlage hinsichtlich der einzelnen jeweils als Verstoß gekennzeichneten Beanstandungen im Rahmen einer Betriebskontrolle liegt zugleich die rechtliche Subsumtion in Form einer juristisch-wertenden Einordnung der tatsächlichen Feststellungen bei der Kontrolle. Der im Ergebnis- oder Kontrollbericht festgestellte Sachverhalt in Verbindung mit der Benennung der Rechtsvorschrift, gegen die verstoßen worden sei, belegt eine rechtliche Subsumtion mit dem Ergebnis einer festgestellten nicht zulässigen Abweichung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG. Einer Begründung der Subsumtion bedarf es nicht, weil ein Kontrollbericht keinen Verwaltungsakt darstellt und damit nicht der Begründungspflicht des Art. 39 BayVwVfG unterliegt. Insofern reichen die Angabe des festgestellten Sachverhalts und die Zuordnung zu der Rechtsvorschrift, gegen die nach Auffassung der Behörde verstoßen worden ist, für eine Subsumtion. Ob die Subsumtion der Behörde zutreffend ist, ist gegebenenfalls in einem anderen Verfahren zu klären.
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Anhaltspunkte dafür, dass die streitgegenständlichen Ergebnisberichte etwas anderes enthalten als Informationen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG, sind nicht ersichtlich; solche legt die Antragstellerin jedenfalls nicht dar.
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bb) Der Beigeladene ist anspruchsberechtigt, ohne dass ihm der Verweigerungsgrund des Rechtsmissbrauchs entgegengehalten werden könnte.
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(1) Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 VIG hat „jeder“ nach Maßgabe dieses Gesetzes Anspruch auf freien Zugang zu den dort näher bezeichneten Informationen. Nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte ist dieser Anspruch ein voraussetzungslos ausgestaltetes Jedermannsrecht, das nicht von der Verbrauchereigenschaft abhängt (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 14 ff.). Er steht dem Beigeladenen, einer natürlichen Person, ohne Weiteres zu. Ein Ermessen der Behörde besteht nicht. Soweit die Antragstellerin dem Beigeladenen die Anspruchsberechtigung absprechen möchte, weil er als Strohmann ohne Eigeninteresse agiere, ist dem nicht zu folgen. Wie das Bundesverwaltungsgericht im Anschluss an die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (U.v. 16.2.2017 - 20 BV 15.2208 - LRE 74, 122 = juris Rn. 26 ff.) ausgeführt hat, zielt das Verbraucherinformationsgesetz gerade auf die Gewährleistung eines weiten Informationszugangs ab. Einzelpersonen sollen nicht nur eine informierte Konsumentscheidung treffen, sondern zugleich als Sachwalter des Allgemeininteresses fungieren können (BVerwG, a.a.O., Rn. 15; vgl. bereits BayVGH, B.v. 6.7.2015 - 20 ZB 14.977 - juris Rn. 11). Auf eine etwaige Strohmann-Eigenschaft kommt es ebenso wenig an wie auf die Frage, ob die im Hintergrund stehende Informationskampagne „TopfSecret“ den Schutz der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG genießt. Der Informationszugangsanspruch ist auf § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG und nicht auf Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gestützt.
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(2) Der Versagungsgrund des Rechtsmissbrauchs nach § 4 Abs. 4 Satz 1 VIG, der insbesondere bei überflüssigen Anfragen (vgl. § 4 Abs. 4 Satz 2 VIG) oder querulatorischen Begehren zum Tragen kommt, ist bei Antragstellungen im Rahmen einer Kampagne Dritter ebenfalls nicht einschlägig (so auch VGH BW, B.v. 13.12.2019 - 10 S 1891/19 - Rn. 29; NdsOVG, B.v. 16.1.2020 - 2 ME 707/19 - juris Rn. 14; OVG NW, B.v. 16.1.2020 - 15 B 814/19 - juris Rn. 31 ff.; offen gelassen von OVG RP, B.v. 15.1.2020 - 10 B 11634/19 - juris Rn. 6). Dabei kann dahinstehen, ob § 4 Abs. 4 VIG drittschützend ist oder nur dem Allgemeininteresse an einer funktionierenden Verwaltung dient (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 21 ff.). Eine kampagnenartige Weiterverwendung der Information ist im Verbraucherinformationsgesetz gerade angelegt und entspricht dessen Zielsetzung. Ein Verfassungsverstoß liegt darin nicht (vgl. dazu unten dd), so dass es auch der im Schrifttum (Gärditz, LMuR 2020, 62/67 f.) angemahnten verfassungskonformen Auslegung der Missbrauchsklausel des § 4 Abs. 4 VIG nicht bedarf. Eine Suche nach der „wahren“ Motivlage, die der Ausübung eines dem Antragsteller nach dem Gesetz zustehenden Rechts zugrunde liegt, findet in der Judikatur zum Rechtsmissbrauch keine Stütze (vgl. BVerwG, B.v. 17.7.2019 - 3 BN 2.18 - NVwZ-RR 2019, 1027 Rn. 15 ff. zur Frage einer rechtsmissbräuchlichen Antragstellung im Normenkontrollverfahren).
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cc) Der Herausgabe der begehrten Information stehen Ausschluss- und Beschränkungsgründe nach § 2 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 3 VIG nicht entgegen.
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(1) Nach § 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c VIG besteht der Informationsanspruch wegen entgegenstehender privater Belange nicht, soweit durch die begehrten Informationen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse offenbart würden. Kraft der gesetzlichen Wertung des § 3 Satz 5 Nr. 1 VIG sind festgestellte nicht zulässige Abweichungen allerdings von vornherein nicht als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse einzustufen, an denen ein schutzwürdiges Interesse der Unternehmen bestehen könnte (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 34 m.w.N.). Der Gesetzgeber hat mit § 3 Satz 5 Nr. 1 VIG die konfligierenden Interessen selbst abgewogen und dem öffentlichen Interesse an Information den Vorrang eingeräumt. Unabhängig davon, ob die in lebensmittelrechtlichen Kontrollberichten festgestellten Normabweichungen begrifflich überhaupt als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse angesehen werden können, greift damit der Ausschlussgrund des § 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c VIG nicht zugunsten der Antragstellerin ein.
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(2) Auch der Schutz personenbezogener Daten nach § 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a VIG kann dem Auskunftsanspruch nicht entgegengehalten werden. Soweit die Herausgabe von Informationen durch die Antragsgegnerin als Verarbeitung personenbezogener Daten im Sinn des Art. 4 Nr. 1 und 2 DSGVO zu werten sein sollte, wäre der Vorgang gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c, Abs. 3 Satz 1 DSGVO gerechtfertigt (vgl. VGH BW, a.a.O., Rn. 25). Dem Beigeladenen sind etwaige personenbezogene Daten der Antragstellerin, sofern sie diese in ihrem Firmennamen verwendet, ohnehin bekannt. Nach Art. 86 DSGVO können personenbezogene Daten in amtlichen Dokumenten von der Behörde offengelegt werden, um den Zugang der Öffentlichkeit zu amtlichen Dokumenten mit dem Recht auf Schutz personenbezogener Daten in Einklang zu bringen. Den Vorgaben dieser Öffnungsklausel, die eine Regelungsbefugnis des nationalen Gesetzgebers für das Informationszugangsrecht enthält (vgl. BayVGH, U.v. 13.5.2019 - 4 B 18.1515 - NJW 2020, 85 Rn. 28), trägt das Verbraucherinformationsgesetz mit seinem abgestuften, die wechselseitigen Interessen berücksichtigenden Regelungsmodell Rechnung. Soweit die Antragstellerin datenschutzrechtliche Verstöße des Beigeladenen oder der Plattform TopfSecret bei einer späteren Weiterverwendung der Informationen befürchtet (dazu Becker, LMuR 2020, 57/60 f.), wäre ein solcher Verstoß der Antragsgegnerin nicht zuzurechnen (vgl. dazu sogleich).
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dd) Die Rüge der Antragstellerin, die behördliche Gewährung bzw. eine etwaige private Weiterverbreitung der Information verletze sie in ihren Grundrechten, verhilft der Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg.
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Die antragsgebundene Informationserteilung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG verstößt nicht gegen die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. Zwar ist der Informationszugang nach dem Verbraucherinformationsgesetz an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen, weil er direkt auf die Marktbedingungen individualisierter Unternehmen zielt, das Konsumverhalten beeinflussen und auf diese Weise mittelbar-faktisch die Markt- und Wettbewerbssituation zum wirtschaftlichen Nachteil der betroffenen Unternehmen verändern kann (BVerwG, a.a.O., Rn. 42 ff. m.w.N.). Insoweit gilt für die gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 VIG von einem Antrag abhängige Informationsgewährung nichts anderes als für aktive staatliche Informationstätigkeit nach § 40 Abs. 1a LFGB, die in ihrer Zielgerichtetheit und Wirkung einem Eingriff in die Berufsfreiheit gleichkommt (BVerfG, B.v. 21.3.2018 - 1 BvF 1/13 - BVerfGE 148, 40 Rn. 26 ff.).
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(1) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin bestehen zwischen den beiden Arten der Information große Unterschiede, die es ausschließen, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum aktiven staatlichen Informationsverhalten, insbesondere die dort angemahnte zeitliche Begrenzung der Informationsverbreitung, ohne Weiteres auf die antragsgebundene Informationsgewährung zu übertragen (BVerwG, a.a.O., Rn. 47). Das aktive staatliche Informationsverhalten verschafft den übermittelten Informationen breite Beachtung und gesteigerte Wirkkraft auf das wettbewerbsrechtliche Verhalten der Marktteilnehmer. Die Auswirkungen einer antragsgebundenen Informationsgewährung bleiben dahinter qualitativ und quantitativ weit zurück. Die behördliche Information der Öffentlichkeit von Amts wegen nach § 40 Abs. 1a LFGB bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen, die als Warnung der Verbraucher der Gefahrenabwehr dient und in der Regel von den Medien - auch Onlinemedien - sofort aufgegriffen wird, ist gegenüber dem individuell geltend zu machenden Informationszugangsanspruch nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG ein aliud (vgl. VGH BW, a.a.O., juris Rn. 13). § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG normiert als Voraussetzung für die Informationsgewährung nicht etwaige Gefahren für Verbraucher, sondern lediglich die behördliche Feststellung nicht zulässiger Abweichungen von den dort genannten Normen. Den mit § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG verbundenen Eingriff in die Berufsfreiheit hat das Bundesverwaltungsgericht als gerechtfertigt angesehen (BVerwG, a.a.O., Rn. 48 ff.; kritisch Gärditz, LMuR 2020, 62/64 ff.).
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(2) Eine kampagnenartige Weiterverwendung der Information ist im Verbraucherinformationsgesetz gerade angelegt und entspricht dessen Zielsetzung. Allein der Umstand, dass der streitbefangene Kontrollbericht auf der Internetplattform „TopfSecret“ veröffentlicht werden könnte, ändert nichts daran, dass es sich auch in dieser Fallkonstellation um eine antragsgebundene Informationsgewährung an eine Einzelperson handelt. Wie der Beigeladene mit den erhaltenen betriebs- und personenbezogenen Informationen umgeht, bleibt grundsätzlich ihm überlassen und liegt damit außerhalb des behördlichen Verantwortungs- und Einflussbereichs. Dies gilt auch für das hier zu erwartende Einstellen des Kontrollberichts auf die von privater Seite betriebene Plattform „TopfSecret“, weil eine solche Publikation erkennbar keine staatliche Autorität in Anspruch nehmen kann. Die Plattform veröffentlicht lediglich durch private Dritte zur Verfügung gestellte von der öffentlichen Verwaltung ausgestellte Dokumente; dadurch wird sie nicht selbst zu einer staatlichen Veröffentlichungsplattform. Dass die Anträge auf Information über die Webseite „Frag den Staat“ erfolgen, erweckt auch nicht den Eindruck, „TopfSecret“ sei eine staatliche Veröffentlichungsplattform.
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(3) Die lediglich abstrakte Möglichkeit einer rechtswidrigen privaten Weiterverwendung der Information reicht ohne Hinzutreten besonderer Umstände nicht aus, um darin bereits ein der Antragsgegnerin zuzurechnendes Eingriffsäquivalent zu sehen, das einer gesonderten Rechtfertigung bedürfte. Soweit es der Antragstellerin im Verhältnis zum Beigeladenen um etwaige (künftige) Ergänzungen oder zeitliche Begrenzungen bei der Verwendung der Information geht, insbesondere um das auch im Geschäftsverkehr bestehende „Recht auf Vergessen“ (dazu allgemein BVerfG, B.v. 6.11.2019 - 1 BvR 16/13 - NJW 2020, 300 Rn. 75 ff.), muss sie die entsprechenden Ansprüche auf dem Zivilrechtsweg verfolgen.
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(4) Im Übrigen hat der Gesetzgeber mit der Hinweispflicht der informationspflichtigen Stelle nach § 6 Abs. 3 Satz 2 VIG, der Richtigstellungspflicht (§ 6 Abs. 4 VIG) sowie der verfahrensrechtlichen Beteiligung der betroffenen Dritten (§ 5 Abs. 1 Satz 1 VIG) ausreichende Schutzvorkehrungen zur Vermeidung unzumutbarer Konsequenzen getroffen. Die Richtigstellung soll in derselben Weise erfolgen, in der die Information zugänglich gemacht wurde (§ 6 Abs. 4 Satz 2 VIG). Dabei wird die informationspflichtige Stelle zu beachten haben, dass die Richtigstellung nicht nur gegenüber dem VIG-Antragsteller geboten sein kann, sondern eine öffentliche Bekanntmachung vonnöten ist, wenn die Publikation der Informationen über das Verhältnis zum Antragsteller hinausgegangen ist. Wenn ein Antragsteller die zugänglich gemachten Informationen etwa an eine Verbraucherschutzorganisation weitergegeben hat und diese ihr einen hohen Verbreitungsgrad verschafft hat, kann die informationspflichtige Stelle zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit verpflichtet sein, für eine hinreichende Publikation der Richtigstellung zu sorgen (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 52). Das kann auch Richtigstellungen gegenüber diesen Veröffentlichungsplattformen beinhalten, da davon ausgegangen werden kann, dass diese auch die behördliche Richtigstellung auf ihren Plattformen einstellen.
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ee) Auch gegen die Art und Weise des Informationszugangs bestehen vor dem Hintergrund des § 6 Abs. 1 VIG keine Bedenken. Auf den von der Antragstellerin als vorzugswürdig erachteten mündlichen bzw. telefonischen Informationszugang müssen sich Antragsgegnerin und Beigeladener nicht verweisen lassen. Anhaltspunkte für die von der Antragstellerin geltend gemachte Überlastung der Behörde nach § 4 Abs. 3 Nr. 4 VIG bestehen nicht. Es kann daher auch insoweit dahinstehen, ob sich ein betroffenes Unternehmen auf diesen Ausschlussgrund berufen kann.
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b) Da sich nach alledem der Bescheid bei einer über eine bloße summarische Prüfung hinausgehenden Betrachtung als rechtmäßig erweist, kommt es auf die Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht mehr entscheidungserheblich an; die Folgenabschätzung hat sich vielmehr an der gesetzlichen Wertung des § 5 Abs. 4 VIG auszurichten. Die von der Antragstellerin monierte Vorwegnahme der Hauptsache (vgl. OVG Hamburg, B.v. 14.10.2019 - 5 Bs 149/19 - ZLR 2019, 866 = juris Rn. 19 ff.) ist in der Normstruktur des Verbraucherinformationsgesetzes angelegt. Mit § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG hat sich der Gesetzgeber ohne Verstoß gegen höherrangiges Recht entschieden, dem Informationsinteresse der Bürger generell einen höheren Stellenwert einzuräumen als dem Interesse des betroffenen Betriebs an der Geheimhaltung von Informationen über lebensmittelrechtliche Beanstandungen (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 13). Mangels erkennbarer Besonderheiten verbleibt es daher bei der gesetzlichen Grundentscheidung für den Sofortvollzug nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG, die nur bei erfolgreicher Inanspruchnahme von Eilrechtsschutz gemäß § 5 Abs. 4 Satz 2 und 3 VIG durchbrochen werden kann, falls Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Informationserteilung bestehen.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da der anwaltlich nicht vertretene Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass er seine etwaigen außergerichtlichen Kosten selbst trägt (vgl. § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO).
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4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG. Von einer Reduzierung des Streitwerts in Orientierung an Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 sieht der Senat - anders als das Verwaltungsgericht - ab. Mit den wechselseitigen Begehren ist, wie oben dargelegt, eine Vorwegnahme der Hauptsache verbunden. Einmal erteilte Informationen können nicht zurückgeholt werden; umgekehrt würden die vom Beigeladenen begehrten Informationen bei Erfolg des Eilantrags bzw. der Beschwerde aufgrund des mit einem Hauptsacheverfahren verbundenen Zeitaufwands ihre Relevanz weitgehend verlieren (vgl. NdsOVG, a.a.O., Rn. 19). Der Senat macht deshalb von seiner Befugnis gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG Gebrauch, die erstinstanzliche Festsetzung des Streitwerts von Amts wegen zu ändern.
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5. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).