VGH München, Beschluss v. 21.07.2020 – 15 NE 20.1222
Titel:

Außervollzugsetzung eines Bebauungsplans - mögliches Ermittlungs- und Abwägungsdefizit

Normenketten:
VwGO § 47 Abs. 6
BauGB § 1 Abs. 7, § 2 Abs. 3
BayBO Art. 81
Leitsätze:
1. § 1 Abs. 7 BauGB verpflichtet die Gemeinde, die für die Planung bedeutsamen öffentlichen und privaten Belange (Abwägungsmaterial) zu ermitteln und zu bewerten (§ 2 Abs. 3 BauGB) sowie sie gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen (§ 1 Abs. 7 BauGB). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Gemeinden sind weder aufgrund der Ermächtigung des Art. 81 BayBO zum Erlass örtlicher Bauvorschriften noch aufgrund anderer landesgesetzlicher Regelungen berechtigt, Vorschriften über im Baugenehmigungsverfahren vorzulegende Unterlagen zu erlassen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Leidet ein Bebauungsplan möglicherweise an erheblichen Abwägungsmängeln und könnte er gegebenenfalls auch bei erneuter Abwägung nicht ohne eine Umplanung umgesetzt werden, sprechen gewichtige Gründe für die Außervollzugsetzung des Bebauungsplans, um unwirtschaftlichen Aufwendungen für eine Erschließung mit Versorgungs- und Entsorgungsleitungen sowie die Errichtung von Straßen zu vermeiden und keine vollendeten Tatsachen zu schaffen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erlass einer einstweiligen Anordnung, Offene Erfolgsaussichten, Mögliches Ermittlungs- und Abwägungsdefizit, Begonnene Erschließungsmaßnahmen, Schwere Nachteile bei weiterem Vollzug, Tierzahlen, unzumutbare Geruchsbelästigung für Wohngebäude, Schutzabstände, vorzulegende Unterlagen
Fundstelle:
BeckRS 2020, 20557

Tenor

I. Der am 11. Dezember 2019 bekannt gemachte Bebauungsplan mit integriertem Grünordnungsplan „I …“ wird bis zur Entscheidung in der Hauptsache außer Vollzug gesetzt.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 10.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den am 11. Dezember 2019 (erneut) bekannt gemachten Bebauungsplan „I …“, mit dem die Antragsgegnerin auf einer bisher landwirtschaftlich genutzten Fläche (FlNr. … Gemarkung I …) ein allgemeines Wohngebiet mit 38 Bauparzellen für Einzel- und Doppelhäuser festgesetzt hat.
2
Mit Schriftsatz vom 20. Januar 2020 hat der Antragsteller einen Normenkontrollantrag gegen den Bebauungsplan erhoben. Er ist Eigentümer eines außerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplans, aber unmittelbar südlich angrenzenden, im Außenbereich liegenden Grundstücks (FlNr. … Gemarkung I …), auf dem er einen landwirtschaftlichen Milchviehbetrieb betreibt (im Jahr 2008 aus der Ortsmitte ausgesiedelt), dessen Erweiterung er beabsichtigt. Im Rahmen der frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung teilte er mit Schriftsatz vom 3. September 2019 mit, sein Betrieb umfasse derzeit 65 Milchkühe, 34 weibliche Jungtiere und 20 Kälber. Hinsichtlich der Erweiterungsabsichten habe er beim Landratsamt Neustadt a.d. Waldnaab (im Folgenden: Landratsamt) einen weiteren Vorbescheidsantrag (Az. …) eingereicht, der zu berücksichtigen sei. Aus der diesbezüglichen Akte des Landratsamts ergibt sich, dass der Antragsteller eine Erweiterung auf 235,1 Großvieheinheiten TA Luft plant. Im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung teilte der Antragsteller am 12. November 2019 mit, im immissionsschutzrechtlichen Gutachten fehlten 14 Kälber und 20 weibliche Jungrinder. Beide Vorbescheidsverfahren (Az. … und …) stellte das Landratsamt mit Bescheiden vom 3. und 4. Dezember 2019 ein, da der Antragsteller den Antrag aus dem Jahr 2017 zurückgenommen und hinsichtlich des Antrags aus dem Jahr 2018 das vom Landratsamt angeforderte immissionsschutzrechtliche Gutachten nicht beigebracht hatte. Das immissionsschutztechnischen Gutachten vom 30. Juli 2018, das dem Bebauungsplan beigefügt ist, geht davon aus, der Antragsteller wolle seinen Betrieb auf insgesamt 210,3 Großvieheinheiten erweitern. Diese Annahme beruht gemäß dem Gutachten auf einer Abstimmung mit dem Antragsteller vom 26. Juni 2018. In die Abwägung hat die Antragsgegnerin eingestellt, dass der Antragsteller seinen Betrieb gemäß dem zweiten Vorbescheidsantrag erweitern wolle, obwohl dieser Antrag nicht vollständig sei. Sie ging davon aus, dass dieser Vorbescheidsantrag in dem immissionsschutztechnischen Gutachten berücksichtigt sei und der streitgegenständliche Bebauungsplan zu keinen Problemen bei der Erweiterung führe.
3
Der Antragsteller befürchtet demgegenüber Einschränkungen seines Betriebs durch die infolge des Bebauungsplans heranrückende Wohnbebauung und hat sich bereits mit Erfolg gegen zwei frühere und im Wesentlichen mit dem streitgegenständlichen Bebauungsplan identische Bebauungspläne gewandt (vgl. Beschluss des Senats vom 4.5.2018 im Verfahren 15 NE 18.382, wonach das damalige Bebauungsplanverfahren „H …“ die gesetzlichen Voraussetzungen des § 13b BauGB nicht erfüllte, und Urteil des Senats vom 17.7.2019 im Verfahren 15 N 19.27, mit dem der am 18.12.2018 bekannt gemachte Bebauungsplan „I …“ für unwirksam erklärt wurde, da er an einem Bekanntmachungsmangel nach § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB litt).
4
Im vorliegenden Verfahren macht der Antragsteller sowohl formale als auch inhaltliche Fehler des Bebauungsplans geltend. Der Bebauungsplan sei nicht ordnungsgemäß ausgefertigt bzw. bekanntgemacht worden, denn es fehle an den Verfahrensvermerken, insbesondere an der Bestätigung, dass die vom Bürgermeister unterzeichneten Bestandteile des Bebauungsplans dem Gemeinderatsbeschluss vom 9. Dezember 2019 entsprächen. Es liege auch weiterhin ein Verstoß in Bezug auf die umweltbezogenen Informationen vor, da die Hinweise unzureichend gewesen seien. Die Aufzählung gehe nicht über eine interne Bearbeitungsliste hinaus. Der Informationsgehalt tendiere gegen Null. Die angegebenen Informationen seien zu unbestimmt und fehlerhaft. Informationen aus früheren Verfahren seien nicht mit ausgelegt worden. Darüber hinaus sei bei der Beschlussfassung gegen Art. 49 GO verstoßen worden, da der Verfasser des Bebauungsplans, der auch Mitglied des Gemeinderates sei, von allen Abstimmungen ausgeschlossen worden sei.
5
Inhaltlich seien seine betrieblichen Belange im Rahmen der Abwägung fehlerhaft berücksichtigt worden. Es werde die Fehlerhaftigkeit des immissionsschutztechnischen Gutachtens gerügt. Obwohl der Bebauungsplan erst Ende 2019 beschlossen worden sei, habe der Abwägung und Beschlussfassung ein immissionsschutztechnisches Gutachten vom 30. Juli 2018 zugrunde gelegen, das nicht angepasst worden sei. Die Tierzahlen seien nicht korrekt. Ob seine Erweiterungsabsichten durch das nicht verfahrensgegenständliche Allgemeine Wohngebiet „I …“ begrenzt würden, sei nicht entscheidungserheblich. Die Antragsgegnerin könne sich darauf nicht stützen. Das Gutachten sei zudem widersprüchlich. Es werde bestätigt, dass bei Einhaltung einer Jahresgeruchsstundenhäufigkeit von 10 Prozent keine schädlichen Einwirkungen zu befürchten seien, gleichzeitig werde jedoch konstatiert, dass dieser Wert bei mehreren Bauparzellen überschritten werde. Deshalb habe das Landratsamt auch gefordert, das Plangebiet zu verkleinern. Die Antragsgegnerin habe sich mit diesem Problem nicht weiter auseinandergesetzt, sondern nur pauschal auf den Beschluss des Senats vom 4. Mai 2018 im Verfahren 15 NE 18.382 verwiesen. Die Anwendung von Zwischenwerten setze jedoch eine umfassende und intensive Abwägung voraus. Bei der Variante 2 würden sogar Werte von bis zu 18 Prozent Jahresgeruchsstundenhäufigkeit im Plangebiet und bis zu 14 Prozent auf manchen Bauparzellen erreicht. Fehlerhaft sei auch die Behandlung des gewidmeten öffentlichen Feld- und Waldweges aus der Flurbereinigung, der ersatzlos überplant werde. Auf diesen Weg seien die Landwirte angewiesen. Auch mündeten verschiedene Drainagen von seinen Feldern in diesen Weg, diese müssten neu angebunden werden. Alternativwege stünden nicht zur Verfügung. Das Plangebiet liege im Naturpark „Nördlicher Oberpfälzer Wald“. Dies sei nicht hinreichend berücksichtigt worden. Darüber hinaus müsse er bei der Bewirtschaftung seines Grundstücks FlNr. … nunmehr größere Mindestabstände einhalten und sei damit Bewirtschaftungseinschränkungen ausgesetzt, um Cross-Compliance-Verstöße zu verhindern. Zudem seien die Lärmeinwirkungen auf das geplante Baugebiet nicht ermittelt und die Leistungsfähigkeit der Verkehrsanlagen sowie der durch die Bebauung zusätzlich verursachte Verkehrslärm nicht ermittelt worden. Die Gemeinde habe mit den Erschließungsarbeiten begonnen, deshalb sei eine vorläufige Regelung erforderlich.
6
Der Antragsteller beantragt,
7
den Bebauungsplan „I …“ bis zur Entscheidung über seinen Normenkontrollantrag außer Vollzug zu setzen.
8
Die Antragsgegnerin beantragt,
9
den Antrag abzulehnen.
10
Es ergäbe sich aus den Verfahrensvermerken, dass der Bebauungsplan ordnungsgemäß ausgefertigt und bekannt gemacht worden sei. Ein Verstoß gegen die Vorschriften zur Öffentlichkeitsbeteiligung liege nicht vor, da die in der Bekanntmachung gegebenen Hinweise ausreichend gewesen seien. Die Beschlussfassung im Gemeinderat sei ordnungsgemäß erfolgt, da das Gemeinderatsmitglied P … nicht ausgeschlossen worden sei, sondern freiwillig nicht an der Abstimmung teilgenommen habe. Die Antragsgegnerin habe die betrieblichen Belange und die Erweiterungsabsichten des Antragstellers im Bebauungsplanverfahren auch hinreichend berücksichtigt. Das Gutachten gehe von 272 Tierplätzen aus. Selbst mit den neuen Tierzahlen des Antragstellers würde diese Anzahl nicht überschritten, sodass kein neues Gutachten erforderlich gewesen sei. Das Gutachten sei auch nicht widersprüchlich. Die Antragsgegnerin habe die Immissionsproblematik erkannt und ordnungsgemäß abgewogen. Aus dem Gutachten ergäben sich Maximalwerte von bis zu 14 Prozent Jahresgeruchsstundenhäufigkeit im Plangebiet. Der öffentliche Feld- und Waldweg sei nicht ersatzlos überplant, sondern es sei nur die Streckenführung geändert worden. Es sei kein förmliches Entwidmungsverfahren einzuhalten, sondern es könne eine Umstufung in eine Ortsstraße im Rahmen des Bauplanungsverfahrens erfolgen. Zivile Rechte an dem nicht im Flurbereinigungsverfahren gewidmeten Weg bestünden nicht. Die landwirtschaftlichen Flächen könnten auch weiterhin über zwei andere Straßen erreicht werden. Die Drainagen mündeten nicht in den Weg oder dessen Kanalisation, sondern in den G…bach. Das Plangebiet liege nicht im Naturpark „Nördlicher Oberpfälzer Wald“. Die Beachtung von Mindestabständen zur Wohnbebauung usw. sei im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung nicht vorgebracht worden und könne daher unberücksichtigt bleiben. Die Erschließungsarbeiten seien ausgeschrieben und vergeben worden und würden in den nächsten Monaten beginnen.
11
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren 15 N 20.163 sowie den vorangegangenen Verfahren (15 N 18.41, 15 NE 18.382, 15 N 19.27, 15 NE 19.142) sowie auf die vorgelegte Normaufstellungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
12
Der Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO hat Erfolg.
13
1. Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ist der Antragsteller gemäß § 47 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf den Beschluss des Senats vom 4. Mai 2018 (Az. 15 NE 18.382 - juris Rn. 23) sowie das Urteil des Senats vom 17. Juli 2019 (Az. 15 N 19.27 - juris Rn. 11) verwiesen.
14
2. Der Antrag auf einstweilige Anordnung ist auch begründet. Gemäß § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind, jedenfalls bei Bebauungsplänen, zunächst die Erfolgsaussichten des in der Sache anhängigen Normenkontrollantrages, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Antrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 - 4 VR 5.14 - ZfBR 2015, 381 = juris Rn. 12; B.v. 16.9.2015 - 4 VR 2.15 u.a. - BRS 83 Nr. 58 = juris Rn. 4; B.v. 30.11.2016 - 4 BN 16.16 - BauR 2017, 674 = juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 8.2.2017 - 15 NE 16.2226 - juris Rn. 26; B.v. 8.9.2017 - 9 NE 17.1392 - juris Rn. 23).
15
2.1 Die im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotene summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass der streitgegenständliche Bebauungsplan möglicherweise an Mängeln leidet, die zu seiner Unwirksamkeit führen. Nach Ansicht des Senats erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die Belange des Antragstellers nicht hinreichend ermittelt und bewertet (§ 2 Abs. 3 BauGB) und/oder nicht gerecht abgewogen (§ 1 Abs. 7 BauGB) worden sind und diese Fehler nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 und 2 2. Halbsatz BauGB beachtlich sind.
16
§ 1 Abs. 7 BauGB verpflichtet die Gemeinde, die für die Planung bedeutsamen öffentlichen und privaten Belange (Abwägungsmaterial) zu ermitteln und zu bewerten (§ 2 Abs. 3 BauGB) sowie sie gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen (§ 1 Abs. 7 BauGB). § 2 Abs. 3 BauGB liegt die Erwägung zugrunde, dass die für die konkrete Planungsentscheidung bedeutsamen Belange in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt und bewertet werden müssen, bevor sie gemäß § 1 Abs. 7 BauGB rechtmäßig abgewogen werden können (vgl. BayVGH, U.v. 24.11.2017 - 15 N 16.2158 - BayBVl 2018, 814 = juris Rn. 32 m.w.N.). Im vorliegenden Fall ist möglicherweise dagegen verstoßen worden.
17
Zum einen rügt der Antragsteller zutreffend, dass die von ihm mitgeteilten Tierzahlen im beigefügten immissionsschutzfachlichen Gutachten vom 30. Juli 2018 nicht korrekt berücksichtigt sind. Der Antragsteller hat schon mit Schriftsatz vom 3. September 2019 im Rahmen der frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung mitgeteilt, dass sein aktueller Bestand 65 Milchkühe, 34 Jungtiere und 20 Kälber umfasst. Im Gutachten sind demgegenüber gemäß der Abstimmung mit dem Antragsteller aus dem Jahr 2018 als Bestand nur 65 Milchkühe, 34 Jungtiere und 14 Kälber ausgewiesen. Des Weiteren hat der Antragsteller schon mit Schriftsatz vom 3. September 2019 mitgeteilt, dass er einen weiteren Vorbescheidsantrag eingereicht hat, der zu berücksichtigen sei. Aus den beigezogenen Vorbescheidsakten des Landratsamts (Az. …) ergibt sich, dass der Antragsteller beabsichtigt, seinen Tierbestand auf 195 Rinder über ein Jahr und 106 Kälber und Jungvieh aufzustocken, was insgesamt 235,1 Großvieheinheiten nach TA-Luft entspreche (Stellungnahme des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Weiden i.d.Oberpfalz [AELF] vom 7.12.2018, S. 26 der Vorbescheidsakte). Demgegenüber war mit dem Vorbescheidsantrag aus dem Jahr 2017 (Az. …) nach der dort vom AELF am 13. September 2017 abgegebenen Stellungnahme nur eine Erweiterung auf 210,9 Großvieheinheiten nach TA-Luft (182 Rinder über ein Jahr sowie 47 Kälber und Jungvieh) geplant (S. 31 der Vorbescheidsakte), die auch im immissionsschutzfachlichen Gutachten vom 30. Juli 2018 (210,3 Großvieheinheiten) annähernd so berücksichtigt worden sind. Da sich in beiden Vorbescheidsakten keine Betriebsbeschreibungen befinden, geht der Senat bei summarischer Prüfung davon aus, dass die vom AELF angenommenen Tierzahlen und Berechnungen der Großvieheinheiten zutreffend sind und der Vorbescheidsantrag aus dem Jahr 2018 entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin möglicherweise nicht richtig berücksichtigt worden ist. Angesichts der ohnehin schon hohen - nach Ansicht des Antragstellers zu hohen - Geruchsbelastung des Plangebiets unter Berücksichtigung der geringeren Erweiterungszahlen aus dem ersten Vorbescheidsantrag (Az. …) erscheint es auch nicht ausgeschlossen, dass jedenfalls unter Berücksichtigung der höheren Zahlen aus dem zweiten Vorbescheidsantrag (Az. …) eine unzumutbare Geruchsbelästigung für die Wohngebäude in der südlichsten Reihe des Plangebiets verbunden wäre, wenn es sich trotz der mittlerweile erfolgten Einstellung des Vorbescheidsverfahrens wegen Unvollständigkeit, um zu berücksichtigende, ernsthafte Erweiterungsabsichten des Antragstellers handelt (vgl. z.B. NdsOVG, U.v. 27.11.2019 - 1 KN 33/18 - BauR 2020, 598 = juris Rn. 42 m.w.N.).
18
Zum anderen erscheint es auch möglich, dass die Belange des Antragstellers hinsichtlich der gegenüber Wohnbauflächen einzuhaltenden Schutzabstände nicht hinreichend berücksichtigt worden sind. Zwar trifft es zu, dass der Antragsteller weder in der frühzeitigen Bürgerbeteiligung noch in der Bürgerbeteiligung auf diese Belange hingewiesen hat und auch das AELF dazu keine Ausführungen gemacht hat. Diese Umstände konnten in der Abwägung daher vielleicht nach § 4a Abs. 6 Satz 1 BauGB unberücksichtigt bleiben. Eventuell muss die Problematik aber als bekannt vorausgesetzt werden, denn der Antragsteller hatte im Verfahren 15 N 19.27 schon darauf aufmerksam gemacht (Schriftsatz vom 6.5.2019 im Verfahren 15 NE 19.142 und 15 N 19.27). Darüber hinaus ergibt sich die Notwendigkeit eines Mindestabstands von zwei Metern zu Gartenflächen bei Spritz- und Sprühanwendungen in Flächenkulturen auch aus § 3 Abs. 1 Pflanzenschutzgesetz i.V.m. der Bekanntmachung des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit vom 27. April 2016 über die Mindestabstände bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln zum Schutz von Umstehenden und Anwohnern, die der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln zugrunde gelegt werden (BAnz AT 20.5.2016 B5; s. auch Hinweise unter www.lfl.bayern.de). Danach müssen die Mindestabstände sowohl zu Flächen, die für die Allgemeinheit bestimmt sind, als auch zu privat genutzten Gärten, selbst wenn sich zum Zeitpunkt der Anwendung dort keine Personen aufhalten, berücksichtigt werden (vgl. www.lfl.bayern.de). Angesichts der Tatsache, dass im streitgegenständlichen Bebauungsplan die Hausgärten der Wohngebäude der südlichsten Reihe direkt an die landwirtschaftliche Fläche des Antragstellers angrenzen, erscheinen Bewirtschaftungseinschränkungen nicht ausgeschlossen (vgl. zu Schutzabständen zu Gartenbaubetrieben z.B. VGH BW, U.v. 20.5.1999 - 8 S 1704/98 - juris Leitsatz 2; U.v. 23.7.2004 - 3 S 2517/03 - juris Leitsatz). Diese möglichen Einschränkungen für den Antragsteller hätten ggf. in die Abwägung eingestellt werden müssen und können auch auf das Abwägungsergebnis von Einfluss sein, denn es hätte an der südlichen Grenze des Plangebiets z.B. auch ein Schutzstreifen eingeplant werden können.
19
Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, dass nach der Planzeichnung auch die möglicherweise notwendigen Grenzabstände von Bäumen zu landwirtschaftlichen Grundstücken nach Art. 48 AGBGB von vier Metern von den dort auf den Grundstücken der südlichsten Häuserreihe eingezeichneten Bäumen nicht eingehalten werden. Auf diese Grenzabstände hatte schon das AELF mit seiner Stellungnahme vom 30. September 2019 hingewiesen. Zwar soll es sich bei den im Bebauungsplan eingezeichneten Anpflanzungen nach der textlichen Festsetzung Nr. 2.14 wohl nicht um zwingende Standorte zur Pflanzung von Bäumen handeln, sondern die Bepflanzungen sollen im Baugenehmigungsverfahren bzw. im Genehmigungsfreistellungverfahren dargestellt werden. Die Festsetzung Nr. 2.14 ist diesbezüglich aber wohl ungültig, da sie in § 9 BauGB so nicht vorgesehen ist und die Gemeinden weder aufgrund der Ermächtigung des Art. 81 BayBO zum Erlass örtlicher Bauvorschriften noch aufgrund anderer landesgesetzlicher Regelungen berechtigt sind, Vorschriften über im Baugenehmigungsverfahren vorzulegende Unterlagen zu erlassen (vgl. BayVGH, U.v. 8.7.2004 - 1 N 01.590 - juris Rn. 42; U.v. 28.7.2016 - 1 N 13.2678 - BRS 84 Nr. 47 = juris Rn. 40). Nach § 7 Abs. 3 Nr. 15 der seit 1. Januar 2008 geltenden BauVorlV vom 10. November 2007 (GVBl S. 792) besteht nur noch die Pflicht, im Lageplan den geschützten Baumbestand einzuzeichnen (im Gegensatz zu der zuvor geltenden Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 2 Nr. 11 BauVorlV vom 8. Dezember 1997). Ggf. führt eine Auslegung des streitgegenständlichen Bebauungsplans daher dazu, dass die gewünschte Eingrünung der Hausgärten nach Süden hin überhaupt nicht durchgesetzt werden könnte. Diese Bepflanzung ist auch vom AELF in seiner Stellungnahme vom 30. September 2019 ausdrücklich begrüßt worden, um Konflikte mit den landwirtschaftlich genutzten Flächen zu verringern.
20
2.2 Die vom Antragsteller des Weiteren angesprochenen Fragen, ob der streitgegenständliche Bebauungsplan formale Fehler aufweist (unzureichende Ausfertigung, fehlende Verfahrensvermerke [vgl. BayVGH, B.v. 5.2.2015 - 2 CS 14.1456 - juris Rn. 9], mangelhafte Bekanntmachung der Arten umweltbezogener Informationen [vgl. zuletzt BVerwG, U.v. 6.6.2019 - 4 CN 7.18 - ZfBR 2019, 685 = juris Rn. 10 ff.], ordnungsgemäßer Satzungsbeschluss [vgl. Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Stand Mai 2018, Art. 49 Rn. 19]), in unzulässiger Weise den öffentlichen Feld- und Waldweg auf FlNr. … überplant, gegen die Erklärung/Verordnung „Naturpark Nördlicher Oberpfälzer Wald“ verstößt oder der durch das neue Baugebiet hervorgerufene Verkehr nicht ordnungsgemäß berücksichtigt worden ist, führen nach summarischer Prüfung nicht zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans und müssen daher im Hauptsacheverfahren abschließend beurteilt werden.
21
2.3 Die Folgenabwägung ergibt, dass die Nachteile, die entstehen, wenn die begehrte einstweilige Anordnung nicht erlassen wird, die Folgen überwiegen, die bei Erlass der Anordnung eintreten. Da der Bebauungsplan möglicherweise an erheblichen Abwägungsmängeln leidet und ggf. auch bei erneuter Abwägung nicht ohne eine Umplanung umgesetzt werden könnte (z.B. Abrücken der Bebauung vom Hof des Antragstellers nach Norden, Freihaltung eines Schutzstreifens), wäre eine Erschließung des Baugebiets mit Versorgungs- und Entsorgungsleitungen sowie die Errichtung von Straßen möglicherweise dann nicht brauchbar. Angesichts der schon begonnenen Erschließungsmaßnahmen könnte dies zu erheblichen vergeblichen Aufwendungen der Antragsgegnerin führen. Um solche unwirtschaftlichen Aufwendungen zu vermeiden und keine vollendeten Tatsachen gegenüber dem Antragsteller zu schaffen, sprechen daher gewichtige Gründe für die Außervollzugsetzung des Bebauungsplans.
22
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 52 Abs. 1 und Abs. 8, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 9.8.1 und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (veröffentlicht in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, Anhang).
23
4. Entsprechend § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO ist die Nr. I der Entscheidungsformel allgemein verbindlich und muss von der Antragsgegnerin in derselben Weise veröffentlich werden, wie der angegriffene Bebauungsplan.
24
5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).