Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 16.06.2020 – Au 9 E 20.930
Titel:

Erfolgloser Antrag gegen Infektionsmaßnahmen und Beschränkungen für Reisebusreisen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie

Normenketten:
VwGO § 47 Abs. 6, § 122, § 123 Abs. 1 S. 2
BayIfSMV § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, Abs. 4
Leitsatz:
Das Rechtsschutzziel, die Feststellung der Unverbindlichkeit der in § 11 Abs. 3 und 4 der 5. BayIfSMV enthaltenen Regelungen (hier: Beschränkungen touristicher Reisebusreisen) zu erreichen, kann die Antragstellerin (hier: privates Verkehrsunternehmen) mit einem Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht erreichen, da zwischen den Beteiligten des Rechtsstreits kein feststellungsfähiges konkretes streitiges Rechtsverhältnis besteht. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Corona-Pandemie, Vorläufiger Rechtsschutz, Touristische Reisebusreisen, Mindestabstand zwischen den Fahrgästen, Verbot von Gruppenreisen für geschlossene Gruppen, Reisebusreisen, Mindestabstand, Touristische Busreisen, Gruppenreise, Busreise, streitiges Rechtsverhältnis
Fundstelle:
BeckRS 2020, 18408

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin bietet als privates Verkehrsunternehmen Verkehrsdienstleistungen sowohl auf Basis einer Liniengenehmigung als auch für touristische Ausflugsfahrten und Fernzielreisen an. Sie wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen § 11 Abs. 3 Nr. 1 und Abs. 4 der Fünften Bayerischen Infektionsmaßnahmenverordnung vom 29. Mai 2020, soweit diese Beschränkungen für touristische Reisebusreisen enthalten.
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Gemäß § 11 Abs. 4 i.V.m Abs. 3 der Fünften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (5. BayIfSMV) vom 29. Mai 2020 (BayMBl. Nr. 240, 245, 247), die durch die Verordnung zur Änderung der Fünften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmen vom 12. Juni 2020 (BayMBl. Nr. 334) geändert wurde, dürfen touristische Reisebusreisen in Form von Gruppenreisen für geschlossene Gruppen nicht durchgeführt werden. Im Übrigen sind touristische Reisebusreisen nur zulässig, wenn der Betreiber durch geeignete Maßnahmen sicherstellt, dass grundsätzlich ein Mindestabstand von 1,5 m zwischen den Fahrgästen eingehalten werden kann, oder geeignete Trennvorrichtungen vorhanden sind (§ 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der 5. BayIfSMV). Die Fahrgäste sowie das Kontroll- und Servicepersonal, soweit es in Kontakt mit Fahrgästen kommt, sind zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung verpflichtet (§ 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der 5. BayIfSMV). Der Betreiber hat ein Schutz- und Hygienekonzept auf der Grundlage eines von den Staatsministerien für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie und für Gesundheit und Pflege bekannt gemachten Rahmenkonzepts auszuarbeiten und auf Verlangen der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde vorzulegen (§ 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 der 5. BayIfSMV). Die Regelungen treten nach § 23 Satz 1 der 5. BayIfSMV mit Ablauf des 21. Juni 2020 außer Kraft.
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Mit Schriftsatz vom 5. Juni 2020 beantragte die Antragstellerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg:
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Es wird im Wege der einstweiligen Anordnung festgestellt, dass das Abstandsgebot gemäß § 11 Abs. 4 in Verbindung mit § 11 Abs. 3 Nr. 1 der Verordnung und das Verbot von Gruppenreisen für geschlossene Gruppen gemäß § 11 Abs. 4 der Verordnung dem Betrieb der Antragstellerin bei Nutzung eines touristischen Reisebusses nicht entgegensteht.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Regelungen für touristische Reisebusreisen würden in unverhältnismäßiger Weise in die Berufsausübungsfreiheit der Antragstellerin eingreifen und sich als sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung der Antragstellerin gegenüber Anbietern vergleichbarer Verkehrsangebote darstellen. Das strikte Abstandsgebot nach § 11 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der 5. BayIfSMV sowie das Verbot der Nutzung touristischer Reisebusse durch geschlossene Gruppen nach § 11 Abs. 4 der 5. BayIfSMV führten zu einem faktischen Verbot des Reisebusverkehrs. Bei Besetzung der Busse unter Wahrung der geforderten Abstände sei deren Kapazität um mehr als 80% beschränkt. Vor allem fielen Fernbusse im Linienverkehr unter die weniger strenge Vorschrift des § 8 der 5. BayIfSMV, die in der Art und Dauer ihrer Nutzung aber mit den touristischen Reisebussen vergleichbar seien. Die Differenzierung nach dem Zweck der Reise sei aus Sicht des Infektionsschutzes kein taugliches Kriterium. Das in § 11 Abs. 4 der 5. BayInfSMV geregelte Verbot der Beförderung geschlossener Gruppen sei als nicht hinreichend bestimmtes Verbotsgesetz nichtig. Dem Wortlaut sei auch unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck nicht mit hinreichender Sicherheit zu entnehmen, was eine geschlossene Gruppe sein solle.
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Auf den weiteren Inhalt des Antragsschriftsatzes vom 5. Juni 2020 wird ergänzend verwiesen.
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Die Antragsgegnerin ist dem Antrag mit Schreiben vom 9. Juni 2020 entgegengetreten und beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass sich die Luft in einem vollbesetzten Reisebus bei längerer Reisedauer auch bei guter Belüftung mit infektiösen Aerosolen anreichern könne und deshalb ein erhöhtes Infektionsrisiko bestehe. Soweit sich die Antragstellerin darauf berufe, dass in Flixbussen die in § 11 Abs. 3 Nr. 1 der 5. BayIfSMV vorgeschriebenen Mindestabstände nicht eingehalten würden, könne sie sich nicht auf eine Gleichbehandlung berufen.
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Auf Anforderung des Verwaltungsgerichts Augsburg nahm das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege mit Schreiben vom 10. Juni 2020 zum Verfahren Stellung und verwies insbesondere auf einen Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. Juni 2020 (Az. 20 NE 20.1307), mit dem ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO im Zusammenhang mit einer Normenkontrollklage bezüglich der streitgegenständlichen Regelungen für touristische Reisebusreisen abgelehnt wurde. Die differenzierten Regelungen für den öffentlichen Personennah- und -fernverkehr einerseits und touristische Busreisen andererseits, seien sachlich gerechtfertigt. Der öffentliche Personennah- und -fernverkehr diene der Grundversorgung der Bevölkerung, während bei Reisebusreisen ausschließlich Freizeitinteressen der Fahrgäste berührt seien. Die Einhaltung des Mindestabstands von 1,5 m sei im öffentlichen Personennah- und -fernverkehr nicht möglich. Der Zulässigkeit von Gruppenreisen stünden die nach der 5. BayIfSMV geltenden Kontaktbeschränkungen entgegen. Diese dürften nicht durch gemeinsames Reisen umgangen werden. Touristische Reisen in offenen Gruppen seien hingegen nicht untersagt.
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Hierzu lässt die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 12. Juni 2020 ausführen, der Verweis auf die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sei untauglich, da es dort um abstraktere Normen gehe und nicht um den Einzelfall. Darüber hinaus gehe es im vorliegenden Verfahren nicht um die generelle Anfechtung der Verordnung an sich, sondern um zwei Tatbestände der Verordnung. Der Mindestabstand von 1,5 m könne bei entsprechender Anpassung der Kapazität und Taktzahl auch im öffentlichen Personennah- und -fernverkehr gewahrt werden. Fernbusreisen und touristische Reisebusreisen seien hinsichtlich Streckenverlauf, Reisedauer, Interessenlage der Gäste und der eingesetzten Fahrzeuge vergleichbar. Auch Betreiber von Fernbussen könnten die Anzahl der Fahrgäste selbständig steuern. Das Verbot einer Gruppenanmeldung ändere im Ergebnis nichts an der Besetzung der Busse.
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Bezüglich des weiteren Vorbringens der Parteien und der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO hat keinen Erfolg. Er ist bereits unzulässig.
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1. Nach § 123 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Eine einstweilige Anordnung kann jedoch nur auf einen rechtlichen Erfolg gerichtet sein, der auch in der Hauptsache erreicht werden könnte.
15
Die Antragstellerin begehrt im Wege des Eilrechtsschutzes die Feststellung, dass die in § 11 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 der 5. BayIfSMV enthaltenen Beschränkungen touristischen Reisebusreisen nicht entgegenstehen. Ihrem Vorbringen ist zu entnehmen (§ 88 i.V.m. § 122 VwGO), dass sich ihr Antrag auf die Feststellung der Unverbindlichkeit der in § 11 Abs. 3 und 4 der 5. BayIfSMV enthaltenen Regelungen für ihren Betrieb richtet. Dieses Rechtsschutzziel kann die Antragstellerin jedoch mit einem Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht erreichen, da zwischen den Beteiligten des Rechtsstreits insoweit bereits kein feststellungsfähiges konkretes streitiges Rechtsverhältnis besteht.
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a) Unter einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von natürlichen oder juristischen Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben (vgl. BVerwG, U.v. 31.8.2011 - 8 C 8.10 - BVerwGE 140, 267). Nach der Rechtsprechung setzt ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis zudem voraus, dass zwischen den Beteiligten ein Meinungsstreit besteht, aus dem heraus sich eine Seite berühmt, ein bestimmtes Tun oder Unterlassen von der anderen Seite verlangen zu können (BVerwG, U.v. 28.1.2010 - 8 C 19.09 - juris, Rn. 24; Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 43 Rn. 12).
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b) Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Klärung der allgemeinen Frage, ob die Regelungen der 5. BayIfSMV für touristische Reisebusreisen wegen des Verstoßes gegen Grundrechte nicht angewendet werden dürfen und der beabsichtigten Nutzung der Reisebusse durch die Antragstellerin damit nicht entgegenstehen. Die Frage nach der Gültigkeit einer Rechtsnorm hat jedoch kein konkretes streitiges Rechtsverhältnis zum Gegenstand (BVerwG, U.v. 23.8.2007 - 7 C 2.07 - juris, Rn. 20; Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 43 Rn. 15f.). Ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis liegt vorliegend auch nicht ausnahmsweise deswegen vor, weil ein Verstoß gegen § 11 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 der 5. BayIfSMV nach § 21 Nr. 8 der 5. BayIfSMV bußgeldbewehrt ist. Grundsätzlich ist es der Antragstellerin im Hinblick auf die Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG bei unklarer Rechtslage zwar nicht zuzumuten, auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung Reisebusreisen anzubieten und die Einleitung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens zu riskieren. Dies kann jedoch nur dann gelten, wenn bezüglich des beabsichtigten Verhaltens tatsächlich eine rechtliche Ungewissheit besteht, was vorliegend nicht der Fall ist. Mit Beschluss vom 8. Juni 2020 (BayVGH, B.v. 8.6.2020 - 20 NE 20.1307 - BeckRS 2020, 12006) hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Rahmen eines Eilantrages nach § 47 Abs. 6 VwGO bereits entschieden, dass gegen die von der Antragstellerin angegriffenen Regelungen in § 11 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der 5. BayIfSMV keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. Die Verpflichtung für Anbieter touristischer Reisebusreisen, sicherzustellen, dass grundsätzlich ein Mindestabstand von 1,5 m zwischen den Fahrgästen eingehalten wird, verstößt nach Ansicht des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs voraussichtlich nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Auch das Verbot von Gruppenreisen für geschlossene Gruppen erweise sich voraussichtlich nicht als gleichheitswidrig. Die mit den Regelungen verbundenen Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit der Antragstellerin aus Art. 12 GG seien bei sachgerechter Auslegung der Norm auch nicht unverhältnismäßig.
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Angesichts dieser Entscheidung fehlt es - jedenfalls derzeit - an der für die Begründung eines feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses erforderlichen rechtlichen Ungewissheit.
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2. Damit liegt auch das erforderliche Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin nicht vor.
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Ein Rechtsschutzinteresse fehlt insbesondere dann, wenn die Befassung des Gerichts nicht erforderlich ist (Eyermann, 15. Auflage 2019, VwGO, § 123 Rn. 34). Dies ist hier der Fall. Nachdem der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bereits im Rahmen eines Eilantrages nach § 47 Abs. 6 VwGO mit Beschluss vom 8. Juni 2020 über die Frage der Verfassungsmäßigkeit der streitgegenständlichen Normen entschieden hat, besteht kein rechtlich anzuerkennendes Interesse an einer nochmaligen inzidenten Überprüfung vor dem Verwaltungsgericht.
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3. Der Antrag war demnach mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO abzuweisen.
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4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Dabei macht das Gericht von der Möglichkeit Gebrauch, den Streitwert im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bis zur Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts anzuheben, weil sich das gerichtliche Verfahren auf den Eilrechtsschutz beschränkt.