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OLG München, Endurteil v. 22.07.2020 – 10 U 601/20
Titel:

Alleinhaftung bei Verstoß gegen die Rückschaupflicht bei einem Abbiegevorgang

Normenketten:
ZPO § 91 Abs. 1, § 313a Abs. 1 S. 1, § 540 Abs. 2, § 543 Abs. 2 S. 1, § 708 Nr. 10, § 711, § 713
StVO § 5 Abs. 3 Nr. 1, § 9 Abs. 1
Leitsatz:
Volle Haftung des vorausfahrenden Linksabbiegers, der nach rechts orientiert und ohne Blinker ausschwenkt und mit einem überholenden Fahrzeug kollidiert. (Rn. 4 – 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abbiegevorgang, Abbiegen, Berufungsbeklagter, Beklagtenfahrzeug, Betriebsgefahr, Berufungskläger, Rechtsfehler, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Wahrnehmung, Fahrzeug, Fahrbahn
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 17.01.2020 – 17 O 10575/18
Fundstelle:
BeckRS 2020, 17166

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten vom 29.01.2020 wird das Endurteil des LG München I vom 17.01.2020 (Az. 17 O 10575/18) in Nr. 1. und 2. abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits (erster Instanz).
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

A.
1
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).
B.
2
Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Der Kläger hat für die ihm beim streitgegenständlichen Unfall entstandenen Schäden selbst aufzukommen.
I.
3
Das Landgericht ging nach Auffassung des Senats zu Unrecht von einer Mithaftung der Beklagten aus.
4
Die klägerische Fahrerin ist grob verkehrswidrig unter Verstoß gegen § 9 I, V StVO abgebogen. Aufgrund der Angaben des Zeugen N. und den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. B., dessen Sachkunde auch dem Senat aus einer Vielzahl erholter Gutachten und Anhörungen vor dem Senat bekannt ist, hat sich das Landgericht frei von Rechtsfehlern davon überzeugt, dass die Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs auf der 5,4 m breiten Fahrbahn rechtsorientiert und ohne den Fahrtrichtungsanzeiger zu setzen unter Verletzung der zweiten Rückschaupflicht nach links fuhr, um in ein Grundstück abzubiegen. Sie hatte daher die höchste Sorgfaltspflicht zu erfüllen, die die StVO kennt. Der Sachverständige führte insoweit aus, dass das Beklagtenfahrzeug als überholendes und deutlich schnelleres Fahrzeug bei Wahrnehmung der Rückschaupflicht jederzeit erkennbar gewesen wäre. Die klägerische Fahrerin räumte selbst ein, zunächst das Beklagtenfahrzeug gesehen zu haben, kurz vor dem Abbiegevorgang auf dieses nicht mehr geachtet zu haben. Soweit die Zeugin angab, ca. 3 m vor dem Abbiegen geblinkt zu haben, wäre das, selbst wenn man das unterstellten wollte, nicht rechtzeitig i.S.d. § 9 I StVO, da sich der Beklagte zu 1) darauf nicht mehr hätte einstellen können.
5
In technischer Hinsicht war der Unfall für den Beklagten zu 1) angesichts der Fahrlinie der Zeugin V. bei einer zur Verfügung stehenden Abwehrzeit von lediglich 1 Sekunde unvermeidbar. Entgegen der Rechtsauffassung des Erstgerichts rechtfertigen die vom Landgericht festgestellten Tatsachen nicht die Annahme, der Beklagte zu 1) hätte bei unklarer Verkehrslage überholt. Zutreffend haben die Berufungsführer darauf hingewiesen, dass eine unklare Verkehrslage nicht dadurch entsteht, dass ein vorausfahrendes Fahrzeug relativ langsam fährt und sich nach rechts einordnet und dann nach links abbiegt (vgl. auch OLG Celle, Urt. vom 12.05.2005, Az. 14 U 223/04), vor allem, wenn wie hier kein Blinker gesetzt wurde. Die an der Unfallstelle vorhandene Fahrbahnbreite i.V. mit den vom Sachverständigen festgestellten Fahrlinien erlaubte, ohne Gefährdung zu überholen. Auch wenn der unbeteiligte Zeuge meinte, es sei unklar, was die klägerische Zeugin machen werde, führt dies nicht gleichzeitig zur Annahme einer unklaren Verkehrslage i.S.d. § 5 III Nr. 1 StVO. Angesichts des schweren Verkehrsverstoßes der Zeugin V. tritt auch die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Beklagten zu 1) hinter dem auf Seiten der Klagepartei einzustellenden Verschulden zurück.
II.
6
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I ZPO.
III.
7
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. Verb. m. § 544 II Nr. 1 ZPO.
IV.
8
Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.