FG Nürnberg, Urteil v. 16.06.2020 – 2 K 1119/18
Titel:

Umsatzsteuer: Recht auf Vorsteuerabzug

Normenketten:
AO § 173 Abs. 2 S. 1
UStG § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Schlagworte:
Vorsteuerabzug, Steuerfestsetzung
Fundstellen:
UStB 2020, 242
LSK 2020, 16139
BeckRS 2020, 16139

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1
Streitig ist, ob der Kläger steuerpflichtige Lieferungen eines inländischen Unternehmers bezog und die gelieferten Gegenstände steuerfrei an einen Unternehmer im übrigen Gemeinschaftsgebiet weiterlieferte oder ob er in eine lediglich fingierte Lieferkette eingebunden war.
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Der Kläger handelt mit Kraftfahrzeugen und ermittelt die Umsatzsteuer nach vereinbarten Entgelten. Im Streitjahr 2011 stand er unter anderem in geschäftlichen Kontakten mit Frau A, die unter der inländischen Firma A Auto (im Folgenden A) mit Kraftfahrzeugen handelte, und der italienischen B Auto (im Folgenden B). Geschäftsführerin von B war Frau C. Bei den Geschäften mit dem Kläger trat für A Herr D auf, der Stiefvater von Frau A, für B Herr E, der Ehemann von Frau C. Beide sind mittlerweile verstorben. A wollte Fahrzeuge an B liefern, hatte aber zu wenig Eigenkapital, um die Vorsteuer bis zum Ablauf des Voranmeldungszeitraums zu verauslagen. Daher erklärte sich der Kläger auf Anfrage von Herrn D bereit, die Zwischenfinanzierung der Vorsteuer zu übernehmen, indem er die Fahrzeuge von A ankaufte und anschließend mit einem Aufschlag von 3% auf den Nettokaufpreis an B verkaufte.
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Frau C hatte als Einzelunternehmerin einen Kraftfahrzeughandel in A-Stadt angemeldet. Die Geschäftsräume hatte sie gemietet. Wegen Mietrückständen ab Ende 2009 tauschte der Vermieter die Türschlösser aus, so dass Frau C die Räume ab März 2011 nicht mehr betreten konnte. Ein an die Geschäftsanschrift gerichteter Hinweis vom 21.11.2011 auf demnächst fällige Steuerzahlungen war am 22.11.2011 nicht zustellbar. Frau C selbst war im Oktober 2011 in B-Stadt gemeldet, dorthin gerichtete Schreiben allerdings nicht zustellbar, ebenso Schreiben an eine frühere Anschrift in Italien. Sie wies 2011 insgesamt 130.217,69 € Umsatzsteuer in Rechnungen gesondert aus, gab für 2011 aber weder Umsatzsteuervoranmeldungen noch eine Umsatzsteuererklärung ab.
4
Zwischen Ende September und Mitte November 2011 schloss A mit dem Kläger Kaufverträge über 21 gebrauchte Kraftwagen, die der Kläger für insgesamt 440.370,94 € zuzüglich 83.796,06 € gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer von A erwarb. Im gleichen Zeitraum schloss der Kläger mit B Kaufverträge über die gleichen Fahrzeuge, die B vom Kläger für insgesamt 455.600 € steuerfrei erwarb. Schon bevor der Kläger die Fahrzeuge von A ankaufte, hatte B eine Anzahlung auf den zu erwartenden Verkaufspreis zu leisten. Die Ausgangsrechnungen des Klägers datieren teils am gleichen Tag wie die Eingangsrechnungen für die jeweiligen Fahrzeuge, spätestens drei Tage danach. Einzelheiten ergeben sich aus der Anlage zum Bericht über die Umsatzsteuer-Sonderprüfung beim Kläger (Akten über die Betriebsprüfung, Register USt Sonderprüfung 2011). Herr D brachte diese Fahrzeuge zum Kläger und übergab dem Kläger Fahrzeugschlüssel und Fahrzeugpapiere. Herr E holte die Fahrzeuge ab. Er erhielt vom Kläger Fahrzeugschlüssel und Fahrzeugpapiere und fuhr mit den Fahrzeugen nach Italien.
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Für alle Fahrzeuge sind belegmäßig jeweils eine Lieferkette vom Einzelunternehmen der Frau C über A und den Kläger an B und eine davon unabhängige, zweite Lieferkette ebenfalls mit einer innergemeinschaftlichen Lieferung vom letzten inländischen Veräußerer an B dokumentiert. 17 der 21 Fahrzeuge hatte Herr E ausweislich der Belegnachweise vor der Übernahme beim Kläger schon bei dem letzten inländsichen Veräußerer in der zweiten Lieferkette abgeholt. Die Rechnungen von A an den Kläger datieren nicht vor den Rechnungen des letzten inländischen Veräußerers in der anderen Lieferkette, die Belegnachweise für innergemeinschaftliche Lieferungen des Klägers am gleichen Tag wie die Belegnachweise für innergemeinschaftliche Lieferungen in der anderen Lieferkette oder später. Einzelheiten zu Fahrzeugen, Preisen, Rechnungsdaten und Belegnachweisen ergeben sich aus den Schaubildern in den Akten der Umsatzsteuer-Sonderprüfung (großer Leitzordner USt-Prüfug Nr. 35 ATR F 2016, 3. Register).
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In seiner am 21.12.2012 beim Beklagten (dem Finanzamt) eingegangenen Umsatzsteuererklärung 2011 zog der Kläger die Vorsteuer aus den Rechnungen von A ab und behandelte die in den Rechnungen an B abgerechneten Lieferungen als innergemeinschaftliche Lieferungen. Hiervon ausgehend, erklärte er Lieferungen und Leistungen zum allgemeinen Steuersatz von 984.521 €, Vorsteuer in Höhe von 547.486,89 € und steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen von 1.837.875 € und ermittelte unter Berücksichtigung der übrigen, unstrittigen Besteuerungsgrundlagen eine Umsatzsteuer von -360.405,10 € und eine Abschlusszahlung von 339,56 €.
7
Im Dezember 2016 begann das Finanzamt beim Kläger eine Umsatzsteuersonderprüfung. Die Prüferin erachtete die Aufzeichnungen des Klägers zunächst in einer Mitteilung an eine Kollegin für formal ordnungsgemäß, ging in ihrem Bericht allerdings davon aus, dass es sich bei den Geschäften mit A und B um Scheingeschäfte gehandelt habe. Aufgrund dieser Prüfung, Ergebnissen von Ermittlungen der Steuerfahndung gegen Frau C und einer Umsatzsteuersonderprüfung bei A erließ das Finanzamt am 04.07.2017 einen geänderten Umsatzsteuerbescheid für 2011. Darin minderte es die innergemeinschaftlichen Lieferungen um 455.600 €, weil die Steuerbefreiung für die „Scheingeschäfte“ an B wegen Verschleierungshandlungen zur Vortäuschung von Lieferungen zu versagen sei und erhöhte die Lieferungen und Leistungen zum allgemeinen Steuersatz um 382.857 € netto (455.600 € brutto). Zudem lehnte es den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen von A ab, da es sich um Scheinrechnungen gehandelt und A unberechtigt Vorsteuer ausgewiesen habe. Im Ergebnis setzte es die Steuer um 156.538,89 € auf -203.866,21 € herauf.
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Dagegen erhob der Kläger Einspruch. Zur Begründung trug er vor, den Rechnungen von A lägen tatsächlich durchgeführte Geschäfte zugrunde. Er sei in die Lieferkette eingeschaltet worden, um die Umsatzsteuer vorzufinanzieren, weil A sich dazu nicht in der Lage gesehen habe. Seine Marge von 3% sei dafür branchenüblich. A habe ihm jeweils die Verfügungsmacht über die Fahrzeuge verschafft. Ihm selbst sei nicht bekannt gewesen, woher A die Fahrzeuge bezog, und er hätte darüber auch keine Erkundigungen einziehen müssen. Er habe für alle Fahrzeuge Papiere und Schlüssel erhalten und zwar immer von A, namentlich Herrn D, nie von Herrn E, und sei davon ausgegangen, dass Herr D die Kurzzeitkennzeichen für die Überführung beantragt habe. Zwischen der Anlieferung durch Herrn D und der Abholung durch Herrn E hätten teilweise mehrere Tage gelegen. In rechtlicher Hinsicht bezieht der Kläger sich auf das EuGH-Urteil vom 14.06.2017 C-26/16 Santogal (HFR 2017). Danach dürfe ein Mitgliedstaat, der die vom Verkäufer als Nachweise für den Anspruch auf Steuerbefreiung vorgelegten Unterlagen zunächst akzeptiert hat, diesen Verkäufer später nicht wegen eines vom Erwerber begangenen Steuerbetrugs, von dem der Verkäufer weder Kenntnis hatte noch haben konnte, zur Zahlung der auf diese Lieferung entfallenden Mehrwertsteuer verpflichten. Soweit einem Unternehmer der Vorsteuerabzug versagt werden könne, weil er wusste oder hätte wissen müssen, dass der zur Begründung dieses Rechts geltend gemachte Umsatz in eine vom Rechnungsaussteller oder einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden Umsatzstufe der Leistungskette begangene Steuerhinterziehung einbezogen war, müssten nach den Grundsätzen des EuGH-Urteils vom 21.06.2012 C-80/11, C-142/11 Mahageben und David (HFR 2012, 917) die Finanzbehörden die Bösgläubigkeit nachweisen.
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Der Einspruch war nur teilweise erfolgreich. Das Finanzamt lehnte den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen von A weiterhin ab, da der Kläger tatsächlich keine Lieferungen bezogen habe, nahm allerdings die Erhöhung der steuerpflichtigen Lieferungen und Leistungen zurück, da insofern auch keine Weiterlieferung möglich gewesen sei. Die Steuer ermäßigte sich dadurch auf -276.586,24 €. Das Finanzamt schloss insbesondere aus dem Umstand, dass Herr E die Kurzzeitkennzeichen für die Fahrt zum Kläger und die Weiterfahrt nach Italien beantragt hatte, dass B schon vor der Fahrt zum Kläger über die Fahrzeuge verfügen konnte und die Verfügungsmacht nicht erst vom Kläger erwarb. Dies habe der Kläger bewusst verschleiern wollen.
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Mit der Klage begehrt der Kläger den Abzug der von A ausgewiesenen Vorsteuer. Zur Begründung wiederholt er im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren. Zudem weist er darauf hin, die „Abholtermine“ hätte nicht B, sondern immer A mitgeteilt.
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Der Kläger beantragt,
den Umsatzsteuerbescheid 2011 vom 04.07.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.07.2018 aufzuheben.
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Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung verweist das Finanzamt im Wesentlichen auf die Einspruchsentscheidung. Ergänzend trägt es vor, der Kläger hätte aus den ihm übergebenen Fahrzeugpapieren die tatsächlichen Voreigentümer erkennen können und sich bei Ihnen nach den Fahrzeugen erkundigen müssen. Nachdem die Zulassung mit Kurzzeitkennzeichen nur Herrn E als Fahrer erlaubte, müssten die Fahrzeuge zudem schon von Herrn E beim Kläger vorgefahren worden sein.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist unbegründet. Die angefochtene Steuerfestsetzung verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO). Das Finanzamt durfte die ursprüngliche Steuerfestsetzung ändern und lehnte dabei den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen von A zu Recht ab.
A.
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Das Finanzamt durfte die durch die Steuererklärung bewirkte Steuerfestsetzung ändern. Eine Steueranmeldung steht nach § 168 Satz 1 AO einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Solange der Vorbehalt wirksam ist, kann die Steuerfestsetzung nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO aufgehoben oder geändert werden. Die Umsatzsteuersonderprüfung hemmte den Ablauf der Festsetzungsfrist (vgl. § 171 Abs. 4 Satz 1 AO). Der Kläger kann sich gegen die Änderung auch nicht auf Vertrauensschutz berufen.
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1. Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, können nach § 173 Abs. 2 Satz 1 AO auch bei Vorliegen neuer Tatsachen oder Beweismittel nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Darauf kann sich der Kläger aber nicht berufen, weil gerade die angefochtene Steuerfestsetzung, nicht aber die ursprüngliche Steuerfestsetzung auf einer Außenprüfung beruht.
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2. Der Kläger kann auch keinen Vertrauensschutz nach unionsrechtlichen Grundsätzen beanspruchen.
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a) Danach darf zwar ein Mitgliedstaat, der die vom Verkäufer eines Gegenstands als Nachweise für den Anspruch auf Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung vorgelegten Unterlagen zunächst akzeptiert hat, diesen Verkäufer später wegen eines vom Erwerber begangenen Steuerbetrugs, von dem der Verkäufer weder Kenntnis hatte noch haben konnte, nicht zur Zahlung der auf diese Lieferung entfallenden Mehrwertsteuer verpflichten (EuGH-Urteil vom 14.06.2017 C-26/16 Santogal, HFR 2017, 780, Rz. 75). Der EuGH entschied dies zu einem Sachverhalt, in dem die portugiesischen Finanzbehörden aufgrund der vorgelegten Unterlagen eine Zollanmeldung für ungültig erklärten (EuGH-Urteil Santogal in HFR 2017, 780, Rz. 17 und 25 am Ende).
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b) Der Sachverhalt im Streitfall ist damit nicht vergleichbar. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die vorstehenden Grundsätze überhaupt auf den Vorsteuerabzug übertragbar sind, weil die Finanzbehörden die vom Kläger vorgelegten Unterlagen jedenfalls nicht im vorgenannten Sinne akzeptierten. Die Ungültigerklärung einer Zollanmeldung, wie in dem vom EuGH entschiedenen Fall, ist eine auf Außenwirkung gerichtete Einzelfallregelung, die nach nationalem Recht ein Verwaltungsakt (§ 118 AO) wäre. Im Streitfall trafen die Finanzbehörden keine solche Regelung über den Vorsteuerabzug, erließen insbesondere keinen Steuerbescheid, in dem sie den Vorsteuerabzug bestätigten. Die Mitteilung der Umsatzsteuersonderprüferin an eine andere Finanzamtsmitarbeiterin, auf die sich der Kläger beruft, diente lediglich der internen Information und war nicht auf Rechtswirkung nach außen gerichtet. Zudem gab sie erkennbar lediglich einen Zwischenstand wieder, stand also unter dem Vorbehalt weiterer Erkenntnisse.
B.
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Das Finanzamt ging zurecht davon aus, dass der Kläger aus den Rechnungen von A keine Vorsteuer abziehen kann, weil den Rechnungen keine Lieferungen zugrunde liegen.
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1. Der Unternehmer kann nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Lieferungen eines Unternehmers sind nach § 3 Abs. 1 UStG Leistungen, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 168 Buchst.a und Art. 14 MwStSystRL. Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige nach Art. 168 Buchst. a MwStSystRL berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden, abzuziehen. Als Lieferung von Gegenständen gilt nach Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.
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2. Lieferung ist jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands durch eine Partei, die die andere Partei ermächtigt, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre sie sein Eigentümer, ohne dass es dabei auf eine Eigentumsübertragung in den durch das anwendbare nationale Recht vorgesehenen Formen ankommt. Hiervon ist bei der Übertragung von Substanz, Wert und Ertrag auszugehen, die allerdings häufig mit dem bürgerlich-rechtlichen Eigentum verbunden ist (BFH-Urteil vom 06.04.2016 V R 12/15, BFHE 253, 475, BStBl. II 2017, 188, Rz. 18). Eine Beschränkung der mit dem zivilrechtlichen Eigentum verbundenen Verfügungsmacht kann sich auch aus schuldrechtlichen Vereinbarungen ergeben (vgl. BFH-Urteil vom 23.07.2009 V R 27/07, BFHE 226, 421, BStBl. II 2010, 859, unter II.1.c.). Ein Zwischenerwerber kann die Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, dem nachfolgenden Erwerber nur übertragen, wenn er sie zuvor vom vorhergehenden Verkäufer erhalten hat (EuGH-Urteil vom 16.12.2010 C-430/09 Euro Tyre Holding, HFR 2011, 228, Rz. 31).Das Recht auf Vorsteuerabzug erstreckt sich nicht auf eine Steuer, die ausschließlich deswegen geschuldet wird, weil sie in einer Rechnung ausgewiesen ist. Liegt kein steuerbarer Umsatz vor, besteht auch kein Recht auf Vorsteuerabzug. Die Gut- oder Bösgläubigkeit des Steuerpflichtigen, der einen Vorsteuerabzug vornehmen möchte, ist insofern ohne Bedeutung. Wer einen Vorsteuerabzug vornehmen möchte, muss nachweisen, dass er die Voraussetzungen hierfür erfüllt (EuGH-Urteil vom 27.06.2018 C-459/17 und C-460/17 SGI und Valeriane, HFR 2018, 679, Rz. 37 ff.; BFH-Urteil vom 10.07.2019 XI R 28/18, zur Veröffentlichung in BFHE vorgesehen, Rz. 37).
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3. Nach diesen Grundsätzen kann der Kläger aus den Rechnungen von A keine Vorsteuer abziehen. Der Senat ist davon überzeugt, dass B die Fahrzeuge tatsächlich von dem letzten inländischen Verkäufer in der Lieferkette ohne Beteiligung des Klägers erwarb und von der Abholung dort bis zur Überführung nach Italien durchgängig die Verfügungsmacht innehatte. Jedenfalls verschaffte A dem Kläger keine Verfügungsmacht, die der Kläger seinerseits B verschaffen hätte können.
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a) Für den Senat steht fest, dass B die Fahrzeuge tatsächlich von dem letzten inländischen Verkäufer in der Lieferkette ohne Beteiligung des Klägers erwarb, um sie in Italien weiter zu veräußern, und die belegmäßig dokumentierte Lieferkette unter Beteiligung des Klägers allein dem Zweck diente, über das (vermeintliche) Einzelunternehmen der Frau C Umsatzsteuer ausweisen und vereinnahmen zu können, ohne sie anzumelden und abzuführen.
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aa) Das Einzelunternehmen der Frau C existierte, wie sich aus ihren Steuerakten ergibt, nur noch auf dem Papier. Spätestens seit der Auswechslung der Türschlösser durch den Vermieter konnten sie und Herr E ihre früheren Geschäftsräume nicht mehr nutzen. Die Rückläufer an das Finanzamt belegen, dass diese Geschäftsräume zu der Zeit, als die streitgegenständlichen Vorgänge stattfanden, nicht einmal mehr eine „Briefkastenanschrift“ waren. Unter diesen Voraussetzungen ist nicht ersichtlich, wie die Fahrzeuge von dem (vermeintlichen) Einzelunternehmen anders zu A gelangen konnten als wenn sie zuvor im Namen von B erworben und anschließend verwendet wurden, um belegmäßig eine zweite Lieferkette dokumentieren zu können, in deren Rahmen das Einzelunternehmen Umsatzsteuer auswies und vereinnahmte, ohne sie anzumelden und abzuführen (sog. „Missing Trader“).
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Dem steht nicht entgegen, dass Herr D gegenüber der Steuerfahndung angab, einmal zusammen mit Herrn E die Räume des Einzelunternehmens besucht zu haben (Leitzordner F Bustra R, Register Zeugen VN D). Herr D ordnete diesen Besuch zeitlich nicht näher ein, stand aber nach seiner Aussage mit Herrn E seit Ende 2010 in Kontakt. Aus den Umsatzsteuerakten von A ergibt sich, dass A schon im Februar 2011 mehrere Fahrzeuge von dem Einzelunternehmen kaufte. Der Besuch von Herrn D dürfte daher noch vor der Auswechslung der Türschlösser stattgefunden haben.
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bb) Darüber hinaus ist auch nicht ersichtlich, weshalb Frau C, sofern sie lediglich Fahrzeuge von ihrem Einzelunternehmen an die von ihr vertretene B liefern wollte, gleich zwei fremde Unternehmen zwischenschalten sollte, da davon auszugehen war, dass jeder Zwischenhändler die Marge ihres Einzelunternehmens und/oder der B Auto verminderte. Die Einschaltung von gleich zwei Zwischenhändlern (sog. „Buffer“) ist insofern am ehesten damit zu erklären, dass dadurch die tatsächlichen Hintergründe der Geschäfte verschleiert werden sollten.
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cc) Dieses „Geschäftsmodell“ von C und B ist für sich genommen - soweit ersichtlich - auch zwischen den Beteiligten unstreitig (vgl. BFH-Urteil vom 25.02.2015 XI R 15/14, BFHE 249, 343, Rz. 84 f.). Es war jedenfalls schon Gegenstand des Hinweisschreibens des Berichterstatters vom 21.04.2020 und der Kläger erhob gegen die damals vorläufige Beurteilung weder schriftsätzlich noch in der mündlichen Verhandlung substantiierte Einwendungen.
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b) In tatsächlicher Hinsicht war die Verfügungsmöglichkeit des Klägers durch die Gegenwart des Herrn E beschränkt. Nach der Überzeugung des Senats war Herr E, solange sich die Fahrzeuge beim Kläger befanden, durchgängig anwesend und hätte eine Veräußerung an Dritte verhindern können. Insofern kommt es nicht mehr darauf an, ob und gegebenenfalls wie und wann der Kläger zivilrechtliches Eigentum an den Fahrzeugen erwarb (§§ 929 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB).
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aa) Die Anwesenheit des Herrn E ergibt sich für den Senat insbesondere aus der Aussage des Herrn D bei der Steuerfahndung (Leitzordner F Bustra R, Register Zeugen VN D). Herr D gab dort an: „Ich bin immer mit Herrn E zu Herrn F gefahren. Die Zahlung durch Herrn F ist auf der Rechnung vermerkt. Die Autos wurden dann von Herrn E nach Italien gefahren.“ Hätte es auch nur in einzelnen Fällen Abweichungen gegeben, hätte Herr D schwerlich die eindeutige Angabe „immer“ verwendet. Er sagte noch im November 2011 aus, also nur kurz nach den streitgegenständlichen Geschäften, so dass die Erinnerung noch frisch und nicht durch Zeitablauf getrübt war. Zwar konnte sich der Senat keinen persönlichen Eindruck von Herrn D verschaffen. Auch war der Kläger bei der Vernehmung weder selbst noch durch einen Bevollmächtigten zugegen und konnte daher weder den Angaben des Herrn D entgegentreten noch selbst Fragen an Herrn D richten. Beides schränkt den Beweiswert der Aussage ein. Die Aussage erscheint deswegen aber nicht unglaubhaft oder unglaubwürdig.
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Darüber hinaus räumte zudem zunächst auch der Kläger selbst die gemeinsame Anwesenheit von E und D ein und erklärte, warum er sie für unproblematisch hielt, so auf S. 6 seines an das Finanzamt gerichteten Schreibens vom 10.08.2017, mit dem er seinen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung begründete, und wortlautgleich auf S. 3 seiner Klagebegründung vom 30.08.2018. Erst in der mündlichen Verhandlung rückte er davon ab, möglicherweise vor dem Hintergrund des Hinweises des Berichterstatters vom 21.04.2020. Das Finanzamt stellte schon in der Einspruchsentscheidung maßgeblich auf die gleichzeitige Anwesenheit der Herren D und E ab. Wenn sie tatsächlich nicht gleichzeitig anwesend waren, hätte es daher nahe gelegen, dies spätestens in der Klagebegründung deutlich zu machen, anstatt lediglich zu erklären, weshalb die gemeinsame Anwesenheit unproblematisch sein sollte.
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Die Angaben in den Schaubildern, wonach der „Lieferweg“ vom Kläger zu B bis zu vier Tage nach dem „Lieferweg“ von A zum Kläger zurückgelegt wurde, stehen dem nicht entgegen. Die Schaubilder wurden offenbar von der Steuerfahndung erstellt und geben die belegmäßig dokumentierten Sachverhalte wieder, die von den tatsächlichen Sachverhalten abweichen können. Gerade die Daten zu den „Lieferwegen“ wurden zudem scheinbar lediglich aus den anderen Daten, insbesondere den Daten von Rechnungen und Belegnachweisen, abgeleitet und sind teilweise widersprüchlich.
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bb) Herr E hätte einem Verkauf der Fahrzeuge an Dritte widersprochen. Dies folgt aus der Funktion der belegmäßig dokumentierten Lieferkette von C über A und den Kläger an B (siehe schon unter a.). Eine Veräußerung an Dritte hätte nicht nur die Verwertung von Substanz, Wert und Ertrag des jeweiligen Fahrzeugs durch B in Italien ausgeschlossen, sondern auch das „Geschäftsmodell“ als solches in Frage gestellt, wenn bekannt geworden wäre, dass B entgegen den Erklärungen gegenüber den letzten inländischen Veräußerern in der anderen Lieferkette die Fahrzeuge nicht unmittelbar in das Ausland verbrachte.
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cc) Herr E hätte eine Übergabe von Fahrzeugschlüsseln und Papieren an Dritte nach Überzeugung des Senats tatsächlich verhindert. Schon ein Protest hätte in der wirtschaftlichen Realität (vgl. BFH-Urteile vom 06.04.2016 XI R 20/14, BFHE 254, 152, Rz. 46; vom 05.12.2018 XI R 44/14, BFHE 263, 359, Rz. 33) regelmäßig dazu geführt, dass Dritte vorsichtshalber von einem Erwerb des Fahrzeugs Abstand genommen hätten. Herr E hätte - gegebenenfalls im Zusammenwirken mit Herrn D - eine solche Übergabe sogar physisch verhindert.
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c) Unabhängig von der tatsächlichen Beschränkung war die Verfügungsmacht des Klägers schon aus rechtlichen Gründen so beschränkt, dass Substanz, Wert und Ertrag nicht mit dem zivilrechtlichen Eigentum auf ihn übergingen. Diese rechtlichen Gründe ergeben sich aus den Vereinbarungen des Klägers mit A (Herrn D) und B. Nach den vorstehenden (unter 2.) Grundsätzen waren insofern schuldrechtliche Vereinbarungen ausreichend. Auch deswegen kommt es auf das zivilrechtliche Eigentum im Ergebnis nicht mehr an.
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aa) Allen Kaufverträgen zwischen dem Kläger und A lag nach Art einer Rahmenvereinbarung die Übereinkunft zugrunde, dass der Kläger in den Geschäften mit A und B die Funktion eines Zwischenfinanzierers haben sollte. Dies erklärte der Kläger selbst zuletzt in der mündlichen Verhandlung. Es entspricht auch den Angaben des Herrn D. Wirtschaftlich sollten demnach Substanz, Wert und Ertrag der Fahrzeuge zu zwischen A und B vereinbarten Bedingungen von A an B übertragen werden und der Kläger lediglich eine vorab bestimmte Provision erhalten. A durfte die Erklärung des Klägers, Zwischenfinanzierer sein zu wollen, nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) so verstehen, dass der Kläger sich damit zugleich verpflichtete, über die Fahrzeuge nicht in einer Weise zu verfügen, die den von A und B verfolgten wirtschaftlichen Zweck gefährdete, und sie erst dann auf eigene Rechnung zu verwerten, wenn sich abzeichnete, dass dieser Zweck nicht mehr erreicht werden konnte, insbesondere weil B die Fahrzeuge nicht zu den vereinbarten Bedingungen kaufte. Dazu kam es aber im Streitfall gerade nicht. Substanz, Wert und Ertrag der Fahrzeuge wurden weder vom Kläger selbst noch von A zugunsten des Klägers, sondern von B auf eigene Rechnung verwertet.
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bb) Indem der Kläger schon vor Abschluss der Kaufverträge mit A Anzahlungen von B forderte, verpflichtete er sich zusätzlich gegenüber B in korrespondierender Weise, die Fahrzeuge zu „reservieren“. Insofern kann dahingestellt bleiben, ob die Kaufverträge zwischen dem Kläger und A schon für sich genommen Schutzwirkung zugunsten von B entfalteten oder gar als Vertrag zugunsten Dritter (§ 328 BGB) so zu verstehen waren, dass B bereits mit dem Ankauf durch den Kläger einen Anspruch erwarb, dass der Kläger die Fahrzeuge an B weiterverkaufte.
38
d) Auch die Regelungen über Kommissionsgeschäfte (§ 3 Abs. 3 UStG, Art. 14 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL) und Reihengeschäfte (§ 3 Abs. 6 Satz 5 UStG in der im Streitzeitraum geltenden Fassung) führen nicht dazu, dass trotz der Verfügungsbeschränkungen von Lieferungen von A an den Kläger auszugehen wäre.
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aa) Der Kläger war weder im Verhältnis zu A noch im Verhältnis zu B Kommissionär (§ 3 Abs. 3 UStG, § 383 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs - HGB). Zwar führten die vom Kläger abgeschlossenen Kaufverträge dazu, dass ihm - insoweit ähnlich einem Kommissionär - im Ergebnis nur eine Provision verblieb. A und B standen aber in unmittelbarem Kontakt und vereinbarten die wesentlichen Vertragsinhalte untereinander, der Kläger erbrachte wirtschaftlich keine Geschäftsbesorgung (vgl. § 384 Abs. 2 Halbs. 2 HGB), sondern lediglich eine Finanzierungsleistung. Dass der Kläger selbst im Schriftsatz vom 07.12.2018 im Zusammenhang mit der Übergabe der Fahrzeuge bei ihm von „Abholterminen“ spricht, belegt, dass auch aus seiner Sicht A ihn erst dann einschaltete, wenn sie sich mit B über ein bestimmtes Geschäft einig war und die Termine beim Kläger nur dem Vollzug dieses Geschäfts dienten.
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bb) Reihengeschäfte (§ Abs. 6 Satz 5 UStG in der im Streitzeitraum geltenden Fassung) lagen bei den streitgegenständlichen An- und Verkäufen schon deswegen nicht vor, weil die Fahrzeuge gerade nicht unmittelbar von A zu B gelangten, sondern dazwischen zum Kläger gebracht wurden. Allgemein ergibt sich aus den Regelungen über Reihengeschäfte zwar, dass mehrere Lieferungen auch dann vorliegen können, wenn die Leistungskette bis zum letzten Abnehmer schon bei der ersten Veräußerung bekannt ist und der erste Veräußerer den Gegenstand selbst bis zum letzten Abnehmer befördert. Das bedeutet aber nicht, dass mehrere Lieferungen auch dann anzunehmen sind, wenn - wie im Streitfall - die Zwischenhändler weitergehenden Verfügungsbeschränkungen unterliegen und der erste Veräußerer die Leistungskette nicht nur kennt, sondern organisiert und steuert, um die Verwertung von Substanz, Wert und Ertrag des Gegenstandes ausschließlich dem letzten Erwerber zu ermöglichen.
41
e) Auf die zwischen den Beteiligten umstrittene Bedeutung der Kurzzeitkennzeichen kommt es nach alledem nicht mehr an. Da schon kein Recht auf Vorsteuerabzug entstand, kann auch dahingestellt bleiben, ob dieses Recht (auch) deswegen zu versagen ist, weil der Kläger von dem „Geschäftsmodell“ von B (siehe unter a.) und den Steuerhinterziehungen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) der Frau C durch die pflichtwidrige Nichtabgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuererklärung wusste oder wissen musste (vgl. BFH-Urteil vom 18.02.2016 V R 62/14, BFHE 253, 283, BStBl. II 2016, 589, Rz. 20).
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4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.