Inhalt

LArbG Nürnberg, Beschluss v. 29.05.2020 – 8 Ta 36/20
Titel:

Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten bei einem Rechtsstreit um Datenschutz eines Angestellten der Erzdiözese

Normenketten:
GG Art. 140, Art. 137 Abs. 3
DSGVO Art. 79 Abs. 2, Art. 82 Abs. 6, Art. 91 Abs. 1
ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3
KDG § 49, § 50
KDSGO § 2, § 14
ZPO § 148
WRV Art. 137 Abs. 3
Leitsatz:
Bei einem Rechtsstreit eines bei der Erzdiözese im Rahmen eines privatrechtlichen Arbeitsvertrages angestellten Arbeitnehmers auf Schadensersatz wegen Verstößen gegen das kirchliche Datenschutzgesetz (KDG) ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten gegeben und nicht zu den nach KDSGO errichteten interdiözesanen Datenschutzgerichten. (Rn. 11)
Schlagworte:
Anerkennung, Auftragsverarbeiter, privatrechtliches Arbeitsverhältnis, Selbstverwaltungsrecht, Religionsgemeinschaft, katholische Kirche, Interdiözesane Datenschutzgericht, Datenschutzverstoß
Vorinstanz:
ArbG Bamberg, Beschluss vom 04.02.2020 – 1 Ca 617/19
Fundstellen:
RDV 2020, 277
RDV 2020, 342
BeckRS 2020, 15595
NZA-RR 2020, 493
LSK 2020, 15595
NZA 2020, 1200
ZD 2021, 396

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bamberg vom 04.02.2020 - Az. 1 Ca 617/19 - abgeändert.
2. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen wird für zulässig erklärt.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

1
Der Kläger macht mit vorliegender Klage einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Datenschutzverstoß geltend. Der Kläger ist seit dem 24.05.1989 bei der beklagten Erzdiözese als Leiter eines Jugendtreffs beschäftigt. Zur Begründung seiner Klage führt der Kläger insbesondere an, dass seine Angaben über seine Krankheitsursachen und seines Gesundheitszustandes im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements einem Personenkreis zugänglich gemacht wurden, der nicht an diesem BEM teilgenommen hatte.
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Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 04.02.2020 den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen verneint und den Rechtsstreit an das Interdiözesane Datenschutzgericht in Köln verwiesen. Zur Begründung führt das Arbeitsgericht aus, dass nach § 2 Abs. 1 KDSGO (Kirchliche Datenschutzgerichtsordnung) die kirchlichen Gerichte in Datenschutzangelegenheiten für die Überprüfung von Entscheidungen der Datenschutzaufsicht der katholischen Kirche in Deutschland sowie für gerichtliche Rechtsbehelfe der betreffenden Person gegen den Verantwortlichen oder den kirchlichen Vertragsverarbeiter zuständig seien. Diese Zuständigkeit auch in individuellen Einzelfällen unterscheide sich von der Zuständigkeitsregelung der kirchlichen Gerichte für Arbeitssachen gemäß § 2 Abs. 3 KAGO (Kirchliche Arbeitsgerichtsordnung), die eine Zuständigkeit bei Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis ausdrücklich ausschließe. Die Bestimmungen über den kirchlichen Datenschutz und die kirchliche Datenschutzgerichtsbarkeit seien jedoch gegenüber den allgemeinen zivil- und arbeitsrechtlichen Vorschriften Spezialvorschriften und gehen deshalb vor. Die katholische Kirche habe im Rahmen des Art. 140 GG, 137 Abs. 3WRV im Hinblick auf den kirchlichen Datenschutz von ihrer Rechtssetzungsbefugnis durch den Erlass des KDG (Gesetz über den kirchlichen Datenschutz) und der KDSGO umfassend Gebrauch gemacht. Dies sei gemäß Art. 91 DSGVO (Datenschutzgrundverordnung) auch europarechtlich zulässig. Hierbei regele § 50 KDG auch Ansprüche auf Schadensersatz einzelner Personen. Auch hierfür eröffne § 2 Abs. 1 Satz 1 KDSGO den Rechtsweg zu den kirchlichen Gerichten in Datenschutzangelegenheiten. Der gerichtliche Rechtsbehelf der einzelnen betroffenen Personen im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 KDSGO sei zu unterscheiden von kirchlichen Rechtsbehelfen gegen Entscheidungen der Datenschutzaufsicht über das Vorliegen einer Datenschutzverletzung gemäß § 2 Abs. 2 KDSGO. Der Begriff des gerichtlichen Rechtsbehelfs im Sinne der KDSGO meine einerseits die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen einer einzelnen betroffenen Person gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. KDSGO im Gegensatz zur Überprüfung von Entscheidungen der Datenschutzaufsichten im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt., Abs. 2 KDSGO. Dieser prozessualen Differenzierung entspreche auch die Regelung in § 49 KDG, wonach in Absatz 1 der gerichtliche Rechtsbehelf gegen Bescheide der Datenschutzaufsicht und in Absatz 2 unbeschadet eines Rechts auf Beschwerde bei der Datenschutzaufsicht das Recht auf einen gerichtlichen Rechtsbehelf aufgrund eines Verstoßes gegen die im KDG geregelten Rechte des Betroffenen vorgesehen sei. Der Rechtsstreit sei deshalb gemäß §§ 17 a Abs. 2 u. 4 GVG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss der Kammer des Arbeitsgerichts an das zuständige Interdiözesane Datenschutzgericht in Köln zu verweisen. Die §§ 17 ff. GVG gelten auch im Verhältnis zwischen der Arbeitsgerichtsbarkeit und einer besonderen Gerichtsbarkeit wie der kirchlichen Datenschutzgerichtsbarkeit.
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Der Beschluss des Arbeitsgerichts vom 04.02.2020 wurde den Klägervertretern am 06.02.2020 zugestellt. Hiergegen erhob die Klägerseite mit Telefax vom 20.02.2020 sofortige Beschwerde und führte zu deren Begründung aus, dass ein Schadensersatz wegen eines Datenschutzverstoßes aufgrund der Anspruchsgrundlage des Art. 82 Abs. 1 DSGVO geltend gemacht werde. Das Arbeitsgericht Bamberg sei gemäß § 79 Abs. 2 DSGVO in Verbindung mit § 2 ArbGG sachlich zuständig. Der Kläger begehre einen Schadensersatz wegen Verstoßes gegen das Datenschutzrecht, nämlich der Weitergabe von Gesundheitsdaten, die im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements von der Beklagten erhoben und unzulässigerweise weitergegeben wurden, indem die Daten auf den Computer der Mitarbeiterin H… transferiert wurden. § 2 Abs. 1 Satz 1 KDSGO finde schon von seinem Wortlaut her keine Anwendung für den vorliegenden Fall. Zwar ginge es nach der 2. Alternative des § 2 Abs. 1 Satz 1 KDSGO um gerichtliche Rechtsbehelfe bei Verletzung des kirchlichen Datenschutzes. Die Bestimmungen über den kirchlichen Datenschutz und die kirchliche Datenschutzgerichtsbarkeit seien jedoch gegenüber den allgemeinen Vorschriften keine Spezialvorschriften für den Fall eines Datenschutzverstoßes in einem Arbeitsverhältnis. Soweit der Kläger seine Ansprüche auf staatliches Recht stütze, seien die staatlichen Gerichte für Arbeitssachen zur Entscheidung berufen. Kirchliche Gerichte entscheiden ausschließlich nach kirchlichem Recht. Im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses trete das Gesetz über den kirchlichen Datenschutz allenfalls neben die Datenschutzgrundverordnung. Ginge es um die Anwendung staatlichen Rechts, so müssten die staatlichen Gerichte auch das entscheidungserhebliche Kirchenrecht anwenden. Es würde aber nicht heißen, dass der Weg zu den staatlichen Gerichten verwehrt bleibe. Anspruchsgrundlage sei Art. 82 DSGVO. Darüber hinaus handele es sich um einen Datenschutzverstoß während der Durchführung eines BEM nach § 167 Abs. 2 SGB IX. Damit lägen zwei Normen dem Rechtsstreit zugrunde, die nicht ausschließlich Kirchenrecht betreffen. Die Klage auf Schadensersatz sei von einem gerichtlichen Rechtsbehelf im Sinne der DSGVO zu unterscheiden. In Art. 82 Abs. 6 DSGVO sei ausdrücklich geregelt, dass mit Gerichtsverfahren zur Inanspruchnahme des Rechts auf Schadensersatz die Gerichte zu befassen seien, die nach den in Art. 79 Abs. 2 DSGVO genannten Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates zuständig seien. Einen entsprechenden Verweis enthalte § 50 KDG nicht, womit klargestellt sei, dass gerade keine Gleichstellung mit den Gerichten in § 49 KDG erfolgt sei.
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Die Beklagtenseite erwiderte hierauf, dass die spezialgesetzlichen Bestimmungen des KDG Anwendung fänden. Es seien nach § 2 KDSGO die kirchlichen Gerichte in Datenschutzangelegenheiten für gerichtliche Rechtsbehelfe der betroffenen Personen gegen den Verantwortlichen zuständig. Dies gelte auch für gerichtliche Rechtsbehelfe im Zusammenhang mit etwaigen Schadensersatzansprüchen des Klägers gegen die Beklagte nach den Bestimmungen des KDG. Die Bestimmungen über den kirchlichen Datenschutz und die kirchliche Datenschutzgerichtsbarkeit seien Spezialvorschriften und gingen allgemeinen zivil- und arbeitsrechtlichen Vorschriften vor, d.h. Die Bestimmungen des KDG seien gegenüber der DSGVO lex specialis. § 50 KDG regele Ansprüche auf Schadensersatz einzelner Personen und auch hierfür eröffne § 2 KDSGO den Rechtsweg zu den kirchlichen Gerichten in Datenschutzangelegenheiten. § 2 KDSGO sei auch lex specialis zu § 2 Abs. 3 KAGO (Kirchliche Arbeitsgerichtsordnung).
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Mit Beschluss vom 30.04.2020 hat das Arbeitsgericht Bamberg der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Landesarbeitsgericht Nürnberg zur Entscheidung vorgelegt. Es vertritt auch im Abhilfeverfahren die Auffassung, dass die Bestimmungen des kirchlichen Datenschutzrechts als spezielleres Recht dem staatlichen Datenschutz vorgingen. Das staatliche Datenschutzrecht fände deshalb vorliegend keine Anwendung. Gegenüber der allgemeinen Vorschrift des § 2 Abs. 3 KAGO, der die Zuständigkeit der gerichtlichen Gerichte für Arbeitssachen für Streitigkeiten aus einem Arbeitsverhältnis ausschließe, habe die katholische Kirche im Bereich des Datenschutzrechts in §§ 49 Abs. 2, 3, 50 KDG für die gerichtliche Geltendmachung einzelner Personen gegen den Verantwortlichen bei Datenschutzverstößen einen speziellen kirchengerichtlichen Rechtsweg vorgesehen. Das kirchliche Datenschutzrecht sei damit umfassend geregelt. Für die Anwendung staatlicher Gesetze sei kein Raum. Deshalb für die Entscheidung des Rechtsstreits die kirchliche Datenschutzgerichtsbarkeit zuständig.
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Den Parteien wurde Gelegenheit gegeben, zu dem Nichtabhilfebeschluss Stellung zu nehmen.
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Die Beklagtenseite schloss sich insoweit den Ausführungen des Arbeitsgerichts vollinhaltlich an.
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Die Klägerseite moniert, dass das Arbeitsgericht verkannt habe, dass im vorliegenden Fall die Kirche immer noch als Arbeitgeber agiert habe und es sich um eine Streitigkeit aus dem Arbeitsverhältnis handele. Auch bei ausschließlicher Anwendung kirchlichen Datenschutzrechts ergäbe sich hieraus keine Zuständigkeit der kirchlichen Gerichte. Eine Gesamtbetrachtung des § 49 KDG, der ausdrücklich das Rechtsmittel der Beschwerde erwähne, lasse vielmehr nur den Schluss zu, dass das kirchliche Gericht in Datenschutzangelegenheiten ausschließlich zuständig sei für gerichtliche Rechtsbehelfe gegen eine vorab getroffene Entscheidung der kirchlichen Datenschutzaufsicht oder eines anderen Verantwortlichen oder eines Auftragsverarbeiters und eben nicht für eine Klage gegen einen Datenschutzverstoß nach der Datenschutzgrundverordnung. In § 49 Abs. 2 KDG werde keine Zuständigkeit des kirchlichen Gerichts in Datenschutzangelegenheiten begründet, sofern es sich um andere gerichtliche Rechtsbehelfe handele. Eine Klage auf Schadensersatz sei vom gerichtlichen Rechtsbehelf zu unterscheiden. Dies zeige auch die Unterscheidung in Art. 79 DSGVO und in Art. 82 DSGVO sowie in § 49 KDG und § 50 KDG. Dass hier grundsätzlich nicht von der gleichen Gerichtszuständigkeit ausgegangen werde, zeige sich in Art. 82 Abs. 6 DSGVO, der auf die Gerichte in Art. 79 Abs. 2 DSGVO verweise. Dies wäre überflüssig, wenn ohnehin die gleichen Gerichte zuständig wären. Einen entsprechenden Verweis enthalte § 50 KDG bereits nicht, so dass nicht eine Gleichstellung mit den Gerichten in § 49 KDG erfolge.
II.
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1. Die sofortige Beschwerde des Klägers ist zulässig. Sie ist insbesondere in der erforderlichen Form und Frist beim Landesarbeitsgericht eingereicht worden (§ 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG, § 78 ArbGG, § 569 ZPO).
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2. Die sofortige Beschwerde des Klägers ist begründet.
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Für eine Klage auf Schadensersatz aufgrund eines Datenschutzrechtsverstoßes sind im Rahmen eines privatrechtlichen Arbeitsverhältnisses auch mit der Kirche die Arbeitsgerichte ausschließlich und nicht das kirchliche Interdiözesane Datenschutzgericht zuständig. Die ausschließliche Zuständigkeit der staatlichen Arbeitsgerichte und damit der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten kann nicht durch kirchliches Recht abgeändert werden.
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a) Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis aa) Soweit die Kirchen die Dienstverhältnisse ihrer Beschäftigten weder im Rahmen öffentlich-rechtlicher Grundsätze ordnet noch die geistigen Amtsträger entsprechend ihres Amtes beschäftigt noch eine Tätigkeit von Ordensangehörigen in kirchlichen Einrichtungen vorliegt, kommt das jeweilige Arbeitsverhältnis durch einen privatrechtlichen Arbeitsvertrag zustande. Die Kirche ist somit Arbeitgeber im Sinne des § 2 ArbGG.
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bb) Diese ausschließliche Zuständigkeit der Arbeitsgerichte für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten aus einem Arbeitsverhältnis kann nach § 4 ArbGG nur nach Maßgabe der §§ 101 - 110 ArbGG ausgeschlossen werden.
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Die Verfassung garantiert die Schiedsgerichtsbarkeit in gleichem Umfange wie die Privatautonomie. Grundsätzlich gestattet das Grundgesetz neben der staatlichen Rechtsprechung auch eine gleichwertige private Rechtsprechung. Dieser Grundsatz wird durch § 4 eingeschränkt. Nur noch für das in den §§ 101 - 110 ArbGG geregelte Schiedsverfahren findet in engen Grenzen der Ausschluss der Arbeitsgerichtsbarkeit statt. Ein außergerichtliches oder schiedsgerichtliches Vorverfahren wird von der Regel des § 4 ArbGG nicht umfasst. Regelungen im kirchlichen Bereich, nach denen im Streitfall zunächst eine innerkirchliche Schlichtungsstelle anzurufen ist, sind im Regelfall so auszulegen, dass auch ohne Anrufung der Schlichtung Klage beim Arbeitsgericht erhoben werden kann. Die Interdiözesanen Datenschutzgerichte sind keine Schiedsgerichte im Sinne der §§ 101 ff.
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b) Das verfassungsrechtlich gewährte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen steht der ausschließlichen Zuständigkeit der staatlichen Arbeitsgerichte im Rahmen von Streitigkeiten aus einem Arbeitsverhältnis mit der Kirche nicht entgegen.
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Zwar ordnet und verwaltet nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV jede Religionsgemeinschaft ihre Angelegenheiten selbständig, dies aber nur innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze. Das Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrecht der Religionsgemeinschaften umfasst grundsätzlich auch die Befugnis zur selbständigen Kontrolle des selbst gesetzten Rechts durch kircheneigene Gerichte. Die Normen des ArbGG sind jedoch Teil der für alle geltenden im Sinne des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV. Nur bei Streitigkeiten, bei denen es ausschließlich um die Anwendung kirchlichen Mitarbeitervertretungsrechts geht, ist die Zuständigkeit staatlicher Gerichte ausgeschlossen. Dies folgt aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV und findet in § 118 Abs. 2 BetrVG, § 112 BPersVG seinen einfach gesetzlichen Ausdruck. Insoweit hat § 3 Abs. 3 KAGO deklaratorische Bedeutung und stellt insoweit lediglich klar, dass für Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis die Zuständigkeit der kirchlichen Gerichte für Arbeitssachen nicht gegeben ist, da die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte für diese Streitigkeiten aus einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis durch Kirchenrecht gerade nicht ausgeschlossen werden kann. Bei Rechtsstreitigkeiten aus einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis sind die Normen des ArbGG auch für die Kirchen verbindlich. Die staatlichen Gerichte müssen jedoch kirchliches Recht anwenden, wenn von diesem die Entscheidung des Rechtsstreits abhängt (BAG, Urteil v. 11.11.2008, Az. 1 AZR 646/07, in juris recherchiert).
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c) Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist für den vorliegenden Rechtsstreit auch nicht durch höherrangiges Europarecht ausgeschlossen.
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aa) Zwar hat in Art. 91 DSGVO die Europäische Union anerkannt, dass auch eine Kirche und religiöse Vereinigung oder Gemeinschaft eigene Datenschutzregeln anwenden darf, sofern sie mit der DSGVO „in Einklang gebracht werden“. Art. 91 Abs. 1 DSGVO enthält somit eine grundsätzliche Anerkennung eigenständiger umfassender kirchlicher Datenschutzvorschriften, wenn das Staatskirchenrecht des Mitgliedsstaates solche eigenständigen Regelungen erlaubt. In Deutschland erfolgt dies aufgrund Art. 137 Abs. 3 WRV i.V.m. Art. 140 GG. Die katholische Kirche hat diesen Auftrag angenommen und das Gesetz über den kirchlichen Datenschutz (KDG) vom 29.12.2017 erlassen. Die DSGVO und das KDG sind zum größten Teil wortgleich. Abweichungen ergeben sich in der Regel dort, wo kirchliche Interessen und Aufgaben eine Rolle spielen, kirchliche Strukturen Änderungen erforderlich machen oder kirchliche Besonderheiten zu berücksichtigen sind. Das KDG erfüllt die Anforderungen der Gleichwertigkeit des kirchlichen und des staatlichen Datenschutzes und stellt sicher, dass der Kirche auch in diesem Bereich ihr grundsätzlich garantiertes Selbstverwaltungsrecht bleibt. Die Bestimmungen des kirchlichen Datenschutzes gehen somit als Spezialvorschriften den allgemeinen datenschutzrechtlichen Vorschriften vor.
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Art. 82 Abs. 6 DSGVO regelt jedoch, dass mit Gerichtsverfahren zur Inanspruchnahme des Rechts auf Schadensersatz die Gerichte zu befassen sind, die nach den in Art. 79 Abs. 2 genannten Rechtsvorschriften des Mitgliedsstaates zuständig sind. Für individualrechtliche Streitigkeiten aus einem privatrechtlichen Beschäftigungsverhältnis greift somit die staatliche Rechtsschutzgarantie und damit in Deutschland der Rechtsweg zu den staatlichen Arbeitsgerichten.
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bb) Anspruchsgrundlage für einen Schadensersatzanspruch wegen Datenschutzverstoßes durch kirchliche Stellen und damit im Rahmen der Anwendung des KDG ist somit § 50 KDG und nicht Art. 82 DSGVO. Insoweit ist dem Arbeitsgericht zuzustimmen. Auch der mögliche Datenschutzverstoß selbst ist anhand der Regelungen des KDG (§ 53 KDG Datenverarbeitung für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses und § 11 Abs. 2 KDG Ausnahmen für die Verarbeitung personenbezogener Daten in besonderen Verarbeitungssituationen) zu überprüfen. Dem Erstgericht ist auch insoweit zuzustimmen, dass in § 49 Abs. 2 KDG der gerichtliche Rechtsbehelf einer betroffenen Person, die der Ansicht ist, dass die ihr aufgrund dieses Gesetzes zustehenden Rechte infolge einer nicht im Einklang mit diesem Gesetz stehenden Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten verletzt sei, geregelt ist. Ebenso sieht § 49 Abs. 3 KDG vor, dass das kirchliche Gericht in Datenschutzangelegenheiten zuständig sei und eine der in Art. 82 Abs. 6 DSGVO entsprechende Regelung in § 50 KDG fehlt.
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(1) Art. 79 DSGVO regelt das Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf gegen Verantwortliche und Auftragsverarbeiter und gibt in dessen Abs. 2 DSGVO insoweit Vorgaben zu der örtlichen Zuständigkeit. Es sind die Gerichte des Mitgliedsstaates zuständig, in denen der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter eine Niederlassung hat bzw. wahlweise können Klagen auch bei den Gerichten des Mitgliedsstaates erhoben werden, in denen die betroffene Person ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort hat, es sei denn, es handelt sich bei dem Verantwortlichen oder dem Auftragsverarbeiter um eine Behörde des Mitgliedsstaates, die in Ausübung ihrer hoheitlichen Befugnisse tätig geworden ist.
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(2) Die DSGVO verweist somit bezüglich der sachlichen Zuständigkeit bzw. bezüglich des Rechtswegs auf die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedsstaates. Das in der DSGVO den Kirchen gewährte Recht, ihren Datenschutz umfassend innerhalb kirchenrechtlicher Vorschriften zu regeln, d.h. von ihrer Rechtssetzungsbefugnis zum Erlass von materiell-rechtlichen Spezialvorschriften im Rahmen des Datenschutzes Gebrauch zu machen, umfasst nicht die Befugnis, eine nach staatlichem Recht vorgeschriebene ausschließliche Zuständigkeit einer Gerichtsbarkeit zugunsten einer eigenen kirchlichen Gerichtsbarkeit auszuschließen.
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Die in § 2 KDSGO geregelte sachliche Zuständigkeit der kirchlichen Gerichte für Datenschutzangelegenheiten für gerichtliche Rechtsbehelfe des betroffenen Arbeitnehmers gegen den Verantwortlichen kann somit nur Rechtsstreitigkeiten betreffen, für die nach nationalem Recht keine anderweitige ausschließliche Gerichtsbarkeit gegeben ist. Für Streitigkeiten aus einem Arbeitsverhältnis, hier mögliche Schadensersatzansprüche aufgrund Datenschutzverstößen im Rahmen eines BEM, bleibt die ausschließliche Zuständigkeit der staatlichen Gerichtsbarkeit, nämlich der Arbeitsgerichtsbarkeit unberührt.
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(3) Die Zuständigkeit der staatlichen Arbeitsgerichte für Klagen eines Arbeitnehmers auf Schadensersatz nach § 50 KDG ergibt sich nach Ansicht des Beschwerdegerichtes jedoch insbesondere aus den Regelungen der KDSGO.
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So kann nach § 14 Abs. 2 KDSGO das Interdiözesane Datenschutzgericht lediglich erkennen auf Verwerfung des Antrages als unzulässig, Zurückweisung des Antrages als unbegründet oder Feststellung des Vorliegens und Umfangs einer Datenschutzverletzung. Das Interdiözesane Datenschutzgericht kann bei Begründetheit des Antrages somit nicht über einen bezifferten Schadensersatzanspruch im Rahmen einer Leistungsklage entscheiden. Darüber hinaus unterliegen kirchengerichtliche Entscheidung im Gegensatz zu staatlichen Entscheidungen nicht der Zwangsvollstreckung. Sie stellen keine Vollstreckungstitel im Sinne der §§ 704, 794 ZPO dar.
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Aus alledem ergibt sich nach Ansicht des Beschwerdegerichts, dass für den vorliegenden Rechtsstreit der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet ist.
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d) Zu beachten ist dabei jedoch, dass im arbeitsgerichtlichen Verfahren Bescheide der kirchlichen Datenschutzaufsicht mit Tatbestandswirkung zu berücksichtigen sind und Urteile der kirchlichen Datenschutzgerichtsbarkeit betreffend die Feststellung von Datenschutzverstößen im arbeitsgerichtlichen Verfahren Rechtskraftwirkung zukommt. In einem individualarbeitsrechtlichen Verfahren, bei dem es um eine Verletzung kirchlicher datenschutzrechtlicher Vorschriften geht, z.B. in einem Kündigungsschutzverfahren oder Klage gegen eine Abmahnung oder - wie hier - einer Klage auf Schadensersatz, könnte sich die Frage stellen, ob wegen Vorgreiflichkeit auszusetzen wäre. Gemäß § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Prozesses bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen ist. Hier sind entscheidend die Umstände des Einzelfalls. Dies, da im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 148 ZPO gegenüber dem vorrangigen Zweck einer Aussetzung - einander widersprechender Entscheidung zu verhindern - insbesondere die Nachteile einer langen Verfahrensdauer und die dabei entstehenden Folgen für die Parteien abzuwägen sind. Dabei ist der Beschleunigungsgrundsatz des § 9 ArbGG ebenso zu berücksichtigen wie die Voraussetzungen zum Schutz vor überlanger Verfahrensdauer (Dr. T. R. in „Die kirchliche Datenschutzgerichtsbarkeit im arbeitsgerichtlichen Verfahren“, NZA 2020, 616 ff.). Wird im Falle eines bei staatlichen Arbeitsgerichten eingeleitetem Verfahren, in dem die Verletzung kirchlicher datenschutzrechtlicher Vorschriften eine Rolle spielen, ein paralleles Verfahren bei der kirchlichen Datenschutzgerichtsbarkeit nicht eingeleitet, dann kann und muss das staatliche Arbeitsgericht die Frage einer datenschutzrechtlichen Pflichtverletzung am Maßstab des kirchlichen Rechts und unter Beachtung des verfassungsrechtlich limitierten Einklangsgebots des Art. 91 DSGVO prüfen (Dr. T. R. in „Die kirchliche Datenschutzgerichtsbarkeit im arbeitsgerichtlichen Verfahren“, VI. Zusammenfassung, NZA 2020, 616 ff.).
III.
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Das Landesarbeitsgericht hat gemäß § 78 Satz 3 ArbGG durch die Vorsitzende ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter über die sofortige Beschwerde zu entscheiden.
IV.
29
Da die Kosten der erfolgreichen Beschwerde Teil der Kosten des Rechtsstreits sind, war darüber nicht zu befinden.
V.
30
Die Zulassung einer weiteren Beschwerde nach § 17 a Abs. 4 Satz 4 GVG, die als Rechtsbeschwerde im Sinne des § 574 ZPO anzusehen ist, war veranlasst, da die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat.