Inhalt

LSG München, Urteil v. 01.07.2020 – L 1 R 457/18
Titel:

Altersrente für besonders langjährig Versicherte

Normenketten:
SGB VI § 36, § 38, § 51 Abs. 3a S. 1 Nr. 3, § 236, § 236b
SGB III § 111
SGB III i.d.F. bis 31.3.2012 § 216b
Leitsatz:
Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld I in den letzten zwei Jahren vor Beginn einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte sind auf die Wartezeit von 45 Jahren anzurechnen, wenn Versicherte unmittelbar zuvor bei Insolvenz des vormaligen Arbeitgebers und eines vom Insolvenzverwalter unterzeichneten Aufhebungsvertrages auf Grund eines gleichzeitig vom Insolvenzverwalter mitunterzeichneten befristeten Vertrages in einer Transfergesellschaft beschäftigt waren. (Rn. 22 und 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Rentenversicherung
Vorinstanz:
SG Augsburg, Urteil vom 27.06.2018 – S 13 R 888/15
Rechtsmittelinstanz:
BSG Kassel vom -- – B 5 R 12/20 R
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstellen:
ZInsO 2020, 1886
BeckRS 2020, 15467
LSK 2020, 15467

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 27.06.2018 sowie die Bescheide der Beklagten vom 15.05.2015 und 24.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.08.2015 aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, anstelle der bereits bewilligten Altersrente dem Kläger Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab 01.07.2015 zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1
Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte anstelle einer Altersrente für langjährig Versicherte ab dem 01.07.2015.
2
Der Kläger ist 1952 in Rumänien geboren und war dort bis zu seiner Ausreise am 11.04.1987 beschäftigt. Er ist anerkannter Vertriebener mit Vertriebenenausweis A. Im Versicherungskonto bei der Beklagten sind Versicherungszeiten seit dem 08.06.1969 (Fachschulausbildung vom 08.06.1969 bis 15.04.1970 sowie anschließende Beitragszeiten vom 04.05.1970 bis 28.02.1987) gespeichert. Anschließend ist vom 11.04.1987 bis 12.05.1987 eine Ersatzzeit wegen Vertreibung gespeichert. Ab 13.05.1987 bis 31.01.2012 (davon ab 01.07.2009 in Altersteilzeit) war er bei der Firma M. AG (M.) und nach deren Insolvenzanmeldung im November 2011 noch vom 01.02.2012 bis 31.10.2012 in der P. GmbH (P.) versicherungspflichtig beschäftigt. Ab dem 01.11.2012 bis 30.06.2015 war der Kläger arbeitslos gemeldet bzw. arbeitsunfähig erkrankt mit versicherungspflichtigem Leistungsbezug.
3
Am 13.02.2015 beantragte der Kläger aufgrund der anstehenden Altersrente eine Rentenauskunft und bat um schriftliche Mitteilung, ob er die 45 Versicherungsjahre mit der Zeit der Arbeitslosigkeit erfüllt habe und am 01.07.2015 abschlagsfrei in Rente gehen könne. Dazu legte er den mit dem Insolvenzverwalter der M. und dem Geschäftsführer der P. geschlossenen Vertrag vom 01.02.2012 vor. In diesem Vertrag wurde zum einen das Arbeitsverhältnis mit der Firma M. aus betriebsbedingten Gründen einvernehmlich zum 31.01.2012 beendet (§ 1). In § 2 des Vertrages ist anschließend für die Zeit vom 01.02.2012 bis 31.07.2012 ein befristetes Arbeitsverhältnis mit der P. geschlossen worden. Geschäftsgrundlage für das Arbeitsverhältnis war danach die Gewährung von Transferkurzarbeitergeld im Sinne des § 216b Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) durch die zuständigen Agenturen für Arbeit und die Bereitstellung der erforderlichen Mittel durch den Insolvenzverwalter. Abweichend von den bisherigen Arbeitsbedingungen beinhaltet der Arbeitsvertrag außerdem die Anordnung von Kurzarbeit und den Wegfall des Beschäftigungsanspruchs (§ 2 Abs. 2.3). Der Vertrag ist nachfolgend bis 30.09.2012 und schließlich bis 31.10.2012 verlängert worden. Dem Kläger wurde dazu von der Beklagten mit Auskunft vom 23.02.2015 mitgeteilt, dass die Zeit der Arbeitslosigkeit nicht auf die Wartezeit von 45 Jahren gemäß § 51 Abs. 3a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) angerechnet werden könne.
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Auf seinen Antrag vom 06.03.2015 gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 15.05.2015 Altersrente für langjährig Versicherte nach §§ 36, 236 SGB VI ab dem 01.07.2015 mit einem Abschlag des Zugangsfaktors um 0,090 für die vorzeitige Inanspruchnahme um 30 Kalendermonate. Mit Widerspruch seines Bevollmächtigten vom 15.06.2015 beantragte der Kläger, ihm stattdessen Altersrente für besonders langjährig Versicherte zu bewilligen. Nach dem Versicherungsverlauf seien 541 Beitragsmonate zu berücksichtigen. Die Zeit der Arbeitslosigkeit nach Ende der Beschäftigung in der Auffanggesellschaft sei zur Wartezeit gemäß § 51 Abs. 3a Nr. 3 SGB VI anzurechnen, weil die Arbeitslosigkeit des Klägers auf der Insolvenz der Firma M. beruhe. Die zwischenzeitliche Beschäftigung in der Auffanggesellschaft ändere daran nichts.
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Mit weiterem Bescheid vom 24.06.2015 lehnte die Beklagte die Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach § 236b SGB VI ab. Die hierfür erforderliche Mindestversicherungszeit von 45 Jahren (540 Monate) sei nicht erfüllt, da das Versicherungskonto nur 527 Wartezeitmonate enthalte. Nicht angerechnet werde u.a. die Zeit des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn, es sei denn, der Leistungsbezug sei durch eine Insolvenz oder eine vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt. Das sei nicht der Fall.
6
Auch gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 03.08.2015 zurückwies. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte seien nicht erfüllt, da nur 527 statt der benötigten 540 anrechenbaren Kalendermonate vorliegen würden. Zeiten der Arbeitslosigkeit nach der Beschäftigung in einer Transfergesellschaft könnten in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht berücksichtigt werden.
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Mit seiner Klage zum Sozialgericht Augsburg hat der Kläger geltend gemacht, die in den zwei Jahren vor Beginn der Altersrente vom Kläger bezogenen Entgeltersatzleistungen der Bundesagentur für Arbeit zu berücksichtigen, weil sie unmittelbar auf die Insolvenz der Firma M. zurückzuführen seien. Die zwischenzeitliche Beschäftigung in der Auffanggesellschaft ändere daran nichts und habe die Arbeitslosigkeit nicht beendet. Ohne die Insolvenz wäre der Kläger weder in eine Auffanggesellschaft überführt worden noch danach arbeitslos gewesen. Mit der Regelung in § 51 Abs. 3a HS 2 SGB VI hätten lediglich falsche Anreize vermieden werden sollen, die vorliegend aber nicht gegeben seien. Die von der Beklagten bevollmächtigte Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund hat in der Sache an der Auffassung der Beklagten festgehalten und zur Sache ausgeführt. Der Gesetzgeber habe mit Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RVLeistungsverbesserungsgesetz) vom 23.06.2014 mit § 236b SGB VI eine befristete Sonderregelung zur Altersrente für besonders langjährig Versicherte geschaffen und mit Art. 1 Nr. 2 des RVLeistungsverbesserungsgesetzes auch den Kreis der nach § 51 Abs. 3a SGB VI anzurechnenden Zeiten erheblich erweitert. Dabei hätten einerseits Härten kurzzeitig unterbrochener Erwerbsbiografien infolge von Arbeitslosigkeit vermieden werden sollen, andererseits aber auch Fehlanreize, weswegen zuletzt noch der Ausschluss für Zeiten der Arbeitslosigkeit eingefügt worden sei, zur Vermeidung von Härtefällen mit Ausnahme der Insolvenz oder vollständigen Geschäftsaufgabe. Abzustellen sei dabei auf die Transfergesellschaft als letztem Arbeitgeber, wobei zu berücksichtigen sei, dass der Wechsel in eine Transfergesellschaft als Alternative zur Arbeitslosigkeit freiwillig sei und gesondert vertraglich vereinbart werden müsse. Ziel sei die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt. Eine analoge Anwendung auf Fälle einer unverschuldeten Arbeitslosigkeit sei nicht möglich, was sich bereits aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/186, Seite 9) ergebe. Soweit in dem beigefügten Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz vertreten worden sei, sei dieser Auffassung in der Literatur sowie in zahlreichen sozialgerichtlichen Entscheidungen entgegengetreten worden. Mit Urteil vom 27.06.2018 hat das Sozialgericht die auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab 01.07.2015 gerichtete Klage abgewiesen. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte gemäß § 236b SGB VI seien beim Kläger nicht erfüllt. Dieser habe zum Zeitpunkt des beantragten Rentenbeginns am 01.07.2015 mit Vollendung des 63. Lebensjahres die Wartezeit von 45 Jahren (540 Monate) nicht erfüllt. Dabei könnten die im Versicherungskonto des Klägers gespeicherten Beitragszeiten aufgrund des Bezugs von Arbeitslosengeld in den letzten zwei Jahren vor dem beantragten Rentenbeginn nicht auf die Wartezeit von 45 Jahren angerechnet werden, weil der Bezug nicht durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt sei. Der Kläger habe freiwillig mit seinem Arbeitgeber, der Firma M., zum 31.01.2012 einen Aufhebungsvertrag zur Vermeidung einer ansonsten drohenden betriebsbedingten Kündigung geschlossen und sei anschließend ein von vornherein befristetes Arbeitsverhältnis in der Transfergesellschaft P. vom 01.02.2012 bis 31.10.2012 eingegangen. Die Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses durch Aufhebungsvertrag mit der Konsequenz eines freiwilligen Arbeitsplatzverlustes werde nicht vom Wortlaut der gesetzlichen (Rück-)Ausnahme erfasst. Damit sei die Insolvenz seines früheren Arbeitgebers nicht kausal für die nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses bei der Transfergesellschaft eingetretene Zeit der Arbeitslosigkeit. Der Kläger habe sich mit dem Abschluss eines Aufhebungsvertrages und der anschließenden Beschäftigung in der Transfergesellschaft, die als Projekt- und Trainingsgesellschaft die satzungsmäßige Aufgabe verfolge, den in Transferkurzarbeit befindlichen Arbeitnehmern eine arbeitsmarktpolitisch sinnvolle Qualifizierung zu ermöglichen und eine Vermittlung in neue Beschäftigungsverhältnisse zu begünstigen, versprochen, einen neuen Arbeitsplatz zu erlangen und die sich aus der Insolvenz seines bisherigen Arbeitgebers ergebenden Konsequenzen nicht mittragen zu müssen. Für die nach Ablauf des befristeten Beschäftigungsverhältnisses bei der Transfergesellschaft eingetretene Arbeitslosigkeit sei daher nicht die Insolvenz seines bisherigen Arbeitgebers ursächlich, sondern vielmehr ein Scheitern der Bemühungen der Transfergesellschaft, den Kläger durch Maßnahmen der Vermittlungsunterstützung und beruflichen Qualifizierung wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern.
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Mit seiner Berufung zum Landessozialgericht hat der Kläger auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Kausalität i.S. einer wesentlichen Bedingung hingewiesen. Danach sei hier die Insolvenz ursächlich für die spätere Arbeitslosigkeit gewesen. Die Ausführungen im Urteil des BSG vom 17.08.2017 (Az. B 5 R 8/16) seien nicht einschlägig, da dort die Kündigung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt sei, während vorliegend geradezu ein klassischer Fall der Insolvenz gegeben sei.
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Im Hinblick auf die Gründe des weiteren Urteils des BSG vom 13.03.2019 (Az. B 13 R 19/17) ist vom Kläger die Auffassung vertreten worden, dass es hinsichtlich der darin angesprochenen Variante der vollständigen Geschäftsaufgabe auf die betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit (BeE) ankommen müsse, die sich zum 31.01.2013 vollständig aufgelöst habe. Die Beklagte hat an ihrer Auffassung festgehalten, dass eine insolvenzbedingte Arbeitslosigkeit selbst dann nicht vorliege, wenn bei einem Wechsel in eine Transfergesellschaft der vorherige Arbeitgeber von Insolvenz betroffen gewesen sei.
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Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung des Senats im schriftlichen Verfahren gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt (Schriftsätze vom 06.04.2020, 20.04.2020 und 04.05.2020).
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Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 27.06.2018 sowie die Bescheide der Beklagten vom 15.05.2015 und 24.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.08.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach § 236b SGB VI ab 01.07.2015 zu zahlen.
12
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
13
Beide Beteiligte beantragen hilfsweise, die Revision zuzulassen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Der Senat kann mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren entscheiden.
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Die Berufung ist gemäß §§ 143,151 SGG zulässig, insbesondere statthaft und form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist auch in der Sache begründet, weil der Kläger Anspruch auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach § 236b SGB VI ab 01.07.2015 hat.
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1. Gegenstand der Berufung sind die Bescheide der Beklagten vom 15.05.2015 und 24.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.08.2015, mit denen die Beklagte dem Kläger einerseits Altersrente für langjährig Versicherte mit Abschlägen (§ 236 SGB VI) bewilligt und es andererseits abgelehnt hat, dem Kläger Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach § 236b SGB VI ab 01.07.2015 zu zahlen.
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2. Ein Anspruch des Klägers auf die Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach dieser Vorschrift scheitert nicht bereits daran, dass er seit dem 01.10.2015 eine Altersrente für langjährig Versicherte bezieht. Zwar bestimmt § 34 Abs. 4 Nr. 3 SGB VI, dass nach bindender Bewilligung einer Rente wegen Alters oder für Zeiten des Bezugs einer solchen Rente der Wechsel in eine andere Rente wegen Alters ausgeschlossen ist. Diese Regelung betrifft aber nicht den Anspruch auf eine andere Altersrente, die vor oder gleichzeitig mit der bindend bewilligten oder bezogenen Altersrente beginnt (BSG, Urteil vom 12.03.2019 - B 13 R 19/17 R -).
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3. Die Voraussetzungen für die Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach § 236b SGB VI sind beim Kläger ab 01.07.2015 erfüllt. Nach § 236b Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Versicherte, die vor dem 01.01.1953 geboren sind, Anspruch auf eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte, wenn sie das 63. Lebensjahr vollendet (Abs. 1 Nr. 1) und die Wartezeit von 45 Jahren erfüllt haben (Abs. 1 Nr. 2). Der Kläger ist vor dem 01.01.1953 geboren und hatte am 01.07.2015 das 63. Lebensjahr vollendet. Er hat bei der nach Überzeugung des Senats gebotenen Auslegung auch die Wartezeit von 45 Jahren erfüllt.
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3.1. Welche Zeiten auf die Wartezeit von 45 Jahren angerechnet werden, regelt § 51 Abs. 3a Satz 1 SGB VI (i.d.F. des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes). Angerechnet werden danach Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit (Nr. 1), Berücksichtigungszeiten (Nr. 2), Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung (Nr. 3a), Leistungen bei Krankheit (Nr. 3b) und Übergangsgeld (Nr. 3c), soweit sie Pflichtbeitragszeiten oder Anrechnungszeiten sind (Teilsatz 1). Als Ausnahme hiervon werden Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht berücksichtigt (Teilsatz 2), es sei denn, der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung ist durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt (Teilsatz 3). Ferner werden auf die Wartezeit von 45 Jahren unter bestimmten Voraussetzungen Kalendermonate mit freiwilligen Beiträgen angerechnet (Nr. 4).
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Der Kläger hat zum 01.07.2015 die Wartezeit von 45 Jahren (= 540 Monate) erfüllt, wenn dabei auch die Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld ab 01.07.2013 berücksichtigt werden. Ohne diese Zeiten sind nur 527 Monate auf die Wartezeit von 45 Jahren anrechenbar. Dies ist zwischen den Beteiligten in der Sache auch nicht streitig. Dabei geht es nach Ausklammerung der Monate, in denen (auch) Krankengeld bezogen worden ist (§ 51 Abs. 3a Satz 1 Ziffer 3b SGB VI), noch um die Zeiträume vom 01.07.2013 bis zum 31.07.2013, vom 01.02.2014 bis zum 30.04.2014 und vom 01.09.2014 bis zum 30.06.2015.
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3.2. Diese Monate des Bezugs von Arbeitslosengeld, einer Entgeltersatzleistung der Arbeitsförderung (§ 3 Abs. 4 Nr. 1 SGB III) sind zur Überzeugung des Senats bei der gebotenen Auslegung des § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3 Teilsatz 3 SGB VI ebenfalls auf die Wartezeit von 45 Jahren anzurechnen. Sie wurden zwar in den letzten zwei Jahren vor dem Rentenbeginn am 01.07.2015 zurückgelegt (§ 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3 Teilsatz 3 SGB VI). Allerdings liegt einer der in § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3 Teilsatz 3 SGB VI genannten Tatbestände vor, weil der Leistungsbezug des Klägers durch die Insolvenz des Arbeitgebers bedingt ist, wobei der Senat anders als das Sozialgericht nicht auf die P., sondern die M. abstellt.
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a. Die Arbeitslosigkeit war nicht durch eine vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt, wobei dahingestellt bleiben kann, ob insoweit auf die M. oder auf die P. abzustellen ist. Die vom Insolvenzverwalter weitergeführte Firma M. hat ihre Geschäfte jedenfalls bis zum Eintritt der Arbeitslosigkeit des Klägers nicht vollständig aufgegeben. Vielmehr wurde M. 2012 in M. 1 und M. 2 aufgespalten, wobei die M. 1 mit Sitz in O-Stadt von der britischen L. übernommen und die M. 2 mit Sitz in A-Stadt an die P. ging (Quellen: www.M.com und https://de.wikipe-dia.org/wiki/ M.). Auch Die P., zu deren Geschäftsinhalt u.a. die Gründung und der Betrieb von Transfergesellschaften gehört, hat ihre Geschäfte zu keinem Zeitpunkt aufgegeben. Auf die betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit kann dabei nicht abgestellt werden. Die Gründung einer betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheit dient der Erfüllung der Voraussetzungen für den Bezug von Transferkurzarbeitergeld (§ 216b SGB III i.d.F. vom 20.12.2011; nunmehr § 111 SGB III). Allerdings ist auch die betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit erst zum 31.01.2013 aufgelöst worden.
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b. Allerdings war der Bezug des Arbeitslosengeldes im Fall des Klägers durch die Insolvenz der M. bedingt. Dazu vertritt der Senat in Fortführung der Entscheidung des BSG vom 12.03.2019 (Az.: B 13 R 19/17 R) die Auffassung, dass die Rückausnahme des Teilsatz 3 auf Fälle des Leistungsbezugs nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses und Wechsels in eine Transfergesellschaft auch dann anzunehmen ist, wenn der Wechsel in die Transfergesellschaft durch die Insolvenz des vorigen Arbeitgebers bedingt war und es anschließend - mit Ausnahme der Beschäftigung in der Transfergesellschaft - zu keinem weiteren Beschäftigungsverhältnis bei einem anderen Arbeitgeber mehr gekommen ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn wie vorliegend nicht nur der Aufhebungsvertrag, sondern auch der befristete Arbeitsvertrag mit der Transfergesellschaft vom Insolvenzverwalter unterzeichnet worden sind. Diese Auslegung orientiert sich am Wortlaut und steht in Übereinstimmung mit Sinn und Zweck der Regelung und der Entstehungsgeschichte.
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aa) Der Senat orientiert sich dabei vor allem am Wortlaut der Rückausnahme in § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3 Halbsatz 3 SGB VI, wonach Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nur dann auf die Wartezeit von 45 Jahren anrechenbar sind, wenn sie durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt sind. Die Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld ab 01.07.2017 sind beim Kläger durch die Insolvenz seines früheren Arbeitgebers, der M. bedingt. Dass es sich um den zeitlich letzten Arbeitgeber vor Beginn des Leistungsbezugs gehandelt haben muss, verlangt jedenfalls der Wortlaut nicht.
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Tatsächlich hat der Gesetzgeber mit der Verwendung des Wortes „bedingt“ auf einen kausalen Zusammenhang abgestellt. Maßstab einer Kausalitätsprüfung ist im Bereich des Sozialrechts die Lehre von der wesentlich mitwirkenden Bedingung (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2012 - B 5 R 68/11 R -; BSG, Urteil vom 29.01.2002 - B 10 LW 36/00 R -; BSG, Urteil vom 23.10.1996 - 4 RA 1/96 -; BSG GS, Beschluss vom 11.12.1969 - GS 4/69 - BSGE 30, 167 -). Nach dieser sind kausal und rechtserheblich nur solche (naturwissenschaftlich-philosophischen) Ursachen (1. Stufe), die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Für die insoweit erforderliche wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache für den Erfolg (2. Stufe) gilt: Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. „Wesentlich“ ist nicht gleichzusetzen mit „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. Zwar kann auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache für den Erfolg rechtlich wesentlich sein. Voraussetzung ist allerdings, dass die andere Ursache keine überragende Bedeutung hat (stRspr vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 30.03.2017 - B 2 U 6/15 R -). Ist dagegen eine Ursache gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist nur diese als „wesentliche“ Ursache im Sinne des Sozialrechts zu qualifizieren. Die andere, damit nicht wesentliche Ursache kann zwar gleichwohl „Auslöser“ für den Ursachenzusammenhang sein, jedoch ohne dass ihr insoweit rechtlich entscheidende Bedeutung zukäme (BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196). Überragende und damit im Rechtssinne allein wesentliche Ursache für die Arbeitslosigkeit des Klägers war danach nicht die Beendigung des von vornherein befristeten Arbeitsverhältnisses mit der P., sondern die vorangegangene Insolvenz der M.
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bb) Auch die weitere Voraussetzung, dass der Leistungsbezug „insolvenzbedingt“ sein muss, ist in diesem Fall erfüllt. Insolvenzbedingt ist der Bezug von Arbeitslosengeld nämlich dann, wenn sich die Beendigung einer Beschäftigung als Ergebnis einer verfahrensrechtlich durch die Insolvenzordnung (InsO - BGBl I 1994, 2866, zuletzt geändert durch Art. 24 Abs. 3 Gesetz vom 23.06.2017, BGBl I 1693) gelenkten Tätigkeit darstellt. Dies ist der Fall, wenn die Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses auf der Erklärung z.B. Kündigung einer Person beruht, deren Handlungsbefugnis durch die InsO begründet ist. Als solche Person kommt der (vorläufige) Insolvenzverwalter oder der Arbeitgeber in der Funktion als Schuldner in Eigenverwaltung in Betracht. Nur bei dieser Auslegung, die an den Wegfall der uneingeschränkten oder unkontrollierten Verfügungsbefugnis des Arbeitgebers durch das geöffnete Insolvenzverfahren anknüpft, kann ein Missbrauch durch Zusammenwirken von Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausgeschlossen werden (BSG Urteil vom 17.08.2017 - B 5 R 8/16 R - BSGE 124, 58 = SozR 4-2600 § 51 Nr. 1, RdNr. 20; BSG Urteil vom 28.06.2018 - B 5 R 25/17 R - SozR 4-2600 § 51 Nr. 2 RdNr. 45). Eine nur drohende Insolvenz würde daher nicht genügen. Vorliegend ist der das Arbeitsverhältnis bei der M. beendende Aufhebungsvertrag mit gleichzeitiger Begründung des befristeten Arbeitsverhältnisses bei der P. für die M. von dem bereits gerichtlich bestellten vorläufigen Insolvenzverwalter unterzeichnet worden. Die vom BSG im Urteil vom 17.08.2017 geforderte Voraussetzung, dass die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses auf der Erklärung einer Person beruht, deren Handlungsbefugnis sich aus der InsO ergibt, ist damit gewahrt.
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cc) Dass bei der Anwendung des § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3 Halbsatz 3 SGB VI nach dem Ausscheiden aus einer Transfergesellschaft nicht zwingend auf die Transfergesellschaft, sondern auch auf das letzte Arbeitsverhältnis vor dem Wechsel in die Transfergesellschaft abgestellt werden kann, hat auch das BSG im Urteil vom 12.03.2019 (a.a.O.) in Rn. 21 aE ausgeführt, wo es heißt: „Allerdings käme es im Rahmen der Prüfung des Rückausnahmetatbestands „Insolvenz des Arbeitgebers“ auch in Betracht, nicht nur auf den letzten Arbeitgeber vor dem „Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung“ abzustellen. So könnte gerade im Falle des Wechsels eines Arbeitnehmers in eine Transfergesellschaft (betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit) aus Anlass der Insolvenz des vorherigen Arbeitgebers (vgl zur Berechnung von Krankengeld in einer solchen Konstellation BSG Urteil vom 10.5.2012 - B 1 KR 26/11 R - SozR 4-2500 § 47 Nr. 13; vgl allgemein zum Sozialplan bei Insolvenz Schmidt in Küttner, Personalbuch 2019, 26. Aufl 2019, 385 „Sozialplan“ RdNr. 55 ff; vgl zum Sozialplan im sog Schutzschirmverfahren nach § 207b InsO Mönning/Schäfer/Schiller, BB Beilage 2017 zu Heft 25, 1, 12 ff) auch dieser in den Blick zu nehmen sein.“
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Weiter heißt es in Rn. 23: „Wer vorliegend als Arbeitgeber im Sinne dieser Norm anzusehen ist, kann hier im Ergebnis ebenfalls dahinstehen. Wie bereits zur Frage der „Insolvenz … des Arbeitgebers“ ausgeführt, waren vorliegend zunächst die H. Druckmaschinen AG und sodann die w. - personalpartner GmbH, diese als Träger der Transfergesellschaft (betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheit), Arbeitgeber des Klägers. Im Rahmen einer an Sinn und Zweck des § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3 Teilsatz 3 SGB VI orientierten Betrachtung neigt der Senat dazu, beide als mögliches Subjekt der vollständigen „Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers“ im Sinne dieser Norm anzusehen. Insoweit wäre zu prüfen, ob beispielsweise die Transfergesellschaft aus Anlass der Geschäftsaufgabe der H. Druckmaschinen AG eingerichtet worden wäre oder die w. - personalpartner GmbH ihre Geschäfte vollständig aufgegeben hätte. Zugleich kann offenbleiben, ob der Leistungsbezug nach befristeter Überleitung in eine betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit nur dann durch die Geschäftsaufgabe des Trägers oder einer solchen Einheit mit unmittelbarer Arbeitgeberstellung „bedingt“ ist, wenn es zu einer unvorhergesehenen vollständigen Aufgabe der Geschäfte vor Ablauf der Befristung kommt.“
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Schließlich hat das BSG eine analoge Anwendung der Regelung des § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3 Teilsatz 3 SGB VI ausdrücklich nur auf Fälle des Leistungsbezugs nach einem Wechsel in eine Transfergesellschaft, der nicht auf einer Insolvenz oder vollständigen Geschäftsaufgabe des ursprünglichen Arbeitgebers beruht, ausgeschlossen.
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dd) Diesem Ergebnis stehen weder die Entstehungsgeschichte, noch das Analogieverbot oder Sinn und Zweck sowohl der Regelung in § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3 Teilsatz 3 SGB VI als auch der Regelungen über das Transferkurzarbeitergeld entgegen.
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Eine Analogie ist die Übertragung der Rechtsfolge eines geregelten Tatbestandes auf einen ihm ähnlichen, allerdings ungeregelten Sachverhalt. Sie setzt voraus, dass das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat, dass angenommen werden kann, er wäre im Zuge einer Interessenabwägung, bei der er sich von denselben Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 23.07.2014 - B 12 P 1/12 R - SozR 4-2500 § 251 Nr. 2 RdNr. 21 ff mwN; BSG, Urteil vom 18.06.2014 - B 3 P 7/13 R - SozR 4-3320 Art. 45 Nr. 1 RdNr. 14 ff mwN). Vorliegend ist die Konstellation, dass dem Bezug des Arbeitslosengeldes ein Bezug von Transferkurzarbeitergeld vorausgeht, im Gesetz nicht geregelt bzw. es ist in § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3 Teilsatz 3 SGB VI nicht erläutert, welche „Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung“ in den letzten zwei Jahren vor dem Rentenbeginn von der Anrechnung ausgenommen sein sollen. Dabei sind Fallgestaltungen mit Bezug von Transferkurzarbeitergeld im Gesetzgebungsverfahren durchaus diskutiert wurden. So sah der ursprüngliche Entwurf des § 51 Abs. 3 SGB VI weder eine Ausnahme von der Anrechenbarkeit der Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung auf die 45-jährige Wartezeit noch eine Rückausnahmeregelung für bestimmte Fälle vor. Ursprünglich sollten dabei nicht nur Arbeitslosengeld, sondern ausdrücklich auch das Transferkurzarbeitergeld als Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung i.S. des späteren § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI auf die Wartezeit angerechnet werden (Gesetzentwurf der Bundesregierung, a.a.O., BT-Drucks 18/909, Seite 20 f zu Art. 1 Nr. 2 aE). Erst im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens empfahl der Ausschuss für Arbeit und Soziales zwecks Vermeidung von Fehlanreizen, die sich aus der Anrechnung von Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung auf die Wartezeit von 45 Jahren bei der Altersrente für besonders langjährig Versicherte ergeben könnten, diese Zeiten nicht zu berücksichtigen, wenn sie in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn lägen; um Härtefälle zu verhindern, sollten diese Zeiten zwei Jahre vor Rentenbeginn nur dann anrechnungsfähig sein, wenn sie durch Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt seien (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 21.05.2014 - BT-Drucks. 18/1489, Seite 5 und Seite 26 zu Buchst b). Im Rahmen der vorangegangenen Anhörungen hatte u.a. der Deutsche Anwaltverein auf einen befürchteten vorzeitigen Verlust erfahrener Arbeitskräfte hingewiesen. Dazu hat er ausgeführt: „Die Entwurfsfassung ermöglicht es einem Versicherten, mit Vollendung des 61. Lebensjahres aus dem Unternehmen auszuscheiden, zwei Jahre ALG I gem. §§ 136 ff. SGB III in Anspruch zu nehmen, um sodann mit Vollendung des 63. Lebensjahres von der neugestalteten Leistung abschlagsfrei Gebrauch zu machen, unter Einbeziehung von Transferkurzarbeit (§ 111 SGB III) kann die Beendigung sogar schon ab Vollendung des 60. Lebensjahres erfolgen“ (Ausschussdrucks. 18(11)82, Seite 78). Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Ausnahmen in Teilsatz 3 bewusst auf die Tatbestände Insolvenz und vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers beschränkt worden sind. Dass diese ggf. Anlass für den Wechsel in eine Transfergesellschaft und den Bezug von Transferkurzarbeitergeld sein können, rechtfertigt grundsätzlich nicht die Annahme, dass andere zu einem solchen Sachverhalt führende Tatbestände übersehen worden wären (BSG vom 12.03.2019, a.a.O.). Allerdings sind die vom BSG und im Gesetzgebungsverfahren geäußerten Bedenken auf diese Konstellation nicht übertragbar. Wenn der Wechsel in die Transfergesellschaft zum Zwecke des Bezugs von Kurzarbeitergeld erst nach dem Eintritt der Insolvenz erfolgt, ist ein Missbrauch nicht zu befürchten. Sowohl der Aufhebungsvertrag als auch der neue Arbeitsvertrag sind vorliegend nicht vom früheren Arbeitgeber, sondern vom Insolvenzverwalter geschlossen worden, weil es für den Kläger bei der M. keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr gegeben hat. Die im Gesetzgebungsverfahren geäußerten Bedenken hinsichtlich einer gesteuerten Frühverrentung treffen auf diesen Fall nicht zu.
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ee) Nichts anderes ergibt sich aus Sinn und Zweck des Bezugs von Transferkurzarbeitergeld während der Beschäftigung in einer Transfergesellschaft als aktivierende arbeitsmarktpolitische Maßnahme.
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Das Transferkurzarbeitergeld ist eine beitragsfinanzierte Entgeltersatzleistung für den durch den Arbeitsausfall erlittenen Nettoentgeltverlust. Seine Funktion besteht in der Überbrückung des arbeitsausfallbedingten Nettoentgeltausfalls. Dementsprechend wird die Höhe des Transferkurzarbeitergelds durch den Leistungssatz und die Nettoentgeltdifferenz als berücksichtigungsfähiger Entgeltausfall bestimmt. Die Begründung eines Transferarbeitsverhältnisses schafft dabei die betrieblichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Transferkurzarbeitergeld (vgl. BAG 15.04.2015 - 4 AZR 796/13 - Rn. 75). Das Transferkurzarbeitergeld wurde mit dem Dritten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003 in das SGB III (§ 216b) aufgenommen. Anschließend sind u.a. mit dem Beschäftigungschancengesetz vom 24.10.2004, in Kraft ab 01.01.2011, mehrere Veränderungen vorgenommen worden: Die Beratung durch die BA (Abs. 1 Satz 1 Nr. 4) wurde zu einer Fördervoraussetzung erhoben, weshalb § 216b Abs. 5 Satz 3 SGB III (Rechtsanspruch der Betriebsparteien auf Beratung) gestrichen wurde. Zudem wurden die betrieblichen Voraussetzungen erweitert, indem Abs. 3 um die Ziffer 3 (Organisation und Mittelausstattung) und Ziffer 4 (Qualitätssicherung) erweitert wurde. Ferner erfuhr Abs. 4 eine Erweiterung. Bezieher von Transfer-Kurzarbeitergeld mussten sich fortan vor dem Übertritt in die betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit (BE) bei der BA arbeitsuchend melden. Abs. 6 (entspricht dem heutigen Abs. 7) wurde neu gefasst. Durch das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011 wurde die Systematik des SGB III mit Wirkung zum 01.04.2012 grundlegend überarbeitet und das Transfer-Kurzarbeitergeld nach § 111 SGB III verschoben. Zudem wurde Abs. 2 (bereits mit Wirkung zum 28.12.2011) um die Klarstellung ergänzt, dass auch bei einem hundertprozentigen Arbeitsausfall Transfer-Kurzarbeitergeld geleistet werden kann. Anders als beim Vorgänger des Transfer-Kurzarbeitergeldes, dem damaligen Strukturkurzarbeitergeld (§ 63 Abs. 5 AFG; § 175 SGB III a.F.) war mit Einführung des Transfer-Kurzarbeitergeldes das Vorliegen einer Strukturkrise keine Voraussetzung mehr und es enthält mehr aktivierende Elemente als das Struktur-Kurzarbeitergeld, namentlich die Pflicht des Arbeitnehmers zur Arbeitsuchendmeldung, die Teilnahme an einem Profiling (§ 111 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 SGB III) sowie die Pflicht des Arbeitgebers zu konkreten Eingliederungsbemühungen (§ 111 Abs. 7 SGB III). Das Struktur-Kurzarbeitergeld konnte auch dann gewährt werden, wenn das Arbeitsverhältnis bereits aufgelöst war. Beim Transfer-Kurzarbeitergeld ist dagegen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses eine Anspruchsvoraussetzung (§ 111 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB III). In der Gesamtschau wurde dadurch der Zugang zu der Leistung erleichtert (Jenak in Schlegel/ Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl. 2019, § 111 SGB III, Rn. 1ff mwH).
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Das bedeutet, dass es sich bei dem Transferkurzarbeitgeld gerade nicht um eine Leistung handelt, die die Möglichkeit des Bezugs von Lohnersatzleistungen verlängern soll, sondern um eine primär aktivierende Maßnahme, die auch noch während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses heraus geleistet werden kann bzw. dieses als Einstiegsvoraussetzung sogar voraussetzt. Es kann nicht mehr in Anspruch genommen werden, wenn das Arbeitsverhältnis bereits beendet ist. Damit steht auch die Tatsache, dass der Kläger bei - nach den Feststellungen des Aufhebungsvertrages - nicht mehr bestehenden Beschäftigungsmöglichkeiten nicht die Kündigung des Arbeitsverhältnisses abgewartet hat, der Anrechnung des nachfolgenden Leistungsbezugs von Arbeitslosengeld auf die Wartezeit nicht von vornherein entgegen.
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3.3. Insgesamt sprechen zur Überzeugung des Senats diese Überlegungen dafür, den vorliegenden Fall des Übergangs in eine Transfergesellschaft nicht anders zu beurteilen als den Fall, in dem ein Arbeitnehmer nach der Insolvenz seines Arbeitgebers direkt Leistungen der Arbeitsförderung in Anspruch nimmt. Die Beschäftigung in der Transfergesellschaft „verlängert“ in diesem Fall faktisch das rechtlich nicht mehr bestehende Beschäftigungsverhältnis mit der insolventen Firma. Die daran anschließende Arbeitslosigkeit bzw. der Bezug von Arbeitslosengeld ist in diesem Fall weiterhin kausal auf die Insolvenz des früheren Arbeitgebers M. zurückzuführen. Ein Abbruch der Kausalkette liegt nicht vor. Das Beschäftigungsverhältnis mit der Transfergesellschaft verzögert gerade den Eintritt der Arbeitslosigkeit, ohne dass hierin, jedenfalls im Fall der bereits eingetretenen Insolvenz, eine bewusste Verlängerung der Überbrückung des Zeitraums bis zur möglichen Inanspruchnahme einer Altersrente zu sehen ist. Der Gesetzeszweck ist dann gewahrt, wenn die „Überführung“ in die Transfergesellschaft nicht mehr durch den früheren Arbeitgeber erfolgt, sondern wie vorliegend durch den Insolvenzverwalter erfolgt. Ein Missbrauchstatbestand liegt keinesfalls vor.
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Auf die Frage, ob die Regelung in § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3 Teilsatz 3 SGB VI grundsätzlich verfassungskonform ist oder ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vorliegt, kommt es daher im vorliegenden Fall nicht an. Insoweit wird auf die Ausführungen des BSG im Urteil vom 12.03.2019 (a.a.O.) verwiesen. Auch die Frage einer Aussetzung des Verfahrens vor dem Hintergrund der dazu beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfassungsbeschwerden (Az. 1 BvR 323/18 ua) stellt sich vorliegend nicht.
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4. Der geltend gemachte Anspruch auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte ist damit ab 01.07.2015 gegeben. Die entgegenstehenden Bescheide der Beklagten vom 15.05.2015 und 24.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.06.2015 sind daher ebenso wie das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 27.06.2018 aufzuheben und die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen, anstelle der gewährten Altersrente Altersrente für besonders langjährig Versicherte ohne Abschläge zu bezahlen.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens.
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6. Die Revision wird zugelassen, weil die Frage, ob auch in den Fällen, in denen ein Versicherter nach Insolvenz seines Arbeitgebers in eine Transfergesellschaft und anschließend in den Leistungsbezug nach dem Recht der Arbeitsförderung wechselt, auf die Transfergesellschaft als letzten Arbeitgeber abzustellen ist, höchstrichterlich noch nicht geklärt ist und vom BSG im Urteil vom 13.03.2019 (Az. B 13 R 19/17) ausdrücklich offengelassen wurde (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).