Inhalt

VGH München, Beschluss v. 14.06.2020 – 20 NE 20.1183
Titel:

Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung

Normenketten:
GG Art. 19 Abs. 1 S. 2
IfSG § 28 Abs. 1, § 32
VwGO § 47 Abs. 6
BayLStVG Art. 51 Abs. 2
BayIfSMV § 12 Abs. 3 S. 1
Leitsätze:
1. Die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung als Bestandteil des der 5. BayIfSMV wohl zugrunde liegenden Gesamtkonzepts zum Schutz vor einer ungehinderten Ausbreitung des Infektionsgeschehens mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 ist voraussichtlich von der Ermächtigungsgrundlage in § 28 Abs. 1 IfSG gedeckt. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ob in einem Fall, in dem das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung durch den Behandelnden und/oder den Patienten in einem konkreten Einzelfall zu einem Gesundheitsrisiko für den Patienten führen oder den Verlauf der vereinbarten und geschuldeten Behandlung beeinträchtigen sollte, im Hinblick auf die jeweiligen Gesamtumstände die ärztliche oder therapeutische Behandlung auch ohne das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung notwendig und vertretbar ist, muss als medizinische oder therapeutische Abwägungsentscheidung letztlich dem Behandelnden vorbehalten bleiben. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Corona-Pandemie, Mund-Nase-Bedeckung (psychotherapeutische Praxis), notwendige Schutzmaßnahme, Verhältnismäßigkeit einer Norm, Folgenabwägung, Anordnung, Befreiung, Eignung, Eilantrag, Erkrankung, Normenkontrollantrag, Psychotherapeut, Verbreitung, Schutzmaßnahme, Infektionsschutz, Maskenpflicht, psychotherapeutische Praxis
Fundstelle:
BeckRS 2020, 14608

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Wert des Verfahrensgegenstands wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit seinem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO verfolgt der Antragsteller das Ziel, den Vollzug des § 12 Abs. 3 Satz 1 der Fünften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (5. BayIfSMV) vom 29. Mai 2020 (2126-1-9-G, BayMBl. 2020 Nr. 304) einstweilen auszusetzen.
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1. Der Antragsgegner hat am 29. Mai 2020 durch das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege die in der Hauptsache streitgegenständliche Verordnung erlassen, die am 30. Mai 2020 in Kraft getreten ist (§ 23 Satz 1 5. BayIfSMV).
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Die angegriffene Bestimmung des § 12 Abs. 3 Satz 1 5. BayIfSMV erklärt die für das Personal und die Kunden der Betriebe des Groß- und Einzelhandels geltende Maskenpflicht i.S.v. § 1 Abs. 2 5. BayIfSMV in Arzt- und Zahnarztpraxen und in allen sonstigen Praxen, in denen medizinische, therapeutische und pflegerische Leistungen erbracht werden, für entsprechend anwendbar, mit der Maßgabe, „dass die Maskenpflicht entfällt, soweit die Art der Leistung sie nicht zulässt“.
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2. Der Antragsteller ist Diplom-Psychologe und als psychologischer Psychotherapeut in Bayern niedergelassen. Er trägt zur Begründung seines zunächst gegen die Vorgängerregelung des § 12 Abs. 3 Satz 1 5. BayIfSMV gerichteten und mit Schriftsatz vom 2. Juni 2020 auf die aktuelle Bestimmung umgestellten Eilantrags mit Schriftsatz vom 14. Mai 2020 im Wesentlichen vor, es fehle bereits an einer hinreichenden parlamentarischen Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung einer Maskenpflicht im psychotherapeutischen Bereich; jedenfalls aber seien die Eingriffe in die Grundrechte des Antragstellers aus Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 GG angesichts des Infektionsgeschehens nicht mehr verhältnismäßig. Schon die generelle Eignung einer Maskenpflicht sei wissenschaftlich umstritten, ihre Eignung zur Verhinderung der Verbreitung ansteckender Krankheiten zweifelhaft. Zudem behindere das Tragen einer Maske in vielfältiger Weise den psychotherapeutischen Prozess. Insbesondere bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen sei zwar einerseits das gegenseitige Sehen des Gesichts in der Regel unabdingbar für die therapeutische Behandlung, andererseits bestehe gerade bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen häufig ein hoher Anpassungsdruck an Regeln und öffentliche Meinungen. Ein - therapeutisch gebotener - Verzicht auf das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (MNB) könne daher sogar dazu führen, dass die jeweiligen Patienten ihren Therapeuten genau deswegen anzeigten oder in der Öffentlichkeit bzw. in sozialen Netzwerken schlecht machten.
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Weiter könne das Tragen einer MNB für den Antragsteller, der nicht selten für die Dauer von sieben Stunden am Tag Sitzungen durchführe, zu gesundheitlichen Schäden aufgrund einer verringerten Sauerstoffkonzentration führen. Die speziell durch die Maskenpflicht ausgelöste bzw. verstärkte Angst führe zu einer dauerhaften Anspannung beim Patienten und belaste dadurch die therapeutische Beziehung. Nach dem Strategiepapier des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat „Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen“ sei die Angst, jemand anderen anzustecken, auch staatlicherseits gezielt aktiviert worden. Ein individuelles Absehen vom Tragen einer MNB suggeriere dem Patienten, aber auch dem Therapeuten, dass er eine Gefährdung für den jeweils anderen darstelle. Außerdem bestehe die Gefahr, dass Patienten, denen das Tragen einer MNB aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich sei, aus Angst vor einer Schädigung Dritter auf eine Psychotherapie verzichten könnten.
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Schließlich stehe der Antragsteller als Psychotherapeut in einem ständigen Konflikt, einerseits die Maskentragungspflicht in seiner Praxis durchzusetzen, aber andererseits die Patienten und Mitarbeiter vor (ggf. nicht einmal bekannten) Gesundheitsschäden schützen zu müssen. Ob einer Person das Tragen einer Maske aus gesundheitlichen oder sonstigen Gründen nicht zumutbar sei, entscheide nicht die Person selbst, sondern die Inhaber des Hausrechts in einer Einrichtung. Der Antragsteller befinde sich in dem Dilemma, den Patienten vor potentiellen Schädigungen zu schützen, andererseits sich der Gefahr der Sanktionierung durch den Staat auszusetzen. Der Verordnungsgeber habe dem Antragsteller mit der angegriffenen Regelung eine Entscheidungsverantwortung auferlegt, die er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren könne. Mit Schriftsatz vom 22. Mai 2020 hat der Antragsteller sein Vorbringen weiter vertieft: Insbesondere gehe der Antragsgegner ohne jeglichen wissenschaftlichen Beleg von einer großen Infektionsgefahr bei psychotherapeutischen Behandlungen aus, trotz Einhaltung eines Abstandes von 1,5 m und regelmäßigem Lüften des Raumes. Gerade bei psychisch vorbelasteten Personen löse eine solche Aussage eine irrationale Angst aus. Vielfach werde es der Antragsteller dem Patienten nicht vermitteln können, dass er es - trotz der vermeintlich großen Gefährdungslage - für fachlich geboten halte, die Therapiesitzung ohne eine MNB durchzuführen.
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3. Der Antragsgegner tritt dem Eilantrag entgegen und verweist zur Begründung insbesondere darauf, dass ein behandelnder Psychotherapeut in Situationen, in denen das Tragen einer MNB aus diagnostischen oder therapeutischen Gründen nicht sinnvoll sei, entscheiden könne, dass die Art der therapeutischen oder diagnostischen Leistung das Tragen einer Maske nicht zulasse. Das vom Antragsteller beschriebene Problem, dass ein Patient seinen Therapeuten anzeigen oder dessen angeblichen Verstoß gegen eine Verpflichtung in öffentlichen Netzwerken verbreiten könnte, sei Berufsrisiko eines Psychotherapeuten und unabhängig von der Maskenpflicht. Die Berechtigung einer grundsätzlichen Maskenpflicht auch im Rahmen psychotherapeutischer Behandlungen ergebe sich insbesondere aus der Dauer einer psychotherapeutischen Sitzung und dem regelmäßig intensiven Gespräch beider Beteiligter. Schließlich müsse die geforderte MNB nicht zwingend aus einer dicht gewebten Maske bestehen, die die Mimik verdecke. Zulässig wäre z.B. auch, eine Maske zu tragen die im Bereich der Mundpartie aus transparentem Kunststoff bestehe, da in Bayern eine Maske nicht unbedingt aus einer „textilen Barriere“ bestehen müsse.
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Mit Schreiben vom 29. Mai 2020 hat der Senat den Antragsteller auf die Entscheidung vom 28. Mai 2020 (20 NE 20.1017) hingewiesen; der Antragsteller hat jedoch mit Schriftsatz vom 29. Mai 2020 erklärt, an seinem Eilantrag festzuhalten.
II.
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Der zulässige Eilantrag hat in der Sache keinen Erfolg.
10
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen nach Auffassung des Senats im Ergebnis nicht vor.
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1. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 ‒ juris Rn. 12; zustimmend OVG NW, B.v. 25.4.2019 - 4 B 480/19.NE - juris Rn. 9).
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Ergibt demnach die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens im Zeitpunkt der Entscheidung über den Eilantrag nicht (hinreichend) abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, das Hauptsacheverfahren aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, das Normenkontrollverfahren aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung ‒ trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache ‒ dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 ‒ juris Rn. 12).
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2. Nach diesen Maßstäben geht der Senat im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens davon aus, dass der Normenkontrollantrag in der Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg haben wird (a). Bei einer Folgenabwägung erscheint eine Außervollzugsetzung der angegriffenen Norm jedenfalls nicht dringend geboten (b).
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a) Die Anordnung zum Tragen einer MNB in Praxen, in denen medizinische, therapeutische und pflegerische Leistungen erbracht werden, ist voraussichtlich formell wirksam (1). Die angegriffene Verpflichtung dürfte von der Ermächtigungsgrundlage der § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gedeckt sein (2).
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(1) Der Senat geht davon aus, dass die angegriffenen Bestimmungen der Verordnung formell wirksam, insbesondere ordnungsgemäß bekanntgemacht worden sind. Auch wenn die Verordnung im Hinblick auf die in § 21 5. BayIfSMV normierten Ordnungswidrigkeiten als bewehrte Verordnung anzusehen ist, dürfte nach der zum 1. Mai 2020 erfolgten Aufhebung der bisherigen Veröffentlichungspflicht im Gesetz- und Verordnungsblatt nach Art. 51 Abs. 2 LStVG a.F. durch § 2 Nr. 2 Buchst. a) des Gesetzes zur Änderung des Bayerischen Land- und Amtsarztgesetzes und weiterer Rechtsvorschriften vom 27. April 2020 (GVBl. 2020 S. 236, vgl. auch LT-Drs. 18/7347) die hier erfolgte Bekanntmachung durch Veröffentlichung im Bayerischen Ministerialblatt ausreichend sein.
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(2) Im Hinblick auf die gesetzliche Grundlage der angegriffenen Bestimmungen hat sich der Senat bereits in mehreren Eilentscheidungen (BayVGH, B.v. 30.3.2020 - 20 NE 20.632 - juris; B.v. 9.4.2020 - 20 NE 20.663 - BeckRS 2020, 5446; 20 NE 20.688 - BeckRS 2020, 5449; 20 NE 20.704 - BeckRS 2020, 5450; B.v. 28.4.2020 - 20 NE 20.849 - juris) mit der Außervollzugsetzung von Teilregelungen der 1. und 2. BayIfSMV auseinandergesetzt. Dabei ist der Senat im Rahmen der Eilverfahren davon ausgegangen, dass die Bestimmungen in § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG grundsätzlich eine ausreichende Rechtsgrundlage finden dürften (vgl. zum Begriff der Schutzmaßnahme auch BayVGH, B.v. 30.3.2020 - 20 CS 20.611 - juris Rn. 9 ff.).
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Nach den in den genannten Entscheidungen dargestellten Maßstäben ist die vom Antragsteller angegriffene Verpflichtung zum Tragen einer MNB als Bestandteil des der 5. BayIfSMV wohl zugrunde liegenden Gesamtkonzepts zum Schutz vor einer ungehinderten Ausbreitung des Infektionsgeschehens mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 voraussichtlich von der Ermächtigungsgrundlage in § 28 Abs. 1 IfSG gedeckt. Nach § 28 Abs. 1 IfSG trifft die Behörde bei Vorliegen der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen die notwendigen Schutzmaßnahmen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist, worunter eine Anordnung zum Tragen von Schutzmasken grundsätzlich fallen dürfte (vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 28.5.2020 - 20 NE 20.1017 - BeckRS 2020, 10397; B.v. 30.3.2020 - 20 CS 20.611 - a.a.O. Rn. 11; und BVerwG, U.v. 22.3.2012 - BVerwGE 142, 205 = NJW 2012, 2823 Rn. 24).
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Nach dem aktuellen Situationsbericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom 9. Juni 2020 handelt es sich weltweit und in Deutschland weiterhin um eine „sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation“, auch wenn die Anzahl der neu übermittelten Fälle derzeit rückläufig ist (https://www.r...de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_ Coronavirus/Situationsberichte/22020-06-09-de.pdf?_blob=publicationFile). In einer solchen Situation obliegt es dem Verordnungsgeber im Rahmen des § 28 Abs. 1 IfSG, der die Behörden zu einem infektionsschutzrechtlichen Tätigwerden verpflichtet und ihnen dabei ein weites Handlungsermessen einräumt (vgl. BT-Drs. 14/2530 S. 74; BVerwG, U.v. 22.3.2012 - 3 C 16/11 - NJW 2012, 2823), alle Maßnahmen zu ergreifen, solange und soweit diese die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass der angestrebte Erfolg zumindest teilweise eintritt (Grzeszick in Maunz-Dürig, GG, Stand 10/2019, Art. 20 Rn. 112). So liegt es hier. Die Anordnung zum Tragen einer MNB dürfte in der derzeitigen Situation zumindest in Kombination mit physischen Kontaktreduzierungen bzw. der Einhaltung eines möglichst weiten Abstands zu anderen Personen (vgl. §§ 1 und 2 5. BayIfSMV) und der Befolgung allgemeiner Hygieneregeln eine grundsätzlich geeignete Maßnahme sein, die Infektionszahlen zu reduzieren (vgl. z.B. auch Mitze et al. „Face Masks Considerably Reduce COVID-19 Cases in Germany: A Synthetic Control Method Approach“, http://f...org/dp13319. pdf). Diese Eignung ergibt sich auch vor dem Hintergrund der Rückkehr zu einem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben, indem das Gebot zum Tragen einer MNB, zusätzlich zur Beachtung der allgemeinen Hygieneregeln und Abstandsgebote, ermöglichen kann, andere Beschränkungen und Verbote zu lockern bzw. aufzuheben (vgl. im Einzelnen dazu bereits BayVGH, B.v. 15.5.2020 - 20 NE 20.1102 - juris Rn. 16 ff.; B.v. 12.5.2020 - 20 NE 20.1080 - juris Rn. 17 ff.; B.v. 11.5.2020 - 20 NE 20.843 - juris Rn. 17 ff.).
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Soweit sich der Antragsteller speziell gegen die in psychotherapeutischen Praxen geltende Maskenpflicht nach § 12 Abs. 3 Satz 1 5. BayIfSMV wendet, bestehen hiergegen jedenfalls bei summarischer Prüfung keine durchgreifenden Bedenken (vgl. zur Maskenpflicht in psychiatrischen Arztpraxen bereits BayVGH, B.v. 28.5.2020 - 20 NE 20.1017 - BeckRS 2020, 10397).
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Der Antragsteller rügt zur Begründung seines Eilantrags im Wesentlichen, dass die angegriffene Bestimmung ihn bzw. allgemein den jeweiligen Therapeuten unzulässigerweise damit belaste, die Entscheidung über die Befreiung von der Maskenpflicht nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 5. BayIfSMV in Unkenntnis der damit möglicherweise einhergehenden gesundheitlichen Konsequenzen für sich und den Patienten zu treffen. Mit dieser Argumentation stellt er jedoch die Rechtmäßigkeit der grundsätzlich bestehenden Maskenpflicht in medizinischen und therapeutischen Praxen nicht in Frage.
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Wegen des weiterbestehenden pandemischen Geschehens ist zunächst nicht erkennbar, dass ein generelles Absehen von der Verpflichtung zum Tragen einer MNB in Situationen von erhöhter Infektionsgefahr, d.h. insbesondere solchen, in denen mehrere Personen in beschränkten räumlichen Verhältnissen zusammentreffen, geboten wäre.
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Die Einschätzung des Antragsgegners, dass in psychotherapeutischen Praxen aufgrund einer Vielzahl von nicht nur kurzzeitigen Begegnungen in geschlossenen Räumen - der Antragsteller selbst spricht von bis zu acht Patienten am Tag bei jeweils 50-minütigen Sitzungen - eine grundsätzlich erhöhte Infektionsgefahr auch dann besteht, wenn ein hinreichender Abstand zwischen Behandelndem und Patient eingehalten werden kann und Lüftungsmöglichkeiten bestehen, erscheint plausibel und wird vom Antragsteller nicht mit konkreten Argumenten in Zweifel gezogen. Da jedoch - wie der Antragsteller auch selbst vorträgt - das therapeutische Behandlungsziel nicht nur von ärztlichen, sondern auch von psychotherapeutischen Behandlungen durch das Tragen einer MNB auf Seiten des Therapeuten und/oder des Patienten gefährdet sein kann, bedarf es zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Maskenpflicht eines Ausnahmetatbestands, der über die allgemeine Ausnahmeregelung nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 5. BayIfSMV (Befreiung von der Maskenpflicht aus gesundheitlichen Gründen) hinausgeht. Diesen Ausnahmetatbestand definiert § 12 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 5. BayIfSMV so, dass die Maskenpflicht in Praxen entfällt, „soweit die Art der Leistung sie nicht zulässt“. Damit wird den schutzwürdigen Belangen von Behandelnden und Patienten voraussichtlich hinreichend Rechnung getragen.
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Wie der Senat bereits mit Beschluss vom 28. Mai 2020 (20 NE 20.1017 - BeckRS 2020, 10397 Rn. 17) ausgeführt hat, werden die in Praxen i.S.v. § 12 Abs. 3 Satz 1 5. BayIfSMV erbrachten Leistungen - zu denen auch die Tätigkeit psychologischer Psychotherapeuten gehört - fast durchweg im Rahmen eines Behandlungsvertrags i.S.v. § 630a Abs. 1 BGB erbracht (vgl. dazu nur Wagner in MünchKomm BGB, 8. Aufl. 2020, § 630a Rn. 8 ff.), der den Behandelnden zu einer Behandlung „nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards“ verpflichtet (§ 630a Abs. 2 BGB, ggf. i.V.m. § 276 Abs. 2 BGB). Eine medizinische und therapeutische Behandlung hat daher, unbeschadet fachlicher Besonderheiten im Einzelfall (vgl. Wagner in MünchKomm BGB, 8. Aufl. 2020, § 630a Rn. 119 ff.), jedenfalls so zu erfolgen, dass der Patient keine vermeidbaren Schäden erleidet. Wenn das Tragen einer MNB durch den Behandelnden und/oder den Patienten in einem konkreten Einzelfall zu einem Gesundheitsrisiko für den Patienten führen oder den Verlauf der vereinbarten und geschuldeten Behandlung beeinträchtigen sollte, läge damit eine Situation vor, in der die Art der geschuldeten Leistung das Tragen einer MNB nicht zulässt. Der Behandelnde könnte anderenfalls die Behandlungsleistung nicht mit der von ihm vertraglich geschuldeten Sorgfalt erbringen.
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Ob in einem solchen Fall im Hinblick auf die jeweiligen Gesamtumstände - etwa das im Einzelfall bestehende Infektionsrisiko, die individuelle Schutzbedürftigkeit von Patient und Behandelndem oder die Möglichkeit, das Infektionsrisiko durch anderweitige geeignete Schutzmaßnahmen zu verringern - die ärztliche oder therapeutische Behandlung auch ohne das Tragen einer MNB notwendig und vertretbar ist, mithin die Vorteile einer Behandlung die (immer vorhandenen) Infektionsrisiken überwiegen, muss als medizinische oder therapeutische Abwägungsentscheidung letztlich dem Behandelnden vorbehalten bleiben. Denn dieser ist als Einziger in der Lage, die konkret-individuellen Umstände zu ermitteln und in Relation zu setzen. Wenn die Ermittlung oder Abwägung dieser Umstände dem Behandelnden - worauf sich der Antragsteller beruft - nicht oder nicht im erforderlichen Umfang möglich sein sollte, bedürfte es vor einer Entscheidung darüber, ob die Art der Leistung im Einzelfall das Tragen einer MNB zulässt, ggf. der Einholung einer anderweitigen fachkundigen (z.B. ärztlichen) Beratung. Falls ein Patient nach der Art seiner Erkrankung oder anderweitigen Beeinträchtigung nicht in der Lage sein sollte, das Ergebnis einer solchen Abwägungsentscheidung rational nachzuvollziehen und mitzutragen, ist das Risiko einer fehlenden Einsichtsfähigkeit des Patienten vom behandelnden Arzt oder Therapeuten zu tragen und entsprechend zu berücksichtigen.
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b) Selbst wenn man schließlich die Erfolgsaussichten eines Normenkontrollverfahrens als offen betrachten würde, führte eine Folgenabwägung dazu, dass die vom Antragsteller geltend gemachten Gründe für die einstweilige Außervollzugsetzung die für den weiteren Vollzug der angegriffenen Vorschrift sprechenden Gründe nicht überwiegen. Durch den Vollzug des § 12 Abs. 3 Satz 1 5. BayIfSMV kommt es - wie oben dargelegt - bei sachgerechter Auslegung nicht zu schwerwiegenden Eingriffen in die Grundrechte der betroffenen Personen. Die Pflicht zum Tragen einer MNB in Praxen, in denen medizinische, therapeutische oder pflegerische Leistungen erbracht werden, ist zum einen - jedenfalls auf Patientenseite - regelmäßig auf verhältnismäßig kurzfristige Situationen beschränkt. Zum anderen sind die Normadressaten in allen Fällen, in denen die vertragsgemäße Erbringung der Behandlungsleistungen oder gesundheitliche Gründe ein Tragen der MNB nicht erlauben, von der Tragepflicht befreit. Demgegenüber wäre das Gewicht eines rechtswidrigen Eingriffs weniger hoch einzuschätzen als die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der Normen. Würde der Vollzug der angegriffenen Bestimmungen ausgesetzt, wäre - in welchem Umfang auch immer - mit vermehrten Infektionsfällen zu rechnen. Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland wird derzeit immer noch insgesamt als hoch eingeschätzt, für Risikogruppen sogar als sehr hoch (vgl. Risikobewertung des Robert-Koch-Instituts vom 26.5.2020, https://www.r...de/ DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html; Situationsbericht v. 9.6.2020 S. 12, https://www.r...de/DE/Content/ InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/ Situationsberichte/2020-06-09-de.pdf? blob= publicationFile).
26
Bei einer Abwägung zeitlich befristeter (vom Verordnungsgeber fortlaufend auf ihre Verhältnismäßigkeit zu evaluierender, vgl. BVerfG, B.v. 10.4.2020 - 1 BvQ 31/20 - juris Rn. 16) Eingriffe in das Grundrecht der Normadressaten auf persönliche Freiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) mit dem Grundrecht behandlungsbedürftiger, teilweise lebensbedrohlich erkrankender Personen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG setzt sich der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit durch (so im Ergebnis auch BVerfG, B.v. 29.4.2020 - 1 BvQ 47/20 -, 10.4.2020 - 1 BvQ 28/20 -, 9.4.2020 - 1 BvQ 29/20 -, 7.4.2020 - 1 BvR 755/20 - alle juris; BayVerfGH, E.v. 26.3.2020 - Vf. 6-VII-20 - juris Rn. 13 ff.).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da die vom Antragsteller teilweise angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 14. Juni 2020 außer Kraft tritt (§ 23 Satz 1 5. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit hier nicht angebracht erscheint.
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Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).