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OLG München, Hinweisbeschluss v. 09.06.2020 – 3 U 2049/20
Titel:

Verjährungsbeginn für deliktische Schadensersatzansprüche wegen unzulässiger Abschalteinrichtung beim Motor EA189

Normenkette:
BGB § 195, § 199, § 214, § 826
Leitsatz:
Die für den Beginn der Verjährungs erforderliche Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners liegt im Allgemeinen vor, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, erfolgversprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist. Die Klage muss bei verständiger Würdigung in einem Maße Erfolgsaussicht haben, dass sie zumutbar ist (hier bejaht für Klage wegen Abschalteinrichtung des Motors EA189 ab dem Jahr 2015). (Rn. 6 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, Sittenwidrige Schädigung, Abgasskandal, unzuässige Abschalteinrichtung, Motor EA189, Verjährung, Verjährungsbeginn, Kenntnis
Vorinstanz:
LG Deggendorf, Endurteil vom 26.03.2020 – 33 O 559/19
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 07.09.2020 – 3 U 2049/20
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 25.02.2021 – III ZR 215/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 13124

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 26.03.2020, Az. 33 O 559/19, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Entscheidungsgründe

1
Das Landgericht Deggendorf hat am 05.03.2020 mündlich verhandelt und sodann die auf Zahlung von 34.500,00 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des verkauften Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs und Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten gerichtete Klage durch Endurteil vom 26.03.2020 abgewiesen. Auf die vom Erstgericht im Ersturteil (Blatt 115/131 d. A.) getroffenen tatsächlichen Feststellungen wird verwiesen.
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Die hiergegen mit der Berufungsbegründung vom 26.05.2020 (Blatt 139/146 d. A.) vorgebrachten Erwägungen sind nicht geeignet, eine anderweitige Entscheidung herbeizuführen. Einer Entscheidung, ob die Verneinung der in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen durch das Erstgericht zutrifft, bedurfte es vorliegend nicht, da der Klageanspruch nach der Rechtsauffassung des Senats verjährt ist.
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1. Aufgrund der gemäß § 214 BGB von der Beklagten erhobenen Einrede der Verjährung ist diese berechtigt, die Leistung von Schadensersatz zu verweigern.
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Die Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB richtet sich ebenso wie die eines Anspruchs aus § 823 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB nach §§ 195, 199 BGB. Die Verjährungsfrist beträgt 3 Jahre und beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den dem Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
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a) Der - unterstellte - Schadensersatzanspruch des Klägers wäre bereits mit Erwerb des Fahrzeugs im März 2012 entstanden. Vom Bestehen des Anspruchs und der Person des Schuldners hatte er zu diesem Zeitpunkt noch keine Kenntnis.
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b) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die auf der Rechtsprechung zu § 852 BGB a. F. aufbaut, liegt die erforderliche Kenntnis im Allgemeinen vor, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, erfolgversprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist. Es ist weder notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können (vgl. nur BGH, Urteil vom 03.06.2008 - XI ZR 319/06, Rn. 27, Urteil vom 12.05.2009 - VI ZR 294/08, Rn. 19, Urteil vom 08.05.2014 - I ZR 217/12, BGHZ 201, 129, juris Rn. 38). Anstelle positiver Kenntnis genügt auch grob fahrlässige Unkenntnis der gesamten Umstände.
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Die Erhebung einer Klage muss bei verständiger Würdigung in einem Maße Erfolgsaussicht haben, dass sie zumutbar ist (BGH, Urteil vom 11.09.2014 - III ZR 217/13, Rn. 15, Urteil vom 08.11.2016 - VI ZR 594/15, Rn. 11). Nicht ausreichend ist die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von Anknüpfungstatsachen. Hinzu kommen muss vielmehr, dass der Geschädigte aus den Anknüpfungstatsachen den Schluss auf eine Pflichtverletzung durch eine bestimmte Person zieht oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gezogen hat.
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Es ist keine grundsätzliche Voraussetzung des Verjährungsbeginns, dass der Gläubiger aus den ihm bekannten Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht (BGH, Urteil vom 08.05.2014 - I ZR 217/12, BGHZ 201, 129, juris Rn. 38, Urteil vom 04.07.2017 - XI ZR 562/15, BGHZ 215, 172, juris Rn. 86). Der Gläubiger muss zumindest aufgrund der Tatsachengrundlage beurteilen können, ob eine rechtserhebliche Handlung von dem üblichen Vorgehen abweicht (Spindler, BeckOK BGB, Stand 01.02.2020, § 199, Rn. 26). Ausnahmsweise kann die Rechtsunkenntnis des Gläubigers den Verjährungsbeginn aber hinausschieben, wenn eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage vorliegt, die selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag. In diesen Fällen fehlt es an der Zumutbarkeit der Klageerhebung als übergreifende Voraussetzung für den Verjährungsbeginn. Das gilt erst recht, wenn der Durchsetzung des Anspruchs eine gegenteilige höchstrichterliche Rechtsprechung entgegensteht (BGH, Urteil vom 28.10.2014 - XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115, juris Rn. 35; Urteil vom 04.07.2017 - XI ZR 562/15, BGHZ 215, 172, juris Rn. 86).
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c) Ausgehend von diesen Grundsätzen lagen die Voraussetzungen für eine Klageerhebung bereits im Jahre 2015 vor. Die breite Öffentlichkeit war in Form von Pressemitteilungen ab Ende September 2015 bis Mitte Oktober 2015 darüber informiert, dass der Motor EA189 mit einer Abschalteinrichtung versehen war, die vom Kraftfahrtbundesamt als nicht ordnungsgemäß angesehen wurde und daher zu entfernen war. Zeitgleich war der sogenannte Diesel- und Abgasskandal Gegenstand einer sehr umfassenden Presseberichterstattung, des Weiteren wurde die Öffentlichkeit über das Kraftfahrtbundesamt über das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei Fahrzeugen mit dem Dieselmotor EA189 informiert. Zudem schaltete die Beklagte Anfang Oktober 2015 eine Website frei, auf der durch Eingabe der Fahrzeugidentifizierungsnummer (FIN) überprüft werden konnte, ob ein konkretes Fahrzeug mit der Abschalteinrichtung versehen, also von dem sogenannten Dieselskandal betroffen war. Im Jahr 2015 stand der klageweisen Geltendmachung eines deliktischen Anspruchs von Erwerbern solcher Kraftfahrzeuge keine obergerichtliche oder höchstrichterliche Entscheidung entgegen. Es gab 2015 auch keinen „ernsthaften“ Meinungsstreit in Rechtsprechung und Schrifttum bezüglich der Frage einer Haftung der Beklagten wegen des Motors EA189. Von daher war dem Kläger bereits im Jahre 2015 die Erhebung einer Klage zumutbar.
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d) Zur Überzeugung des Senats hatte der Kläger bereits im Jahr 2015 mindestens grob fahrlässige Unkenntnis von den gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB für den Beginn der Verjährung erforderlichen Tatsachen, so dass die Verjährungsfrist mit Ende des Jahres 2015 begann.
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Grob fahrlässige Unkenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen liegt vor, wenn sich dem Gläubiger die Kenntnis der relevanten Tatsachen förmlich aufdrängen musste, er jedoch davor die Augen verschloss (BGH NJW 2010, 3292; BGH NJW 2015, 1413).
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Hierzu ist anzumerken, dass der Sachverhalt des sogenannten „Dieselskandals“ bereits ab September 2015 in der Medienberichterstattung ohnehin präsent war. Es spricht nichts dagegen, dass diese Berichterstattung auch den Kläger erreicht hat. Nicht entscheidend ist, dass der allgemeinen Berichterstattung nicht ohne Weiteres die Betroffenheit des eigenen Pkws zu entnehmen war. Diese erschloss sich bei den dem Kläger bekannten Fahrzeugdaten ohne Weiteres. Nach Lage des Falles erscheint es geradezu unverständlich, warum der Kläger im vorliegenden Fall den Weg zur Ermittlung der eigenen Schadensbetroffenheit nicht beschritt und die Internetabfrage nicht in Anspruch nahm. So erscheint es - auch ohne von den Behörden oder der Herstellerin des Motors individuell und unmittelbar durch direktes Anschreiben darauf aufmerksam gemacht worden zu sein - grob fahrlässig, sich die Information der eigenen Schadensbetroffenheit über die allgemein zugänglichen und bekanntgemachten Quellen nicht schon Ende 2015 beschafft zu haben.
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Einer Klage stand auch die fehlende Detailkenntnis der Klägerseite vom Wissen der Repräsentanten der Beklagten um die Abschalteinrichtung nicht entgegen.
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Soweit die Klagepartei der Auffassung ist, aus dem Urteil des OLG Hamm vom 10.09.2019, Az.: 13 U 149/18, ließe sich die für den Beginn der Verjährung fehlende Kenntnis eines Käufers entsprechend entnehmen (Schriftsatz vom 12.02.2020, Seite 37 f.), ist darauf hinzuweisen, dass sich das OLG Hamm hier nur mit der Ad-hoc-Mitteilung der Beklagten vom 22.09.2015, nicht aber mit anschließenden detaillierteren Presseinformationen befasst hat. Von daher steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Verjährung hier - wegen grob fahrlässiger Unkenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen - erst Ende des Jahres 2015 begann.
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2. Die Verjährung war nicht durch zwischenzeitliche Anmeldung des Klägers zum Klageregister des Musterfeststellungsverfahrens vor dem OLG Braunschweig gehemmt gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 a BGB.
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a) Die Klagepartei hat vorgetragen, dass sie 2019 mit dem Aktenzeichen 3700/E2-KlagRE-2/2018-527807 den hier streitgegenständlichen Anspruch zum Musterfeststellungsverfahren vor dem OLG Braunschweig (Az: 4 Mk 1/18) angemeldet und die Anmeldung noch vor der hier erfolgten Klageerhebung (17.10.2019), nämlich am 19.09.2019, wieder zurückgenommen habe.
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b) Diese Anmeldung erfolgte rechtsmissbräuchlich und entfaltet daher keine Wirkung. Nach derzeit herrschendem Verständnis ermöglicht § 204 Abs. 1 Nr. 1 a BGB zwar dem Verbraucher, durch eine fristgerechte Anmeldung rückwirkend eine Verjährungshemmung für verjährte Ansprüche herbeizuführen. Einzige Voraussetzung ist, dass die Musterfeststellungsklage in unverjährter Zeit erhoben wurde. Dabei muss sich der Gläubiger nach dem Gesetzeswortlaut noch nicht einmal zwingend dem Ausgang der Musterfeststellungsklage unterwerfen: Er kann sich - zumindest theoretisch - zunutze machen, dass die durch die Musterfeststellungsklage erlangte Hemmung der Verjährung nach § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB erst 6 Monate nach Rücknahme der Anmeldung oder der Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens endet. Demnach kann sich ein Verbraucher, dessen Anspruch eigentlich bereits verjährt ist, theoretisch verjährungshemmend zum Klageregister anmelden, nur um die Anmeldung sofort wieder zurückzunehmen. Unter Nutzung einer zusätzlichen Verjährungshemmung von 6 Monaten nach § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB könnte der Verbraucher seine Ansprüche dann unverjährt individuell verfolgen.
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Mekat/Nordholtz (Die Flucht in die Musterfeststellungsklage, NJW 2019, 411 f.) haben hierzu u. a. ausgeführt: „Der Gesetzgeber wollte ausweislich der parlamentarischen Materialien (BT-Drs. 19/2701, 9 f.) die gesetzliche Verjährungsfrist zur Teilnahme an einer kollektiven Rechtsverfolgung regeln. Eine Absicht zur Wiedereröffnung einer schon abgelaufenen Verjährungsfrist im Rahmen der individuellen Rechtsverfolgung ist aus den Materialien nicht erkennbar. Der Verbraucher sollte in dieser Situation vorsichtig sein, um sich keinen Einwänden des Musterbeklagten auszusetzen.“ Im Gesetzgebungsverfahren hat der Bundesrat auf die Gefahr einer quasi rückwirkenden Hemmung der Verjährung des individuellen Anspruchs und die Notwendigkeit einer vertieften Prüfung, wie „ausufernde“ Verjährungsläufe und die damit verbundene Rechtsunsicherheit vermieden werden könnten, hingewiesen. Die Stellungnahme der Bundesregierung, der Beklagte könne sich bei Erhebung der Musterfeststellungsklage darauf einstellen, dass bei Ansprüchen mit demselben Lebenssachverhalt zunächst Verjährungshemmung eintrete (BT-Drs 19/2701 Seite 9/10 zu Nr. 13) belegt, dass man sich der Missbrauchsproblematik nicht bewusst war. Tatsächlich kann, so Mekat/Nordholtz a.a.O., „der Zweck der Verjährungshemmung durch eine Musterfeststellungsklage nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 a BGB“ nicht darin gesehen werden, „eine Möglichkeit zu schaffen, das auf Erwägung einer Rechtssicherheit gründende deutsche Verjährungsrecht in Individualsachverhalten auszuhebeln. Um sich vor einem etwaigen Vorwurf des Rechtsmissbrauchs zu schützen, sollte der Verbraucher ein nachvollziehbares Interesse an der Teilnahme am Musterfeststellungsprozess darstellen können. Denn eine Anmeldung eines womöglich schon verjährten Anspruchs zum Register zum alleinigen Zweck der Verjährungshemmung mit alsbaldiger Abmeldung und Durchführung eines Individualverfahrens dürfte als Zweckentfremdung der Hemmungsvorschriften und mithin als Rechtsmissbrauch auszulegen sein (vgl. zum Rechtsmissbrauch im Rahmen eines Gütestellenantrags BGH, NJW 2016, 233 f.)“.
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Die Konstellation eines Rechtsmissbrauchs liegt hier vor.
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Dass mit der im Lauf des Jahres 2019 geschehenen Anmeldung nicht die weitere Beteiligung am Musterfeststellungsverfahren intendiert war, ergibt sich aus folgenden Gesichtspunkten: Einerseits wäre, nachdem der Kläger die Auffassung vertritt, dass mangels Information durch die Beklagte in 2015 eine Verjährung mit Ablauf des Jahres 2018 nicht eintreten würde, die Anmeldung schlicht unnötig gewesen. Andererseits enthält (Stand 25.05.2020) - gerichtsbekannt - die um „...-Kläger“ werbende Homepage (www....-bayern.de/) des Klägervertreters folgende Aussagen (nachstehend auszugsweise zitiert): „Achtung: Verjährung endet 2019?. Im Zuge der Einführung der Musterfeststellungsklage zum 01.11.2018 ging der Gesetzgeber davon aus, dass die Ansprüche der Käufer gegen ... bereits zum Ende des Jahres 2018 verjähren würden“. Aufschlussreich ist auch folgender Eintrag auf dieser Homepage: „Einzelklage/Sammelklage - Was ist besser? Was sagen die Experten dazu? Eindeutiges Votum für die Einzelklage!“
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Die Intension der Klägervertreter ergibt sich im Übrigen auch aus einem gerichtsbekannten Bericht der Mittelbayerischen Zeitung vom 06.12.2018 unter dem Titel „Dieselgate beschäftigt C. Anwälte“ und dem Untertitel „C.Rechtsanwälte vertreten 1.500 ...-Kunden und raten, sich möglichst bald zumindest der Sammelklage anzuschließen.“ In dem Artikel heißt es u. a.: „Es gibt ein deutliches Datum für die meisten Käufer von ...-Dieselfahrzeugen, deren Autos im sogenannten „Dieselgate“ verstrickt sind. Das ist der 1. Januar 2019. Danach geht nichts mehr. Zumindest nicht, wenn sich der Betroffene nicht wenigstens der Sammelklage angeschlossen hat. Das sagt der C. Rechtsanwalt M. H. im Beisein seiner Kollegin T. F. Seit der Dieselskandal bekannt wurde, sammeln sie unzufriedene Käufer von ...-Autos, wie auch von Audi oder Skoda - und damit Kläger gegen den ...-Konzern. 1.500 vertreten sie bislang - doch viele seien noch unentschieden. Doch, um die Verjährung zu vermeiden, sei ein sofortiges Handeln gefragt, betonen F. und H.: „Man muss jetzt was tun, sonst ist es zu spät! Wer jetzt nichts macht, hat verloren.“ Die Sammelklage, für die man sich etwa über die Internetseite des ADAC von der Couch aus mit wenigen Schritten eintragen könne, habe unter anderem den Vorteil, dass die Verjährung vermieden werde. Die Individualklage sei jedoch der Sammelklage vorzuziehen. Und weiter: „Warum die Sammelklage nicht der goldene Weg sei, um Ansprüche gegenüber ... geltend zu machen, sagen die Rechtsanwälte. Die Sammelklage bringe nach langer Zeit - sie rechnen mit drei oder vier Jahren bis zu einer Entscheidung - nur ein Feststellungsurteil. „Das können Sie sich aufs Klo nageln“, sagt M. H. - mehr sei damit erst einmal nicht gewonnen. (graphische Hervorhebung durch Senat)“
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Aus diesen Äußerungen erhellt, dass man sich seitens der Klägervertreter „vorsichtshalber“ bei der Musterfeststellungsklage angemeldet hat, um auf der sicheren Seite zu sein. Der Weg über die Musterfeststellungsklage sollte gar nicht weiter verfolgt werden. Zudem stützt die Annahme des Rechtsmissbrauchs die Tatsache, dass der Kläger erst mit Schreiben vom 02.04.2019 an die Beklagte herantrat. Hierdurch erfolgte die erste Geltendmachung von Ansprüchen, mithin 6 Monate vor Klageerhebung und - möglicherweise - noch während dem laufenden Anschluss an die Musterfeststellungsklage. Kurz vor Klageerhebung wurde dann die Abmeldung von der Musterfeststellungsklage durchgeführt, um die Ausschlusswirkung des § 610 Abs. 3 ZPO zu vermeiden.
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Nach alledem sollte ganz offensichtlich die Anmeldung zur Musterfeststellungsklage rechtsmissbräuchlich nur zum - vermeintlichen - Ausschluss der Verjährung vorgenommen werden.
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Angesichts des hiernach feststehenden Rechtsmissbrauchs kann in diesem Verfahren offen bleiben, ob die rückwirkende Verjährungshemmung bei der Musterfeststellungsklage aus verfassungsrechtlicher Sicht Bedenken begegnet. Hierzu hat Grzeszick in einer umfangreichen Abhandlung (NJW 2019, 3269 f.) ausgeführt, dass „die in § 204 Abs. 1 Nr. 1 a BGB ermöglichte rückwirkende Hemmung die verfassungsrechtlichen Grenzen von Rückwirkungen auch dann (überschreitet), wenn sie als unechte Rückwirkung bewertet wird. Die Möglichkeit, die Verjährung von Ansprüchen durch eine Registeranmeldung rückwirkend und damit auch noch nach Ablauf der üblichen Verjährungsfristen hemmen zu können, (sei) nicht hinreichend durch öffentliche Interessen legitimiert, da die angenommene Gefahr einer bei Gesetzeserlass bevorstehenden Verjährungswelle auf dem Zuwarten des Gesetzgebers“ beruhe; zudem enthalte „die Möglichkeit der rückwirkenden Hemmung eine unangemessene Beeinträchtigung des Vertrauensschutzes der betroffenen Unternehmer“ (Grzeszick, a. a. O., 3274). In Verbindung mit der Erwägung, dass es unserer Rechtsordnung eigentlich fremd ist, dass bereits verjährte Ansprüche durch den rückwirkenden Eintritt der Hemmung nun „reanimiert“ werden können (so Halfmeier in Prütting/Gehrlein, ZPO, 11. Aufl. 2019, § 608 Rn. 1), erscheinen dem Senat diese Bedenken als durchaus diskutierenswert. Da es jedoch vorliegend (wegen angenommenen Rechtsmißbrauchs der Anmeldung zum Musterfeststellungsverfahren) auf diese Frage nicht ankommt, wurde von einer Vorlage gemäß Art. 100 GG abgesehen.
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Im Hinblick auf die individuellen Ausprägungen des Falles sind auch die weiteren Voraussetzungen für die Zurückweisung der Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO gegeben. Die Parteivertreter können zum Hinweis des Senats bis 20.07.2020 Stellung nehmen.
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Folgendes ist zu beachten:
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Der Senat gewährt im Rahmen seiner Hinweise nach § 522 Abs. 2 ZPO geräumige Fristen zur Stellungnahme. Zur Vermeidung eines unnötigen Verwaltungsmehraufwandes werden diese Fristen nur ganz ausnahmsweise und nur bei Vorliegen eines glaubhaft gemachten triftigen Grundes verlängert, wozu im Allgemeinen nicht eine geltend gemachte Arbeitsüberlastung und die pauschale Behauptung zählen, dass mit der vertretenen Partei noch kein Kontakt zustande gekommen sei. Bei Fristverlängerungsgesuchen, die erst in der Woche vor Ablauf der Frist eingehen, kann mit einer Verbescheidung des Gesuchs im Fall der Ablehnung nicht in jedem Fall gerechnet werden.