Inhalt

Kirchliches Arbeitsgericht Augsburg, Urteil v. 15.05.2020 – M 18/2019
Titel:

Keine Bildung einer erweiterten Gesamtmitarbeitervertretung

Normenketten:
MAVO § 24 Abs. 3
BetrVG § 54 Abs. 1
AktG § 18 Abs. 1, § 18 Abs. 2
Schlagworte:
Revision, Bildung einer Gesamtmitarbeitervertretung, beherrschende Leitung, Gleichordnungskonzern
Fundstelle:
BeckRS 2020, 13101

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Kirchlichen Arbeitsgerichts für die Bayerischen (Erz-)Diözesen vom 23.09.2019 (1 MV 18/19) abgeändert: 
Die Klage wird abgewiesen.
2. Es wird festgestellt, dass die Kosten der Beauftragung einen Rechtsanwalts durch die Klägerin von der Beklagten zu tragen sind.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten im Hinblick auf die Beratung über die Bildung einer erweiterten Gesamtmitarbeitervertretung (im Folgenden: eG-MAV) über die Bereitstellung eines geeigneten Raums.
2
Die Klägerin ist die Mitarbeitervertretung in der Einrichtung ... die als kirchliche Stiftung des öffentlichen Rechts dem ... Verbund angehört. Dieser Verbund besteht aus insgesamt 8 kirchlichen Stiftungen des öffentlichen Rechts mit Einrichtungen in ... und ... die sich im Wesentlichen der Betreuung und Förderung behinderter Kinder, Jugendlicher und Erwachsener widmen.
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Alle Stiftungen des Verbundes haben ihren Sitz in ... und eine inhaltlich einheitliche Satzung. Organe der Beklagten und der weiteren Stiftungen sind der 5-köpflige Stiftungsrat und der Stiftungsvorstand. Letzterer besteht aus den geistlichen Direktor, Pfarrer ... als dem Vorsitzenden und den Vorstandsmitgliedern ... und .... In allen Stiftungen sind der Stiftungsrat und der Stiftungsvorstand personalidentisch besetzt. Über die Besetzung der Position des Vorsitzenden des Stiftungsvorstands entscheidet der Bischof von Augsburg im Benehmen mit dem Stiftungsrat.
4
Bei der Beklagten ist - organisatorisch - eine sogenannte Direktion eingerichtet. Diese besitzt eine Führungsebene, bestehend aus den Personen des Stiftungsvorstands, Pfarrer ... und den Herren ... und .... Die Direktion ist in insgesamt 17 Bereiche und Stabstellen gegliedert und hat ca. 60 Mitarbeiter/-innen.
5
Die Klägerin als die nach der Zahl der Wahlberechtigten größte Mitarbeitervertretung (im Folgenden: MAV) hat die Beklagte aufgefordert, einen geeigneten Versammlungsraum zur Beratung über die Bildung einer eG-MAV zur Verfügung zu stellen. Mit Schreiben vom 21.03.2019 lehnte die Beklagte dies mit der Begründung ab, die rechtlichen Voraussetzungen zur Bildung einer eG-MAV lägen nicht vor.
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Die Klägerin hat beantragt,
1.
die Beklagte zu verurteilen, zu einer gemeinsamen Sitzung aller Mitglieder der betroffenen Mitarbeitervertretungen zur Beratung über die Bildung einer eG-MAV im Sinne des § 24 Absatz 3 MAVO einen geeigneten Raum mit angemessener Ausstattung zur Verfügung zu stellen;
2.
festzustellen, dass die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten zur Wahrung der Rechte der Klägerin in diesem Verfahren notwendig und zweckmäßig ist.
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Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
8
Das Kirchliche Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 23.09.2019 stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe einen Anspruch auf Bereitstellung eines Versammlungsraums zur Beratung über die Bildung einer eG-MAV, weil die Beklagte gegenüber den weiteren 7 Stiftungen des Verbundes einen bestimmenden Einfluss auf deren unternehmerisches Tätigwerden ausübe und diesen über eine einheitliche Leitung umsetze. Nach der umfangreichen Sachaufklärung sei davon auszugehen, dass die Struktur eines faktischen Unterordnungskonzerns vorliege und damit die Voraussetzung für die Bildung einer eG-MAV nach § 24 Absatz 2 MAVO gegeben seien.
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Gegen das ihr am 06.11.2019 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 19.11.2019 die zugelassene Revision eingelegt und am 20.12.2019 begründet. Sie rügt, das Kirchliche Arbeitsgericht habe insbesondere verkannt, dass ein Abhängigkeitsverhältnis, welches zwingend zur Bejahung eines Unterordnungskonzerns notwendig sei, gesellschaftsrechtlich begründet sein müsse. Zwischen den Stiftungen des Verbundes bestünden aber keine Organisations- oder Beherrschungs- oder Eingliederungsverträge, mit welchen gesellschaftsrechtlich untereinander Einfluss genommen werden könnte.
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Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Kirchlichen Arbeitsgerichts für die Bayerischen (Erz-)Diözesen vom 23.09.2019 (1 MVA 18/19) abzuändern und die Klage abzuweisen.
11
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen und festzustellen, dass die Beauftragung ihres Prozessbevollmächtigten für das Verfahren vor den Kirchlichen Arbeitsgerichten notwendig gewesen ist und die Auslagen hierfür von der Beklagten zu tragen sind.
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Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung aus Rechtsgründen und verweist auf den Schutzzweck des rechtsähnlichen § 54 BetrVG, der die faktische Abhängigkeit ausreichen lasse.
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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 KAGO einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

I.
14
Die Revision der Beklagten ist zulässig, weil sie vom Kirchlichen Arbeitsgericht zugelassen (§ 47 Absatz 1 KAGO) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist (§ 50 KAGO).
II.
15
Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.
16
1. Die Klägerin kann von der Beklagten nicht verlangen, einen geeigneten Versammlungsraum zur Beratung über die Bildung einer eG-MAV im Sinne des § 24 Absatz 3 MAVO zur Verfügung zu stellen. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Bildung einer eG-MAV liegen nicht vor. Nach § 24 Absatz 2 MAVO bilden die Mitarbeitervertretungen mehrerer Einrichtungen mehrerer Rechtsträger auf Antrag einer qualifizierten Mehrheit der Beteiligten Mitarbeitervertretungen eine eG-MAV, wenn die einheitliche und beherrschende Leitung der beteiligten selbständigen kirchlichen Einrichtungen bei einem Rechtsträger liegt. Dies kann für die Beklagte nicht festgestellt werden.
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2. Das Kirchliche Arbeitsgericht geht zutreffend davon aus, dass das zentrale Tatbestandsmerkmal der „einheitlichen und beherrschenden Leitung“ der Voraussetzung für die Einrichtung eines Konzernbetriebsrats nach § 54 Absatz 1 BetrVG entspricht, der wiederum auf § 18 Absatz 1 AktG Bezug nimmt. Ein Konzernbetriebsrat kann danach nur in einem sogenannten Unterordnungskonzern und nicht in einem Gleichordnungskonzern nach § 18 Absatz 2 AktG errichtet werden (vgl. BAG vom 13.10.2004 - 7 ABR 56/03). Ein Unterordnungskonzern setzt voraus, dass ein herrschendes Unternehmen und ein oder mehrere andere abhängige Unternehmen unter einheitlicher Leitung des beherrschenden Unternehmens agieren. Von einem abhängigen Unternehmen wird nach § 18 Absatz 1 Satz 3 AktG vermutet, dass es mit dem herrschenden Unternehmen einen Konzern bildet. Nach § 17 Absatz 1 AktG sind abhängige Unternehmen rechtlich selbständige Unternehmen, auf die ein anderes Unternehmen (herrschendes Unternehmen) unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Dabei ist unerheblich, in welcher Rechtsform das herrschende oder die abhängigen Unternehmen geführt werden. Rechtsträger können auch Vereine, Stiftungen und natürliche Personen sein (vgl. BAG vom 22.11.1995 - 7 ABR 9/95). Das Abhängigkeitsverhältnis als Grundlage des beherrschenden Einflusses kann außer in Fällen einer Mehrheitsbeteiligung auch auf andere gesellschaftsrechtlich vermittelte Weise, wie etwa durch Stimmbindungsverträge, begründet werden (vgl. BAG vom 09.02.2011 - 7 ABR 11/10 Rdnr. 26).
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Umstritten ist, ob auch andere als gesellschaftsrechtlich vermittelte Abhängigkeiten zur Annahme eines Konzerns im Sinne des § 54 Absatz 1 BetrVG führen können. Das Bundesarbeitsgericht hat in eine Entscheidung aus dem Jahr 1986 ausgeführt, für das Bestehen eines Abhängigkeitsverhältnisses sei entscheidend, dass das herrschende Unternehmen über Mittel verfüge, die es ihm ermöglichten, das abhängige Unternehmen seinem Willen zu unterwerfen und diesen bei ihm durchzusetzen; auf das Mittel der Einflussmöglichkeit komme es nicht an, hierfür könnten nicht nur vertragliche oder organisatorische Bindungen, sondern auch rechtliche und tatsächliche Umstände sonstiger Art sprechen (BAG vom 30.10.1986 - 6 ABR 19/85). Zuletzt hat das Bundesarbeitsgericht offengelassen, ob unter bestimmten Voraussetzungen auch eine andere als eine gesellschaftsrechtlich vermittelte Abhängigkeit ausreichen kann. Sofern dies überhaupt in Betracht komme, müsse die anderweitig begründete Abhängigkeit mit der gesellschaftsrechtlich vermittelten zumindest gleichwertig sein. Das herrschende Unternehmen müsste über die rechtlich verfestigte Möglichkeit verfügen, grundsätzlich alle unternehmensrelevanten Entscheidungen des abhängigen Unternehmens zu steuern (vgl. BAG vom 09.02.2011 - 7 ABR 11/10 Rdnr. 31; BAG vom 11.02.2015 - 7 ABR 98/12 Rdnr. 26).
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3. Überträgt man diese zu § 54 Absatz 1 BetrVG entwickelten Grundsätze auf die Anwendung des rechtsähnlichen § 24 Absatz 2 MAVO, so ergibt sich für den Streitfall, dass es jedenfalls an einer „beherrschenden Leitung“ durch die Beklagte im Sinne einer rechtlich verfestigten Abhängigkeit fehlt. Ohne eine solche Abhängigkeit wird die von der Klägerin behauptete und vom Kirchlichen Arbeitsgericht angenommene einheitliche Leitung des ... Verbundes nur in einem Gleichordnungskonzern im Sinne des § 18 Absatz 2 AktG ausgeübt. In diesem kann eine eG-MAV aber nicht errichtet werden. Im Einzelnen gilt Folgendes:
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a) Als Beherrschungsmittel kommen in Betracht: Mehrheitsbeteiligungen (§ 17 AktG), Stimmrechte, Entsendungsrechte, Beherrschungsverträge und sonstige Unternehmensverträge (vgl. LAG Hessen vom 05.02.2004 - 9. ABV 64/03 mit weiteren Nachweisen). Eine solchermaßen begründete Abhängigkeit der 7 weiteren Stiftungen im ... Verbund von der Beklagten ist nicht feststellbar. Insbesondere liegt keine Mehrheitsbeteiligung vor, bei der nach § 17 Absatz 2 AktG vermutet würde, dass das im Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen von dem beteiligten Unternehmen abhängig ist. Vielmehr handelt es sich bei dem Verbund um 8 selbständige kirchliche Stiftungen des öffentlichen Rechts. Auch wenn in allen 8 Stiftungen der Stiftungsrat und der Stiftungsvorstand personalidentisch besetzt sind, so folgt daraus keine Abhängigkeit gerade von der Beklagten. Es besteht allenfalls eine wechselseitige Abhängigkeit aller untereinander.
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b) Daran vermag auch die bei der Beklagten angesiedelte Direktion mit den bei der Beklagten angestellten Mitarbeitern nichts zu ändern. Es ist gerade bei der Personenidentität der Leitungsebene nachvollziehbar, dass diese Direktion Auftrags- und Serviceleistungen für die jeweiligen Stiftungen erbringt, die zentral wirtschaftlicher erledigt werden können. Darüber hinaus ist die Direktion zuständig für die Bearbeitung ihrer Natur nach übergreifend anfallenden Aufgaben wie in den Bereichen der Informationstechnologie, des Bauwesens, des Abrechnungswesens und des Controllings. Sie übernimmt damit zentrale Verwaltungsaufgaben, die als solche in allen Stiftungen anfallen. Die Beklagte hat unwidersprochen vorgetragen, dass die Kosten der Direktion auf alle 8 Stiftungen umgelegt und anteilig von allen 8 Stiftungen anhand eines Verteilungsschlüssels getragen werden, der sich vor allem an der Anzahl der Wohn- und Betreuungsplätze in den Einrichtungen der Stiftungen orientiert. Nicht zuletzt diese Kostenregelung macht deutlich, dass es sich um eine Serviceeinheit für den Stiftungsverbund handelt, die die Stiftungsvorstände und Stiftungsräte bei der Erfüllung ihrer satzungsgemäßen Aufgaben unterstützt. Diese Organisation ändert nichts an der rechtlichen Selbständigkeit der einzelnen Stiftungen und auch an der haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit der jeweiligen Stiftungsorgane. Eine Durchgriffskompetenz der „Direktion“ bzw. der Beklagten gegenüber den anderen Stiftungen lässt sich daraus nicht ableiten. Da die Führungspersonen der Beklagten gleichzeitig auch die Führungspersonen der anderen Stiftungen sind, liegt die abschließende Entscheidungskompetenz vielmehr bei der jeweils betroffenen Stiftung, wenn auch bei denselben natürlichen Personen. Die Betrachtungsweise der Klägerin hätte zur Folge, dass die für die Beklagte handelnden Führungskräfte sich gleichsam selbst beherrschten, soweit sie für die anderen Stiftungen handelten. Naheliegender ist demgegenüber, dass die Stiftungsorgane im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeit und ihrer jeweils rechtlich getrennten Verantwortlichkeit handeln und ihre Entscheidungen treffen. Das entspricht der typischen Lage in einem Gleichordnungskonzern.
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c) Mit diesem Verständnis lassen sich die Arbeits- und Entscheidungsabläufe bei dem gesamten Stiftungsverbund ohne Weiteres erfassen, ohne dass dabei der Beklagten über die räumlich-örtlich bei ihr angesiedelte Direktion eine „beherrschende Leitung“ zufallen würde. Denn Entscheidungsträger bleiben die jeweiligen Stiftungsräte und - vorstände, denen die Direktion nachgeordnet ist. Wenn Pfarrer ... als Vorstandsvorsitzender eine abschließende Entscheidung über die Einstellung oder Entlassung von Mitarbeiterin trifft, dann handelt er natürlich als Vorstand der jeweils betroffenen Stiftung und nicht als Vorstand der Beklagten bzw. als Leitungsperson der Direktion, die möglicherweise die Entscheidung vorbereitet hat. Ähnliches gilt für eine Einflussnahme bei dem Abschluss von Dienstvereinbarungen seitens der Leitungsebene. Dazu hat Pfarrer ... bei der Anhörung vor dem Kirchlichen Arbeitsgericht ausgeführt, dass es durchaus im Stadium der Beratung über einzelne Themen zu seiner Einflussnahme kommen könne, er dabei jedoch als Vorsitzender des Stiftungsvorstands der jeweils betroffenen Stiftung tätig sei. Für eine Abhängigkeit von der Beklagten bzw. deren „beherrschende Leitung“ gibt allein die personelle Identität des geistlichen Direktors nichts her. Es liegt weder eine gesellschaftsrechtlich vermittelte Abhängigkeit vor, noch eine dieser gleichwertige „rechtlich verfestigte Möglichkeit“ (BAG 11.02.2015 - 7 ABR 98/12 Rdnr. 26), grundsätzlich alle unternehmensrelevanten Entscheidungen der abhängigen Unternehmen (hier: der übrigen Stiftungen) zu steuern. Ohne eine solche Abhängigkeit wird die praktizierte einheitliche Leitung nur in einem Gleichordnungskonzern ausgeübt. Dies reicht zur Bildung einer eG-MAV nach § 24 Absatz 2 MAVO nicht aus.
III.
23
Die Entscheidung über die Kostentragung beruht auf § 12 Absatz 1 KAGO in Verbindung mit § 17 Absatz 1 MAVO. Die Beauftragung eines Rechtsanwalts auch zur Vertretung im Revisionsverfahren war wegen der Schwierigkeit der Rechtslage notwendig, um die Rechte der Klägerin zu wahren.