Inhalt

SG München, Urteil v. 26.05.2020 – S 59 P 66/19
Titel:

Anspruch auf Pflegehilfsmittel nur bei häuslicher Pflege

Normenketten:
SGB XI § 40, § 43a, § 71 Abs. 4 Nr. 1
SGB V § 33
SGB XII § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. d, § 64d
Leitsätze:
Ein Anspruch auf Versorgung mit einem motorisch verstellbaren Pflegebett als Pflegehilfsmittel im Sinne des § 40 SGB XI ist ausgeschlossen, wenn die Pflege in einer stationären Einrichtung im Sinne des § 71 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI stattfindet, in der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder am Leben in der Gemeinschaft im Vordergrund stehen, für die die Pflegekasse einen pauschalen Anteil nach § 43a SGB XI leistet, weil ein Anspruch auf Versorgung mit Pflegehilfsmitteln nach § 40 SGB XI nur bei häuslicher Pflege besteht. (Rn. 19)
Die isolierte Versorgung mit einem Pflegebett als Pflegehilfsmittel ist sozialhilferechtlich nur gemäß § 64d SGB XII möglich, der gemäß § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. d SGB XII aber nur bei häuslicher Pflege anwendbar ist. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Eingliederungshilfe, Pflegehilfsmittel, stationäre Einrichtung, Pflegekasse, motorisch verstellbares Pflegebett, häusliche Pflege, Heim für Behinderte
Fundstelle:
BeckRS 2020, 11603

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten über die Versorgung der in einem Wohnheim für geistig Behinderte lebenden Klägerin mit einem motorisch verstellbaren Pflegebett als Pflegehilfsmittel im Sinne des § 40 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) bzw. als Hilfsmittel im Sinne des § 33 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V).
2
Die 1945 geborene Klägerin lebt aufgrund einer geistig-seelischen Erkrankung seit 1987 in dem von der Lebenshilfe A-Stadt-F-Stadt gGmbH (nachfolgend: Lebenshilfe) betriebenen L-Heim, A-Stadt.
3
Grundlage ist ein zwischen der Klägerin und der Lebenshilfe mit Wirkung vom 08.04.1987 geschlossener Wohnstätten-Vertrag. Danach überlässt der Träger dem Bewohner eine Unterkunft in einem Zweibettzimmer mit Kalt- und Warmwasser, Heizung und Strom; die Zimmereinrichtung bringt der Bewohner mit, sie bleibt sein Eigentum. Wesentliche Leistungen des Trägers bestehen in der pädagogischen und heilpädagogischen Förderung in den lebenspraktischen Verrichtungen, der persönlichen Lebensführung und im sozialen Verhalten sowie in Hilfe bei der Freizeitgestaltung.
4
Nach der zwischen dem Bezirk Oberbayern als überörtlichem Sozialhilfeträger und der Lebenshilfe getroffenen individuellen Leistungsvereinbarung für den Leistungstyp Wohnen für Erwachsene mit geistiger Behinderung ohne Tagesbetreuung, Leistungstyp W-E-G vom 08.12.2012 bilden die Zielgruppe der Einrichtung erwachsene Menschen mit einer primären geistigen Behinderung nach § 2 der Eingliederungsverordnung im Sinne des § 53 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Im Wohnstättenverbund leben danach erwachsene Männer und Frauen mit einer wesentlichen geistigen Behinderung und gegebenenfalls einer zusätzlichen körperlichen Behinderung und/oder einer zusätzlichen psychischen Erkrankung und/oder einer Pflegestufe nach SGB XI, die wegen ihres Hilfebedarfs regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Die Krankheitsbilder der Bewohner umfassen in der Regel Beeinträchtigungen im Sinne einer geistigen Behinderung u. a. Down-Syndrom, Autismus, geburtstraumatische Hirnschäden, setzen jedoch im Schweregrad der Erkrankungen ein unterschiedliches Maß an Selbstständigkeit im alltagspraktischen Handeln, je nach Wohnform, und Mobilität (selbstständig auch unter Nutzung von Hilfsmitteln) voraus. Dies bedeutet nach der Vereinbarung, dass die in den Außenwohngruppen lebenden Bewohner aufgrund der fehlenden Barrierefreiheit der Objekte (Stufen zum Eingangsbereich, Schwellen, Treppen zu den Funktionsräumen, fehlender Aufzug) selbstständig gehfähig sein müssen.
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Mit Bescheid vom 29.08.2018 bewilligte die Beklagte der Klägerin Leistungen der vollstationären Pflege in Einrichtungen der Behindertenhilfe nach Pflegegrad 4, wobei ab dem 01.04.2018 zur Abgeltung der pflegebedingten Aufwendungen 10 v.H. des Heimentgeltes, höchstens 266 € monatlich, übernommen würden. Diesem Bescheid lag ein Gutachten des MDK Bayern vom 16.05.2018 zu Grunde, in dem die Voraussetzungen des Pflegegrades 4 ab dem 01.04.2018 bejaht wurden. Ferner wurde unter Punkt 8 „weitere Empfehlungen und Hinweise für die Pflegekasse“ aufgenommen der Punkt 8.1 „Hilfsmittel/Pflegehilfsmittel: 5045011 Pflegebett, motorisch verstellbar - Zustimmung der antragstellenden/betreuenden/Bevollmächtigten Person zur Beantragung des o. g. Hilfsmittels/Pflegehilfsmittel liegt vor“.
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Am 07.11.2018 ging der Antrag des Betreuers der Klägerin auf Kostenübernahme für ein motorisch verstellbares Pflegebett bei der Beklagten ein.
7
Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14.11.2018 mit der Begründung ab, dass das beantragte Hilfsmittel unter die Vorhaltepflicht des Heimträgers falle und daher von diesem zur Verfügung zu stellen sei.
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Dagegen legte die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigte am 13.12.2018 Widerspruch ein und legte eine Erklärung der Lebenshilfe vom 08.08.2018 vor, wonach die Einrichtung nach den Vorgaben des Bezirks Oberbayern eine Grundausstattung vorhalte, die aus einem Bett, einem Schrank und Kleinmöbeln bestehe; ein spezielles Pflegebett sei darin nicht enthalten; es handle sich um keine Pflegeeinrichtung, sondern um eine pädagogische Einrichtung.
9
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.01.2019 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
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Dagegen hat die Klägerin am 25.02.2019 beim Sozialgericht (SG) München Klage erhoben (Az. S 59 P 66/19). Das SG hat zum Klageverfahren den Bezirk Oberbayern und die Lebenshilfe beigeladen.
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Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14.11.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2019 zu verurteilen, die Klägerin mit einem motorisch verstellbaren Pflegebett zu versorgen, und hilfsweise den Beigeladenen zu 1) zu verurteilen, die Klägerin mit einem motorisch verstellbaren Pflegebett zu versorgen.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Prozessakten sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Für die Entscheidung war das Sozialgericht München örtlich (§ 57 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und sachlich (§ 8 SGG) zuständig.
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Die Klage ist zulässig. Sie ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 4 SGG statthaft. Die Klage wurde gemäß §§ 87, 90 und 92 SGG form- und fristgerecht erhoben.
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Die Klage ist jedoch in ihrem Hauptantrag nicht begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Versorgung mit einem motorisch verstellbaren Pflegebett. Die ablehnenden Bescheide sind rechtmäßig.
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Zwar käme ein Anspruch nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V in Betracht, obwohl die Klägerin in einem Heim für Behinderte untergebracht ist. Denn da es sich um eine stationäre Einrichtung im Sinne des § 71 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI handelt, in der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder am Leben in der Gemeinschaft im Vordergrund stehen, für die der Beklagte einen pauschalen Anteil nach § 43a SGB XI leistet, wird ein Anspruch auf Hilfsmittelversorgung nach § 33 SGB V nur in dem Umfang ausgeschlossen, in dem der Heimträger aufgrund des mit dem Sozialhilfeträger geschlossenen Versorgungsvertrags zur Bereithaltung der Hilfsmittel verpflichtet ist. Insoweit haben die im Hauptsacheverfahren vorgelegten Nachweise nicht ergeben, dass eine Verpflichtung des Heimträgers zur Bereithaltung eines motorisch verstellbaren Pflegebettes besteht. Hieraus hat sich weder aus der zwischen dem Heimträger zwischen der Lebenshilfe und dem Bezirk Oberbayern geschlossenen individuellen Leistungsvereinbarung für den Leistungstyp Wohnen für Erwachsene mit geistiger Behinderung ohne Tagesbetreuung vom 08.12.2012 noch aus dem zwischen der Klägerin und der Lebenshilfe zum 08.04.1987 abgeschlossenen Wohnstätten-Vertrag ein Anhaltspunkt ergeben. Die Einrichtung ist schwerpunktmäßig auf die Betreuung geistig Behinderter ausgerichtet, nicht auf Pflegefälle.
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§ 33 SGB V ist jedoch deshalb nicht anwendbar, weil es sich bei dem begehrten motorischen Pflegebett um kein Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung handelt, da es weder einer konkreten Krankenbehandlung noch dem Ausgleich oder der Vorbeugung einer Behinderung dient. Vielmehr handelt es sich um den klassischen Fall eines Pflegehilfsmittels im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB XI, das zur Erleichterung der Pflege oder zur Linderung der Beschwerden des Pflegebedürftigen beiträgt oder dem Pflegebedürftigen eine selbstständigere Lebensführung ermöglicht. Motorisch verstellbare Pflegebetten gehören zur Gruppe 50 des Hilfsmittelverzeichnisses des GKV-Spitzenverbandes und stellen deshalb Pflegehilfsmittel zur Erleichterung der Pflege dar.
19
Ein Anspruch aus § 40 SGB XI ist jedoch schon deshalb ausgeschlossen, weil ein solcher Anspruch auf Versorgung mit Pflegehilfsmitteln nur im häuslichen Bereich besteht, die Klägerin jedoch nicht in einem Haushalt gepflegt wird. Die Vorschrift des § 40 SGB XI gehört nämlich zum Dritten Abschnitt „Leistungen“ und dort zum Ersten Teil „Leistungen bei häuslicher Pflege“. Im vorliegenden Fall erhält die Klägerin jedoch Pflege in vollstationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen nach § 43a SGB XI. Diese Vorschrift steht im Vierten Titel, enthält keine dem 40 SGB XI vergleichbare Regelung und verweist auch nicht darauf. Das BSG hat in seinen Entscheidungen zum Anspruch auf Hilfsmittelversorgung durch die Krankenversicherung bei stationär untergebrachten Versicherten ausdrücklich entschieden, dass Ansprüche auf Pflegehilfsmittel im Sinne des § 40 SGB XI bei stationärer Unterbringung nach § 43 oder 43a SGB XI immer ausgeschlossen sind und dass dies auch sachgerecht ist (BSG, Urteil vom 10.02.2000 Az. B 3 KR 17/99 R Rdnr. 15 bei Juris; BSG, Urteil vom 10.02.2000 Az. B 3 KR 26/99 R Rdnr. 17 bei Juris, ebenso Thüringer LSG, Urteil vom 28.01.2013 Az. L 6 KR 955/09 Rdnr. 22 bei Juris).
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Soweit sich die Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung erstmals auf die Rechtsprechung des BSG zur Häuslichkeit im Sinne der Krankenpflege berufen hat, meint sie offensichtlich das Urteil des BSG vom 22.04.2015 Az. B 3 KR 16/14 R. Darin hat das BSG einen Anspruch auf häusliche Krankenpflege nach § 37 Abs. 2 SGB V bei einem Pflegebedürftigen, der in einer stationären Einrichtung für Behinderte nach § 71 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI untergebracht war, für die Leistungen der Pflegekasse nach § 43a SGB XI pauschal abgegolten wurden, bejaht, soweit ein entsprechender Anspruch auf Pflege gegen die Einrichtung nicht besteht, weil die Pflege von der Einrichtung aufgrund ihrer sächlichen und personellen Ausstattung nicht erbracht werden kann. Diese Entscheidung kann aber auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden, weil sie sich nur Leistungen der medizinischen Behandlungspflege und nicht auf die Grundpflege bezieht. Sie ist ausdrücklich darauf ausgerichtet, eine Parallelität zur Abgrenzung der Leistungspflicht der Krankenkassen und der Vorhaltepflicht der Einrichtungen im Bereich der Hilfsmittelversorgung herzustellen (a.a.O. Rdnr. 33). Diese Parallelität betrifft aber, wie oben ausgeführt, von vornherein nicht die Pflegekassen.
21
Auch der hilfsweise auf Verurteilung des Beigeladenen zu 1 gerichtete Antrag, über den das Gericht gemäß § 75 Abs. 5 SGG entscheiden kann, ist unbegründet. Die Klägerin kann von dem Beigeladenen zu 1 als überörtlichen Sozialhilfeträger Eingliederungshilfe in einer stationären Einrichtung verlangen, die auch ihren Pflegebedarf deckt, nicht aber die Versorgung mit einem motorisch verstellbaren Pflegebett in der konkret von ihr bewohnten Einrichtung: Werden Leistungen der Eingliederungshilfe in Einrichtungen oder Räumlichkeiten nach § 43a i. V. m. § 71 Abs. 4 SGB XI erbracht, umfasst die Leistung auch die Pflegeleistungen in diesen Einrichtungen oder Räumlichkeiten (§ 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XI). Die isolierte Versorgung mit einem Pflegebett als Pflegehilfsmittel wäre sozialhilferechtlich nur gemäß § 64d SGB XII möglich, der gemäß § 63 Abs. 1 Satz1 Nr. 1 Buchst. d SGB XII aber nur bei häuslicher Pflege anwendbar ist. Die hier vorliegende Konstellation, dass das für noch mobile und nicht pflegebedürftige geistig behinderte Bewohner konzipierte Heim wegen des Eintritts einer Pflegebedürftigkeit auf Dauer nicht mehr für die Versorgung eines Bewohners geeignet ist, ist dagegen in § 103 Abs. 1 Satz 2 SGB IX dahingehend geregelt, dass, wenn der Leistungserbringer feststellt, dass der Mensch mit Behinderungen so pflegebedürftig ist, dass die Pflege in diesen Einrichtungen oder Räumlichkeiten nicht sichergestellt werden kann, der Träger der Eingliederungshilfe und die zuständige Pflegekasse mit dem Leistungserbringer vereinbaren, dass die Leistung bei einem anderen Leistungserbringer erbracht wird; dabei ist angemessenen Wünschen des Menschen mit Behinderungen Rechnung zu tragen.
22
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.