VGH München, Beschluss v. 08.05.2020 – 22 ZB 20.127
Titel:

Erweiterte Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit

Normenketten:
GewO § 12, § 35
StGB § 266a
AO § 162
UStG § 18
InsO § 35 Abs. 2 S. 1, § 157
Leitsätze:
1. Es ist fraglich, ob es generell zutrifft, dass in Fällen, in denen durch die Entstehung von Schulden etwa bei gesetzlichen Krankenkassen unmittelbar ein Straftatbestand verwirklicht wird (hier: § 266a Abs. 1 StGB) und der Gewerbetreibende aufgrund dessen strafrechtlich verurteilt wird, die Gewerbeuntersagung weder auf die Verurteilung noch die ihr zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen gestützt werden kann, sofern die zugrunde liegenden Umstände - nämlich die in den Schulden zum Ausdruck kommenden ungeordneten Vermögensverhältnisse - nach § 12 S. 1 GewO die Untersagung gerade nicht tragen; vielmehr dürfte danach zu differenzieren sein, ob in der durch eine Verurteilung festgestellten Straftat ein Unwertgehalt liegt, der über die bloße Nichtzahlung der Beiträge hinausgeht. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Finanzamt ist bei nicht rechtzeitiger Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen berechtigt und verpflichtet, wobei der Steueranspruch in diesem Fall in der Höhe des aufgrund der Schätzung ermittelten Betrages entsteht und fällig wird (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Gewerbetreibender, der die Steuererklärungspflicht verletzt, kann nicht verlangen, von den Konsequenzen verschont zu bleiben, die das Gesetz an eine solche Pflichtverletzung knüpft. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
4. Steuerrückstände sind dann geeignet, einen Gewerbetreibenden als unzuverlässig erscheinen zu lassen, wenn sie sowohl ihrer absoluten Höhe nach als auch im Verhältnis zur Gesamtbelastung des Gewerbetreibenden von Gewicht sind. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
5. Die erweiterte Gewerbeuntersagung ist schon dann zulässig, wenn keine besonderen Umstände vorliegen, die es ausschließen, dass der Gewerbetreibende das andere Gewerbe in Zukunft ausübt. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
erweiterte Gewerbeuntersagung, Unzuverlässigkeit wegen ungeordneter Vermögensverhältnisse, Frage der Berücksichtigung einer strafrechtlichen Verurteilung, der Umstände zugrunde lagen, die zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens führten und vor der Freigabeerklärung durch den Insolvenzverwalter eintraten, aufgrund einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen ermittelte Steuerschulden, Verletzung der steuerlichen Erklärungspflicht, Nicht-Abgabe von Umsatzsteuer-Voranmeldungen, Verhältnismäßigkeit der Gewerbeuntersagung bei wirtschaftlicher Notlage, Prognose, Freigabeerklärung, Steuerrückstände
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 23.09.2019 – M 16 K 18.92
Fundstellen:
StB 2020, 314
BeckRS 2020, 10945
GewA 2020, 328
LSK 2020, 10945

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger wendet sich gegen eine erweiterte Gewerbeuntersagung.
2
Der Kläger zeigte am 9. Februar 2016 und 1. Mai 2016 bei der Beklagten die Ausübung mehrerer Gewerbe (u.a. Fliesenleger, Trockenbau) an.
3
Aufgrund von Beitragsschulden bei der AOK wurde mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 8. März 2017 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet. Der Insolvenzverwalter erklärte am 6. April 2017 gegenüber dem Kläger, das Vermögen aus seiner selbständigen Tätigkeit gehöre nicht zur Insolvenzmasse und Ansprüche aus seiner selbständigen Tätigkeit könnten im Insolvenzverfahren nicht geltend gemacht werden.
4
Mit Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 30. Juni 2017 wurde der Kläger wegen neun tatmehrheitlicher Fälle des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266a Abs. 1, § 53 StGB) zu einer Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 40 Euro verurteilt. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hatte er im Zeitraum von Mai 2016 bis Januar 2017 Arbeitnehmeranteile in Höhe von insgesamt 5.419,95 Euro nicht fristgerecht an die gesetzlichen Krankenkassen abgeführt. Der Strafbefehl wurde am 22. Juli 2017 rechtskräftig.
5
Nach einer Rückstandsaufstellung des Finanzamts M. vom 21. September 2017 hatte der Kläger zu diesem Zeitpunkt Steuerrückstände in Höhe von 1.572,- Euro, die sich aus Umsatzsteuerbeträgen für die Monate April bis Juni 2017 sowie Säumniszuschlägen zusammensetzten; die Angaben beruhten auf Schätzungen der Besteuerungsgrundlagen. Am 6. Dezember 2017 teilte das Finanzamt der Beklagten telefonisch mit, es bestünden nunmehr Steuerrückstände in Höhe von 4.871,94 Euro. Eine Zahlungsvereinbarung bestehe nicht. Es seien für die Monate März bis August 2017 sowie Oktober und November 2017 keine Umsatzsteuer-Voranmeldungen abgegeben worden.
6
Nach Anhörung untersagte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 6. Dezember 2017 die Ausübung sämtlicher von ihm bisher ausgeübter Gewerbe sowie die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person sowie die Ausübung jeglicher selbständigen Tätigkeit im stehenden Gewerbe. Zudem wurde dem Kläger aufgegeben, seine Tätigkeit spätestens 10 Tage nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Untersagungsverfügung einzustellen; für den Fall, dass der Kläger dem nicht nachkomme, wurde die Anwendung unmittelbaren Zwangs angedroht.
7
Gegen den Bescheid erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht München, das diese mit Urteil vom 23. September 2019 abwies.
8
Die Beklagte sei zu Recht von der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers ausgegangen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuverlässigkeit sei der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung. Auf die Ursachen für entstandene Zahlungsrückstände und die Nichterfüllung von Erklärungspflichten komme es nicht an. Da über das Vermögen des Klägers ein Insolvenzverfahren eröffnet worden sei, sei die Regelung des § 12 GewO zu beachten. Hier habe der Insolvenzverwalter am 6. April 2017 die selbständige Tätigkeit des Klägers freigegeben. Der Kläger habe Steuerrückstände beim Finanzamt gehabt, die sowohl nach ihrem absoluten Betrag als auch im Verhältnis zur Wirtschaftskraft des Gewerbes erheblich erschienen. Auch sei der Kläger seinen steuerlichen Erklärungspflichten nicht nachgekommen. Zudem sei er mit Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 30. Juni 2017 wegen neun tatmehrheitlicher Fälle des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1 StGB rechtskräftig verurteilt worden. Entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten sei es unerheblich, dass die Steuerforderungen auf Schätzungen beruhten. Auch arbeite der Kläger entgegen dem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung nicht nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept. Weder zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses noch der mündlichen Verhandlung habe mit dem Finanzamt eine Zahlungsvereinbarung bestanden. Soweit der Bevollmächtigte vortrage, dem Kläger könne das Gewerbe nicht aufgrund einer einzigen Verurteilung untersagt werden, handele es sich um eine erhebliche gewerbebezogene Straftat. Maßgeblich sei nicht die Verurteilung als solche, sondern die der Verurteilung zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen. Die Gewerbeuntersagung sei auch nicht unverhältnismäßig. Dafür lägen hier auch unter Berücksichtigung des Alters des Klägers sowie der vorgetragenen Bedeutung der Einkünfte für die Existenzgrundlage der Familie mit einer minderjährigen Tochter keine Anhaltspunkte vor.
9
Die Beklagte habe auch zu Recht eine gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit des Klägers angenommen. Denn der Kläger habe mit den Zahlungsverpflichtungen und steuerlichen Erklärungspflichten Pflichten verletzt, die für jeden Gewerbetreibenden gälten. Auch die Verurteilung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt rechtfertige die Annahme, dass er ein entsprechendes Verhalten auch bei Ausübung eines anderen Gewerbes an den Tag legen werde. Die Erstreckung der Gewerbeuntersagung auf andere gewerbliche Tätigkeiten sei erforderlich und ermessensfehlerfrei ergangen. Sie sei auch nicht unverhältnismäßig.
10
Das Urteil wurde dem Bevollmächtigten des Klägers am 12. Dezember 2019 zugestellt.
11
Mit Telefax vom 13. Januar 2020, einem Montag, beim Verwaltungsgericht am selben Tag eingegangen, beantragte der Kläger die Zulassung der Berufung. Er begründete dies mit per Telefax am 12. Februar 2020 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag.
12
Die Beklagte beantragte, den Antrag auf Zulassung der Berufung abzulehnen.
13
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegten Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
14
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, da sich aus den Darlegungen in der Antragsbegründung der Klägerin (vgl. zu deren Maßgeblichkeit § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) nicht ergibt, dass die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung vorliegen.
15
1. Die Voraussetzungen des Zulassungsgrundes ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen nicht vor.
16
Solche ernstlichen Zweifel bestehen dann, wenn nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers gegen die Richtigkeit des Urteils gewichtige Gesichtspunkte sprechen. Davon ist immer dann auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und wenn sich nicht ohne nähere Prüfung die Frage beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (BVerfG, B.v. 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 - juris Rn. 15; BVerwG, B.v. 10.3.2004 - 7 AV 4/03 - juris Rn. 9). Der Rechtsmittelführer muss konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis falsch ist. Dazu muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts konkret auseinandersetzen und im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 62f.).
17
Zwar bestehen Zweifel daran, ob die Gewerbeuntersagung auf die strafrechtliche Verurteilung vom 30. Juni 2017 und die ihr zugrundeliegenden Feststellungen, nämlich die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgetretenen Unzuverlässigkeitsgründe der nicht fristgerechten Abführung von Beiträgen zur gesetzlichen Krankenkasse zwischen Mai 2016 und Januar 2017 gestützt werden kann (hierzu 1.1). Mit seinen übrigen Einwendungen kann der Kläger jedoch nicht durchdringen (hierzu 1.2 bis 1.6); im Ergebnis bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, weil die Umstände, die das Verwaltungsgericht der Prognose der Unzuverlässigkeit im Übrigen zugrunde gelegt hat, diese tragen (hierzu 1.7). Die Gewerbeuntersagung ist auch nicht unverhältnismäßig (hierzu 1.8); Gleiches gilt für die erweiterte Gewerbeuntersagung (hierzu 1.9).
18
1.1 Ob die Auffassung des Verwaltungsgerichts zutrifft, die negative Prognose hinsichtlich der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit wegen des Strafbefehls vom 30. Juni 2017 rechtfertige im Einklang mit § 12 GewO eine Gewerbeuntersagung, erscheint zweifelhaft, kann im Ergebnis aber offen bleiben.
19
1.1.1 Der Kläger trägt insoweit vor, die Beklagte hätte ihrer Prognose der Unzuverlässigkeit nicht die mangelnde Abführung von Arbeitnehmeranteilen in Höhe von insgesamt 5.419,95 Euro an die gesetzlichen Krankenkassen zwischen Mai 2016 und Januar 2017 zugrunde legen dürfen, weil deswegen am 8. März 2017 das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei und die Nichtabführung den Zeitraum vor der Freigabe der selbstständigen Tätigkeit am 6. April 2017 betreffe. Dies widerspreche dem Sinn und Zweck des modernen Insolvenzrechts mit seinen Sanierungsoptionen. Das Verwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass sich auch die strafrechtliche Verurteilung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt auf den Zeitraum vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und vor der Freigabe der selbständigen Tätigkeit durch den Insolvenzverwalter beziehe. Bei der Prüfung der Zuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden müssten im Übrigen die Gründe für sein Verhalten sowie der Umstand berücksichtigt werden, ob sich der Betreffende der Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens bewusst gewesen sei. Der Kläger habe die Arbeitnehmeranteile deshalb nicht abgeführt, weil er zahlungsunfähig, nicht weil er zahlungsunwillig gewesen sei. Auch habe das Verwaltungsgericht nicht gewürdigt, dass der Kläger die Gesamtgeldstrafe in Höhe von 2.400 Euro mittlerweile bis auf einen Restbetrag von 400 Euro entrichtet habe.
20
1.1.2 Soweit der Kläger sich auf die zwischenzeitliche überwiegende Ableistung der Geldstrafe beruft, ist dies für die Beurteilung der Unzuverlässigkeit irrelevant.
21
Es erscheint jedoch fraglich, ob die Verurteilung wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt nach § 266a Abs. 1 StGB sowie die ihr zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen hier mit Blick auf § 12 Satz 1 GewO bei der Prognose über die gewerberechtliche Zuverlässigkeit berücksichtigt werden durften. Nach dieser Norm finden Vorschriften, die die Untersagung eines Gewerbes wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden aufgrund ungeordneter Vermögensverhältnisse ermöglichen, während eines Insolvenzverfahrens keine Anwendung in Bezug auf das Gewerbe, das zur Zeit des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeübt wurde. Nach § 12 Satz 2 GewO gilt dies nicht in Bezug auf Tatsachen, die nach einer gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO erklärten Freigabe der selbstständigen Tätigkeit des Gewerbetreibenden eingetreten sind.
22
Soweit das Verwaltungsgericht die Unzuverlässigkeit aus der Verurteilung und den ihr zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen herleitet, könnte dies dem Ziel des Insolvenzverfahrens, zumindest vorläufig noch den Gewerbebetrieb zu erhalten (§ 157 InsO), und damit auch § 12 Satz 1 GewO zuwiderlaufen (vgl. zum Zweck des § 12 GewO NdsOVG, B.v. 11.8.2009 - 7 LA 232.07 - juris Rn. 5; B.v. 13.5.2003 - 7 LA 140.02 - juris Rn. 4; Marcks in Landmann/Rohmer, GewO, Stand Oktober 2019, § 12 Rn. 11). Vor diesem Hintergrund wird in Rechtsprechung und Literatur vertreten, dass in Fällen, in denen durch die Entstehung von Schulden etwa bei gesetzlichen Krankenkassen unmittelbar ein Straftatbestand verwirklicht wird (hier: § 266a Abs. 1 StGB) und der Gewerbetreibende aufgrund dessen strafrechtlich verurteilt wird, die Gewerbeuntersagung weder auf die Verurteilung noch die ihr zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen gestützt werden kann, sofern die zugrunde liegenden Umstände - nämlich die in den Schulden zum Ausdruck kommenden ungeordneten Vermögensverhältnisse - nach § 12 Satz 1 GewO die Untersagung gerade nicht tragen (vgl. in diesem Sinne, wenn auch nicht entscheidungstragend, NdsOVG, B.v. 11.8.2009 - 7 LA 232.07 - juris Rn. 5; ähnlich OVG RhPf, U.v. 3.11.2010 - 6 A 10676.10 - juris Rn. 19; Marcks in Landmann/Rohmer, GewO, Stand Oktober 2019, § 12 Rn. 11). Es erscheint jedoch fraglich, ob dies so generell zutrifft oder ob vielmehr danach zu differenzieren wäre, ob in der durch eine Verurteilung festgestellten Straftat ein Unwertgehalt liegt, der über die bloße Nichtzahlung der Beiträge hinausgeht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Verwirklichung des Straftatbestandes des § 266a Abs. 1 StGB voraussetzt, dass dem Täter die Abführung der Beiträge möglich und zumutbar ist. Unmöglichkeit kann zwar bei Zahlungsunfähigkeit vorliegen, jedoch genügt es dafür nicht, dass der Täter nicht mehr alle Verbindlichkeiten erfüllen kann, sondern ihm müssen konkret die Mittel für die - vorrangige - Entrichtung der fälligen Arbeitnehmerbeiträge fehlen (vgl. BGH, B.v. 28.5.2002 - 5 StR 16.02 - juris Rn. 14 ff.; Perron in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 266a Rn. 10). Als Fälle der Unzumutbarkeit kommen im Wesentlichen nur solche in Betracht, in denen die Bezahlung zu einer Gefahr für höchstpersönliche Rechtsgüter des Pflichtigen oder ihm nahestehender Personen führt (vgl. Perron in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 266a Rn. 10).
23
Angesichts des rechtskräftigen Strafbefehls, wonach der Kläger sich nach § 266a Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat, ist davon auszugehen, dass dem Kläger die Zahlung der Beiträge möglich und zumutbar war, auch wenn der Strafbefehl dazu keine ausdrücklichen Feststellungen enthält. Ungeachtet der Frage, inwieweit dem rechtskräftigen Strafbefehl im Gewerbeuntersagungsverfahren überhaupt entgegengetreten werden kann, hat der Kläger darüber hinaus im Zulassungsantrag nicht substantiiert dargelegt, dass ihm nach den vorgenannten Voraussetzungen die Zahlung der Beiträge im jeweiligen Zeitpunkt unmöglich oder unzumutbar gewesen wäre. Diese Umstände sprechen vorliegend dagegen, dass die dem Strafbefehl zugrunde liegenden Feststellungen entsprechend der oben genannten Rechtsprechung und Literatur dem Schutz des § 12 Satz 1 GewO unterfallen und daher nicht zur Begründung der Gewerbeuntersagung herangezogen werden können. Die Frage kann im Ergebnis jedoch offen bleiben.
24
1.2 Der Kläger trägt weiter vor, hinsichtlich der angeblichen Steuerschuld von 4.871,94 Euro am 6. Dezember 2017 habe die Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren keine Rückstandsaufstellung vorgelegt, auch keinen Bescheid des Finanzamts M., aus dem eine solche Schätzung ersichtlich sei. Es habe insofern lediglich ein Telefonat des Sachbearbeiters der Beklagten gegeben. Dies sei kein ausreichender Beweis. Die Beklagte habe aber die Beweislast für die Tatsachen, die die Prognose der Unzuverlässigkeit rechtfertigten.
25
Dieser klägerische Vortrag genügt nicht den Anforderungen an eine hinreichende Substantiierung eines neuen Tatsachenvortrags im Rahmen des Berufungszulassungsverfahrens. Der Kläger hatte den Betrag von 4.871,94 Euro im erstinstanzlichen Verfahren nach Aktenlage nicht bestritten. Zwar sind im Verfahren der Berufungszulassung auch solche Tatsachen zu berücksichtigen, die vom Verwaltungsgericht nur deshalb im Zeitpunkt seiner Entscheidung außer Betracht gelassen wurden, weil sie von den Beteiligten nicht vorgetragen und mangels entsprechender Anhaltspunkte auch nicht von Amts wegen zu ermitteln waren (vgl. BVerwG, B.v. 14.6.2002 - 7 AV 1.02 - juris Rn. 6; OVG NW, B.v. 18.6.2014 - 12 A 898/14 - juris Rn. 13 f.). Werden jedoch neue Umstände vorgetragen, die berücksichtigungsfähig sein könnten, erfordert das Darlegungserfordernis des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO eine substantiierte Darlegung und Glaubhaftmachung der entsprechenden Tatsachen, um dem Berufungsgericht eine summarische Beurteilung zu ermöglichen, ob das noch zuzulassende Rechtsmittel voraussichtlich zum Erfolg führen wird (OVG NW, B.v. 18.6.2014 - 12 A 898/14 - juris Rn. 15 f.).
26
Hierfür genügt es nicht, lediglich darauf hinzuweisen, dass die Annahme der Steuerschuld von 4.871,94 Euro nur auf einem Telefonat eines Mitarbeiters der Beklagten mit dem Finanzamt beruhe. Vielmehr hätte der Kläger im Einzelnen darlegen müssen, warum seine Steuerschuld am 6. Dezember 2017 geringer gewesen sei, als von der Beklagten angenommen; dabei wäre zu berücksichtigen gewesen, dass das Finanzamt bei nicht rechtzeitiger Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen berechtigt und verpflichtet ist (§ 162 Abs. 1 Satz 1 AO) und der Steueranspruch in diesem Fall in der Höhe des aufgrund der Schätzung ermittelten Betrages entsteht und fällig wird (vgl. hierzu BayVGH, B.v 8.5.2015 - 22 C 15.760 - juris Rn. 19; B.v. 2.10.2018 - 22 ZB 18.1841 - juris Rn. 9). Darauf, dass u.U. materiell eine geringere Steuerschuld bestanden hätte, wenn der Kläger Voranmeldungen abgegeben hätte, kommt es daher nicht an. Insoweit ist der Kläger seiner Darlegungspflicht auch mit der Vorlage einer Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2017 im Berufungszulassungsverfahren - die im Übrigen weder datiert noch unterschrieben ist und nicht erkennen lässt, ob sie tatsächlich so beim Finanzamt eingereicht wurde - nicht nachgekommen, auch wenn diese Umsätze für das ganze Jahr von nur 17.394,00 Euro und eine Steuerschuld von lediglich 3.304,86 Euro ausweist. Auch ein später erlassener Steuerbescheid führt insoweit nicht weiter, weil beide Unterlagen im Fall einer aufgrund der Schätzung ursprünglich zu hoch angesetzten Steuer allenfalls Aussagen über nachträglich entstandene Rückerstattungsansprüche, nicht aber über im für die gerichtliche Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses bestehende Steuerschulden enthalten könnten. Auch die vorgelegten Umsatzsteuer-Voranmeldungen sind insoweit unbehelflich, weil diese, soweit sie vorgelegt wurden, dem Finanzamt größtenteils erst in den Jahren 2018 und 2019 übermittelt wurden und insoweit nichts über die Höhe der Steuerschuld im Dezember 2017 aussagen können.
27
1.3 Der Kläger führt weiter aus, selbst wenn am 6. Dezember 2017 eine Steuerschuld in Höhe von 4.871,94 Euro bestanden hätte, könne diese sich nur aus dem Betrag von 1.572 Euro für die Monate April bis Juni 2017 und einem weiteren Betrag von 3.299,94 Euro zusammensetzen. Unter Zugrundelegung dessen, dass laut Mitteilung des Finanzamts M. für die Monate Juli, August, Oktober und November 2017 keine Umsatzsteuererklärungen eingereicht worden seien, müsse für diese Monate jeweils ein Umsatzsteuerbetrag von 824,98 Euro geschätzt worden sein. Dabei sei außer acht gelassen worden, dass die Umsatzsteuer für Oktober und November 2017 am 6. Dezember 2017, also bei Bescheiderlass, noch nicht fällig gewesen sei. Steuerrückstände könnten aber nur dann zur Annahme der gewerblichen Unzuverlässigkeit führen, wenn der Steuerschuldner sie von Rechts wegen bereits hätte zahlen müssen. Von dem Betrag von 4.871,94 Euro müssten daher für die Monate Oktober und November 2017 jeweils 824,98 Euro abgezogen werden, so dass die Steuerschuld allenfalls bei 3.221,98 Euro gelegen habe.
28
Auch damit kann der Kläger nicht durchdringen. Mit Blick darauf, dass es sich auch insoweit um neuen Tatsachenvortrag gegenüber der ersten Instanz handelt, gelten die gleichen Darlegungserfordernisse wie unter 1.2 ausgeführt. Gemessen daran ist hier nicht plausibel dargelegt, dass das Finanzamt bei seinen mündlichen Angaben gegenüber der Beklagten am 6. Dezember 2017 nicht fällige Umsatzsteuerbeträge einbezogen haben sollte. Dagegen spricht schon, dass die in den Behördenakten enthaltene Rückstandsaufstellung des Finanzamts vom 21. September 2019 die Fälligkeit der dort aufgeführten Steuerschulden einzeln auswies. Warum diese bei den späteren Angaben nicht berücksichtigt worden sein sollte, erschließt sich nicht. Darüber hinaus ist nicht nachvollziehbar, dass das Finanzamt bei der Angabe des Rückstandes zum 6. Dezember 2017 jeweils eine Steuerschuld von 824,98 Euro für die Monate Oktober und November 2017 angesetzt haben sollte; es handelt sich insoweit um eine reine Behauptung. Insbesondere wird in dem klägerischen Vortrag außer acht gelassen, dass auch für den Monat September 2017, für den der Kläger bereits eine Umsatzsteuer-Voranmeldung abgegeben hatte, eine Steuerschuld entstanden war, die in dem Gesamtbetrag enthalten gewesen sein dürfte. Ausweislich des im Zulassungsverfahren vorgelegten Ausdrucks der Umsatzsteuer-Voranmeldung für September 2017, die dem Finanzamt am 17. Oktober 2017 übermittelt wurde, war für diesen Zeitraum eine Umsatzsteuer-Vorauszahlung in Höhe von 1.428,94 Euro zu entrichten. Zudem sind im Gesamtbetrag nicht nur Steuerbeträge, sondern auch Säumniszuschläge enthalten, die sich (im Falle der Nichtzahlung) laufend erhöhen.
29
1.4 Der Kläger macht zudem geltend, es sei mit Blick auf das Insolvenzverfahren außer acht gelassen worden, dass der Schuldner nach der Freigabe durch den Insolvenzverwalter einen gewissen Vorfinanzierungsaufwand einkalkulieren müsse, bis die aus der Fortführung des Unternehmens erwirtschafteten Mittel ihm tatsächlich zuflössen. Erst die nach der Freigabe fakturierten Forderungen stünden dem Schuldner zu; bei laufenden Aufträgen, die noch nicht fakturiert seien, sei vom Verwalter und Schuldner eine Leistungsabgrenzung auf den Stichtag des Erklärungszugangs vorzunehmen und sodann getrennt einerseits für die Masse und andererseits für den freigegebenen Geschäftsbetrieb Rechnung zu legen. Die unverzügliche Steuerschätzung bezüglich der Monate April bis Juni 2017 und die Einleitung des Gewerbeuntersagungsverfahrens am 11. September 2017 belegten, dass dem Kläger keine Chance gewährt worden sei, sich nach der Freigabe der selbstständigen Tätigkeit aus der Insolvenz heraus wirtschaftlich zu erholen. Auch habe er nicht die Möglichkeit gehabt, aus einem tatsächlich erwirtschafteten Gewinn pfändbare Beträge an den Insolvenzverwalter abzuführen. Diese Umstände verletzten den Kläger in seinem Grundrecht auf Freiheit der Berufsausübung. Nach einem Urteil des OVG Saarlouis sei die Verwaltungsbehörde bei einer Freigabe durch den Insolvenzverwalter nach § 35 Abs. 2 InsO während der Wohlverhaltensphase gehindert, wegen Schulden, die zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens geführt hätten, an der Annahme ungeordneter Vermögensverhältnisse festzuhalten.
30
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils werden damit nicht begründet. Soweit der Kläger darauf hinaus will, dass das Finanzamt bei der Steuerschätzung für die Monate April bis Juni 2017 von höheren Umsätzen ausgegangen sei, als er sie tatsächlich erzielt habe, und demnach eine zu hohe Umsatzsteuerschuld angenommen habe, legt er nicht substantiiert dar, dass die Rückstandsaufstellung des Finanzamts vom 21. September 2017 fehlerhaft gewesen wäre. Denn zu diesem Zeitpunkt fehlte es an der Übermittlung der Umsatzsteuer-Voranmeldungen für den genannten Zeitraum, so dass das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen nur schätzen konnte und musste (§ 162 Abs. 1 Satz 1 AO); die auf diese Weise ermittelten Steuerschulden sind ebenso zu bezahlen wie im Fall konkreter Angaben des Gewerbetreibenden zu seinen Umsätzen (s.o. 1.2). Dabei kann ein Gewerbetreibender, der die Steuererklärungspflicht verletzt, nicht verlangen, von den Konsequenzen verschont zu bleiben, die das Gesetz an eine solche Pflichtverletzung knüpft (vgl. BayVGH, B.v. 8.5.2015 - 22 C 15.760 - juris Rn. 19). Die im Zulassungsverfahren vorgelegte Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2017 - die im Übrigen weder datiert noch unterschrieben ist und nicht erkennen lässt, ob sie tatsächlich so beim Finanzamt eingereicht wurde - führt insoweit ebenso wie ein Steuerbescheid nicht weiter, weil diese Unterlagen allenfalls Ansprüche auf Rückerstattung ausweisen könnten (s. hierzu schon oben 1.2). Auch die im Zulassungsverfahren vorgelegten Ausdrucke von dem Finanzamt nachträglich übermittelten Umsatzsteuer-Voranmeldungen geben über die Steuerschuld im September 2017 keine Auskunft, zum einen deshalb nicht, weil für April und Mai 2017 derartige Unterlagen nicht vorgelegt wurden, zum anderen, weil die Voranmeldung für Juni 2017 dem Finanzamt erst am 16. November 2018 übermittelt wurde.
31
Soweit der Vortrag dahin zu verstehen sein sollte, dass der Kläger die von ihm angenommene Rechtswidrigkeit der Gewerbeuntersagung damit begründen will, dass man ihm nach der Freigabe der selbstständigen Tätigkeit durch den Insolvenzverwalter mehr Zeit hätte einräumen müssen, um sich wirtschaftlich zu erholen und dabei auch seine Schulden tilgen zu können, bevor man ihm sein Gewerbe hätte untersagen dürfen, begründet dies ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils. Denn es wird schon nicht konkret dargelegt, mit welchen Einnahmen der Kläger nach der Freigabeerklärung hätte rechnen können und inwieweit sich daher eine wirtschaftliche Konsolidierung und Schuldentilgung abgezeichnet hätte. Im Übrigen sind die Fristen zur Abgabe von Umsatzsteuer-Voranmeldungen und die Fälligkeitstermine für die Umsatzsteuervorauszahlungen gesetzlich vorgegeben und von jedem Gewerbetreibenden einzuhalten. Darüber hinaus zeigt die Entwicklung nach Bescheiderlass, dass dem Kläger eine Schuldentilgung bei der Fortführung des Gewerbes während des erstinstanzlichen Verfahrens nicht gelang. Die Beklagte legte im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eine Aufstellung über telefonische Mitteilungen des Finanzamts vor, wonach der Kläger am 18. März 2019 Umsatzsteuerschulden in Höhe von 16.348,78 Euro und am 17. September 2019 in Höhe von 25.659,78 Euro hatte. Soweit der Kläger diese Beträge im erstinstanzlichen Verfahren bestritten hat, fehlte dem die hinreichende Substantiierung. Weiter wurde der Kläger nach den Angaben der Beklagten mit Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 19. März 2019 erneut wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in vier tatmehrheitlichen Fällen zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 40 Euro verurteilt.
32
Der Verweis auf das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 5. Oktober 2016 (1 A 188.15) in Bezug auf die Behandlung von Schulden, die zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens geführt haben, geht in diesem Zusammenhang ins Leere, da vorliegend nicht die Steuerrückstände, sondern die Beitragsschulden bei der AOK zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens geführt haben (s. hierzu schon oben 1.1).
33
1.5 Der Kläger rügt weiter, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass er die Umsatzsteuer-Voranmeldung für den Monat November 2017 nicht fristgerecht abgegeben habe. Diese hätte er erst zum 10. Dezember 2017, somit noch nicht im Zeitpunkt des Bescheiderlasses am 6. Dezember 2017, abgeben müssen. Bei einer Verpflichtung zur vierteljährlichen Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldung wäre der Kläger auch in Bezug auf den Monat Oktober 2017 zum 6. Dezember 2017 nicht zur Abgabe verpflichtet gewesen. Die Beklagte hätte darlegen müssen, ob der Kläger zur monatlichen oder vierteljährlichen Abgabe der Umsatzsteuererklärungen verpflichtet sei. Bei einer vierteljährlichen Abgabepflicht sei die Nichtabgabe für die Monate April bis August 2017, einem Zeitraum von fünf Monaten, keine Tatsache, die die negative Prognose hinsichtlich der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit des Klägers rechtfertige. Dies gelte erst recht, wenn man berücksichtige, dass der Kläger sich nach der Freigabe seiner selbständigen Tätigkeit am 6. April 2017 erst wirtschaftlich habe konsolidieren müssen. Der Kläger sei auch davon ausgegangen, dass er nach der Freigabe erst dann eine Umsatzsteuererklärung hätte abgeben müssen, wenn er auch tatsächlich einen Auftrag hätte fakturieren können, was nach dem 6. April 2017 einige Monate gedauert habe. Dem Kläger könnten nicht gleichzeitig die nicht rechtzeitige Abgabe der Umsatzsteuererklärungen und die geschätzte Steuerschuld vorgeworfen werden.
34
Der Vortrag verhilft dem Kläger im Ergebnis nicht zum Erfolg. Zwar ist anzunehmen, dass die Umsatzsteuer-Voranmeldung für den Monat November 2017 entsprechend dem Klägervortrag nicht vor dem 10. Dezember 2017 abzugeben war (§ 18 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 UStG). In Bezug auf den Monat Oktober 2017 genügt der Kläger seiner Darlegungspflicht im Berufungszulassungsverfahren jedoch nicht, wenn er nur behauptet, dass er möglicherweise nur vierteljährlich zur Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung verpflichtet gewesen wäre. Ob der Voranmeldungszeitraum ein Kalendervierteljahr oder einen Kalendermonat beträgt, richtet sich nach Umständen, die dem Gewerbetreibenden ohne Weiteres bekannt sein dürften und müssen, nämlich zunächst nach dem Zeitpunkt der Aufnahme der gewerblichen Tätigkeit (§ 18 Abs. 2 Satz 4 UStG); liegt dieser länger zurück, ist die Höhe der Steuer für das vergangene Kalenderjahr maßgeblich (§ 18 Abs. 2 Sätze 1 und 2 UStG). Es ist nicht ersichtlich, dass es dem Kläger nicht möglich gewesen wäre, hierzu im Berufungszulassungsverfahren konkrete Angaben zu machen. Seine Aussage, dass er die Voranmeldung für den Monat November 2017 erst am 10. Dezember 2017 hätte abgeben müssen, sowie die Gewerbeanmeldung im Jahr 2016 sprechen im Übrigen für die monatliche Abgabepflicht (§ 18 Abs. 2 Satz 4 UStG), die gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG dazu geführt hätte, dass er die Voranmeldung für Oktober bis zum 10. November 2017 und damit vor Bescheiderlass hätte abgeben müssen.
35
Vor diesem Hintergrund hat das Verwaltungsgericht entgegen dem klägerischen Vortrag zu Recht der Prognose der Unzuverlässigkeit auch den Umstand zugrunde gelegt, dass der Kläger seinen steuerlichen Erklärungspflichten nicht nachgekommen war. Dies betrifft nach den vorstehenden Ausführungen die Monate April bis August und Oktober 2017. Dabei spielt es keine Rolle, inwieweit sich der Kläger nach der Freigabeerklärung durch den Insolvenzverwalter wirtschaftlich konsolidieren musste bzw. inwieweit er Aufträge fakturieren konnte, denn die Verpflichtung zur Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen besteht unabhängig von der Höhe konkreter Forderungen oder Zuflüsse beim Gewerbetreibenden. Für eine Befreiung von der Verpflichtung zur Abgabe der Voranmeldungen nach § 18 Abs. 2 Satz 3 UStG ist hier im Übrigen nichts vorgetragen. Darüber hinaus handelt es sich bei der Nichtabgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen um eine von den Steuerschulden selbst zu trennende Pflichtverletzung, auf die die Prognose der Unzuverlässigkeit neben dem Gesichtspunkt der Steuerschulden gestützt werden kann (vgl. etwa BayVGH, B.v. 1.8.2017 - 22 ZB 16.2192 - juris Rn. 12; Ennuschat in Tettinger/Wank/Ennuschat, GewO, 8. Aufl. 2011, § 35 Rn. 56; zu der Frage, ob die der Prognose der Unzuverlässigkeit zugrunde gelegten Umstände diese insgesamt tragen, s. 1.7).
36
1.6 Weiterhin trägt der Kläger vor, sowohl die Umsatzsteuerschuld von 1.572 Euro als auch von 3.221,98 Euro (s.o. Ziffer 1.3) sei von ihrer absoluten Höhe her und im Verhältnis zur steuerlichen Gesamtbelastung des Klägers nicht von einem Gewicht, das die Prognose der Wahrscheinlichkeit eines künftigen Fehlverhaltens des Klägers rechtfertigen würde. Nach der jüngeren Rechtsprechung begründeten lediglich erhebliche Steuerschulden ab 50.000 Euro oder mehr die Unzuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden (VGH BW GewArch 1991, 112). Das Verwaltungsgericht Würzburg (U.v. 8.10.2014 - W 6 K 14.274) habe eine Gewerbeuntersagung bei einer Steuerschuld von 40.000 Euro für gerechtfertigt befunden. Selbst wenn man 5.000 Euro heranziehen würde, wie es in der Literatur vertreten werde, wäre diese Grenze beim Kläger nicht überschritten. Zudem habe die Steuerschuld von 1.572 Euro lediglich auf einem kurzen Zeitraum von April bis Juni 2017 beruht; die angeblich zum 6. Dezember 2017 fällige Steuerschuld von allenfalls 3.221,98 Euro beziehe sich nur auf die Zeit von April bis August 2017.
37
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sind Steuerrückstände dann geeignet, einen Gewerbetreibenden als unzuverlässig erscheinen zu lassen, wenn sie sowohl ihrer absoluten Höhe nach als auch im Verhältnis zur Gesamtbelastung des Gewerbetreibenden von Gewicht sind (vgl. etwa BVerwG, B.v. 9.4.1997 - 1 B 81/97 - juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 27.1.2014 - 22 BV 13.260 - juris Rn. 16). Darauf hat das Verwaltungsgericht hier zu Recht abgestellt. Der Kläger ist dieser Annahme des Verwaltungsgerichts nicht substantiiert entgegengetreten, indem er etwa Nachweise über entsprechend hohe Umsätze im Jahr 2017 vorgelegt hätte, die die - ihrem absoluten Betrag nach noch eher niedrige - Steuerschuld von 4.871,94 Euro (s. zu diesem vom Kläger bestrittenen Betrag bereits Ziffer 1.2 und 1.3) auch im Verhältnis zu seinen Einnahmen und sonstigen Belastungen gering hätten erscheinen lassen. Vielmehr spricht die im Berufungszulassungsverfahren vorgelegte Steuererklärung für das Jahr 2017, die Umsätze in Höhe von 17.394,00 Euro und eine Steuerpflicht von 3.304,86 Euro ausweist, nicht dafür, dass das Verwaltungsgericht von zu niedrigen Umsätzen ausgegangen wäre, auch wenn die Beträge in der Steuererklärung möglicherweise geringer sind, als das Finanzamt im Jahr 2017 geschätzt hatte. Soweit der Kläger meint, lediglich hohe Schulden von 40.000 oder 50.000 Euro könnten zur gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit führen, steht dies nicht im Einklang mit der vorgenannten Rechtsprechung, die gerade keinen Mindestbetrag von Schulden als Voraussetzung der Unzuverlässigkeit kennt. Dem Einwand, die Schulden seien in einem Zeitraum von wenigen Monaten entstanden, ist zu entgegnen, dass der Kläger das Gewerbe erst seit Februar 2016 betreibt und insoweit nicht auf eine langjährige Erfüllung seiner Steuerpflichten verweisen kann, die u.U. den Zeitraum von April bis Oktober 2017 als geringfügig erscheinen lassen könnte.
38
1.7 Aus den Ausführungen unter 1.2 bis 1.6 folgt, dass das Verwaltungsgericht auch unabhängig von dem Strafbefehl vom 30. Juni 2017 und den ihm zugrunde liegenden Tatsachen im Ergebnis zu Recht von einer negativen Prognose hinsichtlich der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit des Klägers ausgegangen ist. Die Steuerschulden erscheinen - wie unter 1.6 ausgeführt - ihrer Höhe nach im Verhältnis zur Wirtschaftskraft des Gewerbes bereits erheblich. Zudem kann der Kläger kein erfolgversprechendes Sanierungskonzept vorweisen, das es ihm erlauben würde, seine Schulden in einem vertretbaren Zeitraum abzubauen; insbesondere fehlte es an einer Ratenzahlungsvereinbarung mit dem Finanzamt. Hinzu trat, wie unter 1.5 ausgeführt, die Verletzung der steuerlichen Erklärungspflichten. Diese Umstände genügen bereits für die Annahme der Unzuverlässigkeit.
39
Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass sich die von der Beklagten angestellte und vom Verwaltungsgericht nachvollzogene Prognose im Nachhinein dadurch bestätigt hat, dass das Finanzamt der Beklagten telefonisch mitgeteilt hatte, dass der Kläger am 18. März 2019 Rückstände beim Finanzamt in Höhe von 16.348,78 Euro und am 17. September 2019 in Höhe von 25.659,78 Euro hatte. Zudem müssen weitere Schulden in Bezug auf Sozialversicherungsbeiträge bestanden haben, weil der Kläger ausweislich der von der Beklagten im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegten Aufstellung mit Strafbefehl vom 19. März 2019 durch das Amtsgericht München erneut wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in vier tatmehrheitlichen Fällen verurteilt wurde.
40
1.8 Der Kläger rügt weiter, angesichts der Schätzung einer Umsatzsteuerschuld von lediglich 1.572 Euro zum 21. September 2017 sei die Untersagung des Gewerbes weder erforderlich noch geboten. Er habe inzwischen längst seine Umsatzsteuerjahreserklärung 2017 beim Finanzamt M. abgegeben, ein Steuerbescheid für das Jahr 2017 sei erlassen und die Beträge beglichen. Die Gewerbeuntersagung sei unverhältnismäßig. Der Kläger könne in seinem Alter von 62 Jahren keine andere Angestelltentätigkeit mehr finden. Seine Einkünfte aus der gewerblichen Tätigkeit stellten die Existenzgrundlage seiner Familie, mithin seiner Ehefrau und seiner minderjährigen Tochter (geb. 28.6.2011), dar. Auch stehe der Kläger kurz vor der Räumung seiner Wohnung.
41
Der Vortrag macht nicht hinreichend deutlich, inwieweit es in dem konkreten Fall trotz der bestehenden Unzuverlässigkeit ausnahmsweise geboten sein könnte, von der Gewerbeuntersagung abzusehen. Dabei müsste es sich nach der Rechtsprechung zu den gesetzlichen Anforderungen der Gewerbeordnung entsprechenden Untersagungsverfügungen um einen extremen Ausnahmefall handeln, der unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten ein Abweichen von der vom Gesetzgeber vorgesehenen Regelfolge erfordern würde (vgl. BayVGH, B.v. 24.10.2012 - 22 ZB 12.853 - juris Rn. 26; BVerwG, B.v. 9.3.1994 - 1 B 33/94 - juris Rn. 3). Der Senat verkennt nicht, dass der Kläger und seine Familie sich zwischenzeitlich wohl in einer wirtschaftlichen Notlage befinden. Die wirtschaftliche Lage des Klägers sowie seine Unterhaltsverpflichtungen können aber keine Rechtfertigung dafür bieten, ihn als gewerberechtlich unzuverlässigen Gewerbetreibenden weiterhin am Geschäftsverkehr teilnehmen zu lassen und dadurch das Vermögen anderer sowie die Forderungen öffentlich-rechtlicher Gläubiger zu gefährden. Ihm ist vielmehr zuzumuten, sich trotz seines Alters um eine abhängige Beschäftigung zu bemühen und auf diese Weise den Lebensunterhalt seiner Familie zu sichern (vgl. BayVGH, B.v. 24.10.2012 - 22 ZB 12.853 - juris Rn. 26). Auf die Frage, ob der Kläger zwischenzeitlich seiner Steuererklärungs- und -entrichtungspflicht für 2017 nachgekommen ist, kommt es dabei nicht an, weil dies nichts an der festgestellten Unzuverlässigkeit bezogen auf den Zeitpunkt des Bescheiderlasses ändert. Vorliegend ist auch zu berücksichtigen, dass die wirtschaftliche Notlage offenbar trotz der Fortführung des Gewerbes durch den Kläger eingetreten ist, so dass ohnehin fraglich erscheint, ob der Kläger bei einer weiteren Fortführung des Gewerbes überhaupt in der Lage wäre, dadurch den Lebensunterhalt seiner Familie zu decken.
42
1.9 Soweit der Kläger schließlich rügt, aus den genannten Gründen sei auch die gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit nicht gegeben und zudem unverhältnismäßig, kann er ebenfalls nicht durchdringen.
43
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzt eine erweiterte Gewerbeuntersagung zum einen voraus, dass Tatsachen vorliegen, die die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in Bezug auf eine Ausweichtätigkeit dartun („gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit“). Diese ist bei steuerlichen Pflichtverletzungen und ungeordneten Vermögensverhältnissen gegeben (vgl. BVerwG, B.v. 2.2.1982 - 1 C 17.79 - juris Rn. 27; U.v. 15.4.2015 - 8 C 6.14 - juris Rn. 17), wovon das Verwaltungsgericht hier im Ergebnis zu Recht ausgegangen ist. Die gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit ergibt sich aus der Verletzung steuerlicher Erklärungs- und -entrichtungspflichten (s.o. 1.7). Zum anderen muss die erweiterte Gewerbeuntersagung erforderlich sein, weil eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für ein Ausweichen des Gewerbetreibenden besteht. Dabei folgt die Wahrscheinlichkeit der anderweitigen Gewerbeausübung schon daraus, dass der Gewerbetreibende trotz Unzuverlässigkeit an seiner gewerblichen Tätigkeit festgehalten hat. Die erweiterte Gewerbeuntersagung ist daher insoweit schon dann zulässig, wenn keine besonderen Umstände vorliegen, die es ausschließen, dass der Gewerbetreibende das andere Gewerbe in Zukunft ausübt (vgl. BVerwG, B.v. 2.2.1982 - 1 C 17.79 - juris Rn. 29; U.v. 15.4.2015 - 8 C 6.14 - juris Rn. 17). Auch dies hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen; der Kläger hat dem nichts entgegengesetzt.
44
Mit seiner Rüge, die erweiterte Gewerbeuntersagung sei unverhältnismäßig, legt der Kläger nicht dar, dass die diesbezügliche Beurteilung des Verwaltungsgerichts unzutreffend sei. Es gelten hier die gleichen Erwägungen wie unter 1.8.
45
2. Der Kläger meint schließlich, die Berufung sei auch wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Das Erstgericht habe die Frage der Unzuverlässigkeit nicht ausreichend differenzierend gewürdigt.
46
Der geltend gemachte Zulassungsgrund ist damit bereits nicht ordnungsgemäß dargelegt, denn es wurde keine Rechtsfrage formuliert, die über den Einzelfall hinausgehend für eine Vielzahl von Fällen klärungsbedürftig wäre (zum Darlegungserfordernis s. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 72).
47
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus § 47, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. der Empfehlung in Nr. 54.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
48
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).