VG München, Urteil v. 20.02.2020 – M 27 K 19.5805
Titel:
Zulassung zur staatlichen Ergänzungsprüfung ist zu gewähren
Normenketten:
NotSanG § 32 Abs. 3 S. 1
NotSan-APrtV § 5 Abs. 3, § 16 Abs. 4, § 18 Abs. 3
Schlagworte:
Staatliche Ergänzungsprüfung zum Notfallsanitäter, Mündlicher und praktischer Prüfungsteil, Bewertung von Themenbereichen der mündlichen Prüfung, Fehlende Mitwirkung der Vorsitzenden des Prüfungsausschusses, Fehlerhafte Besetzung des Prüfungsausschusses, Zulosung von Prüfungsaufgaben, staatliche Ergänzungsprüfung, Notfallsanitäter, Berufsbezeichnung, Regierung, Leistungen
Fundstelle:
BeckRS 2020, 10665
Tenor
I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt. Der Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom 27. Februar 2019 und 2. Mai 2019, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Oktober 2019, verpflichtet, den Kläger zur staatlichen Ergänzungsprüfung nach § 32 Abs. 2 Satz 1 NotSanG als Erstprüfung zuzulassen.
II. Der Kläger und der Beklagte tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen die Bewertung einer beim Beklagten abgelegten mündlichen und praktischen Prüfung im Rahmen der staatlichen Ergänzungsprüfung zum Notfallsanitäter als „nicht bestanden“.
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Der … geborene Kläger, der seit dem … März 2009 die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Rettungsassistent“ besitzt, hatte sich 2018 beim Beklagten zur Ablegung einer staatlichen Ergänzungsprüfung zum Notfallsanitäter gemäß § 32 Abs. 2 Notfallsanitätergesetz (NotSanG) angemeldet und war, nachdem er hierzu einen Weiterbildungslehrgang besucht hatte, zu dieser Prüfung zugelassen worden.
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Die Regierung von Oberbayern (Regierung) bestellte mit Schreiben vom 13. Dezember 2018 an die Berufsfachschule für Notfallsanitäter des Bayerischen Roten Kreuzes in B. (Berufsfachschule) den Prüfungsausschuss für das Jahr 2019 für diese Berufsfachschule. Als stellvertretende Vorsitzende des Prüfungsausschusses wird darin u.a. Frau MedDin Dr. W. genannt, als Fachprüfer für den mündlichen Teil der Ergänzungsprüfung in zwei der dort genannten drei Themenbereiche sowie als weiterer Fachprüfer u.a. der Leiter der Berufsfachschule, Herr Th. M.; letzterer ist unter der Rubrik „2. Beauftragter der Schulverwaltung“ nicht aufgeführt.
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Am … Februar 2019 unterzog sich der Kläger erstmals den mündlichen und praktischen Prüfungsteilen (im Folgenden: Erstprüfung), wobei die mündliche Prüfung aus drei Themenbereichen besteht, während in der praktischen Prüfung zwei Fallbeispiele geprüft werden. Zwei Themenbereiche der mündlichen Prüfung bestand der Kläger ebenso nicht wie ein Fallbeispiel der praktischen Prüfung. In der Niederschrift zu dieser Prüfung hatten in den beiden vom Kläger nicht bestandenen Themenbereichen der mündlichen Prüfung jeweils zwei Prüfer mit ihrer Unterschrift das Nichtbestehen bestätigt; eine Unterschrift der Prüfungsvorsitzenden Dr. W. ist dort nicht eingetragen; diese hatte als Prüfungsvorsitzende auf der ersten Seite dieser Niederschrift ihre Unterschrift unter die Feststellung „Der mündliche Teil der Prüfung wurde nicht bestanden. Der praktische Teil der Prüfung wurde nicht bestanden. Damit wurde die staatliche Prüfung insgesamt nicht bestanden“ gesetzt (B. 289 ff. d. Behördenakte - BA).
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Mit Bescheid vom 27. Februar 2019 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er die mündliche und praktische Prüfung nicht bestanden habe. Er habe die Möglichkeit, die Prüfung zu wiederholen, sofern er zuvor an einem weiteren mindestens 24-stündigen umfassenden fachpraktischen Unterricht teilgenommen habe.
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Der Kläger erhob mit Schreiben vom … März 2019, bei der Beklagten eingegangen am 26. April 2019, gegen diesen Bescheid Widerspruch.
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Am … April 2019 unterzog sich der Kläger erneut den genannten mündlichen und praktischen Prüfungsteilen (im Folgenden: Wiederholungsprüfung), wobei die mündliche Prüfung wiederum aus drei Themenbereichen, die praktische Prüfung hingegen diesmal nur aus einem Fallbeispiel bestand, da der Kläger in der ersten Prüfung ein Fallbeispiel bestanden hatte. In beiden Prüfungsteilen bestand der Kläger erneut die Prüfung nicht. In der Niederschrift zu dieser Prüfung bestätigen wiederum nur zwei Prüfer mit ihrer Unterschrift das Nichtbestehen der beiden Themenbereiche des mündlichen Prüfungsteils, nicht jedoch die Prüfungsvorsitzende Dr. W.; Diese bestätigte wiederum (undatiert) auf der ersten Seite der Niederschrift das Nichtbestehen der beiden Prüfungsteile sowie der staatlichen Prüfung insgesamt (Bl. 274 ff. d. BA).
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Mit Bescheid vom 2. Mai 2019 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er die mündliche und praktische Prüfung erneut und damit die staatliche Prüfung insgesamt nicht bestanden habe. Eine weitere Wiederholungsmöglichkeit gebe es für ihn nicht.
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Der Kläger erhob mit Schreiben vom „… März 2019“, bei der Beklagten eingegangen am 21. Mai 2019, auch gegen diesen Bescheid Widerspruch und begründete diesen mit mehreren Einwänden zum Prüfungsverlauf und zur Bewertung der von ihm gegebenen Antworten und gezeigten Leistungen. Er sei Rettungsassistent mit langjähriger Berufserfahrung und Ausbilderqualifikation.
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Am … Mai 2019 ließ er von seinen damaligen Bevollmächtigten erneut gegen diese Bescheide Widerspruch erheben und diese mit Schreiben jeweils vom … Juni 2019 inhaltlich begründen. Der jetzige Bevollmächtigte des Klägers trug mit Schreiben vom *. August 2019 ergänzend zur Widerspruchsbegründung vor, die Zulosung der Fallbeispiele am Prüfungstag stelle einen erheblichen Verfahrensfehler dar. Auch werde vorsorglich gerügt, dass der Prüfungsausschuss nicht ordnungsgemäß bestellt worden sei. Dieser formale Mangel betreffe die Erstprüfung sowie die Wiederholungsprüfung. Ferner habe in der Prüfung am … Februar 2019 ein Fachprüfer namens „A.“ teilgenommen, dessen händische Namensangabe nicht lesbar sei und sich ein Fachprüfer mit diesem oder einem ähnlichem Namen nicht in der Bestellung des Prüfungsausschusses befinde. Deshalb werde die Teilnahme eines Prüfers, der nicht Fachprüfer entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen sei, gerügt. Zudem ergebe sich aus den Niederschriften zu Prüfung nicht, dass die Prüfungsausschussvorsitzende an der Bewertung der Prüfungen mitgewirkt habe.
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Mit Schreiben vom 22. und 23. Mai, 3. Juli, 29. August sowie vom 24. und 28. Oktober 2019 nahmen die jeweiligen Fachprüfer Stellung zu den vom Kläger vorgebrachten - auch inhaltlichen - Einwänden und bestätigten im Wesentlichen ihre jeweils abgegebene Bewertung der vom Kläger gezeigten Prüfungsleistungen.
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Die Regierung gewährte dem Kläger bezüglich der Erstprüfung mit Schreiben vom 8. August 2019 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, nachdem sie zuvor mit Schreiben vom 18. Juni 2019 ihm mitgeteilt hatte, dass sein Widerspruch zur Erstprüfung nicht fristgerecht eingelegt und damit verfristet sei. Ferner übersandte sie dem Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 29. August 2019 u.a. einen Abdruck des Bestellungsschreibens der Regierung vom 13. Dezember 2018 zum Prüfungsausschuss 2019. Der Bevollmächtigte teilte der Regierung mit Schreiben vom 1. Oktober 2019 mit, dass an den Widersprüchen festgehalten werde; die Besetzung des Prüfungsausschusses werde nicht weiter gerügt. Mit Schreiben vom 9. Oktober 2019 teilte die Regierung dem Bevollmächtigten des Klägers mit, zwar habe er eingewandt, dass ein Fachprüfer namens „A.“ teilgenommen habe, wobei die händische Namensangabe nicht klar lesbar sei, und ein solcher Fachprüfer in der Bestellung des Prüfungsausschusses nicht erkennbar gewesen sei. Aufgrund seines Sachvortrags im Schreiben vom 1. Oktober 2019 gehe die Regierung aber nunmehr davon aus, dass sich dieser Einwand auf Grund der Bekanntgabe der Mitglieder des Prüfungsausschusses erledigt habe. Der Bevollmächtigte teilte der Regierung darauf hin mit Schreiben vom 30. Oktober 2019 mit, dass der Einwand hinsichtlich der Fachprüferin „A.“ nicht aufrechterhalten bleibe.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2019, den Bevollmächtigten des Klägers mit Postzustellungsurkunde am 31. Oktober 2019 zugestellt, wies die Regierung die Widersprüche des Klägers als zulässig, jedoch unbegründet zurück. Zur Begründung wiederholte sie im Wesentlichen hinsichtlich der Einwände des Klägers zur Bewertung seiner Antworten und praktischen Leistungen in der Erstprüfung sowie in der Wiederholungsprüfung die Ausführungen in den Stellungnahmen der jeweiligen Fachprüfer. Ferner führte sie aus, die monierte Zulosung von Prüfungsaufgaben stelle keinen Verfahrensfehler dar, da die Auswahl der Fallbeispiele durch den Vorsitzenden des Prüfungsausschusses auf Vorschlag der zuständigen Berufsfachschule noch im Vorfeld der staatlichen Ergänzungsprüfung dadurch erfolge, dass ein Pool von Fallaufgaben (Aufgabenpool) generiert werde; aus diesem Aufgabenpool wähle die Berufsfachschule dann jeweils die Fallbeispiele für den mündlichen und praktischen Teil der staatlichen Ergänzungsprüfung aus. Das sei gesetzlich nicht ausgeschlossen. Der Einwand gegen die Zusammenstellung des Prüfungsausschusses sei von Seiten des Klägerbevollmächtigten laut Schreiben vom 1. Oktober 2019 nicht mehr verfolgt worden. Die Zusammensetzung des Prüfungsausschusses sei ordnungsgemäß erfolgt. Zudem sei eine zwingende Abnahme der Prüfung durch den Prüfungsausschussvorsitzenden gesetzlich nicht vorgeschrieben. Dieser sei berechtigt, an der mündlichen Prüfung teilzunehmen, Prüfungsfragen zu stellen und die mündliche Prüfung abzunehmen, hierzu jedoch gesetzlich nicht verpflichtet.
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Am … November 2019 ließ der Kläger beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage erheben und zuletzt sinngemäß hauptsächlich beantragen,
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unter Aufhebung der Bescheide des Beklagten vom 27. Februar 2019 und 2. Mai 2019, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Oktober 2019, diesen zu verpflichten, ihn zur staatlichen Ergänzungsprüfung nach dem Notfallsanitätergesetz als Erstprüfung und als Wiederholungsprüfung zuzulassen.
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Zur Begründung lässt er im Wesentlichen ausführen, sowohl die mündliche Erstprüfung als auch die mündliche Wiederholungsprüfung leide an formalen Mängeln, die hinsichtlich der Prüfungsbewertung nicht unbeachtlich seien. Insbesondere habe die Prüfungsvorsitzende nicht an der Bewertung der jeweiligen Themenbereiche mitgewirkt. Außerdem sei der Prüfungsausschuss deshalb fehlerhaft besetzt gewesen, da der Schulleiter rechtswidrig als Fachprüfer tätig geworden sei. Der Kläger habe im Widerspruchsverfahren nicht auf den Einwand der fehlerhaften Bestellung des Prüfungsausschusses verzichtet, sondern nur auf den Einwand, dass der Name eines bestimmten Prüfers nicht leserlich gewesen sei. Ferner habe es bei den mündlichen und praktischen Prüfungen inhaltliche Bewertungsfehler gegeben. In einer praktischen Prüfung sei es u.a. zu irregulären Prüfungsbedingungen aufgrund eines kurzfristig eingesprungenen Teampartners gekommen. In den praktischen Prüfungsteilen seien entgegen der gesetzlichen Bestimmungen Prüfungsaufgaben zugelost worden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung verweist er auf die Gründe des streitgegenständlichen Widerspruchsbescheids und führt ergänzend im Wesentlichen aus, solange die Mindestzahl der Prüfer erreicht werde, stehe einer Bestellung des Schulleiters als Fachprüfer nichts entgegen. Es sei auch gesetzlich nicht erforderlich, den Schulleiter in dieser Funktion als Mitglied des Prüfungsausschusses zu bestellen.
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In der mündlichen Verhandlung am 20. Dezember 2019 nahm der Bevollmächtigte des Klägers die zunächst hauptsächlich gestellten Anträge auf Verpflichtung des Beklagten, die Ergänzungsprüfung des Klägers (Erst- und Wiederholungsprüfung) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bewerten, zurück.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachstandes wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Soweit die Klage in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen wurde, war das Verfahren nach § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
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Die im Übrigen zulässige Klage ist begründet. Soweit der Beklagte es dem Kläger verwehrt, die staatliche Ergänzungsprüfung zum Notfallsanitäter erneut als Erstprüfung (und damit bei Nichtbestehen auch erneut als Wiederholungsprüfung) abzulegen, sind die Bescheide des Beklagten vom 27. Februar 2019 und 2. Mai 2019, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Oktober 2019, rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Dieser hat einen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Zulassung zu dieser Ergänzungsprüfung als Erstprüfung (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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1. Grundlage für die Durchführung der streitgegenständlichen Prüfung als Erst- und Wiederholungsprüfung ist § 32 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über den Beruf der Notfallsanitäterin und des Notfallsanitäters (Notfallsanitätergesetz v. 22.5.2013, BGBl. I S. 1348, zul. geänd. d.G.v. 14.12.2019, BGBl. I S. 2768 - NotSanG) in Verbindung mit der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter (v. 16.12.2013, BGBl. I S. 4280, zul. geänd. d.G.v. 15.8.2019, BGBl. I S. 1307 - NotSan-APrV). Gemäß § 32 Abs. 2 Satz 1 NotSanG erhält eine Person, die eine mindestens fünfjährige Tätigkeit als Rettungsassistent nachweist, beim Vorliegen weiterer Voraussetzungen nach diesem Gesetz die Erlaubnis, u.a. die Berufsbezeichnung „Notfallsanitäter“ zu führen, wenn sie innerhalb von zehn Jahren nach Inkrafttreten dieses Gesetzes die staatliche Ergänzungsprüfung besteht. Diese Prüfung umfasst gemäß § 4 Abs. 3 NotSan-APrV einen mündlichen und einen praktischen Teil und ist gemäß § 10 Satz 1 NotSan-APrV dann bestanden, wenn jeder dieser Prüfungsteile bestanden ist.
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Der mündliche Teil der Ergänzungsprüfung erstreckt sich gemäß § 18 Abs. 1 NotSan-APrV auf drei Themenbereiche, die gemäß § 18 Abs. 3 Satz 1 NotSan-APrV von mindestens zwei Fachprüfern abgenommen und benotet werden. Nach Abs. 3 Satz 3 dieser Bestimmung ist dieser Prüfungsteil dann erfolgreich abgeschlossen, wenn die Fachprüfer jeden Themenbereich gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Prüfungsausschusses übereinstimmend mit „bestanden“ bewertet haben. Demgegenüber erstreckt sich der praktische Teil der Ergänzungsprüfung nach § 19 Abs. 1 Satz 1 NotSan-APrV auf zwei vorgegebene Fallbeispiele. Auch jedes dieser Fallbeispiele wird von mindestens zwei Fachprüfern abgenommen und bewertet (§ 19 Abs. 2 Satz 1 NotSan-APrV). Der praktische Teil der Ergänzungsprüfung ist dann erfolgreich abgeschlossen, wenn die Fachprüfer jedes Fallbeispiel übereinstimmend mit „bestanden“ bewerten (§ 19 Abs. 2 Satz 2 NotSan-APrV). Im Unterschied zum mündlichen Teil der Ergänzungsprüfung ist bei der Bewertung der Fallbeispiele als „bestanden“ eine Mitwirkung des Vorsitzenden des Prüfungsausschusses in § 19 NotSan-APrV nicht vorgesehen.
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2. Bei der Bewertung von Prüfungsleistungen steht den Prüfern grundsätzlich ein Bewertungsspielraum zu, der gerichtlich nur begrenzt überprüfbar ist (hierzu grundlegend BVerfG, B.v. 17.4.1991 - 1 BvR 419/81 u.a. - BVerfGE 84, 34 - juris Rn. 53 ff.; B.v. 17.4.1991 - 1 BvR 1529/84 u.a. - BVerfGE 84, 59 - juris Rn. 65 ff.). Jedoch haben die Gerichte u.a. zu prüfen, ob die Prüfer anzuwendendes Recht einschließlich der Verfahrensvorschriften verkannt haben (vgl. BVerwG, U.v. 9.12.1992 - 6 C 3.92 - BVerwGE 91, 262 - juris Rn. 24 ff.). Ansonsten aber ist es den Gerichten verwehrt, ihre Bewertung an die Stelle der Prüfer zu setzen.
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Ergibt sich, dass die Bewertung einer regulär erbrachten Leistung fehlerhaft ist, ist grundsätzlich eine Neubewertung der Prüfungsleistung geboten. Allerdings scheidet ein solcher Anspruch auf Neubewertung dann aus, wenn es sich um eine mündliche oder, wie hier, eine Prüfung handelt, die aus einem mündlichen und einem praktischen Prüfungsteil besteht, weil für eine erneute Bewertung der erbrachten Leistung wegen der seit der Prüfung vergangenen Zeit keine verlässliche Bewertungsgrundlage mehr vorhanden ist. Allenfalls auf einen Anspruch auf Wiederholung dieser Prüfung könnte sich der Betroffene im Falle eines Bewertungsfehlers berufen (vgl. BayVGH, B.v. 3.2.2014 - 7 ZB 13.2221 - juris Rn. 7, m.w.N.). Leidet das Verfahren zur Ermittlung der Kenntnisse und Fähigkeiten des Prüflings unter Mängeln, so ist die Prüfung oder der betroffene Prüfungsteil zu wiederholen, da eine unter irregulären Bedingungen erbrachte Leistung nicht bewertbar ist (vgl. Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 500).
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3. Unter Heranziehung dieses Maßstabs begegnet die Bewertung der Erst- und Wiederholungsprüfung des Klägers jeweils insgesamt als „nicht bestanden“ aufgrund von beachtlichen Verfahrensfehlern rechtlichen Bedenken.
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3.1. Sowohl in der mündlichen Prüfung des Klägers im Rahmen seiner Erstprüfung am … Februar 2019 als auch in der mündlichen Wiederholungsprüfung am … April 2019 sind diejenigen Themenbereiche, die der Kläger jeweils nicht bestanden hatte, nur von den jeweils beiden Fachprüfern als „nicht bestanden“ gewertet worden. Aus den Niederschriften zu diesen mündlichen Prüfungen ergibt sich nicht, dass die von der Regierung mit Schreiben vom 13. Dezember 2018 als stellvertretende Prüfungsvorsitzende bestellte Frau MedDin Dr. W. an der jeweiligen Bewertung der Prüfungsleistungen des Klägers zu diesen Themenbereichen teilgenommen und mitgewirkt hat. Das ist vom Beklagten auch nicht vorgetragen worden. Sein Einwand, eine zwingende Abnahme der Prüfung durch die Prüfungsausschussvorsitzende sei nicht vorgeschrieben, wie sich dies aus dem Umkehrschluss zu § 18 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 16 Abs. 4 Satz 2 NotSan-APrV ergebe, ist hingegen unbehelflich. Nach § 16 Abs. 4 Satz 2 NotSan-APrV ist der Vorsitzende des Prüfungsausschusses berechtigt, sich an der mündlichen Prüfung zu beteiligen und dabei selbst Prüfungsfragen zu stellen. Auf diese Bestimmung nimmt § 18 Abs. 3 Satz 2 NotSan-APrV Bezug. Im hierauf anschließenden Satz 3 von § 18 Abs. 3 NotSan-APrV ist jedoch geregelt dass der mündliche Teil der Ergänzungsprüfung dann erfolgreich abgeschlossen ist, wenn die Fachprüfer jeden Themenbereich „gemeinsam mit dem oder der Vorsitzenden des Prüfungsausschusses“ übereinstimmend mit „bestanden“ bewerten. Demgegenüber regelt der auf § 16 Abs. 4 Satz 2 NotSan-APrV folgende dortige Satz 3, dass der Vorsitzende des Prüfungsausschusses „im Benehmen mit den Fachprüfern“ aus den Noten der Fachprüfer die Note für den jeweiligen Themenbereich bildet. Nach § 16 Abs. 4 Satz 4 NotSan-APrV bildet der Vorsitzende des Prüfungsausschusses (anschließend) die Note für den mündlichen Teil der Prüfung aus dem arithmetischen Mittel der für jeden Themenbereich erteilten Einzelnote.
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Auf § 16 Abs. 4 Satz 3 und 4 NotSan-APrV nimmt § 18 Abs. 3 Satz 2 NotSan-APrV nicht Bezug. Vielmehr regelt § 18 Abs. 3 Satz 3 NotSan-APrV eine besondere und insbesondere von den Bestimmungen in § 16 Abs. 4 Satz 3 und 4 NotSan-APrV abweichende Vorgehensweise und Einbindung des Prüfungsausschussvorsitzenden im Rahmen der staatlichen Ergänzungsprüfung zur Bewertung der einzelnen Themenbereiche bei der mündlichen Prüfung. Ein „Umkehrschluss“ aus § 18 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 16 Abs. 4 Satz 2 NotSan-APrV ist hinsichtlich dieser besonderen Vorgehensweise und Einbindung nicht veranlasst, insbesondere deshalb nicht, weil § 16 Abs. 4 Satz 2 NotSan-APrV diese Vorgehensweise und Einbindung gerade nicht betrifft, sondern (nur) die Berechtigung des Prüfungsausschussvorsitzenden regelt, sich an der mündlichen Prüfung zu beteiligen und dort selbst Prüfungsfragen zu stellen. Im Gegenteil ergibt ein Umkehrschluss aus der Bestimmung in § 19 Abs. 2 Satz 2 NotSan-APrV, die eine Beteiligung des Prüfungsausschussvorsitzenden bei der Bewertung der jeweiligen Fallbeispiele im Rahmen der praktischen Prüfung gerade nicht vorsieht, dass es dem Verordnungsgeber auf die in § 18 Abs. 3 Satz 3 NotSan-APrV gesondert und besonders geregelte Mitwirkung des Prüfungsausschussvorsitzenden an der Bewertung einzelner Themenbereiche im Rahmen der mündlichen Prüfung besonders angekommen ist.
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Da Frau MedDin Dr. W. an der Bewertung der jeweiligen Themenbereiche nicht mitgewirkt hat, sondern jeweils lediglich (abschließend, zum Teil undatiert) die Feststellung getroffen hat, dass der mündliche Teil der Prüfung nicht bestanden wurde, liegt ein beachtlicher Verfahrensfehler vor. Dieser führt im vorliegenden Fall nicht nur zum Anspruch des Klägers auf Wiederholung des mündlichen Prüfungsteils, sondern auf Wiederholung der staatlichen Ergänzungsprüfung insgesamt als Erstprüfung. Dies ergibt sich daraus, dass § 10 Satz 1 NotSan-APrV die staatliche Ergänzungsprüfung als bestanden regelt, wenn jeder Prüfungsteil bestanden ist. Die Kammer geht davon aus, dass der Verordnungsgeber damit von einer einheitlichen Prüfungsbewertung als insgesamt „bestanden“ oder „nicht bestanden“ ausgegangen ist und in § 10 NotSan-APrV lediglich zugunsten des Klägers die von ihm in der Erstprüfung bestandenen Fallbeispiele der praktischen Prüfung als hinsichtlich der Wiederholungsprüfung bestandene und deshalb nicht zu wiederholende Prüfungsteile angesehen hat.
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3.2. Aus diesem Grund kann offenbleiben, ob die Bestellung des Schulleiters Th. M. als Fachprüfer ebenfalls zu einem beachtlichen Verfahrensmangel wegen Rechtswidrigkeit der Bestellung des Prüfungsausschusses 2019 geführt hat (vgl. hierzu - wohl bejahend - OVG NW, U.v. 14.3.2019 - 14 A 3800/18 - juris Rn. 41: „Schulleiter als notwendiges zweites Mitglied des Prüfungsausschusses“ u. Rn. 42: „Dass der Vorsitzende und der Schulleiter nicht zugleich Fachprüfer sein können, sondern vielmehr neben den Fachprüfern im Prüfungsausschuss vertreten sein müssen,(…)“). Nach Auffassung der Kammer hat der Kläger im Widerspruchsverfahren nicht wirksam auf diese Rüge verzichtet. Auch die Regierung ist jedenfalls im Schreiben vom 9. Oktober 2019 an den Bevollmächtigten des Klägers (nur) davon ausgegangen, dass sich der Einwand der Unlesbarkeit eines Prüfernamens mit der Bekanntgabe der Mitglieder des Prüfungsausschusses erledigt habe. Der Bevollmächtigte des Klägers hatte diesen Hinweis am 30. Oktober 2019 bestätigt. Ebenso kann offenbleiben, ob die Vergabe der Prüfungsaufgaben an den Kläger eine gesetzeswidrige Zulosung von Prüfungsaufgaben im Sinne der eben genannten Rechtsprechung (a.a.O., Rn. 47 ff.) darstellt. Aus Sicht der Kammer sprechen aber unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung sowohl für eine Rechtswidrigkeit der Bestellung des Schulleiters Th. M. und damit für eine Rechtswidrigkeit der Bestellung des Prüfungsausschusses insgesamt als auch für eine Rechtswidrigkeit der Vergabe der Prüfungsaufgaben aus einem Aufgabenpool als „Zulosung“ beachtliche Gründe.
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4. Aus diesen Gründen ist die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO im ursprünglichen Hilfsantrag, der in der mündlichen Verhandlung hauptsächlich gestellt wurde, während der ursprüngliche Hauptantrag dort zurückgenommen wurde, erfolgreich und der Beklagte im beantragten Umfang zur Zulassung des Klägers zur Staatlichen Ergänzungsprüfung zu verpflichten.
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Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.