Inhalt

FG München, Urteil v. 13.03.2019 – 7 K 3219/18
Titel:

Anwendung der Gewerbesteuerbefreiungsvorschrift

Normenketten:
GewStG § 2 Abs. 2, § 3 Nr. 20 Buchst. d
KStG § 8 Abs. 2
EStG § 18 Abs. 1
GG Art. 3
SGB VIII § 22 Abs. 1
EGAO Art. 12 Nr. 1 Buchst. c
Kroatien-AnpG Art. 5 Nr. 2 Buchst. b des
SGB XI § 15
Schlagwort:
Gewerbesteuer
Fundstellen:
EFG 2019, 992
LSK 2019, 8157
BeckRS 2019, 8157
DStRE 2019, 1209

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

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Die Klägerin ist eine am 3.6.2015 gegründete Kapitalgesellschaft in der Rechtsform einer Unternehmergesellschaft (UG) mit einem Stammkapital von 500 €. Gegenstand des Unternehmens ist laut Handelsregister „Betrieb … von Kindertagespflege …“. Sie wird beim beklagten Finanzamt (FA) steuerlich geführt.
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Für das Geschäftsjahr vom 1.6.2015 bis 31.12.2015 hat die Klägerin gemäß dem eingereichten Jahresabschluss Umsatzerlöse in Höhe von 44.651 € und einen Gewinn von 7.601 € erzielt. In der Gewerbesteuererklärung erklärte sie einen Gewerbeertrag von 0 Euro und gab an, dass für sie die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 20 Buchst. d Gewerbesteuergesetz (GewStG) „parallel“ anzuwenden sei, da ihre Einkünfte lediglich aufgrund der Gesellschaftsform nach § 8 Abs. 2 KStG in gewerbliche Einkünfte umqualifiziert würden. Im Gewerbesteuermessbescheid vom 13.1.2017 legte das FA einen Gewerbeertrag in Höhe von 7.758 € ohne Berücksichtigung der Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 20 Buchst. d GewStG der Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags zugrunde. Dagegen erhob die Klägerin Einspruch wegen der Nichtberücksichtigung der Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 20 Buchst. d GewStG. Sie brachte vor, dass es sich bei den Einrichtungen zur Pflege von pflegebedürftigen Personen ebenfalls grundsätzlich um eine selbstständige Tätigkeit gemäß § 18 Einkommensteuergesetz (EStG) handle, die bei einer Körperschaft in eine gewerbliche Tätigkeit umqualifiziert werde. Nach § 3 Nr. 20 Buchst. d GewStG sei diese Tätigkeit von der Gewerbesteuer befreit, die Intention des Gesetzgebers sei die sozialpolitische Förderung dieser Einrichtungen. Die Steuerbefreiung müsse auch für die Betreuung und Pflege von Kindern angewendet werden, da die Pflege bzw. Betreuung von Kindern der Betreuung von pflegebedürftigen Personen gleichstehe und die zusätzliche Gewerbesteuerbelastung eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 3 Grundgesetz (GG) darstellen würde. Die Stadt X trage die Kosten der Kindertagesbetreuung, die Kostenerstattungen seien in der Buchführung als Umsatzerlöse erfasst.
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Der Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 12.11.2018).
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Dagegen richtet sich die Klage, mit der die Klägerin ihr Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren wiederholt. Ergänzend trägt sie vor, dass die Unterstützung junger Familien eine Aufgabe des Staates sei, insbesondere die Betreuung und die Förderung der Kleinkinder von berufstätigen Eltern unter der Prämisse, Familie und Beruf zu vereinbaren. Die Kinderbetreuung sollte für junge Familien realisierbar und vor allem bezahlbar sein. Daher müssten Einrichtungen, die entsprechende Leistungen anbieten, zumindest steuerlich begünstigt werden, um die Kosten der Einrichtungen zu senken und somit die Betreuungsvergütungen für junge Familien ebenfalls zu minimieren.
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Die Klägerin beantragt,
unter Änderung des Gewerbesteuermessbescheids 2015 vom 13.01.2017 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 12.11.2018 den Gewerbesteuermessbetrag auf 0 Euro herabzusetzen.
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Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen. Da die Klägerin offensichtlich weder eine Einrichtung zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen noch eine Einrichtung zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen oder eine Einrichtung zur ambulanten oder stationären Rehabilitation im Sinne des § 3 Nr. 20 Buchst. d GewStG ausübe, komme eine Steuerbefreiung nach dieser Vorschrift nicht in Betracht. Bei der Definition der in § 3 Nr. 20 Buchst. d GewStG verwendeten Begriffe sei auf die im Sozialgesetzbuch enthaltenen Begriffsbestimmungen zurückzugreifen. Die Kindertagespflege werde nach § 22 Abs. 1 SGB VIII von einer geeigneten Tagespflegeperson in ihrem Haushalt oder im Haushalt des zu betreuenden Kindes geleistet. Eine Tageseinrichtung oder Kindertagespflege habe demnach einen Förderauftrag der Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes und bezieht sich auf die soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung des Kindes. § 3 Nr. 20 Buchst. d GewStG umfasse dagegen nur die Betreuung kranker und pflegebedürftiger Personen. Da beide Bereiche nicht miteinander vergleichbar sein, sei nicht ersichtlich, warum die Nichtanwendung der Steuerbefreiung auf die Klägerin eine Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG darstellen soll.
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Auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 13. März 2019 wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist unbegründet. Das FA hat zu Recht die Anwendung der Gewerbesteuerbefreiungsvorschrift nach § 3 Nr. 20 GewStG abgelehnt.
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1. Nach § 3 Nr. 20 GewStG sind Krankenhäuser, Altenheime, Altenwohnheime, Pflegeheime, Einrichtungen zur kurzzeitigen oder ambulanten Pflege sowie Rehabilitationseinrichtungen sind von der Gewerbesteuer befreit, wenn die Einrichtungen bestimmte in Buchstabe genannte Voraussetzungen erfüllen. Die Vorschrift bezweckt, die bestehenden Versorgungsstrukturen bei der Behandlung kranker und pflegebedürftiger Personen zu verbessern und die Sozialversicherungsträger von Aufwendungen zu entlasten (Bundesfinanzhof - BFH - Urteil vom 22.10.2003 I R 65/02, Bundessteuerblatt - BStBl - II 2004, 300). § 3 Nr. 20 GewStG, eingeführt durch Art. 12 Nr. 1 Buchst. c des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO) v. 14.12.1976 (Bundesgesetzblatt - BGBl - I 1976, 3341), galt zunächst nur für Krankenhäuser, Altenheime, Altenwohnheime und Altenpflegeheime. Art. 3 des 2. Kapitels des Gesetzes zur Neufassung des Umsatzsteuergesetzes und zur Änderung anderer Gesetze v. 26.11.1979 (BGBl. I 1979, 1953) hat die Begünstigung auf Pflegeheime erweitert. Art. 13 Nr. 2 Buchst. c Doppelbuchst. cc des Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes v. 21.12.1993 (BGBl. I 1993, 2310) dehnte die Befreiung auf Kurzzeitpflegeeinrichtungen und Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen aus. Art. 5 Nr. 2 Buchst. b des Kroatien-AnpG v. 25.07.2014 (BGBl. I 2014, 1266 = BStBl. I 2014, 1126) hat ab 2015 zusätzlich Einrichtungen zur ambulanten Rehabilitation in die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 20 GewStG aufgenommen und ihre Voraussetzungen zusammen mit den Einrichtungen zur stationären Rehabilitation in einem neuen Buchst. e geregelt. § 3 Nr. 20 GewStG befreit damit Einrichtungen für die medizinische und die pflegende Versorgung von Menschen. Die ambulante ist der stationären Versorgung im Laufe der Zeit weitgehend gleichgestellt worden (BFH v. 25.01.2017 - I R 74/14, BStBl. II 2017, 650; vgl. zusammenfassend Sarrazin in Lenski/Steinberg, GewStG, 125. Lieferung 10.2018, § 3 GewStG Rz. 492 f.).
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2. Die von der Klägerin betriebene Kindertagespflegeeinrichtung umfasst die Betreuung und Förderung von Kleinkindern, insbesondere von berufstätigen Eltern. Unstreitig werden von ihr keine kranken oder pflegebedürftigen Personen betreut. Die dem Sozialrecht entlehnten Begriffe des § 3 Nr. 20 GewStG sind nach sozialrechtlichen Maßstäben auszulegen (BFH-Urteil vom 09.09.2015 X R 2/13, BStBl II 2016, 286). Der Begriff der Pflegebedürftigkeit ist in § 14 des Sozialgesetzbuches (SGB) Elftes Buch (XI) definiert. Pflegebedürftig im Sinne dieser Vorschrift sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Es muss sich um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, und mit mindestens der in § 15 SGB XI festgelegten Schwere bestehen. Diese Voraussetzungen sind bei den von der Klägerin betreuten Kindern nicht erfüllt.
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3. Auch unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten ist eine Befreiung der Klägerin von der Gewerbesteuer nicht geboten. Der Gesetzgeber hat den ihm bei der Entscheidung, welche Sachverhalte, Personen oder Unternehmen mit einer steuerlichen Verschonungsregelung gefördert werden sollen, zustehenden Gestaltungsspielraum (vgl. z.B. Urteil des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 20.04.2004 1 BvR 905/00, BVerfGE 110, 274) nicht dadurch überschritten, dass er die von der Klägerin betriebene Einrichtung nicht in den Anwendungsbereich des § 3 Nr. 20 GewStG einbezogen hat. Der Zweck dieser Befreiungsvorschrift ist es lediglich, die Pflege und Betreuung kranker und älterer Menschen zu fördern und die bestehenden Versorgungsstrukturen bei der Behandlung kranker und pflegebedürftiger Personen zu verbessern und die Sozialversicherungsträger von Aufwendungen zu entlasten (BFH-Urteile vom 22.06.2011 I R 43/10, BFHE 233, 551, BStBl II 2011, 892; vom 22.06.2011 I R 59/10, BFH/NV 2012, 61; vom 22.10.2003 I R 65/02, BFHE 204, 278, BStBl II 2004, 300; s.a. die Gesetzesbegründung zu § 3 Nr. 20 Buchst. d GewStG a.F. in BT-Drucks 12/5764, S. 43). Da die von der Klägerin betriebene Einrichtung mit den in § 3 Nr. 20 GewStG genannten Einrichtungen in keiner Weise vergleichbar ist, braucht auf die Frage nicht eingegangen zu werden, ob die Nichtbefreiung von Betreuungseinrichtungen für Kinder eine unter Gleichheitsgesichtspunkten zulässige Differenzierung darstellt. Ob es dem Zweck der Gewerbesteuerbefreiung des § 3 Nr. 20 GewStG steuerpolitisch entspricht, auch Einrichtungen zur Kinderbetreuung zu erfassen, ist ohne Bedeutung (BFH-Urteil in BFHE 251, 59, BStBl II 2016, 286).
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Aus diesem Grund kommt auch eine analoge Anwendung der Regelung des § 3 Nr. 20 Buchst. d GewStG auf unter das GewStG fallende Einrichtungen zur Kindertagesbetreuung nicht in Betracht. Zwar gehört zu den anerkannten Regeln der Gesetzesanwendung auch im Steuerrecht, unbewusste und planwidrige Gesetzeslücken durch Gesetzes- oder Rechtsanalogie zu schließen (BFH-Urteil vom 16.04.2002 VIII R 50/01, BFHE 199, 105, BStBl II 2002, 575 m.w.N.). Denn angesichts des klaren Gesetzeszwecks, die Pflege und Betreuung kranker und älterer Menschen zu fördern und angesichts der aufgezeigten schrittweisen gesetzgeberischen Erweiterung der Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 20 GewStG kann eine unbewusste und planwidrige Gesetzeslücke ausgeschlossen werden.
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4. Ob die von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit der Kindertagespflege, wie von ihr geltend gemacht, dem Grunde nach eine selbstständige Tätigkeit nach § 18 Abs. 1 EStG darstellt und nur wegen ihrer Rechtsform als Kapitalgesellschaft der Gewerbesteuer unterliegt, kann offenbleiben. Auch wenn man dies bejahen wollte, könnte die Klägerin daraus nicht die Befreiung von der Gewerbesteuer oder eine andere Begünstigung herleiten, denn nach ständiger Rechtsprechung des BFH stellt die Entscheidung des Gesetzgebers, die Tätigkeit jeder Kapitalgesellschaft als gewerblich anzusehen (§ 2 Abs. 2 GewStG), keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG dar (BFH-Beschluss vom 03.12.2003 IV B 192/03, BFHE 204, 290, BStBl II 2004, 303). Die gegen diese Entscheidungen eingelegten Verfassungsbeschwerden wurden nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG-Beschluss vom 21.03.1977 1 BvR 1/77, HFR 1977, Nr. 264, und vom 23.12.1977 1 BvR 715/77, HFR 1978, Nr. 78).
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.