Inhalt

SG Landshut, Beschluss v. 06.05.2019 – S 11 AY 38/19 ER
Titel:

Aufenthaltsverlängerung durch unterlassene Rückkehr

Normenketten:
AsylbLG § 2 Abs. 1
AsylG § 55 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 4 Abs. 1, § 50 Abs. 1, Abs. 2, § 58 Abs. 1, § 60a Abs. 2
Leitsätze:
1. Unter rechtsmissbräuchlicher Selbstbeeinflussung der Aufenthaltsdauer versteht § 2 Abs. 1 AsylbLG nach Auffassung der Kammer auch eine von der Rechtsordnung missbilligte, subjektiv vorwerfbare Aufenthaltsverlängerung durch unterlassene Rückkehr in das für das Asylverfahren eigentlich zuständige Land. (Rn. 21)
2. § 2 AsylbLG bietet keine Grundlage für einen Ausschluss von Analogleistungen auf Dauer. (Rn. 34)
Schlagworte:
Aufenthaltsdauer, Aufenthaltsverlängerung, kein Ausschluss von Analogleistungen, unterlassene Rückkehr in das Asylverfahren, Abschiebungsanordnung, Anordnungsanspruch, Anordnungsgrund, Asylantrag, aufschiebende Wirkung, Ausreisepflicht, Unterkunft, Verwaltungsakt, Selbstbeeinflussung, Rückkehr
Fundstelle:
BeckRS 2019, 7687

Tenor

I. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vom 16.04.2019 wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.
1
Gegenstand des Eilverfahrens sind sog. Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in entsprechender Anwendung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe (SGB XII).
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Der 1992 geborene Antragsteller ist nigerianischer Staatsangehöriger. Er reiste am 05.11.2016 über Italien und die Schweiz in die Bundesrepublik Deutschland ein. Der Antragsteller ist seit dem 28.11.2016 dem Landkreis R. mit Wohnsitz in einer Gemeinschaftsunterkunft zugewiesen. Seitdem bezieht der Antragsteller vom Antragsgegner Leistungen nach § 3 AsylbLG.
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Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 08.02.2017 wurde der Antrag des Antragstellers auf Asyl als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung nach Italien angeordnet. Im Bescheid wurde der Antragsteller auf die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise hingewiesen. Am 20.02.2017 erhob der Antragsteller Klage vor dem Verwaltungsgericht Regensburg gegen die ablehnende Entscheidung sowie die Abschiebungsanordnung und beantragte außerdem die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage.
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Mit Beschluss vom 09.03.2017 lehnte das Verwaltungsgericht Regensburg den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ab. Die Abschiebungsanordnung wurde demgemäß ab 09.03.2017 vollziehbar. Nachdem die Überstellungsfrist nach Italien, die bis zum 09.09.2017 lief, abgelaufen war, wurde das Asylverfahren des Antragstellers in das nationale Verfahren übergeleitet. Mit Bescheid vom 23.10.2017 lehnte das BAMF erneut den Antrag auf Asyl ab. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger abermals Klage vor dem Verwaltungsgericht Regensburg. Eine Entscheidung liegt bislang noch nicht vor.
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Mit Schreiben vom 19.02.2019 beantragte der Antragsteller beim Antragsgegner Analogleistungen nach § 2 AsylbLG. Mit Bescheid vom 15.03.2019 wurde der Antrag auf Analogleistungen mit der Begründung des Rechtsmissbrauchs abgelehnt. Der Kläger habe die Überstellung nach Italien vereitelt. Mit Schreiben vom 12.04.2019 legte der Kläger Widerspruch ein, über den bisher nicht entschieden wurde.
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Mit seinem Antrag vom 16.04.2019 auf einstweiligen Rechtsschutz hat sich der Antragsteller, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, an das Sozialgericht Landshut gewandt. Eine für den 05.09.2017 vorgesehene Überstellung des Antragstellers nach Italien habe nicht durchgeführt werden können, weil der Antragsteller nicht in der Unterkunft angetroffen worden sei. Der Antragsteller habe die Überstellung nach Italien nicht vereitelt. Er sei schlicht zum Zeitpunkt der beabsichtigten Abschiebung nicht in der Unterkunft gewesen. Er habe weder die Tür seines Zimmers mit einem Kühlschrank versperrt, noch sei er aus dem Fenster geflohen.
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Der Antragsteller beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm ab 16.04.2019 vorläufig Leistungen gemäß § 2 AsylbLG zu gewähren.
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Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
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Es liege schon keine Eilbedürftigkeit vor, nachdem der Antragsteller uneingeschränkte Leistungen gemäß § 3 AsylbLG in Höhe von monatlich 320,14 EUR beziehe. Auch ein Anordnungsanspruch bestehe nicht. Es sei dem Polizeibericht zu entnehmen, dass der Antragsteller am Tag der versuchten Abschiebung nach Italien sich durch einen Sprung aus dem Fenster des Nachbarzimmers der Abschiebung entzogen habe. Dem Antragsteller sei bekannt gewesen, dass er die Bundesrepublik verlassen müsse, entweder im Wege der Abschiebung oder durch freiwillige Ausreise. Eine freiwillige Ausreise sei nicht erfolgt. Der Antragsteller habe sich der Abschiebung entzogen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf die Akte des Gerichts und die beigezogene Akte des Antragsgegners verwiesen.
II.
11
Der zulässige Antrag ist als Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung statthaft, aber unbegründet.
12
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 15.03.2019.
13
Der Antragsteller hat aktuell keinen Anspruch auf Analogleistungen nach § 2 AsylbLG.
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Maßgebend für die Bestimmung, in welcher Weise vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz zu gewähren ist, ist der im Hauptsacheverfahren statthafte Rechtsbehelf. Das Rechtsschutzziel des Antragstellers besteht darin, Analogleistungen zu erhalten. Richtige Klageart im Hauptsacheverfahren wäre eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach §§ 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4, 56 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Antragsteller strebt eine Erweiterung seiner Rechtsposition an; daher ist eine einstweilige Anordnung in Form einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft.
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Der Antrag auf eine einstweilige Anordnung ist auch zulässig, denn der angefochtene Ablehnungsbescheid vom 15.03.2019 ist aufgrund des Widerspruchs nicht bestandskräftig geworden.
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Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer so genannten Regelungsanordnung ist, dass ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG, § 920 Abs. 1 und 2 ZPO). Der Anordnungsanspruch bezieht sich auf den materiell-rechtlichen Anspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, also auf ein subjektives öffentliches Recht des Antragstellers. Er entspricht dem Streitgegenstand des Hauptsacheverfahrens. Der Anordnungsgrund bezieht sich auf die Eilbedürftigkeit; er liegt bei einer Regelungsanordnung vor, wenn die Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist. Der Antragsteller muss also darlegen, welche Nachteile zu erwarten sind, wenn er auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens verwiesen wird. Er muss auch plausibel vortragen, dass er keine anderen zumutbaren Möglichkeiten hat, die Nachteile einstweilen zu vermeiden oder zu kompensieren. Die dem Anordnungsanspruch und dem Anordnungsgrund zu Grunde liegenden Tatsachen müssen glaubhaft gemacht werden, wobei als Beweismittel auch eine eidesstattliche Versicherung möglich ist (§ 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO)). Hinsichtlich des Beweismaßes genügt also überwiegende Wahrscheinlichkeit, verbleibende Zweifel sind unschädlich (Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 86 b Rn. 415).
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Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung, die sich in der Regel aus der Eilbedürftigkeit ergibt (Anordnungsgrund).
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Vorliegend fehlt es an einem glaubhaften Anordnungsanspruch auf ungekürzte Leistungen nach § 2 AsylbLG.
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Leistungsberechtigt nach § 2 Abs. 1 AsylbLG sind Antragsteller, die sich über 15 Monate ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und ihre Aufenthaltsdauer nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.
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Vorliegend war bereits das Verbleiben in Deutschland bzw. die fehlende freiwillige Ausreise rechtsmissbräuchlich. Das Unterlassen der Ausreise war auch ursächlich für die Dauer des Aufenthaltes. Auf die Frage, ob der Antragsteller sich der Abschiebung durch Flucht entzogen hat, kommt es schon nicht an.
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Unter rechtsmissbräuchlicher Selbstbeeinflussung der Aufenthaltsdauer versteht § 2 Abs. 1 AsylbLG nach Auffassung der Kammer auch eine von der Rechtsordnung missbilligte, subjektiv vorwerfbare Aufenthaltsverlängerung durch unterlassene Rückkehr in das für das Asylverfahren eigentlich zuständige Land. Neben Italien kommt vorliegend noch die Schweiz in Frage, wo der Antragsteller nach eigenen Angaben ebenfalls einen Asylantrag gestellt hatte. Ein vorwerfbares Fehlverhalten kann grundsätzlich auch im Verweilen im Bundesgebiet liegen (Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 17. September 2018 - L 8 AY 13/18 B ER -).
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1. Die Rechtsordnung verlangt von Ausländern für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet einen Aufenthaltstitel in Form eines Visums, einer Aufenthalts- oder einer Niederlassungserlaubnis (§ 4 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG)). Einem Asylsuchenden sind die Einreise und der Aufenthalt im Inland außerdem grundsätzlich bis zur Feststellung der Asylberechtigung auch ohne die erforderlichen Dokumente zu gewähren. § 55 Asylgesetz (AsylG) schafft dafür die gesetzliche Grundlage in Form eines besonderen kraft Gesetzes entstehenden Aufenthaltsrechts für den rechtmäßigen Aufenthalt eines Asylbewerbers im Inland zur Durchführung des Asylverfahrens. Gemäß § 55 Abs. 1 S. 1 AsylG ist einem Ausländer, der um Asyl nachsucht, zur Durchführung des Asylverfahrens der Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet (Aufenthaltsgestattung) (BeckOK AuslR/ Neundorf, 21. Ed. 1.2.2019, AsylG § 55 Rn. 1). Wer über keines der oben genannten Aufenthaltsrechte (mehr) verfügt, ist unverzüglich oder bis zum Ablauf einer ihm gesetzten Frist zur Ausreise verpflichtet (§ 50 Abs. 1 und 2 AufenthG). Kommt er dem nicht nach, ist die Ausreise zwangsweise durchzusetzen: Der Ausländer wird abgeschoben (§ 58 Abs. 1 AufenthG). Ist das aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich, wird die Abschiebung vorübergehend ausgesetzt (Duldung, § 60a Abs. 2 AufenthG).
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2. Der Antragsteller war seit der ablehnenden Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Regensburg (Beschluss vom 09.03.2017) über den Antrag auf aufschiebende Wirkung nicht mehr Inhaber einer Aufenthaltsgestattung und auch nicht Inhaber einer Duldung. Die Klage gegen die Abschiebungsanordnung hatte keine aufschiebende Wirkung (vgl. § 75 Abs. 1 AsylG).
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a) Mit der Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG am 09.03.2017 erlosch die Aufenthaltsgestattung (§ 67 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 AslyG). § 67 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 erfasst demnach Fälle, in denen der Aufenthalt von Ausländern zunächst infolge der ersten Asylantragstellung gestattet wurde trotz Einreise aus einem Mitgliedsstaat im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin-III-VO). § 34a AsylG ermächtigt das BAMF im Fall der Ablehnung wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedsstaates für die Durchführung des Asylverfahrens nach der Dublin-III-VO dazu, sogleich die Abschiebung des Ausländers in einen sicheren Drittstaat bzw. den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat anzuordnen. Zu beachten ist außerdem, dass von den Dublin-Staaten alle EU-Mitgliedstaaten sowie von den Nicht-EU-Mitgliedstaaten Norwegen und die Schweiz zugleich sichere Drittstaaten iSd § 26a sind (vgl. Art. 16a Abs. 2 S. 1 und 2 GG sowie § 26a Abs. 2 iVm Anlage I zu § 26a, BeckOK AuslR/Pietzsch, 21. Ed. 1.8.2018, AsylG § 34a Rn. 3b).
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b) Der Antragsteller wurde auch bis zum Ablauf der Überstellungsfrist nicht geduldet. Da die Abschiebungsanordnung nach 34a AsylG, für die wiederum allein das Bundesamt zuständig ist, erst erlassen werden kann, wenn „feststeht“, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann, obliegt es insoweit auch dem Bundesamt zu prüfen, ob inlandsbezogene Abschiebungshindernisse der Abschiebung entgegenstehen (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 1795/14 -). Das Bundesamt hat daher bei seiner Entscheidung, ob es nach § 34a Abs. 1 die Abschiebung anordnet, auch Duldungsgründe iSv § 60a Abs. 2 AufenthG zu prüfen (BeckOK AuslR/Pietzsch, 21. Ed. 01.08.2018, AsylG § 34a Rn. 14a m. w. N.).
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3. Nach dieser Konzeption widerspricht der weitere Inlandsaufenthalt des ausreisepflichtigen Antragstellers der Rechtsordnung. Die Pflicht selbstständig auszureisen, sei es auch unter Mithilfe des Antragsgegners, bestand ab dem 09.03.2017 für sechs Monate.
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Wer diese Pflicht vorwerfbar nicht befolgt, handelt rechtsmissbräuchlich. Vorwerfbar in diesem Sinne ist es regelmäßig, wenn der Ausländer nicht ausreist, obwohl ihm das möglich und zumutbar wäre. Diese Interpretation des Begriffs „rechtsmissbräuchlich“ in § 2 Abs. 1 AsylbLG wird durch die Gesetzesmaterialien bestätigt. Danach sollen nur diejenigen Ausländer Leistungen nach § 2 AsylbLG erhalten, „die unverschuldet nicht ausreisen können“ (BT-Drucks 15/420, S. 121). Dazu zählt nicht, wer der Ausreisepflicht nicht nachkommt, obwohl das sowohl tatsächlich und rechtlich möglich als auch zumutbar ist (BSG, Urteil vom 08. Februar 2007, - B 9b AY 1/06 R -). Soweit das BSG alleine die fehlende Ausreise nicht als rechtsmissbräuchlich ansah (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 - B 8/9b AY 1/07 R -), bezog sich diese Rechtsprechung auf Inhaber von Duldungen. Der Antragsteller war nicht Inhaber einer Duldung (siehe 2. b)). Objektive Hinderungsgründe an der Ausreise sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
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4. Der Verbleib in Deutschland trotz der Ausreisepflicht ist dem Antragsteller auch subjektiv vorwerfbar. Zunächst war dem Antragsteller die Pflicht zur Ausreise bekannt, nachdem sich diese bereits aus den Entscheidungen des BAMF und des Verwaltungsgerichts ergab.
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a) Dem Antragsteller war die Ausreise in die Schweiz oder nach Italien auch persönlich zumutbar. Nach Überzeugung der Kammer bestanden 2017 in Italien keine systemischen Schwachstellen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 der Dublin-III-VO. Die Abschiebung nach Italien war nicht etwa wegen einer dort drohenden unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK unmöglich (so jedoch SG Lüneburg, Beschluss vom 06. Juni 2017 - S 26 AY 10/17 ER -). Zur Begründung wird auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 09.03.2017 verwiesen (ebenso OVG Lüneburg, Urteil vom 04. April 2018 - 10 LB 96/17 -).
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Darüber hinaus geht die Kammer davon aus, dass Abschiebungshindernisse grundsätzlich im Verwaltungsverfahren und letztlich von den Verwaltungsgerichten zu prüfen sind. Eine inzidente Prüfung im Leistungsrecht scheidet schon aus (formelle Betrachtungsweise).
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b) Sonstige berechtigten Interessen des Antragstellers zum Verbleib in Deutschland trotz Ausreisepflicht sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Berechtigte Interessen sind Gründe, die einer freiwilligen Ausreise entgegenstehen (z.B. Reiseunfähigkeit, humanitäre oder familiäre Gesichtspunkte, Integration). Bei nicht zu vertretenden Gründen, die einer freiwilligen Ausreise entgegenstehen, wäre eine Rechtsmissbräuchlichkeit zu verneinen (vgl. Oppermann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 2 AsylbLG 1. Überarbeitung, Rn. 64). Alleine die Durchführung der Hauptsache vor dem Verwaltungsgericht erfordert jedenfalls keinen Aufenthalt in Deutschland. Die Klage bleibt zulässig. Weder die Unzulässigkeitserklärung des Asylantrags noch die Abschiebungsanordnung erledigen sich durch eine Ausreise. Nach § 43 Abs. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Erledigung in anderer Weise im Sinne dieser Vorschrift tritt ein, wenn die mit dem Verwaltungsakt verbundene rechtliche oder sachliche Beschwer nachträglich weggefallen ist. Dies ist jedenfalls solange nicht der Fall, wie der mit einer behördlichen Maßnahme erstrebte Erfolg noch nicht endgültig eingetreten ist. Der zwangsweise Vollzug eines Verwaltungsakts führt nicht stets schon für sich genommen zu einer Zweckerreichung. Im vorliegenden Fall hätte nach einer Ausreise sowohl die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig, als auch die Abschiebungsanordnung insoweit noch Regelungswirkung entfaltet, als sie nach wie vor die Rechtsgrundlage für die Abschiebung des Klägers gebildet hätten (vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 27. Juni 2014 - 13 K 654/14.A -, m. w. N.).
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Nachdem kein Anordnungsanspruch vorliegt, kommt es auf den Anordnungsgrund nicht an.
33
Der Antrag war abzulehnen.
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Ergänzend ist darauf hingewiesen, dass § 2 AsylbLG keine Grundlage für einen Ausschluss von Analogleistungen auf Dauer bietet. Anknüpfend an seine Entscheidung vom 09.02.2010 zur Unvereinbarkeit der Regelleistungen nach dem SGB II hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 18.07.2012 darauf hingewiesen, dass „jedenfalls für die in § 2 Abs. 1 AsylbLG vorgesehene Dauer von mittlerweile vier Jahren des Leistungsbezugs und folglich auch einem eventuell längerem Aufenthalt (es) nicht mehr gerechtfertigt (ist), von einem kurzen Aufenthalt mit möglicherweise spezifisch niedrigerem Bedarf auszugehen“. Hieraus ergibt sich sehr deutlich, dass eine pauschale Leistungsabsenkung von (mehr als) vier Jahren für alle Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG bei nicht rechtsmissbräuchlichem Verhalten nicht mehr verfassungsgemäß ist (vgl. Oppermann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 2 AsylbLG 1. Überarbeitung, Rn. 20). Nach hiesiger Auffassung ist die zumutbare Dauer der pauschalen Leistungsabsenkung im jeweiligen Einzelfall zu prüfen. Der Antragsteller wohnt weiterhin in einer Gemeinschaftsunterkunft. Erhebliche Teile der Bedarfe werden demgemäß durch Sachleistungen erbracht. Gesonderte Bedarfe sind weder vorgetragen, noch ersichtlich. Das gerichtliche Verfahren wegen des Asylverfahrens ist noch nicht abgeschlossen. Der Gesetzgeber geht in § 3 AsylbLG pauschalierend von einer abweichenden Bedarfssituation aus, weil die Leistungsberechtigten noch keine Perspektive auf einen Daueraufenthalt haben, sondern sich der Aufenthalt in Deutschland bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Asylverfahrens als nur vorläufig darstellt. Im vorliegenden Einzelfall geht die Kammer daher davon aus, dass der Antragsteller bis zum Abschluss des gerichtlichen Verfahrens, indem über den Antrag auf Asyl entschieden wird, keine Perspektive auf einen Daueraufenthalt in Deutschland hat. Die aktuelle pauschale Absenkung ist daher rechtmäßig. Das Gericht musste daher nicht mehr prüfen, ob dem Antragsteller gegebenenfalls weitere Rechtsmissbräuche im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG vorzuwerfen sind.
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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.