Inhalt

FG Nürnberg, Urteil v. 21.02.2019 – 6 K 719/18
Titel:

Unterliegen der Versorgungsleistungen an die Stifter dem Kapitalertragssteuerabzug

Normenkette:
EStG § 20 Abs. 1 Nr. 1, § 32d Abs. 1 S. 4 und 5, § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 7a
Leitsätze:
Versorgungsleistungen, die eine Stiftung aus den Erträgen ihres Stiftungsvermögens an ihre Stifter erbringt, sind jedenfalls dann mit Gewinnausschüttungen wirtschaftlich vergleichbar, wenn die Stifter unmittelbar oder mittelbar Einfluss auf das Ausschüttungsverhalten der Stiftung nehmen können. Denn dann sind sie als „hinter der Stiftung stehende Personen“ anzusehen, weil sie ähnlich einem Gesellschafter die Erträge aus dem einst hingegebenen Kapital erhalten und ähnlich einem Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung Einfluss auf die Verwendung der Erträge der Stiftung und letztlich auch auf deren Vermögen nehmen können (vgl. BFH I R 98/09 vom 03.11.2010).
Keine Gewinnausschüttung, sondern eine nicht steuerbare Einlagenrückgewähr liegt allerdings dann vor, wenn die Versorgungsleistungen nicht aus den Erträgen des Stiftungsvermögens, sondern aus der Substanz des eingebrachten Grundstockvermögen erbracht werden. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Kapitaleinkünfte
Fundstellen:
EFG 2020, 1610
BeckRS 2019, 7581
LSK 2019, 7581

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1
Streitig ist, ob Versorgungsleistungen an die Stifter dem Kapitalertragsteuerabzug unterliegen.
2
Die Ehegatten A und B errichteten mit notariell beurkundetem Stiftungsgeschäft vom 24.11.2010 die Klägerin, eine nicht gemeinnützige, rechtsfähige Stiftung bürgerlichen Rechts, mit Sitz in 1, und bestellten sich selbst auf Lebenszeit und C zu Mitgliedern des Stiftungsvorstands.
3
Zweck der Klägerin ist:
- Die Versorgung des Stifterehepaares A und B,
- die finanzielle Unterstützung ihrer beiden Söhne, D und E sowie der Tochter von D, F, und ggf. weiterer Enkel des Stifterehepaares,
- und das Halten von Beteiligungen, insbesondere an der V. GmbH (GmbH), bis zu deren Veräußerung und bei Stimmenmehrheit die Lenkung und Leitung dieser Unternehmen.
4
Die Stifter statteten die Klägerin mit einem Grundstockvermögen aus, das sich aus einem Geldbetrag in Höhe von 20.000,00 €, den Geschäftsanteilen an der GmbH im Nennbetrag von 25.000,00 €, mehreren Anteilen an verschiedenen Fonds-Gesellschaften und den mit diesen Vermögensgegenständen im Zusammenhang stehenden Verbindlichkeiten zusammensetzte.
5
Die Vermögensausstattung erfolgte nach Abschnitt VI des Stiftungsgeschäfts unter dem Vorbehalt und der Auflage, dass die Klägerin an die Stifter auf Lebenszeit in der Stiftungssatzung (Satzung) geregelte Versorgungsleistungen erbringt.
6
Die von den Stiftern geschaffene Satzung enthielt folgende Regelungen:
㤠2
Stiftungszweck, Verwendung der Stiftungsmittel
(1) Zweck der Stiftung ist: (…).
(2) Zur Verwirklichung des Stiftungszwecks wird im Einzelnen folgendes festgelegt:
a) Halten von Beteiligungen:
Die Stiftung hält sämtliche in ihrem Grundstockvermögen vorhandenen Beteiligungen, Geschäftsanteile und sonstige Vermögensanlagen, insbesondere sämtliche Geschäftsanteile an der GmbH in 1.
Sie nimmt, soweit sie Gesellschafter ist, die Rechte als Gesellschafter wahr. (…). Gewinnausschüttungen sind zu beschließen, wenn und soweit dies die Ertragslage auch unter dem Gesichtspunkt der nachhaltigen Existenzsicherung zulässt. (…).
Aus den beschlossenen Ausschüttungen und aus ggf. unterjährig bereits erfolgten Vorabentnahmen sind in erster Linie die von der Stiftung übernommen Verbindlichkeiten vereinbarungsgemäß zurückzuführen.
Darüber hinaus ist jährlich für den Zeitraum von 4 Jahren ein Betrag in Höhe von jährlich 62.500,00 € dem Grundstockvermögen der Stiftung als zusätzliche Risikovorsorge zuzuführen, erstmals für das Jahr 2011, insgesamt also über einen Zeitraum von 4 Jahren hinweg ein Betrag in Höhe von 250.000,00 €.
Die danach verbleibenden Erträge des Stiftungsvermögens sind, wie nachstehend unter b) im einzelnen aufgeführt, für die Versorgung der begünstigten Personen zu verwenden, nachdem etwaige sonst bei der Stiftung auflaufende Kosten wie Fondskosten und Verwaltungskosten beglichen sind.
b) Versorgung der Stifter und ihrer Abkömmlinge:
Aus den zur Versorgung zur Verfügung stehenden Beträgen sind für die Destinatäre folgende Leistungen zu erbringen:
aa) Versorgungszusagen:
aaa) Versorgungszusagen für die Stifter:
Bei den nachfolgenden Leistungen nach aaa) handelt es sich um vorbehaltene Versorgungsleistungen. Die Einbringung des Stiftungsvermögens steht unter der Auflage, dass diese vorbehaltenen Versorgungsleistungen auf Lebenszeit an die Stifter erbracht werden.
Die Stifter A und B erhalten jeder eine monatliche Rente in Höhe von 3.000,00 € (W) ab 01.01.2011. (…).
Zusätzlich zu den vorgenannten Beträgen erhalten die Stifter A und B den jeweils für sie zu zahlenden Betrag für die private Krankenversicherung (…). Ferner erhalten die Stifter A und B die für die derzeit bestehende Unfallversicherung erforderlichen Geldbeträge (…).
bbb) Versorgungszusagen für die Söhne der Stifter
Hierzu wird vorab festgelegt, dass sämtliche nachstehend genannten Zahlungen unter bbb), ccc), ddd), bb), cc) und dd) an die begünstigten Personen (Destinatäre) der Stiftung grundsätzlich immer unter einem sogenannten Ausschüttungsvorbehalt stehen.
Die nachgenannten Zahlungen haben also nur zu erfolgen, wenn aus den Stiftungserträgen unter Berücksichtigung der vorstehend unter a) aufgeführten Kriterien entsprechende Ausschüttungsbeträge und Erträge zur Verfügung stehen. (…).
Die beiden Söhne der Ehegatten A+B, E und D erhalten ab dem 01.07.2012 einen monatlichen Geldbetrag in Höhe von je 1.500,00 € (W). (…).
Zusätzlich erhält jeder der beiden einen Geldbetrag in Höhe der von ihm zu leistenden Krankenversicherung und der bestehenden Unfallversicherung (…).
Zusätzlich erhält jeder der beiden zur Absicherung der Miete oder der Finanzierung einer Eigentumswohnung und der für die Nutzung der Mietwohnung oder der Eigentumswohnung anfallenden Nebenkosten den hierfür erforderlichen monatlichen Geldbetrag in Höhe von maximal 1.500,00 € (W) monatlich. (…).
ccc) Weitere Versorgungszusage
Die Tochter von D, F, erhält ab Vollendung des 18. Lebensjahres bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres einen monatlichen Geldbetrag in Höhe von 500,00 € (W) (…).
ddd) Versorgungszusage weiterer Enkel (…).
bb) Pflegezusagen (…).
cc) Weitere Leistungen:
aaa) Zusätzlich zu den vorstehenden Beträgen erhält Frau B pro Quartal ab 01.01.2011 einen Betrag in Höhe von 3.000,00 € (W) sowie als Zuschuss für die Mietkosten ab 01.01.2011 jährlich einen Betrag in Höhe von derzeit 7.296,00 € (W) zzgl. 2.500,00 € (W) jährlich für Nebenkosten, 430,00 € (W) jährlich für Strom und die Kosten ihrer Hausratsversicherung. (…).
bbb) Herr A erhält ebenfalls pro Quartal ab 01.01.2011 einen Geldbetrag in Höhe von 3.000,00 € (W).
ccc) Für die Leistungen gemäß aaa) und bbb) gilt jedoch, dass die hierauf geleisteten Zahlungen auf die Ausschüttungen nach dem nachfolgenden Abschnitt dd) anzurechnen sind.
ddd) Beide Stifterehegatten erhalten zusätzlich aus der Stiftung die von ihnen ggf. zu leistenden Einkommensteuern sowie Kirchensteuer und Kapitalertragsteuern. (…).
dd) Soweit nach Leistungen der vorstehenden Geldbeträge noch ausschüttungsfähige Erträge der Stiftung vorhanden sind, können diese unter Berücksichtigung der sich zur Verwirklichung des Stiftungszweckes, insbesondere der sich aus § 2 ergebenden Thesaurierungserfordernisse, an den Stifter A zu 75% und an die Stifterin B zu 25% ausgeschüttet werden. (…).
§ 3
Auflage, Vorbehalt, Anspruchsgrundlage
Die Einbringung des Stiftungsvermögens durch die Stifter A und B erfolgt unter dem Vorbehalt und der Auflage, dass für die Stifter lebenslange Versorgungsleistungen erbracht werden. Diese sind in § 2 Abs. 2 b) im Einzelnen aufgeführt.
Den Destinatären A und B steht ein Anspruch auf die Leistungen der Stiftung gemäß vorstehend § 2 Abs. (2) b) aa) bb) und cc) zu. Bezüglich der Leistungen gemäß § 2 Abs. (2) b) bb) und cc) steht der Anspruch jedoch unter dem Ausschüttungsvorbehalt gemäß § 2 Abs. (2) b).
Den Destinatären E, D und F steht grundsätzlich ein Anspruch auf Leistungen der Stiftung nicht zu. Soweit jedoch E und D einen Pflichtteilsverzicht gegenüber ihren Eltern A und B erklären (…) steht ihnen ein Anspruch auf die Versorgungsleistungen gemäß vorstehend § 2 Abs. (2) b) aa) bbb) zu, jedoch wiederum unter dem Ausschüttungsvorbehalt gemäß § 2 Abs. (2) b). (…).
Soweit den Kindern und Enkelkindern der Stifter nach den vorstehenden Bestimmungen kein Anspruch auf Leistungen der Stiftung zusteht, steht die Gewährung solcher Leistungen in freiem Ermessen des Stiftungsvorstands. (…).
§ 9 Vertretung der Stiftung, Aufgaben des Stiftungsvorstands, Geschäftsführung (…).
(4) Zu den Aufgaben des Vorstandes gehört die Verwaltung des Stiftungsvermögens und die Entscheidung über die Verwendung der Erträge des Stiftungsvermögens und zum Verbrauch bestimmter Zuwendungen.
7
Die Söhne verzichteten am 27.12.2010 (E) und am 03.11.2011 (D) gegenüber den Stiftern auf ihre Pflichtteilsansprüche.
8
In den Streitjahren erbrachte die Klägerin die in § 2 (2) b) aa) aaa), § 2 (2) b) cc) aaa), bbb) und ddd) der Satzung vorgesehenen Leistungen an die Stifter sowie die in § 2 (2) b) aa) bbb) der Satzung geregelten Leistungen an die Söhne. Zudem zahlte die Klägerin im Jahr 2012 Privatschulden der Stifter in Höhe von 8.649,00 €.
9
Aus den Kontennachweisen zu den Gewinn- und Verlustrechnungen ergibt sich für den Streitzeitraum folgendes Zahlenwerk:

2011

2012

2013

Erträge:

Erträge aus Beteiligungen

520.100,00

265.611,30

230.100,00

Zinserträge

0,00

0,00

0,00

Summe

520.100,00

265.611,30

230.100,00

Ausgaben:

Sonstige betriebliche Aufwendungen

29.925,39

2.027,70

18.500,75

Zinsen und ähnliche Aufwendungen

20.804,73

12.146,57

14.207,00

Leistungen an Beteiligungsunternehmen

139.583,53

30.000,00

714,00

Verlust im Vorjahr

30.646,60

0,00

0,00

Summe

220.960,25

44.174,27

33.421,75

Erträge nach Abzug der Ausgaben

299.139,75

221.437,03

196.678,25

ab Leistungen an Destinatäre

132.956,98

166.085,68

188.034,10

verbleibt

166.182,77

55.351,35

8.644,15

ab Zuführung zum Grundstockvermögen

62.500,00

62.500,00

62.500,00

Gewinnvortrag

0,00

103.682,77

96.534,12

In der Stiftung verbliebene (nicht ausgeschüttete) Erträge

103.682,77

96.534,12

42.678,27

10
Abgesehen von den Versorgungsleistungen an die Stifter nach § 2 (2) b) aa) aaa) der Satzung, den als Vorschusszahlungen verbuchten Leistungen an die Stifter nach § 2 (2) b) cc) aaa) und bbb) der Satzung und den regulierten Privatschulden der Stifter unterwarf die Klägerin ihre Leistungen an die Destinatäre dem Kapitalertragsteuerabzug. Im Jahr 2011 gab sie nur eine Kapitalertragsteuer-Anmeldung für Dezember ab, in der sie auch in den Vormonaten erbrachte Leistungen erfasste. In den Jahren 2012 und 2013 gab sie für jeden Kalendermonat eine Kapitalertragsteuer-Anmeldung ab.
11
Mit Verfügung vom 26.02.2015 ordnete das Finanzamt bei der Klägerin eine Außenprüfung an, die sich auch auf Kapitalertragsteuer 2011-2013 erstreckte. Dabei gelangte der Prüfer zu der Auffassung, dass sämtliche Leistungen an die Destinatäre dem Kapitalertragsteuerabzug zu unterwerfen seien. In der Anlage 6 zum BP-Bericht vom 02.12.2015 erläuterte er die sich daraus ergebenden Änderungen wie folgt:
„Tz. 1: Kapitalertragsteuern aufgrund Destinatszahlungen:

2011

2012

2013

bisher angemeldet

8.784,00

20.751,00

22.139,73

abzuführen lt. BP

49.323,90

64.304,04

63.342,11

Unterschied

40.539,90

43.553,04

41.202,38

Aufgliederung Unterschied:

Unterschied Tz. 4

11.678,10

11.661,02

11.807,13

Unterschied Tz. 5

28.861,80

28.955,18

29.395,25

Unterschied Tz. 6

0,00

2.936,84

0,00

Summe

40.539,90

43.553,04

41.202,38

Tz. 4.: Vorschusszahlungen an die Destinatäre A und B

2011

2012

2013

Es ergeben sich folgende Beträge:

Ausschüttungs VZ A #01

12.000,00

12.000,00

12.000,00

Ausschüttungs VZ B #11

12.000,00

12.000,00

12.000,00

Ausschüttungs VZ B #12

10.392,00

10.342,00

10.772,00

Summe Ausschüttungs VZ

34.392,00

34.342,00

34.772,00

Kapitalertrag (Summe Ausschüttungs VZ x 4,08/2,945, weil die Klägerin die einzubehaltenden Steuern übernimmt, vgl. BMF-Schreiben vom 09.10.2012 Rz. 183a)

47.646,64

47.576,94

48.173,09

Kapitalertragsteuer (Kapitalertrag / 4,08, weil Kirchensteuer zur Kapitalertragsteuer einbehalten wird, vgl. § 32d Abs. 1 Sätze 4 und 5 EStG)

11.678,10

11.661,02

11.807,13

Tz. 5.: Bisher nicht der Abgeltungssteuer unterworfene Zahlungen:

2011

2012

2013

Rente A

36.000,00

36.000,00

36.000,00

Versicherungen A

3.822,00

3.704,00

3.810,00

Rente B

36.000,00

36.000,00

36.000,00

Versicherungen B

9.176,00

9.569,00

10.759,00

Summe

84.998,00

85.273,00

86.569,00

Kapitalertrag (Summe Ausschüttungs VZ x 4,08/2,945, weil die Klägerin die einzubehaltenden Steuern übernimmt, vgl. BMF-Schreiben vom 09.10.2012 Rz. 183a)

117.756,14

118.137,13

119.932,60

Kapitalertragsteuer (Kapitalertrag / 4,08, weil Kirchensteuer zur Kapitalertragsteuer einbehalten wird, vgl. § 32d Abs. 1 Sätze 4 und 5 EStG)

28.861,80

28.955,18

29.395,25

Tz. 6.: Ablösezahlung Besserungsschein:

2011

2012

2013

Zahlung

0,00

8.649,00

0,00

Kapitalertrag (Summe Ausschüttungs VZ x 4,08/2,945, weil die Klägerin die einzubehaltenden Steuern übernimmt, vgl. BMF-Schreiben vom 09.10.2012 Rz. 183a)

0,00

11.982,32

0,00

Kapitalertragsteuer (Kapitalertrag / 4,08, weil Kirchensteuer zur Kapitalertragsteuer einbehalten wird, vgl. § 32d Abs. 1 Sätze 4 und 5 EStG)

0,00

2.936,84

0,00

12
Das Finanzamt folgte den Feststellungen des Prüfers und erließ am 11.02.2016 für den Anmeldungszeitraum Dezember 2011 sowie am 17.02.2016 für die Anmeldungszeiträume Dezember 2012 und Dezember 2013 gemäß § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) geänderte Bescheide über Kapitalertragsteuer, in denen es zur Begründung auf die Anlage 6 zum BP-Bericht vom 02.12.2015 verwies. Den Vorbehalt der Nachprüfung hob es auf. Die geänderten Bescheide enthielten folgende Festsetzungen:
13
Für den Anmeldungszeitraum Dezember 2011:

bisher angemeldet / festgesetzt

neu festgesetzt

Unterschied

Schuldner-Kapitalertragsteuer

8.784,00

49.323,90

40.539,90

14
Für den Anmeldungszeitraum Dezember 2012:

bisher angemeldet / festgesetzt

neu festgesetzt

Unterschied

Schuldner-Kapitalertragsteuer

20.751,00

64.304,04

43.553,04

15
Für den Anmeldungszeitraum Dezember 2013:

bisher angemeldet / festgesetzt

neu festgesetzt

Unterschied

Schuldner-Kapitalertragsteuer

22.139,73

63.342,11

41.202,38

16
Gegen die geänderten Kapitalertragsteuerbescheide für Dezember 2011, Dezember 2012 und Dezember 2013 legte die Klägerin mit Telefax vom 26.02.2016 Einspruch ein, mit dem sie sich nur noch gegen die Festsetzung von Kapitalertragsteuer für die nach § 2 (2) b) aa) aaa) der Satzung an die Stifter erbrachten Versorgungsleistungen wendete. Den Einspruch wies das Finanzamt mit Einspruchsentscheidung vom 27.04.2018 als unbegründet zurück.“
17
Hiergegen richtet sich die mit Telefax vom 30.05.2018 erhobene Klage, zu deren Begründung die Klägerin im Wesentlichen vorträgt:
18
Die an die Stifter erbrachten wiederkehrenden Versorgungsleistungen unterlägen nicht dem Kapitalertragsteuerabzug, weil sie nicht als Einkünfte aus Kapitalvermögen, sondern als sonstige, mit dem Ertragsanteil zu besteuernde Einkünfte zu qualifizieren seien.
19
Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 9 Einkommensteuergesetz (EStG) lägen nicht vor, da die Versorgungsleistungen an die Stifter nicht mit Gewinnausschüttungen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG wirtschaftlich vergleichbar seien.
20
Der Gesetzgeber habe mit dieser Neuregelung nur ausschüttungsähnliche Nutzungserträge erfassen wollen. Hintergrund sei, dass die im Halb- und Teileinkünfteverfahren angestrebte Ertragssteuerbelastung nur sichergestellt sei, wenn bei der Körperschaft mit 15% bis 25% vorbelastete Gewinne nach Ausschüttung beim Letztempfänger als Einkünfte aus Kapitalvermögen erfasst würden.
21
Die vorbehaltenen Versorgungsleistungen seien nicht durch ausschüttungsähnliche Nutzungserträge der Klägerin zu erbringen. Mit Gewinnausschüttungen vergleichbar seien die in § 2 (2) b) dd) der Satzung vorgesehenen Leistungen. Denn danach könnten ausschüttungsfähige Erträge, die nach Erbringung der vorrangigen Leistungen noch vorhanden seien, im Rahmen der weiteren Regelungen der Satzung an die Stifter ausgeschüttet werden. Die vorbehaltenen Versorgungsleistungen stünden demgegenüber nicht unter einem Ausschüttungsvorbehalt und seien satzungsgemäß unabhängig von der Erwirtschaftung eines Ertrags aus dem von den Stiftern eingebrachten Stiftungsvermögen zu entrichten. Dies folge sowohl aus dem eindeutigen Wortlaut der Satzung sowie aus dem Vergleich mit den in § 2 (2) b) dd) der Satzung vorgesehenen Leistungen. Die Entrichtung der Versorgungsleistungen aus dem Stiftungsvermögen sei zudem dadurch sichergestellt, dass die Einbringung des Stiftungsvermögens unter dem Vorbehalt des Vorrangs der Auszahlung aus dem Stiftungsvermögen stehe.
22
Bei wirtschaftlicher Betrachtung handle es sich bei den in Rede stehenden Versorgungsleistungen um nichts anderes, als um einen Vorbehalt einer Auszahlung aus von den Stiftern erwirtschaftetem und eingebrachtem Vermögen, ohne Abhängigkeit von einer Gewinnerzielung.
23
Solche Leistungen seien jedoch nicht als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu qualifizieren, weil sie mit Gewinnausschüttungen wirtschaftlich nicht vergleichbar seien.
24
An einer wirtschaftlichen Vergleichbarkeit mit Gewinnausschüttungen fehle es auch deshalb, weil die Erbringung der Versorgungsleistungen im Gegensatz zur Zahlung variabler, sonstiger Leistungen nicht von einem Vorstandsbeschluss der Klägerin abhänge, da die Stifter einen Anspruch auf die Versorgungsleistungen hätten.
25
Gegen Einkünfte aus Kapitalvermögen spreche zudem, dass es nicht steuerbar gewesen wäre, wenn die Stifter ihr Vermögen nicht in die Stiftung eingebracht hätten und die Vermögenssubstanz für ihre Versorgung bzw. Altersversorgung verbraucht hätten. Folglich könnten auch in der Rückzahlung des eingebrachten und für die Versorgung vorbehaltenen Vermögens keine Einkünfte aus Kapitalvermögen gesehen werden. Vielmehr komme nur eine Versteuerung als sonstige Einkünfte mit dem Ertragsanteil in Betracht, da ansonsten bereits versteuertes Vermögen in unzulässiger Weise nochmals versteuert würde.
26
Überdies folge auch aus dem BFH-Urteil vom 15.07.2014 X R 41/12, BFH/NV 2014, 1945, dass die vorbehaltenen Versorgungsleistungen als sonstige Einkünfte zu qualifizieren und mit dem Ertragsanteil zu versteuern seien. Für den BFH sei nicht entscheidungserheblich gewesen, dass es sich um Leistungen einer gemeinnützigen Stiftung gehandelt habe. Er habe vielmehr darauf abgestellt, dass es sich bei vorbehaltenen, wiederkehrenden Leistungen nicht um Einkünfte aus Kapitalvermögen handle. Folglich seien die Grundsätze dieses Urteils auch auf die privatnützige Klägerin zu übertragen.
27
Die Klägerin beantragt,
die Bescheide über Kapitalertragsteuer für 2011, 2012 und 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.04.2018 dahin zu ändern, dass die vorbehaltenen Versorgungsleistungen an die Stifter gemäß § 2 (2) b) aa) aaa) der Stiftungssatzung nicht dem Kapitalertragsteuerabzug unterworfen werden und die Kapitalertragsteuer 2011 um 28.861,80 € auf 20.462,10 €, 2012 um 28.955,18 € auf 35.348,86 € und 2013 um 29.395,25 € auf 33.946,86 € herabzusetzen.
28
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
29
Die angemeldete Kapitalertragsteuer sei zu Recht durch die angefochtenen Bescheide erhöht worden, weil es sich bei den Versorgungsleistungen an die Stifter um kapitalertragsteuerpflichtige Einkünfte aus Kapitalvermögen handle.
30
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG lägen vor. Die Klägerin sei eine nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 Körperschaftsteuergesetz (KStG) unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige Stiftung. Die in Rede stehenden Leistungen würden nicht von § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG erfasst. Sie seien jedoch mit Gewinnausschüttungen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG wirtschaftlich vergleichbar.
31
Denn nach Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. BMF-Schreiben vom 27.06.2006, BStBl I 2006, 417) sei dies bei allen Leistungen einer nicht steuerbefreiten Stiftung der Fall, wenn sie an den Stifter oder seine Angehörigen erbracht würden.
32
Eine wirtschaftliche Vergleichbarkeit mit Gewinnausschüttungen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG sei aber auch nach den Grundsätzen des BFH-Urteils vom 03.11.2010 I R 98/09, BStBl II 2011, 417 zu bejahen.
33
Denn die Stifter erhielten ähnlich wie Gesellschafter die Erträge aus dem hingegebenen Vermögen und könnten ähnlich wie Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung das Ausschüttungsverhalten der Klägerin beeinflussen.
34
Aus dem Wortlaut und der Systematik der Satzung folge, dass alle darin vorgesehenen Versorgungs- und Unterstützungsleistungen aus den Erträgen des Stiftungsvermögens zu erbringen seien. Denn nach § 2 (2) a) der Satzung seien die nachfolgend unter § 2 (2) b) der Satzung geregelten Leistungen für die Stifter und ihre Angehörigen aus den Erträgen des Stiftungsvermögens zu erbringen, die nach dem Schuldendienst, der zeitlich befristeten Ansparung einer Risikorücklage und der Begleichung von Verwaltungskosten verbleiben würden. Die Stifter erhielten somit auch durch die in Rede stehenden Versorgungsleistungen die Erträge aus dem in die Stiftung eingebrachten Vermögen, weil auch sie aus diesen Erträgen zu erfüllen seien. Dass für die Versorgungsleistungen kein „Ausschüttungsvorbehalt“ bestehe, ändere daran nichts, weil eine Weiterleitung der Erträge an die Stifter zwingend deren vorherige Erwirtschaftung voraussetze.
35
Die Stifter hätten zudem ähnlich wie Gesellschafter das Ausschüttungsverhalten der Klägerin beeinflussen können. Dies ergebe sich bereits daraus, dass sie aufgrund der von ihnen geschaffenen Satzung einen Anspruch auf die Versorgungsleistungen hätten, der von der Klägerin zu erfüllen und der Disposition des Stiftungsvorstands entzogen sei. Zudem sei es ihnen möglich, durch ihre mehrheitliche Vertretung im Stiftungsvorstand das Ausschüttungsverhalten der Klägerin zu beeinflussen, weil der Vorstand über die Verwendung der Erträge entscheiden müsse.
36
Unerheblich sei, ob in den Zahlungen der Klägerin zugleich wiederkehrende Bezüge in Form von Leibrenten zu sehen seien. Denn sonstige Einkünfte seien kraft Gesetzes nachrangig und kämen mithin nicht in Betracht, wenn -wie im Streitfallvorrangige Einkünfte aus Kapitalvermögen vorlägen.
37
Auch aus dem BFH-Urteil vom 15.07.2014, a.a.O., folge kein anderes Ergebnis. Es sei auf den Streitfall nicht übertragbar, weil im zugrundeliegenden Sachverhalt Leistungen einer gemeinnützigen Stiftung zu beurteilen gewesen seien. Der BFH habe sie nur deshalb als sonstige Einkünfte eingeordnet, weil vorrangige Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht vorgelegen hätten, da § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG nur auf Leistungen von körperschaftsteuerpflichtigen Stiftungen anzuwenden sei. Im Streitfall lägen jedoch Einkünfte aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG vor, weshalb sonstige Einkünfte aus wiederkehrenden Bezügen gemäß § 22 Nr. 1 EStG nicht in Betracht kämen.
38
Wegen der Einzelheiten wird auf die vorliegenden Akten des Finanzamts, die Finanzgerichtsakten und die Stiftungssatzung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

39
Die Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-).
40
Bei den vorbehaltenen Versorgungsleistungen, welche die Klägerin in den Streitjahren an die Stifter erbrachte, handelt es sich um Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG, die gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7a EStG dem Kapitalertragsteuerabzug unterliegen.
41
Nach § 20 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen Einnahmen aus Leistungen einer nicht von der Körperschaftsteuer befreiten Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 des KStG, die Gewinnausschüttungen im Sinne der Nummer 1 wirtschaftlich vergleichbar sind, soweit sie nicht bereits zu den Einnahmen im Sinne der Nummer 1 gehören; Nummer 1 Satz 2 und 3 gelten entsprechend.
42
Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen Gewinnanteile (Dividenden), Ausbeuten und sonstige Bezüge aus Aktien, Genussrechten, mit denen das Recht am Gewinn und Liquidationserlös einer Kapitalgesellschaft verbunden ist, aus Anteilen an Gesellschaften mit beschränkter Haftung, an Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften sowie an bergbautreibenden Vereinigungen, die die Rechte einer juristischen Person haben. Zu den sonstigen Bezügen gehören auch verdeckte Gewinnausschüttungen (vgl. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG). Die Bezüge gehören nicht zu den Einnahmen, soweit sie aus Ausschüttungen einer Körperschaft stammen, für die Beträge aus dem steuerlichen Einlagekonto im Sinne des § 27 KStG als verwendet gelten (vgl. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG).
43
Die Klägerin ist eine Vermögensmasse im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 4 KStG, die nicht von der Körperschaftsteuer befreit ist.
44
Nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 KStG sind sonstige juristische Personen des Privatrechts unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig, wenn sie ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland haben.
45
Die Klägerin ist eine Vermögensmasse, weil sie als Stiftung weder Anteilseigner noch Mitglieder hat (vgl. BFH-Urteil vom 03.11.2010, a.a.O.). Sie ist eine unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige sonstige juristische Person des Privatrechts, da sie ihren Sitz im Inland hat und nach bürgerlichem Recht rechtsfähig ist. Zudem ist sie nicht von der Körperschaftsteuer befreit, weil die Voraussetzungen des § 5 KStG mangels Gemeinnützigkeit nicht vorliegen.
46
Die vorbehaltenen Versorgungsleistungen gehören nicht bereits zu den Einnahmen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, weil diese Vorschrift Leistungen von Stiftungen nicht erfasst.
47
Bei den vorbehaltenen Versorgungsleistungen, welche die Klägerin an die Stifter in den Streitjahren erbrachte, handelt es sich um Leistungen, die mit Gewinnausschüttungen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG wirtschaftlich vergleichbar sind.
48
Leistungen sind jedenfalls dann mit Gewinnausschüttungen wirtschaftlich vergleichbar, wenn die Destinatäre Erträge aus dem Stiftungsvermögen erhalten und unmittelbar oder mittelbar Einfluss auf das Ausschüttungsverhalten der Stiftung nehmen können. Denn dann sind sie als „hinter der Stiftung stehende Personen“ anzusehen, weil sie ähnlich einem Gesellschafter die Erträge aus dem einst hingegebenen Kapital erhalten und ähnlich einem Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung Einfluss auf die Verwendung der Erträge der Stiftung und letztlich auch auf deren Vermögen nehmen können (vgl. BFH-Urteil vom 03.11.2010, a.a.O.).
49
Im Streitfall kann offenbleiben, ob -was die Gesetzesbegründung zu § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG nahelegt-, die vorbehaltenen Versorgungsleistungen bereits deshalb Erträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG sind, weil es sich um auf Wiederholung angelegte Leistungen der Klägerin handelt, denen keine Gegenleistung der Stifter gegenübersteht (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 03.11.2010, a.a.O.). Denn die in den Streitjahren an die Stifter erbrachten Versorgungsleistungen sind jedenfalls deshalb mit Gewinnausschüttungen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG wirtschaftlich vergleichbar, weil die unter 1.3.1. genannten Voraussetzungen vorliegen.
50
Die Klägerin hat in den Streitjahren die vorbehaltenen Versorgungsleistungen tatsächlich aus den Erträgen des Stiftungsvermögens erbracht. Aus den Kontennachweisen zu den Gewinn- und Verlustrechnungen für 2011 bis 2013 folgt, dass ihre liquiden Erträge aus Beteiligungen in jedem Jahr höher waren, als die Summe aus ihren Ausgaben und den Leistungen an die Destinatäre. Da unter Berücksichtigung von Gewinnvorträgen auch nach Zuführung von jährlich 62.500 € zum Grundstockvermögen in jedem Jahr nicht ausgeschüttete Erträge in der Stiftung verblieben und in den Jahren 2011 bis 2013 kein Aktivvermögen veräußert wurde, müssen die Versorgungsleistungen an die Stifter in den Streitjahren aus den Erträgen des Stiftungsvermögens erbracht worden sein. Die Stifter haben somit durch diese Leistungen ähnlich einem Gesellschafter die Erträge aus dem eingebrachten Stiftungsvermögen erhalten.
51
Unerheblich ist, ob die Klägerin die vorbehaltenen Versorgungsleistungen aus der Substanz des Stiftungsvermögens erbringen muss, wenn die Erträge aus dem Stiftungsvermögen hierfür nicht ausreichen, weil die Stifter auf diese Leistungen einen Anspruch haben, der nicht unter einem Ausschüttungsvorbehalt steht. Der Klägerin ist zwar zuzugeben, dass die vorbehaltenen Versorgungsleistungen nicht mit Gewinnausschüttungen vergleichbar sind, wenn sie aus der Substanz des eingebrachten Grundstockvermögens erbracht werden, weil es sich dann um eine nach § 20 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 EStG i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG nicht steuerbare Einlagenrückgewähr handelt. Da für die Besteuerung jedoch die tatsächlichen Verhältnisse maßgebend sind und in den Streitjahren die vorbehaltenen Versorgungsleistungen tatsächlich aus den Erträgen des Stiftungsvermögens erbracht wurden, liegt keine Einlagenrückgewähr vor.
52
Für dieses Ergebnis spricht auch der Gesetzeszweck des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG, die mit 15% bis 25% auf der Ebene der Stiftung vorbelasteten Gewinne nach Ausschüttung an die „hinter ihr stehenden Personen“ als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu erfassen, um die mit dem Halb- und Teileinkünfteverfahren angestrebte Ertragssteuerbelastung zu gewährleisten. Denn bei der Klägerin vorbelastete Gewinne würden gerade nicht als Einkünfte aus Kapitalvermögen nachversteuert, wenn die vorbehaltenen Versorgungsleistungen auch dann nicht von § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG erfasst wären, wenn sie tatsächlich aus den Erträgen und nicht aus der Substanz des Grundstockvermögens erbracht werden.
53
Die Stifter hatten zudem unmittelbaren Einfluss auf die Verwendung der Erträge der Stiftung. Dem steht nicht entgegen, dass sie nach § 3 der von ihnen geschaffenen Satzung einen Anspruch auf die vorbehaltenen Versorgungsleistungen haben, der gemäß § 2 (2) a) der Satzung aus den Erträgen des Stiftungsvermögens zu erfüllen ist. Vielmehr begründet dieser Anspruch gerade den unmittelbaren Einfluss, weil er der Disposition der Stiftung entzogen ist (vgl. BFH-Urteil vom 03.11.2010, a.a.O.). Überdies ergibt sich auch aus § 9 Abs. 4 der Satzung ein unmittelbarer Einfluss der Stifter auf die Verwendung der Erträge des Stiftungsvermögens, da die Entscheidung hierüber zu den Aufgaben des Stiftungsvorstands gehört, in dem die Stifter in den Streitjahren mehrheitlich vertreten waren. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist eine solche Entscheidung auch erforderlich, wenn die Erträge für die vorbehaltenen Versorgungsleistungen verwendet werden. Denn nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 4 der Satzung ist die Verwendungsentscheidung nicht nur bei Leistungen ohne Anspruch zu treffen.
54
Die weiteren Einwände der Klägerin führen ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis.
55
Die Einbringung des Grundstockvermögens unter Vorbehalt von Versorgungsleistungen nach § 2 (2) b) aa) aaa) der Satzung und unter der Auflage, dass sie an die Stifter lebenslang erbracht werden, ändert nichts daran, dass es sich bei den Versorgungsleistungen in den Streitjahren um Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG handelt. Gleiches gilt für die Unterschiede zwischen den vorbehaltenen Versorgungsleistungen und den in § 2 (2) b) dd) der Satzung vorgesehenen Leistungen. Denn die in den Streitjahren nach § 2 (2) b) aa) aaa) erbrachten Versorgungsleistungen erfüllen trotzdem sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG, weil der Anspruch der Stifter auf diese Leistungen tatsächlich aus den Erträgen des Stiftungsvermögens erfüllt wurde.
56
Unerheblich ist, wie der Streitfall zu beurteilen wäre, wenn die Stifter ihr Vermögen nicht in die Klägerin eingebracht und die Vermögenssubstanz für ihre Versorgung verbraucht hätten. Denn dieser hypothetische Fall ist mit dem Streitfall schon deshalb nicht vergleichbar, weil die Versorgungsleistungen in den Streitjahren aus den Erträgen des Stiftungsvermögens erbracht wurden.
57
Aus dem BFH-Urteil vom 15.07.2014, a.a.O., folgt nicht, dass in den vorbehaltenen Versorgungsleistungen keine Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG, sondern mit dem Ertragsanteil zu versteuernde sonstige Einkünfte im Sinne des § 22 Nr. 1 EStG zu sehen sind. Der BFH hat in diesem Urteil nicht entschieden, dass vorbehaltene Versorgungsleistungen auch dann keine Einkünfte aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG sind, wenn sie von privatnützigen Stiftungen erbracht werden. Vielmehr hat er nur deshalb sonstige Einkünfte gemäß § 22 Nr. 1 Satz 2 Buchst. a EStG bejaht, weil vorrangige Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht vorlagen, da Leistungen einer gemeinnützigen Stiftung von § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG nicht erfasst werden. Denn nach dem eindeutigen Wortlaut des § 22 Nr. 1 EStG liegen sonstige Einkünfte aus wiederkehrenden Bezügen nur vor, soweit sie nicht zu den in § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 EStG gehören. Im Streitfall gehören die in den Streitjahren erbrachten Versorgungsleistungen jedoch nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 EStG i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG zu den Einkünften aus Kapitalvermögen, so dass sonstige Einkünfte nach § 22 Nr. 1 EStG nicht in Betracht kommen.
58
Das Finanzamt hat die Klägerin zu Recht nach § 167 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 164 Abs. 2 Satz 1 AO durch Nachforderungsbescheide für die nicht angemeldete Kapitalertragsteuer in Anspruch genommen. Dies gilt nicht nur für die in den Streitjahren erbrachten vorbehaltenen Versorgungsleistungen, sondern auch -was zwischen den Beteiligten unstreitig istfür die weiteren Leistungen an die Stifter.
59
Das Finanzamt war nicht verpflichtet, gegenüber der Klägerin Haftungsbescheide nach § 44 Abs. 5 Satz 1 EStG zu erlassen, sondern durfte sie auch durch Nachforderungsbescheide in Anspruch nehmen. Denn § 167 Abs. 1 Satz 1 AO begründet nach ständiger Rechtsprechung des BFH ein Wahlrecht, den Entrichtungsschuldner der Kapitalertragsteuer entweder durch Haftungsbescheid oder durch Steuerbescheid (Nachforderungsbescheid) in Anspruch zu nehmen, wobei die Wahl des Verfahrens keiner Begründung bedarf (vgl. BFH-Urteil vom 21.09.2017 VIII R 59/14, BStBl II 2018, 163).
60
Die angefochtenen Bescheide sind dahin auszulegen, dass durch sie, unter Abänderung der für Dezember 2011 bis 2013 angemeldeten Kapitalertragsteuer, die in den jeweiligen Kalenderjahren entstandenen Kapitalertragsteuern festgesetzt wurden, soweit sie von der Klägerin noch nicht angemeldet wurden.
61
Dies folgt aus der Anlage 6 zum BP-Bericht, auf die in den angefochtenen Bescheiden verwiesen wird und die deshalb zu deren Auslegung herangezogen werden darf (vgl. BFH-Beschluss vom 07.04.2005 I B 140/04, BStBl II 2006, 530). Denn dort sind die in den jeweiligen Jahren erbrachten Leistungen nach Art (Versorgungsleistungen, Ausschüttungsvorauszahlungen, Übernahme von Privatschulden) und Höhe bezeichnet, welche das Finanzamt erstmals dem Kapitalertragsteuerabzug unterwarf. Für die Klägerin war somit klar erkennbar, dass durch die angefochtenen Bescheide nicht nur im Dezember 2011, im Dezember 2012 und im Dezember 2013 entstandene Kapitalertragsteuer festgesetzt wurde, weil die festgesetzten Beträge den in der Anlage 6 angegebenen Jahresbeträgen entsprachen.
62
Das Finanzamt konnte die Kapitalertragsteuer-Anmeldungen für Dezember 2011 bis 2013 nach § 164 Abs. 2 AO ändern, da sie nach § 168 Abs. 1 AO Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehen.
63
Die angefochtenen Bescheide sind auch der Höhe nach nicht zu beanstanden, weil das Finanzamt zu Recht sämtliche Leistungen an die Destinatäre als Kapitalerträge im Sinne des § 43 Abs. 1 Nr. 7a EStG behandelt und die hierauf entfallende Kapitalertragsteuer zutreffend berechnet hat.
64
Das Finanzamt durfte die bisher nicht angemeldete Kapitalertragsteuer jahresbezogen nachfordern.
65
Denn nach § 44 Abs. 1 Satz 2 EStG entsteht die Kapitalertragsteuer nicht mit Ablauf des monatlichen Anmeldezeitraums (vgl. § 45a Abs. 1 EStG i.V.m. § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG), sondern in dem Zeitpunkt, in dem die Kapitalerträge dem Gläubiger zufließen. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, wenn die in einem Kalenderjahr entstandene Kapitalertragsteuer in einem Sammelbescheid zusammengefasst wird, sofern aus ihm die Vorgänge, die als kapitalertragsteuerpflichtig behandelt wurden, hinreichend bestimmt hervorgehen (vgl. BFH-Urteil vom 16.11.2011 I R 108/09, BStBl II 2013, 328).
66
Dies ist vorliegend der Fall. Denn für die Klägerin war klar erkennbar, für welche Leistungen Kapitalertragsteuer nachgefordert wurde. In der Anlage 6 zum BP-Bericht, auf den in den angefochtenen Bescheiden verwiesen wird, sind nämlich für jedes Streitjahr die Leistungen nach Art und Höhe benannt, die das Finanzamt erstmals dem Kapitalertragsteuerabzug unterwarf.
67
Die Klägerin kann sich nicht nach § 44 Abs. 5 Satz 1 EStG exkulpieren.
68
Nach § 44 Abs. 5 Satz 1 EStG haften die Schuldner der Kapitalerträge für die Kapitalertragsteuer, die sie einzubehalten und abzuführen haben, es sei denn, sie weisen nach, dass sie die ihnen auferlegten Pflichten weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt haben. § 44 Abs. 5 Satz 1 EStG ist auch beim Erlass von Nachforderungsbescheiden zu beachten (vgl. BFH-Urteil vom 21.09.2017, a.a.O.). Ein Steuerpflichtiger handelt regelmäßig grob fahrlässig, wenn er seiner gesetzlichen Verpflichtung, Kapitalertragsteuer einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen nicht nachkommt. Das gilt auch bei nicht eindeutiger Rechtslage; eine abweichende Rechtsmeinung ist im Rechtsbehelfsverfahren durchzusetzen (vgl. BFH-Urteil vom 03.11.2010, a.a.O.).
69
Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin grob fahrlässig für die Leistungen an die Stifter nach § 2 (2) b) aa) aaa), § 2 (2) b) cc) aaa) und bbb) der Satzung sowie für die Regulierung von Privatschulden der Stifter keine Kapitalertragsteuer einbehalten und abgeführt. Denn dadurch ist sie sowohl von der Verwaltungsauffassung (vgl. BMF-Schreiben vom 27.06.2006, BStBl I 2006, 417) als auch von den Grundsätzen des BFH-Urteils vom 03.11.2010 abgewichen, ohne dies kenntlich zu machen.
70
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.