FG Nürnberg, Urteil v. 13.02.2019 – 5 K 887/18
Titel:

Steuerrechtliche Einordnung von Beiträgen zu einem ausländischen Versorgungswerk

Normenketten:
AEUV Art. 45
DBA Österreich Art. 15 Abs. 1
EStG § 10 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 32b
Schlagwort:
Doppelbesteuerung
Rechtsmittelinstanzen:
BFH München, Urteil vom 13.04.2021 – I R 19/19
BFH München vom -- – I R 19/19
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstellen:
EFG 2019, 764
StEd 2019, 341
BeckRS 2019, 5908
DStRE 2019, 1049
LSK 2019, 5908

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1
Streitig ist, ob Versorgungsbeiträge zu einem inländischen Versorgungswerk, die im Zusammenhang mit gem. Art. 15 Abs. 1 DBA Österreich steuerfreien ausländischen Einkünften stehen, im Rahmen des Progressionsvorbehalts wegen Art. 45 AEUV zu berücksichtigen sind.
2
Die verheirateten Kläger wurden für die Streitjahre 2012 und 2014 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Neben Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit erzielten sie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sowie Einkünfte aus gewerblicher bzw. selbständiger Tätigkeit.
3
Der Kläger ist Architekt und war bei der X GmbH als Projektleiter angestellt. Er war im Jahr 2012 an 47 Tagen (22%) in Deutschland und an 166 Tagen (78%) in Österreich und im Jahr 2014 an 37 Tagen (16%) in Deutschland und an 191 Tagen (84%) in Österreich tätig. Der von der gesetzlichen Rentenversicherung befreite Kläger leistete in den Jahren 2012 und 2014 jeweils Versorgungsbeiträge i. H. v. 11.700 € (einschließlich des Arbeitgeberanteils) an die Bayer. Architektenversorgung als Teil der Bayer. Versorgungskammer. Der Arbeitgeberanteil belief sich auf 5.644 € im Jahr 2012 und auf 5.670 € im Jahr 2014. Nach den Regelungen des Versorgungswerks galten die Pflichtbeitragssätze und die Beitragsbemessungsgrenze wie in der gesetzlichen Rentenversicherung. Für das Jahr 2012 beliefen sich der Beitragssatz auf 19,6% und die Beitragsbemessungsgrenze auf 67.200 € sowie für das Jahr 2014 auf 18,9% und 71.400 €. Der Arbeitslohn (2012: 90.480 €; 2014: 94.560 €) wurde in voller Höhe durch den Arbeitgeber als steuerpflichtig behandelt und der Lohnsteuer unterworfen.
4
In seiner österreichischen Einkommensteuererklärung 2012 erklärte der Kläger Beiträge zu Versicherungen, Pensionskassen und freiwilliger Höherversicherung in der gesetzlichen Pensionskasse i. H. v. 5.763,61 € als Sonderausgaben. Mit Einkommensteuerbescheid 2012 vom 02.04.2013 setzte das Finanzamt 1 die Einkommensteuer auf 15.501 € fest. Es berechnete diese wie folgt:
„Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit 63.096,00 € Werbungskosten -506,31 € sonstige Werbungskosten -12.745,73 € Gesamtbetrag der Einkünfte 49.843,96 € Sonderausgaben (§ 18 EStG 1988)
¼ der Aufwendungen für Personenversicherungen etc. -348,33 € Steuerberatungskosten -1.104,00 €
Einkommen 48.391,63 €
In den deutschen Einkommensteuererklärungen·2012 und 2014 beantragten die Kläger, den Arbeitslohn nachträglich steuerfrei zu stellen, da der Kläger sich an mehr als 183 Tagen im jeweiligen Kalenderjahr in Österreich aufgehalten habe und die Einkünfte dort entsprechend versteuert worden seien. Bei der Durchführung der Einkommensteuerveranlagungen entsprach das Finanzamt diesem Anliegen (steuerpflichtiger Lohn: 17.268 €; steuerfrei: 60.976 € zzgl. Bonus i. H. v. 12.240 €), wich aber verschiedenen Punkten von der Erklärung ab. U. a. wurden die Beitragszahlungen des Klägers an das Versorgungswerk nur zu 22% berücksichtigt, da die Aufwendungen im wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stünden und somit gem. § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG nicht als Sonderausgaben abziehbar seien. Die Einkommensteuer 2012 wurde mit Bescheid vom 19.02.2014 auf 38.447 € festgesetzt.“
5
Gegen die Einkommensteuerbescheide 2012 vom 19.02.2014 und 2014 vom 14.10.2015 legten die Kläger, vertreten durch den Prozessbevollmächtigten, jeweils fristgerecht Einspruch ein und wandten sich gegen die Kürzung der Vorsorgeaufwendungen.
6
Mit Einspruchsentscheidung vom 18.06.2018 setzte das Finanzamt die Einkommensteuer 2012 auf 38.385 € und die Einkommensteuer 2014 auf 57.971 € herab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit auf die steuerpflichtigen und steuerfreien Einkünfte aufzuteilen seien. Auch der Arbeitslohn für das Jahr 2014 (94.560 €) sei - mit Ausnahme einer darin enthaltenen direkt dem steuerfreien Teil der Einkünfte zuordenbaren Bonuszahlung i. H. v. 16.200 € - entsprechend der Zahl der tatsächlichen Arbeitstage in steuerpflichtige (12.716 €) und steuerfreie (65.644 € zzgl. der Bonuszahlung i. H. v. 16.200 €) Gehaltsbestandteile aufzuteilen.
7
Vorsorgeaufwendungen (Sonderausgaben), die mit steuerfreien Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stünden, seien grundsätzlich nicht als Sonderausgaben abziehbar (§ 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG). Ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang von Vorsorgeaufwendungen mit steuerfreien Einnahmen i. S. d. § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG bestehe nur dann, wenn es sich um Pflichtbeiträge handele. Bei steuerfreien und steuerpflichtigen Arbeitslohnteilen sei nur der Anteil der Sozialversicherungsbeiträge zu berücksichtigen, der sich nach dem Verhältnis des steuerpflichtigen Arbeitslohns zum gesamten Arbeitslohn bis zur Beitragsbemessungsgrenze ergebe.
8
Im Fall des Klägers seien die Pflichtbeiträge, weil die Beitragsbemessungsgrenze nicht überschritten sei, nur in Höhe des Verhältnisses des steuerpflichtigen Arbeitslohns zum gesamten Arbeitslohn zu berücksichtigen wie folgt: 2012 2014 berufsständische Versorgungseinrichtung Anteil Arbeitnehmer 1.692 € 1.185 € Anteil Arbeitgeber 1.691 € 1.184 € Zwar habe der EuGH mit Urteil vom 22.06.2017 in der Rechtssache C-20/16 „Bechtel“ entschieden, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit gem. Artikel 45 AEUV bei der Freistellung der in einem anderen Mitgliedsstaat erzielten Einkünfte durch ein Doppelbesteuerungsabkommen einem Ausschluss des Sonderausgabenabzugs entgegenstehe.
9
Nach einem BMF-Schreiben vom 11.12.2017 (IV C 3-S 2221/14/10005:003, BStBl I 2017, 1624) seien Vorsorgeaufwendungen jedoch nur zu berücksichtigen, wenn der Beschäftigungsstaat keinerlei Abzug der mit den steuerfreien Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehenden Beiträge im Besteuerungsverfahren zulasse und auch das Doppelbesteuerungsabkommen die Berücksichtigung der persönlichen Abzüge nicht dem Beschäftigungsstaat zuweise.
10
Im vorliegenden Fall bleibe die Rechtsprechung des EuGH ohne Auswirkung. Zwar werde die Tätigkeit in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union, nämlich in Österreich ausgeübt und die Einnahmen seien nach einem Doppelbesteuerungsabkommen im Inland steuerfrei gestellt, jedoch lasse der Beschäftigungsstaat einen Abzug der betreffenden Beträge im Besteuerungsverfahren zu. Eine anteilige Kürzung der Aufwendungen, soweit sie in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stehe, sei zu Recht erfolgt.
11
Bei der Berechnung der Einkommensteuer bezog das Finanzamt aufgrund des Progressionsvorbehalts gem. § 32b EStG ausländische Einkünfte, die nicht der inländischen Steuer unterliegen, i. H. v. 73.212 € abzüglich sonstiger Werbungskosten i. H. v. 2.198 € mit 71.014 € (2012) und i. H v. 81.844 € abzüglich sonstiger Werbungskosten i. H. v. 1.728 € mit 80.116 € (2014) in die Berechnung des Steuersatzes ein.
12
Hiergegen haben die Kläger, vertreten durch den Prozessbevollmächtigten, fristgerecht Klage erhoben. Sie haben zunächst die Berücksichtigung der Beiträge des Klägers zum Architektenversorgungswerk, soweit diese den auf Österreich entfallenden Einkünften zugeordnet worden sind, als Sonderausgaben gem. § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG begehrt. Im Hinblick auf die Berücksichtigung der Beiträge zum Versorgungswerk als Werbungskosten im Rahmen der österreichischen Einkommensteuerveranlagung begehren sie nun nur noch eine Berücksichtigung dieser Beträge im Rahmen des Progressionsvorbehalts. Sie halten diese europarechtlich für geboten und berufen sich auf die EuGH-Entscheidung „Bechtel“.
13
Die Kläger beantragen,
den Einkommensteuerbescheid 2012 vom 19.02.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.06.2018 dahingehend abzuändern, dass die Einkommensteuer 2012 unter einer geänderten Berechnung des Progressionsvorbehalts, wonach die bisher unberücksichtigten Beiträge zur bayerischen Architektenversorgung i. H. v. 8.317 € mindernd berücksichtigt werden, herabgesetzt wird, und den Einkommensteuerbescheid 2014 vom 18.09.2015 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 02.06.2016 und der Einspruchsentscheidung vom 18.06.2018 dahingehend abzuändern, dass die Einkommensteuer 2014 unter einer geänderten Berechnung des Progressionsvorbehalts, wonach die bisher unberücksichtigten Beiträge zur bayerischen Architektenversorgung i. H. v. 9.331 € mindernd berücksichtigt werden, herabgesetzt wird.
14
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
15
Es verweist auf seine Ausführungen zum EuGH-Urteil „Bechtel“ in der Einspruchsentscheidung. Auch für die zuletzt noch begehrte Berücksichtigung der Beiträge im Rahmen des Progressionsvorbehalts fehle es an einer Rechtsgrundlage. § 32b EStG sehe lediglich eine Berücksichtigung von Einkünften, nicht aber von Sonderausgaben vor (BFH-Urteile vom 03.11.2010 I R 73/09, BFH/NV 2011, 773; und vom 18.04.2012 X R 62/09, BFHE 237, 434, BStBl II 2012, 721).
16
Auf den Inhalt der im Klageverfahren eingereichten Schriftsätze, der dem Senat vorliegenden Einkommensteuer- und Rechtsbehelfsakten und der Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 13.02.2019 wird Bezug genommen.
17
Das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (DBA Österreich) vom 24.08.2000 (BGBl II 2002, 735) enthält folgende hier relevante Regelungen:
Art. 15 Unselbständige Arbeit
(1) Vorbehaltlich der Artikel 16 bis 20 dürfen Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, die Arbeit wird im anderen Vertragsstaat ausgeübt. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so dürfen die dafür bezogenen Vergütungen im anderen Staat besteuert werden. […]
(7) Beiträge, die für eine in einem Vertragsstaat unselbständig tätige Person an eine in dem anderen Vertragsstaat errichtete und dort steuerlich anerkannte Einrichtung der Krankheits- und Altersvorsorge geleistet werden, sind in dem erstgenannten Staat bei der Ermittlung des von der Person zu versteuernden Einkommens in der gleichen Weise, unter den gleichen Bedingungen und Einschränkungen zu behandeln wie Beiträge an in diesem erstgenannten Staat steuerlich anerkannte Einrichtungen der Krankheits- und Altersvorsorge, sofern
a) die Person unmittelbar vor Aufnahme ihrer Tätigkeit nicht in diesem Staat ansässig war und bereits Beiträge an die Einrichtungen der Krankheits- und Altersvorsorge entrichtete, und
b) die zuständige Behörde dieses Vertragsstaats festgestellt hat, dass die Einrichtung der Krankheits- und Altersvorsorge allgemein denjenigen Einrichtungen entspricht, die in diesem Staat als solche für steuerliche Zwecke anerkannt sind.
18
Für die Zwecke dieses Absatzes
a) bedeutet „Einrichtung der Krankheitsvorsorge“ jede Einrichtung, bei der die unselbständig tätige Person und ihre Angehörigen im Fall einer krankheitsbedingten vorübergehenden Unterbrechung ihrer unselbständigen Arbeit zum Empfang von Leistungen berechtigt sind;
b) bedeutet „Einrichtung der Altersvorsorge“ eine Einrichtung, an der die Person teilnimmt, um sich im Hinblick auf die in diesem Absatz erwähnte unselbständige Arbeit Ruhestandseinkünfte zu sichern;
c) ist eine „Einrichtung der Krankheits- und Altersvorsorge“ in einem Staat für steuerliche Zwecke anerkannt, wenn hinsichtlich der an diese Einrichtungen geleisteten Beiträge Steuerentlastungen zu gewähren sind.
19
§ 16 des österreichischen EStG 1988 lautet:
(1) Werbungskosten sind die Aufwendungen oder Ausgaben zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung der Einnahmen. Aufwendungen und Ausgaben für den Erwerb oder Wertminderungen von Wirtschaftsgütern sind nur insoweit als Werbungskosten abzugsfähig, als dies im Folgenden ausdrücklich zugelassen ist. Hinsichtlich der durchlaufenden Posten ist § 4 Abs. 3 anzuwenden. Werbungskosten sind bei der Einkunftsart abzuziehen, bei der sie erwachsen sind. Werbungskosten sind auch: […]
4. a) Beiträge des Versicherten zur Pflichtversicherung in der gesetzlichen Sozialversicherung. […]
e) Pflichtbeiträge zu Versorgungs- und Unterstützungseinrichtungen der Kammern der selbständig Erwerbstätigen, soweit diese Einrichtungen der Kranken-, Unfall-, Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversorgung dienen; weiters Beiträge zu einer inländischen gesetzlichen Krankenversicherung sowie Beiträge zu einer Krankenversicherung auf Grund einer in- oder ausländischen gesetzlichen Versicherungspflicht. Beiträge zu Einrichtungen, die der Krankenversorgung dienen, Beiträge zu inländischen gesetzlichen Krankenversicherungen sowie Beiträge zu einer Krankenversicherung auf Grund einer in- oder ausländischen gesetzlichen Versicherungspflicht sind nur insoweit abzugsfähig, als sie der Höhe nach insgesamt Pflichtbeiträgen in der gesetzlichen Sozialversicherung entsprechen.
f) Beiträge von Arbeitnehmern zu einer ausländischen Pflichtversicherung, die einer inländischen gesetzlichen Sozialversicherung entspricht. […]
h) Beiträge von Arbeitnehmern zu ausländischen Pensionskassen, die auf Grund einer ausländischen gesetzlichen Verpflichtung zu leisten sind.

Entscheidungsgründe

20
Die Klage ist unbegründet.
I.
21
Die Beiträge des Klägers zum Versorgungswerk sind, soweit sie mit steuerfreien Einkünften im unmittelbaren Zusammenhang stehen, nicht als Sonderausgaben zu berücksichtigen.
22
1. Beiträge zu berufsständischen Versorgungswerken, die den gesetzlichen Rentenversicherungen vergleichbare Leistungen erbringen, sind zwar als sog. Vorsorgeaufwendungen nach den Regelungen des § 10 EStG als Sonderausgaben abziehbar (vgl. § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG). Sie dürfen aber nach § 10 Abs. 2 Nr. 1 EStG nicht in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stehen. Ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Einnahmen und Aufwendungen besteht, wenn ein Steuerpflichtiger steuerfreie Einnahmen erzielt und dieser Tatbestand gleichzeitig Pflichtbeiträge an einen Sozialversicherungsträger auslöst. In diesem Fall geht die Steuerbefreiung dem Sonderausgabenabzug logisch vor (Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 23.01.2017 5 K 1463/14, EFG 2017, 1080).
23
2. Der unmittelbare wirtschaftliche Zusammenhang im Sinne des § 10 Abs. 2 Nr. 1 EStG ist im Streitfall gegeben. Der durch die Tätigkeit in Österreich erzielte Arbeitslohn ist nach Art. 15 Abs. 1 DBA Österreich im Inland steuerfrei. Die Verpflichtung des Klägers zur Leistung von Pflichtbeiträgen folgt aus § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI; seine Freistellung von der gesetzlichen Rentenversicherung erfolgt lediglich aufgrund der entsprechenden Mitgliedschaft im berufsständischen Versorgungswerk. Nach § 16 Abs. 1 Nr. 4 Buch. h des österreichischen EStG sind Beiträge von Arbeitnehmern zu - aus österreichischer Sicht - ausländischen Pensionskassen, die auf Grund einer ausländischen gesetzlichen Verpflichtung zu leisten sind, als Werbungskosten zu berücksichtigen. Dies entspricht Art. 15 Abs. 7 DBA Österreich, wonach Leistungen des in Österreich tätigen Arbeitnehmers an Versorgungswerke im Heimatland Deutschland in Österreich so berücksichtigt werden wie Zahlungen an österreichische Pensionskassen. Dies gilt nach Ansicht der österreichischen Finanzverwaltung auch für Zahlungen an gesetzliche Pflichtversicherungen (öBMF vom 19.07.2004, EAS 2478; Stefaner in Wassermeyer, DBA Österreich Art. 15 Rn. 25). Im Streitfall sind die Beiträge zum Versorgungswerk auch tatsächlich in der Position „sonstige Werbungskosten“ berücksichtigt worden. Eine europarechtskonforme Auslegung des § 10 Abs. 2 EStG für den Fall, dass ein Steuerpflichtiger weder im Tätigkeitsstaat noch im Inland seine Vorsorgeaufwendungen geltend machen kann, hat daher auf die Anwendung dieser Vorschrift im vorliegenden Fall keine Auswirkung. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht mehr streitig.
II.
24
Die Beiträge zum Versorgungswerk sind, soweit sie auf die steuerfreien österreichischen Einkünfte entfallen, auch nicht im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen.
25
1. Dies ergibt sich nach der Systematik des § 32b EStG.
26
a) Nach § 32b Abs. 2 ist der besondere Steuersatz nach Absatz 1 dieser Vorschrift der Steuersatz, der sich ergibt, wenn bei der Berechnung der Einkommensteuer das nach § 32a Abs. 1 zu versteuernde Einkommen vermehrt oder vermindert wird um - im Fall des Abs. 1 Nr. 2 bis 5 - die dort bezeichneten Einkünfte, wobei die darin enthaltenen außerordentlichen Einkünfte mit einem Fünftel zu berücksichtigen sind. Ausgangspunkt ist also bereits das zu versteuernde Einkommen gem. § 32a Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 5 Satz 1 EStG, von dem die Sonderausgaben bereits gem. § 2 Abs. 4 EStG abgezogen worden sind.
27
b) Die Erhöhung erfolgt um die gem. § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens steuerfreien Beträge; dies ist gem. Art. 23 Abs. 1 Buchst. c DBA Österreich auch zulässig. Von diesen Einnahmen kommen gem. § 32b Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 Buchst. b EStG nur Werbungskosten zum Abzug. Die Beiträge zum Versorgungswerk dienen dem allgemeinen Interesse an einer Alterssicherung und decken kein berufsspezifisches Risiko ab. Es handelt sich daher nach der maßgeblichen Qualifikation durch das deutsche EStG - anders als in Österreich - um Sonderausgaben (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG). Sonderausgaben zählen nicht zu den Einkünften, sondern werden erst im Anschluss an die Ermittlung der Einkünfte vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen (§ 2 Abs. 4 EStG). Das schließt ihre Berücksichtigung im Rahmen des Progressionsvorbehalts aus (BFH-Urteile vom 03.11.2010 I R 73/09, BFH/NV 2011, 773; und vom 18.04.2012 X R 62/09, BFHE 237, 434, BStBl II 2012, 721).
28
2. Eine abweichende Auslegung, die zu einer Berücksichtigung führen würde, ist auch europarechtlich nicht geboten.
29
a) Eine solche Auslegung kommt schon aus systematischen Gründen nicht in Betracht. Selbst wenn die Nichtberücksichtigung von Sozialbeiträgen, die mit ausländischen Einkünften im unmittelbaren Zusammenhang stehen, nach der Rechtsprechung des EuGH geboten sein sollte, würde diese nach dem deutschen EStG bereits eine Stufe zuvor, nämlich bei der Auslegung von § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG und dem daraus folgenden Sonderausgabenabzug gem. § 2 Abs. 4 EStG zum Tragen kommen. Der Progressionsvorbehalt und die von ihm geregelte Besteuerung der übrigen inländischen Einkünfte wäre hiervon nicht betroffen. Eine solche Auslegung des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG ist im Streitfall jedoch nicht geboten (s. o. unter I. der Gründe).
30
b) Auch aus tatsächlichen Gründen fehlt es an einer Benachteiligung, die zu einer Verletzung von Art. 45 AEUV führen könnte. Im Streitfall waren die Versorgungsbeiträge in Österreich als Werbungskosten zu berücksichtigen und sind auch tatsächlich berücksichtigt worden.
31
Im Rahmen der Berechnung des Steuersatzes gem. § 32b Abs. 2 EStG sind die Versorgungsbeiträge, soweit sie mit den steuerfreien österreichischen Einkünften im Zusammenhang stehen, daher zu Recht nicht abgezogen worden.
32
Die Klage war daher abzuweisen.
III.
33
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
IV.
34
Die Revision wird zugelassen. Der Zusammenhang zwischen der Steuerfreiheit ausländischer Einkünfte und der Berücksichtigung darauf entfallender Sozialabgaben ist Gegenstand mehrerer Revisionsverfahren (X R 23/17 und X R 25/18). Auch wenn im vorliegenden Fall eine Berücksichtigung nicht mehr im Wege des Sonderausgabenabzugs, sondern nur noch bei der Berechnung des Steuersatzes gem. § 32b Abs. 2 EStG beantragt worden ist, ist nicht auszuschließen, dass die weitere Entwicklung der Rechtsprechung des BFH Auswirkungen auf das vorliegende Klageverfahren entfalten könnte (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).