Inhalt

LSG München, Urteil v. 24.09.2019 – L 7 AS 417/19
Titel:

Aufrechnungsbescheid, Krankheitskosten, Streitgegenstand, Gerichtsbescheid, Sozialgerichtsgesetz, Laufender Bewilligungszeitraum, Klageerhebung

Leitsatz:
Krankheitsmehrkosten können ein Abwägungselement bei der Ermessensentscheidung über die Rückforderung eines Mietkautionsdarlehens darstellen.
Schlagworte:
Ermessensentscheidung, Mietkautionsdarlehen, Rückforderung
Vorinstanz:
SG München vom 25.04.2019 – S 42 AS 620/18
Rechtsmittelinstanz:
BSG Kassel, Beschluss vom 25.02.2020 – B 4 AS 61/20 B
Fundstelle:
BeckRS 2019, 41679

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 25. April 2019 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Umwandlung eines Mietschuldendarlehens in Höhe von 7.246,19 Euro in einen Zuschuss und wendet sich zugleich gegen die Aufrechnung des Mietschuldendarlehens seit 01.05.2017. Darüber hinaus begehrt die Klägerin vom Beklagten „hohe behindertengerechte Krankheitskosten“ als atypischen Mehrbedarf.
2
Auf Antrag der Klägerin vom 20.06.2016 gewährte der Beklagte mit Bescheid vom 28.03.2017 der Klägerin ein Darlehen für Mietschulden in Höhe von 7.246,19 Euro. In diesem Bescheid wurde zugleich verfügt, dass zur Tilgung des Darlehens ab 01.05.2017 monatlich 10% des Regelbedarfs (40,90 Euro) mit den laufenden Leistungen der Klägerin aufgerechnet werden. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
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Den Überprüfungsantrag der Klägerin vom 31.08.2017 beschied der Beklagte mit Bescheid vom 10.10.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.02.2018 dahingehend, dass der Bescheid vom 28.03.2017 nicht zu beanstanden sei. Weder sei das Recht unrichtig angewandt noch von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden, § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X.
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Hiergegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht München mit dem Begehren, das Mietschuldendarlehen in einen Zuschuss umzuwandeln, den Aufrechnungsbescheid vom 28.03.2017 aufzuheben und die in der Vergangenheit aufgerechneten Leistungen an sie auszubezahlen. Zudem stellte die Klägerin den Klageantrag, „behindertengerechte Krankheitskosten als atypische Bedarfe“ zu bewilligen.
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Mit Gerichtsbescheid vom 25.04.2019 wies das Sozialgericht die Klagen ab.
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Die Klage auf Gewährung behindertengerechter Krankheitskosten sei mangels Durchführung eines Vorverfahrens unzulässig, § 78 SGG.
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Die Klage bezüglich der Mietschulden sei als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage statthaft, aber unbegründet. Zu Recht habe der Beklagte es im Rahmen des Überprüfungsverfahrens abgelehnt, das bewilligte Mietkostendarlehen in einen Mietkostenzuschuss umzuwandeln. Nach § 22 Abs. 8 SGB II a. F. (in der Fassung vom 01.04.2011) könnten vom Beklagten auch Schulden übernommen werden, sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt sei. Nach § 22 Abs. 8 Satz 4 SGB II a. F. sollen Geldleistungen als Darlehen erbracht werden, soweit dies gerechtfertigt und notwendig sei und ansonsten Wohnungslosigkeit drohe. Nur in atypischen Konstellationen könne ein Zuschuss erbracht werden. Dies ermögliche und erfordere Ermessensabwägungen des Jobcenters unter Berücksichtigung persönlicher Umstände der Leistungsberechtigten, ob ausnahmsweise statt eines Darlehens ein Zuschuss erbracht wird (BSG, Urteil vom 28.11.2018, B 14 AS 31/17 R Rdz.40). Ermessensfehler des Beklagten seien insoweit nicht zu erkennen. Der Beklagte habe sich im angegriffenen Bescheid explizit mit der Frage des Nichtvorliegens eines atypischen Falles auseinandergesetzt und hierbei die individuellen Verhältnisse der Klägerin berücksichtigt. Insbesondere sei die von der Klägerin vorgetragene Thematik von Krankheitskosten aufgegriffen und richtigerweise darauf verwiesen worden, dass die Klägerin über den Leistungsbezug im SGB II auch krankenversichert sei und zudem einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung erhalte.
8
Soweit sich die Klägerin gegen die Aufrechnung als solche wende, sei die mit Bescheid vom 18.03.2017 angeordnete Aufrechnung rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 42a Abs. 2 SGB II seien gegeben. Verfassungsrechtlich Bedenken gegen die Aufrechnung bestünden nicht. In entsprechender Anwendung des § 43 Abs. 4 SGB II sei eine zeitliche Begrenzung von Aufrechnungen auf drei Jahre vorzunehmen. Außerdem könne eine erklärte Aufrechnung vor vollständiger Tilgung des Darlehens vorzeitig beendet werden. Als Dauerverwaltungsakt unterliege die Aufrechnung den Vorgaben des § 48 SGB X, wonach bei wesentlicher Änderung der Verhältnisse eine Änderung zugunsten eines Betroffenen jederzeit möglich sei (BSG Urteil vom 28.11.2018, B 14 AS 31/17 R Rdz. 45 ff.).
9
Hiergegen hat die Klägerin Berufung beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Der Beklagte müsse das Existenzminimum auch im Hinblick auf die von ihr bewohnte Unterkunft gewähren und dementsprechend die Mietschulden als Zuschuss übernehmen. Durch die Aufrechnung werde ihr Existenzminimum ausgehöhlt. Sie habe im Übrigen Krankheitskosten, die vom Beklagten als atypischer Mehrbedarf zu übernehmen seien.
10
Die Klägerin beantragt,
- den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 25. April 2019 aufzuheben
- den Bescheid vom 10.10.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.02.2018 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Bescheid vom 28.03.2017 dahingehend abzuändern, dass das bewilligte Mietschuldendarlehen in Höhe von 7.246,19 Euro in einen Zuschuss umgewandelt wird, die in diesem Bescheid verfügte Aufrechnung aufzuheben und die einbehaltenen Leistungen auszuzahlen sowie
- „hohe behindertengerechte Krankheitskosten“ als Mehrbedarf zu bewilligen.
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Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte hält den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts in allen Punkten für zutreffend.
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Im Erörterungstermin am 05.08.2009 wurde von den Beteiligten dargelegt, dass die Beteiligten sich im Rahmen der in erster Instanz anhängigen Verfahren darauf geeinigt hätten in Bezug auf die Krankheitskosten, dass die Klägerin Unterlagen vorlegen werde und diese anschließend vom Beklagten erstmals verbeschieden werden. Auch sei die Aufrechnung zeitlich auf drei Jahre befristet worden, so dass letztmals im April 2020 eine Aufrechnung aufgrund des Mietkautionsdarlehens erfolge Mit Schreiben vom 03.09.2019 hat der Prozessbevollmächtigte den Erlass des Mietkautionsdarlehens beantragt sowie die Begrenzung der Aufrechnung auf drei Jahre. Zudem hat er für das Jahr 2017 Belege für Krankheitskosten der Klägerin vorgelegt.
14
Mit Schreiben vom 16.09.2019 hat der Beklagte bestätigt, dass - wie bereits in den gerichtlichen Terminen zugesagt - die Aufrechnung auf drei Jahre begrenzt erfolge. Aus den vorgelegten Belegen könne Zusätzlicher Bedarf wegen Krankheitskosten festgestellt werden.
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Die Beteiligten haben einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gemäß § 124 Abs. 2 SGG zugestimmt.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung ist unbegründet.
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Die Berufung wird bezüglich der Streitgegenstände Mietkautionsdarlehen sowie Aufrechnung aus dem Mietkautionsdarlehen aus den Gründen der Entscheidung des Sozialgerichts zurückgewiesen und gemäß § 152 Abs. 2 SGG von einer weiteren Begründung abgesehen. In Bezug auf die Aufrechnung ist lediglich anzumerken, dass eine Begrenzung der Aufrechnung auf drei Jahre spätestens mit dem Schreiben des Beklagten vom 16.09.2019 erfolgt ist, da das Schreiben insoweit als Änderungsbescheid zum Aufrechnungsbescheid zu sehen ist.
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Bezüglich des Streitgegenstandes „hohe behindertengerechte Krankheitskosten als Mehrbedarf“ ist die Berufung ebenfalls unbegründet.
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Zunächst ist schon fraglich, ob die Klägerin bei Klageerhebung die Mehrkosten überhaupt als eigenständigen Streitgegenstand geltend machen wollte oder ob sie sich mit ihren Ausführungen und „Antrag“ nicht auf die Krankheitsmehrkosten als Abwägungselement in Bezug auf die Aufrechnungsentscheidung mit dem Mietkautionsdarlehen beziehen wollte. Nachdem das Sozialgericht jedoch über einen solchen eigenständigen Streitgegenstand erstinstanzlich entschieden hat, ist dies auch eigenständiger Streitgegenstand im Berufungsverfahren.
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Das Sozialgericht es bezüglich der Krankheitskosten allerdings zunächst versäumt, den Streitgegenstand - wie erforderlich - im Hinblick auf einen oder mehrere Bewilligungszeiträume zu definieren. Denn ein Mehrbedarf kann nur im Zusammenhang mit einer konkreten Bewilligung für einen bestimmten Bewilligungszeitraum geltend gemacht werden.
21
Darüber hinaus ist die Begründung des Sozialgerichts, die Klage sei bezüglich der Krankheitskosten mangels Durchführung eines Vorverfahrens nicht zulässig, schon deshalb nicht tragfähig, weil nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dann das Verfahren zur Nachholung des Vorverfahrens hätte ausgesetzt werden müssen.
22
Die Berufung hat insoweit dennoch keinen Erfolg. Soweit es sich um bei Klageerhebung am 07.03.2018 bestandskräftige Bewilligungsbescheide handelt, war die Klage unzulässig. Der Bewilligungsbescheid für den zum Zeitpunkt der Klageerhebung laufenden Bewilligungszeitraum vom 01.07.2017 bis 30.06.2018 ist Gegenstand eines noch beim Sozialgericht anhängigen Klagverfahrens und damit auch ein Krankheitskostenmehrbedarf für diesen Zeitraum. Nachfolgende Bewilligungszeiträume stellen eigene Streitgegenstände dar, die nicht über § 96 SGG Streitgegenstand im hier anhängigen Klageverfahren wurden. Eine entsprechend zulässige Klageerweiterung liegt nicht vor. Deshalb hat das Sozialgericht die Klage bezüglich der Krankheitsmehrkostenwenn auch mit fehlerhafter Begründung, so doch im Ergebnis -zutreffend als unzulässig abgewiesen.
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Die Berufung ist damit insgesamt erfolglos.
24
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und der Erwägung, dass die Klägerin mit ihrem Begehren erfolglos blieb.
25
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.