Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 13.12.2019 – AN 18 K 16.00873
Titel:

Unzulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs bei Streit um Mitbenutzung eines öffentlichen Versorgungsnetzes

Normenketten:
TKG 2016 § 77b
TKG § 77d, § 77n, § 132
VwGO § 40 Abs. 1 S. 1, § 173
GVG § 17a Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Der Grundsatz der Rechtswegerhaltung (perpetuatio fori) gilt nur für nachträglich den Rechtsweg begründende Umstände. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Anspruch eines Telekommunikationsanbieters auf Mitbenutzung öffentlicher Versorgungsnetze ist privatrechtlicher Natur. (Rn. 8) (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Anordnung der Bundesnetzagentur auf Zusammenschaltung von Versorgungsnetzen stellt eine regulatorische Intervention zur Begründung eines zivilrechtlichen Rechtsverhältnisses dar. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet, privatautonome Gestaltung der Mitnutzung von öffentlichen Versorgungsnetzen durch Betreiber öffentlicher Telekommunikationsnetze, zivilrechtliches Schuldverhältnis, Rechtswegverweisung, Anspruch auf Mitnutzung, öffentliches Versorgungsnetz, Mitnutzungsvertrag, zivilrechtliches Rechtsverhältnis, Telekommunikationsnetz, Bundesnetzagentur, Verwaltungsrechtsweg
Fundstelle:
BeckRS 2019, 33494

Tenor

1. Der Verwaltungsrechtsweg ist unzulässig.
2. Der Rechtsstreit wird an das Amtsgericht Ansbach verwiesen.

Gründe

I.
1
Mit ihrer bei dem Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach erhobenen Klage begehrt die Klägerin, eine Telekommunikationsanbieterin, die Beklagte, die Gemeinde … im Landkreis …, zu verpflichten, der Klägerin ein Angebot zur Mitnutzung von Leerrohren im Bereich der …, … Straße und … Straße, jeweils gelegen in … …, gegen angemessenes Entgelt zu unterbreiten.
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Die Beklagte hatte die Abgabe eines solchen Angebots zuvor verweigert. Auch ein von der Klägerin nach § 77b Abs. 2, 3 TKG in der vom 10. Mai 2012 bis 9. November 2016 gültigen Fassung (TKG a.F.) eingeleitetes Schlichtungsverfahren blieb erfolglos.
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Mit Schreiben vom 25. Oktober 2019 wies das Gericht die Beteiligten darauf hin, dass es den Rechtsweg zu den Gerichten der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit für nicht eröffnet halte und beabsichtige, den Rechtsstreit an das sachlich und örtlich zuständige Amtsgericht Ansbach zu verweisen. Es wurde ihnen Gelegenheit gegeben, sich zur beabsichtigten Rechtswegverweisung zu äußern. Die Klägerin führte mit Schreiben vom 8. November 2019 aus, dass sie den Verwaltungsrechtsweg für gegeben halte. Bei der Erlaubnis der Gemeinde zur Nutzung der im Eigentum der Gemeinde stehenden Leerrohre handele es sich um einen Verwaltungsakt. Jedenfalls handele es sich bei dem von den Parteien zu schließenden Vertrag um einen öffentlich-rechtlichen, da die Gemeinde mit den Leerrohren eine öffentliche Einrichtung zur Verfügung stelle. Die Beklagte schloss sich mit Schreiben vom 28. November 2019 den Ausführungen des Gerichts zur Unzulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges an und verwies auf das klägerische Schreiben vom 20. März 2017, wonach die Angebotslegung eine rein zivilrechtliche Handlung sei, auch wenn sie durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts erfolge, weshalb der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten eröffnet sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
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Der Rechtsweg zu den Gerichten der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit (Verwaltungsrechtsweg, § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist nicht eröffnet und damit unzulässig. Somit ist die Unzulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges auszusprechen und das Verfahren wegen Unzulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges von Amts wegen an das zuständige Amtsgericht Ansbach zu verweisen, § 173 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG; § 1 ZPO i.V.m. § 23 Nr. 1 GVG, §§ 12, 17 bzw. 24 ZPO.
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1) Ist der beschrittene Rechtsweg unzulässig, spricht das Gericht dies nach Anhörung der Parteien von Amts wegen aus und verweist den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges, § 173 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 VwGO. Eines vorherigen Antrages der Parteien bedarf es nicht.
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Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG, § 173 VwGO wird die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtsweges durch eine nach Rechtshängigkeit eintretende Veränderung der sie begründenden Umstände nicht berührt - sog. perpetuatio fori. Dabei gilt der Grundsatz der perpetuatio fori im Interesse der Prozessökonomie nur rechtswegerhaltend, d.h. nachträglich eintretende, den Rechtsweg begründende (heilende) Umstände sind zu berücksichtigen (vgl. Mayer in Kissel/Mayer, GVG, 9. Aufl. 2018, GVG, § 17 Rn. 10). Dies zugrunde gelegt, führt weder die Regelung des § 77b TKG a.F. noch die zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung geltende Regelung des § 77d TKG (gültige Fassung seit dem 10. November 2016) zur Bejahung des Verwaltungsrechtsweges. Für die in Frage stehende Verpflichtung der Beklagten auf Abgabe eines Angebots zur Mitnutzung von Infrastruktur nach § 77b TKG a.F. bzw. § 77d Abs. 2 TKG ist vielmehr der ordentliche Rechtsweg gegeben. Die Verpflichtung zur Abgabe eines Angebots ist eine zivilrechtliche Pflicht. Das zu schließende Vertragsverhältnis ist privatrechtlicher Natur.
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Der Gesetzgeber hat grundsätzlich der privatautonomen Gestaltung des Anspruches auf Mitnutzung öffentlicher Versorgungsnetze Vorrang eingeräumt, und zwar sowohl mit der Regelung des § 77b TKG a.F. als auch mit dem nun geltenden § 77d TKG. Sollte dies nicht gelingen, gab bzw. gibt das Gesetz schon in § 77b TKG a.F. als auch in § 77n TKG die Möglichkeit, die Bundesnetzagentur einzuschalten. Zu § 77b TKG a.F. geschah dies weniger weitreichend in Form eines Schlichtungsverfahrens mit letztlich unverbindlichem Schlichterspruch, § 77b Abs. 2 TKG. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass allein die Verhandlungspflicht und das Vorliegen eines Einigungsvorschlages zum Abschluss von entsprechenden Mitnutzungsverträgen führen würden (vgl. BT-Drucksache 17/7521, S. 116). Nach der jetzt geltenden Regelung des § 77n Abs. 1 TKG entscheidet die Bundesnetzagentur auf Antrag eines der Beteiligten verbindlich durch Verwaltungsakt (§ 132 Abs. 2 Satz 2 TKG) über den Anspruch aus § 77d TKG. Es lässt sich daher feststellen, dass es primär vorgesehen war bzw. ist, dass die Parteien ohne Einschaltung der Bundesnetzagentur einen Vertrag über die Mitnutzung der öffentlichen Versorgungsnetze schließen bzw. über den Vertragsschluss verhandeln.
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Daher ist die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Zusammenschaltanordnung (damals §§ 35 ff. TKG) übertragbar (vgl. BVerwG, U.v. 31.3.2004 - 6 C 11.03, Rn. 22 ff.), wonach die Netzbetreiber nach den Regelungen des TKG nicht uneingeschränkt sich selbst überlassen seien. Vielmehr sei ein die Privatautonomie beschränkender flankierender Ordnungsrahmen vorgesehen, zu dem auch die Ermächtigung des § 37 Abs. 1 Satz 1 TKG gehöre. In den Fällen, in denen die Grundkonzeption der privatautonomen Gestaltung der Zusammenschaltung öffentlicher Telekommunikationsnetze nicht gelöst werde, sei die Zusammenschaltung anzuordnen. Diese Anordnung sei ein Instrument der Durchsetzung der Verhandlungspflicht. Sie trete gleichermaßen an die Stelle der grundsätzlich angestrebten freiwilligen Vereinbarung der Zusammenschaltung, und zwar nur, „soweit und solange die Beteiligten keine Zusammenschaltungsvereinbarung treffen“, § 37 Abs. 2 Satz 1 TKG. Dem entspreche es, die öffentlich-rechtlichen Wirkungen der Anordnung auf die Verpflichtung der Adressaten zur Zusammenschaltung unter den angeordneten Bedingungen zu beschränken und das Verhältnis der an der Zusammenschaltung beteiligten Netzbetreiber privatrechtlich auszugestalten. Mit Blick auf die Grundkonzeption der privatautonomen Gewährung und Gestaltung des Zugangs sei es systemgerecht, im Wege der regulatorischen Intervention ein zivilrechtliches Rechtsverhältnis herbeizuführen. Auf diese Weise verwirkliche und gestalte die Zusammenschaltungsvereinbarung ein privatrechtliches Schuldverhältnis. Der der Privatautonomie Vorrang einräumenden Grundkonzeption des Gesetzes werde dadurch Rechnung getragen, dass sich die Rechtsnatur des durch Verwaltungsakt angeordneten Zusammenschaltungsverhältnisses zwischen den Beteiligten nicht von derjenigen einer vereinbarten Zusammenschaltung unterscheide, somit also ein zivilrechtliches Vertragsverhältnis zwischen den Beteiligten begründet wird.
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Diese Gedanken sind auf § 77 b TKG a.F. und auch auf §§ 77d, 77n TKG übertragbar. Hinsichtlich § 77 b TKG a.F. schon deshalb, weil gerade die öffentlich-rechtliche Überlagerung durch rechtsverbindliche Enscheidung der Bundesnetzagentur nicht gelten soll, vielmehr lediglich ein Schlichtungsverfahren angestrebt ist. Doch auch hinsichtlich der Regelungen der §§ 77d, 77n TKG sind die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts ohne Weiteres übertragbar. Es liegt der Regelung die gleiche Konzeption wie bei dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall zugrunde, denn auch bei den §§ 77d, 77n TKG ist der Vorrang der privatautonomen Gewährung und Gestaltung des Zugangs zu erkennen. Nur im Streitfall tritt die Regelung durch Verwaltungsakt der Bundesnetzagentur hinzu. Die Rechtsnatur eines durch Intervention der Bundesnetzagentur letztlich zustande gekommenen Mitnutzungsvertrages kann sich nicht von dem einer ohne Einschaltung der Bundesnetzagentur zustande gekommenen Vertrages unterscheiden. Es wird zwischen den Parteien ein zivilrechtliches Rechtsverhältnis begründet (so auch die überwiegende Kommentarliteratur, z. B.: Scheurle/Mayen, TKG, 3. Aufl. 2018, § 77d TKG, Rn. 37; Stelkens/Wabnitz: Mitbenutzung „alternativer Infrastrukturen“ für NGA-Netze - Anwendungsbereich und Rechtsfolgen des § 77b TKG, MMR 2014, 730 ff.) und zwar unabhängig davon, ob der Mitnutzungsanspruch gegenüber einem Unternehmen oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts geltend gemacht wird (a.A.: Scherer/Heinickel in Arndt/Fetzer/Scherer/ Graulich, TKG, 2. Aufl. 2015, § 77b, Rn. 20). Insofern geht auch die klägerseits aufgestellte These, dass es sich bei der Erlaubnis der Gemeinde zur Nutzung der im Eigentum der Gemeinde stehenden Leerrohre (gemeint ist wohl das nach § 77 b Abs. 1 TKG a.F. bzw. § 77d Abs. 2 TKG abzugebende Angebot über die Mitnutzung) um einen Verwaltungsakt handele, fehl, denn es handelt sich bei der Verhandlungspflicht über die Mitnutzung öffentlicher Versorgungsnetze gerade nicht um eine hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechtes trifft, Art. 35 Satz 1 BayVwVfG.
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2) Der Rechtsstreit ist daher - nach erfolgter Anhörung der Beteiligten - gemäß § 173 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an das das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges, nämlich das Amtsgericht Ansbach, zu verweisen. Gemäß § 1 ZPO i.V.m. § 23 Nr. 1 GVG ist bei Streitigkeiten über Ansprüche, deren Gegenstand an Geld oder Geldeswert die Summe von fünftausend Euro nicht übersteigt, das Amtsgericht sachlich zuständig. Nach Angaben des Klägers im Schriftsatz vom 17. Mai 2016 beläuft sich der Streitwert auf 2.000 EUR. Die Beklagtenseite äußerte sich nicht. Für das Gericht besteht nach Aktenlage kein Anlass, an dem angegebenen Wert zu zweifeln, so dass das Amtsgericht sachlich zuständiges Gericht ist. Örtlich ist das Amtsgericht Ansbach das zuständige Gericht, wobei offen bleiben kann, ob dies aus §§ 12, 17 ZPO oder § 24 ZPO folgt.
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Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des Gerichts vorbehalten, an welches die Rechtsstreitigkeit verwiesen wurde (§ 17b Abs. 2 Satz 1 GVG).