Inhalt

VerfGH München, Entscheidung v. 03.12.2019 – Vf. 6-VIII-17, Vf. 7-VIII-17
Titel:

Verfassungsrechtliche Prüfung des Bayerischen Integrationsgesetzes

Normenketten:
BayIntG Art. 1 S. 2, Art. 3 Abs. 4 S. 2, Art. 4 Abs. 4 S. 2, Art. 6, Art. 11 S. 2,Art. 13, Art. 14 Abs. 2
GG Art. 5 Abs. 1, Art. 19 Abs. 1 S. 2, Art. 31, Art. 70 ff.
BV Art. 3 Abs. 1 S. 1, Art. 75 Abs. 3, Art. 110 Abs. 1 S. 1, Art. 111a, Art. 117, Art. 126 Abs. 1 S. 1, Art. 130 Abs. 1, Art. 166 Abs. 3
VfGHG Art. 49
Leitsätze:
1. Ein Änderungsgesetz wird mit dem Wirksam werden der darin enthaltenen Änderungsbefehle gegenstandslos, sodass die dadurch vollzogenen Rechtsänderungen von einer späteren Aufhebung des Änderungsgesetzes unberührt bleiben. (Rn. 91 – 93)
2.
Die Integration von Ausländern ist eine staatliche Querschnittsaufgabe, die von Bund und Ländern nach Maßgabe der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung gemeinsam zu erfüllen ist. (Rn. 101)
a) Die integrationsbezogenen Regelungen im Aufenthaltsgesetz des Bundes stehen dem Erlass des auf eine „Integrationspflicht“ von Ausländern verweisenden Bayerischen Integrationsgesetzes nicht entgegen. (Rn. 102)
b) Das Gebot der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung verpflichtet die Länder nicht, bei ihrer Gesetzgebungstätigkeit nur solche konzeptionellen Ansätze zu verfolgen, die denen des Bundesgesetzgebers entsprechen. (Rn. 104)
c) Da das Strafgesetzbuch den Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung ab-schließend regelt, darf der Landesgesetzgeber in diesem Bereich keine er-gänzenden Bußgeldvorschriften erlassen, wie sie in Art. 14 Abs. 2 BayIntG enthalten sind. (Rn. 111 und 114)
3. Die in der Präambel zum Bayerischen Integrationsgesetz enthaltene Definition des Begriffs „Leitkultur“ ist mangels eigenständigen Regelungsgehalts nicht für sich genommen an den Vorgaben der Bayerischen Verfassung zu messen. (Rn. 135 – 139)
4. Die staatliche Förderung von an der „Leitkultur“ ausgerichteten Bildungsangeboten (Art. 3 Abs. 4 Satz 2 BayIntG) verstößt weder gegen das Bestimmtheitsgebot noch gegen die Gemeinwohl- und Neutralitätsverpflichtung des Staates. (Rn. 149 – 151)
5. Es ist mit der Bayerischen Verfassung vereinbar, die in Verwaltungsverfahren anfallenden Dolmetscher- und Übersetzerkosten Personen aufzuerlegen, die sich bereits mehrere Jahre in Deutschland aufgehalten haben, und in Fällen fehlerhafter Übersetzung die Staatshaftung auszuschließen (Art. 4 Abs. 4 BayIntG). (Rn. 156 – 163)
6. Die gesetzliche Festlegung von Bildungsinhalten für Kindertageseinrichtungen (Art. 6 BayIntG) greift in das Erziehungsrecht der Eltern nach Art. 126 Abs. 1 Satz 1 BV ein, lässt sich aber durch den auch den vorschulischen Bereich erfas-senden staatlichen Bildungsauftrag aus Art. 130 Abs. 1 BV rechtfertigen. (Rn. 175)
7. Die den öffentlichen Rundfunkanstalten und den privaten Rundfunkanbietern auferlegte Verpflichtung, eine bestimmte „Leitkultur“ zu vermitteln (Art. 11 Satz 2 BayIntG), verstößt gegen die in Art. 111 a Abs. 1 Satz 1 BV geschützte Programmfreiheit. (Rn. 190 – 192)
8. Die auf einen Gesinnungswandel abzielende Pflicht zur Teilnahme an einem Grundkurs über die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Art. 13 BayIntG) greift in unverhältnismäßiger Weise in die Freiheit der Meinungsbildung und Meinungsäußerung nach Art. 110 Abs. 1 Satz 1 BV ein. (Rn. 196 – 200 und 215 – 228)
Schlagworte:
Integration, Integrationspflicht, Migration, "Leitkultur", Gesetzgebungskompetenz, Änderungsgesetz als Streitgegenstand, Neutralitätspflicht des Staates, Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, Bestimmtheitsgebot, Übersetzerkosten, Elternrecht
Fundstellen:
BayVBl 2020, 226
InfAuslR 2020, 64
ZAR 2020, 36
NVwZ-RR 2020, 273
NVwZ 2020, 381
LSK 2019, 33112
BeckRS 2019, 33112
DÖV 2020, 286

Tenor

1. Art. 11 des Bayerischen Integrationsgesetzes (BayIntG) vom 13. Dezember 2016 (GVBl S. 335, BayRS 26-6-A) verstößt gegen Art. 111 a BV (Freiheit des Rundfunks) sowie gegen Art. 110 BV (Recht der freien Meinungsäußerung) und ist nichtig. Davon ausgenommen ist die in Art. 11 Satz 2 BayIntG normierte Verpflichtung, in den Angeboten des Rundfunks einen Beitrag zur Vermittlung der deutschen Sprache zu leisten.
2. Art. 13 BayIntG verstößt gegen Art. 110 BV (Recht der freien Meinungsäußerung) und ist nichtig.
3. Art. 14 Abs. 2 BayIntG verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV (Rechtsstaatsprinzip) und ist nichtig.
4. Die Nichtigkeit der Art. 13 und 14 Abs. 2 BayIntG erfasst auch Art. 12 Abs. 3 BayIntG
5. Im Übrigen werden die Anträge abgewiesen.
6. Der Antragstellerin im Verfahren Vf. 6-VIII-17 ist die Hälfte, der Antragstellerin im Verfahren Vf. 7-VIII-17 ein Viertel der ihnen durch das jeweilige Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen aus der Staatskasse zu erstatten.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Meinungsverschiedenheiten betreffen die Frage, ob das Bayerische Integrationsgesetz (BayIntG) vom 13. Dezember 2016 (GVBl S. 335, BayRS 26-6-A) mit seiner Präambel und mit bestimmten Vorschriften gegen die Bayerische Verfassung verstößt.
2
1. Das Gesetz beruht auf einem Entwurf der Bayerischen Staatsregierung, der am 10. Mai 2016 im Bayerischen Landtag eingebracht wurde (LT-Drs. 17/11362). Die erste Lesung dieses Entwurfs und eines von der Antragstellerin zu II eingebrachten Entwurfs fand am 1. Juni 2016 statt. Nach einer umfassenden Beratung dieser Gesetzentwürfe sowie eines weiteren Entwurfs der Fraktion Freie Wähler in den Ausschüssen und einer Expertenanhörung wurde der Entwurf der Staatsregierung mit einigen Änderungen (vgl. LT-Drs. 17/13604, 17/14511) in zweiter und dritter Lesung am 8./9. Dezember 2016 in namentlicher Abstimmung mit den Stimmen der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag gegen die Stimmen der übrigen Landtagsfraktionen angenommen (Plenarprotokoll 17/89 S. 7641 ff.). Abgeordnete der Antragstellerinnen trugen bei den Beratungen im Landtagsplenum und in den Ausschüssen vor, dass eine Reihe von Bestimmungen des Gesetzes mit der Bayerischen Verfassung unvereinbar sei. Das Gesetz wurde am 13. Dezember 2016 vom Bayerischen Ministerpräsidenten ausgefertigt und am 19. Dezember 2016 im Bayerischen Gesetz- und Verordnungsblatt Nr.19/2016 auf den Seiten 335 bis 344 bekannt gemacht.
3
2. Das Bayerische Integrationsgesetz hat in seiner ursprünglichen Fassung auszugsweise folgenden Wortlaut:
Präambel
Bayern ist Teil der deutschen Nation mit gemeinsamer Sprache und Kultur. 2Es ist tief eingewurzelt in Werte und Traditionen des gemeinsamen christlichen Abendlandes und weiß zugleich um den jüdischen Beitrag zu seiner Identität. 3Die Würde des Menschen, die Freiheit der Person, die Gleichheit und Gleichberechtigung aller Menschen, das Recht jedes Einzelnen auf ein selbstbestimmtes, aber auch selbstverantwortliches Leben und die Unterscheidung von Staat und Religion sind als Frucht der Aufklärung tragende Grundlage unserer Rechts- und Gesellschaftsordnung. 4Die nationalsozialistische Willkürherrschaft, die Verbrechen des Dritten Reichs und die Schrecken des Zweiten Weltkrieges haben gelehrt, dass allein eine grundrechtlich ausgerichtete Herrschaft des Rechts vor Terror, Diktatur und Spaltung bewahrt und Voraussetzung für Frieden und Freiheit ist. 5Jeder Einzelne ist daher zur Wahrung des Rechts und zur Loyalität gegenüber Volk und Verfassung, Staat und Gesetzen verpflichtet. 6Die demokratische Verfasstheit des Gemeinwesens bindet umgekehrt alle Staatsgewalt an die Stimme des Volkes. 7Die Solidarität mit den Schwächeren und Hilfsbedürftigen ist Gebot der Gemeinschaft wie jedes Einzelnen, setzt aber zugleich voraus, dass in erster Linie jeder zunächst selbst verpflichtet ist, Verantwortung für sich und die Seinen zu übernehmen und sein Möglichstes dazu beizutragen. 8Die Gemeinschaft kann nur leisten, was gemeinsam von allen erwirtschaftet wird, und darf daher von jedem seinen Beitrag erwarten. 9Ganz Bayern ist geformt von gewachsenem Brauchtum, von Sitten und Traditionen. 10Die freiheitliche Lebensweise in einer offenen und pluralen Gesellschaft erfordert gleichermaßen gegenseitige Toleranz und Achtung der kulturellen Prägung unseres Landes. 11In den zurückliegenden Jahrzehnten ist es so zur neuen Heimat für Viele geworden, die sich hier eingebracht und eingelebt haben. 12Das lange geschichtliche Ringen unserer Nation und unseres ganzen Kontinents um Einheit, Recht, Frieden und Freiheit verpflichtet auf das errungene ge-samteuropäische Erbe und das Ziel eines gemeinsamen europäischen Weges. 13Dieser identitätsbildende Grundkonsens wird täglich in unserem Land gelebt und bildet die kulturelle Grundordnung der Gesellschaft (Leitkultur). 14Diese zu wahren, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern und Migrantinnen und Migranten zu einem Leben in unserer Gesellschaft zu befähigen, ist Zweck dieses Gesetzes.
Art. 1
Integrationsziele
1Bayern bekennt sich zu seiner Verantwortung gegenüber allen, die aus anderen Staaten kommen und hier nach Maßgabe der Gesetze Aufnahme gefunden haben oder Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen. 2Es ist Ziel dieses Gesetzes, diesen Menschen für die Zeit ihres Aufenthalts Hilfe und Unterstützung anzubieten, um ihnen das Leben in dem ihnen zunächst fremden und unbekannten Land zu erleichtern (Integrationsförderung), sie aber zugleich auf die im Rahmen ihres Gast- und Aufenthaltsstatus unabdingbare Achtung der Leitkultur zu verpflichten und dazu eigene Integrationsanstrengungen abzuverlangen (Integrationspflicht). 3Das soll zugleich einer Überforderung der gesellschaftlich-integrativen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Landes und seiner kommunalen Ebenen entgegenwirken.
Art. 2
Begriffsbestimmungen
(1) 1Migrantinnen und Migranten im Sinne dieses Gesetzes sind alle Ausländerinnen und Ausländer, die sich dauerhaft berechtigt in Bayern aufhalten. 2Gleichgestellt sind Ausländerinnen und Ausländer, die eine Aufenthaltsgestattung besitzen und bei denen ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist. 3Nicht erfasst sind Personen, die nach Regelungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 5 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) oder nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 und 3 AufenthG vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit sind.
(2) Ausländerinnen und Ausländer
1. nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG und nach § 28 der Aufenthaltsverordnung (AufenthV),
2. die einen Aufenthaltstitel nach § 18 AufenthG besitzen, wenn der Ausübung der Beschäftigung nach § 2 Abs. 3, § 4 oder § 10 der Beschäftigungsverordnung (BeschV) zugestimmt wurde oder sie nach § 2 Abs. 1 Nr. 3, § 3 oder § 5 BeschV ohne Zustimmung zulässig ist,
3. die einen Aufenthaltstitel nach den §§ 18b bis 21 AufenthG besitzen,
4. für die § 41 AufenthV gilt oder
5. die als Angehörige der in den Nrn. 1 bis 4 genannten Personen einen Aufenthaltstitel zum Familiennachzug besitzen oder
6. die Ehegatten oder Lebenspartner eines Deutschen sind,
sind Migrantinnen und Migranten nur in Bezug auf die Regelungen dieses Gesetzes über die Integrationsförderung.
(3) 1Die Regelungen dieses Gesetzes über die Integrationsförderung gelten entsprechend für Deutsche, die in besonderer Weise integrationsbedürftig sind und
1. außerhalb der heutigen Grenzen der Bundesrepublik Deutschland geboren und nach 1955 in das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zugewandert sind oder
2. zumindest einen Eltern- oder Großelternteil haben, der die Bedingungen der Nr. 1 erfüllt.
2In besonderer Weise integrationsbedürftig ist insbesondere, wer die deutsche Sprache nicht mindestens auf dem Niveau A2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen beherrscht.
Art. 3
Allgemeine Integrationsförderung
(1) 1Bildung ist ein zentraler Schlüssel zur Integration. 2Der Staat unterstützt sowohl minderjährige als auch erwachsene Migrantinnen und Migranten darin, spezifische Bildungslücken auszugleichen, die ihren Grund nicht in ihren persönlichen Anlagen und Bildungsanstrengungen haben, sondern auf strukturellen Bildungsdefiziten ihres Herkunftsstaats beruhen oder migrationsbedingt sind. 3Die Zugangsvoraussetzungen zu den einzelnen schulischen Bildungswegen und -einrichtungen einschließlich begründeter Ausnahmen für Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Muttersprache regeln die Schulordnungen auf Basis der einschlägigen gesetzlichen Ermächtigungen.
(2) Der Staat unterstützt Migrantinnen und Migranten durch geeignete Angebote in dem ihnen abverlangten Bemühen, sich mit den in der heimischen Bevölkerung vorherrschenden Umgangsformen, Sitten und Gebräuchen vertraut zu machen, soweit sich diese von denjenigen in den Herkunftsstaaten unterscheiden.
(3) 1Eltern leisten durch Erziehung und Wertevermittlung einen wesentlichen Beitrag zu einer gelingenden Integration. 2Der Staat unterstützt Migrantinnen und Migranten durch geeignete Angebote darin, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern in Deutschland anzunehmen, einzuüben und auch selbstbewusst zu vertreten.
(4) 1Gelingende Integration bedarf der gegenseitigen Rücksichtnahme und Toleranz sowie des Respekts vor der Einzigartigkeit, der Lebensgeschichte und den Prägungen des jeweils anderen. 2Der Staat fördert an der Leitkultur ausgerichtete Angebote, die Migrantinnen und Migranten in politischer Bildung, deutscher Geschichte einschließlich der Lehren aus den Verbrechen des Dritten Reiches und in der Rechtskunde unterweisen und ihnen die heimische Kultur, Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung näherbringen. 3Er fördert zugleich die interkulturelle Sensibilität von Bevölkerung und Verwaltung und unterstützt integrativ wirkende Projekte.
(5) Der Staat unterstützt Angebote der Migrationsberatung, um den Migrantinnen und Migranten im Bedarfsfall einzelfallgerechte Hilfe und Unterstützung in den eigenen Integrationsbemühungen zu gewähren.
(6) 1Das an den Integrationszielen dieses Gesetzes ausgerichtete bürgerschaftliche Engagement von und für Migrantinnen und Migranten soll in allen Bereichen der Gesellschaft gestärkt werden. 2Migrantinnen und Migranten werden ermutigt, durch bürgerschaftliches Engagement einen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten und sich auf diese Weise zu unserem Land und seinen Werten zu bekennen. 3Der Staat erkennt den wichtigen Beitrag an, den Verbände und Vereine leisten, wenn sie über Angebote informieren, für Teilnahme werben und sich aktiv in den politischen Prozess einbringen. 4Er unterstützt die ehrenamtliche Arbeit vor Ort durch geeignete Angebote, insbesondere zur Information und Koordinierung.
(7) Der Staat unterstützt Angebote der Rückkehrberatung, um ausreisepflichtigen oder rückkehrwilligen Ausländerinnen und Ausländern bedarfsgerechte Hilfe und Unterstützung für die Rückkehr in ihre Herkunftsstaaten zu gewähren.
(8) 1Migrationsbedingte Erwägungen können im Rahmen von Ermessensentscheidungen berücksichtigt werden, soweit dies den in Art. 1 genannten Integrationszielen in geeigneter Weise dienen kann. 2Alle staatlichen Behörden verwirklichen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten und der geltenden Gesetze die Integrationsziele dieses Gesetzes.
(9) 1Förderungen nach diesem Artikel erfolgen nach Maßgabe gesonderter Förderrichtlinien. 2Diese sind jeweils gemäß den haushaltsrechtlichen Bestimmungen zu befristen und mit einem Haushaltsvorbehalt zu versehen.
Art. 4
Deutsche Sprache
(1) 1Nur wer deutsch spricht, kann sich vollumfänglich in das öffentliche Leben und Arbeiten einfügen. 2Eigenes Engagement beim Spracherwerb liegt daher im wohlverstandenen Eigeninteresse der Migrantinnen und Migranten.
(2) Wer volljährig ist und sich in den vorangegangenen sechs Jahren mindestens drei Jahre in Deutschland ständig aufgehalten hat, soll sich mit jedermann in deutscher Sprache angemessen verständigen können.
(3) 1Der Staat unterstützt Migrantinnen und Migranten in den ersten sechs Jahren nach ihrer Einreise nach Deutschland in ihren Bemühungen, die deutsche Sprache in Wort und Schrift zu erlernen. 2Art. 3 Abs. 9 gilt entsprechend. 3Wer aus selbst zu vertretenden Gründen das im Rahmen einer gewährten Förderung mindestens erwartbare Sprachniveau nicht erreicht, kann vorbehaltlich anderweitiger Bestimmungen nach Maßgabe einschlägiger Förderrichtlinien zur angemessenen Erstattung von Förderkosten verpflichtet werden.
(4) 1Die notwendigen Kosten für die Heranziehung eines Dolmetschers oder Übersetzers durch Behörden können Personen im Sinne des Abs. 2 auch dann auferlegt werden, wenn eine Kostenauferlegung nicht nach anderen Vorschriften vorgesehen ist. 2Haftungsansprüche wegen fehlerhafter Übersetzung gegen die Körperschaft, deren Behörde den Dolmetscher oder Übersetzer herangezogen hat, sind ausgeschlossen.
Art. 5
Vorschulische Sprachförderung
(1) 1Die Träger von Kindertageseinrichtungen fördern die sprachliche Entwicklung der Kinder von Anfang an und tragen hierbei den besonderen Anforderungen von Kindern aus Migrantenfamilien und Kindern mit sonstigem Sprachförderbedarf Rechnung. 2Kinder sollen lernen, sich entwicklungsangemessen in der deutschen Sprache sowie durch die allgemein übliche Mimik und Körpersprache auszudrücken, längeren Darstellungen oder Erzählungen zu folgen und selbst Geschichten zusammenhängend zu erzählen. 3Sie sollen Wortschatz, Begriffs- und Lautbildung, Satzbau und sprachliche Abstraktion in der deutschen Sprache entsprechend ihrem Entwicklungsstand erweitern und verfeinern. 4Die Verwendung der lokalen Dialekte wird unterstützt und gepflegt. 5Das pädagogische Personal muss über die erforderlichen deutschen Sprachkenntnisse verfügen und soll die notwendigen interkulturellen Kompetenzen im erforderlichen Umfang fortentwickeln.
(2) 1Ab der ersten Hälfte des vorletzten Kindergartenjahres (Art. 26 Abs. 1 Satz 5 des Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes – BayKiBiG) vor Eintritt der Vollzeitschulpflicht wird bei allen Kindern zur frühzeitigen Feststellung und Förderung einer entsprechenden Entwicklung für die spätere Leistungsfähigkeit in der Schule der Sprachstand erhoben. 2Zuständig ist die Kindertageseinrichtung, die das Kind besucht. 3Besucht das Kind keine Kindertageseinrichtung, führt die Sprachstandserhebung die Grundschule durch, in der die Schulpflicht voraussichtlich zu erfüllen ist. 4In den Fällen des Satzes 3 müssen die Erziehungsberechtigten dafür sorgen, dass ihr Kind an der Sprachstandserhebung teilnimmt.
(3) 1Ein Kind, bei dem das Ergebnis der Sprachstandserhebung nach Abs. 2 erwarten lässt, dass seine Deutschkenntnisse für eine erfolgreiche Teilnahme am Unterricht der Grundschule nicht ausreichen werden, soll in der Zeit bis zur Einschulung einen Vorkurs zur Förderung der deutschen Sprachkenntnisse besuchen. 2Die Erziehungsberechtigten des Kindes können durch die nach Abs. 2 Satz 2 oder 3 zuständige Stelle über mögliche weitere Fördermaßnahmen, eine gegebenenfalls bestehende finanzielle Unterstützung und die Vorzüge eines regelmäßigen Kindergartenbesuchs informiert werden. 3Wird ein solches Gespräch in den Fällen des Abs. 2 Satz 3 angeboten, sind sie zur Teilnahme verpflichtet.
(4) Erfüllt ein Träger einer Kindertageseinrichtung die sich aus Abs. 1 und 2 oder Art. 6 ergebenden Verpflichtungen nicht, richten sich Widerruf und Rücknahme der Erlaubnis für den Betrieb der Einrichtung nach § 45 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 7 des Achten Buches Sozialgesetzbuch.
(5) Das Nähere zu den Abs. 1 bis 4 kann das Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration im Einvernehmen mit dem Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst durch Rechtsverordnung regeln.
(6) Mit Geldbuße kann von der Kreisverwaltungsbehörde belegt werden, wer den Pflichten nach Abs. 2 Satz 4 oder Abs. 3 Satz 3 zuwiderhandelt.
Art. 6
Frühkindliche Bildung
1Alle Kinder in Kindertageseinrichtungen sollen zentrale Elemente der christlich-abendländischen Kultur erfahren. 2Der Träger einer Kindertageseinrichtung hat dafür Sorge zu tragen, dass sie lernen, sinn- und werteorientiert und in Achtung vor religiösen Überzeugungen zu leben sowie eine eigene von Nächstenliebe getragene religiöse oder weltanschauliche Identität zu entwickeln. 3Zur Bildung der gesamten Persönlichkeit der Kinder unterstützt und stärkt das pädagogische Personal die Entwicklung von freiheitlich-demokratischen, religiösen, sittlichen und sozialen Werthal-tungen. 4Die Kindertageseinrichtungen sollen dazu beitragen, die Integrationsbereitschaft der Familien von Migrantinnen und Migranten zu fördern.
Art. 7
Schulen
(1) 1Die Schulen fördern im Rahmen ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags nach Art. 131 der Verfassung die in Art. 1 genannten Integrationsziele. 2Hierzu unterstützen sie die Integrationsbemühungen von Migrantinnen und Migranten und die interkulturelle Kompetenz aller Schülerinnen und Schüler und vermitteln in diesem Zusammenhang auch die grundlegende Rechts- und Werteordnung der Verfassung. 3Sie sollen darauf hinwirken, dass die Schülerinnen und Schüler Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit offen und unbefangen annehmen.
(2) Auf die interkulturelle und integrative Kompetenz soll im erforderlichen Umfang in der Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte besonderer Wert gelegt werden.
(3) 1Für Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Muttersprache können insbesondere in Pflichtschulen gesonderte Klassen und sonstige Fördermaßnahmen zur Sprachförderung und schulischen Integration eingerichtet werden. 2Ziel ist eine frühestmögliche Aufnahme in den Unterricht der Regelklassen.
(4) 1Die Teilnahme am Unterricht ist Grundvoraussetzung schulischer Integration. 2Befreiungen vom Unterricht aus religiösen Gründen, die sich nicht lediglich auf einzelne Tage beschränken, sind auf die verfassungsrechtlich zwingenden Fälle zu beschränken. 3Vorrangig sind organisatorische oder prozedurale Maßnahmen auszuschöpfen.
Art. 8
Hochschulen
1Hochschulen können für studieninteressierte, nicht immatrikulierte Migrantinnen und Migranten besondere Förderangebote einrichten, insbesondere um ihnen den Erwerb der deutschen Sprache zu erleichtern, sie über Bildungs- und Ausbildungswege zu informieren und einzelne spezifische Bildungslücken auszugleichen, die ihren Grund nicht in ihren persönlichen Anlagen und Bildungsanstrengungen haben, sondern auf strukturellen Bildungsdefiziten ihres Herkunftsstaats beruhen oder migrationsbedingt sind. 2Die Hochschulen sind nicht befugt, Prüfungen abzunehmen, die zu einem allgemeinen Bildungsabschluss führen. 3Entsprechende Angebote können jeweils längstens zwei Jahre an einer Hochschule in Anspruch genommen werden. 4Die Hochschulen regeln die Einzelheiten durch Satzung, insbe-sondere zum Status der Migrantinnen und Migranten, den Zugangs- und Zulassungsvoraussetzungen zu den Angeboten, möglichen Prüfungen und zur Datenerhebung und Datennutzung. 5Die Bestimmungen über den Hochschulzugang und die Hochschulzulassung bleiben unberührt.
Art. 9
Kommunen
1Die örtliche Gemeinschaft leistet einen unverzichtbaren Beitrag, die Integration von Migrantinnen und Migranten zu fördern, sie bei der Erfüllung ihrer Integrationspflichten zu unterstützen und das wechselseitige kulturelle Verständnis zu erleichtern. 2Die Gemeinden, Landkreise und Bezirke tragen dabei im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung, ihrer jeweiligen finanziellen Leistungsfähigkeit und nach Maßgabe der Gesetze besondere Mitverantwortung für die in Art. 1 genannten Integrationsziele.
Art. 10
Verantwortung der Wirtschaft
(1) 1Die bayerische Wirtschaft trägt im Rahmen des Art. 151 der Verfassung Mitverantwortung für die in Art. 1 genannten Integrationsziele. 2Die staatlichen Förderprogramme insbesondere nach dem Mittelstandsförderungsgesetz können die Bemühungen einzelner Unternehmen positiv berücksichtigen, Migrantinnen und Migranten, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt sind, auf Unternehmenskosten die deutsche Sprache und die Leitkultur zu vermitteln und die in Art. 1 genannten Integrationsziele zu fördern.
(2) 1Qualifizierte Migrantinnen und Migranten sollen im Rahmen der geltenden Gesetze den heimischen Arbeitsmarkt bereichern. 2Das Potenzial der dualen Berufsausbildung und der schulisch strukturierten Aus- und Weiterbildung soll für die Qualifizierung der Migrantinnen und Migranten nutzbar gemacht werden.
Art. 11
Rundfunk und Medien
1Der Bayerische Rundfunk und die nach dem Bayerischen Mediengesetz an der Veranstaltung von Rundfunk Beteiligten unterstützen im Rahmen ihres Programmauftrags die Integration. 2Die Angebote in Rundfunk und Telemedien sollen einen Beitrag zur Vermittlung der deutschen Sprache und der Leitkultur leisten.
Art. 12
Landesleistungen
...
(3) 1Landesrechtliche Leistungen und Angebote können in den Fällen des Art. 13 Abs. 3 oder Art. 14 Abs. 2 in angemessenem Umfang gekürzt bzw. ganz oder teilweise versagt werden. 2Abs. 2 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
Art. 13
Achtung der Rechts- und Werteordnung
(1) 1Wer durch demonstrative Regelverstöße, Verunglimpfen oder sonst durch nach außen gerichtetes Verhalten beharrlich zum Ausdruck bringt, dass er die freiheitliche demokratische Grundordnung, insbesondere die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem das Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung und die Gleichberechtigung von Mann und Frau ablehnt, kann durch die Sicherheitsbehörden verpflichtet werden, sich einem Grundkurs über die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu unterziehen. 2Satz 1 gilt entsprechend bei Ablehnung des staatlichen Gewaltmonopols, des Verhältnisses von Religion und Staat, der gewaltlosen Erziehung von Kindern und des Schutzes von Minderjährigen oder der Beachtung des deutschen Straf-, Ehe- und Familienrechts. 3Die strafrechtliche Verantwortlichkeit bleibt unberührt.
(2) Abs. 1 gilt entsprechend für denjenigen, der durch wiederholte schwerwiegende Regelverstöße oder sonst durch ein offenkundig rechtswidriges Verhalten erkennen lässt, dass ihm die Rechts- und Werteordnung in ihren Grundsätzen unbekannt oder gleichgültig ist.
(3) Mit Geldbuße kann belegt werden, wer entgegen einer vollziehbaren Anordnung nach Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 nicht an dem Grundkurs Rechts- und Werteordnung teilnimmt oder dessen Durchführung behindert.
Art. 14
Unterlaufen der verfassungsmäßigen Ordnung
(1) Es ist verboten
1. öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften dazu aufzufordern, die geltende verfassungsmäßige Ordnung zu miss-achten und stattdessen einer mit ihren Grundsätzen nicht zu vereinbarenden anderen Rechtsordnung zu folgen,
2. es zu unternehmen, andere Personen einer solchen Ordnung zu unterwerfen oder
3. es zu unternehmen, eine solche Ordnung oder aus ihr abgeleitete Einzelakte zu vollziehen oder zu vollstrecken.
(2) 1Wer gegen das Verbot nach Abs. 1 verstößt, kann mit Geldbuße bis zu fünfzigtausend Euro belegt werden. 2Die Verfolgung verjährt in fünf Jahren, und zwar auch dann, wenn die Tat durch Verbreitung von Druckwerken begangen wird.
Art. 15
Bayerischer Integrationsbeauftragter, Bayerischer Integrationsrat
...
Art. 16
Integrationsbericht
...
Art. 17
Ausschluss der Klagbarkeit
...
Art. 17 a
Änderung weiterer Rechtsvorschriften
(1) Das Polizeiaufgabengesetz (PAG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. September 1990 (GVBl. S. 397, BayRS 2012-1-1-I), das zuletzt durch § 2 des Gesetzes vom 23. November 2015 (GVBl. S. 410) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
...
5. Art. 23 Abs. 3 wird wie folgt geändert:
a) In Nr. 2 wird der Schlusspunkt durch das Wort „oder“ ersetzt.
b) Es wird folgende Nr. 3 angefügt:
„3. sie als Unterkunft oder dem sonstigen, auch vorübergehenden Aufenthalt von Asylbewerbern und unerlaubt Aufhältigen dient.“
...
(5) Das Bayerische Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Mai 2000 (GVBl. S. 414, 632, BayRS 2230-1-1-K), das zuletzt durch § 1 des Gesetzes vom 23. Juni 2016 (GVBl. S. 102, 241) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. In der Inhaltsübersicht wird die Angabe zu Art. 37 a wie folgt gefasst:
„Art. 37 a (aufgehoben)“.
2. In Art. 2 Abs. 1 werden nach den Wörtern „im Geist der Völkerverständigung zu erziehen“ die Wörter „und die Integrationsbemühungen von Migrantinnen und Migranten sowie die interkulturelle Kompetenz aller Schülerinnen und Schüler zu unterstützen“ eingefügt.
3. Art. 35 Abs. 1 wird wie folgt geändert:
a) Satz 2 Halbsatz 1 wird wie folgt geändert:
aa) In Nr. 1 wird das Wort „Asylverfahrensgesetz“ durch die Angabe „Asylgesetz (AsylG)“ ersetzt.
bb) In Nr. 2 wird nach dem Wort „Aufenthaltsgesetzes“ die Angabe „(AufenthG)“ eingefügt.
cc) In Nr. 3 werden die Wörter „des Aufenthaltsgesetzes besitzt,“ durch die Wörter „AufenthG besitzt oder“ ersetzt.
dd) Im folgenden Satzteil werden die Wörter „diese Voraussetzungen“ durch die Wörter „die Voraussetzungen der Nrn. 1 bis 4“ ersetzt.
b) In Satz 2 Halbsatz 2 werden die Wörter „Nummern 1 und 2“ durch die Angabe „Nrn. 1 und 2“ ersetzt.
4. Art. 36 Abs. 3 wird wie folgt geändert:
a) Nach Satz 5 wird folgender Satz 6 eingefügt:
“6Schulpflichtige, die nach dem Asylgesetz verpflichtet sind, in einer besonderen Aufnahmeeinrichtung im Sinn des § 30 a AsylG zu wohnen, werden zur Erfüllung der Schulpflicht besonderen dort eingerichteten Klassen und Unterrichtsgruppen zugewiesen.“
b) Der bisherige Satz 6 wird Satz 7.
5. Dem Art. 37 wird folgender Abs. 4 angefügt:
„(4) Die zuständige Grundschule kann ein Kind, das weder eine Kindertageseinrichtung noch einen Vorkurs nach Art. 5 Abs. 3 des Bayerischen Integrationsgesetzes besucht hat und bei dem im Rahmen der Schulanmeldung festgestellt wird, dass es nicht über die notwendigen Deutschkenntnisse verfügt, von der Aufnahme zurückstellen und das Kind verpflichten, im nächsten Schuljahr eine Kindertageseinrichtung mit integriertem Vorkurs zu besuchen.“
6. Art. 37 a wird aufgehoben.
7. In Art. 76 Satz 3 werden die Angabe „Art. 37 a“ durch die Angabe „Art. 37 Abs. 4“ ersetzt und die Wörter „an der Sprachstandserhebung teilnimmt und“ gestrichen.
8. In Art. 85 Abs. 2 Satz 3 werden die Wörter „Werden Schulpflichtige, die nicht Bürgerinnen oder Bürger der Europäischen Union bzw. anderer Vertragsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums sind, erstmals an einer Grundschule angemeldet und stellt die Schule“ durch die Wörter „Stellt die Schule bei ausländischen Schulpflichtigen“ ersetzt.
9. In Art. 119 Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 1 wird die Angabe „Art. 37 a Abs. 3“ durch die Angabe „Art. 37 Abs. 4“ ersetzt.
(6) Das Bayerische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz (BayKiBiG) vom 8. Juli 2005 (GVBl. S. 236, BayRS 2231-1-A), das zuletzt durch Art. 8 a des Gesetzes vom 14. Juni 2016 (GVBl. S. 94) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. Art. 12 Abs. 2 wird wie folgt gefasst:
„(2) 1Die Träger von Kindertageseinrichtungen fördern die sprachliche Entwicklung der Kinder von Anfang an und tragen hierbei den besonderen Anforderungen von Kindern aus Migrantenfamilien (Art. 5 des Bayerischen Integrationsgesetzes – BayIntG) und Kindern mit sonstigem Sprachförderbedarf Rechnung. 2Die Kindertageseinrichtungen sollen im Rahmen des Art. 6 BayIntG dazu beitragen, die Integrationsbereitschaft der Familien von Migrantinnen und Migranten zu fördern.“
2. In Art. 19 Nr. 10 werden nach dem Wort „Rechtsvorschriften“ die Wörter „sowie die Art. 5 und 6 BayIntG“ eingefügt.
(7) Das Bayerische Wohnungsbindungsgesetz (BayWoBindG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Juli 2007 (GVBl. S. 562, 781, 2011 S. 115, BayRS 2330-3-I), das zuletzt durch Art. 9 a Abs. 11 des Gesetzes vom 22. Dezember 2015 (GVBl. S. 458) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. Die Inhaltsübersicht wird wie folgt geändert:
a) Nach der Angabe zu Art. 5 wird folgende Angabe eingefügt:
„Art. 5 a Ausgeglichene Bewohnerstruktur“.
b) Die bisherige Angabe zu Art. 36 wird die Angabe zu Art. 35.
2. Art. 5 wird wie folgt geändert:
a) In Satz 3 wird die Angabe „Satzes 5“ durch die Angabe „Satzes 7“ ersetzt.
b) Nach Satz 4 werden folgende Sätze 5 und 6 eingefügt:
„5Die zuständige Stelle hat zugleich dafür Sorge zu tragen, dass möglichst nur Wohnungssuchende benannt werden, deren Zuzug einseitige Bewohnerstrukturen weder schafft noch verfestigt (Strukturkomponente). 6Bei der Benennung sind jeweils die Dringlichkeit und die Strukturkomponente zu berücksichtigen.“
c) Der bisherige Satz 5 wird Satz 7.
3. Nach Art. 5 wird folgender Art. 5 a eingefügt:
„Art. 5 a
Ausgeglichene Bewohnerstruktur
1Wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass sich im Umkreis einer freien oder bezugsfertig werdenden Wohnung außerhalb der durch Rechtsverordnung nach Art. 5 bestimmten Gebiete eine einseitige Bewohnerstruktur zu bilden droht oder eine solche bereits eingetreten ist, hat die zuständige Stelle den Verfügungsberechtigten unverzüglich zu verpflichten, die Wohnung nur an solche Wohnungssuchende zum Gebrauch zu überlassen, deren Zuzug sie zuvor zugestimmt hat. 2Eine Anfechtungsklage gegen einen Bescheid nach Satz 1 hat keine aufschiebende Wirkung. 3Im Falle einer Verpflichtung nach Satz 1 darf der Verfügungsberechtigte die Wohnung erst nach der schriftlichen Zustimmung durch die zuständige Stelle an einen bestimmten Wohnungssuchenden zum Gebrauch überlassen.4Die Zustimmung nach Satz 1 gilt als erteilt, wenn die zuständige Stelle sie nicht binnen einer Woche nach Anzeige und vollständiger Auskunft verweigert. 5Die Zustimmung darf nur verweigert werden, wenn die Überlassung einseitige Bewohnerstrukturen schafft oder verfestigt.“
4. Der bisherige Art. 36 wird Art. 35.
(8) § 3 der Durchführungsverordnung Wohnungsrecht (DVWoR) vom 8. Mai 2007 (GVBl. S. 326, BayRS 2330-4-I), die zuletzt durch Verordnung vom 10. November 2015 (GVBl. S. 414) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. Abs. 3 wird wie folgt geändert:
a) Satz 1 wird durch folgende Sätze 1 und 2 ersetzt:
„1Die zuständige Stelle hat Wohnungssuchende unter Berücksichtigung von Dringlichkeit und Strukturkomponente in einer Art. 5 Satz 6 BayWoBindG entsprechenden Rangfolge zu benennen. 2Bei Gleichrangigkeit entscheidet die Dauer der Bewerbung.“
b) Der bisherige Satz 2 wird Satz 3 und seine Nr. 2 wie folgt gefasst:
„2. ergänzend danach, wie lange sich der antragstellende Wohnungssuchende schon in der kreisfreien Gemeinde oder dem Landkreis gewöhnlich aufhält, wo er sich um eine Wohnung bewirbt.“
c) Es werden folgende Sätze 4 und 5 angefügt:
„Wer als dringlich benannt wurde, eine ihm angebotene Wohnung aber ohne triftigen Grund ausschlägt, verliert für die auf die Ausschlagung folgenden neun Monate den Status der Dringlichkeit. 5Dem Wohnungssuchenden sind die Gründe für die Entscheidung nach Satz 4 schriftlich mitzuteilen.“
2. Abs. 4 wird wie folgt gefasst:
„(4) Bei der Benennung kann von der Rangfolge des Abs. 3 abgewichen werden, um die Voraussetzungen zur Linderung sozialer Hilfebedürftigkeit in dringenden Fällen zu schaffen.“
3. Abs. 5 wird wie folgt geändert:
a) In Satz 1 werden die Wörter „der Dringlichkeit“ durch die Wörter „des Abs. 3 Satz 1 bis 3“ ersetzt.
b) In Satz 3 werden die Wörter „Satz 2 Nr. 2 danach bestimmen kann, wie lang der Wohnungssuchende schon in der Gemeinde wohnt (Hauptwohnung)“ durch die Wörter „Satz 3 Nr. 2 danach bestimmen kann, wie lange sich der antragstellende Wohnungssuchende schon in der Gemeinde gewöhnlich aufhält“ ersetzt.
(9) Art. 59 des Bayerischen Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetzes (BaySvVollzG) vom 22. Mai 2013 (GVBl. S. 275, BayRS 312-0-J), das zuletzt durch Art. 53 a Abs. 5 des Gesetzes vom 17. Juli 2015 (GVBl. S. 222) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. Der Wortlaut wird Abs. 1.
2. Es wird folgender Abs. 2 angefügt:
„(2) Sicherungsverwahrte mit Deutsch- oder Integrationsdefiziten sollen dazu angehalten werden, auf freiwilliger Basis an dem in Art. 40 Abs. 2 und 3 BayStVollzG genannten Unterricht teilzunehmen, wenn dies dem Zweck der Sicherungsverwahrung nicht widerspricht und mit vertretbarem Aufwand ermöglicht werden kann.“
(10) Das Bayerische Untersuchungshaftvollzugsgesetz (BayUVollzG) vom 20. Dezember 2011 (GVBl. S. 678, BayRS 312-1-J), das durch Art. 99 Abs. 2 des Gesetzes vom 22. Mai 2013 (GVBl. S. 275) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. Dem Art. 26 wird folgender Abs. 5 angefügt:
„(5) Untersuchungsgefangene mit Deutsch- oder Integrationsdefiziten sollen dazu angehalten werden, freiwillig an dem in Art. 40 Abs. 2 und 3 BayStVollzG genannten Unterricht teilzunehmen.“
2. Art. 33 Abs. 2 wird wie folgt geändert:
a) Der Wortlaut wird Satz 1.
b) Es wird folgender Satz 2 angefügt:
„2Art. 40 Abs. 2 und 3 BayStVollzG gilt entsprechend.“
(11) Das Bayerische Strafvollzugsgesetz (BayStVollzG) vom 10. Dezember 2007 (GVBl. S. 866, BayRS 312-2-1-J), das zuletzt durch § 1 Nr. 325 der Verordnung vom 22. Juli 2014 (GVBl. S. 286) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. Art. 40 wird wie folgt geändert:
a) Nach Abs. 1 werden folgende Abs. 2 und 3 eingefügt:
„(2) Gefangene haben an einem von der Anstalt angebotenen Deutschunterricht teilzunehmen, wenn sie der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig sind, um sich nach ihrer Entlassung im Alltag fließend in deutscher Sprache verständigen zu können, und körperlich sowie geistig dazu in der Lage sind.
(3) 1Gefangene haben an einem von der Anstalt angebotenen Integrationsunterricht teilzunehmen, wenn sie Integrationsdefizite aufweisen und körperlich sowie geistig dazu in der Lage sind. 2Der Integrationsunterricht dient den in Art. 1 des Bayerischen Integrationsgesetzes genannten Integrationszielen.“
b) Der bisherige Abs. 2 wird Abs. 4.
2. In Art. 145 Abs. 5 wird die Angabe „Abs. 2“ durch die Angabe „Abs. 4“ ersetzt.
(12) Das Bayerische Maßregelvollzugsgesetz (BayMRVG) vom 17. Juli 2015 (GVBl. S. 222, BayRS 312-3-A) wird wie folgt geändert:
1. In der Inhaltsübersicht wird die Angabe zu Art. 53 a gestrichen.
2. Dem Art. 10 wird folgender Abs. 4 angefügt:
„(4) Die Maßregelvollzugseinrichtung soll die untergebrachte Person dazu anhalten, freiwillig an Deutsch- bzw. Integrationsunterricht entsprechend Art. 40 Abs. 2 und 3 BayStVollzG teilzunehmen, wenn dies den Zwecken des Maßregelvollzugs nicht widerspricht und ihr mit vertretbarem Aufwand ermöglicht werden kann.“
3. In Art. 41 Nr. 1 wird die Angabe „10 Abs. 2“ durch die Angabe „10 Abs. 2 und 4“ ersetzt.
4. Art. 53 a wird aufgehoben.
...
Art. 18
Einschränkung von Grundrechten
Auf Grund dieses Gesetzes können die Grundrechte auf Freiheit der Person, Versammlungsfreiheit, Unverletzlichkeit der Wohnung und Eigentum (Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 8 Abs. 1, Art. 13 und 14 des Grundgesetzes, Art. 101, 102 Abs. 1, Art. 103, 106 Abs. 3 und Art. 113 der Verfassung) eingeschränkt werden.
Art. 19
Inkrafttreten, Außerkrafttreten
(1) 1Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 2017 in Kraft. 2Abweichend von Satz 1 treten in Kraft:
1. Art. 8 mit Wirkung vom 15. März 2016,
2. Art. 5 Abs. 2, 3, 6 und Art. 17 a Abs. 5 am 1. August 2017.
(2) 1Art. 8 tritt mit Ablauf des 30. September 2021 außer Kraft. 2Entspre-chende Angebote der Hochschulen laufen zu dem in Satz 1 genannten Datum aus.
4
3. Mit Wirkung vom 1. April 2019 wurde u. a. Art. 17 a BayIntG aufgehoben; die bisherigen Art. 18 und 19 BayIntG wurden Art. 17 und 18 BayIntG (Art. 3 a Nrn. 4 und 5, Art. 4 des Gesetzes vom 25. März 2019, GVBl S. 58, BayRS 1102-12-S).
II.
1. Vf. 6-VIII-17
5
Die SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag (Antragstellerin zu I) macht mit ihrem am 2. Mai 2017 eingegangenen Antrag gegenüber der CSU-Landtagsfraktion und der Bayerischen Staatsregierung geltend, Art. 1 Satz 2 Halbsatz 2, Art. 4 Abs. 4, Art. 6 Satz 1, Art. 11 Satz 2, Art. 13 Abs. 1 und 2 und Art. 14 Abs. 1 BayIntG verstießen aus den von ihren Mitgliedern bereits in den Ausschussberatungen wie auch in der zweiten und dritten Lesung im Plenum vorgebrachten Gründen gegen die Bayerische Verfassung.
6
a) Als Leitlinie und Hilfe bei der Auslegung der als verfassungswidrig gerügten Normen sei die Präambel zu berücksichtigen, die neben Zustandsbeschreibungen (Sätze 1, 2, 9, 11) und Programmsätzen (Sätze 3, 4, 6, 13) auch Forderungen enthalte, die sich an alle Bewohner Bayerns richteten (Sätze 5, 7, 8, 10, 12). Aus dem Gehalt der Sätze 1 bis 12 solle sich der „identitätsbildende Grundkonsens“ bzw. die „kulturelle Grundordnung der Gesellschaft“ ergeben, die als „Leitkultur“ bezeichnet werde (Satz 13) und deren Wahrung den Zweck des Gesetzes bilde. Die Gesetzesbegründung zur Präambel sei insofern widersprüchlich, als danach einerseits nicht gewollt sei, die persönliche Haltung „jedes Einwohners von Bayern“ zu dieser „faktisch zu konstatierenden Prägung“ zu determinieren, andererseits aber von den Migrantinnen und Migranten verlangt werde, dass sie sich „der in Bayern herrschenden Kulturprägung nicht verweigern, sondern auf sie mit Respekt und Akzeptanz auch in ihrem eigenen Verhalten zugehen“. Die in der Präambel enthaltenen Gebote und Verpflichtungen seien daher trotz ihrer neutralen Formulierung so zu verstehen, dass sie sich ausschließlich an die Migrantinnen und Migranten richteten.
7
Die Gesetzesziele des Bayerischen Integrationsgesetzes und dessen Regelungen zum Spracherwerb, zur Vorschulförderung und frühkindlichen Bildung, zu Schulen und Hochschulen, zum Programmauftrag für Rundfunk und Medien, zu Landesleistungen, zur Durchsetzung der Rechts- und Werteordnung, zur Sanktionierung des Unterlaufens der verfassungsmäßigen Ordnung im vorstrafrechtlichen Bereich sowie das Gebot der Achtung der Leitkultur beträfen nach Art. 1 Satz 1 BayIntG die Integration derjenigen, „die aus anderen Staaten kommen und hier nach Maßgabe der Gesetze Aufnahme gefunden haben oder Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen“, mithin von Flüchtlingen. Deren Angelegenheiten einschließlich aller Fragen der Eingliederung und Förderung könne nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 6 GG der Bund umfassend regeln. Er habe von diesem Kompetenztitel mit den Regelungen zur Integration in den §§ 43 bis 45 a AufenthG Gebrauch gemacht.
8
b) Das in Art. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BayIntG formulierte Gesetzesziel, die aus anderen Staaten gekommenen Menschen auf die unabdingbare Achtung der Leitkultur zu verpflichten und ihnen eigene Integrationsanstrengungen abzuverlangen, gehe nach dem objektivierten Willen des Normgebers über das Präsentieren eines Werte- und Verhaltenskanons hinaus und greife in Form einer Verhaltenspflicht in den privaten Lebensbereich ein. Diese Verpflichtung, die über die Gesetzestreue- und Beachtenspflicht nach Art. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention hinausgehe, sei nicht nur als seelisch-geistige Haltung zu verstehen, sondern umfasse das Merkmal des aktiven Einfügens. Sie sei daher am Abwehrrecht des Art. 101 i. V. m. Art. 100 BV zu messen, das auch gegenüber dem Gesetzgeber gelte und ihn zur Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verpflichte. Dessen Rahmen werde dadurch überschritten, dass nicht etwa die verfassungsmäßige Ordnung oder die Gesetze, sondern die Leitkultur zu achten sei, und dies nicht nur durch innerliche Akzeptanz, sondern durch ein nach außen wirksames und sichtbares Verhalten. Da die Leitkultur als vorgegeben und unveränderbar gedacht sei und ihre Geltung daher nicht vom Verhalten der Migrantinnen und Migranten abhänge, sei es nicht erforderlich, dass diese sich ihr nach außen hin sichtbar unterwürfen. Eine ausnahmslose Achtung durch jedermann sei praktisch ohnehin nicht durchsetzbar. Abgesehen von den Ausnahmen für EU-Ausländer verhindere schon der Tourismus ein eventuell angestrebtes einheitliches Erscheinungsbild. Die Regelung verstoße auch insofern gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip, als der Staat damit seine Neutralitätspflicht verletze und ein ideologisch überformtes „Bekenntnis zu Bayern“ verlange. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seien die Bürger frei, grundlegende Wertungen der Verfassung infrage zu stellen, solange sie dadurch Rechtsgüter anderer nicht gefährdeten.
9
c) aa) Art. 4 Abs. 4 Satz 1 BayIntG erweitere für den in Abs. 2 genannten Personenkreis die nach allgemeinen Vorschriften bestehende Pflicht zur Tragung von Dolmetscher- und Übersetzungskosten auf alle Verwaltungsverfahren. Dies verstoße gegen das in Art. 3 BV verankerte Grundrecht auf ein faires Verfahren, das in § 185 GVG, Art. 6 Abs. 3 Buchst. e EMRK, Art. 41 Abs. 4 GrCh und § 17 Abs. 1 AsylG spezialgesetzlich konkretisiert sei und auch im Verwaltungsverfahren gelte. Entgegen der Gesetzesbegründung lasse sich die Regelung des Art. 23 BayVwVfG nicht dahingehend verallgemeinern, dass der Verwender von Fremd-sprachen die verfahrensrechtliche Last der Verständigung zu tragen habe. Ein allgemeines Verursacherprinzip sei dieser Spezialvorschrift nicht zu entnehmen. Unter dem Aspekt der Waffengleichheit müsse vielmehr der Grundsatz gelten, dass die Kostenlast grundsätzlich bei der Verwaltung liege und nur in gesetzlich geregelten Fällen auf den Betroffenen abgewälzt werden könne; anders könne eine effektive Wahrnehmung subjektiver Rechte im Verwaltungsverfahren nicht stattfinden. Da ein großer Teil der von Art. 4 Abs. 2 BayIntG erfassten Migrantinnen und Migranten in den ersten Jahren nach der Flucht ohne große finanzielle Mittel lebe und in dieser Zeit häufig an Verwaltungsverfahren beteiligt und auf die Dienste von Dolmetschern und Übersetzern angewiesen sei, greife Art. 4 Abs. 4 BayIntG in ihr Recht auf ein faires Verfahren ein. Die Vorstellung, jedermann könne nach dreijährigem Aufenthalt in Deutschland ein ausreichend hohes Sprachniveau erreichen, sei angesichts der unterschiedlichen persönlichen Voraussetzungen lebensfremd. Die Sanktion für unzureichenden Spracherwerb sei nicht nur unverhältnismäßig, sondern auch gleichheitswidrig, weil ein Zusammenhang zwischen Spracherwerb und Aufenthaltsdauer statuiert werde. Der sprachunkundige Ausländer könne es weder bestimmen noch beeinflussen, in welchen Fällen und in welcher Intensität die Behörden die Heranziehung eines Dolmetschers oder Übersetzers veranlassten. Wegen fehlender Maßstäbe für die Ausübung des Ermessens könne auch eine verfassungskonforme Interpretation im Rahmen des Ermessens den Verfassungsverstoß nicht ausschließen, es werde vielmehr einer willkürlichen Handhabung der Bestimmung Tür und Tor geöffnet.
10
bb) Der in Art. 4 Abs. 4 Satz 2 BayIntG geregelte Ausschluss von Haftungsansprüchen bei Übersetzungsfehlern eines von der Behörde beauftragten Dolmetschers oder Übersetzers verstoße gegen die Bindung an Recht und Gesetz (Art. 3 Abs. 1 BV). Die Dolmetscher und Übersetzer würden von der Verwaltung beauftragt, um deren Arbeit zu ermöglichen und um die Rechte des Betroffenen z. B. bei der Anhörung nach Art. 28 BayVwVfG zu wahren. Sie würden daher auf der Seite des Staates tätig und seien auch nur gegenüber der Behörde vertraglich gebunden. Entgegen der Vorstellung des Gesetzgebers handle es sich um Verwaltungshelfer oder Beliehene und damit um Beamte im haftungsrechtlichen Sinn, für die der Staat nicht nur bundesrechtlich nach Art. 34 GG i. V. m. § 839 BGB, sondern auch gemäß Art. 97 BV nach Amtshaftungsgrundsätzen hafte. Wegen dieser landesverfassungsrechtlichen Regelung komme es nicht darauf an, ob ein Verstoß gegen Bundesrecht offenkundig zutage trete und schwerwiegend sei. Selbst wenn man eine gesetzliche Einschränkung der Staatshaftung auf Landesebene für zulässig halte, müsse sie sachlich gerechtfertigt sein. Auf die Bedeutung einer aktivierenden Integrationspolitik könne insoweit nicht verwiesen werden, da das Bayerische Integrationsgesetz nichts mit der Staatshaftung zu tun habe. Die Zweck-Mittel-Relation werde verfehlt, wenn auf der einen Seite tragende Verfassungsgrundsätze (Rechtsstaat, rechtliches Gehör, Gleichheitssatz) stünden, während es auf der anderen Seite dem Gesetzgeber vordergründig um die Abwehr von Sekundäransprüchen gehe. Ein solches Beispiel demonstrativer Gesetzgebung könne auch nicht im Hinblick auf eine angeblich unklare Haftungslage bei Dolmetschern und Übersetzern gerechtfertigt werden.
11
d) Die Regelung des Art. 6 Satz 1 BayIntG, wonach alle Kinder in Kindertageseinrichtungen zentrale Elemente der christlich-abendländischen Kultur erfahren sollten, sei nach ihrem Wortlaut dahingehend auszulegen, dass die Vermittlung christlich-religiöser Elemente vom Gesetzgeber intendiert sei. Dies werde bei einer systematischen Auslegung mit Blick auf Satz 2 der Präambel bestätigt. Der in Art. 6 Satz 1 BayIntG verwendete Begriff des „Erfahrens“ gehe über eine Wissensvermittlung hinaus und meine ein „an sich selbst Erleben“. Mit den „zentralen Elementen“ der christlich-abendländischen Kultur meine der Gesetzgeber die typischen Merkmale, Komponenten und Wesenszüge der christlichen Religion. Damit berühre die Vorschrift den Schutzbereich des elterlichen Erziehungsrechts nach Art. 126 Abs. 1 BV und der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit nach Art. 107 Abs. 1 BV. Diese Grundrechte seien auch beim freiwilligen Besuch privater Kindertageseinrichtungen zu beachten; die für die Schule in Art. 131 Abs. 2 BV formulierten Bildungsziele könnten für den vorschulischen Bereich keine Geltung beanspruchen. Die Religionsfreiheit umfasse ebenso wie die Erziehungsfreiheit der Eltern das Recht, die Kinder von Glaubensüberzeugungen fernzuhalten. Der Staat sei bei der Ausübung seines Bildungs- und Erziehungsauftrags zur Neutra-lität verpflichtet und dürfe nicht bestimmte Bekenntnisse, Religionen oder Weltanschauungen privilegieren oder das säkularisierte Gemeinwesen in spezifischer Weise religiös oder weltanschaulich zu prägen versuchen. Mit Art. 6 Satz 1 BayIntG werde gegen diese Neutralitätspflicht verstoßen und aktiv in die religiöse Erziehung von Kindern eingegriffen.
12
Der Eingriff könne nicht gerechtfertigt werden, da das Erfahren der Werte und Traditionen des christlichen Abendlands nicht notwendig sei, um das Kindeswohl zu wahren; es seien im Gegenteil Konflikte innerhalb der Familien und zwischen den Familien und den Kindertagesstätten zu befürchten. Die Regelung sei auch nicht verhältnismäßig, da die Erfahrung christlich-abendländischer religiöser Werte nicht geeignet sei, die Integration von Kindern in Kindertagesstätten zu fördern. Eltern mit nicht- oder andersgläubigem Hintergrund werde das Christentum als von der Gesellschaft vorausgesetztes Identifizierungsmerkmal vorgesetzt; sie würden damit unter Druck gesetzt, sich einer vermeintlich religiösen Identität zu beugen, die für die Zugehörigkeit faktisch nicht Voraussetzung sei. Ob damit der Integrationswille gestärkt werde, sei höchst zweifelhaft. Die freie Gesellschaft mache sich durch das Überstülpen christlich-abendländischer Werte unglaubwürdig. Selbst im hypothetischen Fall ihrer Eignung sei die Norm jedenfalls nicht erforderlich. Ein milderes Mittel der Integrationsförderung bestehe bereits in Art. 10 f. BayKiBiG, wonach die Befähigung zur Integration eines der ausdrücklichen Ziele der Bildungs- und Erfahrungsmöglichkeiten der Kindertagesstätten sei. Wegen der Bevormundung der Eltern in der religiösen Erziehung ihrer Kinder sei Art. 6 Satz 1 BayIntG auch unverhältnismäßig im engeren Sinn; er stehe in keinem angemessenen Verhältnis zum Eingriff in die Erziehungs- und negative Religionsfreiheit. Dass die Norm weitgehend denselben Wortlaut habe wie § 4 AVBayKiBiG, führe zu keinem anderen Ergebnis, da gegen diese seit 2005 geltende Bestimmung dieselben verfassungsrechtlichen Bedenken bestünden.
13
e) Die Bestimmung des Art. 11 Satz 2 BayIntG, wonach die Rundfunkangebote einen Beitrag zur Vermittlung der Leitkultur leisten sollten, umschreibe trotz ihrer sprachlich weiten Fassung einen ausschließlich gegenüber Migrantinnen und Migranten zu erfüllenden Auftrag, da die bayerische Leitkultur nach den in der Präambel formulierten Vorstellungen des Gesetzgebers von der bayerischen Bevölkerung bereits gelebt werde und ihr ebenso wie die deutsche Sprache nicht mehr vermittelt werden müsse. Entgegen der Gesetzesbegründung, wonach Art. 11 BayIntG nur die Programmverantwortlichen zur verstärkten Berücksichtigung der genannten Aspekte „ermuntern“ solle, handle es sich um einen klaren Programmauftrag zur Vermittlung der Leitkultur. Prüfungsmaßstab sei daher die zur Rundfunkfreiheit nach Art. 111 a BV gehörende Programmfreiheit, die sich auf die Auswahl, den Inhalt und die Ausgestaltung der Programme beziehe. Selbst wenn in dem Auftrag, zur Vermittlung der Leitkultur beizutragen, kein Programmauftrag gesehen würde, sei jedenfalls der Schutzbereich der Rundfunkfreiheit im Hinblick auf die Programmverantwortlichen und auf jeden Rezipienten eröffnet. Art. 11 Satz 2 BayIntG sei kein zur Einschränkung der Rundfunkfreiheit geeignetes allgemeines Gesetz, da die Vorschrift nicht zu der positiven Rundfunkordnung gehöre, die den rechtlichen Rahmen zur Ermöglichung von Rundfunk vorgebe. Vielmehr handle es sich um eine Einschränkung des durch Art. 4, 5 BayMG und §§ 26 bis 34 RStV vorgegebenen Ausgewogenheitsgebots und um einen Eingriff in die Programmgrundsätze. Die Vermittlung der Leitkultur an Migrantinnen und Migranten durch Angebote in Rundfunk und Telemedien konfligiere unmittelbar mit Art. 4 Satz 2 BayMG, da die Ausgewogenheit des Programms sich nicht damit vertrage, dass von der Leitkultur ein für die Migrantinnen und Migranten als verbindlich gedachter Achtungsanspruch ausgehen solle. Wenn die Leitkultur absolut gesetzt werde, trete an die Stelle der durch die Programmfreiheit geschützten Meinungspluralität im Bereich dessen, was die „kulturelle Grundordnung der Gesellschaft“ ausmache, die von Art. 11 Satz 2 BayIntG geforderte Weltanschauung. Dies widerspreche dem in Art. 111 a Abs. 1 Satz 4 BV formulierten Gebot, die sittlichen, religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen anderer zu achten. Eine Rechtfertigung für den Eingriff sei nicht ersichtlich. Jede Vorschrift, die in die inhaltliche Programmfreiheit eingreife und nicht durch die Schranken des Grundrechts gerechtfertigt sei, verstoße gegen den Grundsatz der Staatsfreiheit des Rundfunks und damit gegen Art. 111 a BV.
14
f) aa) Die in Art. 13 BayIntG normierte Befugnis der Sicherheitsbehörden, Personen unter bestimmten Voraussetzungen zu verpflichten, sich einem Grundkurs über die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu unterziehen, beziehe sich nicht auf den Begriff der Leitkultur oder die Bayerische Verfassung, sondern verweise auf das Grundgesetz und auf einfachgesetzliche Materien des Bundesrechts wie das deutsche Straf-, Ehe- und Familienrecht. Die Vorschriften des Art. 13 Abs. 1 und 2 BayIntG seien mangels Anknüpfung an eine Gefahr nicht dem Sicherheitsrecht, sondern dem Ordnungswidrigkeitenrecht zuzurechnen. Art. 13 BayIntG sei eine Sanktionsnorm, da sie bei Verstößen ein Übel androhe; damit solle laut Gesetzesbegründung „konkreter Akzeptanzdruck“ geschaffen werden. Prüfungsmaßstab sei daher das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot des Art. 104 Abs. 1 BV. Die tatbestandliche Unbestimmtheit mache die Norm verfassungswidrig und verhindere auch ihre Anwendung, wie sich aus parlamentarischen Auskünften ergebe, wonach seit dem Inkrafttreten des Art. 13 BayIntG kein einziger Grundkurs abgehalten worden sei.
15
Die Vorschrift sage nicht, was ein Regelverstoß sei, wann er als demonstrativ oder schwerwiegend anzusehen sei und durch welche konkrete Handlung er begangen werde. Die Gesetzesbegründung erwähne nur ein grob ungebührliches Verhalten gegenüber Einsatzkräften, ohne dass der Tatbestand darauf beschränkt sei. Mit der pauschalen Verweisung auf die Rechts- und Werteordnung in der Paragrafenüberschrift würden auch nicht normierte Werte zum tauglichen Objekt eines Regelverstoßes gemacht. Im Zusammenhang mit der in der Präambel als bestehend vorausgesetzten Leitkultur werde deutlich, dass jeder Verstoß gegen die „kulturelle Prägung unseres Landes“ den Tatbestand erfülle. Dies zeige sich besonders im Ehe- und Familienrecht. So sei zu fragen, ob der Tatbestand des Art. 13 Abs. 1 BayIntG schon erfüllt sei, wenn sich ein Ehemann entgegen § 1356 BGB beharrlich der Mithilfe im Haushalt verweigere, wenn eine muslimische Migrantin in der Fußgängerzone drei Schritte hinter ihrem Ehemann gehe oder wenn zwei Ehefrauen im Ausland nach der dortigen Rechtsordnung legal denselben Mann geheiratet hätten. Bei der vom Gesetz verlangten Achtung handle es sich um einen innerpsychischen Vorgang. Sanktioniert würden die grundsätzliche Ablehnung des staatlichen Regelungsanspruchs und die hieraus resultierenden, die Rechts- und Werteordnung als Ganzes infrage stellenden Verstöße. Damit werde die Grenze zum Gesinnungsstrafrecht überschritten. Das Bestimmtheitsgebot sei jedenfalls dadurch verletzt, dass die Sanktion in das Ermessen der Sicherheitsbehörde gestellt und die Verwirklichung des Sanktionsanspruchs daher nicht vorhersehbar sei.
16
bb) Mit Art. 13 Abs. 1 und 2 BayIntG werde aus den genannten Gründen auch gegen das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) verstoßen. Dies gelte besonders für Absatz 2, nach dessen Formulierung auch Verstöße gegen Sitte und Moral, gegen Gebote der Höflichkeit und der Umgangsformen sowie gegen die Leitkultur sanktioniert würden. Die Norm habe damit keinen bestimmbaren Anwendungsbereich mehr. Zu unbestimmt sei auch die Rechtsfolgenseite, da der Grundkurs über die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht konkretisiert werde und die inhaltliche Ausgestaltung damit im Belieben der Person stehe, die den Kurs abhalte. Ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip liege auch in der Nichteinhaltung der grundgesetzlichen Kompetenzordnung. Da der Bund von seiner Kompetenz im Strafrecht nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1, Art. 72 Abs. 1 GG umfassend Gebrauch gemacht und insbesondere durch § 98 AufenthG das ausländerrechtliche Ordnungsrecht umfassend und bußgeldbewehrt geregelt habe, sei für weitergehende landesrechtliche Sanktionsvorschriften wie Art. 13 Abs. 1 und 2 BayIntG kein Raum mehr. Die im Integrationsgesetz (BGBl 2016 I S. 1939) aufgestellten Forderungen seien nicht sanktionsbewehrt; darin liege ein absichtsvoller Regelungsverzicht des Bundesgesetzgebers.
17
g) Das Verbot des Unterlaufens der verfassungsmäßigen Ordnung (Art. 14 BayIntG) habe ebenfalls Sanktionscharakter und sei am strafrechtlichen Bestimmtheitsgebot des Art. 104 Abs. 1 BV zu messen. Die in Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 BayIntG der geltenden verfassungsmäßigen Ordnung als Tatbestandsmerkmal gegenübergestellte andere Rechtsordnung sei inhaltlich in keiner Weise konturiert und daher weder bestimmt noch bestimmbar. Nach der Gesetzesbegründung sei an Aufrufe gedacht gewesen, vorrangig der Scharia statt dem staatlichen Recht zu folgen. Da dies im Gesetz nicht zum Ausdruck gekommen sei, erfülle der Aufruf zu jeder Abweichung vom Kanon der geltenden verfassungsmäßigen Ordnung den Tatbestand, also z. B. auch Bestrebungen zur Wiedereinführung der Monarchie in Bayern oder zu sonstigen Änderungen der bisher geltenden verfassungsmäßigen Ordnung. Unter Bestimmtheitsgesichtspunkten problematisch seien auch die Begriffe des Unterwerfens (Art. 14 Abs. 1 Nr. 2 BayIntG) und des Vollziehens oder Vollstreckens (Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 BayIntG). Da in Deutschland nur deutsches Recht und Unionsrecht gelte, gebe es hier keine rechtlich bindenden Unterwerfungs-, Vollzugs- und Vollstreckungsakte einer anderen Rechtsordnung, die vom Tatbestand erfasst werden könnten. Soweit an in Deutschland nicht geltende Normen anderer Rechtsordnungen gedacht sei, seien diese hier nicht vollziehbar oder vollstreckbar; jeder Versuch dazu verstoße gegen deutsches Strafrecht. Es blieben damit nur noch kulturelle Verhaltensgebote, die sich aus einer fremden Leitkultur und aus der kulturellen Identität jedes Einzelnen ergeben könnten, die aber wegen ihrer Vielgestaltigkeit keine Rechtsordnung im Sinn des Art. 14 BayIntG sein könnten. Fehle es an dem mit dem Recht unlösbar verbundenen Geltungsanspruch, so handle es sich um Brauchtum, Sitte oder gesellschaftliche Konventionen, deren Befolgung in Bayern erlaubt sei, wenn kein ausdrückliches Verbot bestehe. Die laut Gesetzesbegründung der präventiven Gefahrenabwehr und insbesondere dem Schutz des staatlichen Gewalt- und Rechtsetzungsmonopols dienende Vorschrift des Art. 14 BayIntG verstoße gegen die bundesrechtliche Kompetenzordnung, da die Aufrechterhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung und der Schutz des staatlichen Gewaltmonopols im Strafgesetzbuch bereits umfassend und abschließend geregelt seien; eine ordnungsrechtliche Erweiterung des Strafrechts sei unzulässig.
2. Vf. 7-VIII-17
18
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag (Antragstellerin zu II) macht mit ihrem am 9. Mai 2017 eingegangenen Antrag gegenüber der CSU-Landtagsfraktion und der Bayerischen Staatsregierung geltend, die Präambel sowie Art. 1 bis 11, 13, 14, 17 a Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 5 bis 12 BayIntG verstießen aus den von ihren Abgeordneten im Gesetzgebungsverfahren mehrfach vorgebrachten Gründen gegen die Bayerische Verfassung.
19
a) aa) Das in Art. 1 Satz 2 BayIntG genannte Ziel einer Integrationspflicht sei als ausfüllungsbedürftiger Gestaltungsrahmen nach Art. 3 Abs. 8 BayIntG an alle Behörden der unmittelbaren und mittelbaren Landesverwaltung adressiert und könne insbesondere bei Ermessensentscheidungen rechtlich relevant werden. Der Landesgesetzgeber verfüge insoweit über keine Gesetzgebungskompetenz, sodass das Rechtsstaatsprinzip des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV verletzt werde. Die Länder seien nach Art. 72 Abs. 2 GG an der Einführung einer Integrationspflicht gehindert, da das Aufenthaltsgesetz des Bundes bewusst auf eine solche Regelung verzichtet habe. Die Regelungskompetenz für Fragen der Integration von Ausländern folge aus Art. 74 Abs. 1 Nrn. 4 und 6 GG. Integration könne als eine Facette des Aufenthalts und der Niederlassung angesehen und damit diesen kompetenzrechtlichen Begriffen zugeordnet werden, soweit ihr Schwerpunkt nicht in anderen Sachmaterien liege, etwa im Sozial- oder Familienrecht. Die einschlägigen bundesrechtlichen Regelungen fänden sich in den §§ 43 bis 45 AufenthG, in denen es um Integrationskurse und -programme gehe. Auch wenn daneben den Ländern Platz für substanzielle eigene Gesetzesregelungen verbleibe, sei jedenfalls ein Nachbessern durch den Landesgesetzgeber ausgeschlossen, soweit von der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz abschließend Gebrauch gemacht worden sei.
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Die Frage einer Integrationspflicht habe das Aufenthaltsgesetz geregelt, indem es auf deren Einführung verzichte. Der ursprüngliche Gedanke, dass die Integration „gefördert“ werde, sei 2007 um die Formulierung „und gefordert“ (§ 43 Abs. 1 AufenthG) ergänzt worden. Laut der Gesetzesbegründung werde von den Ausländern verlangt, eigene Anstrengungen zu ihrer Integration zu unternehmen; dazu gehöre, ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache zu erwerben, das Gewaltmonopol des Staates zu achten, die Werteordnung des Grundgesetzes verbindlich anzuerkennen, sich zur Glaubens-, Religions-, Meinungs- und Pressefreiheit sowie zur Gleichberechtigung von Mann und Frau zu bekennen. Nach wie vor stehe aber die Förderung im Mittelpunkt; eine Pflicht zur Anerkennung der Rechtsordnung (oder der „Kultur“ Deutschlands) werde nicht formuliert. Eine Pflicht, sich zu integrieren, enthalte das Aufenthaltsgesetz nicht; sie werde auch nicht als Ziel formuliert. Der Aspekt des Forderns werde im Aufenthaltsgesetz bewusst nicht mit Inhalt gefüllt; er sei damit nicht mehr als ein symbolischer Akt. Dies werde dadurch bestätigt, dass der Bundesgesetzgeber beim Integrationsgesetz vom 31. Juli 2016 (BGBl I S. 1939) ebenfalls auf konkrete Maßnahmen des Forderns verzichtet habe. Auch § 45 AufenthG spreche nur von Integrationsangeboten der Länder und damit von landesrechtlichen Regelungen der Integrationsförderung. Im Verzicht des Bundesgesetzgebers auf eine Integrationspflicht werde die – auch grundrechtlich motivierte – migrationspolitische Grundsatzentscheidung sichtbar, derzufolge das politische Ziel des Forderns und Förderns der Integration sich nur mit einem eingeschränkten rechtlichen Instrumentarium erreichen lasse und Rechtspflichten zur Integration allenfalls freiwillig durch eine Integrationsvereinbarung begründet werden könnten. Das Integrationsgesetz des Bundes setze Integrationsanreize, verpflichte aber nicht zur Integration.
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Der Verstoß des Bayerischen Integrationsgesetzes gegen die Sperrwirkung aus Art. 72 Abs. 2 GG sei offensichtlich. Es handle sich auch um einen schwerwiegenden Eingriff in die Rechtsordnung. Die Verwaltungstätigkeit bekomme durch die Ausrichtung am Ziel der Integrationspflicht ein anderes Gepräge; aus den Bestimmungen des Gesetzes ergäben sich für die Adressaten konkrete Eingriffe. Die anderen Bundesländer hätten dagegen in ihren Integrationsgesetzen auf eine Integrationspflicht verzichtet; auch die Bayerische Verfassung beschränke sich beim Schutz der kulturellen Überlieferung (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 BV) auf das Unterstützen kulturellen Lebens (Art. 124 bis 150 BV). Die aus dem Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip folgende Nichtigkeit umfasse nicht nur Art. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BayIntG, sondern auch alle mit dem Ziel der Integrationspflicht verknüpften Vorschriften. Da diese sich jedoch aufgrund fehlender Bestimmtheit nicht von den Vorschriften abgrenzen ließen, die der Integrationsförderung dienten, müssten sämtliche auf die Integrationsziele bezogenen Regelungen als verfassungswidrig qualifiziert werden. Von der Nichtigkeit ausgenommen seien somit nur die Art. 12 bis 17 sowie Art. 17 a Abs. 1 bis 4 und 7 bis 8 BayIntG.
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bb) Das Bayerische Integrationsgesetz verletze das Rechtsstaatsprinzip des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV auch dadurch, dass es im Widerspruch zum Integrationskonzept des Bundes stehe. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürften die Länder durch ihre Regelungen keine Widersprüchlichkeit der Rechtsordnung herbeiführen. Das Integrationskonzept des Bayerischen Integrationsgesetzes bestehe im Kern in der Idee der Assimilation von Ausländern, während das Bundesrecht auf gegenseitige Akzeptanz und Durchdringung der Lebensweisen und Kulturen von Aufnahmegesellschaft und Zuwanderern angelegt sei; es könne mit dem Begriff der Akkulturation umschrieben werden. Indem das bayerische Recht die Anerkennung der Leitkultur als eine an Ausländer gestellte Anforderung formuliere, bekomme deren soziale, ökonomische und kulturelle Eingliederung eine andere Ausrichtung; sie müssten sich einseitig anpassen. Vom Bundesgesetzgeber werde Integration dagegen so verstanden, dass Ausländer in der Teilhabe am sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben ihre eigene kulturelle Prägung behalten könnten. Das Aufenthaltsgesetz schließe mithin die Vorgabe einer Leitkultur aus. Dahinter stehe die migrationspolitische Grundentscheidung des Bundesgesetzgebers, die Gesinnung von Zuwandernden erst bei der Einbürgerung in den Blick zu nehmen, die ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung voraussetze (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG). Dass die kulturelle Identität der Zuwandernden im Aufenthalts- und Staatsangehörigkeitsrecht keine Rolle spiele, sei Ausdruck einer sanften Integrationspolitik, die den Pluralismus ethischer und moralischer Vorstellungen und die Vielfalt kultureller Eigenheiten akzeptiere. Die Vorgabe einer Leitkultur stehe im Gegensatz zu einem solchen Modell; sie verknüpfe den Integrationsprozess und die Teilhabe mit einer einseitigen kulturellen Anpassung von Ausländern an eine hiesige Kultur. In verschiedenen Vorschriften würden Maßnahmen der Integrationsförderung mit einem Leitkulturvorbehalt angereichert. Die im Widerspruch zum Bundesrecht stehende Orientierung an einer Leitkultur sei ein offensichtlicher Verstoß gegen rechts- und bundesstaatliche Grundsätze. Es handle sich um einen schwerwiegenden Eingriff in die Rechtsordnung, da auch beim Vollzug des Bundesrechts (Aufenthaltsgesetz, Asylgesetz etc.) zusätzlich über Art. 3 Abs. 8 BayIntG die landesrechtlichen Regelungen mit dem Vorbehalt der Leitkultur anzuwenden seien, sodass die bayerischen Verwaltungsbehörden vor gegenläufigen Richtungsvorgaben stünden. Für den Umfang der Nichtigkeit gelte hier das Gleiche wie im Zusammenhang mit der Gesetzgebungskompetenz.
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cc) Das Rechtsstaatsgebot der Bayerischen Verfassung sei zudem deshalb verletzt, weil die Platzierung der Zitierklausel in Art. 18 BayIntG (a. F.) nicht den Anforderungen aus Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG genüge. In den grundrechtsbeschränkenden Vorschriften der Art. 14 Abs. 1, Art. 17 a Abs. 1 Nr. 5, Abs. 7 und 9 bis 12 BayIntG würden die betroffenen Grundrechte (Art. 8, 13, 11 und 2 Abs. 2 Satz 2 GG) nicht genannt. Der auf das Stammgesetz (Art. 1 bis 17 BayIntG) und das Mantelgesetz (Art. 17 a BayIntG) folgende und beide Teile umfassende Art. 18 BayIntG (a. F.) mache nicht hinreichend deutlich, welche Gesetzesbestimmungen welche Grundrechte einschränkten. Die Vorschrift überführe das Zitat nicht in die nach Art. 17 a BayIntG geänderten Gesetze, die zum Teil selbst bereits Zitate im Sinn des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG enthielten. Da sich diese nur auf den jeweiligen Bestand des Gesetzes bezögen, habe der Mantelteil des Bayerischen Integrationsgesetzes nicht von der Zitierklausel ausgenommen werden dürfen. Der Gesetzesanwender sehe sich daher einer Fülle von selbstständigen (Stammgesetz) und ändernden (Mantelgesetz) Vorschriften gegenüber und könne allenfalls durch gründliche Lektüre und Überlegung herausfinden, durch welche Vorschrift welches der in Art. 18 BayIntG (a. F.) genannten Grundrechte eingeschränkt werde. Die Warn- und Besinnungsfunktion des Zitiergebots werde damit verfehlt. Dass der Sinn der Zitierklausel wegen deren – von der bisherigen Praxis abweichenden – Platzierung auch von den Mitgliedern des Bayerischen Landtags offensichtlich nicht erfasst worden sei, zeige sich an Redebeiträgen von Oppositionsvertretern, die eine Streichung der Klausel gefordert hätten in der Annahme, durch diese würden die genannten Grundrechtseingriffe überhaupt erst ermöglicht. Der Verstoß gegen Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG führe zur Verfassungswidrigkeit der grundrechtsbeschränkenden Vorschriften des Gesetzes.
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dd) In der Verweisung des Bayerischen Integrationsgesetzes auf die Leitkultur liege ein Verstoß gegen das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot. Der in Satz 13 der Präambel angesprochene Grundkonsens werde zur „Grundordnung“ erklärt und damit normativ transformiert. Die Präambel präge die Auslegung des Bayerischen Integrationsgesetzes; viele Normen des Gesetzes nähmen als Tatbestands-merkmal Bezug auf die Leitkultur. In der Präambel werde der Begriff ansatzweise näher umschrieben, ohne dass darin eine wirkliche Begriffsbestimmung enthalten sei. Der in Satz 13 der Präambel durch den Verweis auf die vorhergehenden Sätze genannte identitätsbildende Grundkonsens sei außerordentlich weit gefasst und auch Veränderungen in der Zeit unterworfen; für die Bestimmung des Begriffs der Leitkultur sei die Präambel letztlich unergiebig. Auch die üblichen Auslegungs-methoden erlaubten keine Präzisierung. Der Begriff der Kultur sei kein etablierter Rechtsbegriff und nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs nur schwer zu umreißen; in der Verfassungsrechtswissenschaft diene er der heuristischen Bündelung ganz unterschiedlicher Phänomene. Auch aus den Landtagsdebatten zur Leitkultur lasse sich kein subsumtionsfähiger Inhalt generieren. Während in der Gesetzesbegründung davon ausgegangen werde, dass die Präambel die bayerische Identität umschreibe, habe Staatsministerin Müller in einer Rede ausgeführt, dass es die typische bayerische Leitkultur nicht gebe und dass das Gesetz auf eine deutsche Leitkultur ziele. In den Äußerungen der Antragsgegner habe der Fokus immer wieder geschwankt zwischen einem Bezug auf Bayern und einer Erweiterung des Leitkulturkonzepts auf die kulturellen Gegebenheiten Deutschlands. Im Unterschied zu spezifischen, kontextualisierten Regelungswerken (Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen, Polizeiaufgabengesetz, Gemeindeordnung etc.) könne bei der kulturbezogenen Begrifflichkeit des Bayerischen Integrationsgesetzes nicht auf Erfahrungen mit ähnlichen Regelungen in der Vergangenheit oder aus anderen Bundesländern zurückgegriffen werden. Anders als in den Fällen einer experimentellen Gesetzgebung, bei denen unter dem Blickwinkel des Bestimmtheitsgrundsatzes eine besonders große Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bestehe, seien die Regelungen des Bayerischen Integrationsgesetzes mit Ausnahme des Art. 8 BayIntG auch nicht befristet. Wegen des unvertretbar großen Spielraums der Behörden bei der Definition der Leitkultur wüssten die Migrantinnen und Migranten nicht, welches Verhalten von ihnen im Rahmen ihrer Integrationspflicht (Art. 1 Sätze 1 und 2 BayIntG) im Alltag erwartet werde. Entsprechendes gelte für die an der Leitkultur ausgerichteten staatlichen Angebote der Integrationsförderung und die anderen mit den Integrationszielen des Art. 1 BayIntG verknüpften staatlichen Tätigkeiten. Der einzige mit dem Begriff zu verbindende Sinn liege darin, in politischen Debatten eine Politik zu kennzeichnen, die das Gegenmodell zum Multikulturalismus darstellen solle. Da das Erfordernis, die Leitkultur zu achten, das ganze Gesetz durchziehe, seien der gesamte materielle Teil des Stammgesetzes (Präambel bis Art. 11 BayIntG) und Art. 17 a Abs. 5, 6, 9 bis 13 BayIntG verfassungswidrig.
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ee) Ein weiterer Verstoß gegen das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot resultiere daraus, dass nicht genau gesagt werde, was als Erfüllung der Integrationspflicht gelte. In einer Reihe von Bestimmungen werde deutlich, dass das Gesetz Integration nicht lediglich erwarte, sondern rechtlich einfordere, nämlich in Art. 3 Abs. 2, Art. 4 Abs. 2 und 3, Art. 7 Abs. 1 und Art. 9 BayIntG. Es bleibe offen, ob die Nichterfüllung der Integrationspflicht auch Konsequenzen bei der Anwendung anderer Gesetze habe, z. B. den Tatbestand der Generalklausel des Art. 11 Abs. 1 PAG erfülle. Weder der Inhalt der Integrationspflicht sei klar noch deren Reichweite.
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Zu unbestimmt sei das Gesetz ferner, weil zwischen integrationsfördernden Bestimmungen und solchen, die dem Ziel der Integrationspflicht dienten, nicht unterschieden werde, sodass bei einigen Vorschriften der persönliche Anwendungsbereich ungeregelt bleibe. Trotz der Definition unterschiedlicher Adressatengruppen in Art. 2 BayIntG sei es nicht durchgehend möglich anzugeben, welche Regelungen für die der Integrationspflicht unterliegenden Ausländer zusätzlich zu den für alle Gruppen geltenden integrationsfördernden Vorschriften anwendbar seien. Denn mit Ausnahme der Art. 13 und 14 BayIntG, die sich an jedermann richteten, finde sich in nahezu jeder Vorschrift ein Bezug zur Förderung der Integration. Der als Beispiel für eine integrationsfördernde Regelung genannte Art. 3 BayIntG enthalte in Abs. 8 eine Bestimmung, die auch auf die Integrationspflicht Bezug nehme. Art. 4 BayIntG lege in Abs. 2 das rechtlich unklare Ziel des Erlernens der deutschen Sprache fest, fordere mit der Verpflichtung zur Kostenerstattung in Abs. 3 Satz 3 eine Integrationsanstrengung, die der Integrationspflicht zuzuordnen sei, und treffe mit der Auferlegung von Dolmetscherkosten nach Abs. 4 eine Regelung, bei der mit den üblichen Auslegungsmethoden nicht entschieden werden könne, ob sie zur Integrationsförderung oder zur Integrationspflicht gehöre. Letzteres gelte ebenso für die bußgeldbewehrten Verpflichtungen zur Teilnahme an der Sprachstandserhebung nach Art. 5 Abs. 2 Satz 4 BayIntG und zum Besuch eines Vorschul-Sprachkurses sowie zur Teilnahme an einem entsprechenden Elterngespräch nach Art. 5 Abs. 3 BayIntG; hier sei schon offen, ob sich die Norm nur an Ausländerinnen und Ausländer richte. Die Regelungen in Art. 17 a Abs. 9 bis 12 BayIntG über den Deutsch- und Integrationsunterricht für bestimmte in staatlichen Einrichtungen untergebrachte Personen unterschieden nicht ausdrücklich danach, ob die Betroffenen Inländer oder Ausländer seien. Da der Unterricht den Integrationszielen des Art. 1 BayIntG dienen solle, sei aber davon auszugehen, dass Ausländer die Adressaten seien; dies werde auch in der Gesetzesbegründung angenommen. Ob der persönliche Anwendungsbereich auf die der Integrationspflicht unterliegenden Ausländer beschränkt sei oder wegen des Bezugs zur Integrationsförderung weiter zu verstehen sei, lasse sich aufgrund der vom Gesetzgeber gewählten Regelungstechnik nicht entscheiden. Die unzureichende Unterscheidung von integrationsfördernden und der Integrationspflicht dienenden Regelungen führe zu einer elementaren Unbestimmtheit des Gesetzes und durchziehe die auf Art. 3 BayIntG folgenden Vorschriften bis hin zu Art. 11 BayIntG, die daher nichtig seien. Hilfsweise werde geltend gemacht, dass sich die Unbestimmtheit jedenfalls bei den genannten Bestimmungen der Art. 4 Abs. 3 Satz 3 und Abs. 4, Art. 5 Abs. 2 Satz 4 und Art. 17 a Abs. 9 bis 12 BayIntG auswirke.
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ff) Art. 1 Satz 2 BayIntG richte sich nicht nur an den Staat, sondern begründe für die Adressaten des Gesetzes eine Integrationspflicht, wie sich aus dem Wortlaut sowie aus der Bezugnahme auf diese Vorschrift z. B. in Art. 7 Abs. 1 und Art. 9 BayIntG ergebe. Immer wenn das Gesetz von den Integrationszielen spreche oder auf die Integrationspflichten verweise, werde damit die Verpflichtung zur unabdingbaren Achtung der Leitkultur in Art. 1 Satz 2 BayIntG aufgegriffen. Diese Zielsetzung als unmittelbarer Bestandteil der Integrationspflicht und prägende Vorgabe für die Integrationsförderung sei verfassungswidrig, weil sie der Gemeinwohlbindung des Freistaates Bayern nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 BV widerspreche. Durch die Vorgabe bestimmter kultureller Gehalte als Mindeststandard für alle werde die Orientierung am Gemeinwohl aufgegeben. Zwar gehöre es zum Inhalt demokratischer Entscheidungen, bestimmte Vorstellungen der Abstimmungsmehrheit für alle verbindlich zu machen. Der freiheitliche Verfassungsstaat greife aber nicht darauf zu, welche Werte die Einzelnen für sich selbst anerkennen oder in und mit welcher Kultur sie ihr Leben führen wollten. Bevorzuge der Staat bestimmte kulturelle, ethische oder religiöse Auffassungen, verfolge er keinen legitimen öffentlichen Zweck.
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Durch das Bayerische Integrationsgesetz solle laut Gesetzesbegründung „im Interesse jedenfalls der demokratischen Mehrheit ... die gewachsene und charakteristisch-kollektivistische Prägung unseres Landes erhalten bleiben“. Die Vorstellungen davon, wie die demokratische Mehrheit leben wolle, würden gleichsam für allgemeinverbindlich erklärt. Der dem Gesetzgeber zustehende Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des Gemeinwohls greife hier ins Leere, da das Bayerische Integrationsgesetz gar nicht beanspruche, im Interesse des Gemeinwohls erlassen zu sein, sondern nur die Lebensweise einer bestimmten Mehrheit schützen solle. Dies sei etwas anderes als lediglich ethisch, kulturell oder religiös imprägnierte Regelungen zu erlassen, etwa durch die Festlegung von Feiertagen oder die Aufstellung von Bildungszielen. Den in Satz 13 der Präambel genannten Grundkonsens, der das notwendige Maß an Neutralität wahren könnte, gebe es in Bayern nicht. Die fehlende Orientierung am Gemeinwohl zeige sich auch an der in Satz 5 der Präambel geforderten Loyalität gegenüber Volk und Verfassung, Staat und Gesetzen. Das Gesetz richte sich damit an die innere Einstellung der Menschen. Wenn der Staat deren Haltung reglementiere, überschreite er die durch den Neutralitätsgrundsatz gezogenen Grenzen. Die gleichlautende Formulierung in Art. 117 BV werde demgemäß nur als Verfassungserwartung verstanden.
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Das Bundesverfassungsgericht habe im Zusammenhang mit der weltanschaulich-religiösen Neutralität den Begriff der Loyalität verworfen, weil er auf die Gesinnung abziele, so die Rechtssicherheit gefährde und auf eine Annäherung zwischen Grundrechtsträgern und Staat hinauslaufe. Die Bürger seien nach dieser Rechtsprechung frei, grundlegende Wertungen der Verfassung infrage zu stellen, solange sie dadurch Rechtsgüter anderer nicht gefährdeten. Die Integration von Ausländerinnen und Ausländern werde hiernach in erster Linie über die Rechtstreue gewährleistet, mit der bereits ein erheblicher, aber unvermeidbarer Assimilierungs-druck verbunden sei. Eine bestimmte innere Einstellung etwa zu einem Feiertag dürfe der Staat nicht vorschreiben.
30
Mit dem Bayerischen Integrationsgesetz verlasse der Gesetzgeber die gebotene Neutralität und identifiziere sich mit partikularen Vorstellungen. So werde etwa in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 BayIntG von Migrantinnen und Migranten die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung der Geschlechter erwartet; dies diene keinem öffentlichen Zweck. Es sei den Einzelnen freigestellt, ihr Eheleben auf den Grundsatz der Gleichberechtigung zu stützen oder für Konflikte einer Person den Vorrang zuzuweisen. Auch wenn man den Staat als verpflichtet ansehe, eine kulturelle Identität zu wahren, bleibe es den Grundrechtsträgern möglich, sich nicht „kulturadäquat“ zu verhalten. Das Bayerische Integrationsgesetz privilegiere aber bestimmte soziale Normen, die allein das Verhältnis der Einzelnen zueinander (Sitte, Brauchtum) oder gar die höchstpersönlichen Vorstellungen eines guten Lebens beträfen. In religiöser Hinsicht würden die christlichen Religionen und die jüdische Religion bevorzugt (Satz 2 der Präambel, Art. 6 Satz 1 BayIntG). Da die Ausrichtung an der Achtung der Leitkultur sämtliche Bereiche der Integrationsförderung wie auch der Integrationspflicht präge, seien alle integrationsspezifischen Regelungen verfassungswidrig, also neben der Präambel die Art. 1 bis 11 und 17 a Abs. 5, 6 und 9 bis 13 BayIntG.
31
b) Verfassungswidrig seien darüber hinaus einzelne Vorschriften des Gesetzes aus Gründen, die nur die jeweilige Regelung beträfen.
32
aa) So greife der in Art. 11 Satz 2 BayIntG geforderte Beitrag des Rundfunks und der Telemedien zur Vermittlung der Leitkultur in ungerechtfertigter Weise in das Grundrecht der Rundfunkfreiheit nach Art. 111 a Abs. 1 BV ein. Wegen des Begriffs „sollen“ sei von einem Eingriff auszugehen; daran könne die Aussage in der Gesetzesbegründung, die Medien würden lediglich zur verstärkten Berücksichtigung der genannten Aspekte „ermuntert“, nichts ändern. Als eine Verpflichtung für den privaten Rundfunk werde die Vorschrift auch von der zuständigen Staatsministerin verstanden, wie aus einem Schreiben der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien hervorgehe, in dem die Anbieter und Zulieferer gebeten würden, die aus Art. 11 BayIntG folgende „Anforderung“ bei ihrer Programmplanung „zu berücksichtigen“. Insbesondere kleinere Sender müssten hiernach bei ungenügendem Verhalten Sanktionen befürchten, z. B. Nachteile bei der Frequenzvergabe. Art. 111 a BV schütze auch vor Einflussnahmen, die mittelbar die Programmfreiheit beeinträchtigen könnten. Mit der Leitkultur als identitätsbildendem Grundkonsens bevorzuge der Gesetzgeber eine bestimmte Interpretation der Geschichte, der Art des kollektiven Zusammenhalts und der Stellung des Einzelnen zu anderen und zur staatlichen Gemeinschaft. Der Auftrag zur Vermittlung einer Leitkultur stehe in diametralem Gegensatz zu dem Auftrag, Pluralismus und Meinungsvielfalt möglichst breit abzusichern.
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bb) Art. 13 BayIntG verletze das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 110 BV sowie den Bestimmtheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV. Da die Einstellung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung eine Meinung sei, liege in der Anknüpfung einer Sanktion an deren Ablehnung ein Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts. Dieser sei nicht durch ein allgemeines Gesetz gerechtfertigt, da sich Art. 13 BayIntG gegen die genannte Meinung richte. Eingriffe könnten allerdings auch kraft kollidierenden Verfassungsrechts gerechtfertigt sein, wozu das Schutzgut der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zähle. Der Norm fehle aber sowohl mit Blick auf ihren Tatbestand als auch hinsichtlich ihrer Rechtsfolge die notwendige Bestimmtheit. Wegen des Bußgeldtatbestands in Art. 13 Abs. 3 BayIntG seien die erhöhten Anforderungen des nulla poena-Grundsatzes des Art. 104 Abs. 1 BV anzuwenden, der auch Ordnungswidrigkeiten erfasse.
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Was das zentrale Tatbestandsmerkmal einer Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bedeute, sei nicht klar. Zwar habe der Begriff in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und in der Bundes- und Landesgesetzgebung eine gewisse Konturierung erfahren. Diese schlage sich aber nicht in der tatbestandlichen Fassung des Art. 13 BayIntG nieder. Mit dem einschränkenden Begriffsverständnis in der jüngst ergangenen Entscheidung zum NPD-Verbot, wonach nur noch die Menschenwürde, das Demokratieprinzip und die Rechtsstaatlichkeit dazu gehörten, lasse sich Art. 13 Abs. 1 BayIntG nicht in Übereinstimmung bringen. Die Vorschrift erweitere den in der älteren Rechtsprechung entwickelten Katalog sogar noch um die Einbeziehung des Rechts auf Leben und freie Entfaltung sowie die Gleichberechtigung von Mann und Frau, wobei auch diese Rechte nur beispielhaft genannt seien. In Satz 2 des ersten Absatzes erfolge dann eine totale Entgrenzung, indem an die Beachtung des deutschen Straf-, Ehe- und Familienrechts angeknüpft werde. Durch die Erfassung sämtlicher Grundrechte, des gesamten Strafrechts und des Personenrechts des Bürgerlichen Gesetzbuchs würden den Sicherheitsbehörden nahezu unbegrenzte Handlungsspielräume eröffnet; fast jeder Rechtsverstoß könne relevant werden. Sehr vage sei das Tatbestandsmerkmal einer Ablehnung des „Verhältnisses von Religion und Staat“; hiernach könnten z. B. Politiker oder Wissenschaftler, die für eine stärker laizistische oder für eine stärker christliche Prägung des Religionsverfassungsrechts einträten, zu einem Grundkurs geschickt werden. Dass an die Ablehnung der Gleichberechtigung von Mann und Frau angeknüpft werde, sei ein Eingriff in das Recht auf Ehe und Familie nach Art. 124 BV, der schon mangels eines legitimen öffentlichen Zwecks verfassungswidrig sei. Unabhängig davon sei unklar, wo angesichts der verschiedenen Modelle einer familiären Arbeitsteilung die Grenze zu einer Ablehnung der Gleichberechtigung verlaufen solle. Die einschränkende Voraussetzung, wonach die Ablehnung beharrlich zum Ausdruck gebracht werden müsse, führe nicht zu einer greifbaren Eingrenzung des Tatbestands; auch der Hinweis im Gesetzgebungsverfahren auf den Begriff „beharrlich“ in § 238 StGB ändere nichts an dessen Mehrdeutigkeit. Problematisch sei, dass Art. 13 Abs. 1 BayIntG keine Normverstöße voraussetze, sondern nur irgendein Verhalten, in dem die Ablehnung zum Ausdruck komme; damit würden den Sicherheitsbehörden kaum greifbare materielle Maßstäbe vorgegeben.
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Auch auf der Rechtsfolgenseite genüge die Vorschrift nicht dem Bestimmtheitsgebot, da hier – anders als in § 43 AufenthG und der zugehörigen Integrationskursverordnung – Inhalt und Umfang des zu besuchenden Grundkurses nicht im Einzelnen geregelt seien. Anders als bei einer Verpflichtung zur Teilnahme am Verkehrsunterricht nach § 48 StVO seien die von Art. 13 BayIntG erfassten Vorschriften umfangreich und stark interpretationsbedürftig. Hilfsweise werde geltend gemacht, dass die Vorschrift ungeeignet und damit unverhältnismäßig sei, da eine gegen ihren Willen zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichtete Person sich dadurch kaum zu einer Achtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekehren lassen werde.
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cc) Die Verbotstatbestände des Art. 14 Abs. 1 BayIntG enthielten in Nr. 1 einen Eingriff in die Meinungsfreiheit (Art. 110 BV) und beträfen in Nrn. 2 und 3 den Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 101 BV). Auch diese Vorschriften, für die wegen der Bußgeldbewehrung in Absatz 2 wiederum die erhöhten Anforderungen aus Art. 104 Abs. 1 BV gälten, entsprächen nicht den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen. Es sei nicht klar, welches Schutzgut in Art. 14 Abs. 1 BayIntG normiert werde. Der Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung werde im Gesetz nicht definiert; das Grundgesetz verwende ihn in unterschiedlichen Kontexten. Das Bundesverfassungsgericht habe erst jüngst die Unterschiede zum Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung betont. In Betracht komme auch eine Gleichsetzung mit der allgemeinen Rechtsordnung im Sinn des Art. 2 Abs. 1 GG. Unklar sei zudem, was unter der mit der verfassungsmäßigen Ordnung unvereinbaren anderen Rechtsordnung zu verstehen sei. Der in den Gesetzesmaterialien enthaltene Konkretisierungsversuch reihe nur verschiedene abstrakte Verfassungsgrundsätze aneinander und führe damit unfreiwillig die Offenheit der Befugnisnorm vor. Dass die Gesetzesbegründung als Alternative zur staatlichen Rechtsordnung vor allem die Scharia im Blick habe, helfe nicht entscheidend weiter, da diese nach ihrem Selbstverständnis und in ihrer religionswissenschaftlichen Beschreibung nicht im gleichen Sinn eine Rechtsordnung sei wie eine staatliche Ordnung. Sie unterscheide nicht streng zwischen politischem und persönlichem Handeln und sei kein Gesetzbuch, sondern ein komplexes System von Regeln darüber, wie Normen gefunden und interpretiert werden könnten. Auch der sozialen Komplexität des in der Gesetzesbegründung angesprochenen Phänomens der Paralleljustiz werde die Tatbestandsformulierung des Art. 14 BayIntG nicht gerecht. Die Vorschrift beziehe sich wohl weniger auf eine inhaltliche Divergenz als auf den Geltungsanspruch des deutschen staatlichen Rechts; sie solle vor einer Gefährdung staatlicher Autorität schützen. Laut einer Stellungnahme des bayerischen Innenministeriums ermögliche Art. 14 BayIntG daher auch ein Vorgehen gegen die sogenannten Reichsbürger. Deren Ideenwelt sei in sich breit aufgefächert; ihre Ablehnung des Staates in seiner heutigen Gestalt sei etwas anderes als das Eintreten für eine mit dem Grundgesetz nicht vereinbare Rechtsordnung. Der Konstruktionsfehler des Art. 14 BayIntG liege darin, dass die Norm auf die formale Ablehnung der Geltung des deutschen Rechts abziele, aber nur den Fall regle, dass dies wegen inhaltlicher Kollisionen geschehe.
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dd) Die mit Art. 17 a Abs. 1 Nr. 5 BayIntG in das Polizeiaufgabengesetz eingefügte Befugnis zum Betreten von Asylbewerberunterkünften (Art. 23 Abs. 3 Nr. 3 PAG n. F.) verstoße gegen das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 106 Abs. 3 BV). Die den Asylbewerbern zum Aufenthalt zugewiesenen und für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Räume seien Wohnungen im Sinn des genannten Grundrechts. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs müsse das grundrechtsbeschränkende Gesetz des Art. 23 Abs. 3 Nr. 3 PAG n. F. daher die Anforderungen aus Art. 13 Abs. 7 GG wahren, wobei hier nur dessen zweite Alternative in Betracht komme („Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“). Das Tatbestandsmerkmal der Verhütung beziehe sich auf das Vorfeld einer konkreten Gefahr. Problematisch sei hiernach bereits die Struktur des Art. 23 Abs. 3 PAG, der gesetzgebungstechnisch als misslungen gelte und allgemeinen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt sei. Zwar deute der Gesetzeswortlaut („Abwehr dringender Gefahren“) darauf hin, dass die Norm den mit Art. 13 Abs. 7 GG eröffneten Rahmen nicht ausschöpfe. Da die Befugnis nach Art. 23 Abs. 3 PAG dann aber wegen der nach Abs. 1 und 2 bestehenden Befugnisse überflüssig wäre, werde die Vorschrift im Sinn der Gefahrenverhütung interpretiert, sodass eine konkrete Gefahr nicht vorliegen müsse. Ein pauschales Betretungsrecht für Wohnungen, die irgendwie gefährlich seien, könne es nach Art. 13 Abs. 7 GG nicht geben; es müsse vielmehr ein Zusammenhang zwischen der dringenden Gefahr und den in Art. 23 Abs. 3 PAG im Einzelnen beschriebenen Handlungen bestehen.
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Im Rahmen des Art. 23 Abs. 3 Nrn. 1 und 2 PAG könne dieses Erfordernis gewahrt werden, indem bei der Anwendung der Befugnisnorm nach dem Vorliegen von tatsächlichen Anhaltspunkten für die Begehung von Straftaten oder für Zwangsprostitution zu fragen sei. Bei Nr. 3 werde dagegen darauf verzichtet, eine bestimmte Gefährlichkeit abstrakt zu beschreiben. Das Wohnen in einer Unterkunft sei weder als solches abstrakt gefährlich noch begründe es abstrakt eine solche Gefahr. Bei der Anwendung der Norm komme es auf eine dringende Gefahr gar nicht mehr an; damit verfehle die Norm die Voraussetzungen des Art. 106 Abs. 3 BV i. V. m. Art. 13 Abs. 7 GG. Nach der Gesetzesbegründung solle die Norm zwar eine effektive Durchsetzung der in Art. 17 a Abs. 1 Nr. 1 BayIntG neu geschaffenen Befugnis zur Identitätsfeststellung in Asylbewerberunterkünften ermöglichen (Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c PAG n. F.), sodass im Wege einer verfassungskonformen Auslegung hier ähnlich wie bei der bauordnungsrechtlichen Betretungsbefugnis (Art. 54 Abs. 2 Satz 4 BayBO) das Vorliegen einer dringenden Gefahr gefordert werden könnte. Im Unterschied zum Baurecht, bei dem Wohnräume naturgemäß baulichen Gefahren ausgesetzt seien und daher Gefahrerforschungsmaßnahmen von den Bewohnern hinzunehmen seien, sei Art. 23 Abs. 3 Nr. 3 PAG n. F. aber nicht so auszulegen, dass damit in ähnlicher Weise wie in Art. 54 BayBO konkrete Gefahren in den Blick genommen würden. Die Vorschrift beschreibe nicht, was die Gefährlichkeit einer Asylbewerberunterkunft ausmachen solle. Der Gesetzgeber normiere den Wohnungstyp als solchen so, dass er gefährlich sei; er definiere damit praktisch Asylbewerberunterkünfte aus dem Schutz-bereich des Wohnungsgrundrechts heraus. Was den Raum zur Wohnung mache – der Aufenthalt von Asylbewerbern –, sei zugleich der Anknüpfungspunkt für die Betretungsbefugnis. Während sich bei der Anwendung von Art. 23 Abs. 3 Nrn. 1 und 2 PAG für die Polizeibehörden die Frage stelle, ob eine konkrete Wohnung dem Verabreden von Straftaten oder der Zwangsprostitution diene, sei bei Nr. 3 nicht mehr zu fragen, ob in der konkreten Asylbewerberunterkunft Anhaltspunkte für Identitätstäuschungen bestünden. Die Vorschrift diene nach der Gesetzesbegründung der Bekämpfung bestimmter Straftaten; die Identitätsfeststellung nach Art. 13 Abs. 1 PAG habe dabei keine eigenständige Funktion, sondern solle die präventive Tätigkeit der Polizei erleichtern. Beim Bestehen tatsächlicher Anhaltspunkte dafür, dass sich in einer bestimmten Unterkunft Personen aufhielten, welche die genannten Straftaten begingen oder begangen hätten, könne die Polizei auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 3 Nr. 1 PAG aber ohnehin einschreiten. Die neue Nr. 3 ziele daher darauf ab, losgelöst von solchen Anhaltspunkten Asylbewerberunterkünfte durchsuchen zu können. Dementsprechend werde die Vorschrift auch in der Praxis angewendet. Die Polizei führe in Asylbewerberunterkünften systematische Kontrollen durch, ohne zu prüfen, ob Anhaltspunkte für Gefahren bestünden.
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ee) Die Vorschriften des Art. 17 a Abs. 7 und 8 BayIntG genügten ebenfalls nicht den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsanforderungen. Verhindert werden solle danach jeweils eine einseitige Bewohnerstruktur. In verschiedenen Bundes- und Landesgesetzen sei zwar der Rechtsbegriff der sozial stabilen Bevölkerungsstruktur etabliert, der eine gewisse Kontur habe. Keine dieser Regelungen betreffe aber Einzelfallmaßnahmen oder eine Befugnisnorm wie in Art. 17 a Abs. 7 BayIntG. Nach der Gesetzesbegründung gehe es nicht nur um Migration, sondern um unterschiedliche Bildungs- und Einkommensschichten oder Milieus; verwiesen werde dabei auf Ghettos und Parallelgesellschaften. Es sei unklar, ob sich die Norm nur auf Migrantinnen und Migranten im Sinn des Gesetzes beziehe und welche Gruppen von Ausländern gegebenenfalls gemeint seien. So sei zu fragen, ob schon die Anwesenheit vieler Unionsbürger in einem Stadtviertel eine einseitige Bewohnerstruktur begründe. Falls es nur um Migrantinnen und Migranten gehe, müsse die Behörde, um die Bewohnerstruktur im Umkreis zu ermitteln, auch die Staatsangehörigkeit und den aufenthaltsrechtlichen Status kennen, wofür schon die statistik- und datenschutzrechtlichen Grundlagen fehlten. Da völlig unklar sei, ab wann Einseitigkeit vorliege, könne die Behörde selbst festlegen, wie sie den Zuzug gestalte. Sie könne irgendeinen Aspekt eines Migrationshintergrunds auswählen oder zwischen Migranten verschiedener Nationalität eine Auswahl treffen. Interpretiere man Art. 17 a Abs. 7 und 8 BayIntG als Jedermann-Bestimmungen, so verliere das Merkmal der einseitigen Bewohnerstruktur jegliche Kontur.
40
ff) Die in Art. 17 a Abs. 11 BayIntG normierte Verpflichtung von Strafgefangenen, bei Integrationsdefiziten an einem Integrationsunterricht nach Art. 40 Abs. 3 BayStVollzG n. F. teilzunehmen, gelte wegen der Verweisung in Art. 40 Abs. 3 Satz 2 BayStVollzG n. F. auf die in Art. 1 BayIntG genannten Ziele nur für Migrantinnen und Migranten. Sie verstoße gegen das Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 102 Abs. 1 BV) und gegen den aus Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV abzuleitenden Bestimmtheitsgrundsatz. Der Eingriff genüge nicht den allgemeinen verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsvoraussetzungen, da weder der persönliche Anwendungsbereich noch der Begriff des Integrationsdefizits hinreichend konkretisiert sei. Auch aus den Zielen des Bayerischen Integrationsgesetzes ergäben sich insoweit keine Konturen; den Justizvollzugsanstalten eröffneten sich damit weite Handlungsspielräume. Inhalt und Umfang des Unterrichts würden nicht näher bestimmt. Es gelte damit das Gleiche wie für den Grundkurs nach Art. 13 BayIntG. Hilfsweise werde geltend gemacht, dass die Regelung unverhältnismäßig sei, da sie kein Ermessen einräume, sodass es nicht möglich sei, besondere Härten zu berücksichtigen. Wegen der Unfreiwilligkeit der Teilnahme fehle es auch hier an der Eignung der Maßnahme.
41
gg) Wegen der Unbestimmtheit der Begriffe Integrationsdefizit und Integrationsunterricht verstießen Art. 17 a Abs. 9, 10 und 12 BayIntG ebenfalls gegen Art. 102 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV. Die Regelungen über die „freiwillige“ Teilnahme an einem Integrationskurs enthielten mittelbare Eingriffe zumindest in das Grundrecht des Art. 101 BV, da die Betroffenen laut Gesetzesbegründung „nachhaltig zum Besuch der Kurse aufgefordert“ werden sollten; dies wirke faktisch wie eine normative Verpflichtung. Dass Untersuchungshäftlinge nach Art. 17 a Abs. 10 BayIntG zur Teilnahme an einem Deutsch- oder Integrationsunterricht angehalten werden sollten, verfolge keinen legitimen Zweck und sei daher unverhältnismäßig. Die Untersuchungshaft solle nur die Durchführung des Strafverfahrens absichern. Ein Untersuchungshäftling dürfe demnach nur Beschränkungen unterworfen werden, die diese Funktion unvermeidlich erfordere.
III.
42
1. Der Bayerische Landtag hält die Anträge für unbegründet.
43
Das Gesetz ziele entgegen der Deutung der Antragsteller nicht auf eine Assimilation der Migranten. Der politikwissenschaftliche Begriff der Leitkultur umfasse insbesondere die Menschenwürde sowie die gegenseitige Achtung und Toleranz. Die Leitkultur sei von allen Bürgern, also von den bisherigen und den neuen Mitgliedern der Gesellschaft, einzuhalten. Die Bereitstellung eines Orientierungsrahmens und die Forderung eines Grundkonsenses seien nicht verfassungswidrig. Den Neuankömmlingen werde dadurch das Zurechtfinden in einer großenteils fremden Gesellschaft erleichtert. Eine Pflicht zur Integration bestehe entgegen der Darstellung der Antragsteller nicht. Integration sei aber nur möglich, wenn der Neubürger die deutsche Sprache sprechen könne und die Geschichte und Denkweise der Gesellschaft kenne und akzeptiere. Art. 3 BayIntG enthalte Bildungsangebote; eine Weigerung habe keine strafrechtlichen Konsequenzen. Auch der Hinweis auf die notwendigen Sprachkenntnisse in Art. 4 BayIntG stelle nur einen Appell dar und keine Zwangsmaßnahme. Die Kompetenzvorschriften der Art. 70 ff. GG seien eingehalten. Gegen die Gemeinwohlklausel des Art. 3 Abs. 1 Satz 2 BV verstoße der Begriff der Leitkultur nicht; zur grundrechtlichen Schutzpflicht gehöre auch die Vermeidung von Parallelgesellschaften. Der Ausschluss von Staatshaftungsansprüchen sei nach der gängigen Rechtsprechung statthaft.
44
2. Die CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag (Antragsgegnerin zu 1 in beiden Verfahren) hält die Anträge für unbegründet.
45
a) Art. 13 und Art. 14 BayIntG seien mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG vereinbar, da der Bundesgesetzgeber von seiner Zuständigkeit für das Strafrecht nicht umfassend Gebrauch gemacht habe. Die Bestimmungen dienten der Gefahrenabwehr und beträfen thematische Bereiche, die im Strafgesetzbuch und im Aufenthaltsrecht des Bundes nicht geregelt seien; sie seien auch nicht auf Migrantinnen und Migranten begrenzt. § 81 Abs. 1 Nr. 2 StGB betreffe einen anderen (Lebens-)Sachverhalt als Art. 14 BayIntG und entfalte schon deshalb keine Sperrwirkung. Die bundesrechtlichen Vorschriften über die Integration seien abstrakt formuliert und ließen ein selbstständiges Tätigwerden der Länder zu. Auch von der konkurrierenden Zuständigkeit nach Art. 74 Abs. 1 Nrn. 4 und 6 GG habe der Bundesgesetzgeber nicht umfassend Gebrauch gemacht, sodass keine Sperrwirkung bezüglich integrationsbezogener Vorschriften bestehe. Für die in Art. 5, 6, 7, 8 und 12 BayIntG geregelten Bereiche bestehe schon gar keine Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes. Damit scheide auch ein Verstoß gegen den behaupteten Grundsatz der Widerspruchsfreiheit aus.
46
b) Mit Art. 18 BayIntG (a. F.) habe der Landesgesetzgeber das bundesverfassungsrechtliche Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG beachtet. Ausweislich der Gesetzesbegründung sei man sich der danach geforderten Warn- und Besinnungsfunktion bewusst gewesen. Dass die Klausel „geballt“ am Ende des Gesetzes stehe, sei nicht zu beanstanden; als Formvorschrift bedürfe das Zitiergebot ohnehin einer engen Auslegung. Selbst wenn man einen Verstoß annehme, liege jedenfalls kein offen zutage tretender, schwerwiegender Widerspruch zum Bundesrecht vor.
47
c) Das Bayerische Integrationsgesetz skizziere mit den in Satz 14 der Präambel benannten Zielen einen ausgewogenen Rahmen und trage damit dem Gemeinwohlgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Satz 2 BV Rechnung. Die in Satz 13 der Präambel legaldefinierte Leitkultur sei weder zu unbestimmt noch komme ihr eine irgendwie geartete Regelungswirkung zu. Sie sei von der Leitkultur im Sinn der (partei-) politischen Debatten der Vergangenheit zu unterscheiden und habe nichts mit dem zu tun, was man landläufig unter dem Begriff verstehe. Die Definition einer positiven Leitkultur eröffne vielmehr die Möglichkeit der Abgrenzung gegen die missbräuchliche Verwendung durch radikale politische Kräfte. Was die Leitkultur sei, werde ausführlich in den Sätzen 1 bis 12 der Präambel dargelegt. Deren wesentliche Grundgedanken seien längst verbindlich; sie fänden Entsprechung im Grundgesetz und in der Bayerischen Verfassung und zögen sich durch unzählige Gesetze. Von einer gesetzlich geforderten (Zwangs-)Assimilation könne nicht die Rede sein; dies ergebe sich aus verschiedenen Gesetzespassagen wie etwa Art. 3 Abs. 4 Satz 1 BayIntG und auch aus der Gesetzesbegründung.
48
d) Bei dem Integrationsziel des Art. 1 Satz 2 BayIntG handle es nicht um einen Förder- bzw. Pflichtentatbestand; der Gesetzgeber beschreibe darin letztlich, was er sich generell vorstelle und wie er sein Ziel zu erreichen gedenke. Der Vorwurf, dass damit das angeblich verfassungswidrige Ziel der Integrationspflicht verfolgt werde, gehe trotz Verwendung dieses Wortes fehl; letztlich komme darin wie schon in § 43 Abs. 1 AufenthG nur der Grundsatz des „Förderns und Forderns“ zum Ausdruck. Das Bayerische Integrationsgesetz knüpfe an das Nichtverfolgen des Integrationsziels bzw. das Nichtbefolgen der Integrationspflicht keine Sanktion. Inhalt und Reichweite der Integrationszielbestimmung ergäben sich aus dem Gesamtkontext nach den anerkannten Auslegungsregelungen, sodass Art. 1 Satz 2 BayIntG nicht gegen den Bestimmtheitsgrundsatz verstoße. Da die Vorschrift keine irgendwie geartete Regelungswirkung habe und keine Pflichten normiere, liege darin auch kein Grundrechtseingriff.
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e) Die in Art. 4 Abs. 4 Satz 1 BayIntG geregelte Kostenübernahme verstoße nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip, da es keinen Anspruch auf einen kostenlosen Dolmetscher oder Übersetzer gebe. Ein etwaiger Eingriff sei jedenfalls sachlich gerechtfertigt, da im Rahmen des Ermessens unverhältnismäßigen Härtefällen Rechnung getragen werden könne. Auch Art. 4 Abs. 4 Satz 2 BayIntG sei nicht rechtsstaatswidrig; die in Art. 34 Satz 1 GG verankerte Staatshaftung könne nach herrschender Auffassung durch einfaches Gesetz ausgeschlossen oder beschränkt werden.
50
f) Art. 6 Satz 1 BayIntG, der lediglich eine seit 2005 bestehende, bislang nicht beanstandete Norm der Kinderbildungsverordnung wiederhole, greife nicht in das Grundrecht nach Art. 126 Abs. 1 i. V. m. Art. 107 Abs. 1 BV ein, da der Besuch einer Kindertageseinrichtung auf rein freiwilliger Basis geschehe; es bestehe keine Kindergartenpflicht. Ein etwaiger Eingriff wäre zudem gerechtfertigt und verhältnismäßig. Das im Gesetz vorgesehene „Erfahren“ der zentralen Elemente der christlich-abendländischen Kultur heiße nicht zwangsweises Übernehmen bzw. Ausüben. Nach Art. 131 Abs. 2 BV gehöre die Ehrfurcht vor Gott zu den obersten Bildungszielen; die Geschichte Bayerns sei auch nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs nachhaltig geprägt durch die tiefe Verwurzelung des Landes in der christlich-abendländischen Tradition.
51
g) Art. 11 Satz 2 BayIntG greife nicht in die Programmfreiheit des Art. 111 a BV ein. Es werde keine Pflicht der Medien zur Vermittlung der deutschen Sprache und der Leitkultur statuiert, sondern laut Gesetzesbegründung lediglich dazu „ermuntert“. Die Vorschrift lasse sich verfassungskonform auslegen. Eine Sanktion sei mit dem Nichtbefolgen einer gewissen Programmgestaltung nicht verbunden.
52
h) Die überwiegend an ein Verhalten anknüpfende Norm des Art. 13 BayIntG verletze nicht das Grundrecht der Meinungsfreiheit nach Art. 110 BV. Selbst wenn man einen Eingriff annähme, wäre die Sanktion „Teilnahme an einem Grundkurs“ von geringer Intensität und damit verhältnismäßig. Die Vorschrift diene ebenso wie Art. 14 BayIntG dem legitimen Ziel der Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung und andere Verfassungsgüter. Die Wissensvermittlung in einem Grundkurs sei geeignet, eine bislang ablehnende oder gleichgültige Haltung ebenso wie Wissenslücken zu überwinden. Ein vergleichbares Regelungsinstrument bestehe bereits mit der bußgeldbewehrten Verpflichtung zur Teilnahme am Verkehrsunterricht nach § 48 StVO, die das Bundesverfassungsgericht für verfassungskonform erachte. Auch § 44 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG sehe die Möglichkeit der verpflichtenden Anordnung zur Teilnahme an einem Integrationskurs vor. Weniger belastende Regelungsalternativen seien nicht ersichtlich; insbesondere könne auf die Sanktionierung mit einer Geldbuße nicht verzichtet werden. Während dem Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung und der zentralen Grundsätze der geltenden Rechtsordnung ein hohes Gewicht zukomme, sei die Intensität der mit Art. 13 BayIntG verbundenen Eingriffe eher gering. Die Beachtung der Verfassungs- und Rechtsordnung sei nach Art. 117 Satz 2 BV Pflicht jedes Bürgers. Dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz könne im Einzelfall bei der Ermessensausübung Rechnung getragen werden.
53
Art. 13 BayIntG verstoße weder gegen das allgemeine Bestimmtheitsgebot nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV noch gegen den nur für Abs. 3 geltenden Art. 104 Abs. 1 BV. Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sei durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts konkretisiert und finde sich an mehreren Stellen im Grundgesetz und im Strafgesetzbuch. Auch das tatbestandliche Verhalten sei hinreichend bestimmt; ein demonstrativer Regelverstoß sei eine bezüglich der Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewusste und nach außen gerichtete, auf Sichtbarkeit zielende Verletzung rechtlicher Regelungen, die stets die Rechtswidrigkeit des Verhaltens indiziere. Nach Wortlaut, Systematik und Normzweck müsse der Regelverstoß Ausdruck der ablehnenden Haltung gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sein; für die Anwendung des Art. 13 Abs. 1 BayIntG genüge somit nicht jeder beliebige Rechtsverstoß. Zum Begriff des Verunglimpfens könne auf die Rechtsprechung und Literatur zu den §§ 90, 90 a, 90 b und 189 StGB zurückgegriffen werden. Die Variante des „sonst nach außen gerichteten Verhaltens“ stelle einen an den beiden vorangegangenen Begriffen orientierten Auffangbegriff dar, sodass das Verhalten ebenfalls rechtswidrig und von vergleichbarem Gewicht hinsichtlich der zum Ausdruck gebrachten ablehnenden Haltung sein müsse. Das Merkmal „beharrlich“ finde in verschiedenen Strafrechtsvorschriften Anwendung; gegen seine Verwendung bestünden daher keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Begriff des staatlichen Gewaltmonopols gehöre zur Allgemeinsprache.
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i) Auch Art. 14 BayIntG verstoße nicht gegen die Bestimmtheitsanforderungen aus Art. 104 Abs. 1 BV. Das Merkmal „öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften“ sei dem Strafgesetzbuch entnommen, ebenso der Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung, der sich zudem im Grundgesetz finde. Was unter „missachten“ der verfassungsmäßigen Ordnung zu verstehen sei, werde bereits in der Gesetzesbegründung ausführlich erläutert. Neben dem dort genannten Beispiel der selbsternannten Scharia-Polizei unterfielen auch sog. Reichsbürger dem Tatbestand, wenn sie öffentlich dazu aufforderten, die Existenz der Bundesrepublik Deutschland sowie die Geltung des Grundgesetzes und damit die verfassungsmäßige Ordnung zu missachten, und sich stattdessen auf eine eigene „Reichsordnung“ beriefen. Die Formulierung „es zu unternehmen“ sei wiederum der Terminologie des Strafgesetzbuchs entnommen; das „Unternehmen einer Tat“ werde in § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB legaldefiniert. Art. 14 BayIntG verfolge mit der Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung und andere Verfassungsgüter ein legitimes Ziel; bei der Geeignetheit und Erforderlichkeit komme dem Gesetzgeber eine weite Einschätzungsprärogative zu. Im Übrigen hätten die Sicherheitsbehörden bei der Ahndung von Verstößen gegen die Verbote des Art. 14 Abs. 1 BayIntG ein weites Ermessen. Mit Art. 14 BayIntG werde nicht in die Grundrechte der Meinungsfreiheit (Art. 110 BV) bzw. der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 101 BV) eingegriffen; jedenfalls wäre ein solcher Eingriff gerechtfertigt.
55
j) Die Vorschriften des Art. 17 a Abs. 9 bis 12 BayIntG seien nicht zu unbestimmt. Der Integrationsunterricht für Strafgefangene (Art. 17 a Abs. 11 Nr. 1 BayIntG) verstoße nicht gegen die in Art. 102 Abs. 1 BV geschützte Fortbewegungsfreiheit. Der Freiheitsentzug in einer Justizvollzugsanstalt oder dergleichen erfolge aufgrund einer anderen Rechtsgrundlage. Der in Art. 40 Abs. 3 Satz 1 BayStVollzG vorgesehene Integrationsunterricht stelle auf eine Teilnahme im Sinn einer Lernerfahrung ab und nicht auf das zwangsweise Verweilen an einem bestimmten Ort; damit sei bereits der Schutzbereich des Grundrechts nicht eröffnet. Überdies treffe die entsprechende Verpflichtung nicht alle Inhaftierten; auch bleibe ein etwaiger Verstoß durch Nichtteilnahme am Integrationsunterricht folgenlos.
56
k) Auch hinsichtlich weiterer Artikel fehle es nicht an der notwendigen Bestimmtheit. So ergebe sich z. B. bei Art. 4 Abs. 3 Satz 3 BayIntG der Normadressat bereits aus Art. 2 BayIntG. Mangels Eingrenzung betreffe Art. 5 Abs. 2 Satz 4 BayIntG alle Kinder und Art. 17 a Abs. 7 und 8 BayIntG alle Wohnungssuchenden. Darüber hinaus sei neben dem Wortlaut die sehr ausführliche Gesetzesbegründung als Auslegungsgrundlage heranzuziehen.
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3. Die Bayerische Staatsregierung (Antragsgegnerin zu 2 in beiden Verfahren) trägt vor, die von den Antragstellerinnen angegriffenen Bestimmungen verstießen weder gegen Bundesrecht noch gegen die Bayerische Verfassung. Aus dem Anstieg der Migration seit Mitte 2015 ergäben sich erhebliche Herausforderungen bei der Querschnittsaufgabe Integration. Adressaten der dazu entwickelten staatlichen Aktivitäten seien neben den Migrantinnen und Migranten auch die Mitglieder der sog. Aufnahmegesellschaft.
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a) aa) Die drei mit dem Bayerischen Integrationsgesetz verfolgten Zwecke, die sich aus Satz 14 der Präambel ergäben, dürften nicht mit den in Art. 1 BayIntG als Maßstäbe für das staatliche Handeln normierten Integrationszielen verwechselt werden. Mit dem Erlass des aus einem Stammgesetz (Art. 1 bis 17) und mehreren Änderungsgesetzen (in Art. 17 a) bestehenden Artikel- bzw. Mantelgesetzes werde ein kodifikatorischer Ansatz verfolgt, um eine umfassende Normierung des betroffenen Lebensbereichs durch einen höheren inhaltlichen Anspruch der Systematisierung zu erreichen. Bei der nachträglichen Aufhebung des Art. 17 a BayIntG handle es sich um eine redaktionelle Rechtsbereinigung ohne materiellen Regelungsgehalt. In den ersten zwölf Sätzen der Präambel würden die nach Einschätzung des Gesetzgebers in Bayern tatsächlich bestehenden Umstände in sprachlicher, kultureller, geschichtlicher und ethischer Hinsicht beschrieben. Die Summe all dessen werde im ersten Halbsatz von Satz 13 als identitätsbildender Grundkonsens bezeichnet, dem nach dem zweiten Halbsatz die Funktion einer „kulturelle(n) Grundordnung der Gesellschaft (Leitkultur)“ zugeschrieben werde. Die Sätze 1 bis 12 der Präambel bildeten eine Legaldefinition dessen, was der Gesetzgeber unter Leitkultur verstehe; damit werde allen Menschen in Bayern und allen staatlichen Stellen ein Orientierungsrahmen für die Integration bereitgestellt, wodurch aber noch keine Rechte oder Pflichten begründet würden. Neben den realen Auswirkungen erzeuge die Präambel eine Symbolwirkung; auch (teilweise) symbolische Gesetze seien allgemein anerkannte Steuerungsinstrumente. Nur wenige der maßnahmenbezogenen Regelungen des Bayerischen Integrationsgesetzes knüpften an die Leitkultur an und integrierten diese in ihren jeweiligen Tatbestand; es handle sich also keineswegs um das zentrale Tatbestandsmerkmal des Gesetzes.
59
bb) Die Integrationsziele des Art. 1 Satz 2 BayIntG enthielten weder einen Förder- noch einen Pflichtentatbestand, sondern würden erst in den nachfolgenden Bestimmungen konkretisiert. Die Vorschrift solle das Verständnis des Gesetzgebers hinsichtlich einer gelingenden Integration veranschaulichen. Die Verknüpfung der Integrationsförderung mit der Integrationspflicht bringe zum Ausdruck, dass die Migranten als Akteure der Integrationsprozesse anzusehen seien und dass damit nach Maßgabe konkreter Vorschriften auch explizite Pflichten („eigene Integrationsanstrengungen“) verbunden sein könnten. Der Gesetzgeber bringe damit ein Integrationsverständnis zum Ausdruck, das als aktivierend angesehen werden könne. Der bei weitem größere Teil der maßnahmenbezogenen Regelungen des Gesetzes betreffe Rechtsfolgen, die der Integrationsförderung zuzuordnen seien, nämlich Art. 3 Abs. 1 bis 8, Art. 4 Abs. 1, Art. 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11 und 17 a Abs. 7 und 8 BayIntG. Auch bei den maßnahmenbezogenen Regelungen, deren Rechtsfolge in der Auferlegung explizit beschriebener Pflichten bestehe, werde nicht an die „Leitkultur“ im Sinn von Satz 13 der Präambel angeknüpft. Bei Art. 13, 14 und 17 a Abs. 1 Nr. 5 BayIntG handle es sich um sog. Jedermann-Vorschriften, die sich an „Störer“ des Integrationsprozesses richteten. In Art. 4 Abs. 2 i. V. m. Abs. 3 Satz 3 und Abs. 4, Art. 12 und 17 Abs. 9 bis 12 BayIntG werde die Nichterfüllung bestimmter Pflichten durch Migrantinnen und Migranten mit bestimmten negativen Folgen verbunden, wie dies dem in § 43 Abs. 1 AufenthG verankerten Grundsatz „Fördern und Fordern“ entspreche. Entgegen dem Vorwurf der Antragstellerinnen ziele das Bayerische Integrationsgesetz nicht auf eine Assimilation von Ausländern; es knüpfe auch in keiner Vorschrift tatbestandlich an die innere Einstellung der Menschen oder an die Haltung von Migrantinnen und Migranten an.
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b) Das Bayerische Integrationsgesetz verstoße nicht gegen die bundesrechtliche Kompetenzordnung, für die nur die Art. 70 ff. GG maßgeblich seien und nicht auch der – vom Bundesverfassungsgericht bisher nur für landesrechtliche Abgaben herangezogene – sog. Grundsatz der Widerspruchsfreiheit. Auf die Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nrn. 4 und 6 GG könne der Bund integrationsbezogene Regelungen nur in dem Umfang stützen, in dem sie eine spezifische Verknüpfung mit Aufenthalt und Niederlassung hätten. Das Migrationsrecht des Bundes betreffe somit den migrationsrechtlichen Status, die von Bundesrechts wegen gewährten Sozialleistungen und die Integration auf dem Arbeitsmarkt. Für die migrationsbezogenen Aspekte des Bildungswesens, der Kultur, der Wohnraumversorgung, der Gewährung von Landesleistungen, des Polizei- und Ordnungsrechts sowie des Strafvollzugs fehle es mithin schon an einem bundesrechtlichen Kompetenztitel; dies gelte auch für darauf bezogene Zielbestimmungen. Da weder durch Art. 1 Satz 2 BayIntG eine Integrationspflicht auferlegt noch in den Vorschriften über die Integrationsförderung ein Vorbehalt der Achtung der Leitkultur statuiert werde, könne sich daraus auch kein Verstoß gegen die integrationsbezogenen Regelungen des Aufenthaltsgesetzes ergeben. Aus den Vorschriften zur Einbürgerung im Staatsangehörigkeitsgesetz folge nicht die migrationspolitische Grundentscheidung, dass im Integrationsrecht kulturelle Prägungen keine Rolle spielen dürften; das Vorfeld der Einbürgerung werde von den bundesrechtlichen Regelungen nicht erfasst. Dem Aufenthaltsgesetz lasse sich vielmehr ein Regelungsverzicht für den Bereich der Integrationsförderung entnehmen, da das Gesetz explizit integrationsfördernde Regelungen auf Landesebene zulasse. Das von der Antragstellerin zu II mit „Akkulturation“ bezeichnete Integrationsverständnis, das kein klar umschriebenes, allgemein anerkanntes Konzept bilde, werde vom Bundesgesetzgeber auch in den Gesetzesmaterialien an keiner Stelle beschrieben. Dem Bundesgesetz sei jedenfalls nicht zu entnehmen, dass integrationsfördernde Maßnahmen nicht an die Vermittlung bestimmter kultureller Aspekte anschließen dürften. Der Aspekt des Forderns sei auch im Aufenthaltsgesetz mehr als nur ein symbolischer Akt, er finde sich in verschiedenen Bestimmungen. Dass für diese bundesrechtlich geregelten Sachbereiche nicht die Berücksichtigungspflicht aus Art. 3 Abs. 8 BayIntG gelte, ergebe sich aus der systematischen Verortung der genannten Vorschrift. Die in §§ 43, 44 AufenthG genannten Integrationskurse seien nach der Formulierung in § 43 Abs. 2 AufenthG nur ein Grundangebot, durch das weitere Angebote fordernden Charakters nicht ausgeschlossen würden. Auch aus dem Bußgeldtatbestand des § 98 AufenthG oder aus Bestimmungen des Strafgesetzbuchs ergebe sich keine Sperrwirkung gegenüber den in Art. 13 Abs. 1 und 2 sowie Art. 14 Abs. 1 BayIntG enthaltenen gefahrenabwehrrechtlichen Regelungen. Das Gleiche gelte für die Bußgeldtatbestände des Art. 13 Abs. 3 und des Art. 14 Abs. 2 BayIntG, die sich auf im Aufenthaltsgesetz nicht geregelte Sachbereiche bezögen. Dass das Gewaltmonopol des Staates durch Strafbestimmungen wie § 81 Abs. 1 Nr. 2 StGB geschützt werde, schließe Ordnungswidrigkeitentatbestände zur Sanktionierung präventiv geregelter Sachverhalte nicht aus. Beim Bayerischen Integrationsgesetz liege ein vom Verfassungsgerichtshof festzustellender Kompetenzverstoß schon deshalb nicht vor, weil zahlreiche Stellungnahmen im Schrifttum zum gegenteiligen Ergebnis gelangten und es daher an der Offensichtlichkeit fehle; zudem handle es sich nicht um einen schwerwiegenden, krassen Eingriff in die Rechtsordnung.
61
c) Das bundesverfassungsrechtliche Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG, das hier allenfalls über das Rechtsstaatsprinzip des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV einen (eingeschränkten) Prüfungsmaßstab bilden könne, werde durch Art. 18 BayIntG (a. F.) nicht verletzt. Dass die dem Zitiergebot zugeschriebene Warn- und Besinnungsfunktion angesichts der intensiven parlamentarischen Diskussion über die Einschränkung grundrechtlicher Freiheiten erfüllt worden sei, könne kaum bestritten werden. Dem stehe auch nicht entgegen, dass einzelne Abgeordnete insbesondere der Landtagsopposition offensichtlich den Sinn des Art. 18 BayIntG (a. F.) gar nicht erfasst hätten. Die von der Antragstellerin zu II erhobene Forderung nach einer zweifachen Platzierung der Zitierklausel werde in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht erhoben. In der Gesetzgebungspraxis fänden sich vielfältige Formen zur Erfüllung dieser Pflicht, die im Zweifel eng auszulegen sei, um den Gesetzgeber nicht unnötig zu behindern. In jedem Fall liege auch insoweit weder ein offensichtlich zutage tretender noch ein schwerwiegender, besonders krasser Grundgesetzverstoß vor.
62
d) Die Integrationszielbestimmung des Art. 1 Satz 2 BayIntG verstoße nicht gegen die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 101 BV oder gegen das daraus in Verbindung mit Art. 100 BV möglicherweise abzuleitende allgemeine Persönlichkeitsrecht, da es bereits an einem Eingriff fehle. Die Formulierung eines Integrationsziels in Art. 1 BayIntG stelle zwar eine maßnahmenbezogene Regelung dar, begründe aber noch keine Förder- oder Pflichtentatbestände. Auch die Erstreckung des zunächst nur pauschal an den Staat adressierten Integrationsziels auf die Schulen in Art. 7 Abs. 1 Satz 1 BayIntG bedeute nicht, dass die Schülerinnen und Schüler auf die Achtung der Leitkultur verpflichtet seien. Bei den in Art. 9 Satz 1 BayIntG genannten, von Migrantinnen und Migranten zu erfüllenden „Integrationspflichten“ handle es sich um andernorts begründete Pflichten, die sich zum Teil aus dem Aufenthaltsgesetz, zum Teil aus Art. 13 und 14 BayIntG sowie aus maßnahmenbezogenen Regelungen über das Fördern und Fordern ergäben (u. a. Art. 4 Abs. 2 i. V. m. Abs. 3 Satz 3 und Abs. 4 BayIntG). Von den verpflichtenden Maßnahmen des Gesetzes knüpfe nur Art. 17 a Abs. 9 bis 12 BayIntG an Art. 1 BayIntG insoweit an, als der anzubietende Integrationsunterricht den dort genannten Integrationszielen diene. Wo sich der Gesetzgeber auf die Leitkultur beziehe, werde diese zum Bestandteil der Rechtsordnung, sodass der Vorwurf, von den Einzelnen dürfe nur die Beachtung gesetzlicher Normen verlangt werde, ins Leere gehe.
63
Da weder durch die Präambel noch durch Art. 1 Satz 2 BayIntG Grundrechtseingriffe bewirkt würden, seien an deren Bestimmtheit keine erhöhten Anforderungen zu stellen. Die Präambel sei ausschließlich ein Orientierungsrahmen mit allenfalls realen Auswirkungen. Die Reichweite des Art. 1 Satz 2 BayIntG ergebe sich klar aus dem gewählten Konzept der Anknüpfung an die Zielbestimmung in einzelnen maßnahmenbezogenen Regelungen, wodurch das Ziel jeweils kontextspezifisch konkretisiert werde. Die in Art. 1 Satz 2 BayIntG und in der Präambel zum Teil verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe seien gerechtfertigt, weil sich mithilfe der üblichen Auslegungsmethoden eine zuverlässige Grundlage für ihre Auslegung und Anwendung gewinnen lasse. Der Gesetzgeber dürfe von der zur einzelfallbezogenen Konkretisierung legitimierten Verwaltung eine sachangemessene und rechtskonforme Anwendung erwarten.
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Durch die Integrationszielbestimmung des Art. 1 Satz 2 BayIntG und durch die Präambel werde der Gemeinwohlgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Satz 2 BV schon deshalb nicht verletzt, weil diese Staatsfundamentalnorm nur innerhalb der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Grundrechtseingriffen heranzuziehen sei; es handle sich entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung nicht um einen unmittelbar geltenden Verfassungsgrundsatz. Die Konkretisierung des Gemeinwohls obliege im demokratischen Verfassungsstaat in erster Linie dem Gesetzgeber, dem dabei auch im Ausländer- und Aufenthaltsrecht ein weiter politischer Entscheidungsspielraum zustehe. Durch die Präambel, die nur die tatsächlichen Umstände beschreibe und keinen normativen Charakter besitze, und durch Art. 1 Satz 2 BayIntG werde weder die Lebensweise einer Mehrheit geschützt noch auf die Haltung des Einzelnen eingewirkt. Die an die Integrationsziele anknüpfenden, nicht an die Migrantinnen und Migranten adressierten Bestimmungen über die Integrationsförderung (Art. 3 Abs. 4 Satz 2, Abs. 6 und 8, Art. 7 Abs. 1 Satz 1, Art. 9 Satz 2, Art. 10 Abs. 1 BayIntG) bezögen ihre verfassungsrechtliche Legitimation aus dem Sozialstaatsprinzip, aus den grundrechtlichen Schutzpflichten und aus dem im neueren Schrifttum als Grundlage der staatlichen Integrationsverantwortung diskutierten „Staatsziel Integration“. Der Regelungsinhalt der genannten Förderbestimmungen lasse sich mit hinreichender Klarheit erkennen. Die von der Integrationsförderung unmittelbar profitierenden Institutionen seien durch die Maßnahmen nicht in ihren Freiheitsgrundrechten betroffen; auch im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz etwa bei der Abgrenzung des Kreises der Begünstigten bestünden hier keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
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e) Ebenfalls als Maßnahme fördernden Charakters stelle sich im Hinblick auf die Migrantinnen und Migranten Art. 11 Satz 2 BayIntG dar. Eine Eingriffswirkung komme der Vorschrift allenfalls gegenüber den Rundfunk- und Telemedienanbietern zu. Bereits in sprachlicher Hinsicht sei der Gesetzgeber bemüht gewesen, den Eindruck einer Gebots- oder Verbotsregelung gar nicht erst entstehen zu lassen. In der Gesetzesbegründung werde explizit festgestellt, dass die Medien „ermuntert“ werden sollten, die genannten Aspekte „nach Möglichkeit verstärkt zu berücksichtigen“. Die Regelung, wonach die Leitkultur sowohl gegenüber den Migrantinnen und Migranten als auch gegenüber allen Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft vermittelt werden solle, berühre zwar thematisch die Programmfreiheit, stelle aber keinen Eingriff in dieses Grundrecht, sondern nur einen verfassungsrechtlich zulässigen gesetzgeberischen Appell dar. Seitens des Staates werde dadurch auf die Programmgestaltung nicht unmittelbar Einfluss genommen. Die Verwendung des Wortes „sollen“ ändere hieran nichts, da weder Art. 11 Satz 2 BayIntG noch Art. 4 und 5 BayMG konditional programmierte Vorschriften seien, bei denen zwischen Kann- und Soll-Ermessen zu differenzieren wäre. Auch die zuständige Staatsministerin habe in ihrem Schreiben an die Bayerische Landeszentrale für neue Medien betont, dass die Vorschrift keine Erweiterung des Programmauftrags der Medien darstelle; auf mögliche Fehlinterpretationen der gesetzlichen Regelung komme es für deren Beurteilung nicht an. Art. 11 Satz 2 BayIntG stelle auch keine mittelbare Einflussnahme auf die Programmgestaltung dar, da er weder finanzielle noch faktische oder gar rechtliche Sanktionen bereithalte.
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f) In der Verpflichtung von jungen Untersuchungsgefangenen und Strafgefangenen zur Teilnahme an einem Integrationskurs (Art. 17 a Abs. 10 Nr. 2, Abs. 11 Nr. 1 BayIntG) liege wegen der bereits haftbedingten Einschränkung der körperlichen Bewegungsfreiheit kein Eingriff in das Grundrecht aus Art. 102 BV, sondern nur in die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 101 BV. Die Teilnahmepflicht sei verhältnismäßig, da dem Eingriff von vergleichsweise geringem Gewicht ein teilweise auf ein verfassungsrechtlich verankertes Staatsziel zurückführbares, gewichtiges öffentliches Interesse an der Integration gegenüberstehe. Der Beitrag zur Integrationsförderung könne den Betroffenen nach ihrer Entlassung das Zurechtfinden erleichtern. Die an jedermann gerichteten Vorschriften des Art. 17 a Abs. 9 bis 12 BayIntG seien auch hinsichtlich des Merkmals „Integrationsdefizite“ nicht zu unbestimmt. Der Strafvollzug sei auf das Ziel auszurichten, dem Inhaftierten ein künftig straffreies Leben in Freiheit zu ermöglichen. Die Betroffenen müss-ten daher auch auf die aus der Migration folgenden äußerst vielfältigen und komplexen Konfliktsituationen vorbereitet werden, wenn sie durch Äußerungen und Verhalten Erkenntnisprobleme im Hinblick auf die in der Präambel beschriebenen tatsächlichen Umstände offenbart hätten und mithin die Erreichung des Integrationsziels „Achtung der Leitkultur“ noch der zusätzlichen Anstrengung in Gestalt der Teilnahme an einem Integrationskurs bedürfe.
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g) Der persönliche Anwendungsbereich der Vorschriften über die Erstattung von Sprachförderkosten (Art. 4 Abs. 3 Satz 3 BayIntG) und Übersetzungskosten (Art. 4 Abs. 4 BayIntG) sei nicht zu unbestimmt. Bei Art. 4 Abs. 4 BayIntG handle es sich wegen der expliziten Anknüpfung an Abs. 2 um eine Jedermann-Vorschrift. Die Übernahme der Kosten für Dolmetscher und Übersetzer verstoße weder gegen das Rechtsstaatsprinzip des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV oder gegen materielle Grundrechte noch gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Art. 91 BV, der in Verwaltungsverfahren nicht entsprechend gelte. Wie die nicht als Spezialvorschrift zu verstehende Regelung des § 23 Abs. 2 VwVfG bzw. Art. 23 Abs. 2 BayVwVfG zeige, gebe es weder einen verfassungsrechtlichen noch einen einfachgesetzlichen Grundsatz, wonach der Staat in Verwaltungsverfahren die notwendigen Dolmetscher- und Übersetzerkosten tragen müsse. In Art. 4 Abs. 4 Satz 1 BayIntG bestehe durch den unbestimmten Rechtsbegriff auf der Tatbestandsseite und durch die Ausgestaltung als Ermessensvorschrift hinreichend Raum, um Sonderfälle, etwaige spezial- oder bundesgesetzliche Vorgaben, finanzielle Notlagen sowie grundrechtliche Anforderungen berücksichtigen zu können.
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Der Haftungsausschluss nach Art. 4 Abs. 4 Satz 2 BayIntG stehe nicht im Widerspruch zu § 839 BGB i. V. m. Art. 34 Satz 1 GG, da die Staatshaftung durch einfaches Gesetz ausgeschlossen werden könne, wobei dies anerkanntermaßen auch durch ein Landesgesetz geschehen könne. Eine generelle Grenze bestehe nur darin, dass die Haftung nicht generell für amtspflichtwidriges Verhalten von Organwaltern und auch nicht für wesentliche Bereiche staatlicher Tätigkeit abgeschafft werden dürfe. Selbst wenn man den Haftungsausschluss nur aus sachlichen Gründen in eng abgesteckten Ausnahmefällen für zulässig halte, sei diese Voraussetzung hier in Anbetracht des öffentlichen Interesses an einer aktivierenden Integrationspolitik erfüllt, zumal die Zurechnung eines etwaigen Fehlverhaltens von Dolmetschern und Übersetzern zulasten des Staates bis heute nicht eindeutig geklärt sei.
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h) Die in Art. 5 Abs. 2 Satz 4 BayIntG normierte Verpflichtung zur Teilnahme an einer Sprachstandserhebung sei hinreichend bestimmt; sie beziehe sich wegen des Zusammenhangs mit Abs. 2 Satz 1 auf alle Kinder und sei damit eine Jedermann-Vorschrift. Die Regelung, wonach „alle Kinder in Kindertageseinrichtungen ... zentrale Elemente der christlich-abendländischen Kultur erfahren“ sollten (Art. 6 Satz 1 BayIntG), die wortlautidentisch mit der seit 2005 geltenden, bisher nicht beanstandeten Regelung des § 4 Abs. 1 AVBayKiBiG sei, stelle keinen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in das elterliche Erziehungsrecht nach Art. 126 Abs. 1 BV i. V. m. der Glaubens- und Gewissensfreiheit nach Art. 107 Abs. 1 BV dar. Der Besuch von Kindertagesstätten sei freiwillig; es gebe daher die Möglichkeit, tageweise von Aktivitäten fernzubleiben, die von den Eltern aus religiösen Gründen für nicht wünschenswert gehalten würden. Davon abgesehen besitze die als Auftrag an die Kindertageseinrichtungen formulierte Regelung auch inhaltlich keine Eingriffswirkung, da weder ein Gebot oder Verbot statuiert werde noch eine Indoktrination im Sinn einer gezielten Beeinflussung erfolge. Den Trägern der Einrichtungen werde damit und mit Art. 6 Sätze 2 bis 4 BayIntG eine Gestaltungsaufgabe übertragen, die ein gewisses Maß an Gestaltungsfreiheit impliziere. Selbst wenn man eine Eingriffswirkung annehmen wollte, wäre diese dadurch gerechtfertigt, dass Staat und Gemeinden gemäß Art. 126 Abs. 1 Satz 2 BV die Eltern bei der Wahrnehmung ihres Erziehungsrechts unterstützten. Den Kindertageseinrichtungen komme im Vorfeld der Schulen die legitime Aufgabe zu, die Integrationsfähigkeit der betreuten Kinder im Hinblick auf ihr späteres Leben zu fördern. Wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Karfreitags-Entscheidung festgehalten habe, handle es sich bei solchen Bestimmungen nicht um verfassungswidrige Privilegierungen einer Mehrheitsreligion, sondern um einen „Ausdruck der Prägekraft der Geschichte“. Art. 131 Abs. 2 Satz 1 BV normiere sogar mit Blick auf die Schul-pflicht als eines der obersten Bildungsziele die Ehrfurcht vor Gott und fordere in Abs. 3, die Schüler in Liebe zur bayerischen Heimat zu erziehen.
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i) Bei Art. 13 BayIntG handle es sich in den ersten beiden Absätzen um präventiv wirkende ordnungsrechtliche Maßnahmen, sodass das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot des Art. 104 Abs. 1 BV nur für den Bußgeldtatbestand des Abs. 3 gelte. Dieser knüpfe an Verstöße gegen ein vollziehbares Gebot der Kursteilnahme an und sei damit ausreichend bestimmt.
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aa) Art. 13 BayIntG greife nicht in den Schutzbereich des Art. 110 BV ein, da die Norm nicht auf die Einstellung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung abziele, sondern ausschließlich auf das nach außen gerichtete Verhalten (Abs. 1 Satz 1) bzw. ein offenkundig rechtswidriges Verhalten (Abs. 2). Es sei abwegig, ein solches in demonstrativen bzw. wiederholten schwerwiegenden Regelverstößen bestehendes Verhalten dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit zuzuweisen. Dies könne allenfalls für das in Art. 13 Abs. 1 Satz 1 BayIntG genannte Tatbestandsmerkmal des Verunglimpfens gelten, das aber in mehreren Strafvorschriften vorkomme (§§ 90, 90 a, 90 b, 189 StGB), ohne dass darin ein verfassungswidriger Eingriff in die Meinungsfreiheit gesehen werde. Grundrechtsdogmatisch beruhe dies auf dem anerkannten Gegenbelang des sog. kollidierenden Verfassungsrechts, zu dem neben den in Art. 1 BayIntG genannten Schutzgütern sowie dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten auch das Staatsziel der Integration als verfassungsrechtliche Grundlage des Migrationsfolgenrechts gehöre. Art. 13 BayIntG ziele auf das Verhalten derjenigen, die die fragilen Integrationsprozesse störten; mit den Regelungen werde ein Beitrag zur Integrationsförderung bezweckt. Dass die Teilnehme an einem Integrationskurs hierzu ungeeignet sei, lasse sich nicht auf greifbare empirische Erkenntnisse stützen; es seien auch keine gleich wirksamen, geringer belastenden Alternativen erkennbar. Die Intensität der durch Art. 13 BayIntG bewirkten Rechtsfolge sei eher gering. Da die Anordnung im Ermessen stehe, sei eine verfassungskonforme Auslegung möglich.
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bb) Gegen grundrechtliche bzw. rechtsstaatliche Bestimmtheitsanforderungen werde nicht verstoßen, da Art. 13 Abs. 1 und 2 BayIntG nicht an den Begriff der Leitkultur oder an die Integrationsziele des Art. 1 Satz 2 BayIntG anknüpfe. Es gehe vielmehr um den Folgegehorsam im Hinblick auf normativ festgelegte Schutzgüter, indem durch das präventive Instrument der Verpflichtung zur Teilnahme an einem Grundkurs ein konkreter Akzeptanzdruck gegenüber Integrationsstörern entfaltet werde, der mit der grundrechtlich geschützten Entfaltungsfreiheit vereinbar sei. Welchen Inhalt die als Rechtsfolge des Art. 13 Abs. 1 und 2 BayIntG mögliche Teilnahmeverpflichtung bezüglich eines Grundkurses über die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung habe, ergebe sich aus den im Tatbestand der Norm verankerten Schutzgütern. Verglichen mit den ordnungsrechtlichen Generalklauseln der Art. 7 LStVG und Art. 11 PAG handle es sich gerade angesichts der geringen Intensität der damit verbundenen Belastungen um eine hinreichend bestimmte und spezifizierte Rechtsfolgenanordnung. Das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration habe dazu ein auf dem Rechtsbildungsunterricht für Flüchtlinge und Asylbewerber beruhendes Konzept erarbeitet und stimme es mit den anderen Staatsministerien ab. Ob eine Verpflichtung zur Kursteilnahme geeignet, erforderlich und angemessen sei, könnten die Sicherheitsbehörden (Art. 6 LStVG) in Ausübung ihres Ermessens unter Würdigung aller Einzelfallumstände entscheiden und dabei insbesondere bei erstmals festgestellter Erfüllung des Tatbestands zunächst von einer Anordnung absehen. Auf der tatbestandlichen Ebene seien beide Absätze des Art. 13 BayIntG so strukturiert, dass zunächst ein näher charakterisiertes Verhalten in Anbetracht bestimmter Schutzgüter erfasst werde. Sämtliche Tatbestandsmerkmale fänden sich an (teilweise mehreren) anderen Stellen in der Rechtsordnung, wobei sich jeweils Auslegungsgrundsätze herausgebildet hätten, an welche die Rechtsanwender anknüpfen könnten. In beiden Absätzen gehe es nicht um einzelne Missachtungen der Schutzgüter, sondern um die Anerkennung des jeweiligen Schutzguts in der deutschen Rechtsordnung als solches, also gleichsam um systemgerichtetes Ablehnungsverhalten.
Art. 13 Abs. 1 BayIntG sei auf die Achtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet, wie sie vielfach in anderen Vorschriften (z. B. Art. 10 Abs. 2, Art. 21 Abs. 2, Art. 91 GG, § 86 Abs. 2, § 92 Abs. 2 StGB) niedergelegt sei. In Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayVSG werde insoweit an die detaillierte Erläuterung des Begriffs in § 4 Abs. 2 BVerfSchG angeknüpft; hieran knüpfe wiederum Art. 13 Abs. 1 Satz 1 BayIntG an. Mit der Formulierung, dass „insbesondere“ die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, das Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung sowie die Gleichberechtigung von Mann und Frau geschützt sein sollten, bringe der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass nach seiner Einschätzung in den migrationsbedingten Konfliktlagen die ersten beiden Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung typischerweise beeinträchtigt sein könnten, während er sich im Hinblick auf die Gleichberechtigung zur Aufnahme eines zusätzlichen Schutzguts entschlossen habe. Dass das Bundesverfassungsgericht in seinem nach Verabschiedung des Bayerischen Integrationsgesetzes ergangenen Urteil zum NPD-Verbot im Hinblick auf Art. 21 Abs. 2 GG eine teilweise engere Begriffsbestimmung vorgenommen habe, wirke sich nicht aus, da das Gericht wiederholt betone, dass sich seine Ausführungen auf den Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinn des Art. 21 Abs. 2 GG bezögen. Es sei von jeher anerkannt, dass dieser grundgesetzliche Begriff mit der in vielfacher Weise ausdifferenzierten Verwendung im einfachen Recht nicht identisch sei und auch nicht sein müsse.
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Weitere Konkretisierungen bzw. zusätzlich verankerte Schutzgüter würden in Art. 13 Abs. 1 Satz 2 BayIntG aufgezählt. Der Begriff des staatlichen Gewaltmonopols ziele auf den Einsatz physischer Gewalt insbesondere auch durch die Einsatzkräfte im staatlichen Auftrag. Das Merkmal des Verhältnisses von Religion und Staat lasse sich mit Blick auf die insoweit präzisere Formulierung in Satz 3 der Präambel ohne Weiteres dahingehend verstehen, dass es um die Überordnung der staatlichen gegenüber allen religiösen Ordnungen gehe. Das Schutzgut der gewaltlosen Erziehung von Kindern und der Schutz von Minderjährigen erschlössen sich ebenso aus der einfachen Rechtsordnung (vgl. § 1631 Abs. 2 BGB) wie die einen Bestandteil der deutschen Rechtsordnung bildenden Normen des Straf-, Ehe- und Familienrechts. Das verhaltensbezogene zweite Tatbestandsmerkmal in Art. 13 Abs. 1 BayIntG bestehe darin, dass die Ablehnung der genannten Schutzgüter durch demonstrative Regelverstöße, durch Verunglimpfen oder sonst durch nach außen gerichtetes Verhalten beharrlich zum Ausdruck gebracht werde. Erforderlich sei mithin eine nach außen sichtbar werdende Manifestation der Ablehnung, wobei das Merkmal beharrlich wiederum an vielen anderen Stellen in der Rechtsordnung anzutreffen sei (etwa § 56 d Abs. 3 Satz 3 und § 238 Abs. 1 StGB).
Art. 13 Abs. 2 BayIntG beziehe sich auf der Tatbestandsebene auf die gleichen Schutzgüter wie in Abs. 1, die der Einfachheit halber mit dem Begriff der „Grundsätze der Rechts- und Werteordnung“ zusammengefasst würden. Das verhaltensbezogene zweite Tatbestandsmerkmal ziele auf Störer, denen die betreffenden Schutzgüter entweder gleichgültig oder unbekannt seien. Mit den Formulierungen „durch wiederholte schwerwiegende Regelverstöße oder sonst durch ein offenkundig rechtswidriges Verhalten“ bildeten wiederum nach außen manifestierte, den einzelnen Verstoß überschreitende und die Rechts- und Werteordnung als Ganzes infrage stellende Verstöße den Anknüpfungspunkt für die – vergleichsweise geringfügige – Rechtsfolge der Verpflichtung zur Integrationskursteilnahme. Verglichen mit den polizeilichen Generalklauseln nach Art. 7 LStVG, Art. 11 PAG sei den Tatbestandsmerkmalen des Art. 13 Abs. 1 und 2 BayIntG ein deutlich höheres Maß an Bestimmtheit zu attestieren, insbesondere auch im Hinblick auf das etwa in Art. 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 4 PAG normierte Merkmal der verfassungsfeindlichen Handlungen.
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j) Art. 14 BayIntG betreffe drei näher beschriebene Verhaltensweisen, an die nach Ermessen die Rechtsfolge des Verbots (Abs. 1) und bei dessen Missachtung die Auferlegung einer Geldbuße (Abs. 2) geknüpft seien. Auch hier gehe es um die präventive Gefahrenabwehr, allerdings gegenüber einem Verhalten, das die Autorität des Staates in grundsätzlicher Weise herausfordere. Daher könnten Geldbußen bis zu 50.000 € verhängt werden. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit nach Art. 110 BV sei allenfalls insoweit betroffen, als es um ein lediglich äußerndes Verhalten gehe, also ausschließlich im Zusammenhang mit der ersten Variante der Vorschrift (Art. 14 Abs. 1 Nr. 1); im Übrigen komme nur die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 101 BV in Betracht. Der durch die Androhung bzw. Festsetzung eines Bußgelds bewirkte Eingriff in die genannten Grundrechte könne durch die Berufung auf kollidierendes Verfassungsrecht bzw. auf die Schranken der Gesetze gerechtfertigt werden. Die Verhältnismäßigkeit von Verbot und Bußgeldandrohung ergebe sich aus dem hohen Stellenwert des Schutzguts der verfassungsmäßigen Ordnung und der Unversehrtheit der objektiven Rechtsordnung als auch der Funktionsfähigkeit der staatlichen Einrichtungen vor den hier infrage stehenden ganz grundsätzlichen Gefährdungen. Art. 14 BayIntG ermögliche es den zuständigen Behörden und Gerichten, den grundrechtlichen Anforderungen sowohl auf der Tatbestands- als auch auf der Rechtsfolgenebene Rechnung zu tragen.
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Da die Sanktionsvorschrift nur bei besonders intensiven Störungen des Integrationsprozesses zum Einsatz gelangen könne, sei sie auch verhältnismäßig im engeren Sinn. Im Vergleich mit anderen Vorschriften des Ordnungswidrigkeitenrechts, etwa § 118 OWiG, sei Art. 14 BayIntG bemerkenswert ausdifferenziert. Nach der Gesetzesbegründung hätten beim Erlass der Regelung Phänomene wie die Patrouillen einer „Scharia-Polizei“ im Jahr 2014 sowie bestimmte Aktivitäten sog. Reichsbürger vor Augen gestanden. Der in Art. 14 Abs. 1 BayIntG verwendete Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung sei weitergehend als die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinn des Art. 13 Abs. 1 Satz 1 BayIntG; auch er finde sich aber in zahlreichen anderen Gesetzen. Wegen der vergleichbaren Normstruktur sei er in Anlehnung an die strafrechtlichen Vorschriften gemäß § 81 Abs. 1 Nr. 2, § 82 Abs. 1 Nr. 2, § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 86 Abs. 1 Nr. 2, § 89 Abs. 1, § 90 a Abs. 1 Nr. 1 und § 92 Abs. 2 Nr. 2 StGB zu bestimmen. Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 BayIntG ziele auf das öffentliche Auffordern zur Missachtung der geltenden Verfassungsordnung. Er betreffe nicht das Hinarbeiten auf eine Verfassungsordnung im vorgesehenen Rahmen des Art. 79 GG bei gleichzeitigem Hinnehmen des bestehenden Zustands und erst recht nicht Aktivitäten der Brauchtumspflege, wie sie etwa die „Königstreuen“ entfalteten. Die in Art. 14 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 BayIntG erfasste Verhaltensweise „es zu unternehmen“ könne ebenfalls an Tatbestände im Strafgesetzbuch (z. B. § 81 Abs. 1, § 130 Abs. 2 Nr. 3) sowie an die Legaldefinition des § 11 Abs 1 Nr. 6 StGB anknüpfen. Das Verhalten nach Art. 14 Abs. 1 BayIntG müsse darauf gerichtet sein, nicht nur die geltende verfassungsmäßige Ordnung zu missachten, sondern einer anderen Rechtsordnung zu folgen (Nr. 1), andere Personen einer solchen Ordnung zu unterwerfen (Nr. 2) oder eine solche Ordnung oder aus ihr abgeleitete Einzelakte zu vollziehen oder zu vollstrecken (Nr. 3). Anders als bei Art. 13 Abs. 1 Satz 2 BayIntG genüge es dabei nicht, wenn nur einzelne Elemente abgelehnt und durch andere Einzelelemente ersetzt werden sollten. Es gehe vielmehr um die Ablehnung der gegenwärtigen verfassungsmäßigen Ordnung und ihre Ersetzung durch eine andere, ihrerseits auf das Ganze angelegte Ordnung, mithin um den Geltungsanspruch der bestehenden Ordnung und die Autorität des Staates. Ob die „andere Rechtsordnung“ nach völkerrechtlichen Grundsätzen überhaupt je Geltung beanspruchen könnte oder ob es sich um eine Rechtsordnung im rechtstheoretischen oder -philosophischen Sinn handle, spiele keine Rolle. Die andere Rechtsordnung müsse laut Gesetzesbegründung fundamental und prinzipiell auch einem politisch und rechtlich durchschnittlich versierten Bürger erkennbar nicht in das unsere Rechtsordnung prägende Schema fallen. Auf der Rechtsfolgenebene sei der zuständigen Behörde in mehrfacher Hinsicht Ermessen eingeräumt; das nach § 47 Abs. 1 OWiG geltende Opportunitätsprinzip erlaube auch, ein bereits eröffnetes Verfahren wieder einzustellen oder es statt eines Bußgelds bei einem Verwarnungsgeld oder einer bloßen Verwarnung zu belassen.
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k) Die durch Art. 17 a Abs. 1 Nr. 5 BayIntG eingefügte Nr. 3 des Art. 23 Abs. 3 PAG verstoße nicht gegen die Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 106 Abs. 3 BV. Ähnlich wie bei der ereignis- und verdachtsunabhängigen Personenkontrolle gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 PAG (sog. Schleierfahndung) werde damit der Polizei kein willkürliches Kontrollieren ermöglicht; die Betretensbefugnis sei auf einen eng begrenzten Kreis von Örtlichkeiten bezogen und explizit an den Zweck der Abwehr dringender Gefahren gebunden. Sie erweitere den Kreis der in Art. 23 Abs. 3 PAG angesprochenen sog. gefährlichen Orte, an denen insbesondere Straftaten und Ordnungswidrigkeiten begangen würden. Um das Betreten der Unterkünfte zu rechtfertigen, müsse ein Zusammenhang zwischen dem Ortstyp „Asylbewerberunterkunft“ und der dringenden Gefahr bestehen. Im Jahr 2017 hätten bei insgesamt 25.511 polizeilichen Einsätzen in Asylbewerberunterkünften 110 solche Kontrollmaßnahmen stattgefunden. Eingriffe in den Schutzbereich des Art. 106 Abs. 3 BV seien nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 7 GG statthaft. Dazu gehöre die Abwehr dringender Gefahren auch in Bezug auf die typischen Delikte der sog. grenzüberschreitenden Kriminalität einschließlich des Schleuserwesens sowie auf die Stabilisierung der verwaltungsrechtlichen Ordnungssysteme der Ausländer- und Asylgesetze. Da es bei Art. 23 Abs. 3 Nr. 3 PAG um die Abwehr dringender Gefahren gehen müsse, dürften die betreffenden Wohnungen nicht allein zum Zweck der erleichterten Durchführung von Identitätsfeststellungen gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c PAG n. F. betreten werden; die erweiterte Befugnis zum Betreten erleichtere aber die anschließende Durchführung solcher Maßnahmen. Es sei allgemein anerkannt, dass zur Rechtfertigung von Eingriffen in das Wohnungsgrundrecht eine abstrakte Gefahr ausreiche, also eine auf generalisierten Betrachtungen und Erfahrungen beruhende Gefahr. In diesem verfassungsrechtlich vorgezeichneten Sinn sei das Merkmal „Abwehr dringender Gefahren“ im Einleitungssatz von Art. 23 Abs. 3 PAG zu verstehen. Dabei spiele die zeitliche Nähe und die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts ebenso eine Rolle wie das Ausmaß des zu erwartenden Schadens und die Hochrangigkeit des gefährdeten Rechtsguts. Fachbezogene Erwägungen in Gestalt polizeilicher Erkenntnisse über Gefährdungslagen dürften zugrunde gelegt werden, sofern sie nicht eindeutig widerlegbar oder offensichtlich fehlerhaft seien oder der verfassungsrechtlichen Wertordnung widersprächen. Bei der Bestimmung von Asylbewerberunterkünften als bei generalisierter Betrachtung gefährlicher Orte sei der Gesetzgeber von den in der Bayerischen Kriminalitätsstatistik 2016 zusammengestellten Fakten ausgegangen, wonach die in solchen Unterkünften registrierten Straftaten (ohne ausländerrechtliche Verstöße) im Jahr 2016 um 114,8 % auf 12.300 angestiegen seien, wobei den größten Anteil die sog. Rohheitsdelikte (Raubdelikte und räuberische Erpressung, Körperverletzung etc.) gebildet hätten und Opfer ganz überwiegend die dort lebenden Menschen gewesen seien. Aufgrund der Hochrangigkeit der berührten Schutzgüter und des Ausmaßes sowie der Wahrscheinlichkeit der zu befürchtenden Schäden sei die Regelung als verhältnismäßig anzusehen; allein durch die damit ermöglichte Präsenz von Polizeibeamten verringere sich die Gefahr der Begehung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten in den Einrichtungen und in ihrem unmittelbaren Umfeld.
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l) Mit den Bestimmungen des Art. 17 a Abs. 7 und 8 BayIntG werde die Förderung der Versorgung mit Wohnraum mit der Voraussetzung verknüpft, einen Beitrag zur Schaffung und Erhaltung einer ausgeglichenen Bewohnerstruktur zu leisten. Dazu werde für die Gebiete mit erhöhtem Wohnungsbedarf in Art. 5 BayWoBindG eine Strukturkomponente dahingehend eingefügt, dass möglichst nur Wohnungssuchende benannt würden, deren Zuzug einseitige Bewohnerstrukturen weder schaffe noch verfestige. Außerhalb der genannten Gebiete könnten nach dem neu eingefügten Art. 5 a BayWoBindG die Verfügungsberechtigten verpflichtet werden, die Wohnung nur Wohnungssuchenden zu überlassen, deren Zuzug die zuständige Stelle zuvor zugestimmt habe; die Zustimmung dürfe nur verweigert werden, wenn die Überlassung einseitige Bewohnerstrukturen schaffe oder verfestige. Diese Regelungen seien weder im Hinblick auf den persönlichen Anwendungsbereich noch im Hinblick auf das Merkmal der „Einseitigkeit“ der Bewohnerstrukturen zu unbestimmt. Es handle sich um Jedermann-Vorschriften, die nicht auf Migrantinnen und Migranten beschränkt seien, wie in der Gesetzesbegründung ausdrücklich bekräftigt werde. Schon in der früheren Fassung des Art. 5 BayWoBindG habe nach den Sätzen 3 und 4 zum Zweck der Schaffung und Erhaltung einer ausgeglichenen Bewohnerstruktur von der Rangfolge der Dringlichkeit abgewichen werden können; dieser Aspekt sei nach der Neuregelung von vornherein gleichrangig mit der Dringlichkeit. Unbestimmte, auslegungsbedürftige Rechtsbegriffe seien grundsätzlich statthaft und ermöglichten der Verwaltung, den Eigenarten der zu ordnenden Sachverhalte und etwaigen Besonderheiten des Einzelfalls in sachspezifischer Weise Rechnung zu tragen; das gelte auch für die Tatbestandsmerkmale in Art. 5 Sätze 5 und 6, Art. 5 a WoBindG n. F.
IV.
78
Die Anträge sind zulässig.
79
1. Die Anträge auf Feststellung der Nichtigkeit bestimmter Vorschriften des Bayerischen Integrationsgesetzes haben Meinungsverschiedenheiten gemäß Art. 75 Abs. 3 BV, Art. 49 VfGHG zum Gegenstand.
80
Nach Art. 75 Abs. 3 BV entscheidet der Verfassungsgerichtshof Meinungsverschiedenheiten darüber, ob durch ein Gesetz die Verfassung geändert wird oder ob ein Antrag auf unzulässige Verfassungsänderung vorliegt. Diese Voraussetzungen sind nach Art. 49 Abs. 1 VfGHG auch erfüllt, wenn die Meinungsverschiedenheit darüber besteht, ob durch ein Gesetz die Verfassung verletzt wird (VerfGH vom 12.8.1994 VerfGHE 47, 184/189; vom 19.10.1994 VerfGHE 47, 241/252; vom 17.9.1999 VerfGHE 52, 104/119). Die Meinungsverschiedenheit muss zwischen am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organen oder Teilen davon entstanden und bereits im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens im Landtag erkennbar geworden sein (VerfGH vom 21.11.1986 VerfGHE 39, 96/136; vom 21.2.2002 VerfGHE 55, 28/35; vom 21.11.2016 BayVBl 2017, 192 Rn. 56; vom 30.7.2018 BayVBl 2019, 158 Rn. 39). Das ist hier der Fall.
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a) Der Entwurf für ein Bayerisches Integrationsgesetz wurde von der Staatsregierung am 10. Mai 2016 im Bayerischen Landtag eingebracht (LT-Drs. 17/11362). In der Plenarsitzung am 8./9. Dezember 2016 wurde der in einigen Punkten geänderte Gesetzesvorschlag in zweiter und dritter Lesung mit den Stimmen der CSU-Fraktion gegen die Stimmen der übrigen Landtagsfraktionen angenommen (LT-Drs. 17/14708). Abgeordnete beider Antragstellerinnen vertraten im Gesetzgebungsverfahren die Auffassung, die im Entwurf enthaltenen Regelungen seien jedenfalls in großen Teilen verfassungswidrig.
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So kritisierte namens der Antragstellerin zu I u. a. der Abgeordnete Pfaffmann die fehlende Bestimmtheit der in Art. 1 Satz 2 BayIntG geforderten „Achtung der Leit-kultur“ (Plenarprotokoll 17/89 S. 7681). Die zur selben Fraktion gehörende Abgeordnete Waldmann erhob allgemeine verfassungsrechtliche Bedenken gegen die in Art. 4 Abs. 4 BayIntG enthaltenen Regelungen (Plenarprotokoll 17/89 S. 7699 f., 7786). Die Abgeordnete Petersen sah in Art. 6 Satz 1 BayIntG einen Verstoß gegen den Grundsatz der weltanschaulichen Neutralität (Plenarprotokoll 17/89 S. 7707). Die Abgeordnete Fehlner hielt Art. 11 Satz 2 BayIntG für einen unzulässigen Eingriff in die Rundfunkfreiheit (Plenarprotokoll 17/89 S. 7733 f.). Der Abgeordnete Arnold monierte die unzureichende Bestimmtheit der in Art. 13 und 14 BayIntG getroffenen Regelungen (Plenarprotokoll 17/89 S. 7740, 7742 f.).
83
Vertreter der Antragstellerin zu II stellten bereits in den Ausschussberatungen die Gesetzgebungskompetenz des Landes (Abgeordnete Kamm, 55. Sitzung des Sozialausschusses vom 20. Oktober 2016, Protokoll S. 10), die Vereinbarkeit der Leitkultur-Definition mit der Verfassung und die Grundrechtskonformität insbesondere der Art. 11, 13 und 17 a Abs. 1 Nr. 5 BayIntG infrage (Abgeordneter Mistol, 60. Sitzung des Ausschusses für Bildung und Kultur vom 9. November 2016, Protokoll S. 14 ff.). In der Plenarsitzung vom 8./9. Dezember 2016 machten die der Antragstellerin zu II angehörenden Abgeordneten Osgyan und Gehring geltend, die Präambel sei zu unbestimmt (Plenarprotokoll 17/89 S. 7669, 7670). Den gleichen Einwand erhob die Abgeordnete Kamm gegen Art. 1 und Art. 2 BayIntG (Plenarprotokoll 17/89 S. 7679, 7683). Der Abgeordnete Hartmann kritisierte die fehlende Rechtsverbindlichkeit des Art. 3 BayIntG (Plenarprotokoll 17/89 S. 7688). Der Abgeordnete Gehring rügte fehlende Begriffsdefinitionen in Art. 4 BayIntG und den Sanktionscharakter der Vorschrift (Plenarprotokoll 17/89 S. 7695, 7785). Für zu unbestimmt hielt die Abgeordnete Celina die Vorschrift des Art. 6 BayIntG (Plenarprotokoll 17/89 S. 7708, 7711). Aus den gleichen Gründen wandte sich der Abgeordnete Gehring gegen die auf die Integrationsziele des Art. 1 BayIntG verweisende Bestimmung des Art. 7 BayIntG (Plenarprotokoll 17/89 S. 7714). Der Abgeordnete Mistol bemängelte, dass in Art. 9 BayIntG die Kostenerstattung gegenüber den Kommunen nicht geregelt sei (Plenarprotokoll 17/89 S. 7727). Die Abgeordneten Osgyan (Plenarprotokoll 17/89 S. 7732) und Gehring (Plenarprotokoll 17/89 S. 7777) sahen in der Vorschrift des Art. 11 BayIntG einen unzulässigen Eingriff in die Rundfunk- und Pressefreiheit. Die Vorschriften des Art. 13 und 14 BayIntG wurden von den Abgeordneten Dürr (Plenarprotokoll 17/89 S. 7738) und Dr. Magerl (Plenarprotokoll 17/89 S. 7741) als unzulässige Diskriminierung von Ausländern bezeichnet. Die Abgeordnete Schulze sah bei der Regelung des Art. 17 a Abs. 1 Nr. 5 BayIntG die Flüchtlinge unter Generalverdacht gestellt (Plenarprotokoll 17/89 S. 7754). In den Neuregelungen aufgrund des Art. 17 a Abs. 5 BayIntG erblickte die Abgeordnete Sengl ein unzulässiges Zwei-Klassen-Recht (Plenarprotokoll 17/89 S. 7758). Bei Art. 17 a Abs. 6 BayIntG bezweifelte die Abgeordnete Celina die Gesetzgebungskompetenz des Landes (Plenarprotokoll 17/89 S. 7792). Die mit Art. 17 a Abs. 7 und 8 BayIntG geänderten Rechtsvorschriften erachtete der Abgeordnete Mistol als teilweise völlig unklar und in der Praxis nicht umsetzbar (Plenarprotokoll 17/89 S. 7763). Im Zusammenhang mit den Regelungen in Art. 17 a Abs. 9 bis 12 BayIntG verwies die Abgeordnete Schulze auf die bei der vorangegangenen Expertenanhörung geäußerte Kritik (Plenarprotokoll 17/89 S. 7765). Die Abgeordnete Kamm hielt die in Art. 18 BayIntG genannte Einschränkung von Grundrechten für zu weitgehend (Plenarprotokoll 17/89 S. 7771).
84
b) Die Antragstellerinnen haben als Fraktionen und damit als Teile des Landtags gemäß Art. 49 Abs. 2 Satz 1 VfGHG am Gesetzgebungsverfahren zum Bayerischen Integrationsgesetz mitgewirkt. Sie können die bereits auf Parlamentsebene von ihren Mitgliedern geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken im Verfahren nach Art. 75 Abs. 3 BV weiterverfolgen (VerfGH BayVBl 2017, 192 Rn. 60 m. w. N.). Als Antragsgegnerin in beiden Verfahren wurde zum einen zulässigerweise die Mehrheitsfraktion im Landtag benannt, mit deren Stimmen die Neuregelung verabschiedet wurde (vgl. Art. 49 Abs. 2 Satz 3 VfGHG; VerfGH, a. a. O.). Antragsgegnerin kann zum anderen die von den Antragstellerinnen ebenfalls angeführte Staatsregierung sein, da der (damalige) Ministerpräsident in ihrem Namen den Gesetzentwurf im Landtag eingebracht und damit das Gesetzgebungsvorhaben gemäß Art. 71 BV initiiert hat (VerfGH BayVBl 2017, 192 Rn. 60; Möstl in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 2017, Art. 75 Rn. 12).
85
2. Tauglicher Gegenstand der Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof sind (weiterhin) alle von den Antragstellerinnen bezeichneten Rechtsnormen einschließlich der durch Art. 17 a Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 5 bis 12 BayIntG in der Fassung des Gesetzes vom 13. Dezember 2016 (GVBl S. 335) bewirkten Änderungen von Rechtsvorschriften in bereits bestehenden Gesetzen.
86
Zwar wurde mit dem zum 1. April 2019 in Kraft getretenen Gesetz über die Beauftragten der Bayerischen Staatsregierung (Bayerisches Beauftragtengesetz – BayBeauftrG) vom 25. März 2019 (GVBl S. 58) u. a. Art. 17 a BayIntG ersatzlos aufgehoben (Art. 3 a Nr. 4 BayBeauftrG). Dieser in die Zukunft gerichtete Normsetzungsakt hatte aber nicht zur Folge, dass dadurch die vor dem Erlass des Art. 17 a BayIntG geltende Rechtslage wiederhergestellt worden wäre. Die Aufhebung hat die mit dem Erlass des Bayerischen Integrationsgesetzes vollzogenen Rechtsänderungen unberührt gelassen.
87
Hebt der Gesetzgeber eine Bestimmung auf, mit der ein bestehendes Gesetz geändert wurde, so ist zu fragen, ob damit die vorherige Gesetzesänderung ebenfalls rückgängig gemacht worden ist. Dies wäre nach dem Grundsatz „lex posterior derogat legi priori“ anzunehmen, wenn Änderungsbestimmungen einen auf Dauer wirkenden Gesetzesbefehl enthielten, von dessen Fortbestand die rechtliche Geltung der geänderten Vorschriften abhinge (so Roth, NVwZ 1999, 155/156). Diese Vorstellung ist aber unvereinbar mit dem zeitlich begrenzten Regelungszweck von Änderungsgesetzen, wie er sich insbesondere aus der ständigen Gesetzgebungspraxis von Bund und Ländern ergibt (vgl. Ramcke, DÖV 2000, 69/70). Maßgebende Bedeutung besitzt insoweit das vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz herausgegebene Handbuch der Rechtsförmlichkeit (Bekanntmachung vom 22. September 2008, BAnz Nr. 160 a), das in seiner jeweils geltenden Fassung nach Nr. 5 der von der Bayerischen Staatsregierung erlassenen Richtlinien für die Redaktion von Rechtsvorschriften (Redaktionsrichtlinien – RedR) vom 16. Juni 2015 (AllMBl S. 319) weitgehend auch auf Rechtsvorschriften des Landesrechts anzuwenden ist. Danach wird mit Inkrafttreten eines Änderungsgesetzes der Wortlaut des betroffenen (Stamm-)Gesetzes durch den neuen Wortlaut ersetzt, ergänzt oder aufgehoben; das Änderungsgesetz selbst wird mit Wirksamwerden dieser Änderungsbefehle gegenstandslos und bildet nur noch eine „inhaltsleere Hülle“, die keine Rechtswirkung mehr entfaltet (Handbuch, Rn. 21, 675, 710). Eine spätere Aufhebung des Änderungsgesetzes kann demgemäß nur noch der Rechtsbereinigung dienen, nicht jedoch zum Wiederaufleben der früheren Rechtslage führen.
88
Ob dieses Normverständnis, das erklärtermaßen der Gesetzgebungstätigkeit auch im Freistaat Bayern zugrunde liegt (vgl. Unterreitmeier in Möstl/Schwabenbauer, BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Art. 75 PAG Rn. 7.1, Stand: 1.4.2018), allen denkbaren Regelungskonstellationen gerecht wird, kann hier offenbleiben. Jedenfalls wenn keine gegenteilige gesetzgeberische Absicht erkennbar ist, gilt die grundsätzliche Annahme, dass Änderungsbestimmungen nicht zum dauerhaften Bestandteil der Rechtsordnung werden, sondern sich mit dem Inkrafttreten der Änderungen erledigen (vgl. VerfGH BayVBl 2017, 192 Rn. 113; BVerwG vom 10.2.1999 NJW 1999, 1729/1730). Die bloße Aufhebung eines Änderungsgesetzes, die im Unterschied zur gerichtlichen Nichtigerklärung nur ex nunc wirkt, führt daher im Regelfall nicht zur Wiederherstellung des vor der Änderung bestehenden Rechtszustands. Will der Gesetzgeber eine frühere Novellierung rückgängig machen, muss er die betreffenden Vorschriften unmittelbar im Stammgesetz ändern bzw. aus diesem streichen.
89
Hiervon ausgehend hatte die förmliche Aufhebung des Art. 17 a BayIntG keine rechtlichen Auswirkungen. Es spricht nichts dafür, dass die Geltung der darin aufgeführten zahlreichen Normergänzungen und Normänderungen vom dauernden Fortbestand der Änderungsvorschrift abhängig sein sollte. Mit Inkrafttreten des Art. 17 a Abs. 1 bis 4 und Abs. 6 bis 13 BayIntG am 1. Januar 2017 und des Art. 17 a Abs. 5 BayIntG am 1. August 2017 (Art. 19 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 BayIntG a. F.) wurden die Rechtsänderungen unmittelbar wirksam; seitdem gelten die betreffenden Einzelvorschriften aus sich heraus in der Fassung, die sie durch das Integrationsgesetz erhalten haben. Die Aufhebung des Art. 17 a BayIntG zum 1. April 2019 erfolgte ersichtlich nicht mit dem Willen, an dieser geltenden Rechtslage etwas zu ändern. Sie wurde in der amtlichen Gesetzesbegründung nicht einmal gesondert erläutert, sondern nur gemeinsam mit den übrigen Bestimmungen des Art. 3 a BayBeauftrG als eine der mit der Neuregelung des Integrationsbeauftragten verbundenen „Folgeänderungen“ qualifiziert (LT-Drs. 18/17 S. 9). Diese (sachlich unzutreffende) Aussage belegt jedenfalls, dass es dem Gesetzgeber um eine rein redaktionelle Anpassung ohne materiellen Regelungsgehalt ging.
V.
90
Soweit die Antragstellerinnen geltend machen, Regelungen im Bayerischen Integrationsgesetz verstießen gegen vorrangiges Bundesrecht und damit aus landesverfassungsrechtlicher Sicht gegen das Gebot der Rechtsstaatlichkeit (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV), ist dem nur hinsichtlich des Art. 14 Abs. 2 BayIntG zu folgen; im Übrigen sind diese Rügen unbegründet.
91
Prüfungsmaßstab in den Verfahren über Meinungsverschiedenheiten nach Art. 75 Abs. 3 BV, Art. 49 VfGHG ist allein die Bayerische Verfassung. Nach ständiger Rechtsprechung kann die Frage, ob der bayerische Gesetzgeber höherrangiges Bundesrecht verletzt hat, nur am Maßstab des Rechtsstaatsprinzips der Bayerischen Verfassung überprüft werden. Dieses erstreckt seine Schutzwirkung nicht in den Bereich des Bundesrechts mit der Folge, dass jeder Verstoß gegen Bundesrecht zugleich als Verletzung der Bayerischen Verfassung anzusehen wäre. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV ist vielmehr erst dann verletzt, wenn der Widerspruch des bayerischen Landesrechts zum Bundesrecht nicht nur offensichtlich zutage tritt, sondern auch inhaltlich nach seinem Gewicht als schwerwiegender, krasser Eingriff in die Rechtsordnung zu werten ist (vgl. VerfGH vom 9.6.2018 BayVBl 2019, 225 Rn. 66 m. w. N.). Das gilt auch für die Beurteilung der Frage, ob der Landesgesetzgeber die bundesrechtliche Kompetenzordnung des Grundgesetzes eingehalten hat (vgl. VerfGH, a. a. O., Rn. 68 f.).
92
1. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin zu II ist das Rechtsstaatsprinzip nicht wegen eines Widerspruchs der in Art. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BayIntG legaldefinierten „Integrationspflicht“ und aller darauf bezogenen Bestimmungen des Bayerischen Integrationsgesetzes zur Kompetenzordnung des Grundgesetzes verletzt.
93
a) Die in Art. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BayIntG als Gesetzesziel neben der Integrationsförderung genannte „Integrationspflicht“, die im weiteren Text nur noch einmal – in Pluralform – ausdrücklich erwähnt wird (Art. 9 Satz 1 BayIntG), ist von der dem Landesgesetzgeber nach Art. 70 Abs. 1, Art. 72 Abs. 1 GG zustehenden Gesetzgebungskompetenz gedeckt. Ihr stehen keine abschließenden bundesrechtlichen Regelungen entgegen.
94
aa) Die in Art. 1 BayIntG umschriebenen Integrationsziele, auf die in weiteren Vorschriften des Gesetzes verwiesen wird (Art. 3 Abs. 6 Satz 1 und Abs. 8, Art. 7 Abs. 1 Satz 1, Art. 9 Satz 2, Art. 10 Abs. 1 und Art. 17 a Abs. 1 Nr. 11 Buchst. a BayIntG), beziehen sich gemäß Art. 1 Satz 1 BayIntG auf alle Menschen, „die aus anderen Staaten kommen und hier nach Maßgabe der Gesetze Aufnahme gefunden haben oder Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen“. Im Hinblick auf diesen Personenkreis besteht für den Bund eine konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 4 GG, soweit das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht von Ausländern betroffen ist, sowie eine Zuständigkeit für die Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 6 GG, die nach heute herrschender Auffassung auch die Eingliederung und Förderung ausländischer Flüchtlinge in beruflicher, sozialer, wirtschaftlicher, kultureller und bildungspolitischer Hinsicht umfasst (vgl. Seiler in Epping/Hillgruber, BeckOK Grundgesetz, Art. 74 Rn. 22; Oeter in v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 74 Rn. 50 m. w. N.; krit. Thym, VVDStRL 76 (2017), 169/207 Fn. 207).
95
Der Bundesgesetzgeber hat von diesen Kompetenzen insbesondere durch den Erlass des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) Gebrauch gemacht. Geregelt wird dort neben der Einreise, dem Aufenthalt und der Erwerbstätigkeit von Ausländern auch deren „Integration“ (§ 1 Abs. 1 Satz 4 AufenthG), ohne dass dieser inhaltlich offene Begriff allerdings näher bestimmt würde (vgl. Kau, NVwZ 2018, 1337 f.). In der Integrationsförderung liegt nach der Gesetzesbegründung ein übergeordnetes ausländerpolitisches Ziel, das im Rahmen der verfassungsrechtlichen Kompetenzen Berücksichtigung finden und damit zu einer Handlungsmaxime für die mit den ausländerrechtlichen Entscheidungen betrauten Behörden werden soll (BT-Drs. 15/420 S. 68). Zur Vermittlung der für den Integrationserfolg notwendigen Kenntnisse werden in den §§ 43 bis 45 AufenthG die Rahmenbedingungen für konkrete Maßnahmen zur Eingliederung von Ausländern formuliert (BT-Drs. 15/420 S. 64). Danach wird die Integration von rechtmäßig auf Dauer im Bundesgebiet lebenden Ausländern in das wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben in der Bundesrepublik Deutschland „gefördert und gefordert“ (§ 43 Abs. 1 AufenthG). Deren Eingliederungsbemühungen werden unterstützt durch einen der Vermittlung der Sprache, der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte in Deutschland dienenden Integrationskurs (§ 43 Abs. 2 bis 4 AufenthG), auf dessen Teilnahme unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen ein Anspruch besteht (§ 44 AufenthG) und der für bestimmte Ausländer verpflichtend ist (§ 44 a Abs. 1 bis 2 a AufenthG); bei Verletzung der Teilnahmepflicht können aufenthalts- oder staatsangehörigkeitsrechtliche Nachteile eintreten und Zwangsmittel eingesetzt werden (§ 44 a Abs. 3 AufenthG). Der Integrationskurs soll durch weitere Integrationsangebote des Bundes und der Länder ergänzt werden (§ 45 Satz 1 AufenthG); dazu wird unter Beteiligung auch der Länder ein bundesweites Integrationsprogramm entwickelt (§ 45 Sätze 2 bis 4 AufenthG).
96
bb) Eine Gesamtwürdigung dieser Bestimmungen, deren aktuelle Fassung zum Teil auf das Integrationsgesetz des Bundes vom 31. Juli 2016 (BGBl I S. 1939) zurückgeht, führt zu dem Ergebnis, dass der Bundesgesetzgeber die programmatisch an den Beginn des 3. Kapitels des Aufenthaltsgesetzes gestellte „Forderung“ nach Integration (§ 43 Abs. 1 AufenthG) nur insoweit als eine Rechtspflicht der daueraufenthaltsberechtigten Ausländer ausgestaltet hat, als diese im Einzelfall einer behördlichen Aufforderung zur Teilnahme an einem Integrationskurs gemäß § 44 a AufenthG nachzukommen haben. Dieser ausländerrechtlichen Ausnahmeregelung kann aber schon aus kompetenzrechtlichen Gründen keine generelle bundesgesetzliche Sperrwirkung zukommen, die der landesrechtlichen Normierung einer „Integrationspflicht“ selbst dann entgegenstehen würde, wenn damit wie bei Art. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BayIntG zunächst nur ein abstraktes Gesetzesziel bezeichnet wird.
97
Die Integration von Ausländern stellt keine allein im Ausländer-, Flüchtlings- und Staatsangehörigkeitsrecht wurzelnde einheitliche Sachmaterie dar, die der Bundesgesetzgeber aufgrund der ihm nach Art. 73 und 74 GG zustehenden Legislativbefugnisse und der darauf beruhenden Annexzuständigkeiten umfassend regeln könnte. Es handelt sich vielmehr um eine staatliche Querschnittsaufgabe (Berlit, ZAR 2018, 287/289), die von Bund und Ländern nach Maßgabe der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung gemeinsam zu erfüllen ist und bei der den Bundesländern z. B. im Bereich der Bildung, der Kultur, des Rundfunks und des allgemeinen Sicherheitsrechts eigene Gesetzgebungsbefugnisse zustehen, die dem bundesrechtlichen Zugriff entzogen sind (vgl. Rossi, Die Verwaltung 40 (2007), 383/401; Burgi, DVBl 2016, 1015/1018; Thym, VVDStRL 76 (2017), 169/174, 206 f.; ders., ZAR 2016, 241/242; Berlit, Flüchtlingsrecht in Zeiten der Krise, 2017, S. 124; Oeter in v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Bd. 2, Art. 74 Rn. 44 m. w. N.). Selbst wenn dem Aufenthaltsgesetz – wofür die Gesetzesbegründung nichts hergibt (vgl. BT-Drs. 16/5065 S. 177 ff.) – die „migrationspolitische Grundsatzentscheidung“ zugrunde läge, dass von daueraufenthaltsberechtigten Ausländern über die Fälle des § 44 a AufenthG hinaus keine weiteren Integrationsbemühungen gefordert werden sollen, könnte dies somit nur für die dem gesetzgeberischen Zugriff des Bundes unterliegenden Rechtsgebiete gelten.
98
Ein föderaler Kompetenzkonflikt kann sich hiernach aus dem Bayerischen Integrationsgesetz schon deshalb nicht ergeben, weil dessen normative Bestimmungen – mit Ausnahme des Art. 14 Abs. 2 BayIntG (vgl. unten 3.) – solche Bereiche erfassen, für die nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes der Landesgesetzgeber zuständig ist. Dies gilt nicht nur für die punktuellen Änderungen bestehender Landesgesetze in Art. 17 a BayIntG, sondern auch für die zum Teil generalklauselartig gefassten Vorschriften, die sich auf landesrechtliche Fördermaßnahmen (Art. 3, 12 BayIntG), den Spracherwerb (Art. 4 BayIntG), die Bildung und Erziehung (Art. 5, 6, 7, 8, 17 a Abs. 5 und 6 BayIntG), die Kommunen (Art. 9 BayIntG), die Wirtschaftsförderung (Art. 10 BayIntG), den Rundfunk und die Telemedien (Art. 11 BayIntG) und die öffentliche Sicherheit (Art. 13, 14 Abs. 1 BayIntG) beziehen. Dass für diese genuin landesrechtlichen Regelungsgegenstände als übergreifende Zielvorgabe neben dem Förderauftrag auch eine Pflicht zur Integration statuiert wird, die den betreffenden Ausländern eigene Integrationsanstrengungen abverlangt, kann somit nicht gegen die bundesstaatliche Kompetenzordnung verstoßen.
99
Die den Verwaltungsvollzug betreffende Bestimmung des Art. 3 Abs. 8 BayIntG, wonach die Integrationsziele des Art. 1 BayIntG bei Ermessensentscheidungen berücksichtigt werden können und von allen staatlichen Behörden verwirklicht werden, bildet insoweit keine Ausnahme. Denn auch die darin liegenden Handlungsdirektiven, denen der Gesetzgeber integrationsfördernde Wirkung beimisst, stehen ausdrücklich unter dem Vorbehalt, dass sie von den Behörden „im Rahmen ihrer Zuständigkeiten und der geltenden Gesetze“ zur Geltung gebracht werden können, dass also das jeweilige Rechtsgebiet den nötigen Spielraum bietet, um die landesrechtlichen Integrationsziele zu verfolgen (vgl. LT-Drs. 17/11362 S. 16).
100
b) Die vom bayerischen Gesetzgeber getroffenen Regelungen haben auch nicht zur Folge, dass die geltende Rechtsordnung damit in sich widersprüchlich würde.
101
Der Zweck des Bayerischen Integrationsgesetzes liegt nach Satz 14 der Präambel darin, die in den vorherigen Sätzen umschriebene, als „Leitkultur“ bezeichnete kulturelle Grundordnung zu wahren, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern sowie Migrantinnen und Migranten zu einem Leben in der Gesellschaft zu befähigen; Ziel des Gesetzes ist es dabei auch, den genannten Personenkreis zur Achtung der „Leitkultur“ zu verpflichten (Art. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BayIntG). Ob dieses in Gesetzesform gefasste landesrechtliche Integrationskonzept mit den integrationspolitischen Grundvorstellungen des Bundesgesetzgebers, wie sie vor allem in den Bestimmungen des Aufenthalts-, Flüchtlings- und Staatsangehörigkeitsrechts zum Ausdruck kommen, kompatibel ist (bejahend Thym, VVDStRL 76 (2017), 169/208 Fn. 217; grds. auch Eichenhofer, ZAR 2016, 251/256; Kluth in Uhle, Migration und Integration, 2017, S. 108 f.), kann hier dahinstehen. Denn selbst wenn sich eine Unvereinbarkeit feststellen ließe, läge darin entgegen der Auffassung der Antragstellerin zu II kein Verstoß gegen das aus dem bundesstaatlichen Rücksichtnahmegebot sowie dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Gebot der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung.
102
Mit diesem Gebot, das eine von den landesrechtlichen Normgebern zu beachtende Kompetenzausübungsschranke bildet, soll vor allem verhindert werden, dass der Bürger einander widersprechenden Normbefehlen unterschiedlicher Gesetzgeber ausgesetzt wird (BVerfG vom 27.10.1998 BVerfGE 98, 265/301; vom 15.12.2015 BVerfGE 141, 1 Rn. 81; BVerwG vom 18.8.2015 NVwZ 2016, 620 Rn. 14; Geis in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 5. Aufl. 2014, Art. 3 Rn. 7). Ein solcher Zielkonflikt entsteht etwa dann, wenn durch eine landesrechtliche Lenkungssteuer eine inhaltlich gegenläufige bundesgesetzliche Sachregelung konterkariert wird (BVerfG vom 7.5.1998 BVerfGE 98, 83/97 f.; vom 7.5.1998 BVerfGE 98, 106/118 f.). Der bloße Umstand, dass ein Landesgesetzgeber im Rahmen seiner Legislativbefugnisse einer Gruppe von Normadressaten Verhaltenspflichten auferlegt, die zu deren bundesgesetzlich begründeten Pflichten hinzutreten, lässt dagegen noch keinen Normwiderspruch entstehen.
103
Dies gilt auch dann, wenn der Bund in seinem Zuständigkeitsbereich auf weitergehende Rechtseingriffe bewusst verzichtet hat, um ein bestimmtes Gesamtkonzept zu verwirklichen. Wären die Länderparlamente nicht nur an die nach Art. 31 GG vorrangigen bundesrechtlichen Normen, sondern auch an die ihnen zugrunde liegenden politischen Gestaltungsabsichten und Zielvorstellungen gebunden, so würde die in Art. 30 GG vorausgesetzte Eigenständigkeit der Landesgesetzgebung weitgehend leerlaufen (vgl. Brüning, NVwZ 2002, 33/37; Hillgruber in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 30 Rn. 225; BVerfGE 98, 265, 329/348 f. (Sondervotum); allgemein Lindner in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 3 Rn. 68). Das Gebot der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung verpflichtet die Länder daher nicht, bei ihrer Gesetzgebungstätigkeit nur solche konzeptionellen Ansätze zu verfolgen, die denen des Bundesgesetzgebers entsprechen. Selbst wenn sich den derzeit geltenden Vorschriften zum Aufenthalts-, Flüchtlings- und Staatsangehörigkeitsrecht ein klar umrissenes Integrationskonzept des Bundes entnehmen ließe (verneinend Berlit, ZAR 2018, 287/289; Burgi, DVBl 2016, 1015/1018), könnte dies den Freistaat Bayern demnach nicht daran hindern, bei seiner eigenen Integrationsgesetzgebung abweichende Ziele zu verfolgen.
104
2. Ein das Rechtsstaatsprinzip verletzender schwerwiegender und offenkundiger Widerspruch zur grundgesetzlichen Kompetenzordnung liegt entgegen dem Vortrag der Antragstellerin zu I auch nicht darin, dass die in Art. 13 Abs. 1 und 2 BayIntG normierten Verhaltenspflichten mit einer landesrechtlichen Bußgeldvorschrift (Art. 13 Abs. 3 BayIntG) sanktioniert sind.
105
Das Ordnungswidrigkeitenrecht gehört zum Strafrecht im Sinn des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (BVerfG vom 16.7.1969 BVerfGE 27, 18/32 f.), sodass den Ländern auch insoweit die Gesetzgebungsbefugnis nach Art. 72 Abs. 1 GG nur zusteht, solange und soweit der Bund von seiner konkurrierenden Zuständigkeit nicht Gebrauch gemacht hat. Diese Sperre gilt auch dann, wenn nach dem erkennbaren Willen des Bundesgesetzgebers ergänzende Vorschriften, die an sich möglich wären, ausgeschlossen sein sollen (VerfGH vom 3.2.2009 VerfGHE 62, 1/14 f.; Brechmann in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 70 Rn. 10 m. w. N.). Solche vorrangigen Normen des Bundesrechts, die den Landesgesetzgeber am Erlass der Bußgeldbestimmungen hindern könnten, sind aber bei Art. 13 Abs. 3 BayIntG nicht ersichtlich.
106
Nach Art. 13 Abs. 3 BayIntG kann mit Geldbuße belegt werden, wer entgegen einer vollziehbaren Anordnung nach Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 nicht an dem dort verpflichtend vorgesehenen Grundkurs Rechts- und Werteordnung teilnimmt oder dessen Durchführung behindert. Dieser Sanktionsmöglichkeit, die auf Deutsche und Ausländer gleichermaßen Anwendung finden kann, steht nicht die als abschließend zu verstehende Aufzählung ausländerrechtlicher Ordnungswidrigkeiten in § 98 AufenthG entgegen. Denn die dort genannten Bußgeldtatbestände beziehen sich nur auf Verhaltenspflichten, die im Aufenthaltsgesetz normiert sind und mit der Einreise, dem Aufenthalt sowie der Erwerbstätigkeit von Ausländern im Zusammenhang stehen. Eine Sperrwirkung für bußgeldbewehrte landesrechtliche Verpflichtungen, die über das Ausländer- und Flüchtlingsrecht hinaus allgemein auf die gesellschaftliche Integration von Migranten abzielen, kann dem Katalog des § 98 AufenthG schon deshalb nicht entnommen werden, weil es dem Bund nach Art. 30, 70 GG verwehrt ist, auf dem Umweg über die Kompetenz „Strafrecht“ eine in die Zuständigkeit der Länder fallende Materie selbst sachlich zu regeln (BVerfG vom 25.6.1969 BVerfGE 26, 246/258). Auch die in § 98 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG vorgesehene Möglichkeit der Verhängung von Bußgeld gegenüber Ausländern, die einer vollziehbaren Anordnung nach § 44 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 oder 3 AufenthG zur Teilnahme an einem Integrationskurs zuwiderhandeln, bezieht sich nur auf die als „Grundangebot zur Integration“ bezeichneten und vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge organisierten Kurse im Sinn des § 43 AufenthG. Die Vorschrift hindert die Bundesländer nicht daran, im Rahmen ihrer Gesetzgebungszuständigkeiten für sonstige integrationsbezogene Kurse ebenfalls sanktionsbewehrte Teilnahmeverpflichtungen vorzusehen.
107
3. Die in Art. 14 Abs. 2 BayIntG vorgesehene Bußgeldsanktion für die Verbote, in öffentlicher Form dazu aufzufordern, statt der geltenden verfassungsmäßigen Ordnung einer mit deren Grundsätzen nicht zu vereinbarenden anderen Rechtsordnung zu folgen (Abs. 1 Nr. 1), es zu unternehmen, andere Personen einer solchen Ordnung zu unterwerfen (Abs. 1 Nr. 2), oder eine solche Ordnung oder aus ihr abgeleitete Einzelakte zu vollziehen oder zu vollstrecken (Abs. 1 Nr. 3), ist hingegen mit vorrangigen bundesrechtlichen Strafvorschriften unvereinbar (a)). In dem Kompetenzverstoß liegt zugleich eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips der Bayerischen Verfassung (b)). Die Nichtigkeit des Art. 14 Abs. 2 BayIntG erfasst nicht auch die Verbotsnorm des Art. 14 Abs. 1 BayIntG (c)), wohl aber die Verweisung in Art. 12 Abs. 3 BayIntG (d)).
108
a) Art. 14 BayIntG soll nach dem Willen des Gesetzgebers der präventiven Gefahrenabwehr zum Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung dienen, die sowohl die Unversehrtheit der objektiven Rechtsordnung als auch die Funktionsfähigkeit der staatlichen Einrichtungen umfasst (LT-Drs 17/11362 S. 22). Es handelt sich demnach um Regelungen, bei denen die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit den alleinigen und unmittelbaren Gesetzeszweck bildet und die daher dem Bereich des Polizei- und Sicherheitsrechts im engeren Sinn zugerechnet werden können, der grundsätzlich in die Zuständigkeit der Landesgesetzgebung fällt (zur Abgrenzung vgl. BVerfG vom 29.4.1958 BVerfGE 8, 143/149 f.).
109
Der Bundesgesetzgeber kann allerdings in Ausübung seiner konkurrierenden Zuständigkeit nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG Straftatbestände im Bereich der im Strafgesetzbuch herkömmlich geregelten Materien auch dort schaffen, wo ihm sonst durch den Zuständigkeitskatalog des Grundgesetzes Grenzen gezogen sind. Soweit diese bundesrechtlichen Regelungen abschließend sind, verhindern sie ergänzendes oder abweichendes Landesrecht, das auf den Schutz desselben Rechtsguts gerichtet ist (BVerfG vom 15.10.2014 NJW 2015, 44 Rn. 12 m. w. N.). Ob der Bundesgesetzgeber eine bestimmte Sachmaterie umfassend und lückenlos regeln wollte, kann nicht allein anhand der einzelnen Bestimmungen, sondern nur aufgrund einer Gesamtwürdigung des betreffenden Normenkomplexes festgestellt werden (vgl. VerfGHE 62, 1/14 m. w. N.). Die Annahme einer Sperrwirkung für die Länder setzt dabei in jedem Fall voraus, dass der abschließende Gebrauch der Kompetenz durch den Bund hinreichend erkennbar ist (vgl. BVerfG NJW 2015, 44 Rn. 13 m. w. N.).
110
Die in Bund und Ländern bestehende verfassungsmäßige Ordnung, auf deren Aufrechterhaltung die Bußgeldvorschrift des Art. 14 Abs. 2 BayIntG gerichtet ist, wird bereits durch Bundesrecht in abschließender Weise strafrechtlich geschützt. Im Strafgesetzbuch wird dieses öffentliche Schutzgut in einer Reihe von Bestimmungen ausdrücklich genannt (§ 81 Abs. 1 Nr. 2, § 82 Abs. 1 Nr. 2, § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 86 Abs. 1 Nr. 2, § 89 Abs. 1, § 90 a Abs. 1 Nr. 1 StGB); weiteren strafrechtlichen Verbotsnormen liegt die verfassungsmäßige Ordnung als geschütztes Rechtsgut unausgesprochen zugrunde (zu §§ 89 a, 89 b, 90 b StGB: Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 89 a Rn. 1 g, § 89 b Rn. 1, § 90 b Rn. 1). Eine wertende Betrachtung dieser in einem eigenen Abschnitt des Strafgesetzbuchs zusammengefassten Deliktsgruppe lässt den objektivierten Willen des Bundesgesetzgebers zu einer in sich abgestimmten Gesamtregelung der gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichteten Straftaten erkennen. Von der bundesrechtlichen Kodifizierung des Staatsschutzrechts werden auch Handlungen im Vorfeld einer konkreten Gefährdung erfasst. Dass daneben noch Spielraum für ergänzende ordnungswidrigkeitenrechtliche Sanktionen auf Länderebene verbleiben sollte, erscheint in Anbetracht des umfassenden Regelungsanspruchs des Strafgesetzgebers von vornherein ausgeschlossen (vgl. Hecker in Schönke/Schröder, StGB, Rn. 39 f. vor § 1; BT-Drs. 7/550 S. 199 f.).
111
Hat der Bund einen Sachbereich in Wahrnehmung einer konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz abschließend geregelt, so tritt die Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG für eine Regelung der Länder in diesem Sachbereich unabhängig davon ein, ob die landesrechtlichen Vorschriften den bundesrechtlichen Bestimmungen widerstreiten oder diese nur ergänzen, ohne ihnen zu widersprechen. Die Länder sind nicht berechtigt, eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz dort in Anspruch zu nehmen, wo sie eine – abschließende – Bundesregelung für unzulänglich halten; das Grundgesetz weist ihnen nicht die Aufgabe zu, kompetenzgemäß getroffene Entscheidungen des Bundesgesetzgebers „nachzubessern“ (BVerfG vom 10.2.2004 BVerfGE 109, 190/230 m. w. N.). Die Bußgeldbestimmung des Art. 14 Abs. 2 BayIntG, die an das in Abs. 1 näher umschriebene „Unterlaufen der verfassungsmäßigen Ordnung“ anknüpft und zu den einschlägigen Bestimmungen des Strafgesetzbuchs hinzutritt, verstößt hiernach gegen den Vorrang der bundesgesetzlichen Regelung.
112
b) Der Widerspruch gegen die bundesstaatliche Kompetenzordnung ist so offenkundig und schwerwiegend, dass darin zugleich eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips der Bayerischen Verfassung (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) liegt.
113
Nach dem klaren Wortlaut des Art. 4 Abs. 2 EGStGB stehen die Vorschriften des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs einer landesrechtlichen Bußgeldvorschrift entgegen, wenn diese eine Materie zum Gegenstand hat, die im Strafgesetzbuch abschließend geregelt ist (vgl. Putzke in Münchener Kommentar zur StPO, Bd. 3/2, 1. Aufl. 2018, Art. 4 EGStGB Rn. 3). Das ist hier eindeutig der Fall. Der Bundesgesetzgeber hat neben den auf gewaltsame Änderung der verfassungsmäßigen Ordnung gerichteten Aktivitäten (§§ 81 ff. StGB) auch eine Reihe spezifischer Gefährdungen des demokratischen Rechtsstaates (§§ 84 ff. StGB) unter Strafe gestellt und die entsprechenden Vorschriften als Reaktion auf neu erkannte Gefahrenlagen immer wieder ergänzt und weiterentwickelt. An seinem auf vollständige Regelung der Sachmaterie gerichteten Normierungswillen kann danach kein Zweifel bestehen; für ein gegenteiliges Auslegungsergebnis finden sich keine Anhaltspunkte.
114
Der im Erlass des Art. 14 Abs. 2 BayIntG liegende Verstoß gegen Art. 72 Abs. 1 GG ist als gravierend anzusehen. Das auf einheitlichen Begriffsbestimmungen (§ 92 StGB) aufbauende Gesamtkonzept des strafrechtlichen Staatsschutzes wird durch das Hinzutreten einer auf abweichenden gesetzgeberischen Wertungen beruhenden landesrechtlichen Bußgeldnorm erheblich gestört. Die Verhängung einer Geldbuße für ein Verhalten, das im übrigen Bundesgebiet straffrei ist und bei dem nur spezielle Begleitumstände zur Strafbarkeit führen können (z. B. nach §§ 111, 132, 240 StGB, § 28 VersammlG), sprengt das bundeseinheitlich vorgegebene Sanktionssystem. Die dadurch bewirkte Rechtszersplitterung betrifft mit der Strafrechtspflege ein besonders sensibles Gebiet, das durch ein erhöhtes Bedürfnis nach Rechtseinheit und Rechtsgleichheit gekennzeichnet ist.
115
c) Die aus der abschließenden bundesgesetzlichen Regelung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Art. 72 Abs. 1 GG folgende Nichtigkeit der landesrechtlichen Ordnungswidrigkeitenbestimmung erfasst allein die Sanktionsnorm des Art. 14 Abs. 2 BayIntG und nicht auch die in Art. 14 Abs. 1 BayIntG gesondert aufgelisteten Verbotstatbestände. Die Vorschriften des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs entfalten nach Art. 4 Abs. 2 EGStGB Sperrwirkung nur gegenüber den – dieselbe Materie betreffenden – Straf- und Bußgeldvorschriften des Landesrechts (vgl. BT-Drs. 7/550 S. 199 f.); die Zuständigkeit der Länder zum Erlass sicherheitsrechtlicher Regelungen bleibt davon unberührt.
Art. 14 BayIntG dient nach der erklärten Absicht des bayerischen Gesetzgebers insgesamt der präventiven Gefahrenabwehr (LT-Drs. 17/11362 S. 22). Die Vorschrift enthält zu diesem Zweck nicht nur die in Absatz 2 näher geregelte Ermächtigung der zuständigen Kreisverwaltungsbehörden (§ 87 Abs. 2 ZustV) zur Verhängung einer Geldbuße, sondern in Absatz 1 ein an jedermann gerichtetes selbstständiges Verbot bestimmter Handlungen, die der geltenden verfassungsmäßigen Ordnung zuwiderlaufen. Verstöße gegen diese sicherheitsrechtlich begründeten Unterlassungspflichten können – unabhängig von der Möglichkeit einer nachträglichen Ahndung als Ordnungswidrigkeit – durch polizeiliches Einschreiten nach Art. 11 Abs. 1 PAG von vornherein unterbunden werden. Die in Art. 14 Abs. 1 BayIntG normierten Handlungsverbote bleiben damit auch ohne bußgeldrechtliche Sanktion wirksam und rechtlich durchsetzbar. Dass der Gesetzgeber, der an anderer Stelle (Art. 12 Abs. 3 Satz 1 BayIntG) ausdrücklich zwischen den einzelnen Absätzen des Art. 14 BayIntG unterschieden hat, die Geltung der Verbotsnorm des Art. 14 Abs. 1 BayIntG vom rechtlichen Fortbestand ihrer Bußgeldbewehrung hätte abhängig machen wollen, lässt sich weder dem Regelungszusammenhang noch den Gesetzesmaterialien entnehmen.
116
d) Dagegen folgt aus der Nichtigkeit des Art. 14 Abs. 2 BayIntG, dass die von den Antragstellerinnen nicht angegriffene Vorschrift des Art. 12 Abs. 3 BayIntG ebenfalls für verfassungswidrig zu erklären ist, soweit danach den für die Vergabe von Landesleistungen zuständigen Behörden „in den Fällen des ... Art. 14 Abs. 2“ BayIntG spezielle Befugnisse eingeräumt werden. Zwar beschränkt sich die Prüfungsbefugnis des Verfassungsgerichtshofs in den Verfahren der Meinungsverschiedenheit ebenso wie bei Popularklagen (dazu VerfGH vom 25.9.2015 VerfGHE 68, 198 Rn. 202 m. w. N.) auf die vom jeweiligen Antragsteller bezeichneten Rechtsnormen, sodass nicht zu prüfen ist, ob weitere Bestimmungen des Landesrechts aus denselben Gründen wie die angefochtene Regelung der Bayerischen Verfassung widersprechen. Wird in einem Verfahren nach Art. 75 Abs. 3 BV eine Regelung für verfassungswidrig erklärt, kann dieser Ausspruch aber auf Vorschriften erstreckt werden, die zwar nicht ausdrücklich angefochten sind, jedoch in einem so engen sachlichen Zusammenhang mit der angefochtenen Vorschrift stehen, dass sie mit ihr eine untrennbare Einheit bilden. Bei der in Art. 12 Abs. 3 Satz 1 BayIntG enthaltenen Bezugnahme auf Art. 14 Abs. 2 BayIntG ist dies der Fall, da die darin eröffneten zusätzlichen Handlungsoptionen infolge der Nichtigkeit der genannten Bußgeldbestimmung notwendigerweise leerlaufen.
117
4. Das Rechtsstaatsprinzip des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV wird entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin zu II nicht dadurch verletzt, dass die aufgrund der angegriffenen Vorschriften möglichen Grundrechtseinschränkungen nicht einzeln im textlichen Zusammenhang mit den jeweiligen Eingriffsnormen, sondern erst in der zusammenfassenden Vorschrift des Art. 18 BayIntG (Art. 17 BayIntG n. F.) erwähnt werden. In dieser Gesetzesgestaltung kann jedenfalls kein evidenter und gravierender Verstoß gegen Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG gesehen werden.
118
a) Das im Grundgesetz enthaltene Zitiergebot, das auch den Landesgesetzgeber bindet (vgl. VerfGH vom 2.8.1990 VerfGHE 43, 107/126), ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eng auszulegen. Es findet nur Anwendung auf Grundrechte, die aufgrund ausdrücklicher Ermächtigung vom Gesetzgeber eingeschränkt werden dürfen (BVerfG vom 27.11.1990 BVerfGE 83, 130/154 m. w. N.), und erfasst nur Gesetze, die darauf abzielen, ein Grundrecht über die in ihm selbst angelegten Grenzen hinaus einzuschränken (BVerfG vom 18.2.1970 BVerfGE 28, 36/46 m. w. N.). Das Formerfordernis des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG gilt demzufolge weder für vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte noch für mittelbare Grundrechtseingriffe oder für Regelungen, die der allgemeinen Handlungsfreiheit, der Freiheit der Meinungsäußerung oder der Berufsfreiheit Grenzen setzen oder Inhalt und Schranken des Eigentums bestimmen (BVerfG vom 4.5.1983 BVerfGE 64, 72/80; vom 11.8.1999 NJW 1999, 3399/3400). Auch wenn eine dem Zitiergebot unterfallende Regelung geändert wird, ohne dass damit grundsätzlich neue Eingriffsmöglichkeiten geschaffen werden, muss das einzuschränkende Grundrecht nicht erneut unter Angabe des Artikels benannt werden (BVerfG vom 27.7.2005 BVerfGE 113, 348/366 f.; VerfGHE 43, 107/126).
119
b) Gemessen daran bestand bei der Mehrzahl der von der Antragstellerin zu II angeführten Bestimmungen des Bayerischen Integrationsgesetzes keine Verpflichtung, auf eine Grundrechtsbeschränkung im Gesetz hinzuweisen.
120
Die mit Art. 17 a Abs. 7 BayIntG in das Bayerische Wohnungsbindungsgesetz eingefügte Bestimmung, nach der im sozialen Wohnungsbau zur Vermeidung einer einseitigen Bewohnerstruktur die Verfügungsberechtigten verpflichtet werden können, öffentlich geförderte Wohnungen nur an Personen zu vergeben, deren Zuzug die zuständige Behörde zuvor zugestimmt hat (Art. 5 a BayWoBindG), enthält keine Beschränkung des Grundrechts der Wohnungssuchenden auf Freizügigkeit, sodass die fehlende Angabe des Art. 11 GG in Art. 18 BayIntG (Art. 17 BayIntG n. F.) nicht zu beanstanden ist. Dass es mit dem Ausschluss aus dem Bewerberkreis bestimmten Bevölkerungsgruppen erschwert wird, preisgünstigen Wohnraum zu erlangen, wirkt sich zwar auch auf das individuelle Zuzugsverhalten in den Gebieten mit erhöhtem Wohnungsbedarf aus. Diese vom Gesetzgeber beabsichtigte Steuerungswirkung kommt aber nicht einem faktischen Aufenthaltsverbot gleich und stellt insoweit nicht einmal einen mittelbaren Grundrechtseingriff dar, auf den das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG ohnehin nicht anwendbar wäre. Zudem gewährt Art. 11 GG ein Recht zum Zuzug und Aufenthalt grundsätzlich nur dort, wo jeder Aufenthalt und Wohnsitz nehmen kann; einen Anspruch auf Schaffung und Erhalt der rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für einen Daueraufenthalt vermittelt dieses Grundrecht nicht (BVerfG vom 17.12.2013 BVerfGE 134, 242 Rn. 258).
121
Soweit nach Art. 17 a Abs. 9, Abs. 10 Nr. 1 und Abs. 12 Nr. 2 BayIntG Sicherungs-verwahrte, volljährige Untersuchungsgefangene und untergebrachte Personen dazu angehalten werden sollen, freiwillig an einem in der Anstalt angebotenen Deutsch- oder Integrationsunterricht teilzunehmen, stellen diese unverbindlichen Aufforderungen keine Grundrechtseingriffe dar, sodass das Zitiergebot von vornherein keine Anwendung findet. Die in Art. 17 a Abs. 10 Nr. 2 und Abs. 11 Nr. 1 BayIntG vorgesehenen, in die allgemeine Handlungsfreiheit eingreifenden Verpflichtungen von jungen Untersuchungsgefangenen bzw. von Strafgefangenen, an einem solchen Kurs teilzunehmen, sind als weitere Einschränkung der – bereits durch die Inhaftierung reduzierten – Fortbewegungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG erst anzusehen, wenn sie von der Haftanstalt mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden (vgl. BVerfG vom 23.5.1967 BVerfGE 22, 21/26; Di Fabio in Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 Abs. 2 Satz 2 Rn. 32 m. w. N.); insoweit wird jedoch durch die Nennung dieses Grundrechts in Art. 38 BayUVollzG bzw. Art. 207 BayStVollzG dem Zitiergebot Genüge getan. Ähnliches gilt für die auf Art. 13 BayIntG gestützten Teilnahmeverpflichtungen, deren zwangsweise Durchsetzung nach den allgemeinen Vorschriften des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes erfolgt, das in Art. 40 VwZVG die Freiheit der Person als eines der von den Zwangsmaßnahmen betroffenen Grundrechte erwähnt.
122
Ob die Bestimmung des Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 BayIntG dem grundgesetzlichen Zitiergebot unterliegt, erscheint zumindest fraglich. Soweit es danach verboten ist, „in einer Versammlung“ zu einem bestimmten Verhalten aufzufordern, besteht zwar ein äußerlicher Zusammenhang mit der Ausübung des Grundrechts aus Art. 8 GG. Dessen Schutzbereich ist aber – über das Verbot oder die Auflösung einer Versammlung hinaus – nur betroffen, wenn die Art und Weise ihrer Durchführung durch staatliche Maßnahmen beschränkt wird, indem es untersagt wird, Meinungsinhalte in einer bestimmten Weise zu artikulieren, insbesondere durch versammlungstypische Äußerungsformen wie Aufrufe oder Transparente (BVerfG vom 19.12.2007 NVwZ 2008, 671/672 m. w. N.). Um ein solches den Versammlungsablauf reglementierendes Kundgabeverbot handelt es sich aber bei der gegen einen bestimmten Meinungsinhalt gerichteten Verbotsnorm des Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 BayIntG nicht, sodass als betroffenes Grundrecht nur die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) verbleiben dürfte (vgl. Depenheuer in Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 182), deren Beschränkungen nicht dem Zitiergebot unterliegen.
123
Eindeutig von den Anforderungen des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG erfasst wird dagegen die Vorschrift des Art. 17 a Abs. 1 Nr. 5 BayIntG, die der Polizei über deren bisherige Befugnisse hinaus unter bestimmten Voraussetzungen das Betreten von Wohnungen in Asylbewerberunterkünften und ähnlichen Aufenthaltsorten erlaubt und damit das Grundrecht aus Art. 13 GG einschränkt.
124
c) Dem somit nur punktuell bestehenden grundgesetzlichen Zitiergebot ist der Gesetzgeber mit der Sammelbestimmung des Art. 18 BayIntG (Art. 17 BayIntG n. F.) nachgekommen, die mögliche Einschränkungen der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) ausdrücklich erwähnt. Dass die Vorschrift erst ganz am Ende des in seiner ursprünglichen Fassung in ein Stammgesetz (Art. 1 bis 17) und ein Mantelgesetz (Art. 17 a) aufgeteilten Gesetzeswerks steht und dabei nicht schon aus sich heraus erkennen lässt, welche der vorhergehenden Regelungen zu Einschränkungen der genannten Grundrechte führen können, ist zumindest aus landesverfassungsrechtlicher Sicht unschädlich.
125
Nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG muss bei grundrechtseinschränkenden Gesetzen das betroffene Grundrecht „im Gesetz“ unter Angabe des Artikels genannt werden. Auf welche Weise der Gesetzgeber dem Zitiergebot nachzukommen hat, ist damit nicht exakt vorgegeben (vgl. Dreier in Dreier, Grundgesetz, Bd. 1, Art. 19 Abs. 1 Rn. 20 m. w. N.). Insbesondere wird nicht ausdrücklich verlangt, dass die Nennung des eingeschränkten Grundrechts bei der betroffenen Einzelnorm erfolgen muss (vgl. Huber in v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 19 Abs. 1 Rn. 96). Ob dennoch im Hinblick auf die dem Zitiergebot zukommende Warn- und Hinweisfunktion (BVerfG vom 12.10.2011 BVerfGE 129, 208/236 f. m. w. N.) allgemein oder in bestimmten Fällen ein „tatbestandsnahes Zitat“ in der jeweiligen Eingriffsbestimmung zu fordern ist (vgl. Hufeld in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 19 Abs. 1 Satz 2 Rn. 220), wird im Schrifttum unterschiedlich beurteilt. Die wohl überwiegende Auffassung (Nachweise bei Remmert in Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 1 Rn. 44 Fn. 6) hält dies nicht für zwingend geboten und sieht daher in einer entsprechenden Staatspraxis in Bund und Ländern keinen Verfassungsverstoß. Auch das Bundesverfassungsgericht hat bislang noch in keinem Fall eine am Ende des Gesetzes platzierte zusammenfassende Nennung der eingeschränkten Grundrechte beanstandet (vgl. etwa zu § 38 BKAG a. F.: BVerfG vom 20.4.2016 BVerfGE 141, 220).
126
Hielte man ein Sammelzitat zumindest dann für unzulässig, wenn sich – bei einem unübersichtlichen Gesetzeswerk – die Zuordnung der genannten Grundrechte zu den jeweiligen Eingriffsnormen nur noch mit unzumutbar hohem Aufwand erkennen lässt (so Remmert, a. a. O., Rn. 44; Hufeld, a. a. O.), dürfte Art. 18 BayIntG (Art. 17 BayIntG n. F.) ebenfalls nicht zu beanstanden sein. Es liegt auf der Hand, dass sich das Zitat des Art. 8 Abs. 1 GG nach dem Willen des Gesetzgebers allein auf die Verbotsnorm des Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 BayIntG beziehen kann, weil nur an dieser Stelle von Versammlungen die Rede ist. Die weiter erwähnte Einschränkung des Grundrechts aus Art. 13 GG steht, da der Gesetzestext für sonstige Eingriffe in die Wohnungsfreiheit nichts hergibt, in einem erkennbaren Zusammenhang mit der in Art. 17 a Abs. 1 Nr. 5 BayIntG enthaltenen Erweiterung des polizeilichen Betretungsrechts nach Art. 23 Abs. 3 PAG.
127
Es spricht demnach vieles dafür, dass Art. 18 BayIntG (Art. 17 BayIntG n. F.) den Mindestanforderungen des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG entspricht. Selbst wenn aber entsprechend einer in der Literatur vertretenen Auffassung (Nachweise bei Remmert, a. a. O., Rn. 44 Fn. 8) grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen ein solches Sammelzitat am Ende des Gesetzeswerks bestünden, wäre der Verstoß gegen die bundesgesetzlichen Vorgaben angesichts der widerstreitenden Auffassungen zu dieser Rechtsfrage jedenfalls nicht so offenkundig und gewichtig, dass damit zugleich das landesverfassungsrechtliche Rechtsstaatsprinzip verletzt würde.
VI.
128
Soweit die Antragstellerinnen die Verfassungswidrigkeit einzelner Bestimmungen des Bayerischen Integrationsgesetzes unabhängig von ihrer Vereinbarkeit mit Bundesrecht rügen, haben die Anträge teilweise Erfolg.
129
1. Die von der Antragstellerin zu II angegriffene Präambel verstößt nicht gegen die Bayerische Verfassung.
130
Mit der Präambel wird, wie aus ihrem abschließenden Satz 14 hervorgeht, der Zweck des Bayerischen Integrationsgesetzes erläutert. Dieser besteht darin, die in den Sätzen 1 bis 12 im Einzelnen umschriebene und in Satz 13 als „Leitkultur“ apostrophierte kulturelle Grundordnung der Gesellschaft zu wahren sowie „den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern und Migrantinnen und Migranten zu einem Leben in unserer Gesellschaft zu befähigen“. Der hohe Abstraktionsgrad dieser Zielvorstellungen macht deutlich, dass die Präambel zum Bayerischen Integrationsgesetz, ähnlich wie der Vorspruch zur Bayerischen Verfassung (dazu VerfGH vom 24.10.1956 VerfGH 9, 147/154; vom 13.2.1969 VerfGHE 22, 26), kein unmittelbar anwendbares Recht darstellt und insbesondere keine subjektiven Rechte oder Pflichten begründet, sondern lediglich deskriptive, appellative und programmatische Aussagen trifft, die der Umsetzung durch konkrete, vollzugsfähige Normen bedürfen.
131
Entsprechend der generellen Zielsetzung des Bayerischen Integrationsgesetzes nimmt bereits die Präambel, wie die Gesetzesmaterialien zeigen, in erster Linie die „als Gast oder Flüchtling einreisenden Migrantinnen und Migranten“ in den Blick. Ihnen soll mit der Beschreibung einer landesspezifischen „Leitkultur“, von der nach Einschätzung des Gesetzgebers die Lebensqualität nicht unwesentlich abhängt, die „bayerische Identität“ als erhaltungswürdig vorgestellt und als zu respektieren aufgegeben werden (LT-Drs. 17/11362 S. 13 f.). Zugleich wird in der amtlichen Begründung hervorgehoben, dass durch die Präambel die freie Entscheidung jedes Einwohners über seine persönliche Haltung zu dieser faktischen Prägung Bayerns in keiner Weise determiniert werden soll; insbesondere soll von den Migrantinnen und Migranten nicht verlangt werden, ihre eigenen Wurzeln, Werte und Traditionen zu verleugnen (LT-Drs. 17/11362 S. 13). Damit wird klargestellt, dass auch für diesen Personenkreis aus der Forderung nach „Respekt und Akzeptanz“ gegenüber der „in Bayern herrschenden Kulturprägung“ keine Rechtspflichten abzuleiten sind.
132
Auch die – in Anlehnung an die Grundpflichten aus Art. 117 und 166 Abs. 3 BV formulierten – Sätze 5 und 7 der Präambel, denen zufolge „jeder Einzelne“ zu einem rechtstreuen, loyalen und eigenverantwortlichen Verhalten „verpflichtet“ ist, sind nicht als Rechtsgebote zu verstehen. Sie bringen vielmehr die Vorstellungen des Gesetzgebers darüber zum Ausdruck, welches individuelle Verhalten als gemeinwohldienlich anzusehen ist (vgl. zur Kategorie der Verfassungserwartung BVerfG vom 19.12.2000 BVerfGE 102, 370/397; Isensee in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. IX, 3. Aufl. 2011, § 190 Rn. 204 ff.; speziell zu Art. 117 BV: Lindner in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 117 Rn. 2). Es handelt sich damit gleichfalls um bloße Programmsätze, die mangels eines eigenständigen Regelungsgehalts nicht an den Grundrechten oder sonstigen Vorgaben der Bayerischen Verfassung zu messen sind.
133
Die Präambel des Bayerischen Integrationsgesetzes kann auch im Übrigen nicht Gegenstand einer isolierten verfassungsrechtlichen Prüfung sein. Sie soll, wie es in der Gesetzesbegründung heißt, die „bestehenden geschichtlichen, sprachlichen, ethischen und kulturellen Aspekte“ des Zusammenlebens in Bayern beschreiben (LT-Drs. 17/11362 S. 13). Dies geschieht durch eine Aneinanderreihung von adressatlosen Feststellungen, die sich auf bestimmte historisch-soziologische Gegebenheiten beziehen (Sätze 1, 2, 4, 8, 9, 11, 13) oder eher normativ geprägte Aussagen treffen (Sätze 3, 5, 6, 7, 10, 12). Auch wenn die Präambel damit zumindest in Teilen den Anspruch erhebt, die aktuelle Lebenswirklichkeit wiederzugeben, handelt es sich letztlich um politische Einschätzungen und Bewertungen des Gesetzgebers, die weder einem empirischen Wahrheitsbeweis zugänglich sind noch vom Verfassungsgerichtshof auf mögliche innere Widersprüche hin überprüft werden können (vgl. dazu Lindner, a. a. O., Art. 3 Rn. 68).
134
Da die Präambel – im Stil einer Gesetzesbegründung (vgl. Gärditz, EuGRZ 2017, 516/521) – lediglich die Motive und Grundannahmen des Gesetzgebers erläutert und nichts über den Inhalt der nachfolgenden Regelungen aussagt, kann damit nicht gegen das rechtsstaatliche Gebot der Normenwahrheit verstoßen werden, demzufolge Rechtsnormen nicht zu Fehlinformationen über das politisch Entschiedene führen dürfen (vgl. BVerfG vom 17.1.2017 BVerfGE 144, 369 Rn. 65 m. w. N.). Die in der Präambel definierte „Leitkultur“, die in einigen Bestimmungen des Gesetzes als Tatbestandsmerkmal aufgegriffen wird (Art. 1 Satz 2, Art. 3 Abs. 4 Satz 2, Art. 10 Abs. 1 Satz 2, Art. 11 Satz 2 BayIntG), kann auch nicht für sich genommen etwa daraufhin überprüft werden, ob dieser Gesetzesbegriff dem Bestimmtheitserfordernis genügt. Das Gebot der Normbestimmtheit bezieht sich auf (vollständige) Rechtssätze; es verlangt, dass der jeweilige Normbefehl für die Rechtsanwender und Rechtsbetroffenen hinreichend klar ist (vgl. BVerfG vom 15.8.2006 BVerfGK 9, 46). Die in einem Gesetzestext verwendeten Begriffe und Formulierungen lassen sich nur aus dem konkreten Normzusammenhang heraus verstehen und rechtlich beurteilen. Auch die Legaldefinition der „Leitkultur“ unterliegt daher der verfassungsgerichtlichen Kontrolle nur insoweit, als in einzelnen Regelungen des Bayerischen Integrationsgesetzes darauf Bezug genommen wird.
135
2. Gegen die einleitende Bestimmung des Art. 1 BayIntG („Integrationsziele“) bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Mit ihr werden den Migrantinnen und Migranten entgegen dem Verständnis der Antragstellerinnen (vgl. auch Leven, ZAR 2018, 339 f.) keine eigenständigen rechtlichen Verpflichtungen auferlegt, die an den Grundrechten der Bayerischen Verfassung zu messen wären. Insbesondere folgt aus jener allgemeinen Zielvorschrift nicht das Gebot, die in der Präambel aufgezählten kulturellen Grundwerte für die eigene Person als verbindlich anzuerkennen und das individuelle Verhalten daran auszurichten (Burgi in Walter/ Burgi, Die Flüchtlingspolitik, der Staat und das Recht, 2017, S. 141/168).
Art. 1 Satz 1 BayIntG enthält ein allgemeines Bekenntnis des Freistaates zu seiner (Integrations-)Verantwortung bezüglich aller Menschen, „die aus anderen Staaten kommen“ und in Bayern „Aufnahme gefunden haben oder Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen“. Diesen Personen soll gemäß Satz 2 Hilfe und Unterstützung angeboten werden (Integrationsförderung); zugleich sollen sie auf die Achtung der „Leitkultur“ verpflichtet und es sollen ihnen dazu eigene Integrationsanstrengungen abverlangt werden (Integrationspflicht). Wie in Satz 3 erläuternd ausgeführt wird, soll damit einer Überforderung der gesellschaftlich-integrativen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Landes und seiner kommunalen Ebenen entgegengewirkt werden.
136
Welche unmittelbaren Ziele mit dem Bayerischen Integrationsgesetz verfolgt werden, lässt sich allein der Bestimmung des Art. 1 Satz 2 BayIntG entnehmen. Danach soll einerseits die mit dem Begriff der „Leitkultur“ umschriebene kulturelle Grundordnung Bayerns (Satz 14 der Präambel) auch in Anbetracht der Aufnahme Schutzsuchender aus anderen Staaten erhalten werden. Andererseits sollen sich aus der Zuwanderung Verpflichtungen sowohl für das Aufnahmeland als auch für die aufgenommenen Personen ergeben (vgl. LT-Drs. 17/11362 S. 14). Diese allgemeinen Richtungsvorgaben enthalten, wie die amtliche Überschrift zeigt, noch keine unmittelbar anwendbaren Regelungen, sondern nur programmatische Aussagen darüber, worin die Integration der Migrantinnen und Migranten nach dem Willen des bayerischen Gesetzgebers bestehen und wie sie erreicht werden soll.
137
Zwar ist in Art. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BayIntG von Verhaltensanforderungen die Rede, die an die in Bayern aufgenommenen Personen gestellt werden sollen. Dies lässt aber entgegen der Auffassung der Antragstellerinnen nicht den Schluss zu, dass sich bereits aus dieser Vorschrift individuelle Rechtspflichten ergeben. Ein solches Verständnis stünde im Widerspruch zum Wortlaut der Norm, die selbst keine Verpflichtungen ausspricht, sondern es bloß zum „Ziel dieses Gesetzes“ erklärt, den genannten Personenkreis zu etwas zu verpflichten bzw. ihm ein Verhalten abzuverlangen. Auch aus der Gesetzessystematik folgt, dass die in Art. 1 Satz 2 BayIntG erläuterten Ziele der Integrationsförderung und Integrationspflicht nicht aus sich heraus vollziehbar sind, sondern der Umsetzung in den nachfolgenden Vorschriften bedürfen und erst dadurch Rechtswirkungen gegenüber Einzelnen entfalten können. Das Gesetz wendet sich mit seinen Regelungen nicht an den in Art. 1 Satz 1 BayIntG nur vage umschriebenen Kreis all jener, die aus anderen Staaten gekommen sind und in Bayern Aufnahme gefunden haben oder Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen. In Art. 2 BayIntG werden vielmehr – anknüpfend an rechtliche Kategorien (Staatsangehörigkeit, Aufenthaltsstatus) – drei Gruppen von Normadressaten genannt, auf deren Integrationsbedarf die Vorschriften des Gesetzes abgestimmt sind. Eine nivellierende (Grund-)Pflicht aller aus dem Ausland Zugezogenen zur Achtung der „Leitkultur“ und zu eigenen Integrationsanstrengungen würde dieser differenzierenden Zielgruppenbestimmung zuwiderlaufen.
138
3. Die in Art. 2 BayIntG („Begriffsbestimmungen“) enthaltene Legaldefinition des Begriffspaars „Migrantinnen und Migranten“ (Abs. 1) und die daran anknüpfenden Vorschriften zu den Regelungen über die Integrationsförderung (Abs. 2 und 3) stehen ebenfalls mit der Bayerischen Verfassung in Einklang.
139
Entgegen den Einwänden der Antragstellerin zu II lässt sich mithilfe der genannten Gesetzesbestimmungen der persönliche Anwendungsbereich der einzelnen Normen des Bayerischen Integrationsgesetzes hinreichend genau bestimmen. Dabei erweist sich, dass das Gesetz dem in Art. 2 Abs. 1 BayIntG genannten Personenkreis an keiner Stelle besondere Integrationspflichten auferlegt. Soweit überhaupt Rechtspflichten normiert sind, gelten diese entweder für einen anders bestimmten Personenkreis (Art. 4 Abs. 4 BayIntG) oder für jedermann (Art. 13, 14,17 a Abs. 10 Nr. 2, Abs. 11 Nr. 1 BayIntG). Auch die Unterstützungsmaßnahmen im Rahmen der Integrationsförderung kommen, soweit in den entsprechenden Vorschriften nur die Migrantinnen und Migranten erwähnt werden, nicht allein dieser Zielgruppe zugute, sondern wegen Art. 2 Abs. 2 und 3 BayIntG auch den dort aufgezählten weiteren Personengruppen. Dies gilt für Art. 3 Abs. 1 bis 6 BayIntG ebenso wie für die nachfolgenden Bestimmungen über spezielle integrationsfördernde Maßnahmen zugunsten von Migrantinnen und Migranten, also für Art. 4 Abs. 3, Art. 6 Satz 4, Art. 7 Abs. 1 Satz 2, Art. 8 Satz 1, Art. 9 Satz 1, Art. 10 Abs. 1 Satz 2 und Art. 17 a Abs. 5 Nr. 2 und Abs. 6 BayIntG.
140
4. Die Bestimmungen des Art. 3 BayIntG („Allgemeine Integrationsförderung“) sind ebenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
141
Die Vorschrift enthält, wie sich aus der amtlichen Überschrift und dem Regelungsauftrag in Absatz 9 ergibt, keine unmittelbar vollziehbaren Rechtssätze, sondern allgemeine Vorgaben für Fördermaßnahmen, die nach Maßgabe gesonderter Richtlinien und unter dem Vorbehalt haushaltsrechtlicher Mittelbewilligung erfolgen sollen und aus denen sich nach Art. 17 BayIntG (Art. 16 BayIntG n. F.) keinerlei Rechtsansprüche ergeben. In den ersten sechs Absätzen des Art. 3 BayIntG werden die Voraussetzungen einer erfolgreichen Integration unter verschiedenen Aspekten beschrieben und entsprechende Unterstützungs- und Fördermaßnahmen des Staates gegenüber Migrantinnen und Migranten in Aussicht gestellt; im siebten Absatz wird dies ergänzt um Beratungsangebote für ausreisepflichtige oder rückkehrwillige Ausländerinnen und Ausländer. Alle diese an die Behörden des Freistaates Bayern gerichteten abstrakten Zielsetzungen müssen durch politische und administrative Entscheidungen über entsprechende Förderprogramme und Hilfsangebote umgesetzt werden. Wie schon bei Art. 1 Satz 2 BayIntG handelt es sich somit auch bei den einzelnen Vorschriften des Art. 3 BayIntG um bloße Programmsätze, an denen sich die staatliche Förderverwaltung ausrichten soll (vgl. LT-Drs. 17/11362 S. 16).
142
a) Da die genannten Bestimmungen zum Bereich der Leistungsverwaltung gehören und ihnen keine direkte Rechtswirkung im (Außen-)Verhältnis zu den Migrantinnen und Migranten zukommt, können an ihre inhaltliche Bestimmtheit nicht dieselben Anforderungen gestellt werden wie an unmittelbar anwendbare Befugnisnormen (vgl. VerfGH vom 7.2.2006 VerfGHE 59, 29/35 m. w. N.). Der Gesetzgeber muss nicht jeden Tatbestand mit exakt erfassbaren Merkmalen bis ins Letzte umschreiben (VerfGH vom 15.1.2007 VerfGHE 60, 1/6); wie bestimmt eine Vorschrift gefasst sein muss, hängt vielmehr von den Besonderheiten der zu regelnden Materie und den verfolgten Normzwecken ab (vgl. BVerfG vom 24.6.1993 BVerfGE 89, 69/84).
143
Es verstößt hiernach nicht gegen das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot, dass sich das in Art. 3 Abs. 4 Satz 2 BayIntG abgegebene Förderversprechen auf „an der Leitkultur ausgerichtete“ Angebote bezieht, die Migrantinnen und Migranten in politischer Bildung, deutscher Geschichte einschließlich der Lehren aus den Verbrechen des Dritten Reichs und in Rechtskunde unterweisen und ihnen die heimische Kultur-, Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung näherbringen. Diese ausdrückliche Bezugnahme auf die in den Sätzen 1 bis 12 der Präambel getroffenen historisch-soziologischen Aussagen und die daraus folgenden politisch-ethischen Bewertungen enthält kein verbindliches Unterrichtsprogramm für Integrationskurse, sondern gibt den zuständigen Behörden nur vor, an welchen vom Gesetzgeber formulierten Bildungszielen und Wertvorstellungen sich die staatlich geförderten Informationsangebote allgemein orientieren sollen.
144
b) Die Begrenzung der Förderung nach Art. 3 Abs. 4 Satz 2 BayIntG auf diejenigen Bildungsangebote, die der in der Präambel definierten „Leitkultur“ Rechnung tragen, steht nicht im Widerspruch zum Gemeinwohlauftrag des Art. 3 Abs. 1 Satz 2 BV. Nach dieser Bestimmung hat der Staat dem Gemeinwohl zu dienen und nicht den Interessen einzelner Personen oder Gruppen. Der Inhalt des Gemeinwohlbegriffs steht nicht von vornherein fest, sondern wird in der parlamentarischen Demokratie letztlich durch den Gesetzgeber geformt; insofern ist er metajuristischer, politischer Provenienz (VerfGH vom 29.9.2005 VerfGHE 58, 212/247 m. w. N.). Die in der Präambel zum Bayerischen Integrationsgesetz getroffenen Aussagen dazu, worin die gegenwärtige „kulturelle Grundordnung“ in Bayern besteht und dass diese bewahrt werden soll, sind als eine solche Konkretisierung des Gemeinwohls zu verstehen. Da die vom Gesetzgeber dazu angestellten sachlichen Erwägungen weitgehend von politischen Einschätzungen und Überzeugungen geprägt sind und deshalb jedenfalls nicht als eindeutig widerlegbar oder offensichtlich fehlerhaft angesehen werden können, muss sie auch der Verfassungsgerichtshof anerkennen und darf sich nicht über sie hinwegsetzen (vgl. VerfGH vom 13.12.1973 VerfGHE 26, 144/161 m. w. N.).
145
Der Verweis auf die für den Freistaat Bayern gesetzlich definierte „Leitkultur“ führt auch nicht deshalb zu einem Konflikt mit dem Gemeinwohlauftrag der Bayerischen Verfassung, weil damit entgegen der staatlichen Neutralitätspflicht (dazu VerfGH vom 14.3.2019 BayVBl 2019, 442 Rn. 29 m. w. N.) eine in Bayern vorherrschende weltanschaulich-religiöse Grundhaltung als allgemeinverbindliche Norm vorgegeben oder die Übernahme der Wertvorstellungen einer bestimmten (Mehrheits-) Kultur als Rechtspflicht ausgestaltet würde. Einer solchen Auslegung im Sinn eines (unzulässigerweise) auf vollständige Assimilation gerichteten Integrationskonzepts steht bereits die Feststellung in Art. 3 Abs. 4 Satz 1 BayIntG entgegen, wonach gelingende Integration der gegenseitigen Rücksichtnahme und Toleranz sowie des Respekts vor der Einzigartigkeit, der Lebensgeschichte und den Prägungen des jeweils anderen bedarf.
146
Das Bayerische Integrationsgesetz beschreibt zwar in seiner Präambel einen – nach Ansicht des Gesetzgebers täglich gelebten – „identitätsbildende(n) Grundkonsens“ (Satz 13). Es will diesen jedoch nicht erzwingen, sondern erkennt an, dass jedem Einzelnen das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben zusteht (Satz 3), sodass die freiheitliche Lebensweise in einer pluralen Gesellschaft gleichermaßen gegenseitige Toleranz und Achtung der kulturellen Prägung des Landes erfordert (Satz 10). Dieses Achtungserfordernis, das im Integrationsziel der Verpflichtung zur „Achtung der Leitkultur“ (Art. 1 Satz 2 BayIntG) aufgegriffen wird, meint demnach nicht, dass die Gesetzesadressaten die in den Sätzen 1 bis 12 der Präambel getroffenen normativen Aussagen und Bewertungen zur Grundlage ihrer eigenen Werteordnung oder ihrer persönlichen Lebensführung machen müssten. Die gemäß der Präambel des Bayerischen Integrationsgesetzes zur kulturellen Grundordnung des Landes gehörende gegenseitige Toleranz erlaubt es vielmehr auch Personen, die sich einer Minderheit zugehörig fühlen, im Rahmen der allgemeinen Gesetze ihre bisherige kulturelle Identität zu bewahren. Mit der Beschreibung der bestehenden Verhältnisse in der Präambel soll laut der Gesetzesbegründung lediglich den als Gast oder Flüchtling einreisenden Migrantinnen und Migranten die in Bayern bestehende „Leitkultur“ als erhaltungswürdig vorgestellt und als zu respektieren aufgegeben werden; sie sollen sich dieser herrschenden Kulturprägung nicht verweigern, dabei in ihrer persönlichen Haltung aber frei bleiben (LT-Drs. 17/11362 S. 13). Soweit dem staatlichen Bemühen, für ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Homogenität zu sorgen, verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt sind (vgl. dazu Papier, NJW 2016, 2391/2395; Thym, VVDStRL 76 (2017), 169/200; Böhm, ZAR 2017, 208/210 f.; Britz, Kulturelle Rechte und Verfassung, 2000, S. 220 ff.), sind diese durch die Formulierung einer unverbindlichen „Leitkultur“ jedenfalls nicht überschritten.
147
Der Gemeinwohlauftrag der Bayerischen Verfassung steht entgegen dem Vortrag der Antragsgegnerin zu II auch nicht der Bestimmung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 BayIntG entgegen, wonach der Staat Migrantinnen und Migranten durch geeignete Angebote darin unterstützt, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern in Deutschland anzunehmen, einzuüben und auch selbstbewusst zu vertreten. Diese als Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Förderauftrags aus Art. 118 Abs. 2 Satz 2 BV zu verstehende Regelung zielt nicht darauf ab, den Empfängern der Förderung die Entscheidung über die eigene Geschlechterrolle und über die Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern abzunehmen oder ihnen ein neues (emanzipatorisches) Rollenverständnis aufzudrängen. Die staatlichen Integrationsangebote nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 BayIntG haben keinen selbstständigen erzieherischen Zweck, sondern sollen ausdrücklich nur unterstützen. Sie setzen daher voraus, dass die Migrantinnen und Migranten bereits von sich aus an einer tatsächlichen Durchsetzung der Geschlechtergleichheit im eigenen Lebensumfeld interessiert sind. Dass mit der Unterstützung dieses Anliegens ein gemeinwohlförderlicher öffentlicher Zweck verfolgt wird, steht außer Frage.
148
Ähnliches gilt für die allgemeine Vorgabe in Art. 3 Abs. 6 Satz 1 BayIntG, wonach das „an den Integrationszielen dieses Gesetzes ausgerichtete“ bürgerschaftliche Engagement von und für Migrantinnen und Migranten in allen Bereichen der Gesellschaft gestärkt werden soll. Auch dieser weitgefasste Programmsatz knüpft an bereits vorhandene private Aktivitäten an. Diese sollen nach dem Willen des Gesetzgebers in einer nicht näher bestimmten Weise staatlich gefördert werden, wenn sie den in Art. 2 BayIntG genannten Personenkreis betreffen und zumindest eines der in Art. 1 Satz 2 BayIntG genannten Ziele verfolgen, also Hilfe und Unterstützung anbieten (Integrationsförderung) oder auf die Achtung der in der Präambel als „Leitkultur“ definierten Verhaltensweisen und Wertvorstellungen hinwirken und insoweit eigene Integrationsanstrengungen fordern (Integrationspflicht). Auch in diesem letztgenannten Fall können durch das zu fördernde bürgerschaftliche Engagement für die Migrantinnen und Migranten keine Rechtspflichten entstehen. Der Sache nach handelt es sich somit um bloße Integrationsobliegenheiten, von deren Erfüllung die staatliche Förderung zulässigerweise abhängig gemacht wird.
149
c) Ergänzend zur Unterstützung und Anerkennung der in Art. 3 Abs. 6 BayIntG aufgeführten gesellschaftlichen Aktivitäten werden in Art. 3 Abs. 8 BayIntG alle staatlichen Behörden angehalten, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten die Integrationsziele des Gesetzes zu verwirklichen und hierzu im Rahmen von Ermessensentscheidungen geeignete „migrationsbedingte“ (gemeint: migrationspolitische, vgl. LT-Drs. 17/11362 S. 16) Erwägungen zu berücksichtigen. Auch dieser allgemein formulierte Auftrag bezieht sich, wie aus der Überschrift des Art. 3 BayIntG und dem Zusammenhang mit den übrigen Absätzen der Vorschrift folgt, allein auf die Maßnahmen der Integrationsförderung und damit auf den in Art. 2 BayIntG umschriebenen Personenkreis. Art. 3 Abs. 8 BayIntG bietet daher ebenfalls keine Grundlage für selbstständige Eingriffe in die Rechte von Migrantinnen und Migranten. Die als Auffangnorm konzipierte Bestimmung fordert vielmehr die staatlichen Förderbehörden im Sinn einer Planungs- und Ermessensdirektive dazu auf, bei ihrer gesamten Tätigkeit, wie etwa dem Erlass von Einzelakten (Art. 3 Abs. 8 Satz 1 BayIntG) oder der Erstellung von Förderrichtlinien (Art. 3 Abs. 9 BayIntG), den in Art. 1 Satz 2 BayIntG formulierten Zielen Rechnung zu tragen. Dass hierbei im Rahmen der geltenden Gesetze auch darauf hinzuarbeiten ist, der in der Präambel legaldefinierten „Leitkultur“ Respekt und Akzeptanz zu verschaffen und den zu fördernden Migrantinnen und Migranten – in Form einer Obliegenheit – eigene Integrationsanstrengungen abzuverlangen, ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Der Staat darf bei seinen Maßnahmen zur Integrationsförderung ein durch demokratische Mehrheitsentscheidung legitimiertes Gesamtkonzept verfolgen und auf dieser Grundlage sowohl Anreize für die Erbringung freiwilliger Integrationsleistungen schaffen als auch bereits erzielte Integrationserfolge besonders belohnen.
150
5. Nicht zu beanstanden ist die Vorschrift des Art. 4 BayIntG („Deutsche Sprache“), die neben rein deskriptiven Aussagen ohne normativen Gehalt (Abs. 1) und einer nicht unmittelbar verbindlichen Zielbestimmung (Abs. 2) eine nach Maßgabe von Förderrichtlinien zu erfüllende Verpflichtung des Staates zur Unterstützung von Bemühungen um den Spracherwerb (Abs. 3) sowie Bestimmungen zur Kostentragung und zum Haftungsausschluss bei der Heranziehung von Dolmetschern und Übersetzern durch Behörden (Abs. 4) enthält.
151
a) Diesen Regelungen fehlt es bezüglich des Adressatenkreises nicht an der rechtsstaatlich gebotenen normativen Bestimmtheit. Für welche Personen das in Art. 4 Abs. 2 BayIntG genannte Ziel einer angemessenen Verständigung in deutscher Sprache gelten soll, wird im ersten Halbsatz der Vorschrift definiert. Der Normenkomplex des Art. 4 Abs. 3 BayIntG gehört insgesamt – einschließlich der Kostenerstattungspflicht nach Satz 3 – zu den Regelungen über die Integrationsförderung; adressiert werden daher neben den als Zielgruppe erwähnten Migrantinnen und Migranten (Art. 2 Abs. 1 BayIntG) auch die Ausländerinnen und Ausländer im Sinn des Art. 2 Abs. 2 BayIntG sowie die integrationsbedürftigen Deutschen im Sinn des Art. 2 Abs. 3 BayIntG (vgl. LT-Drs. 17/11362 S. 15). Im Unterschied dazu gilt Art. 4 Abs. 4 Satz 1 BayIntG – ungeachtet der Einteilung nach Art. 2 BayIntG – ausdrücklich nur für die in Art. 4 Abs. 2 BayIntG genannten volljährigen Personen, die sich in den vorangegangenen sechs Jahren mindestens drei Jahre in Deutschland ständig aufgehalten haben. Diese Begrenzung des Adressatenkreises erfasst bei systematischer Auslegung auch die nachfolgende Vorschrift des Art. 4 Abs. 4 Satz 2 BayIntG, die sich mit der Haftung für „den“ (statt: „einen“) von der Behörde herangezogenen Dolmetscher oder Übersetzer befasst und damit erkennbar auf den vorhergehenden Satz Bezug nimmt.
152
b) Gegen die Vorschriften zu den Übersetzungskosten und zum Haftungsausschluss für Übersetzungsfehler bestehen auch im Übrigen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Beide Bestimmungen betreffen den in Art. 4 Abs. 2 BayIntG bezeichneten Personenkreis, der laut dem Willen des Gesetzgebers nach einer bestimmten Aufenthaltsdauer in der Lage sein soll, sich mit jedermann in deutscher Sprache angemessen zu verständigen. Angesichts dieses Normzusammenhangs können die genannten Regelungen nur Anwendung finden, wenn es gerade wegen unzureichender Deutschkenntnisse des Betroffenen der Heranziehung eines Dolmetschers oder Übersetzers bedurfte. Dieses Kausalitätserfordernis muss als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in die Vorschriften des Art. 4 Abs. 4 BayIntG hineingelesen werden; die bloße Notwendigkeit einer fachgerechten Übersetzung z. B. einer fremdsprachigen Urkunde reicht demnach nicht aus.
153
aa) Dass nach Art. 4 Abs. 4 Satz 1 BayIntG die notwendigen Kosten eines von einer Behörde herangezogenen Dolmetschers oder Übersetzers einem Volljährigen auferlegt werden können, der innerhalb der letzten sechs Jahre mindestens drei Jahre ständig im Bundesgebiet gelebt hat, stellt zwar einen Eingriff in die durch Art. 101 BV geschützte allgemeine Handlungsfreiheit dar (vgl. VerfGH vom 24.7.2006 VerfGHE 59, 134/143). Mit der Vorschrift wird aber, da sie eine bestimmte Bevölkerungsgruppe zum Erwerb von Sprachkenntnissen motivieren soll (vgl. LT-Drs. 17/11362 S. 16), ein legitimer integrationspolitischer Zweck verfolgt (vgl. Kahl, VVDStRL 65 (2006), 386/431 f.; Kischel in Epping/Hillgruber, BeckOK Grundgesetz, Art. 3 Rn. 229 m. w. N.), der die Kostentragungspflicht zu rechtfertigen vermag. Die grundsätzliche Eignung dieses Anreizinstruments wird nicht dadurch infrage gestellt, dass es erfahrungsgemäß nicht jedem gelingt, innerhalb weniger Jahre ein für die Verständigung mit Behörden ausreichendes Sprachniveau zu erreichen.
154
Die mit Art. 4 Abs. 4 Satz 1 BayIntG geschaffene Möglichkeit, Dolmetscher- und Übersetzerkosten auf diejenigen abzuwälzen, die sich in der allgemein geltenden Amtssprache (Art. 23 BayVwVfG) nicht verständigen können, verstößt auch nicht gegen das von der Antragstellerin zu I angeführte Recht auf ein faires Verfahren.
155
Ob sich ein solches Recht, wie es in Art. 6 EMRK positivrechtlich normiert ist und wie es das Bundesverfassungsgericht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip herleitet (BVerfG vom 26.5.1981 BVerfGE 57, 250/274 f.), als grundrechtlich geschützter Anspruch aus Art. 101 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV ergibt, hat der Verfassungsgerichtshof bisher offengelassen (vgl. VerfGH vom 4.2.2019 NJW 2019, 2297 Rn. 45). Die Frage bedarf auch hier keiner Klärung. Denn selbst wenn ein solches über die speziellen Verfahrensgrundrechte der Bayerischen Verfassung hinausgehendes allgemeines Prozessgrundrecht anzuerkennen wäre, ergäbe sich daraus kein genereller Anspruch auf kostenfreie Dolmetscher- und Übersetzungsleistungen, welcher der Regelung des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 BayIntG entgegenstünde.
156
Mit dem Anspruch auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren wird gewährleistet, dass die Verfahrensbeteiligten die ihnen zustehenden prozessualen Rechte und Handlungsmöglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde wahrnehmen, Übergriffe staatlicher Stellen oder anderer Beteiligter angemessen abwehren und sich von einem Anwalt ihrer Wahl und ihres Vertrauens vertreten lassen können (vgl. zum Strafverfahren BVerfG vom 19.3.2013 BVerfGE 133, 168 Rn. 59, 63 m. w. N.). Die Festlegung und nähere Ausgestaltung der verfahrensrechtlichen Befugnisse, die ihnen danach im Einzelnen einzuräumen sind, ist in erster Linie dem für die Normierung des Verfahrensrechts zuständigen Gesetzgeber und sodann – in den vom Gesetz gezogenen Grenzen – den Gerichten bzw. Behörden bei der ihnen obliegenden Rechtsauslegung und -anwendung aufgegeben. Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen wurden oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde (BVerfG, a. a. O.; VerfGH vom 17.11.2014 VerfGHE 67, 291 Rn. 52).
157
Hiernach gehört es zwar zu den Geboten der Fairness, bei Verfahrensbeteiligten, die über keine ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen, auf die Dienste von Dolmetschern oder Übersetzern zurückzugreifen, wenn dies zur Wahrung des rechtlichen Gehörs oder zur Ausübung sonstiger Verfahrensrechte erforderlich ist (vgl. Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 23 Rn. 42 ff.; Schübel-Pfister in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 23 Rn. 16). Das bedeutet aber nicht, dass die damit verbundenen Kosten in jedem Fall von der öffentlichen Hand zu tragen wären, wie es etwa Art. 6 Abs. 3 Buchst. e EMRK für den Strafprozess (vgl. BVerfG vom 27.8.2003 NJW 2004, 50 f.; vom 7.10.2003 NJW 2004, 1095/1096) oder Art. 12 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2013/32/EU für das Asylverfahren ausnahmsweise vorsehen. Im Verwaltungsverfahren gilt vielmehr der in Art. 23 Abs. 2 Sätze 2 und 3 BayVwVfG zum Ausdruck kommende Grundsatz, dass der Fremdsprachige selbst für einen Dolmetscher oder Übersetzer sorgen muss und daher neben der Verständigungs- und Verstehenslast auch die Kostenlast für eine notwendige Sprachmittlung zu tragen hat (Kahl, VVDStRL 65 (2006), 386/416 Fn. 121; Schmitz, a. a. O., Rn. 44; Schübel-Pfister, a. a. O., Rn. 17; Ingerl, Sprachrisiko im Verfahren, 1988, S. 137, 226 f. m. w. N.; vgl. auch BVerfG vom 25.6.1984 EuGRZ 1986, 439 zum Bußgeldverfahren; vom 14.4.1999 – 2 BvR 555/99 – juris Rn. 2 zum Ermittlungsverfahren).
Art. 4 Abs. 4 Satz 1 BayIntG ermöglicht es, gemäß dem im Kostenrecht allgemein geltenden Veranlasserprinzip (vgl. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 KG) notwendige Dolmetscher- und Übersetzerkosten über die anderweitig bestehenden Rechtsgrundlagen hinaus (vgl. zu § 69 Abs. 1 Satz 1 AufenthG: BayVGH vom 15.1.2008 – 10 ZB 07.3105 – juris Rn. 3 ff.) auch solchen volljährigen Personen aufzuerlegen, die sich trotz eines noch nicht weit zurückliegenden, mindestens dreijährigen Aufenthalts im Bundesgebiet nur so unzureichend auf Deutsch verständigen können, dass sie bei Behördenkontakten auf einen Sprachmittler angewiesen sind. Der möglichst rasche Erwerb deutscher Sprachkenntnisse wird damit für Nichtdeutschsprachige, die für längere Zeit in Deutschland leben oder zu leben beabsichtigen, zu einer Obliegenheit, aus deren Verletzung sich eine Zahlungsverpflichtung ergeben kann (LT-Drs. 17/11362 S. 17; vgl. auch Kirchhof in Isensee/ Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, 3. Aufl. 2004, § 20 Rn. 122). Es spricht nichts für die Annahme, dass schon die Möglichkeit einer solchen finanziellen Belastung, die sich meist erst nach Abschluss des Verfahrens in einem Kostenbescheid niederschlägt, die Betroffenen an einer effektiven Wahrnehmung ihrer Rechte von vornherein hindern und damit ihren Anspruch auf ein faires Verfahren verletzen könnte. Da nur „notwendige“ Dolmetscher- oder Übersetzerkosten zu tragen sind, muss auch niemand befürchten, für objektiv nicht veranlasste Einsätze eines Sprachmittlers oder für überhöhte Rechnungen einstehen zu müssen.
158
Die Auferlegung der Dolmetscher- und Übersetzerkosten nach Art. 4 Abs. 4 Satz 1 BayIntG setzt stets eine Ermessensentscheidung voraus. Den Behörden bleibt damit der nötige Spielraum, um möglichen völker-, unions- oder bundesrechtlichen Vorgaben Rechnung zu tragen (dazu Schmitz, a. a. O., Rn. 45; vgl. auch LT-Drs. 17/11362 S. 17). Zugleich können auf diesem Weg die – durch Anhörung (Art. 28 BayVwVfG) zu ermittelnden – individuellen Umstände, wie etwa die Zumutbarkeit des Spracherwerbs oder die wirtschaftliche Lage der jeweiligen fremdsprachigen Person, angemessen berücksichtigt und im Einzelfall unzumutbare Erschwernisse ausgeschlossen werden. Von Bedeutung ist dabei auch die Frage, auf wessen Initiative und in wessen Interesse die sprachübergreifende Kommunikation erfolgt (vgl. Kahl, VVDStRL 65 (2006), 386/416 Fn. 121). Da die Anlässe für die Heranziehung eines Sprachmittlers ebenso wie die persönlichen Verhältnisse der Betroffenen sehr unterschiedlich sein können, lassen sich keine allgemeingültigen Maßstäbe für die Ermessensausübung aufstellen. Den Gesetzgeber traf daher keine Verpflichtung, verbindliche Entscheidungskriterien vorzugeben, um für eine landesweit einheitliche Handhabung der Vorschrift zu sorgen.
159
bb) Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Regelung des Art. 4 Abs. 4 Satz 2 BayIntG, wonach bei fehlerhaften Übersetzungen Haftungsansprüche gegen die Körperschaft, deren Behörde den Dolmetscher oder Übersetzer herangezogen hat, ausgeschlossen sind.
160
Die Vorschrift hat nur einen beschränkten Anwendungsbereich. Sie gilt, wie sich schon aus dem Wort „heranziehen“ ergibt, nicht für Personen, die fortlaufend im Rahmen eines Dienstverhältnisses für eine Behörde Übersetzungsleistungen erbringen, sondern nur für im Einzelfall beauftragte Private, die gegen Honorar oder unentgeltlich als Sprachmittler eingeschaltet werden (vgl. LT-Drs. 17/11362 S. 17). Dass deren Übersetzungsfehler nicht als eine Amtspflichtverletzung der jeweiligen (landesrechtlichen) Körperschaft zugerechnet werden und ihr gegenüber Ersatzansprüche auslösen können, ist mit den zwingenden Vorgaben des Amtshaftungsrechts vereinbar.
161
Die in Art. 34 Satz 1 GG „grundsätzlich“ vorgesehene Staatshaftung belässt den Ländern nach heute allgemeiner Auffassung einen gewissen Regelungsspielraum für begrenzte Haftungsbeschränkungen (BVerfG vom 19.10.1982 BVerfGE 61, 149/199 ff.; vgl. Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 97 m. w. N.). Auch die landesverfassungsrechtliche Parallelnorm des Art. 97 BV steht, wie aus ihrer Entstehungsgeschichte folgt, dem Erlass von Ausnahmevorschriften nicht entgegen, mit denen die Haftung des Staates oder sonstiger öffentlicher Körperschaften für Amtspflichtverletzungen in bestimmten Fällen ausgeschlossen wird (VerfGH vom 6.4.1970 VerfGHE 23, 47/52; vgl. auch Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 97 Rn. 7 m. w. N.). Solche punktuellen Haftungsbeschränkungen sind allerdings nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs nur zulässig, wenn sie durch sachliche Grün-de gerechtfertigt sind, also nicht gegen das Willkürverbot verstoßen (VerfGHE 23, 47/52 f.; ebenso zu Art. 34 GG: BGH vom 30.10.1986 BGHZ 99, 62/64 m. w. N.).
162
Die in Art. 4 Abs. 4 Satz 2 BayIntG getroffene Ausnahmeregelung lässt sich damit rechtfertigen, dass den Sprachmittlern eine vergleichsweise selbstständige Stellung zukommt, die ihre haftungsrechtliche Zuordnung erschwert (vgl. LT-Drs. 17/11362 S. 17). Die Heranziehung von Dolmetschern und Übersetzern durch Behörden erfolgt zwar anlässlich der Erfüllung öffentlicher Aufgaben. Es ist aber fraglich, ob sie damit Träger eines öffentlichen Amtes im staatshaftungsrechtlichen Sinn werden. Bei Privaten, die Hilfstätigkeiten für die Verwaltung übernehmen, wird dies im Regelfall nur angenommen, wenn die öffentliche Hand auf ihr Handeln so weitgehend Einfluss nimmt, dass sie als bloße Werkzeuge bzw. Erfüllungsgehilfen des jeweiligen Hoheitsträgers erscheinen (BGH vom 9.10.2014 NJW 2014, 3580 Rn. 17 m. w. N.). Hiervon kann bei den für eine Behörde tätigen Sprachmittlern zumindest nicht generell ausgegangen werden. Sie stehen als fremdsprachkundige Personen nicht nur in vergütungsrechtlicher Hinsicht (vgl. § 1 Abs. 1 ZuSEVO), sondern weitgehend auch nach der Art ihrer Verfahrensbeteiligung privaten Sachverständigen gleich, die bei der Gutachtenerstattung nach herrschendem Verständnis keine hoheitlichen Aufgaben wahrnehmen und demzufolge nicht aus Amtspflichtverletzung haften (vgl. dazu OLG Düsseldorf vom 6.8.1986 NJW 1986, 2891; BT-Drs. 14/7752 S. 27 m. w. N).
163
Ob aus dem gleichen Grund auch bei den behördlich beauftragten Sprachmittlern eine Amtshaftung von vornherein ausscheidet (so Becker, Die Haftung der Dolmetscher und Übersetzer, 2001, S. 117 ff., 157), bedarf hier keiner Erörterung. Der im Gesetz ausdrücklich normierte Haftungsausschluss ist jedenfalls wegen der Besonderheiten dieser Hilfstätigkeit sachlich begründbar und daher nicht willkürlich. Die in einem Verwaltungsverfahren herangezogenen Dolmetscher und Übersetzer übernehmen eine Art Mittlerrolle zwischen der Behörde und der jeweiligen fremdsprachigen Person. Die Notwendigkeit der Übersetzung folgt dabei in den von Art. 4 Abs. 4 Satz 2 BayIntG erfassten Fällen nicht aus der Eigenart der behördlichen Aufgabe, sondern liegt in der persönlichen Sphäre des Verfahrensbeteiligten begründet, der sich nicht ausreichend auf Deutsch als der gesetzlich festgelegten Amtssprache (Art. 23 BayVwVfG) verständigen kann. In Anbetracht dieses eigenen Verursachungsbeitrags kann es der fremdsprachigen Person, die trotz eines längeren Aufenthalts im Bundesgebiet auf die Dienste eines Dolmetschers oder Übersetzers angewiesen ist, zugemutet werden, sich im Fall eines übersetzungsbedingten Schadens ausschließlich an den Sprachmittler zu halten, ohne auf den Rechtsträger der Behörde als weiteren Haftungsschuldner zugreifen zu können.
164
6. Die Bestimmungen des Art. 5 BayIntG („Vorschulische Sprachförderung“), die durch die in Art. 17 a Abs. 5 Nr. 5 und Abs. 6 BayIntG neu gefassten Vorschriften der Art. 37 Abs. 4 BayEUG und Art. 12 Abs. 2, Art. 19 Nr. 10 BayKiBiG ergänzt werden (vgl. LT-Drs. 17/13604 S. 3), sind entgegen den Einwänden der Antragstellerin zu II im Hinblick auf den persönlichen Anwendungsbereich hinreichend bestimmt und damit insgesamt verfassungsgemäß. Sie richten sich ungeachtet des Hinweises auf die „besonderen Anforderungen von Kindern aus Migrantenfamilien“ nicht nur an den in Art. 2 BayIntG genannten Adressatenkreis, sondern erfassen als spezielle Zielgruppe auch Kinder mit sonstigem Sprachförderbedarf (Art. 5 Abs. 1 Satz 1) und gelten darüber hinaus für alle in Tageseinrichtungen aufgenommenen Kinder und deren Erziehungsberechtigte sowie für die jeweiligen Einrichtungsträger. Ob sich die verschiedenen Regelungen ihrem Inhalt nach der Integrationsförderung oder der Integrationspflicht im Sinn des Art. 1 Satz 2 BayIntG zuordnen lassen, kann dahinstehen, da sich aus dieser Klassifizierung keine rechtlichen Folgen ergeben.
165
7. Die in Art. 6 BayIntG („Frühkindliche Bildung“) enthaltene gesetzliche Vorgabe, wonach alle Kinder in Kindertageseinrichtungen zentrale Elemente der christlich-abendländischen Kultur erfahren sollen (Satz 1), verstößt bei zutreffendem Normverständnis ebenfalls nicht gegen die Bayerische Verfassung. Sie ist sowohl mit dem Grundsatz der staatlichen Neutralität (a)) als auch mit dem elterlichen Erziehungsrecht (b)) vereinbar.
166
a) Art. 6 BayIntG ist entgegen der Auffassung der Antragstellerin zu I nicht darauf gerichtet, den Kindern religiöse Erfahrungen zu vermitteln und ihnen damit spezifisch christliche Glaubensinhalte nahezubringen. Eine solche gesetzgeberische Absicht, die der Neutralitätsverpflichtung des Staates zuwiderliefe, ergibt sich insbesondere nicht aus dem Wort „erfahren“. Dieses kann zwar im Sinn von „an sich selbst erleben“ oder „zu spüren bekommen“ verwendet werden und dadurch einen affektiven Beiklang erhalten. Im gewöhnlichen Sprachgebrauch bedeutet das Verb „erfahren“ aber nur, von etwas Kenntnis erhalten oder etwas zu wissen bekommen (www.duden.de/rechtschreibung/erfahren_feststellen_erleben). Legt man dieses Wortverständnis zugrunde, so geht es in Art. 6 Satz 1 BayIntG vorrangig um eine (kindgerechte) Wissensvermittlung.
167
Dass mit dem Auftrag zur frühkindlichen Bildung nicht das Ziel verfolgt wird, die Kinder in den Tageseinrichtungen zu bestimmten religiösen Überzeugungen oder Verhaltensweisen zu bewegen, lässt sich bereits dem – an Satz 2 der Präambel anknüpfenden – Begriff der „christlich-abendländischen Kultur“ entnehmen. Das darin enthaltene Attribut „christlich“ kann, wie der Verfassungsgerichtshof zu dem nahezu gleichlautenden Begriff der „christlich-abendländischen Bildungs- und Kulturwerte“ in Art. 59 Abs. 2 Satz 3 BayEUG festgestellt hat, bei zutreffendem Normverständnis nur jene Werte und Normen meinen, die zwar maßgeblich vom Christentum geprägt sind, heute aber zum Gemeingut des abendländischen Kulturkreises gehören und daher unabhängig von ihrer religiösen Fundierung Geltung beanspruchen (VerfGH vom 15.1.2007 VerfGHE 60, 1/7; vgl. auch zu Art. 135 Satz 2 BV: VerfGH vom 13.12.2002 VerfGHE 55, 189/196 f.; BVerfG vom 17.12.1975 BVerfGE 41, 65/84 f.). Das Wort „abendländisch“ verweist dabei auf die durch den Humanismus und die Aufklärung beeinflussten Grundwerte der westlichen Welt (VerfGHE 60, 1/7), zu denen nicht zuletzt religiöse Vielfalt und weltanschauliche Toleranz gehören.
168
Die Weitergabe dieser Traditionen, Konventionen und außerrechtlichen Normen, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken und das gegenseitige Verständnis erleichtern, durfte den Kindertageseinrichtungen, die definitionsgemäß auch Bildungsaufgaben erfüllen (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 BayKiBiG), mit der Vorschrift des Art. 6 Satz 1 BayIntG zur Pflicht gemacht werden. Ein Eingriff in die durch Art. 107 Abs. 1 BV geschützte negative Glaubensfreiheit ist damit nicht verbunden. Dies gilt sowohl für die Vorschulkinder selbst, die das Grundrecht noch nicht eigenständig ausüben können (vgl. VerfGH vom 12.3.1968 VerfGHE 21, 38/46), als auch für die Erziehungsberechtigten. Deren Glaubens- und Gewissensfreiheit schließt zwar das Recht ein, ihrem Kind die von ihnen für richtig gehaltene religiöse oder weltanschauliche Erziehung zu vermitteln und nicht geteilte Ansichten von ihnen fernzuhalten (VerfGHE 55, 189/196; BVerfG vom 15.3.2007 NVwZ 2008, 72/73 m. w. N.). Der Schutzbereich des Grundrechts ist aber nicht berührt, wenn das Kind lediglich mit den grundlegenden kulturellen Gegebenheiten in Deutschland und Europa vertraut gemacht wird, ohne dass damit zugleich für bestimmte Glaubensinhalte oder ethische Überzeugungen geworben wird. Dass der gesetzliche Auftrag des Art. 6 Satz 1 BayIntG in diesem Sinn religions- und weltanschauungsneutral zu verstehen ist, folgt auch aus dem nachfolgenden Satz 2, der die Achtung vor den religiösen Überzeugungen anderer als weiteres Ziel der frühkindlichen Bildung ausdrücklich vorgibt.
169
b) Die mit Art. 6 BayIntG erfolgte Festlegung von Bildungsinhalten und Lernzielen, die über die bisherige Gesetzeslage hinaus nicht mehr bloß eine Voraussetzung der staatlichen Förderung darstellen (Art. 13 Abs. 3, Art. 30 Satz 1 Nr. 1 BayKiBiG, § 4 AVBayKiBiG), sondern für alle Kindertageseinrichtungen in Bayern verbindlich sind (vgl. LT-Drs. 17/11362 S. 19), berührt allerdings – ungeachtet der Freiwilligkeit des Besuchs von Kindertageseinrichtungen – das elterliche Erziehungsrecht aus Art. 126 Abs. 1 Satz 1 BV. Eltern, deren Wertvorstellungen den Leitlinien des Art. 6 BayIntG zuwiderlaufen, können die in der Vorschrift geforderten erzieherischen Einwirkungen auf ihr Kind nur vermeiden, wenn sie es aus der Einrichtung abmelden und damit auf die Wahrnehmung des Rechts auf frühkindliche Förderung (§ 24 SGB VIII) verzichten. Der darin liegende mittelbare Eingriff in das vorbehaltlos gewährleistete Recht der Eltern zur Kindererziehung lässt sich aber durch die insoweit bestehenden verfassungsimmanenten Schranken rechtfertigen.
170
Das in Art. 126 Abs. 1 Satz 1 BV verbürgte Erziehungsrecht bietet als Abwehrrecht Schutz vor störenden staatlichen Eingriffen, gewährleistet aber keinen ausschließlichen Erziehungsanspruch der Eltern. Auch außerhalb der Schule kommen dem Staat bei der Erziehung und Pflege der Kinder gewisse Funktionen zu (VerfGH vom 4.11.1976 VerfGHE 29, 191/208; vgl. auch Reith, Der Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungsauftrag des Staates im Vorschulbereich, 2014, S. 264 ff.). Mit der zunehmenden Erkenntnis der Bildungsbedürftigkeit der Kinder im Elementarbereich ist dem Staat die Aufgabe zugewachsen, der Elternverantwortlichkeit auch im vorschulischen Bereich der Kindererziehung Hilfe zukommen zu lassen (VerfGH, a. a. O.; vgl. auch zu Art. 128 BV: Möstl in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 128 Rn. 7). Das daraus abzuleitende Gebot, möglichst allen Kindern geeignete frühpädagogische Bildungsangebote zu unterbreiten, erfordert neben staatlichen Planungen und finanziellen Hilfen auch organisatorische Regelungen. Die verfassungsrechtliche Legitimation dazu folgt aus der Bestimmung des Art. 130 Abs. 1 BV, wonach das Schul- und Bildungswesen insgesamt unter der Aufsicht des Staates steht. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift beschränkt sich nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs nicht auf die Schulaufsicht, sondern umfasst nach heutigem Verständnis auch den gesamten vorschulischen Bereich (VerfGHE 29, 191/209 f.; zustimmend Geis in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 130 Rn. 9; Möstl in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 130 Rn. 6).
171
Mit Art. 130 Abs. 1 BV wird dem Staat zwar kein von den Eltern unabhängiger, selbstständiger Erziehungsauftrag erteilt, der etwa eine Kindergartenbesuchspflicht rechtfertigen könnte (vgl. VerfGHE 29, 191/210). Aus der Kompetenz zur organisatorischen Ausgestaltung des vorschulischen Bereichs lässt sich jedoch die Befugnis ableiten, die Träger der Kindertageseinrichtungen auf die im Rahmen ihres Bildungsauftrags zu verfolgenden pädagogischen Grundsätze und Erziehungsziele gesetzlich festzulegen. Solche staatlichen Vorgaben dürfen allerdings das Grundrecht aus Art. 126 Abs. 1 Satz 1 BV nicht übermäßig einschränken, indem sie etwa eine einseitige inhaltliche Ausgestaltung des Bildungsangebots fordern (VerfGHE 29, 191/217). Sie müssen so allgemein und neutral gehalten sein, dass das vorrangige Recht der Eltern, auf der Grundlage ihres persönlichen Wertekanons über die Bildung, Erziehung und Betreuung ihrer Kinder zu bestimmen, weiterhin zur Geltung kommen kann.
172
Die in Art. 6 BayIntG aufgeführten Erziehungsprinzipien und Lernziele werden diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht. Sie besitzen einen so hohen Abstraktionsgrad, dass ihre Verwirklichung im Alltagsbetrieb der Kindertageseinrichtungen die Eltern der dort betreuten Kinder nicht daran hindert, über die konkrete Ausrichtung der Erziehung anhand ihrer eigenen Leitbilder und moralischen Maßstäbe zu entscheiden. Dies gilt namentlich für den religiös-weltanschaulichen Bereich, für den Art. 6 Satz 2 BayIntG als anzustrebendes Ziel nur die Entwicklung einer eigenen von Nächstenliebe getragenen Identität vorgibt, sodass die Vermittlung entsprechender Werte und Grundeinstellungen ausschließlich den Eltern vorbehalten bleibt. Die Vorschriften des Art. 6 Sätze 3 und 4 BayIntG, in denen es um die Unterstützung der Kinder und ihrer Familien geht, sind in ähnlicher Weise auf Kooperation angelegt und lassen sich somit ebenfalls nicht gegen den Willen der erziehungsberechtigten Eltern in die Tat umsetzen.
173
8. Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist auch die im ersten Satz des Art. 7 Abs. 1 BayIntG („Schulen“) getroffene Aussage, wonach die von Art. 131 BV erfassten allgemein- und berufsbildenden Schulen im Rahmen ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags die in Art. 1 BayIntG genannten Integrationsziele fördern.
Art. 7 Abs. 1 Satz 1 BayIntG kann entgegen dem Verständnis der Antragstellerin zu II nicht als Rechtsgrundlage herangezogen werden, um einzelne Schülerinnen oder Schüler unter Verweis auf Art. 1 Satz 2 BayIntG zur Achtung der „Leitkultur“ im Sinn der Präambel oder zu eigenen Integrationsanstrengungen zu verpflichten. Die Vorschrift enthält keine aus sich heraus vollziehbaren und mit Rechtspflichten verbundenen Handlungsanweisungen, sondern erteilt den Schulen in Anlehnung an den Normaufbau des Art. 131 BV zunächst nur einen generellen „Integrationsauftrag“ (LT-Drs. 17/11362 S. 19). In welcher Form und durch welche Maßnahmen die gesetzlich definierten Integrationsziele „gefördert“ (d. h. verfolgt bzw. verwirklicht) werden sollen, lässt sich der als Programmsatz konzipierten Bestimmung des Art. 7 Abs. 1 Satz 1 BayIntG nicht entnehmen. Die notwendige Konkretisierung erfolgt erst in den nachfolgenden Einzelregelungen, die an den Eingangssatz auch sprachlich anknüpfen („Hierzu ...“) und eine Reihe integrationsbezogener Bildungsziele (Art. 7 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BayIntG) sowie allgemeine Vorgaben für die Lehrerausbildung (Art. 7 Abs. 2 BayIntG) und für die Organisation des Schulbetriebs (Art. 7 Abs. 3 und 4 BayIntG) enthalten.
174
Dass diese Vorschriften, die nach dem Willen des Gesetzgebers der Integration von Migrantinnen und Migranten bzw. von Schülerinnen und Schülern nichtdeutscher Muttersprache dienen sollen, gegen höherrangiges Recht verstoßen könnten, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Dies gilt insbesondere für die in Art. 7 Abs. 4 BayIntG angesprochene und in der Gesetzesbegründung näher erläuterte Frage der Unterrichtsbefreiung aus religiösen Gründen (LT-Drs. 17/11362 S. 19). Die dazu in den Sätzen 2 und 3 enthaltenen Regelungen, wonach eine Befreiung nur gewährt werden soll, soweit dies verfassungsrechtlich zwingend ist und keine sonstigen organisatorischen oder prozeduralen Möglichkeiten verfügbar sind, stehen im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Verhältnis von Glaubensfreiheit und allgemeiner Schulpflicht (dazu VerfGHE 55, 189/196 f.; BVerfG NVwZ 2008, 72/73; BVerwG vom 11.9.2013 NVwZ 2014, 237/239 ff.).
175
9. Soweit in Art. 8 BayIntG („Hochschulen) und Art. 9 BayIntG („Kommunen“) auch den dort genannten selbstständigen Verwaltungsträgern Integrationsaufgaben zugewiesen werden, handelt es sich wiederum um Vorschriften, aus denen sich für die als Zielgruppe genannten Migrantinnen und Migranten weder rechtliche Verpflichtungen noch mittelbare Grundrechtsbeeinträchtigungen ergeben. Dem steht nicht der Umstand entgegen, dass Art. 9 Satz 1 BayIntG von zu erfüllenden „Integrationspflichten“ spricht. Diese Pluralbezeichnung bezieht sich nicht auf das in Art. 1 Satz 2 BayIntG beschriebene Gesetzesziel, das nur vom Gesetzgeber selbst erfüllt werden kann. Gemeint sind vielmehr die speziell für Migrantinnen und Migranten geltenden, ihre Integration fördernden Rechtspflichten und Obliegenheiten, wie sie zwar nicht im Bayerischen Integrationsgesetz, jedoch in anderen, vor allem bundesgesetzlichen Bestimmungen normiert sind (z. B. §§ 12 a, 44 a AufenthG). Den Kommunen wird in Art. 9 Satz 1 BayIntG allgemein aufgegeben, bei der Erfüllung dieser Pflichten Unterstützung zu leisten. Die hiernach von den Gemeinden, Landkreisen und Bezirken im Rahmen ihrer Selbstverwaltung zu tragende Mitverantwortung für das Erreichen der Integrationsziele des Art. 1 BayIntG besteht allerdings, wie Art. 9 Satz 2 BayIntG klarstellt, nur „nach Maßgabe der Gesetze“, sodass rechtsaufsichtlich durchsetzbare und gemäß Art. 83 Abs. 3 BV konnexitätsrechtlich relevante Förderverpflichtungen der Kommunen einer gesonderten Normierung bedürften (vgl. LT-Drs. 17/13604 S. 2).
176
10. Auch Art. 10 BayIntG („Verantwortung der Wirtschaft“) verstößt nicht gegen die Bayerische Verfassung. Die in Absatz 1 Satz 1 getroffene Feststellung, wonach die bayerische Wirtschaft im Rahmen des Art. 151 BV Mitverantwortung für die in Art. 1 BayIntG genannten Integrationsziele trägt, verweist als Programmsatz auf die auch insoweit bestehende Gemeinwohlbindung der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit (vgl. LT-Drs. 17/11362 S. 20). Die in Bayern ansässigen Unternehmen werden durch diesen gesetzgeberischen Appell nicht verpflichtet, für die Integration der erwerbsberechtigten Migrantinnen und Migranten zu sorgen. Aus Art. 10 Abs. 1 Satz 2 BayIntG ergeben sich allerdings materielle Anreize für entsprechende Bemühungen, da diese im Rahmen staatlicher Förderprogramme insbesondere nach dem Mittelstandsförderungsgesetz positiv berücksichtigt werden können. Die Vorschrift des Art. 10 Abs. 1 BayIntG enthält damit für den Bereich der Wirtschaft eine Konkretisierung der allgemeinen staatlichen Förderdirektive des Art. 3 Abs. 8 BayIntG, die aus den oben dargelegten Gründen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
177
11. Die Vorschrift des Art. 11 BayIntG („Rundfunk und Medien“) ist nicht in vollem Umfang mit der Bayerischen Verfassung vereinbar. Sie verstößt teilweise gegen die Freiheit des Rundfunks (Art. 111 a BV) sowie gegen die ebenfalls grundrechtlich geschützte Meinungsfreiheit (Art. 110 BV).
Art. 11 Satz 1 BayIntG sieht vor, dass der Bayerische Rundfunk und die nach dem Bayerischen Mediengesetz an der Veranstaltung von Rundfunk Beteiligten, also die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (Art. 2 Abs. 1 BayMG) und die – zumeist privaten – Anbieter von Rundfunkprogrammen und -sendungen (Art. 24 BayMG), im Rahmen ihres Programmauftrags die Integration unterstützen. Nach Art. 11 Satz 2 BayIntG sollen die Angebote in Rundfunk und Telemedien einen Beitrag zur Vermittlung der deutschen Sprache und der „Leitkultur“ leisten.
178
a) Diese Vorschriften, die einem näher bestimmten Adressatenkreis (Satz 1) eine konkrete Aufgabe zuweisen (Satz 2), sind als ein rechtliches Gebot zu verstehen und daher an den Grundrechten der Bayerischen Verfassung zu messen. Zwar wird in der Begründung des zugrunde liegenden Gesetzentwurfs dargelegt, dass die Vorschrift nicht den Programmauftrag der Medien erweitere, sondern diese nur „ermuntern“ solle, die genannten Aspekte in ihren Sendungen und Beiträgen nach Möglichkeit verstärkt zu berücksichtigen (LT-Drs. 17/11362 S. 21). Diese Deutung, wonach Art. 11 BayIntG keinerlei Rechtswirkung zukommt, findet aber im Gesetzeswortlaut keine Stütze. Die Verwendung des Worts „sollen“ lässt den Anspruch auf normative Verbindlichkeit deutlich erkennen. Soll-Bestimmungen begründen für den Normadressaten nach allgemeinem Verständnis eine grundsätzliche Verpflichtung, von deren Erfüllung nur in Ausnahmefällen abgesehen werden darf (vgl. VerfGH vom 30.9.2004 VerfGHE 57, 113/123 f.; BVerwG vom 12.7.2016 NVwZ 2016, 1498 Rn. 21).
179
Auch die Gesetzessystematik spricht dagegen, in Art. 11 BayIntG bloß eine unverbindliche Aufforderung zu sehen, die der Bayerische Rundfunk, die Bayerische Landeszentrale für neue Medien und die Rundfunkanbieter nach Belieben ignorieren könnten. Das Bayerische Integrationsgesetz enthält zwar in seinen weiteren bereichsspezifischen Vorschriften (Art. 4 bis 10 BayIntG) eine Reihe von Programmsätzen, denen für sich genommen nur eine Appellfunktion zukommt (Art. 4 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Art. 7 Abs. 1 Satz 1, Art. 9 Satz 1, Art. 10 Abs. 1 Satz 1 BayIntG). Diese stehen jedoch nicht allein, sondern werden jeweils durch nachfolgende vollzugsfähige Vorschriften ausgefüllt. Entsprechend diesem durchgängigen Regelungskonzept ist auch das Unterstützungsgebot des Art. 11 Satz 1 BayIntG als allgemeine Zielbestimmung zu verstehen, die durch die in Satz 2 enthaltene Handlungsaufforderung zu einem rechtlichen Gebot ausgeformt wird. Damit wird für alle „an der Veranstaltung von Rundfunk Beteiligten“, wie die in dieser Formulierung liegende Bezugnahme auf Art. 5 Abs. 1 Satz 1 BayMG zeigt, ein zusätzlicher Programmgrundsatz aufgestellt, der bei sämtlichen Rundfunk- und Telemedienangeboten in Bayern zu beachten ist.
180
Dieses anhand objektiver Kriterien gewonnene Normverständnis, das auch dem von der Antragstellerin zu II vorgelegten Aufforderungsschreiben der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien vom 19. Juli 2017 an verschiedene Hörfunk- und TV-Anbieter zugrunde liegt, wird durch die gegenteilige Erklärung in der Entwurfsbegründung nicht infrage gestellt. Für eine historische Auslegung anhand der Gesetzesmaterialien ist nur Raum, wenn aus Sicht des Rechtsanwenders unklar ist, welchen Inhalt eine Norm hat oder wie weit ihr Geltungsanspruch reicht. Die Antwort auf die Frage, ob überhaupt ein vollziehbarer Gesetzesbefehl vorliegt, kann dagegen nicht allein von den Absichtsbekundungen der Legislativorgane abhängig gemacht werden. Wird in einem förmlichen Gesetzgebungsverfahren eine Vorschrift beschlossen, die nach ihrer sprachlichen Gestalt und ihrem objektiv feststellbaren Aussagegehalt als verbindliche Regelung verstanden werden muss, so kann die daraus folgende Rechtswirkung nicht durch die Verlautbarung eines fehlenden Regelungswillens im Gesetzgebungsverfahren zunichte gemacht werden. Ein solches Ergebnis stünde im Widerspruch zu dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenwahrheit (s. oben 1.).
181
Die Unverbindlichkeit des Art. 11 BayIntG lässt sich auch nicht im Wege einer verfassungskonformen Interpretation begründen. Denn diese Auslegungsmethode setzt voraus, dass am Ende eine inhaltliche Regelung verbleibt, die für sich genommen sinnvoll ist und den verfassungsrechtlichen Vorgaben genügt (vgl. BVerfG vom 14.12.1999 BVerfGE 101, 312/330). Kann ein verfassungsmäßiger Zustand nur hergestellt werden, indem der Vorschrift jegliche Rechtswirkung abgesprochen wird, so handelt es sich um eine insgesamt verfassungswidrige Norm.
182
b) Der in Art. 11 Satz 2 BayIntG enthaltene Auftrag, in den Rundfunkangeboten einen Beitrag zur Vermittlung der „Leitkultur“ zu leisten, stellt einen unzulässigen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Programmfreiheit dar und verstößt damit gegen Art. 111 a Abs. 1 Satz 1 BV.
183
Die in der Bayerischen Verfassung als „dienende“ Freiheit konzipierte Rundfunkfreiheit bedarf zwar, um den in Art. 111 a Abs. 1 Sätze 2 bis 6 BV normierten Anforderungen zu genügen, einer positiven gesetzlichen Ausgestaltung (vgl. Art. 111 a Abs. 3 BV), mit der sichergestellt wird, dass der Rundfunk seine öffentliche Informations- und Meinungsbildungsfunktion wahrnehmen kann. Über diesen äußeren rechtlichen Rahmen hinaus versagt Art. 111 a Abs. 1 Satz 1 BV aber – ebenso wie Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG – der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt jegliche Einflussnahme auf den Rundfunk, die mit der Aufgabe der Sicherung der Rundfunkfreiheit unvereinbar oder durch die Schranken dieses Grundrechts nicht gerechtfertigt ist (VerfGHE 39, 96/155; vgl. auch BVerfG vom 4.11.1986 BVerfGE 73, 118/182 f.). Als Freiheitsrecht garantiert Art. 111 a Abs. 1 Satz 1 BV insoweit vor allem Programmfreiheit (vgl. VerfGH vom 27.5.1987 VerfGHE 40, 69/76) und schützt damit die Auswahl, den Inhalt und die Gestaltung der Programme gegen fremden, insbesondere staatlichen Einfluss (VerfGH vom 25.5.2007 VerfGHE 60, 131/141 f.; Möstl in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 111 a Rn. 13; Krausnick in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 111 a Rn. 19).
184
Die aus der Soll-Bestimmung des Art. 11 Satz 2 BayIntG folgende grundsätzliche Verpflichtung, mit den Rundfunkangeboten zur Vermittlung der – im Bayerischen Integrationsgesetz legaldefinierten – „Leitkultur“ beizutragen, greift unmittelbar in das Recht des Bayerischen Rundfunks und der übrigen an der Veranstaltung von Rundfunk Beteiligten ein, über den Inhalt ihrer Programme nach eigenen Vorstellungen zu entscheiden. Ihnen wird aufgegeben, die in den Sätzen 1 bis 12 der Präambel getroffenen historischen, soziologischen und (verfassungs-)politischen Aussagen und Einschätzungen in ihren Sendungen zu „vermitteln“, also den Rezipienten näherzubringen. Eine solche Pflicht zur positiven Förderung bestimmter Wert- und Zielvorstellungen im Sinn einer „kulturellen Grundordnung der Gesellschaft“ (Satz 13 der Präambel) ist mit der den öffentlichen Rundfunkanstalten und den privaten Rundfunkanbietern zustehenden Programmfreiheit unvereinbar (vgl. Hesse, Rundfunkrecht, 3. Aufl. 2003, S. 169; Degenhart in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 415; Witte in Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 4. Aufl. 2018, § 3 RStV Rn. 8; Cornils, ebda., § 41 RStV Rn. 18, 23, 58 ff.; v. Coelln in Uhle, Information und Einflussnahme, 2018, S. 11/41; vgl. auch BVerfG vom 6.6.1989 BVerfGE 80, 124/133 f.). Die Regelung dient nicht der funktionsgerechten Ausgestaltung der Rundfunkordnung und ist auch nicht Ausdruck einer verfassungsimmanenten Beschränkung der Rundfunkfreiheit, wie dies etwa für die in Art. 11 Satz 2 BayIntG ebenfalls geforderte Vermittlung der deutschen Sprache in Anbetracht des – für öffentliche wie für private Anbieter geltenden – Bildungsauftrags in Art. 111 a Abs. 1 Satz 3 BV angenommen werden kann (vgl. Kahl, JuS 2007, 201/205). Das Gebot, ein bestimmtes Verständnis von „Leitkultur“ zu propagieren, macht den Rundfunk insoweit zu einem Sprachrohr des parlamentarischen Gesetzgebers, der diesem Begriff im Bayerischen Integrationsgesetz einen spezifischen Bedeutungsgehalt beigemessen hat. Darin liegt ein Verstoß gegen den aus Art. 111 a BV abzuleitenden Grundsatz der Staatsferne des Rundfunks.
185
c) Soweit Art. 11 Satz 2 BayIntG auch für die Angebote in Telemedien (§ 1 Abs. 1 Satz 1 TMG) gilt, die vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 110 Abs. 1 Satz 1 BV) umfasst sind (vgl. Möstl in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 110 Rn. 8, Art. 111 Rn. 6, Art. 111 a Rn. 9; Krausnick in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 111 a Rn. 18), liegt ebenfalls ein Grundrechtsverstoß vor.
186
Die aus der Soll-Bestimmung folgende prinzipielle Verpflichtung, in den Telemedienangeboten einen Beitrag zur Vermittlung der deutschen Sprache und der „Leitkultur“ zu leisten, greift unmittelbar in die negative Meinungsfreiheit ein, also in das Recht, von einer Meinungsäußerung abzusehen bzw. sich einer Meinung nicht anschließen zu müssen (vgl. Krausnick, a. a. O., Art. 110 Rn. 14; Möstl, a. a. O., Art. 110 Rn. 8). Dieser Eingriff lässt sich nicht durch die (ungeschriebene) Schranke der allgemeinen Gesetze rechtfertigen, die bei Art. 110 Abs. 1 Satz 1 BV in gleicher Weise wie bei Art. 5 Abs. 1 GG zu beachten ist (vgl. VerfGH vom 6.11.1990 VerfGHE 43, 148/154 m. w. N.). Die Verpflichtung zur Förderung einer bestimmten (Landes-)Sprache und zur medialen Verbreitung eines gesetzlich fixierten „Leitkultur“-Konzepts kann nicht als eine meinungsneutrale Regelung verstanden werden, die dem Schutz eines gegenüber der Meinungsfreiheit vorrangigen sonstigen Rechtsguts dient. Die Vorschrift ist vielmehr darauf gerichtet, den in Art. 4 Abs. 1 BayIntG enthaltenen deskriptiven Aussagen und den in der Präambel des Bayerischen Integrationsgesetzes niedergelegten Programmsätzen in der Medienöffentlichkeit Aufmerksamkeit und Anerkennung zu verschaffen.
187
d) Aus den Verstößen gegen Art. 111 a Abs. 1 Satz 1 und Art. 110 Abs. 1 Satz 1 BV folgt die Nichtigkeit der betreffenden Regelungen des Art. 11 BayIntG. Davon ausgenommen ist lediglich die von der Ausgestaltungsbefugnis des Gesetzgebers nach Art. 111 a Abs. 1 Satz 3 BV gedeckte grundsätzliche Verpflichtung, in den Angeboten des Rundfunks einen Beitrag zur Vermittlung der deutschen Sprache zu leisten. Dieser von der „Leitkultur“ im Sinn des Bayerischen Integrationsgesetzes unabhängige Programmgrundsatz behält seinen Sinn auch ohne die weiteren Norminhalte des Art. 11 BayIntG.
188
12. Art. 13 BayIntG („Achtung der Rechts- und Werteordnung“), wonach die Sicherheitsbehörden unter den dort genannten Voraussetzungen befugt sind, bußgeldbewehrte Verpflichtungen zur Teilnahme an einem Grundkurs über die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung auszusprechen, verstößt gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 110 Abs. 1 Satz 1 BV). Für den insoweit mit der Vorschrift verbundenen Eingriff (a)) fehlt es an der erforderlichen Rechtfertigung (b)).
189
a) Art. 13 BayIntG stellt ein meinungsbeschränkendes Gesetz dar. Zwar greifen die auf der Rechtsfolgenseite vorgesehenen behördlichen Anordnungen zur Kursteilnahme und zur Zahlung einer Geldbuße vordergründig nur in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 101 BV) der jeweiligen Adressaten ein. Darüber hinaus ergeben sich aus den Bestimmungen des Art. 13 Abs. 1 und 2 BayIntG aber auch Eingriffe in das gemäß Art. 110 Abs. 1 Satz 1 BV jedem Bewohner Bayerns zustehende Recht, seine Meinung durch Wort, Schrift, Bild oder in sonstiger Weise frei zu äußern.
190
aa) Zur Meinungsfreiheit gehört als unabdingbare Voraussetzung der Meinungsäußerungs- und Meinungsverbreitungsfreiheit die Möglichkeit, sich eine eigene Meinung frei bilden zu können (vgl. Grabenwarter in Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 75; Degenhart in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 57 ff.; Starck/Paulus in v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Bd. 1, Art. 5 Rn. 99; Schulze-Fielitz in Dreier, Grundgesetz, Bd. 1, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 67; Krausnick in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 110 Rn. 2; a. A. Lüdemann, Edukatorisches Staatshandeln, 2004, S. 107). In dieses Recht auf individuelle Meinungsbildung wird unmittelbar und gezielt eingegriffen, wenn ein Grundrechtsberechtigter verpflichtet wird, sich einem staatlich veranstalteten Grundkurs nach Art. 13 Abs. 1 und 2 BayIntG zu „unterziehen“. Denn dessen alleiniger Zweck besteht darin, die durch Ablehnung, Gleichgültigkeit oder Unkenntnis geprägte (bisherige) Einstellung der Kursteilnehmer gegenüber den Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu ändern. Die mit dieser Form der Zwangsbelehrung beabsichtigte Schaffung eines „konkreten Akzeptanzdruck(s)“ (LT-Drs. 17/11362 S. 22) in Bezug auf die bestehende Rechts- und Werteordnung berührt das Recht des Einzelnen, frei darüber zu entscheiden, wann, worüber und anhand welcher Informationsquellen er sich seine Meinung bilden und ob er daran festhalten will. Als Teilaspekt der grundrechtlichen Meinungsfreiheit steht dieses Recht jedermann zu, also auch denjenigen, deren Meinungen der verfassungsrechtlichen Ordnung zuwiderlaufen und das geltende politische System grundsätzlich infrage stellen (vgl. BVerfG vom 4.11.2009 BVerfGE 124, 300/320; Grabenwarter, a. a. O., Rn. 71 f.; Krausnick, a. a. O., Rn. 7). Art. 110 BV gewährleistet ebenso wie Art. 5 GG die Meinungsfreiheit als Geistesfreiheit unabhängig von der inhaltlichen Bewertung der Richtigkeit, rechtlichen Durchsetzbarkeit oder Gefährlichkeit einer Meinung (vgl. BVerfG vom 22.6.2018 NJW 2018, 2858 Rn. 24).
191
bb) Über die Beeinträchtigung der Meinungsbildungsfreiheit hinaus greift Art. 13 BayIntG zumindest mittelbar auch in die Meinungsäußerungsfreiheit ein. Denn deren Schutzbereich ist nicht erst dann berührt, wenn das grundrechtlich geschützte Verhalten als solches eingeschränkt oder verboten wird, sondern schon dann, wenn daran negative Konsequenzen geknüpft werden (vgl. BVerfG vom 19.5.1992 BVerfGE 86, 122/128; Krausnick, a. a. O., Art. 110 Rn. 26; Degenhart in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 157 f.; Grabenwarter in Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 101). Dies ist bei den Eingriffsnormen des Art. 13 BayIntG der Fall. Denn danach kann zur Kursteilnahme jeder verpflichtet werden, der durch sein Verhalten die Ablehnung bestimmter Regeln, Prinzipien und Werte „zum Ausdruck bringt“ (Abs. 1) oder „erkennen lässt“, dass ihm diese unbekannt oder gleichgültig sind (Abs. 2). Die Anordnungsbefugnis der Behörde setzt hiernach eine – von einem normativen Leitbild abweichende – persönliche Grundeinstellung voraus, die bereits nach außen kommuniziert worden ist. Wer durch öffentliche Äußerungen oder demonstrative Handlungen seine Gegnerschaft, seine Ignoranz oder sein Desinteresse gegenüber der in Art. 13 Abs. 1 und 2 BayIntG beschriebenen Rechts- und Werteordnung bekundet, läuft Gefahr, wegen dieser negativen Haltung einen Grundkurs über die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung absolvieren zu müssen. Diese belastende Rechtsfolge ist hinreichend gewichtig, um potenziell betroffene Grundrechtsträger von der Ausübung der Meinungsäußerungsfreiheit abzuhalten. Die gesetzliche Regelung entfaltet insofern bereits aus sich heraus – ganz unabhängig von ihrer tatsächlichen Anwendung im Einzelfall – eine eingriffsgleiche Wirkung.
192
b) Die vorgenannten Eingriffe in die Meinungsfreiheit sind nicht gerechtfertigt. Die in Art. 13 BayIntG getroffenen Regelungen stellen zwar ein – als Grundrechtsschranke prinzipiell geeignetes – allgemeines Gesetz dar (aa)). Sie genügen aber nicht den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsanforderungen (bb)) und erweisen sich darüber hinaus als unverhältnismäßig (cc)).
193
aa) Die Meinungsfreiheit nach Art. 110 Abs. 1 BV findet in gleicher Weise wie bei Art. 5 Abs. 1 GG ihre Grenze in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Als allgemeine Gesetze im Sinn dieses ungeschriebenen Schrankenvorbehalts können nur Vorschriften gelten, die kein Sonderrecht gegen eine bestimmte Meinung schaffen und sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten, sondern dem Schutz eines schlechthin ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsguts dienen (VerfGH vom 30.6.1977 VerfGHE 30, 78/90 m. w. N.; vgl. BVerfGE 124, 300/321 f. m. w. N). Nach der auf Art. 110 Abs. 1 BV übertragbaren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fehlt es an der Allgemeinheit eines Gesetzes, wenn eine inhaltsbezogene Meinungsbeschränkung nicht hinreichend offen gefasst ist und sich von vornherein nur gegen bestimmte Überzeugungen, Haltungen oder Ideologien richtet. Geboten ist eine Fassung der Norm, die in rechtsstaatlicher Distanz gegenüber konkreten Auseinandersetzungen im politischen oder sonstigen Meinungskampf strikte „Blindheit“ gegenüber denen gewährleistet, auf die sie angewendet werden soll; sie darf nur an dem zu schützenden Rechtsgut ausgerichtet sein und nicht an einem Wert- oder Unwerturteil hinsichtlich konkreter Haltungen oder Gesinnungen (BVerfGE 124, 300/323 f.). Ein Indiz für Sonderrecht ist es, wenn sich eine Norm als Antwort auf einen konkreten Konflikt des aktuellen öffentlichen Meinungskampfes versteht oder anknüpfend an inhaltliche Positionen einzelner vorfindlicher Gruppierungen so formuliert ist, dass sie im Wesentlichen nur gegenüber diesen zur Anwendung kommen kann. Je mehr eine Norm so angelegt ist, dass sie absehbar allein An-hänger bestimmter politischer, religiöser oder weltanschaulicher Auffassungen trifft und somit auf den öffentlichen Meinungskampf einwirkt, desto mehr spricht dafür, dass die Schwelle zum Sonderrecht überschritten ist (BVerfGE 124, 300/324 f.).
194
Hiervon ausgehend können die Bestimmungen des Art. 13 Abs. 1 und 2 BayIntG in Anbetracht des damit verfolgten Zwecks als ein meinungsneutrales und damit allgemeines Gesetz angesehen werden. Sie sollen nach der Begründung des zugrunde liegenden Gesetzentwurfs die „allgemeine Akzeptanz der Rechtsordnung“ sichern und richten sich sowohl nach ihrem Wortlaut als auch nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers nicht nur an einzelne Bevölkerungsgruppen, sondern an jedermann (LT-Drs. 17/11362 S. 22). In der Gesetzesbegründung heißt es zwar auch, es sei eine der zentralen Integrationsvoraussetzungen, dass Migrantinnen und Migranten nicht ihre heimatlichen Rechtsvorstellungen importierten, sondern sich an den in Deutschland und Bayern geltenden Normen ausrichteten und diese als durchgängig verbindlich akzeptierten (LT-Drs. 17/11362 S. 22). Daraus kann aber nicht geschlossen werden, das Gesetz ziele von vornherein nur auf solche Personen, die infolge ihrer ausländischen Herkunft durch eine völlig andere, etwa eine islamische Rechtskultur geprägt sind. Die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 13 BayIntG sind so formuliert, dass sie jeden erfassen, der sich gegenüber der dort angesprochenen Rechts- und Werteordnung ablehnend, unwissend oder gleichgültig zeigt, ohne dass es auf die persönlichen Motive für diese Grundhaltung ankäme. Die Bestimmung ist daher nicht nur gegenüber Personen anwendbar, die den Rechtsgehorsam aus Glaubensgründen verweigern, sondern zum Beispiel auch gegenüber denjenigen, die der Bundesrepublik Deutschland und dem Freistaat Bayern aufgrund eines speziellen Geschichtsverständnisses jede staats- bzw. völkerrechtliche Legitimation absprechen.
195
bb) Die in Art. 13 Abs. 1 und 2 BayIntG getroffenen grundrechtsbeschränkenden Regelungen verstoßen aber gegen das rechtsstaatliche Gebot der Bestimmtheit von Eingriffsnormen.
196
(1) Die Bestimmtheitsanforderungen für die Anordnungsbefugnisse nach Art. 13 Abs. 1 und 2 BayIntG ergeben sich entgegen der Auffassung der Antragstellerinnen aus dem Rechtsstaatsgebot (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) und nicht aus der für Strafen und Ordnungswidrigkeiten geltenden speziellen Grundrechtsgarantie des Art. 104 Abs. 1 BV. Die von den Sicherheitsbehörden (Art. 6 LStVG) zu treffende Entscheidung über eine Verpflichtung zur Kursteilnahme stellt, anders als die nach Art. 13 Abs. 3 BayIntG mögliche Verhängung einer Geldbuße bis zur Höhe von 1.000 € (Art. 3 LStVG i. V. m. §§ 2, 17 Abs. 1 OWiG), keine Sanktion für ein rechtlich missbilligtes Verhalten dar, sondern hat nach der objektiven Zielrichtung der Norm und dem erklärten Willen des Gesetzgebers (LT-Drs. 17/11362 S. 22) rein präventiven Charakter. Sie ist somit dem Sicherheitsrecht zuzurechnen, dessen Vorschriften den allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen der Normbestimmtheit genügen müssen.
197
Das aus Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV folgende Bestimmtheitsgebot verpflichtet den Normgeber, seine Vorschriften so zu fassen, dass sie den Anforderungen der Klarheit und Justiziabilität entsprechen. Gesetze müssen so formuliert sein, dass die davon Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können. Die Gerichte müssen in der Lage sein, die Anwendung der betreffenden Rechtsvorschrift durch die Verwaltung zu kontrollieren. Der Gesetzgeber darf zwar auch unbestimmte Rechtsbegriffe verwenden, muss aber seine Regelungen so bestimmt fassen, wie dies nach der Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (vgl. VerfGHE 68, 198 Rn. 232 m. w. N.). Mithilfe der üblichen Auslegungsmethoden, insbesondere durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes, durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs oder aufgrund einer gefestigten Rechtsprechung, muss sich eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Vorschrift gewinnen lassen (VerfGH vom 13.3.2012 VerfGHE 65, 61/69).
198
(2) Diesen Anforderungen werden die in Art. 13 Abs. 1 und 2 BayIntG normierten Tatbestandsvoraussetzungen nicht gerecht. Sie lassen zwar erkennen, um welche Schutzgüter es dem Gesetzgeber geht ((a)). Den Bestimmungen kann aber nicht mit hinreichender Klarheit entnommen werden, welches individuelle Verhalten vorliegen muss, damit die Sicherheitsbehörden von ihrer Eingriffsbefugnis Gebrauch machen können ((b)).
199
(a) Worin die in der amtlichen Überschrift als Schutzobjekt genannte „Rechts- und Werteordnung“ besteht, lässt sich durch Auslegung ermitteln. Dieses Begriffspaar soll nicht besagen, dass es neben der Rechtsordnung einen in gleicher Weise allgemeinverbindlichen Kodex von moralischen Werten etwa im Sinn der in der Präambel proklamierten „Leitkultur“ gebe. Der Gesetzgeber fasst damit vielmehr die in den beiden Sätzen des Art. 13 Abs. 1 BayIntG angeführten unterschiedlichen Rechtsnormen und Verfassungsprinzipien unter einem Oberbegriff zusammen. Dies ergibt sich insbesondere aus der Vorschrift des Art. 13 Abs. 2 BayIntG, die mit ihrer Bezugnahme auf „die“ Rechts- und Werteordnung ersichtlich an die im vorhergehenden Absatz bezeichneten Grundsätze in ihrer Gesamtheit anknüpft.
200
Welchen normativen Gehalt die in Art. 13 BayIntG genannten Elemente der Rechts- und Werteordnung im Einzelnen haben, geht aus der Vorschrift ebenfalls hinreichend bestimmt hervor. Dies gilt insbesondere für das zentrale Schutzgut der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der bayerische Gesetzgeber mit diesem Begriff, der sich vielfach auch im Grundgesetz (z. B. Art. 18 Satz 1, Art. 21 Abs. 2 GG) und im Strafgesetzbuch (z. B. § 86 Abs. 2, § 93 Abs. 2 StGB) findet, das dortige, zumeist richterrechtlich geprägte (vgl. BVerfG vom 17.1.2017 BVerfGE 144, 20 Rn. 529 ff.) und weithin uneinheitliche Normverständnis hätte zugrunde legen wollen. Was mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im speziellen Sinn des Art. 13 Abs. 1 Satz 1 BayIntG gemeint ist, lässt sich vielmehr anhand der gleichlautenden Terminologie des Verfassungsschutzrechts bestimmen. In Anbetracht der kurz vor Erlass des Bayerischen Integrationsgesetzes in Kraft getretenen Verweisungsnorm des Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayVSG (Gesetz vom 12. Juli 2016, GVBl S. 145, BayRS 12-1-I) ist davon auszugehen, dass der Landesgesetzgeber auch bei Art. 13 BayIntG die spezifisch sicherheitsrechtliche Legaldefinition des § 4 Abs. 2 BVerfSchG im Blick hatte. Dafür spricht nicht zuletzt die explizite Erwähnung der in § 4 Abs. 2 Buchst. g BVerfSchG aufgeführten „im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte“ als ein besonders wichtiges Beispiel dafür, was zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehört.
201
Der mit dem Wort „insbesondere“ beginnende Einschub in Art. 13 Abs. 1 Satz 1 BayIntG erwähnt mit dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung sowie mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau zunächst einige zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehörende menschenrechtliche Gewährleistungen, deren Inhalt und Bedeutung seit langem feststeht (vgl. VerfGH vom 12.12.1980 VerfGHE 33, 174/177 f.; vom 27.2.1985 VerfGHE 38, 16/21; vom 17.5.2006 VerfGHE 59, 63/74). Die gesonderte Erwähnung dieser Grundrechte macht zugleich deutlich, dass es nach der Vorstellung des Gesetzgebers für die Anwendbarkeit des Art. 13 Abs. 1 Satz 1 BayIntG genügen soll, wenn die Ablehnung auch nur einzelner Teilelemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zum Ausdruck gebracht wird.
202
Die weiteren in Art. 13 Abs. 1 Satz 2 BayIntG aufgeführten Schutzgüter sind ebenfalls im Wege der Auslegung bestimmbar. Der rechtliche Aussagegehalt des aus der Staatssoziologie stammenden Begriffs des staatlichen Gewaltmonopols ist in der Verfassungsrechtsprechung geklärt (vgl. BVerfG vom 25.2.1987 BVerfGE 74, 257/261 f.; BVerfGE 144, 20 Rn. 547). Das Gleiche gilt für das im Grundgesetz und in der Bayerischen Verfassung angelegte „Verhältnis von Religion und Staat“, das eine kategoriale Unterscheidung dieser beiden Sphären bereits sprachlogisch voraussetzt und zu dem vor allem die staatliche Verpflichtung zu weltanschaulich-religiöser Neutralität gehört (BVerfG vom 27.6.2017 NVwZ 2017, 1128 Rn. 47 f.; VerfGH vom 14.3.2019 BayVBl 2019, 442 Rn. 29). Mit der Hervorhebung der gewaltlosen Erziehung von Kindern und des Schutzes von Minderjährigen verweist der Gesetzgeber auf die entsprechenden Verfassungsgebote, die in einer Reihe von Rechtsvorschriften Ausdruck gefunden haben (z. B. § 1631 Abs. 2 BGB, Art. 126 Abs. 3 BV). Die abschließend genannte „Beachtung des deutschen Straf-, Ehe- und Familienrechts“ kann sich schon dem Gesetzeswortlaut nach nicht auf konkrete Einzelbestimmungen dieser Rechtsgebiete beziehen, sondern nur auf die prinzipielle Anerkennung des den Legislativorganen der Bundesrepublik Deutschland insoweit zustehenden staatlichen Regelungsanspruchs, der nicht durch die (auch nur partielle) Unterwerfung unter eine fremd- bzw. nichtstaatliche (Ersatz-)Rechtsordnung und eine zugehörige Paralleljustiz in Zweifel gezogen werden darf.
203
(b) Die Frage, welche individuellen Verhaltensweisen es rechtfertigen können, die betreffenden Personen zur Teilnahme an einem Grundkurs über die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu verpflichten, lässt sich hingegen mit den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung nicht eindeutig beantworten; der genaue Norminhalt bleibt insoweit in der Schwebe.
204
Die Handlungen, aus denen sich eine Ablehnung, Unkenntnis oder Gleichgültigkeit bezüglich der Rechts- und Werteordnung oder einzelner ihrer Elemente ergeben kann, werden in Art. 13 BayIntG in so unspezifischer Weise beschrieben, dass grundsätzlich jedem „nach außen gerichtete(n) Verhalten“ (Art. 13 Abs. 1 Satz 1 BayIntG) ein entsprechender Aussagegehalt beigemessen werden kann. Unklar ist dabei vor allem, ob mit dem – in Gesetzestexten ungebräuchlichen – Begriff des „Regelverstoßes“ nur eine Verletzung rechtlicher Regelungen gemeint ist oder ob dieses Tatbestandsmerkmal auch eine Missachtung ungeschriebener sozialer Normen erfasst, wie sie etwa im sicherheitsrechtlichen Schutzgut der öffentlichen Ordnung enthalten sind (vgl. dazu BVerfG vom 19.12.2007 NVwZ 2008, 671 Rn. 27 m. w. N.) oder sich aus allgemein anerkannten Gebräuchen ergeben können.
205
Zwar legt das in Art. 13 Abs. 2 BayIntG enthaltene Nebeneinander von „schwerwiegende(n) Regelverstöße(n) oder sonst ... offenkundig rechtswidrige(m) Verhalten“ den Schluss nahe, dass die Vorschrift ausschließlich auf Personen abzielt, die gegen Rechtsnormen verstoßen haben. Bei diesem Verständnis bedürfte es jedoch in Art. 13 Abs. 1 Satz 1 BayIntG neben den dort ebenfalls angeführten „Regelverstößen“ nicht mehr des weitgefassten Auffangtatbestands eines „sonst ... nach außen gerichtete(n) Verhalten(s)“, da dieses wiederum nur in der Begehung eines Rechtsverstoßes bestehen könnte. Der darin liegende Normwiderspruch lässt sich auch nicht mithilfe der Gesetzesbegründung auflösen. Denn während dort einige Passagen darauf hindeuten, dass der Gesetzgeber ausschließlich an vorangegangenes rechtswidriges Handeln anknüpfen wollte (LT-Drs. 17/11362 S. 22: „Missachtung der Rechtsordnung“), ist zugleich die Rede davon, dass sich etwa die Ablehnung des staatlichen Gewaltmonopols in grob ungebührlichem Verhalten gegenüber Einsatzkräften äußern könne (LT-Drs., a. a. O.), womit nach gängigem Verständnis nicht zwingend eine rechtswidrige Tat verbunden sein muss (vgl. bereits RG vom 12.11.1901 RGSt 34, 425/426).
206
Die üblichen Auslegungsmethoden führen somit in Bezug auf den sachlichen Anwendungsbereich des Art. 13 BayIntG nicht zu einem klaren und eindeutigen Ergebnis. Für einen möglichen Normbetroffenen, der die beschriebene Rechts- und Werteordnung innerlich ablehnt oder ihr gleichgültig gegenübersteht, bedeutet dies eine erhebliche Rechtsunsicherheit. Denn für ihn ist im Vorhinein nicht erkennbar, ob er sich bei öffentlichen Äußerungen und bei seinem sonstigen (als Meinungskundgabe zu verstehenden) Verhalten nur an das geltende Recht halten muss, um das Risiko einer Verpflichtung zur Kursteilnahme zu vermeiden, oder ob er auch schon bei erlaubtem Handeln darauf achten muss, keinen Anlass für ein sicherheitsbehördliches Einschreiten zu bieten. In dieser durch die offene Formulierung der Vorschrift hervorgerufenen Ungewissheit liegt ein Verstoß gegen das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot, der den Eingriff in die Meinungsfreiheit rechtswidrig macht.
207
cc) Die Regelungen des Art. 13 Abs. 1 und 2 BayIntG sind zudem unvereinbar mit dem auch den Gesetzgeber bindenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV).
208
(1) Nicht unproblematisch ist bereits die Frage, ob die vom Gesetzgeber verfolgte Absicht, zugunsten der in Deutschland und in Bayern geltenden Rechts- und Werteordnung einen „konkreten Akzeptanzdruck zu schaffen“ (LT-Drs. 17/11362 S. 22), einen verfassungsrechtlich legitimen Zweck bildet. Denn mit den Regelungen des Art. 13 BayIntG soll nicht lediglich auf ein rechtskonformes äußeres Verhalten hingewirkt, sondern in erster Linie gezielt auf das Wertesystem und damit auf die innere Einstellung der Normadressaten Einfluss genommen werden. Wer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder andere in Art. 13 Abs. 1 BayIntG aufgeführte Normen und Verfassungsprinzipien aus persönlicher Überzeugung ablehnt oder ignoriert, kann von der Sicherheitsbehörde, wie es in der Gesetzesbegründung heißt, „zu einer entsprechenden Belehrung vorgeladen werden“ (LT-Drs. 17/11362 S. 22).
209
Inwieweit es den staatlichen Organen in einer freiheitlichen Rechtsordnung erlaubt werden darf, auf die Wertvorstellungen einzelner Grundrechtsträger unmittelbar korrigierend Einfluss zu nehmen, um einem (möglichen) sozialschädlichen Verhalten entgegenzutreten, ist verfassungsrechtlich bisher nicht abschließend geklärt (vgl. allgemein Lüdemann, Edukatorisches Staatshandeln, S. 102 ff.; Kolbe, Freiheitsschutz vor staatlicher Gesundheitssteuerung, 2017, S. 215 ff.). Fest steht jedenfalls, dass es dem Staat verwehrt ist, seine Bürger mittels freiheitsentziehender Maßnahmen moralisch zu „bessern“ (BVerfG vom 18.7.1967 BVerfGE 22, 180/219 f.), und dass die Bürger rechtlich nicht gehalten sind, die der Verfassung zugrunde liegenden Wertsetzungen persönlich zu teilen (BVerfGE 124, 300/320, 331 ff. m. w. N.). Dies schließt allerdings nicht aus, dass durch staatliches Handeln versucht wird, einen – möglichst breiten – gesellschaftlichen Konsens über grundlegende Wertvorstellungen herbeizuführen und so der in der Verfassung angelegten objektiven Wertordnung tatsächliche Geltung zu verschaffen (näher Volkmann, Darf der Staat seine Bürger erziehen?, 2012, S. 17 ff.; vgl. auch v. Bogdan-dy, VVDStRL 62 (2003), 156/184; Gramm, NJW 1989, 2917/2924 f.). Das gilt nicht allein für den schulischen Bereich, in dem der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag (Art. 131 BV, Art. 6 Abs. 2 GG) das Recht umfasst, den Kindern und Jugendlichen die für das gesellschaftliche Zusammenleben notwendige soziale und staatsbürgerliche Kompetenz zu vermitteln (dazu BVerfG vom 15.3.2007 NVwZ 2008, 72/73 f.). Auch darüber hinaus kann es dem Staat jedenfalls nicht generell verwehrt sein, die für die Akzeptanz des demokratischen Rechtsstaates unabdingbaren Basiswerte und Grundhaltungen – unter Wahrung parteipolitischer Neutralität (VerfGH vom 27.5.1981 VerfGHE 34, 82/99; BVerfG vom 27.2.2018 BVerfGE 148, 11 Rn. 58 ff.) – aktiv zu propagieren und damit gleichsam verfassungsedukatorische Ziele zu verfolgen (Volkmann, a. a. O., S. 37 ff.; vgl. auch Uhle in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 3. Aufl. 2006, § 82 Rn. 62 f.; Kluth in Uhle, Migration und Integration, 2017, S. 89/104 f., 111).
210
Die staatlichen Bemühungen um eine (Re-)Sozialisierung und (Um-)Erziehung stoßen allerdings spätestens dann an grundrechtliche Grenzen, wenn die angestrebte Änderung bestehender Einstellungen nur durch die Abwendung von einer bisher gehegten Glaubensüberzeugung oder Weltanschauung erfolgen könnte (vgl. Volkmann, a. a. O., S. 19 f.). In diesen Fällen steht die aus Art. 107 Abs. 1 BV und Art. 4 Abs. 1 GG folgende strikte Neutralitätspflicht des Staates (vgl. dazu BVerfG vom 19.12.2000 BVerfGE 102, 370/394 f.) jeder Form der beabsichtigten mentalen Beeinflussung der Grundrechtsträger entgegen. Dass das Gleiche auch in Bezug auf solche Überzeugungen gelten müsste, die lediglich durch die Freiheit der Meinungsbildung oder durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützt sind (vgl. zu letzterem mit Blick auf die kulturelle Identität von Ausländern BVerfG vom 12.5.1987 BVerfGE 76, 1/53; Böhm, ZAR 2017, 208/211; s. auch Lüdemann, a. a. O., S. 111), lässt sich hingegen schwerlich begründen. Ein absolut geschützter Kernbereich der inneren „Einstellungsfreiheit“ ist allenfalls gegenüber unmittelbar bewusstseinsverändernden Maßnahmen anzuerkennen (vgl. Lüdemann, a. a. O., S. 112 f.; Kolbe, a. a. O., S. 218 ff.). Ob auch sonstige gezielte Einwirkungen des Staates auf den Prozess der persönlichen Meinungs- und Überzeugungsbildung grundrechtlich zulässig sind, kann nur im jeweiligen Einzelfall anhand der Maßstäbe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beurteilt werden (ebenso Volkmann, a. a. O., S. 20 f. m. w. N.; vgl. auch Thym, VVDStRL 76 (2017), 169/200 mit Fn. 172).
211
(2) Auch wenn hiernach anzunehmen ist, dass der Gesetzgeber mit der auf einen Wandel der inneren Einstellung gerichteten Bestimmung des Art. 13 BayIntG ein grundsätzlich zulässiges Ziel verfolgt, erweist sich die Regelung im Ergebnis als unverhältnismäßig.
212
(a) Keine Bedenken bestehen allerdings gegen die prinzipielle Eignung und Erforderlichkeit der bußgeldbewehrten (Art. 13 Abs. 3 BayIntG) und gegebenenfalls mit Zwangsmitteln durchsetzbaren (Art. 29 ff. VwZVG) Teilnahmeverpflichtung nach Art. 13 Abs. 1 und 2 BayIntG. Bei solchen zu Präventionszwecken erlassenen Regelungen verfügt der parlamentarische Gesetzgeber über einen weiten Beurteilungs- und Prognosespielraum. Dessen fachbezogene Erwägungen kann der Verfassungsgerichtshof nur daraufhin überprüfen, ob sie offensichtlich fehlerhaft oder eindeutig widerlegbar sind; er kann nicht seine eigenen Wertungen und Einschätzungen an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzen (VerfGHE 68, 198 Rn. 178 m. w. N.).
213
Die der Vorschrift des Art. 13 BayIntG zugrunde liegende Annahme, durch eine amtliche Belehrung über die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung könne nicht nur einer etwaigen Unkenntnis, sondern auch einer beharrlich zum Ausdruck gebrachten Ablehnung (Art. 13 Abs. 1 BayIntG) oder einer offenkundigen Gleichgültigkeit (Art. 13 Abs. 2 BayIntG) bezüglich der bestehenden Rechts- und Werteordnung durch gezielte Überzeugungsarbeit entgegengewirkt werden, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es existiert kein empirisch gesicherter Erfahrungssatz dergestalt, dass sich die (unfreiwilligen) Teilnehmer an einem derartigen Grundkurs durch die dargebotenen Informationen keinesfalls zu einer Änderung ihrer Haltung bewegen ließen. Der Gesetzgeber durfte daher im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative annehmen, dass die negative Einstellung in nicht wenigen Fällen auf einem unzureichenden Informationsstand beruht und durch ein eindringliches Vermitteln der in Art. 13 Abs. 1 BayIntG genannten Verfassungswerte korrigiert werden kann. Dass sich der gleiche Erfolg bereits durch ein milderes Mittel bzw. eine grundrechtsschonendere Ausgestaltung der Regelung, wie etwa den Verzicht auf die in Art. 13 Abs. 3 BayIntG vorgesehene Sanktionsmöglichkeit, erreichen ließe, ist nicht erkennbar.
214
(b) Art. 13 BayIntG erweist sich aber als unverhältnismäßig im engeren Sinn, da der damit verbundene Eingriff in die Meinungsfreiheit nicht in angemessenem Verhältnis zu dem verfolgten Regelungszweck steht.
215
Um dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn zu entsprechen, muss bei der erforderlichen Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs einerseits sowie dem Gewicht und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe andererseits die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleiben; die Maßnahme darf den Betroffenen nicht übermäßig belasten (vgl. VerfGH vom 19.10.2017 BayVBl 2018, 667 Rn. 62 m. w. N.). Dies ist hier jedoch der Fall.
216
Art. 13 BayIntG greift in gravierender Weise in die nach Art. 110 Abs. 1 Satz 1 BV geschützte Freiheit der Meinungsbildung und Meinungsäußerung ein. Die Verpflichtung zur Kursteilnahme zielt – anders als der verfassungsrechtlich unbedenkliche (vgl. BVerfG vom 23.5.1967 BVerfGE 22, 21/26 f.) Verkehrsunterricht nach § 48 StVO – nicht vorrangig auf die Vermeidung eines befürchteten (erneuten) Fehlverhaltens, sondern auf einen generellen Gesinnungswandel hin zu einer positiveren Haltung gegenüber den Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die Einstellung des Einzelnen gegenüber diesen für das Staat-Bürger-Verhältnis grundlegenden Werten bildet typischerweise ein identitätsprägendes Persönlichkeitsmerkmal. Die mit Art. 13 BayIntG beabsichtigte geistige Einflussnahme auf dieses forum internum greift daher, auch wenn sie letztlich nur appellativen Charakter trägt, in innerpsychische Vorgänge der Meinungsbildung ein, die für das individuelle Selbstverständnis besonders bedeutsam sind. Darüber hinaus liegt in der Vorschrift ein gewichtiger faktischer Eingriff in das Recht, seine Meinung frei äußern zu können. Denn schon das Wissen um die Existenz einer sicherheitsrechtlichen Befugnisnorm, die an die Bekundung bestimmter Meinungsinhalte anknüpft, kann den einzelnen Grundrechtsträger hindern, seine Ansichten zu den betreffenden Themen unbefangen preiszugeben.
217
Die Gründe, die sich zur Rechtfertigung des Art. 13 BayIntG anführen lassen, haben demgegenüber aus verfassungsrechtlicher Sicht ein deutlich geringeres Gewicht. Dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der weiteren in Art. 13 Abs. 1 Satz 2 BayIntG genannten Rechtsgüter kommt zwar allgemein eine hohe Bedeutung zu. Grundrechtsbeschränkungen lassen sich durch diesen Schutzzweck aber nur legitimieren, wenn ein Grad an Gefährdung vorliegt, der den Eingriff als angemessene, für den Betroffenen zumutbare Reaktion erscheinen lässt. Dies ist bei der Vorschrift des Art. 13 BayIntG nicht der Fall. Denn die Regelung ermöglicht ein Einschreiten nicht nur „im Vorfeld strafrechtlicher Relevanz“ (so LT-Drs. 17/11362 S. 22), sondern auch weit unterhalb der Schwelle einer konkreten Gefahr für die Verfassungs- bzw. Rechtsordnung.
218
Im Unterschied zu der im Polizeirecht anerkannten, ebenfalls als faktischer Grundrechtseingriff zu qualifizierenden sogenannten Gefährderansprache, mit der ein potenzieller Gefahrenverursacher zur Unterlassung einer befürchteten Störung in einem konkreten Fall ermahnt wird (vgl. dazu Kreuter-Kirchhof, AöR 139 (2014), 257/278; Graulich in Bäcker/Denninger/Graulich, Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, Abschnitt E Rn. 229 ff. m. w. N.), setzt das Einschreiten nach Art. 13 Abs. 1 und 2 BayIntG keine personen- und rechtsgutbezogene Gefahrenprognose voraus. Von den Personen, die nach Art. 13 BayIntG verpflichtet werden können, muss nach der Konzeption des Gesetzes keine auch nur entfernte individuelle Gefahr für die verfassungsmäßige Ordnung oder ein anderes hochrangiges Schutzgut ausgehen. Schon ihre in Regelverstößen oder sonstigem Verhalten zum Ausdruck kommende Ablehnung, Unkenntnis oder Gleichgültigkeit gegenüber der bestehenden Rechts- und Werteordnung soll vielmehr genügen, um ihnen die Teilnahmepflicht auferlegen zu können.
219
Der für Art. 110 Abs. 1 BV wie auch für Art. 5 Abs. 1 und 2 GG geltende Vorbehalt der allgemeinen Gesetze erlaubt jedoch nicht den staatlichen Zugriff auf die Gesinnung, sondern ermächtigt erst dann zu Eingriffen, wenn Meinungsäußerungen die rein geistige Sphäre des Für-richtig-Haltens verlassen und in Rechtsgutverletzungen oder erkennbar in Gefährdungslagen umschlagen (BVerfGE 124, 300/ 330). Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn sie den öffentlichen Frieden als Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung gefährden und so den Übergang zu Aggression oder Rechtsbruch markieren (vgl. BVerfG NJW 2018, 2858 Rn. 24). Von einer solchen sich konkret abzeichnenden Gefahr für die verfassungsmäßige Ordnung oder einzelne Rechtsgüter kann in den von Art. 13 BayIntG erfassten Fällen noch keine Rede sein. Die bloß allgemeine Befürchtung, eine von einzelnen Personen durch Worte oder Taten zum Ausdruck gebrachte Missachtung der geltenden Rechts- und Werteordnung oder einzelner ihrer Elemente könne irgendwann einmal in verfassungsfeindlichen oder allgemein rechtsstaatswidrigen Aktivitäten ihren Niederschlag finden, rechtfertigt keine schwerwiegenden Eingriffe in das Grundrecht der Meinungsfreiheit.
220
Der Anwendungsbereich des Art. 13 BayIntG kann auch nicht mittels einer verfassungskonformen Auslegung auf die Fälle beschränkt werden, in denen sich aus dem Verhalten der Normbetroffenen bereits eine konkrete Gefährdung eines Verfassungs- oder sonstigen Rechtsguts ergibt. Dies widerspräche der im Wortlaut der Vorschrift wie auch in der amtlichen Begründung zum Ausdruck kommenden Absicht des Gesetzgebers, ein sicherheitsbehördliches Eingreifen schon bei fehlender Akzeptanz der in Art. 13 Abs. 1 BayIntG genannten Grundwerte zu erlauben. Ein Normverständnis, das mit dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers unvereinbar ist, kann im Wege der verfassungskonformen Auslegung nicht begründet werden (vgl. VerfGH vom 4.11.1968 VerfGHE 21, 192/196; BVerfG vom 22.3.2018 BVerfGE 148, 69 Rn. 150 m. w. N). Das muss in besonderer Weise für Vorschriften wie Art. 13 BayIntG gelten, denen unabhängig von ihrer – möglicherweise nur zurückhaltend erfolgenden – tatsächlichen Anwendung (vgl. dazu LT-Drs. 18/1602) eine indirekt verhaltenssteuernde Wirkung in Bezug auf die Ausübung von Grundrechten zukommt.
221
c) Die fehlende Bestimmtheit der die Meinungsfreiheit beschränkenden Regelungen in Art. 13 Abs. 1 und 2 BayIntG sowie deren Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit haben zur Folge, dass neben diesen beiden Bestimmungen auch die darauf bezogene Sanktionsnorm des Art. 13 Abs. 3 BayIntG für verfassungswidrig zu erklären ist. Gleiches gilt für die von den Antragstellerinnen nicht angegriffene Vorschrift des Art. 12 Abs. 3 BayIntG, die als Tatbestandsvoraussetzung auf die Fälle des Art. 13 Abs. 3 BayIntG verweist. Insoweit kann auf die Ausführungen zu Art. 14 Abs. 2 BayIntG Bezug genommen werden (s. oben V. 3. d)).
222
13. Die Verbotsnorm des Art. 14 Abs. 1 BayIntG („Unterlaufen der verfassungsmäßigen Ordnung“), die von der Kompetenzwidrigkeit der Bußgeldbestimmung des Art. 14 Abs. 2 BayIntG unberührt bleibt (s. oben V. 3. c)), ist mit der Bayerischen Verfassung vereinbar. Die mit der Vorschrift verbundenen Grundrechtseingriffe sind tatbestandlich hinreichend bestimmt (a)) und durch den damit verfolgten Schutzzweck gerechtfertigt (b)).
223
Die Vorschrift des Art. 14 Abs. 1 BayIntG greift, soweit sie in Nr. 1 ein näher bezeichnetes „Auffordern“ untersagt, unmittelbar in den Schutzbereich der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 110 Abs. 1 Satz 1 BV ein, während die in Nrn. 2 und 3 genannten weiteren Verbotstatbestände, die sich auf ein tatsächliches Handeln gegenüber Dritten beziehen, einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 101 BV darstellen.
224
a) Die in Art. 14 Abs. 1 BayIntG normierten Verbote genügen den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen. Diese ergeben sich angesichts der Nichtigkeit der Bußgeldbestimmung des Art. 14 Abs. 2 BayIntG nicht aus der speziellen Vorschrift des Art. 104 Abs. 1 BV, sondern aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV). Für Art. 14 Abs. 1 BayIntG gilt somit der gleiche Maßstab wie bei der ebenfalls sicherheitsrechtlich begründeten Eingriffsnorm des Art. 13 Abs. 1 und 2 BayIntG (s. oben 12. b) bb)). Danach müssen die von den gesetzlichen Verboten Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können, wobei der genaue Regelungsinhalt zumindest anhand der üblichen Auslegungsmethoden mit hinreichender Sicherheit zu ermitteln sein muss.
225
aa) Gemessen an diesen Grundsätzen verstößt Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 BayIntG nicht gegen das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot. Der Inhalt der Vorschrift lässt sich mittels Auslegung mit zumutbarem Aufwand feststellen. Dies gilt nicht nur für die – ersichtlich auf die entsprechende strafrechtliche Terminologie verweisende – Handlungsform einer „öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften“ erfolgenden Aufforderung (vgl. etwa § 111 Abs. 1 StGB), sondern auch für die als Gegensatzpaar miteinander verbundenen Tatbestandsmerkmale der „geltenden verfassungsmäßigen Ordnung“ und der mit deren Grundsätzen nicht zu vereinbarenden „anderen Rechtsordnung“.
226
Der Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung ist nach herrschendem Verständnis prinzipiell weiter gefasst als die – mit den Mitteln der wehrhaften Demokratie zu bewahrende – freiheitliche demokratische Grundordnung (vgl. BVerfGE 144, 20 Rn. 531). Er findet sich in einer Reihe von Bestimmungen des Sicherheitsrechts (z. B. Art. 7 Abs. 5 LStVG, Art. 11 Abs. 2 Satz 4 PAG, Art. 3 Satz 2 BayVSG) wie auch des Strafrechts (z. B. § 81 Abs. 1 Nr. 2, § 82 Abs. 1 Nr. 2, § 90 a Abs. 1 Nr. 1 StGB) und des Verfassungsrechts (z. B. Art. 2 Abs. 1, Art. 9 Abs. 2, Art. 20 Abs. 3 GG), bei deren Auslegung jeweils zu berücksichtigen ist, welche Funktion dem Begriff innerhalb der einzelnen Norm zukommt (vgl. bereits BVerfG vom 16.1.1957 BVerfGE 6, 32/38). Da die verfassungsmäßige Ordnung einen Kreis von Normen umschreibt, an die ein bestimmter Normadressat gebunden sein soll, hängt der Umfang des Normenkomplexes, dem diese Bindungswirkung zukommt, auch davon ab, um welchen Normadressaten es sich handelt (BVerfG, a. a. O.; vgl. VerfGH vom 12.6.2013 VerfGHE 66, 70/92).
227
Die an jedermann gerichtete Vorschrift des Art. 14 BayIntG soll über die in Art. 13 BayIntG genannte freiheitliche demokratische Grundordnung hinaus ganz allgemein die geltende verfassungsmäßige Ordnung schützen. Dieser Rechtsbegriff kann nach dem Normzusammenhang nur im gleichen Sinn wie bei Art. 2 Abs. 1 GG verstanden werden; er umfasst demnach die Gesamtheit der Rechtsnormen, die formell und materiell mit der Verfassung in Einklang stehen (vgl. BVerfGE 6, 32/37 f.; BVerfG vom 9.3.1994 BVerfGE 90, 145/171 f.; zu Art. 101 BV: VerfGH vom 17.7.2006 VerfGHE 59, 119/121 m. w. N.). Dieses weite Verständnis ergibt sich insbesondere aus dem im Gesetz angelegten Verhältnis zu der „anderen Rechtsordnung“, auf deren Befolgung die nach Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 BayIntG verbotene Aufforderung gerichtet sein muss. Wie das Wort „andere“ zeigt, muss mit der „geltende(n) verfassungsmäßige(n) Ordnung“ ebenfalls eine Rechtsordnung gemeint sein, die jedoch – im Unterschied zu der „anderen Rechtsordnung“ – den in der Verfassung, also im Grundgesetz und in den jeweiligen Landesverfassungen enthaltenen Vorgaben entspricht und gerade daraus ihren unbedingten Geltungsanspruch ableitet. Schutzgut des Art. 14 Abs. 1 BayIntG ist somit die allgemeine Rechtsordnung, deren Normen jeder zu beachten und zu befolgen hat. Denn eben diese auf der Verfassung beruhende Ordnung wird missachtet, wenn dazu aufgefordert wird, „stattdessen einer ... anderen Rechtsordnung zu folgen“.
228
Nach dem klaren Wortlaut des Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 BayIntG ist der Tatbestand dieser Verbotsnorm nicht bereits dann erfüllt, wenn mit der Aufforderung lediglich erreicht werden soll, dass ein anderer die verfassungsmäßige Ordnung missachtet, indem er seinen Rechtspflichten nicht nachkommt. Ein Aufruf zum Ungehorsam bzw. Widerstand gegenüber der Staatsgewalt reicht demnach für sich genommen nicht aus, auch wenn damit der Verfassung und den darauf beruhenden Gesetzen jede Legitimität abgesprochen wird. Die Anstiftung zur Nichtbeachtung der geltenden Rechtsordnung muss stets zusätzlich zum Ziel haben, dass an deren Stelle einer anderen Rechtsordnung Folge geleistet wird. Damit kann nicht eine im Bundesgebiet bereits geltende Rechtsordnung gemeint sein, da diese mit der zuvor erwähnten verfassungsmäßigen Ordnung identisch wäre. Als eine andere Rechtsordnung im Sinn von Art. 14 BayIntG kommt vielmehr jedes sonstige feststehende Regelwerk in Betracht, das nach dem erklärten Willen des Auffordernden allgemeinverbindlich sein soll. Dabei ist es unerheblich, ob die betreffenden Regeln außerhalb Deutschlands oder zu früheren Zeiten jemals als rechtsverbindliche Normen anerkannt worden sind oder etwa nur eine freiwillig befolgte soziale Konvention bzw. einen Kanon ethischer oder religiöser Gebote bilden. Auch bei der in den Gesetzmaterialien als möglicher Anwendungsfall genannten Scharia (LT-Drs. 17/11362 S. 23) kann es somit entgegen der Auffassung der Antragstellerinnen weder auf das vorherrschende (Selbst-)Verständnis unter den Gläubigen noch auf eine genauere Einordnung aus religionswissenschaftlicher Sicht ankommen. Maßgebend für die Anwendbarkeit des Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 BayIntG ist nach dem Sinn der Vorschrift allein die öffentlich verbreitete subjektive Einschätzung des Auffordernden, dass es ein gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung vorrangiges Ensemble von Rechtsnormen gebe, das zwingend einzuhalten sei.
229
Diese alternative Rechtsordnung darf gemäß der als Einschränkung zu verstehenden weiteren Tatbestandsvoraussetzung mit den Grundsätzen der geltenden verfassungsmäßigen Ordnung nicht zu vereinbaren sein. Dazu zählen die nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG auch für die Landesverfassungen verbindlichen Grundsätze des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinn des Grundgesetzes (vgl. BVerfG vom 17.9.2013 BVerfGE 134, 141 Rn. 104) und die in Art. 79 Abs. 3 GG umschriebenen fundamentalen Verfassungsprinzipien, insbesondere also der in Art. 1 Abs. 1 GG verankerte Grundsatz der Menschenwürde und der von ihm umfasste Kerngehalt der nachfolgenden Grundrechte (vgl. BVerfG vom 19.12.2000 BVerfGE 102, 370/392 m. w. N.). Steht die andere Rechtsordnung, zu deren Befolgung aufgefordert wird, im Widerspruch zu einem dieser Elemente, so ist der Tatbestand des Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 BayIntG erfüllt.
230
bb) Auch bei den Verbotstatbeständen des Art. 14 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 BayIntG lässt sich der rechtliche Gehalt durch Auslegung hinreichend bestimmen. Mit der Verwendung des Verbs „unternehmen“ wird auf den gleichlautenden strafrechtlichen Terminus Bezug genommen, wonach schon der Versuch einer Tat deren Vollendung gleichsteht (§ 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB). Das in Art. 14 Abs. 1 Nr. 2 BayIntG normierte Verbot einer Unterwerfung anderer Personen erfasst jede Form von Zwang, mit dem die Anerkennung und Beachtung der anderen Rechtsordnung erreicht werden soll. Ergänzend hierzu verbietet Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 BayIntG die faktische Durchsetzung einer solchen Ordnung durch entsprechende Vollzugs- oder Vollstreckungsmaßnahmen. Die Anwendung der Vorschrift setzt entgegen einer in der amtlichen Begründung getroffenen Aussage (LT-Drs. 17/11362 S. 23) nicht voraus, dass der zu vollstreckende oder zu vollziehende Einzelakt auch schon als solcher mit den Grundsätzen der verfassungsmäßigen Ordnung unvereinbar ist. Für eine solche restriktive Auslegung bieten weder der Wortlaut noch die Gesetzessystematik oder die erkennbare Zielrichtung der Vorschrift hinreichende Anhaltspunkte. Anordnungen selbsternannter Sicherheitskräfte und Entscheidungen einer nicht autorisierten Paralleljustiz, die in Anwendung einer grundlegend anderen Rechtsordnung ergangen sind, dürfen somit nach Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 BayIntG ungeachtet ihres konkreten Inhalts in keinem Fall in quasi-hoheitlicher Manier vollzogen oder mit Zwangsmitteln vollstreckt werden.
231
b) Die in Art. 14 Abs. 1 BayIntG geregelten Verbote greifen auch im Übrigen in zulässiger Weise in Grundrechte ein.
232
aa) Der mit Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 BayIntG verbundene unmittelbare Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung ist gerechtfertigt. Bei dieser Verbotsnorm handelt es sich im Sinn der bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur, die der Verfassungsgerichtshof für Art. 110 Abs. 1 Satz 1 BV übernommen hat (vgl. oben 12. b) aa)), um ein allgemeines Gesetz, das sich nicht von vornherein nur gegen bestimmte Überzeugungen, Haltungen oder Ideologien richtet, sondern an dem geschützten Rechtsgut der zu achtenden verfassungsmäßigen Ordnung ausgerichtet ist. Ungeachtet der in der Gesetzesbegründung als Beispielsfall erwähnten „Aufrufe, vorrangig der Scharia statt dem staatlichen Recht zu folgen“ (LT-Drs. 17/11362 S. 23), ist die Vorschrift nicht so formuliert, dass sie im Wesentlichen nur gegenüber solchen Personen zur Anwendung kommen könnte, die eine auf dem Islam beruhende theokratische Rechtsordnung anstreben. Als eine mit den Grundsätzen der verfassungsmäßigen Ordnung nicht zu vereinbarende alternative Rechtsordnung können neben den verschiedenen Formen religiös-fundamentalistisch ausgerichteter Gesellschaftsmodelle u. a. auch die aus einer Verneinung der Existenz der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Rechtsordnung folgenden Vorstellungen über das Fortgelten einer früheren (vorrechts-)staatlichen Ordnung angesehen werden, wie sie in der sogenannten Reichsbürgerbewegung anzutreffen sind.
233
Anders als die von Art. 13 BayIntG erfassten Meinungsäußerungen stellt das in Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 BayIntG beschriebene Verhalten nicht eine bloße Gesinnungs-bekundung dar, die dem unmittelbaren staatlichen Zugriff entzogen wäre. In der gegenüber Dritten ergehenden Aufforderung, statt der bestehenden Ordnung einer anderen Rechtsordnung Folge zu leisten, liegt eine Anstiftung zum Rechtsbruch; dies kann das Vertrauen der rechtstreuen Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts erschüttern, die eine Grundvoraussetzung für den Fortbestand der Rechtsordnung bildet (vgl. BVerfG vom 25.1.1984 BVerfGE 66, 116/139). Angesichts dieser naheliegenden Gefährdungslage, die sich aus dem Inhalt der betreffenden Äußerungen ergibt, kann das darauf bezogene Verbot nicht als ein unverhältnismäßiger Grundrechtseingriff angesehen werden.
234
bb) Diese verfassungsrechtliche Bewertung muss auch und erst recht für die in Art. 14 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 BayIntG normierten Verbote gelten, die in die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 101 BV eingreifen und demzufolge einem allgemeinen Gesetzesvorbehalt unterliegen (vgl. VerfGH vom 24.5.2019 – Vf. 23-VI-17 – juris Rn. 50 m. w. N.). Die (versuchte oder vollendete) Unterwerfung anderer Personen unter eine mit der geltenden Verfassungsordnung nicht zu vereinbarende andere Rechtsordnung und deren faktische Vollziehung bzw. Vollstreckung im Einzelfall missachten das staatliche Rechtsetzungs- und Gewaltmonopol in so gravierender Weise, dass das strikte Verbot dieses Verhaltens in jedem Fall als zumutbare Freiheitsbeschränkung betrachtet werden muss.
235
14. Die Änderungsvorschrift des Art. 17 a Abs. 1 Nr. 5 BayIntG, wonach die Polizei über den bisherigen Anwendungsbereich des Art. 23 Abs. 3 PAG hinaus befugt ist, zur Abwehr dringender Gefahren Wohnungen zu betreten, wenn diese als Unterkunft oder dem sonstigen, auch vorübergehenden Aufenthalt von Asylbewerbern und unerlaubt Aufhältigen dienen (Art. 23 Abs. 3 Nr. 3 PAG), ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der darin liegende Eingriff in das Wohnungsgrundrecht ist durch den mit der Befugnisnorm verfolgten Schutzzweck gerechtfertigt.
236
Das nach Art. 106 Abs. 3 BV schrankenlos gewährleistete Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung unterliegt immanenten Gewährleistungsschranken, die dem Schutz höherwertiger Rechtsgüter dienen. Eine diesbezügliche Interessen- und Güterabwägung, die auf das bayerische Verfassungsrecht übertragbar ist, enthält Art. 13 Abs. 7 (früher: Abs. 3) GG, wonach Eingriffe und Beschränkungen aufgrund eines Gesetzes zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorgenommen werden dürfen (VerfGH vom 30.1.2006 VerfGHE 59, 23/25 f. m. w. N.).
237
Dieser ungeschriebenen verfassungsrechtlichen Anforderung an Eingriffe in die Wohnungsfreiheit wird die durch das Bayerische Integrationsgesetz neu eingefügte Bestimmung des Art. 23 Abs. 3 Nr. 3 PAG gerecht. Sie erlaubt das Betreten der von Asylbewerbern und von unerlaubt Aufhältigen (d. h. Ausreisepflichtigen) genutzten Wohnungen nicht etwa deshalb, weil bei diesem Personenkreis schon wegen der Tatsache des Wohnens ein polizeiliches Eingreifen notwendig wäre. Anders als bei der die gleichen Räumlichkeiten betreffenden Vorschrift des Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c PAG reicht nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 23 Abs. 3 Nr. 3 PAG die vom Gesetzgeber vorgenommene Qualifizierung der Aufnahmeeinrichtungen und sonstigen Asylunterkünfte als sogenannte gefährliche Orte für den Grundrechtseingriff nicht aus (unzutreffend daher Zölls, ZAR 2018, 56/60). Die Polizei darf von der Betretungsbefugnis vielmehr nur im Einzelfall zur Abwehr dringender Gefahren Gebrauch machen. Mit diesem Tatbestandsmerkmal verweist der Gesetzgeber ausdrücklich auf die in Art. 13 Abs. 7 Alt. 2 GG genannte Eingriffsvoraussetzung. Bei deren Anwendung sind gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowohl das Ausmaß als auch die Wahrscheinlichkeit des zu erwartenden Schadens zu berücksichtigen, sodass ein unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten hinreichend konkreter Anlass für die Eingriffsmaßnahme gewährleistet ist (BVerfG vom 20.4.2016 BVerfGE 141, 220 Rn. 184 m. w. N.).
238
Das zwingende Erfordernis einer situationsbezogenen Konkretisierung der Gefahrenlage darf in der behördlichen Vollzugspraxis nicht dadurch überspielt werden, dass bei den in Art. 23 Abs. 3 PAG genannten Wohnungen von einer (aufgrund polizeilicher Erfahrung) generell anzunehmenden dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgegangen wird (ebenso Schwabenbauer in Möstl/Schwaben-bauer, BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Art. 23 PAG Rn. 90, Stand: 1.2.2019). Auch das Bedürfnis, gegenüber den Personen, die sich in einer solchen Wohnung aufhalten, die Befugnis zur Identitätsfeststellung nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c PAG auszuüben, rechtfertigt allein noch nicht den Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung. Aus der ex ante-Sicht der Polizei müssen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass durch das Betreten der Wohnung und die dadurch unmittelbar ermöglichten Feststellungen ein andernfalls drohender erheblicher Schaden verhindert werden kann (vgl. Schwabenbauer, a. a. O., Rn. 99). Hierfür genügt auch ein auf Fakten gestützter Gefahrenverdacht, der entsprechende Sachaufklärungsmaßnahmen erfordert (vgl. Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, Bayerisches Polizeiaufgabengesetz und Bayerisches Polizeiorganisationsgesetz, 4. Aufl. 2014, Art. 23 PAG Rn. 39). Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn die Polizei ernstzunehmende Hinweise erhält, dass sich eine untergebrachte Person im Hinblick auf terroristische Bestrebungen zunehmend radikalisiert oder dass innerhalb einer Unterkunft bzw. zwischen deren Bewohnern und der Nachbarschaft gravierende Konflikte entstanden sind, die sich in gewalttätigen Auseinandersetzungen entladen können (vgl. Schwabenbauer, a. a. O., Rn. 117; insoweit zustimmend Zölls, ZAR 2018, 56/61). Das Abwehren einer solchen dringenden Gefahr kann sowohl im Unterbinden von bereits stattfindenden schädigenden Handlungen bestehen als auch im Verhüten entsprechender Taten, die zwar noch nicht begonnen haben, aber hinreichend konkret drohen (vgl. Schmidbauer, a. a. O.; Graulich in Bäcker/Denninger/Graulich, Handbuch des Polizeirechts, Abschnitt E Rn. 627).
239
15. Mit der Bayerischen Verfassung vereinbar sind auch die in Art. 17 a Abs. 7 und 8 BayIntG enthaltenen Änderungen des Gesetzes zur Sicherung der Zweckbestimmung von Sozialwohnungen in Bayern (Bayerisches Wohnungsbindungs-gesetz – BayWoBindG) und der Verordnung zur Durchführung des Wohnungsrechts und des Besonderen Städtebaurechts (Durchführungsverordnung Wohnungsrecht – DVWoR).
240
Die geänderten bzw. neu eingefügten Bestimmungen sehen vor, dass die für die Zuweisung öffentlich geförderter Wohnungen zuständigen Stellen neben der Dringlichkeit des individuellen Wohnbedarfs auch eine auf die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung bezogene „Strukturkomponente“ zu berücksichtigen haben. Mit der diesen Begriff präzisierenden Umschreibung in Art. 5 Satz 5 (seit 1. Mai 2018: Satz 4) BayWoBindG, wonach „möglichst nur Wohnungssuchende benannt werden (sollen), deren Zuzug einseitige Bewohnerstrukturen weder schafft noch verfestigt“, trägt der Gesetzgeber dem Gebot der inhaltlichen Bestimmtheit (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) hinreichend Rechnung.
241
Welchen Anforderungen die Normbestimmtheit genügen muss, hängt von der Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts und von der Intensität einer möglichen Grundrechtsberührung ab (vgl. VerfGH vom 24.2.1988 VerfGHE 42, 17/24 m. w. N.). Geringere Anforderungen sind danach zu stellen, wenn vielschichtige Sachverhalte betroffen sind, bei denen sich die Verhältnisse rasch ändern können (vgl. BVerfG vom 8.8.1978 BVerfGE 49, 89/133 m. w. N.), und wenn es sich um einen Regelungsbereich handelt, der die Grundrechtsausübung weniger tangiert (vgl. BVerfG vom 3.11.1982 BVerfGE 62, 203/210 m. w. N.).
242
Hieran gemessen fehlt es den mit Art. 17 a Abs. 7 und 8 BayIntG neu geschaffenen Regelungen, nach denen einseitige Bewohnerstrukturen vermieden werden sollen, nicht an der gebotenen Bestimmtheit. Die mit der staatlichen Wohnungsbauförderung verbundenen Steuerungsinstrumente gehören zum Bereich der Leistungsverwaltung, für den der Vorbehalt des Gesetzes nicht in gleicher Weise gilt wie für die Eingriffsverwaltung (vgl. Möstl in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 70 Rn. 6). Die bei öffentlich geförderten Wohnungen vorgesehene Beschränkung des Kreises der möglichen Mieter hat aus grundrechtlicher Sicht nur eine vergleichsweise geringe Bedeutung. Sie greift aus den oben genannten Gründen (V. 4. b)) nicht in das Recht der Wohnungssuchenden auf Freizügigkeit ein (Art. 109 Abs. 1 BV), sondern berührt nur mittelbar deren allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 101 BV) und bringt im Übrigen die Gemeinwohlbindung des Wohnungseigentums zur Geltung (Art. 103 Abs. 2 BV).
243
Bei der von den zuständigen Stellen nach Art. 5 BayWoBindG i. V. m. § 3 DVWoR zu treffenden Entscheidung über die Benennung einzelner Wohnungssuchender, denen eine Wohnung im Sinn des Art. 1 Abs. 1 BayWoBindG überlassen werden darf, besteht ein erheblicher Ermessensspielraum, der durch ermessensbindende interne Richtlinien eingeschränkt werden kann (vgl. BayVGH vom 21.3.2013 – 12 C 13.280 – juris Rn. 12). Die in Art. 5 Satz 5 (seit 1. Mai 2018: Satz 4) BayWoBindG festgelegte, nach Art. 5 a BayWoBindG auch außerhalb der Gebiete mit erhöhtem Wohnungsbedarf geltende Verpflichtung zur Vermeidung einseitiger Bewohnerstrukturen bildet eine gesetzliche Ermessensdirektive, derzufolge es unter gewissen Umständen auch den Inhabern von Wohnberechtigungsscheinen (vgl. Art. 4 BayWoBindG) verwehrt werden soll, eine bestimmte Sozialwohnung zu belegen. Damit soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers der Bildung von Ghettos und Parallelgesellschaften entgegengewirkt werden, wobei sich dieser Regelungszweck nach dem Gesetzeswortlaut und der amtlichen Begründung nicht allein auf migrationsbedingte Entwicklungen bezieht, sondern generell auf eine einseitige Ausrichtung von Stadtvierteln etwa im Hinblick auf die dort vertretenen Bildungs- oder Einkommensschichten (LT-Drs. 17/11362 S. 26).
244
Wann von einer zu erwartenden oder bereits bestehenden einseitigen Bewohnerstruktur gesprochen werden kann, hängt davon ab, ob und in welchem Maß sich die Einwohnerschaft in dem jeweiligen Siedlungsgebiet in soziokultureller, ökonomischer, beruflicher, altersmäßiger, ethnischer oder sonstiger Hinsicht als homogene Gruppe darstellt. Angesichts der Vielzahl nicht quantifizierbarer und sich stetig wandelnder Einflussfaktoren, die ein Wohnmilieu kennzeichnen können, lässt sich der vom Gesetzgeber aus sachlich nachvollziehbaren Erwägungen als allgemeines Integrationshemmnis angesehene Zustand der lokalen Ghettobildung kaum exakter als mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der einseitigen Bewohner-struktur bezeichnen. Dieser entspricht im Übrigen der bis 2001 als Vergabekriterium für Sozialwohnungen in § 2 Abs. 6 DVWoBindG in der Fassung vom 20. April 1993 (GVBl S. 271) und bis 2004 als Leitlinie der Ortsplanung in § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BauGB in der Fassung vom 8. Dezember 1986 (BGBl I S. 2191) normierten Verpflichtung zur Vermeidung einseitiger Bevölkerungsstrukturen sowie der in § 19 Abs. 3 AGG geregelten Ausnahme von den Benachteiligungsverboten nach § 19 Abs. 1 AGG, wenn eine unterschiedliche Behandlung bei der Vermietung von Wohnraum der Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen und ausgewogener Siedlungsstrukturen dient. Ebenso wie bei diesen Vorschriften, deren Bestimmtheit bislang nicht infrage gestellt worden ist, lässt sich auch bei Art. 5, 5 a BayWoBindG und § 3 Abs. 3 Satz 1 DVWoR der Regelungsinhalt der auf eine ausgeglichene Zusammensetzung der Wohnbevölkerung abzielenden „Strukturkomponente“ anhand des Normzusammenhangs und erkennbaren Normzwecks mit hinreichender Klarheit feststellen.
245
16. Die in Art. 17 a Abs. 9 bis 12 BayIntG getroffenen Regelungen über die Teilnahme an einem Deutsch- oder Integrationsunterricht in bestimmten staatlichen Einrichtungen verstoßen nicht gegen die Bayerische Verfassung.
246
a) Der persönliche Anwendungsbereich dieser Bestimmungen beschränkt sich nicht auf Personen mit Migrationshintergrund. Diese bilden zwar nach der Vorstellung des Gesetzgebers (LT-Drs. 17/11362 S. 27) den typischen Anwendungsfall der Normen, da Sprach- und Integrationsdefizite häufig auf einer im Ausland erfolgten Sozialisation beruhen. Dass Inländer von der Teilnahme am Deutsch- und Integrationsunterricht von vornherein ausgeschlossen wären, geht aber weder aus dem Gesetzeswortlaut hervor noch lässt sich dies im Wege einer systematischen oder teleologischen Auslegung begründen. Für eine solche Beschränkung spricht auch nicht der in Art. 17 a Abs. 9 bis 12 BayIntG enthaltene Verweis auf die neu eingefügte Vorschrift des Art. 40 Abs. 3 Satz 2 BayStVollzG, wonach der Integrationsunterricht den in Art. 1 BayIntG genannten Integrationszielen dient. Die in Art. 1 Satz 2 BayIntG vorgestellten Ziele treffen, wie oben dargelegt (2.), nur allgemeine Aussagen über die anzustrebende Integration von Migrantinnen und Migranten ohne eigenständigen Regelungsgehalt, die nicht an den in Art. 1 Satz 1 BayIntG umschriebenen Personenkreis adressiert sind. Sie bilden die programmatische Grundlage für die nachfolgend aufgeführten Verpflichtungen und Handlungsaufforderungen, die sich an staatliche Stellen und an die Mitglieder der Aufnahmegesellschaft ebenso richten können (Art. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BayIntG) wie an die Migrantinnen und Migranten selbst (Art. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BayIntG). Die in Art. 40 Abs. 3 Satz 2 BayStVollzG verlangte inhaltliche Ausrichtung des Integrationsunterrichts auf die Integrationsziele des Art. 1 BayIntG umfasst demnach nicht nur die von Ausländerinnen und Ausländern geforderten eigenen Integrationsbemühungen, sondern auch die dabei von öffentlicher und privater Seite zu leistende Hilfe und Unterstützung.
247
b) Die in Art. 17 a Abs. 9, Abs. 10 Nr. 1 und Abs. 12 Nr. 2 BayIntG getroffenen Regelungen, nach denen Sicherungsverwahrte, volljährige Untersuchungsgefangene und Personen, die in einer Maßregelvollzugseinrichtung untergebracht sind, dazu angehalten werden sollen, freiwillig an einem in der Anstalt angebotenen Deutsch- bzw. Integrationsunterricht teilzunehmen, können schon nicht als (faktische) Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 101 BV) der Betreffenden angesehen werden. Das persönliche Interesse, einer solchen Veranstaltung fernzubleiben, wird zwar vom Schutzbereich des Grundrechts umfasst. Eine Beeinträchtigung eines von Art. 101 BV geschützten Interesses kann aber nur angenommen werden, wenn der Grundrechtsberechtigte dieses Interesse, das zu realisieren er tatsächlich in der Lage und willens ist, nicht realisieren kann, weil er durch eine hoheitliche Maßnahme daran in irgendeiner Weise gehindert wird (Lindner in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 101 Rn. 32). Davon kann hier keine Rede sein, da bei Nichtbefolgung der Empfehlung zur Kursteilnahme keine irgendwie geartete Sanktion droht. Die mit Art. 17 a Abs. 9, Abs. 10 Nr. 1 und Abs. 12 Nr. 2 BayIntG neu eingeführten Bestimmungen sind demzufolge auch nicht an dem für Eingriffsakte geltenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen.
248
c) Die durch Art. 17 a Abs. 10 Nr. 2 und Abs. 11 Nr. 1 BayIntG bewirkten Änderungen des Bayerischen Untersuchungshaftvollzugsgesetzes (BayUVollzG) und des Bayerischen Strafvollzugsgesetzes (BayStVollzG), aus denen sich für den betroffenen Personenkreis eine Teilnahmepflicht ergeben kann, sind ebenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
249
Nach Art. 40 Abs. 2 BayStVollzG, der für junge Untersuchungsgefangene (Art. 29 BayUVollzG) entsprechend gilt (Art. 33 Abs. 2 Satz 2 BayUVollzG), haben (Straf-) Gefangene an einem von der Anstalt angebotenen Deutschunterricht teilzunehmen, wenn sie der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig sind, um sich nach ihrer Entlassung im Alltag fließend in deutscher Sprache verständigen zu können, und wenn sie körperlich sowie geistig dazu in der Lage sind. Nach der – ebenfalls für junge Untersuchungsgefangene entsprechend anwendbaren – Vorschrift des Art. 40 Abs. 3 Satz 1 BayStVollzG haben die Gefangenen an einem von der Anstalt angebotenen Integrationsunterricht teilzunehmen, wenn sie Integrationsdefizite aufweisen und körperlich sowie geistig dazu in der Lage sind. Der Integrationsunterricht dient nach Art. 40 Abs. 3 Satz 2 BayIntG den in Art. 1 BayIntG genannten Integrationszielen.
250
Diese Bestimmungen genügen sowohl hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen als auch in Bezug auf die vorgesehenen Rechtsfolgen dem Grundsatz der Normbestimmtheit (aa)). Bei sachgerechtem Verständnis wird damit auch nicht in unverhältnismäßiger Weise in Rechte der Betroffenen eingegriffen (bb)).
251
aa) In welchen Fällen ein mangelhaftes sprachliches Kommunikationsvermögen nach Art. 40 Abs. 2 BayStVollzG als so gravierend anzusehen ist, dass die betreffende Person zur Teilnahme an einem Deutschunterricht verpflichtet werden kann, ist dem in der Vorschrift genannten Leitbild, sich im Alltag fließend in deutscher Sprache verständigen zu können, zu entnehmen. Bei der Anwendung dieses Maßstabs sind, wie der gesetzliche Hinweis auf die körperlichen und geistigen Mindestvoraussetzungen einer Kursteilnahme zeigt, die unterschiedlichen persönlichen Fähigkeiten der Gefangenen zu berücksichtigen. An diesen müssen sich notwendigerweise auch die jeweiligen Unterrichtsinhalte und pädagogischen Konzepte des Sprachkurses orientieren, sodass eine rechtssatzmäßige Präzisierung von Lernzielen und Lehrplänen nicht gefordert werden kann.
252
Auch das für die Anwendung des Art. 40 Abs. 3 Satz 1 BayStVollzG maßgebliche Kriterium, ob Strafgefangene bzw. junge Untersuchungsgefangene Integrationsdefizite aufweisen, lässt sich anhand des Regelungszusammenhangs konkretisieren. Wie sich der in Art. 40 Abs. 3 Satz 2 BayStVollzG vorgegebenen Zweckbestimmung des Integrationsunterrichts entnehmen lässt, liegt ein solches Defizit nach dem Verständnis des Gesetzgebers insbesondere dann vor, wenn die in Art. 1 BayIntG aufgeführten Integrationsziele bei dem betreffenden Gefangenen nicht erreicht worden sind (vgl. LT-Drs. 17/11362 S. 27), er also die für eine Eingliederung in die deutsche Gesellschaft notwendigen Anstrengungen nicht unternommen hat oder unternehmen will. Da Art. 40 Abs. 3 BayStVollzG nach Wortlaut und Sinn der Vorschrift nicht auf solche Ausländerinnen und Ausländer beschränkt ist, bei denen die unzureichende Integration auf der Herkunft aus einer anderen (Rechts-) Kultur beruht, kommt eine Anwendung auch bei anderen Personen infrage, die durch ein unangepasstes Verhalten zeigen, dass ihnen die bestehende gesellschaftliche Ordnung weitgehend fremd ist. Worin die zu erwartende Integrationsleistung im Einzelnen besteht, wird zwar im Gesetz nicht näher erläutert. Orientierungspunkte bieten insoweit aber das allgemeine Strafvollzugsziel, die Gefangenen zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Art. 2 Satz 2 BayStVollzG), und der für junge Untersuchungsgefangene geltende Grundsatz eines erzieherisch gestalteten Vollzugs der Untersuchungshaft (Art. 30 Abs. 1 BayUVollzG), der eine Nachsozialisierung im Bereich von Bildung und Beschäftigung einschließt (vgl. Art. 33 Abs. 1 bis 3 BayUVollzG).
253
Ähnlich wie bei der im Aufenthaltsgesetz vorgesehenen Möglichkeit, Ausländer zur Teilnahme an einem Integrationskurs zu verpflichten, wenn sie in besonderer Weise integrationsbedürftig sind (§ 44 a Abs. 1 Nr. 3 AufenthG), lassen sich auch die in Art. 40 Abs. 3 BayStVollzG angesprochenen Integrationsdefizite angesichts der Vielzahl desintegrativer Grundhaltungen und Verhaltensweisen nicht abschließend normativ umschreiben. Im Kontext des Resozialisierungsziels des Strafvollzugs bzw. des Bildungsauftrags der Untersuchungshaft bei jungen Untersuchungsgefangenen kann das genannte Tatbestandsmerkmal aber jedenfalls nur dann als erfüllt angesehen werden, wenn eine über die konkrete Straftat bzw. den Straftatverdacht hinausgehende gravierende Fehleinstellung in Bezug auf das soziale Zusammenleben in der Gesellschaft erkennbar wird, die zumindest auch auf unzureichenden Kenntnissen über die hierzulande geltenden Grundregeln beruht und einen entsprechenden Unterricht als zielführend erscheinen lässt. Im Unterschied zu den – unzulässigerweise – auf eine Korrektur der inneren Einstellung abzielenden Grundkursen über die Rechts- und Werteordnung nach Art. 13 BayIntG steht somit beim Integrationsunterricht nach Art. 44 Abs. 3 BayStVollzG die Sachinformation über grundlegende rechtliche und gesellschaftliche Zusammenhänge im Vordergrund.
254
bb) In der Verpflichtung zur Teilnahme an einem solchen von der Anstalt angebotenen Unterricht liegt kein unverhältnismäßiger Grundrechtseingriff.
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Die auf Art. 44 Abs. 2 und 3 BayStVollzG bzw. Art. 33 Abs. 2 Satz 2 BayUVollzG beruhenden Anordnungen zur Unterrichtsteilnahme greifen aus den oben genannten Gründen (V. 4. b)) nicht in die von Art. 102 Abs. 1 BV geschützte körperliche Fortbewegungsfreiheit, sondern lediglich in die allgemeine Handlungsfreiheit der Straf- bzw. Untersuchungsgefangenen nach Art. 101 BV ein. Sie sind ein Element des auf (Re-)Sozialisierung ausgerichteten Vollzugs der Straf- bzw. Untersuchungshaft und dienen somit einem verfassungsrechtlich legitimen Zweck. Da verpflichtende Aufforderungen nur gegenüber Personen ergehen dürfen, die zur Teilnahme an dem Sprach- oder Integrationsunterricht körperlich und geistig in der Lage, dazu aber nicht freiwillig bereit sind, bestehen an der Geeignetheit und Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme keine Zweifel.
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Die Verpflichtung zur Unterrichtsteilnahme stellt für die Anstaltsinsassen auch keine unzumutbare Belastung dar. Sie verlangt außer der körperlichen Anwesenheit und der prinzipiellen Bereitschaft zur Teilnahme am Unterrichtsgespräch kein sonstiges Verhalten. Anders als im Fall der verpflichtenden Integrationskurse nach § 44 a AufenthG, bei denen eine verweigerte oder erfolglose Teilnahme aufenthaltsrechtliche, kostenrechtliche und bußgeldrechtliche Folgen haben kann (§ 44 a Abs. 3, § 98 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG), ist für die Nichtteilnahme an einem Sprach- oder Integrationsunterricht nach Art. 44 Abs. 2 und 3 BayStVollzG bzw. Art. 33 Abs. 2 Satz 2 BayUVollzG keine spezielle Sanktion vorgesehen, sodass hier allenfalls Disziplinarmaßnahmen in Betracht kommen (Art. 109 BayStVollzG, Art. 28 BayUVollzG). Da die Teilnahmeverpflichtung der Gefangenen erst entsteht, wenn die Anstalt ihnen einen Unterricht angeboten hat, kann schon durch das Absehen von einem solchen individuellen Angebot auf mögliche Härtefälle reagiert werden, in denen die Teilnahme eine unangemessene Belastung darstellen würde. Die gesetzliche Regelung bietet damit ausreichenden Spielraum für einen dem Übermaßverbot Rechnung tragenden grundrechtsschonenden Verwaltungsvollzug.
VII.
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Die Verfahren sind kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG). Es ist angemessen, der Antragstellerin im Verfahren Vf. 6-VIII-17 die Hälfte und der Antragstellerin im Verfahren Vf. 7-VIII-17 ein Viertel der durch das jeweilige Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen aus der Staatskasse zu erstatten (Art. 27 Abs. 5 VfGHG).