Inhalt

VG München, Urteil v. 11.12.2019 – M 25 K 17.2264
Titel:

Sachbescheidungsinteresse für einen Staatsangehörigkeitsausweis

Normenketten:
BGB § 107, § 1629
StAG § 30 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1
VwGO § 62 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2
Leitsatz:
Die Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit erfolgt nur bei einem Sachbescheidungsinteresse, das fehlt, wenn der Antragsteller einen deutschen Pass besitzt und ihm die deutsche Staatsangehörigkeit auch nicht bestritten wird.  (Rn. 18 und 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prozessfähigkeit, Minderjährige Kläger, Gemeinschaftliche Vertretung durch Eltern, Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises, Vorliegen eines Sachbescheidungsinteresses (verneint), Minderjähriger, Sachbescheidungsinteresse, Staatsangehörigkeitsausweis, Vertretung
Fundstelle:
BeckRS 2019, 32837

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Kläger begehren die Ausstellung von Staatsangehörigkeitsausweisen.
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Am 21. November 2016 stellte der Kläger zu 1 für sich und seine zwei Kinder, die Kläger zu 2 und 3, Anträge auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit und Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises unter Verwendung der dafür vorgesehenen Formulare.
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Mit Schreiben vom 5. Dezember 2016 sandte die Beklagte die eingereichten Anträge inklusive Anlagen an die Kläger zurück und führte aus, dass kein Sachbescheidungsinteresse für die Ausstellung von Staatsangehörigkeitsausweisen bestehe, da keine Zweifel an der deutschen Staatsangehörigkeit bestehen würde.
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Am 9. Januar 2017 übersandte die damalige Bevollmächtigte des Klägers zu 1 die Anträge und Anlagen erneut und legte Widerspruch gegen die vorherige „Ablehnung“ der Anträge ein.
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Mit Schreiben vom 29. März 2017 wies die Beklagte die Bevollmächtigte darauf hin, dass das Widerspruchsverfahren abgeschafft sei, verwies auf den Rechtsweg und sandte die Anträge und Anlagen zurück.
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Am 19. Mai 2017 erhoben die Kläger Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München. In der mündlichen Verhandlung beantragte der Kläger zu 1,
die Beklagte zu verpflichten, den Klägern einen Staatsangehörigkeitsausweis auszustellen.
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Zur Begründung führten sie an, dass die Beklagte bisher nicht über ihre Anträge entschieden hätte, dass ein Sachbescheidungsinteresse bestehe, da die deutschen Ausweispapiere nicht als sicherer Nachweis für die Staatsangehörigkeit anzusehen seien und dass sie die beantragten Ausweise für Immobiliengeschäfte mit ausländischen Investoren und im Ausland benötigen könnten.
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Mit Schreiben vom 11. Juli 2017 legte die Beklagte die Akten vor und beantragte,
die Klage abzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 11. Dezember 2019 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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1. Die Klage ist bereits unzulässig.
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a) Die Klage ist, soweit sie die Kläger zu 2 und 3 betrifft, unzulässig, da die damals minderjährigen Kinder bei der Klageerhebung nicht wirksam vertreten wurden.
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Prozessfähig sind nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO die nach bürgerlichem Recht Geschäftsfähigen. Die Kläger zu 2 und 3 waren bei Klageerhebung nach § 107 BGB nur beschränkt geschäftsfähig. Eine Anerkennung als geschäftsfähig i.S.v. § 62 Abs. 1 Nr. 2 VwGO lag nicht vor. Folglich waren die Kläger zu 2 und 3 nicht prozessfähig.
13
Eine wirksame Vertretung bei Klageerhebung durch ihre Eltern - die gesetzlichen Vertreter nach § 1629 BGB - lag ebenfalls nicht vor. Die am 19. Mai 2017 eingereichte Klage wurde nur durch den Vater der Kinder - den Kläger zu 1 - unterschrieben. Jedoch steht die Vertretung der Kinder den Eltern gemeinschaftlich zu (§ 1629 BGB). Die Scheidung der Eltern vor Klageerhebung hat an der gemeinschaftlichen Vertretung der Kinder nichts geändert.
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Eine nachträgliche Heilung ist ebenfalls nicht eingetreten. Weder hat die Mutter der Kläger zu 2 und 3 der Klageerhebung nachträglich zugestimmt noch hat die inzwischen volljährige Klägerin zu 2 die Klage genehmigt.
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b) Soweit der Kläger zu 1 die Klage selbst erhoben hat, ist sie ebenfalls unzulässig. Dem Antrag des Klägers zu 1 im Verwaltungsverfahren auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit und Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises fehlt das Sachbescheidungsinteresse. Folglich ist die Beklagte zu Recht untätig geblieben und die Klage unzulässig (vgl. VG München, U.v. 22.5.2019 - M 25 K 17.3368).
16
Nach § 75 S. 1 Alt. 2 VwGO kann bei Untätigkeit einer Behörde eine Untätigkeitsklage nur dann erhoben werden, wenn über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist. Diese tatbestandlichen Voraussetzungen liegen vorliegend im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung am 11. Dezember 2019 nicht vor, da die Beklagte nicht ohne zureichenden Grund untätig (geblieben) ist.
17
Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 StAG wird das Bestehen oder Nichtbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit auf Antrag von der Staatsangehörigkeitsbehörde festgestellt. Die Feststellung ist in allen Angelegenheiten verbindlich, für die das Bestehen oder Nichtbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit rechtserheblich ist (§ 30 Abs. 1 Satz 2 StAG). Auch wenn der Wortlaut des § 30 Abs. 1 Satz 1 StAG nur auf einen entsprechenden Antrag abstellt und weitere Voraussetzungen nicht normiert sind, so hat das nicht zur Folge, dass jedermann ohne Vorliegen eines Sachbescheidungsinteresses Anspruch darauf hat, auf seinen bloßen Antrag hin das Bestehen oder Nichtbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit feststellen zu lassen.
18
Vielmehr ist nach der Rechtsprechung vom allgemeinen Grundsatz auszugehen, dass „jede Verwaltungstätigkeit ein - wie auch immer geartetes - öffentliches oder privates Bedürfnis zu befriedigen hat und deshalb dann zumindest unterbleiben darf und in der Regel wohl auch unterbleiben muss, wenn sie ohne jeden erkennbaren Sinn ist“ (BVerwG, B.v. 12.11.1976 - VII B 21.76 - Buchholz 442.16 § 27 StVZO Nr. 2 - juris Rn. 3 m.w.N.). Dieser Grundsatz gilt auch für die Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 30 Abs. 1 StAG (vgl. BayVGH B.v. 8.8.2018 - 5 ZB 18.844 - beckonline, BeckRS 2018, 18315; VG Potsdam U.v. 31.3.2017 - 9 K 4791/16 - juris Rn. 13; VG Magdeburg U.v. 9.9.2016 - 1 A 88 /16 - juris; VG Hamburg U.v. 10.1.2017 - 2 K 6629/15 - juris).
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Ein solches Sachbescheidungsinteresse ist vorliegend nicht gegeben. Zum einen bestehen keine Zweifel an der deutschen Staatsangehörigkeit des Klägers zu 1. Er verfügt über einen Pass der Bundesrepublik Deutschland und, wie er in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, wurde seine deutsche Staatsangehörigkeit bisher auch von keiner deutschen Behörde bestritten.
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Zum anderen ergibt sich auch aus dem Vortrag des Klägers zu 1, er könnte für Immobiliengeschäfte mit Auslandsbezug eine derartige Feststellung benötigen, kein schutzwürdiges Interesse an der Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises. Es handelt sich um ein rein theoretisches Vorbringen. Ein konkreter Grundstückskauf bzw. -verkauf ist nicht vorgetragen. Ebensowenig hat der Kläger zu 1 vorgetragen, dass bisher bei einem Immobiliengeschäft die Vorlage eines Staatsangehörigkeitsausweises notwendig war bzw. gefordert wurde.
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Auf Grund des fehlenden Sachbescheidungsinteresses hat der Kläger zu 1 keinen Anspruch auf Feststellung der Staatsangehörigkeit. Damit hat er auch keinen Anspruch auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises, § 30 Abs. 3 Satz 1 StAG und die Beklagte musste auf den Antrag des Klägers hin nicht tätig werden.
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2. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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3. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO.