Inhalt

VerfGH München, Entscheidung v. 10.12.2019 – Vf. 31-VI-19
Titel:

Zur Wahrung des Grundsatzes der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde gegen Entscheidungen im Klageerzwingungsverfahren

Normenketten:
StPO § 172
VfGHG Art. 51 Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 10. Dezember 2019 über die Verfassungsbeschwerde der Frau C. K. in M. gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 15. Februar 2019 Az. 2 Ws 100/19 KL
1. Auch im Fall einer Untätigkeit der Staatsanwaltschaft im Klageerzwingungsverfahren gebietet der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, dass der Beschwerdeführer zunächst versucht, durch Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft (Vorschaltbeschwerde) eine Entscheidung über die begehrten Ermittlungen zu erreichen (Fortführung von BeckRS 2019, 28510). (Rn. 9 – 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dass ein Beschwerdeführer einen Rechtsbehelf für entbehrlich hält oder allgemein erwartet, dass dieser erfolglos bleiben wird, führt grundsätzlich nicht dazu, dass er auf dessen Einlegung verzichten kann. (Rn. 11 – 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verfassungsbeschwerde, Subsidiarität, Klageerzwingungsverfahren, Vorschaltbeschwerde
Vorinstanz:
OLG München, Beschluss vom 15.02.2019 – 2 Ws 100/19 KL
Fundstelle:
BeckRS 2019, 32668

Tenor

1. Die Verfassungsbeschwerde wird abgewiesen.
2. Der Beschwerdeführerin wird eine Gebühr von 1.500 € auferlegt.

Entscheidungsgründe

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I. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 15. Februar 2019 Az. 2 Ws 100/19 KL, mit dem der Antrag der Beschwerdeführerin auf Verpflichtung der Staatsanwaltschaft zur förmlichen Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Vorsitzenden Richter am Landgericht Dr. T. wegen Rechtsbeugung als unzulässig verworfen wurde.
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1. Am 9. Januar 2019 erstattete der Bevollmächtigte der Beschwerdeführerin in ihrem Namen bei der Staatsanwaltschaft München I Strafanzeige gegen den Vorsitzenden Richter am Landgericht Dr. T. „in Hinblick auf seinen Beschluss […] vom 8.11.2018, Az. […] wegen Rechtsbeugung (§ 339 StGB)“. Am 10. Januar 2019 forderte der Bevollmächtigte die Staatsanwaltschaft auf, ihm „unverzüglich die förmliche Einleitung des Ermittlungsverfahrens“ zu bestätigen. Mit Schreiben vom 16. Januar 2019 teilte die Staatsanwaltschaft ihm mit, dass der Strafanzeige gemäß § 152 Abs. 2 StPO keine Folge gegeben werde.
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2. Am 22. Januar 2019 stellte der Bevollmächtigte der Beschwerdeführerin in ihrem Namen „Antrag im Verfahren gem. §§ 172 ff StPO“ beim Oberlandesgericht München mit dem Begehren, die Staatsanwaltschaft München I zur förmlichen Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu verpflichten. Mit dem angegriffenen Beschluss vom 15. Februar 2019 verwarf das Oberlandesgericht den Antrag als unzulässig. Es fehle an einer Vorschaltbeschwerde gemäß § 172 Abs. 1 StPO bei der Generalstaatsanwaltschaft. Im Übrigen sei die Entscheidung der Staatsanwaltschaft auch sachgerecht.
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3. Gegen den Beschluss erhob der Bevollmächtigte der Beschwerdeführerin in ih rem Namen am 26. Februar 2019 Anhörungsrüge mit der Begründung, der Beschluss sei „darauf gestützt, es sei eine sog. Vorschaltbeschwerde erforderlich gewesen, was aber in Wahrheit offensichtlich nicht der Fall ist“. Das Oberlandesgericht verwarf die Anhörungsrüge mit Beschluss vom 27. Februar 2019, dem Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin bekannt gegeben am 5. März 2019, als unzulässig, weil lediglich eine abweichende Rechtsauffassung geltend gemacht worden sei.
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II. 1. Mit ihrer - von ihrem Bevollmächtigten in ihrem Namen eingelegten - Verfassungsbeschwerde vom 6. März 2019 rügt die Beschwerdeführerin einen „Verstoß gegen das Verbot der objektiven Willkür durch Missachtung der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Vorverfahren“, erhebt die „[m]ateriellrechtliche Rüge der Verletzung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf effektive Strafverfolgung“ und beanstandet Verletzungen ihres Rechts auf rechtliches Gehör. Am 18. Juli 2019 erfolgten weitere Ausführungen.
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2. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet.
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III. Mit Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 7. November 2019 wurde die Selbstanzeige des Richters des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs Wächtler für begründet erklärt, weshalb der Richter bei der vorliegenden Entscheidung durch seine Vertreterin ersetzt wird.
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IV. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nicht gerecht wird (Art. 51 Abs. 2 Satz 1 VfGHG).
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1. Aus dem Erfordernis der Erschöpfung des Rechtswegs folgt nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs und auch des Bundesverfassungsgerichts, dass die Verfassungsbeschwerde wegen ihres subsidiären Charakters über Art. 51 Abs. 2 Satz 1 VfGHG hinaus nur dann zulässig ist, wenn alle prozessualen und faktischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, um dem als verfassungswidrig beanstandeten Hoheitsakt entgegenzutreten. Die Verfassungsbeschwerde ist ein letzter, außerordentlicher Rechtsbehelf, der nur dann zum Zug kommt, wenn alle anderen Möglichkeiten erschöpft sind, um eine verfassungswidrige Maßnahme zu beseitigen. Versäumt ein Beschwerdeführer eine prozessuale oder tatsächliche Möglichkeit, um eine Verletzung verfassungsmäßiger Rechte auszuräumen, so begibt er sich dieser Rechte (vgl. VerfGH vom 8.6.1984 VerfGHE 37, 79/83; vom 8.11.1991 VerfGHE 44, 136/138 f.; vom 22.10.2018 BayVBl 2019, 465 Rn. 19; Müller in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 5. Aufl. 2014, Art. 120 Rn. 25 m. w. N.; Wolff in Lindner/Möstl/ Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 2017, Art. 120 Rn. 68 f. m. w. N.). Der Grundsatz der Subsidiarität verlangt, dass ein Beschwerdeführer im fachgerichtlichen Verfahren sowohl den Rechtsweg formal durchlaufen als auch alle zumutbaren prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um die geltend gemachte Verletzung von Verfassungsrecht zu verhindern oder zu beseitigen (VerfGH BayVBl 2019, 465 Rn. 19; BVerfG vom 10.3.2016 - 2 BvR 408/16 - juris Rn. 3 m. w. N.).
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2. Das ist vorliegend nicht geschehen. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung verlangt nach § 172 Abs. 1 und 2 StPO, dass zuvor auf Beschwerde des Antragstellers ein ablehnender Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft ergangen ist. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits entschieden, dass ein Beschwerdeführer - selbst bei einer etwaigen Untätigkeit der Staatsanwaltschaft - versuchen muss, durch Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft eine Entscheidung über die begehrten Ermittlungen zu erreichen (VerfGH vom 17.11.2015 - Vf. 32-VI-15 - juris Rn. 12; BayVBl 2019, 465 Rn. 20). Eine solche Vorschaltbeschwerde hat die Beschwerdeführerin nicht erhoben.
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3. Die Auffassung der Beschwerdeführerin, dass die Vorschaltbeschwerde entbehrlich gewesen sei, greift nicht durch (vgl. dazu auch bereits VerfGH BayVBl 2019, 465 Rn. 18 ff.).
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a) Der Verfassungsgerichtshof hat bereits entschieden, dass die Geltendmachung eines inhaltsgleichen Begehrens wie gegenüber dem Oberlandesgericht zunächst gegenüber der Generalstaatsanwaltschaft grundsätzlich ohne Weiteres zumutbar ist (VerfGH BayVBl 2019, 465 Rn. 22). Dies gilt auch im vorliegenden Fall. Insbesondere ist nicht ersichtlich, warum es der Beschwerdeführerin unzumutbar gewesen sein sollte, zumindest nachdrücklich auf einen Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft hinzuwirken. Die vom Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin zum wiederholten Mal angeführte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Mai 2017 Az. 2 BvR 1453/16 (NJW 2017, 3141) besagt nichts anderes (vgl. dazu bereits VerfGH BayVBl 2019, 465 Rn. 23).
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b) Dass die Beschwerdeführerin eine Vorschaltbeschwerde für entbehrlich hält, entbindet sie nicht von der Obliegenheit der Einlegung; ebenso wenig, dass sie davon ausgeht, die Generalstaatsanwaltschaft zeige „nach aller Erfahrung ersichtlich keinerlei Neigung, strafrechtliche Ermittlungen gegen einen Münchner Richter zu forcieren“ (S. 44 der Verfassungsbeschwerde), denn dass ein Beschwerdeführer allgemein erwartet, ein Rechtsbehelf werde erfolglos bleiben, führt grundsätzlich und auch im vorliegenden Fall nicht dazu, dass er auf dessen Einlegung im Vorfeld einer Verfassungsbeschwerde verzichten kann (VerfGH vom 28.2.2011 BayVBl 2011, 530/531; vom 15.9.2011 - Vf. 137-VI-10 - juris Rn. 16).
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c) Auch der Einwand der Beschwerdeführerin, dass es „keinen Unterschied [mache], zu welchem Zeitpunkt die Widerspruchsbehörde, die Münchner GenStA, Gelegenheit zu ihrem Handeln hatte“, ob sie also „schon auf eine Vorschaltbeschwerde hin tätig wird oder erst, wenn sie vom Gericht […] dazu aufgefordert wird“ (S. 45 der Verfassungsbeschwerde), ändert an dem Subsidiaritätsverstoß nichts. Dies gilt selbst dann, wenn man davon ausgeht, dass die Generalstaatsanwaltschaft die Möglichkeit hat, im Rahmen ihrer Beteiligung durch das Gericht Ausführungen zur etwaigen Begründetheit des inhaltlichen Anliegens der Beschwerdeführerin zu machen.
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Denn zum einen ist es dem Oberlandesgericht nicht verwehrt, einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung bei unterbliebener Vorschaltbeschwerde selbst dann als unzulässig zu verwerfen, wenn sich die Generalstaatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Anhörung mit der Begründetheit des Anliegens befasst hat (Kölbel in Münchener Kommentar zur StPO, 2016, § 172 Rn. 49). Demnach kann die Beschwerdeführerin, die eine notwendige Vorschaltbeschwerde nicht erhebt, nicht davon ausgehen, dass das Gericht zwingend etwaige Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft zur Begründetheit des Anliegens zum Anlass nimmt, von einer Verwerfung des Antrags als unzulässig abzusehen.
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Zum anderen hat die Beschwerdeführerin auch nicht substanziiert dargelegt, dass die Generalstaatsanwaltschaft im vorliegenden konkreten Fall Ausführungen zur Begründetheit ihres Anliegens gemacht hätte, die das Gericht dazu hätten veranlassen müssen, ihrem Antrag stattzugeben. Die Beschwerdeführerin erwähnt zwar in ihrem Schriftsatz vom 18. Juli 2019 (S. 7) zwei „abschließende[…] Vorlageschreiben der GenStA vom 3. Mai 2019 und vom 6. Mai 2019“ (ohne Angabe eines Aktenzeichens o. ä.). Diese Vorlageschreiben wurden aber weder vorgelegt noch ihr wesentlicher Inhalt mitgeteilt. Angesichts der Datumsangaben ist es auch fernliegend, dass diese Schreiben vor der angegriffenen Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 15. Februar 2019 ergangen sein und damit im Vorfeld des Erlasses eine Entscheidung über die unterlassene Vorschaltbeschwerde hätten entbehrlich machen können. Auf das einschlägige Vorlageschreiben der Generalstaatsanwaltschaft vom 6. Februar 2019 im konkreten Verfahren (das sich im Übrigen nur mit der Unzulässigkeit des Antrags befasst) geht die Beschwerdeführerin in keiner Weise ein.
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d) Auch im Übrigen greifen die Ausführungen der Beschwerdeführerin zur Entbehrlichkeit der Vorschaltbeschwerde nicht durch. Es steht einem Anzeigeerstatter entgegen ihrer Rechtsauffassung nicht „frei, welche prozessualen Mittel er zur Durchsetzung“ seines Begehrens wählt (S. 46 der Verfassungsbeschwerde).
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V. Selbst wenn die Verfassungsbeschwerde zulässig wäre, wäre sie offensichtlich unbegründet.
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Dabei kann dahinstehen, ob eine Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 120 BV zum Bayerischen Verfassungsgerichtshof auf eine Verletzung des Justizgewährungsanspruchs - den die Beschwerdeführerin vereinzelt erwähnt (z. B. auf S. 101 ff. der Verfassungsbeschwerde) - überhaupt gestützt werden kann (vom Verfassungsgerichtshof bisher offengelassen; vgl. VerfGH vom 24.5.2019 - Vf. 23-VI-17 - juris Rn. 37). Ein diesbezüglicher Verstoß sowie eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 91 Abs. 1 BV) kämen allenfalls in Betracht, wenn das Oberlandesgericht das Prozessrecht in einer Weise ausgelegt und gehandhabt hätte, die unter Berücksichtigung der genannten Rechte unvertretbar wäre (VerfGH vom 2.3.2017 - Vf. 1-VI-16 - juris Rn. 19; vom 13.3.2018 - Vf. 31-VI-16 - juris Rn. 39). Das ist im Hinblick auf den angegriffenen Beschluss vom 15. Februar 2019 völlig fernliegend. Nichts anderes gilt im Hinblick auf die „[m]ateriellrechtliche Rüge der Verletzung [des] verfassungsrechtlichen Anspruchs auf effektive Strafverfolgung“, denn ist die angefochtene Entscheidung - wie hier - unter Anwendung von Bundesrecht ergangen, das wegen seines höheren Rangs nicht am Maßstab der Bayerischen Verfassung überprüft werden kann, beschränkt sich die Prüfung darauf, ob das Gericht willkürlich gehandelt hat (Art. 118 Abs. 1 BV) (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 8.2.2019 - Vf. 67-VI-17 - juris Rn. 17); ein entscheidungserheblicher Willkürverstoß (Art. 118 Abs. 1 BV) des Oberlandesgerichts ist im vorliegenden Fall offensichtlich nicht gegeben.
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VI. Es ist angemessen, der Beschwerdeführerin eine Gebühr von 1.500 € aufzuerlegen (Art. 27 Abs. 1 Satz 2 VfGHG).